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Der Ochsenkrieg

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Eine freudig schrillende Weiberstimme im tieferen Wald. Malimmes guckte gottergeben drein. Atemlos kam Traudi durch den Wald heraufgewirbelt, vergaß aller Eifersucht und überschüttete den Malimmes mit einer ausreichenden Mahlzeit von Sorge und Zärtlichkeit. Stumm ertrug er’s, während schon die Wirkung des schweren Trunkes in seinen Augen zu blinkern begann. Daß er anders aussah als sonst, das merkte die Traudi nicht. Der Malimmes war da, war gut zu ihr, und ihr Glück hatte keinen Wunsch mehr. Als ihre Freude sich ausgetobt hatte, faßte er sie am Handgelenk: »Dich hab ich gesucht. Bloß um deintwegen bin ich gekommen.«

»Ist’s wahr?« Sie glich in diesem Augenblick dem seligsten Geschöpf der Erde.

»Aber, Maidl, jetzt mußt du beweisen, daß du mich lieb hast.«

»Dir tu ich alles.«

»Zu meiner Mutter mußt du, in die Ramsau, jetzt gleich. Die Mutter tut Not leiden.« Er schüttelte den Inhalt des Säckels vor sich hin und schob ein paar Silberstücke in seinen Hosensack: das übrige teilte er nach dem Augenmaß und gab dem Altknecht die eine Hälfte: »Das schieb in des Herren Zwerchsack. Ist für uns alle.« Die andere Hälfte gab er wieder in den Sack. »So, Maidl, das bring der Mutter, jetzt gleich! Und bei der Mutter bleibst du, bis ich komm. Dein Kind muß ein Heimatl haben, weißt!«

Ihre Augen strahlten. »Wann kommst?«

»So bald wie’s geht. Hast meinen Goldpfennig noch?«

»Wohl! An einem Schnürl um den Hals.«

»Da laß ihn nur hängen derweil. Jetzt kannst du die Mutter auch grüßen — von mir. Mach weiter! Das Ding hat Eil.« Sie wagte keinen Widerspruch, sprang in das Zelt, holte ihr Bündel und wollte den Malimmes halsen. Er sagte: »Schon gut!« Mit Tränen in den Augen sprang die Traudi davon. Er sah ihr nicht nach, sondern starrte vor sich hin auf den Waldboden, und in seinem Gesicht war der Ausdruck eines peinvollen Grams. Mit schweren Schritten ging er ins Zelt und preßte die Lippen, an den zierlichen Helm, wie ein inbrünstiger Beter die Reliquie eines Heiligen küßt. Wieder jenes wilde Lachen. Dann warf er sich auf die Pferdedecken, die in einem Winkel des Zeltes lagen.

Noch einmal hörte er die Stimme der Traudi. Das Mädel war dem Runotter und dem Jul begegnet und sprach mit ihnen.

Nun kamen die beiden. Jul war ohne Kettenhaube, barhäuptig. Wie ein dickes, schweres Mäntelchen hing das schwarze Haar um das erhitzte Gesicht. Runotter, völlig gewaffnet, schlug den Tuchlappen des Zeltes zurück. »Gott sein Dank! Da ist er. Mir geht ein Stein von der Seel.«

Malimmes lag unbeweglich auf den Decken, mit geschlossenen Augen. Als Jul zu ihm hinspringen wollte, faßte Runotter den Buben am Arm. »Sei fürsichtig! Der schaut aus wie ein arg Müder. Gönn ihm die Ruh! Er schlaft.«

Lautlos kauerte der Bub sich auf den Boden hin und schmiegte seine Wange an die Faust des Malimmes. Der zuckte leis. Doch er ließ die Faust so liegen, wie sie lag.

Mit großen Augen sah Runotter die sonderbare Gewandung des Söldners an und betrachtete die neuen Waffen, die da umherlagen. Draußen bei den Gäulen war ihm das fremde Roß mit dem prächtigen Sattelzeug aufgefallen. Was er mit eigenen Augen sah, und das wirre Geschwätz, das der Heiner gemacht hatte, und das verdrehte Gerede der blonden Leuthausmagd — das alles stimmte nicht zueinander.

Über das braune Gesicht des Bauern glitt plötzlich ein fahles Erblassen. Der schwere Küraß, der zu Häupten des Malimme auf dem Boden stand? War das nicht der Küraß, den der Gadnische Vogt in jener Nacht getragen hatte, als der Jakob auf dem Totenbrett hatte liegen müssen? Und war’s nicht der gleiche Küraß, über den bei der Hallturmer Mauer das Blut des Erschlagenen heruntersprudelte, der unter den Streichen des Runotter zusammenbrach? Wie kam dieser Küraß in das Zelt? War Malimmes auf dem Greuelfeld des Hallturmer Burghofes zum Raubmann geworden? Oder gab es Wege, auf denen die Toten ihre bösen Mahnungen zu den Lebenden schicken?

Wortlos, wie von einer drückenden Last gebeugt, ging der Bauer aus dem Zelt. Und draußen befahl er mit rauher Stimme dem Altknecht: »Lauf, Mensch — da liegt ein Krug — bring, was du kriegen kannst! Mich dürstet nach Ruh.«

Der heitere Lärm des Gelägers — diese kreischenden Stimmen, das Gelächter, die johlenden Lieder, das Dullenklopfen auf den Harnischen und Eisenhüten, das Gewieher und Stampfen der Pferde — das alles tönte gleich dem wirren Geplätscher eines Sturzbaches in die dämmerige Stille des Zeltes.

Unbeweglich saß der Bub auf der Erde, mit dem Kopf an die Schulter des Malimmes gelehnt. Der lag wie ein toter Klotz. In dem Schlafe, den er geheuchelt hatte, war ihm aus Erschöpfung und Weindunst ein ehrlicher Schlummer auf die Lider gefallen. Manchmal ließ er ein kurzes, drolliges Schnarchen hören — es war wie der röchelnde Laut einer Kehle, der es ein bißchen an Luft gebricht. — —

Vor der Mahlstunde des Gelägers, als die Waldluft erfüllt war von den Schmorgerüchen der vielen Feuerstätten, vernahm man immer wieder von der Hallturmer Höhe her ein kurzes, dumpfes Trommelgerassel. Das war der kriegerische Segen, mit dem der heilige Peter seine Toten verspätet dem Schoß der Erde übergab. Jeder von den Troßbuben, die beim Hallturm als Totengräber dienen mußten, hatte sich ein mit Essig getränktes Tuch um Mund und Nase gebunden. Und hohe Feuer loderten, die man mit Stößen von Wacholder nährte. Man trieb da den Teufel mit dem Teufel aus und übertäubte den üblen Geruch des Todes mit einem Gestank des Lebens. Das gemeine Volk, das die Pflichten der Pietät erfüllen und durch die zerbröselte Mauer die für den Sturm auf die feindliche Sperrschanze nötigen Tore brechen mußte, hielt den bayrischen Hauptmann Seipelstorfer für einen großen Esel, weil er sein Pulver sparte, statt die Arbeit bei der Hallturmer Mauer durch einen Hagel von Stein und Blei zu stören. Die Büchsenschanzen auf dem Fuchsenstein waren deutlich zu sehen; doch über achthundert Schritte konnten die Getreuen des heiligen Peter nicht mehr erkennen, daß die bayrischen Geschütze bereits aus den Schanzen zurückgezogen waren. Unter Bespannung standen die ›Landshuterin‹ die ›Hornaussin‹ und die Trommelkanone schon im Wald auf der Straße, wo ihre Räder fest mit Sacklumpen und Filz umwickelt wurden. —

Der wehrhafte Häuf des heiligen Peter, dessen Nachhut noch mit einem langen Schwanz die von Berchtesgaden herziehende Straße füllte, wurde außerhalb des Duftbereichs der Hallturmer Mauer aufgestellt. Hinter den vier Hauptbüchsen hatte Hauptmann Hochenecher mit seinen Geleitsherren auf einem grünen Hügel Stand genommen, um die Anordnung des Sturmes zu beraten. Der durfte vor der fünften Morgenstunde nicht beginnen. Es war wohl verabredet, daß der Hinterhalt der Salzburger mit dem Kriegshaufen des Bischofs von Chiemsee und des Kaspar Törring das Saalachtal vor Anbruch der Nacht bei Piding und Marzoll, hinter dem Untersberge, sperren würde. Aber man brauchte den sichtigen Morgen dazu, um den Seipelstorfer von Plaien abzuschneiden und den Feind hinunterzupeitschen in die unentrinnbare Mausfalle an der Saalach. Sooft die Salzburgischen Herren während ihres Kriegsrates zum Fuchsenstein hinüberguckten, fingen sie zu lachen an. Wie ahnungslos die winzigen Käfer da drüben auf und nieder krabbelten an der Sperrschanze! Und Erde karrten und Bäume schleppten. Um sich einzusperren in einen mörderischen Sack!

Neben den Lachenden stand ein Ernster, der in diesem Kriegsrat kein Wort gesprochen hatte. Die feste Sonnenluft, die über den Hügel hinblies, bewegte die Fasanenflügel auf seinem schimmernden Helm.

Als die Herren des Rates auseinandergingen, jeder zu seinem Fähnlein, legte Fürst Pienzenauer seine gepanzerte Hand auf die Schulter dieses Schweigsamen. »Komm! Ich will reden mit dir.«

In Lamperts Augen war eine dürstende Hoffnung.

Die beiden gingen zu einer alten Ulme, in deren Schatten der Fürst sich niederließ. Lächelnd betrachtete er den Jungherrn. »Ich habe mir überlegt, was du mir am Morgen sagtest. Auch hast du dir durch den gefahrvollen Ritt nach Ingolstadt einen Dank verdient.«

»Ich tat nur meine Pflicht.«

»Grund genug für deinen Fürsten, um dir zu danken. Der Menschen, die immer ihre Pflicht tun, gibt es wenige. Sonst hätte das Leben ein anderes Gesicht als jenes üble, das von der Hallturmer Mauer zu uns herguckt und das wir heut in meinem verwüsteten Münster gesehen haben. Ich will es dir nicht vergessen, daß ohne deinen mutigen Ritt die Bayern noch immer in meiner Stube säßen. Oder denkst du auch von Herzog Heinrichs Leuten so gut wie von deinem Ramsauer Schützling?«

»Nein!« In diesem harten, heiseren Worte zitterte ein leidenschaftlicher Zorn. »Man hat uns schamlos und wider Recht überfallen. Die da drüben haben die eigenen Bauernhöfe auf dem Hirschanger in Brand gesteckt, um einen Vorwand wider uns zu schaffen und die Unseren lügnerisch der Schuld zu bezichtigen.«

»Die da drüben erklären das vermutlich als feine Kriegskunst, die nicht Gut und Menschen zählt, nur den nützlichen Vorteil wertet.«

»Herr?« fragte Lampert erschrocken. »Redet Ihr solchen Dingen das Wort?«

»Ich? Nein. Aber wer das Wesen des Lebens erkennen will, muß es mischen aus zwei Gesichtern.«

»Das, Herr, ist eingesichtig: Was Herzog Heinrich um dunkler Zwecke willen gegen uns begann, ist ein Frevel ohnegleichen.«

»Da frage den Klugen in Burghausen! Ich vermute, für ihn ist hell, was du dunkel nennst.« Der Fürst lächelte. »Dein Zorn wider diesen Weisen ließe mich hoffen, daß du morgen gegen seine Farben ein grimmiges Eisen schwingen könntest — wenn nicht diese andere Sache wäre, die deine Kraft bedenklich fesselt. In dir ist mehr als nur die Dankbarkeit für diesen wunderlichen Mann, der die folgenschwere Kurzsichtigkeit meines guten Ruppert mit unglaubwürdiger Menschlichkeit vergalt. In dir ist das stärkste von allen Dingen: ein Glaube.«

 

»Ja, Herr! Ich glaube an diesen Redlichen.«

Herr Pienzenauer nickte. »Du bist auch nicht sein einziger Apostel. Den Söldner, der heut für seinen bäurischen Herrn durch die Salzburger Strickschlinge sprang, möcht ich als Diener haben. ›Durch zweier Zeugen Mund‹ — das ist ein altes, gutes Wort. Ich bekehre mich zu deinem Glauben.«

»Herr!« stammelte Lampert in Freude.

»Ich will, daß meine Gadnischen sich morgen auszeichnen. Auch du! Da soll dein Arm nicht lahm werden durch die Sorge, daß du morgen diesem Redlichen begegnen könntest, gegen den du nicht schlagen willst, weil er für deinen Glauben das Martyrium eines Gerechten leidet. Es zeugt doch auch deine zerbrochene Stimme für die Kraft deines Glaubens.«

»Spottet nicht meines Glaubens, Herr! Ich bürge mit meinem Kopf —«

»Den verwette nicht!« Wieder lächelte der Fürst. »Er ist mir zu lieb. Obwohl ich Raupen in ihm sehe. Wie in allen Menschenköpfen — leider auch in meinem eigenen. Höre, Lampert! Ich will alles in deine reinliche Hand legen. Nimm zwei von meinen Leuten, reite mit dem weißen Lappen zur Sperrschanze der Bayrischen hinüber und mache den Versuch, ob sie dich mit dem Ramsauer reden lassen. Gelingt es dir, so laß dir sagen von ihm, wie sich alles in der Ramsau und auf dem Hängmoos zutrug. Ich selber glaube, daß der Richtmann nicht lügen wird. Und waren die Dinge so, daß du seine Lösung auf dein Gewissen nehmen kannst, so hast du Vollmacht von mir, ihm Verzeihung und Urfehd anzutragen. Ich will sein Dach wieder aufbauen und will ihn ungekränkt mit den Seinen hausen lassen im Erbrecht. Bist du zufrieden?«

»Herr!« Wie in einem Rausch von Freude beugte Lampert die Stirne auf den Eisenhandschuh des Propstes. »Das ist mehr, als ich hoffen durfte.«

»So geh! Und eil dich! Die bösen Dinge laufen so schnell, daß die guten sich um den Vorsprung tummeln müssen.« Freundlich, doch nicht ohne leisen Spott, sah Herr Pienzenauer dem jungen Manne nach, der im ungeschickten Käfertanz eines Gepanzerten über den Hügel hinuntergaukelte zu seinem Pongauer Rappen.

Während der Knecht den angepflöckten Moorle löste, faßte Lampert mit beiden Fäusten das Pferd an den Kiefern und drückte ihm das Gesicht an die Schnauze. »Moorle, Moorle, wir reiten zu einer Freud!«

Die zwei Gadnischen Hofleute, die mit Lampert Someiner durch ein in die Mauer geschlagenes Tor hinausritten, trugen an ihren langen Spießen die weißen Flatterzipfel.

Während die drei ihre Rosse durch das zähe Grau des im Winde stäubenden Aschenfeldes waten ließen, tönte ihnen ein sonderbar aufgeregter, ohrbetäubender Gesang entgegen.

Hinter der neuen Sperrschanze saßen Herzog Heinrichs Harnischer auf ihren Gäulen, in kleine Haufen geteilt. Jeder Reiterschwarm brüllte ein Lied, jeder ein anderes. Und die hundert Schanzbauern jodelten ihre heimatlichen Weisen. Richtiger Gesang brauchte das nicht zu sein, nur fester Lärm, der den Flinkschritt der unter Martin Grans davonmarschierenden Spießknechte und das dumpfe Gerassel der vom Fuchsenstein abziehenden Geschütze und Troßwagen übertönen sollte.

Nahe bei der Sperrschanze, auf welcher Herr Seipelstorfer mit seinem Geleit die Parlamentäre erwartete, waren einem Reiterhaufen auch die fünf Ramsauer zugeteilt. Malimmes, in seiner neuen Tracht und schweren Bewaffnung, war nach einem fünfstündigen Schlaf wieder frisch bei Kräften, sang lustig mit und schwatzte dazwischen allerlei drolliges Zeug gegen Jul und Runotter hin, die still auf ihren Gäulen saßen. Manchmal sahen die beiden den heiteren Söldner verwundert an. Seit er aus dem bleiernen Schlaf erwacht war, hatten sie gemerkt, daß er heute anders war als sonst. Über seinen lustigen Ritt durch Berchtesgaden log er allerlei krauses Zeug zusammen. Dem Runotter mißfiel das; doch Jul sagte: »Wir verstehen’s halt nit. Ich weiß: Was er tut, ist ein Nutzen für uns.«

Und während da nun dreihundert Kehlen so kräftig sangen, daß von dem Marschlärm hinter dem Fuchsenstein nichts mehr zu hören war, kam ein Trabant des Herrn Seipelstorfer über den Wall heruntergesprungen und winkte dem Runotter: »Kommen sollst du! Ein Gnadnischer Herr steht vor dem Wall, mit Botschaft für dich. Der Jungherr Someiner.« Der Name wirkte auf die drei wie ein Lanzenstoß. Malimmes warf einen brennenden Blick nach dem Buben, der sich auf eine wunderlich sinnlose Weise plötzlich gegen die Mähne seines Gaules beugte. Runotter, in dessen Augen nach dem schweren Trank dieses Mittags eine dumpfe Ruhe gewesen war, verfärbte sich. Er sagte rauh: »Der soll seine Botschaft dem Hauptmann kundtun! Nach Zwiesprache mit Gadnischen Herren dürstet mich nit.«

Da hob der Bub den schimmernden Helm mit dem Reiherbusch. Ein irres Flehen war in seinen großen Augen. »Red mit ihm! Der tät nit bringen, was ein Ungutes wär für dich!«

Der Bauer sah den Buben an — und sah dem Trabanten nach, der gegen die Sperrschanze hinauf sprang — und sagte müd: »Ist schon vorbei.«

Herr Seipelstorfer winkte vom Wall herunter. Er rief auch etwas. Doch unter diesem brüllenden Gesang verstand man’s nicht.

Ein heißes Drängen: »Vater! So geh doch, Vater!«

Runotter schien nicht zu hören und war auf seinem Gaul wie eine steinerne Säule.

In Zorn schimpfte Malimmes: »Gotts Teufel, so rumpelt doch fürwärts!« Er versetzte dem Schimmel einen heimtückischen Fußtritt gegen den Hinterbacken. An so grobe Behandlung war das brave Rößlein nicht gewöhnt. Schnaubend surrte es gegen die Sperrschanze hin. Und Malimmes — in einer Aufregung, als ginge es jetzt um Hals und Leben — faßte den Zügel des Falben und hetzte gegen den Fuchsenstein hinauf. »Komm, Bub! Ich laß meinen Herren nit aus dem Aug.« Nun waren Jul und der Söldner zwischen den Schanzen der verschwundenen Geschütze, sahen den Runotter beim Hauptmann steher und konnten über die Sperrschanze hinausgucken auf das Aschenfeld.

Da draußen hielt ein eisgrauer Reiter.

»Siehst du ihn?« tuschelte Malimmes. »Daß er so grau ist, kommt von der fliegenden Äsch da draußen!« Man sah die grauwehenden Schleier, die der Sonnenwind von dem Aschenfeld emporwirbelte; sie waren so dicht, daß man die zwei ferner stehenden Gadnischen Hofleute mit den weißen Flatterzipfeln manchmal nur als verschwommene Schemen gewahrte. »Siehst du ihn? Er ist nit allweil so grau, ist wie ein jungs Bäuml im besten Saft. Und heut in der Früh, da ist er gewesen wie der heilige Jörg, der dem Teufel ins Maul speit und lacht dazu!« Auch Malimmes wollte lachen. Doch mit gut gespieltem Schreck verstummte er, als das brennende Gesicht des Buben so jäh herumfuhr. »So, jetzt hab ich mich schiech verschnappt. Jetzt muß ich schon alles redlich bekennen. Heut hab ich dich grauslich angelogen. Eine Dummheit gesteht man nit freiwillig ein. Weißt, ich hab wieder eine von meinen Narreteien gemacht, und da haben mich die Salzburger beim Zwickel erwischt. In elenden Todsnöten bin ich gewesen, und es hat mir der Hänfene schon das Zäpfl gedruckt —«

»Jesus!« stammelte der Bub erblassend.

»Aber da ist der Jungherr bei mir gewesen wie ein paradiesischer Engel, hat mich herausgehoben aus aller Not, hat mir den hilflosen Buckel gedeckt und hat mich aus dem Tod wieder reiten lassen ins lustige Leben — auf seinem eigenen Gaul! Guck, Bub! Das feine Rössel, auf dem ich da hock, das ist des Jungherren Kriegsroß.« Eine zitternde Knabenhand tastete nach Hals und Mähne des schönen Pferdes. »Gelt! Ein fürnehmes Rössel!« beteuerte Malimmes. »Hat den ›Loys‹ mit der Herzogskrone auf der Schattenseit!«

Für dieses Wichtige schien der Bub kein Ohr mehr zu haben. Die mit Stahl geplattete Hand in die Mähne des Ingolstädter Gaules klammernd, beugte er sich im Sattel vor, und seine großen Augen glänzten gegen das Aschenfeld hinaus.

Malimmes tat einen schwülen Atemzug.

Das war in dem Augenblick, als man auf der Sperrschanze den Runotter an einem Seil hinunterließ über den Steilhang des hohen Walles.

Unter dem Gewicht der eisernen Wehr und seines schweren Körpers versank der Bauer bis zu den Waden in die angewehte Asche. Ein paar Schritte machte er noch. Dann blieb er stehen, mit den Fäusten auf dem Schwertknauf.

Lampert Someiner trieb seinen grau gewordenen Rappen gegen den Bauern hin. Er beugte sich nieder und bot dem Runotter die Hand.

Der nahm sie nicht.

»Richtmann —«

»Jetzt bin ich Kriegsknecht.«

»Sei, was du magst! Mir bist du immer der gleiche. Ich bin gekommen —« Lampert räusperte sich. Er mußte die kranke Stimme plagen, um bei diesem sonderbaren Liedergebrüll verständlich zu werden. »Ich bringe Frieden, Runotter! Für dich!«

»Da wird wohl Krieg bleiben!« sagte der Bauer hart.

»Runotter! Du bist ehrlich — sag mir, wie alles war in der Ramsau. Ich selber weiß, wie es war auf dem Hängmoos —«

»Da heißt man’s jetzt: in der Mordau.«

»Gott seis geklagt: Dieser Name hat Wahrheit! Aber höre mich, Runotter! Ich habe Vollmacht von unserem Fürsten —«

»Das ist Euer Fürst. Der meinige nimmer.«

Die Erregung verwandelte Lamperts Stimme in ein rauhes Krächzen. »So will ich sagen: Ich habe Vollmacht von meinem Fürsten, die gerechte Lösung und ehrlichen Frieden zu bieten, wenn du schuldlos bist. Und daß du es bist, das weiß ich. Runotter, ich glaube an dich.«

Über die schwere Gestalt des Bauern lief ein Zittern. Er wankte ein wenig, wie von einem wuchtigen Hieb getroffen. Dann stand er wieder in seiner steinernen Härte, wortlos, mit starrglänzenden Augen.

»Runotter? Warum bleibst du so stumm?«

Mühsam sagte der Bauer: »Weil Eure Stimm mir weh tut. Seit gestern weiß ich, für wen Ihr den Hals so verschrien habt.«

Lampert nickte. »Für dein Recht! Hab Vertrauen zu mir! Sag mir, wie alles gewesen ist!«

»Das weiß ich nimmer. Jetzt ist alles anders geworden. Da ist kein Reden mehr, kein Fried und kein Rückweg. Wenn Euer Fürst sich der Güt besinnt, soll er gerecht sein gegen die Ramsauer, die Eure Gadnischen Hofleut hineingehetzt haben in die Untreu der Ängstlichen.«

»Das will ich erwirken.«

»Vergelt’s Gott, guter Herr! Für die anderen. Mich lasset aus dem Spiel! Für mich ist die Ramsau nimmer auf der Welt. Und Euer Fürst, der ist tot für mich.« Die Stimme des Bauern wurde grell. »Einmal hab ich die Treu meines Lebens zerbrochen im Zorn. Das reut mich, daß es mir hart an die Leber geht. Jetzt hab ich wiederum Treu geschworen. Die halt ich bis in den Tod, Reitet heim, Jungherr —« Runotter verstummte und sah mit glasigen Augen den Kopf des Moorle an. Langsam hob er die Hand, blies die graue Asche von der Stirn des Rappen und streichelte ihm sanft die Nüstern. »Gottes Vergelts, du gutes Roß! Weil du meinen Jakob getragen hast auf deinem Buckel!« Er wandte sich und wollte gehen.

»Runotter!« stammelte Lampert erschüttert. Und schwieg eine Weile. Und stieß es mühsam vor sich hin: »Denkst du nicht an dein ander Kind?«

Der Bauer sagte über die Schulter: »Mein Kind ist weit. Was geht’s Euch an? Wie die Herren ihr Traid geworfen haben, so ist’s aufgegangen für mich und mein Weib, für meinen Buben und mein Maidl.« Er sah diesen ratlosen Kummer in Lamperts Gesicht. »Nichts für ungut, Jungherr! Ihr, weiß ich, habt’s redlich gemeint. Vergelt’s Gott! Aber jetzt ist das so! Was die Säu verwüstet haben, das macht auch kein Heiliger nimmer sauber.« Er schnaufte schwer und ging.

»Runotter!« Lampert streckte erschrocken die Hand.

»Ein End, Herr! Und daß ich ehrlich bin: Heut habe ich einen Rausch. Den muß ich ausschlafen. Weil ich nüchtern sein muß, wenn die Gadnischen Hofleut stürmen.« Unter rauhem Lachen ging Runotter zur Sperrschanze, schlüpfte mit Kopf und Armen in die Strickschlinge, rüttelte am Seil und schrie: »Wie, Leut! Lupfet mich in die Höh!« — —

— Jetzt konnten die beiden auf dem Fuchsenstein den Runotter nimmer sehen. Weil ihn der Wall verdeckte. Sie sahen nur, wie unter dem ohrzerreißenden Liedergebrüll jener graue, Reiter zögernd davonritt durch das Aschenfeld. Und ohne sonderlichen Menschenwitz war es zu merken, daß die zwei in der Asche da drunten — mochten sie was immer miteinander geredet haben — nicht eines Sinnes geworden.

Malimmes mußte flink seinen Arm um den Buben legen, dem ein Laut aus der Kehle quoll wie der zerdrückte Atem eines Erstickenden. »Da mußt du dich nit sorgen. Jul! Heut hat er bloß einen halben Weg getan. Das Stündl kommt noch, wo er den ganzen tut. Der Weg zum Verstand geht allweil treppelweis.«

Das blasse Gesicht des Buben im schmalen Oval der Kettenhaube war entstellt. Nicht mit der Stimme eines jungen Harnischers, sondern mit dem Stammeln eines hilflos verstörten Mädels fragte Jul: »Hast du —?«

 

»Was?«

»Hast du — heut, am Morgen — geredet — mit ihm?«

»Ich?« Der Söldner machte verwunderte Augen. »Nit ein Wörtl!« Das war so ehrlich gesagt, daß man’s glauben mußte. Und als der Bub aufatmete, lachte Malimmes. »Zum Reden ist gar nit Zeit gewesen. Mein heiliges Jörglein hat mich so flink aus der Not geschupft, daß ich schon den Hallturmer Stank in der Näh geschmeckt hab, eh’s mir eingefallen ist, daß ich dem Jungherren ein Vergeltsgott hätt sagen müssen.« Der Mensch ist allweil ein undankbares Luder. Da streckte er plötzlich in Neugier den Hals. Auf der Straße von Plaien sah er einen Kundschafter auf keuchendem Gaul heraufjagen zur Sperrschanze. »Höia! Mir daucht, da blast ein Wind, der nit gut ist? Komm, Bub!« Er packte den Falben am Zügel. Und die beiden Pferde kletterten über den Hang des Fuchsensteines hinunter.

Unter ihnen schoß der erschöpfte Reiter vorbei. Herr Seipelstorfer lief ihm entgegen. Und der Reiter, im Sattel hängend, redete atemlos auf den Hauptmann herunter. Der knirschte einen Fluch und faßte einen Trabanten am Arm. »Flink! Die Straß hinunter, bis du den Grans findest! Er soll die Spießknecht in die Burg stopfen. Büchsen, Pulver und Kugeln dazu. Vom Troß soll er bergen, was die Zeit verstattet. Die Troßleut mögen hinspringen, wo’s ihnen paßt. Vor dem Abend schick ich dem Grans noch Botschaft! Flink!«

Während der Trabant auf seinen Gaul sprang, trat Herr Seipelstorfer mit den Gefolgsherren zusammen. Der Kriegsrat, der da gehalten wurde, schien Feuer unter dem Boden zu spüren. Die Reiter und Schanzbauern, während sie ihre wirren Lieder brüllten, guckten in Sorge zu der aufgeregten Gruppe hin, die den hastig redenden Hauptmann umstand. Nur Runotter schien nicht zu sehen, was da vorging. Mit fahlem Gesicht, einen starren Glanz in den Augen, ritt er den beiden entgegen, die vom Fuchsenstein herunterkamen. Und sagte: »Malimmes! In dir ist Treu. Da mußt du auch wissen, was Untreu wär. Jetzt deut mir das aus —«

»Was?«

»Ob ich den Handschlag halten muß, den ich dem Grans, gegeben?«

»Wohl, Herr, das mußt du!«

Der Bauer wurde ruhiger. »So hab ich mich nit versündigt.« Mit einem Blick voll heißen Kummers sah er den Buben an: »Jul! Man hat uns einen Weg zum Frieden gewiesen. Mir ist er zugemauert. Dir ist er offen. Magst du ihn reiten?«

Der schlanke Körper des Buben straffte sich im Eisen. Und die herbe Knabenstimme sprach: »Du und ich miteinander. Und die Unsrigen mit uns. Sonst nit. Und wenn’s in den Himmel wär.«

Da verwandelte sich der Rauschglanz, der die Augen des Bauern füllte, zu klarem Blick. »Vergelt’s Gott!«

Und Malimmes, dessen große Narbe zu glühen anfing, sagte lachend: »Herr! Man fragt doch nit, ob der Tag hell ist.«

Trotz allem Lärm bei der Sperrschanze vernahmen diese drei, daß mehrere Stimmen nach dem Malimmes schrien. Der Söldner ließ den Ingolstädter Gaul die paar Sprünge bis hinüber zum Hauptmann machen. »Du bist doch der«, fragte Herr Seipelstorfer, »der von Plaien in fünfthalb Stund zum Herzog geritten ist?«

»Wohl!« Die Augen des Malimmes lauerten.

»Das mußt du heut wieder machen.«

»Wenn’s dem Runotter paßt. Der ist mein Herr.«

Der Hauptmann winkte den Bauern herbei. Runotter nickte. »Mir ist’s recht.« Und nun führte Herr Seipelstorfer den Gaul des Malimmes aus der Hörweite der anderen und sah dem Söldner scharf ins Gesicht. »Kann ich mich verlassen auf dich?«

»Wie der Höllische auf eine arme Seel, die den Himmel verscherzt hat.«

»Gut! Augen hast du — das weiß ich —«

»Ums Eck kann ich nit schauen. Aber die Salzburger müßten ein Muckenhirn haben, wenn sie nit hinter dem Untersberg an der Saalach drunt das Loch mit Balken vernagelt hätten.«

»So mußt du über die Balken hinüber.«

Malimmes lachte. »Ein Hauptmann redet sich leicht.«

»Bleib ernst!«

»Das geht nit. Man muß doch lachen, wenn man sieht, wie die Menschenleut sich plagen, daß sie um die Gurgel kommen. Also?«

»Tu die Augen auf! Und daß du Bescheid weißt: Die Spießknecht hab ich in die Burg geworfen. Mit den Reitern bleib ich über die Nacht. Ich muß den Grans decken, bis er die Büchsen in Plaien hat. Wenn’s Tag wird, leg ich Feuer an den Sperrwall. Sag dem Herzog, daß ich mich an der Saalach durchschlag, über Piding hinaus. Ich hoff, daß ich mich halten kann, bis die Sonn und der Herzog kommen. Die Sonn ist sicher. Kommt der Herzog nit, so beiß ich mich mit den Wenigen, die mir bleiben werden, gegen den See von Waging durch. Jetzt reit! Du mußt in Burghausen sein bis zur elften Glock. Auf der Höh von Raitenhaslach mußt du Feuer in jeden Baurenhof schmeißen. Wie mehr als brennen, wie besser! Das wird den Herzog wecken. Um Mitternacht muß er vierhundert Harnischer sausen lassen. Sonst liegen morgen hundert von unseren Köpfen im Dreck. — Was meinst du?«

»Ich bin landskundig und mein’, daß ich durchkomm. Aber machen muß ich’s dürfen, wie ich mag. Meine Herrenleut nimm ich mit.«

»Gut.«

»Und zehn Reiter muß ich haben. Oder lieber sechs.«

»Such dir die besten aus!«

»Nit Herr!« Malimmes beugte sich im Sattel. Sein Gesicht wurde hart. »Sechs Köpf sind weniger als hundert. Gebt mir nichtsnutzige Leut! Aussuchen müßt Ihr sie selber. Ich bin nit Richter. Jetzt reit ich derweil voraus. Daß ich Ausguck find, muß ich hinter Plaien hoch am Untersberg hinaus. Wo der Plaiener Weg an die Saalach hinunterbiegt, sollen die sechs Speckbrocken warten, bis ich komm. Ich mein’, da weiß ich schon, wo die hungrigen Ratzen ihre Löcher haben.«

Herr Seipelstorfer sah verdutzt an dem Söldner hinauf. Dann schmunzelte er. »Kerl! Komme ich morgen oder übermorgen mit dem Herzog ins Reden, so bist du Sergeant.«

»Nit um die Welt!« Malimmes griff an den Hals. »Für Sergeanten ist der Galgen eine sichere Sach. Mir ist er noch allweil zweifelhaft.« Er wandte den Gaul. »Gotts Gruß, Herr Hauptmann! Beim Herzog wieder!« In Sorge warf er einen Blick zu dem Buben hinüber, ritt neben den Runotter hin und flüsterte: »Komm, wir reiten!«

Der Bauer schüttelte den Kopf. »Ich bleib, wo man ficht. Für Kundschaft taug ich nit.«

»So? Gut! Und kann auch sein, es ist besser so! Für den heutigen Ritt könnt dein Schimmel nit ausreichen. Und im Schädel hast einen Sums, an den du nit gewöhnt bist.« Seine Stimme wurde wie Stahl. »Den Buben nimm ich mit.«

Ruotter wollte widersprechen.

»Wehr’s nit, Bauer! Der Bub soll Sicherheit haben. Die ist bei mir! Schutzengel müssen nüchtern sein. Ich hab ausgeschlafen. Sei gescheit! Und laß den Buben nit merken, was los ist.«

Das Gesicht des Bauern versteinte. Schweigend reichte er dem Söldner die Hand. Dann zwang er sich zu einem heiteren Lächeln und nickte dem Buben zu.

Malimmes faßte den Zügel des Falben. »Komm, Jul, wir reiten ein lützel auf Kundschaft. Da lernst du was Neues. Und, eine schöne Gegend siehst.« Er zog den Falben gegen die Straße.

Jul, mit den Augen eines halb Erwachenden, schien kaum zu merken, daß sein Gaul sich unter dem Sattel bewegte.

Es war um die vierte Nachmittagsstunde, als die beiden hinuntertrabten gegen die Plaienburg, der Bub unter stetem Schweigen, Malimmes unter lustigem Schwatzen. Allerlei sinnlose, Dummheiten plauschte er zusammen, während er mit gerunzelter Stirn diese Rechnung machte: eine Stunde für den Ausguck, eine Schleichstunde für den Umweg um den Salzburger Hinterhalt, der sich wohl bei Marzoll schon eingegraben hatte, und fünf Stunden für den Ritt bis zu den Raitenhaslacher Bauernhöfen, die brennen sollten, damit Herr Heinrich neugierig würde. Diese Rechnung mußte stimmen, oder — — Malimmes schnitt den halben Gedanken mit dem Glauben ab: »Ich zwing’s.«