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Die schönsten Märchen

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Vom Hasen und dem Elefantenkönige

Es kamen einmal alle Geschlechter der Vögel zusammen, gemeinsam einen neuen König zu küren, denn ihr bisheriger König war gestorben, und sie waren bereits unter sich einig, den Aar zum Könige zu wählen. Schon sollte die Wahl erfolgen und bestätigt werden, so sah die Versammlung von weitem den Raben geflogen kommen, der sich verspätet hatte, und da sprachen einige der Versammelten: »Es ist gut, daß der Rabe auch kommt, auf daß wir seinen Rat ebenfalls vernehmen«, und als der Rabe sich niederließ, sprachen sie zu ihm: »Es ist recht, daß du kommst, dein Stimmrecht auszuüben, wie jeder von uns befugt und berufen ist; gern hören wir deine Meinung, doch sind die meisten Stimmen für den Adler als unserm künftigen König.« Darauf antwortete der Rabe: »Wenn über die Wahl bereits entschieden ist, so bleibe ich in der Minderheit und bin von vornherein überstimmt, aber dennoch gebe ich mein Nein zu diesem eurem Beschluß. Und selbst wenn es keine edlen Geschlechter unter uns Vögeln mehr gäbe, keine Königsgeier, Edelfalken, Reiher und heilige Ibisse, Schwäne und Paradiesvögel, sondern nur Tauben, Spatzen, Nachteulen und Rohrdommeln und dergleichen, so würde ich dennoch nicht für den Adler als unser gemeinschaftliches Oberhaupt stimmen, denn er wird von bösen Sitten beherrscht, seine Farbe ist ein unentschiedenes geflecktes und getigertes Braun, seine Zunge trägt er verkehrt im Schnabel, schöne Reden zu halten, wie wir weise Raben, vermag er gar nicht, und doch kommt so unendlich viel darauf an, daß ein Herrscher gut zu sprechen und Reden zu halten wisse. Der Adler ist ein halber Tor — in seinem ganzen Wesen und Gebaren ist kein Adel, nicht das, was wir noble Haltung nennen. Vernunft besitzt er gar keine, desto mehr aber Grimm und Grausamkeit, jähen Zorn und gnadenlose, unbarmherzige Tyrannei. Sein ganzes Geschlecht ist von jeher übel berühmt; hat stets auf Schlimmes gesonnen und ist arglistigen, tückischen Herzens auf anderer Schaden bedacht gewesen, ist so voll Bosheit, daß ich es gar nicht auszusprechen vermag. Darum sage ich euch, wählt keinen Adler zu unserm Könige, suchet euch einen andern, wenn er auch vielleicht minder klug und scharfsichtig ist; edle Einfalt der Gemütsart ist besser als behende allüberlistende Klugheit. Denn wäre einer König und immerhin etwas beschränkten Verstandes, wenn er weise Minister hat und fromme Räte und Beisassen, so wird sein Reich wohl bestehen, wie wir ein Beispiel haben an dem Könige der Hasen. Dieser war nicht besonders klug und weise, aber er folgte weisen Ratschlägen, und das kam ihm zugute.«

Auf diese Rede fragten alle Vögel, welche so aufmerksam zuhörten, wie du jetzt mir, mein allergnädigster König und Herr, fuhr der weise Ratgeber zu erzählen fort, was denn der Hasenkönig getan und vorgehabt, worauf der Rabe antwortete:

»Es war einmal ein überteures Jahr und dabei so trocken, daß die Früchte des Landes verdorrten und alle Quellbrunnen versiegten; das fiel allen Tieren zu ertragen sehr schwer, am schwersten aber denen, welche vieler Pflanzennahrung bedürfen, folglich den größeren und größten, nämlich den Elefanten. Diese traten zusammen und klagten ihrem Könige ihre große Not und sprachen: ›Uns gebricht es täglich mehr an Wasser und Weide. Wäre es dir genehm, so wollten wir Boten aussenden, eine andere Wohnstätte zu suchen, daß wir unser Leben erhalten.›‹ ›Ich habe nichts dagegen, tut nach eurem Rat und Gefallen‹, antwortete der Elefantenkönig. Darauf ernannten die Elefanten einen Ausschuß und schickten dessen Mitglieder aus, umherzulugen und zu suchen, wo sich ein besserer, wasserreicher Wohn- und Weideplatz böte. Davon gelangten einige in das Königreich der Hasen; das war ein lustiger Ort, mit einem Brunnen, welcher dem Monde heilig war, wie denn auch die Hasen dem Monde heilig waren vor alten Zeiten. Dort rings um den Brunnen waren die unterirdischen Höhlen der Hasen. Den ausgesandten Spähern gefielen Ort und Gelegenheit gar zu wohl, sie kehrten heim und erstatteten Bericht über den neuen Wohnsitz. Von den Hasen hatten sie nichts wahrgenommen, denn der Kleine fürchtet den Großen, und die Weisen behaupten, es sei von Seiten Kleiner nicht gut Kirschen essen mit den Mächtigen. Auf die gute Botschaft hin brach das Elefantenvolk samt seinem Könige auf und zertrampelten den armen Hasen Wohnungen, Höhlen und Ansitze in Grund und Boden samt einem Teile des zaghaften Völkleins. Da war des Jammers kein Ende, und die Hasen liefen haufenweise zu ihrem Könige und klagten ihm ihr Herzeleid und wollten Rat und Hilfe von ihm. Aber da war guter Rat teuer und Hilfe fern, denn was vermag das schwache Häslein gegen den mächtigen Elefanten? Der Hasenkönig aber berief dennoch seine Räte und sprach zu ihnen: ›Ich fühle wohl, daß ich nicht weise genug bin, meinem zertretenen Reiche zu helfen, darum ratet ihr, was uns zu tun ziemt, redlich und getreulich, mir und euch und der gesammelten Hasenheit zu Nutz und Frommen.‹ Da sprach ein alter Hase, welcher weise und gelehrt war und in großer Achtung stand: ›Wenn es dir gefällt, so sende mich, mein König, und noch einen deiner Getreuen, der meine Werbung vernehme und dir darüber berichte, zum Könige der Elefanten.‹

Der König erwiderte auf diese Rede: ›Mich will bedünken, du seiest getreu und weise genug, und ich vertraue dir sonder allen Argwohn ganz allein. Vollziehe die Sendung und melde, was du ausgerichtet. Sage auch dem Könige der Elefanten meinen Gruß und außerdem in meinem Namen alles, was dir gut dünkt, denn ein Botschafter muß wissen, wie er sich verhalte, und alles beobachten und in Anwendung bringen, was ihm nützlich erscheint.‹ Hierauf machte sich der alte Hase in einer hellen Vollmondnacht auf und ging nach dem Mondbrunnen, doch überlegte er mit Vorsicht, daß er von zarter Leibes- und Gliederbeschaffenheit sei, und dachte der alten Sprichwörter: Wer sich mutwillig in Gefahr begibt, der kommt darin um, und wer unter die wilden Tiere geht, den zehren sie auf. Ich will diesen Berg besteigen und mit dem Elefantenkönige Zwiesprache pflegen.

Der alte Hase tat, wie er gesagt, und kam vor den Elefantenkönig und sagte zu ihm: ›An dich, großmächtigster Herr und König, sendet mich der Mond, mein nachtbeherrschender Gebieter. Höre seine Botschaft durch mich an in deiner Weisheit und laß mich nicht etwas Mißfälliges entgelten, denn ein Abgesandter ist nur ein Werkzeug.‹

Der Elefantenkönig sprach: ›Sage mir an, was ist es, das der Mond wünscht und gebeut?‹ Und der alte Hase erwiderte: ›Also entbietet dir durch meinen Mund der Mond: Der Mächtige, der seiner Macht vertraut, läßt sich leicht durch diese bewegen, zu streiten gegen den, der noch mächtiger und stärker ist, und sein Kampfgelüst wird ihm leicht zu einem Strick um seine Füße. Du, o König, lassest dir damit nicht genügen, daß du der Mächtigste und Größte bist unter allen Tieren, nein, du hast deinen Zug unternommen gegen mein armes Volk, das Volk der Hasen; hast mit den Deinen ihre und ihrer unschuldigen Kindlein Weide zertreten und meinen und ihren Brunnen. Tue dies nicht mehr, hebe dich mit den Deinen anderswohin von dannen, oder ich will eure Augen trübe machen, spricht der Mond, und euch von dannen bringen mit meinem grimmigen Zorn. Und so du, o König, meinen Worten nicht glaubst, so soll ich dir des Mondes zornvolles Antlitz zeigen. ‹

Da erschrak der Elefantenkönig und ging mit dem Hasen zu dem Mondbrunnen, und der letztere ließ ihn in das Wasser sehen und sagte: ›Schmecke mit deiner langen Nase hinab, so schmeckst du den Mond.‹ Da stieß der Elefant seinen Rüssel in den Mondbrunnen, und da bewegte sich alsbald das Wasser, und das widergespiegelte klare Antlitz des Mondes verzerrte sich. ›Siehest du — o mächtiger König!‹ rief der Hase, ›wie grimmig der Mond dich anschaut und seinen ganzen Zorn dir verkündet durch seine Mienen über das Arge, das du ihm und seinem Volke getan!‹

Darauf sprach der Elefantenkönig: ›O Herr, der Mond! Nimmermehr will ich oder soll einer der Meinen wider dich und die Deinen sein! Gern wollen wir weichen von deinem Heiligtume.‹ Und tat also und zog ab mit den Seinen weit hinweg von dem Mondbrunnen, und die Hasen nahmen wieder Besitz und bauten ihre Wohnungen aufs neue und wohnen noch heute in Frieden an ihrem Orte.

»Dieses«, sprach der zu dem Volke der Vögel redende Rabe, »habe ich euch als ein Beispiel gesagt, daß ihr einen verständigen König euch wählt, der, wie jener König der Hasen, auf verständigen Rat achtet und nicht stets selbstherrisch immer oben hinaus will, wie der Adler, und auf der Irrigkeit eines starken Kopfes beharrt, oder der auch, weil Weisheit ihm mangelt, wie dem Elefantenkönige, leicht zu überlisten ist. Es ist auch ganz gegen des gesamten Vogelreiches Satzung, daß alle ein gemeinsames Oberhaupt haben. Mögen die Adler einen Adler zum Könige wählen, dagegen läßt sich nichts sagen, die Geier ihren Geierkönig und die Zaunhüpferlinge ihren Zaunkönig, jedes Volk seinen eigenen, dafür sind die Geschlechter unterschieden. Was soll, um nur ein Beispiel euch zu sagen, dem Taubengeschlechte ein Adler zum Könige? Er wird seine Krallen in ihrem Blute baden und sie fressen. Wahrlich, welches Geschlecht sich einen andern Gebieter erwählt und dem falschen Fremdling vertraut, dem geschieht billig, wie dem Hasen und dem Vogel, die in einer Streitsache einen unbekannten Mann über sich zum Richter erkoren.«

»Wie war das?« fragten die Vögel.

»Ich will es, mit eurer Erlaubnis, euch vortragen«, erwiderte der Rabe, der Sprecher in der befiederten Nationalversammlung.

Von einem Hasen und einem Vogel

»Ich hatte einst«, sprach der Rabe — so erzählte der weise Ratgeber des Rabenköniges — zu den aufhorchend um ihn versammelten Vögeln, »einen guten Freund, auch einen Vogel; sein Name gehört nicht zur Sache. Derselbe hatte die Gewohnheit, wenn er sein Nest verließ, das in der Nachbarschaft des meinen in einer Felskluft sich befand, oft sehr lange wegzubleiben, so daß ich manchesmal glaubte, er sei in der Fremde verunglückt oder gestorben oder gefangen oder habe sich anderswo häuslich niedergelassen. Da geschah es, daß ein Hase jene Felskluft fand und in ihr das weiche warme Vogelnest und sich hineinbettete. Ich hielt nicht für weise, mich in fremde Angelegenheiten zu mischen, und gedachte bei mir, weshalb solltest du dem Hasen die Wohnung wehren, da doch vielleicht der Vogel nicht wiederkehrt? Auf einmal vernahm ich ein Gezänk unter mir, denn der Baum, welcher mein Nest trug, stand dicht neben dem Felsen. Mein Nachbar, der Vogel, war wieder da, saß außen vor dem Felsloche und kreischte: ›Das ist mein Nest! Packe dich gleich heraus!‹ Drinnen aber saß der Hase und rief: ›Ich bin im Besitze dieser Wohnung und schon eine geraume Zeit. Da könnte jeder kommen, dem sie anstünde, und könnte sagen: Ziehe aus!‹

 

›Du bist ein ehrvergessener, schlechter Hase!‹ schrie der Vogel. ›Ein Räuber bist du! Das Nest ist mein, und du wirst es räumen!‹

›Nein — ich werde es nicht räumen!‹ erwiderte der Hase. ›Schimpfe und schwätze du, soviel du willst! Glaubst du, eine gerechte Sache zu haben, so verklage mich! Vor dem Richter will ich dir Rede stehen, hier aber nicht.‹

Hierauf verwahrte der Hase seine Türe und zog sich in das Innere der Felskluft zurück.

Eine Zeit darauf kam der Vogel wieder und sagte zum Hasen: ›Ich weiß einen frommen, redlichen Alten, der soll Recht sprechen zwischen dir und mir! Folge mir zu ihm.‹ — ›Wer ist es? Wie heißt er?‹ fragte der Hase. ›Ich habe ihn noch nicht gesprochen ‹, antwortete der Vogel. ›Er lebt noch nicht lange in dieser Gegend, er ist ein frommer Einsiedler, welcher den ganzen Tag fastet und betet und voll ehrbaren Wesens sich zeigt. Er soll früher ein Maushund gewesen sein, hat sich aber längst der Katzennatur abgetan und aller Üppigkeit der Welt, allen schnöden Mäusefraßes. Er vergießt kein Blut, nährt sich von Wurzeln, Gras und Kräutern, sein Getränk ist nur klares Wasser. Er wird ganz gewiß unparteiisch über uns Urteil sprechen.‹

›Eine Katze? Ein alter Maushund?‹ fragte mißtrauisch der Hase. ›Dem traue ich nicht sonderlich. Das Sprichwort sagt: Die Katze läßt das Mausen nicht.‹

Aber der Vogel hörte nicht auf, in den Hasen zu dringen, bis dieser mit ihm ging. Ich folgte von ferne nach, zu sehen, wie das ablaufen werde. Die Katze, eigentlich ein großer wilder Kater, saß, wie ich von weitem sah, vor ihrer Wohnung und sonnte sich, dehnte sich behaglich aus, beleckte sich die Pfoten und strich den Bart, plötzlich, wie sie den Vogel und den Hasen kommen sah, huschte sie in ihr Gemach, und als die beiden Gefährten zu ihr eintraten, fanden sie dieselbe in ein härenes Büßergewand gehüllt, in betender Stellung auf den Knien liegen. Da gewann der Hase Zutrauen und freute sich, einen so heiligen Mann kennenzulernen, und nun entschuldigten beide um die Wette die Störung in der Andacht und baten, ihrem Anliegen ein geneigtes Ohr zu leihen.

›Liebe Freunde‹, sprach der Maushund mit leiser und heiserer Stimme, indem er die Augen frömmelnd verdrehte, ›ich bin alt, meine Augen sind trübe und dunkel, um mein Gehör stehet es sehr übel, gehet nahe herzu und redet recht laut, daß ich ja alles richtig vernehme.‹

Nun erzählten Vogel und Hase, wie sie miteinander ob des von einem verlassenen, vom andern in Besitz genommenen Nestes in Streit und Hader gekommen und sich dahin vereinigt, sich seinem unparteiischen Urteilsspruche zu unterwerfen. Als sie beiderseits schwiegen, sprach der wilde Maushund wieder ganz heiser: ›Hab euch wohl verstanden, liebe Kinder, wohl verstanden. Ich will euch gut beraten und euch weisen die Wege der Gerechtigkeit. Oh, daß mich der Himmel erleuchte, ein rechtes und richtiges Urteil in dieser eurer so überaus wichtigen Sache zu fällen und in diesem schwierigen Falle die Wahrheit zu finden! Denn besser ist es, eine Sache geht verloren durch die Beleuchtung mit der Fackel der Wahrheit, als daß sie durch Lug und Trug und Unwahrheit fälschlich gewonnen werde. Ach — ach! Was haben wir denn hienieden? Keine bleibende Stätte! Nur das eine nehmen wir mit hinüber in die zukünftige Welt, die Werke, die wir vollbracht haben zu unserer Seelen Heil oder zur Verdammnis. Gönnte doch ein jeglicher seinem Nächsten hienieden Gutes! Tretet getrost näher, liebe Kinder, und ruhet euch aus, derweil ich im Gebet um Erleuchtung in eurer Sache flehe.‹

Hase und Vogel vertrauten diesen heuchlerischen Worten des falschen, heimtückischen, wilden Katers, ich aber, der ich nahe geflogen war und jedes Wort vernommen hatte, hörte nur noch, wie die Katze ihre Türe zuwarf und wie der Vogel drinnen jämmerlich schrie. Das ungetreue Tier hatte Vogel und Hasen erwürgt, verspeiste beide und bezog dann jene verlassene Wohnung, welche besser gelegen und eingerichtet war als die armselige des Maushundes, worauf ich alsbald von dort auswanderte.

Sehet hier ein Beispiel, wie blindes Vertrauen, das man auf unbekannte Leute setzt, die sich, gleich den Adlern, uns durch ihre Arglist und Bosheit nähern, sich bestraft. Der Adler ist unter den Vögeln gerade das, was der Wolf unter den vierfüßigen Tieren. Und ich bleibe dabei und wiederhole es euch dringend und warnend, ja warnend: wählt nimmer den Adler zum König!«

»Mit erhobener Stimme«, fuhr der alte Geheimrat Rabe dem Könige, seinem Herrn, zu erzählen fort: »endete der gewandte Volksredner seinen Vortrag, und was war die Folge? Kein Vogel wollte nun den Adler zum Könige haben, es wurde nichts aus der ganzen Königswahl, die Rednergabe des Raben feierte einen glänzenden Sieg, wenig fehlte, so hätte man ihn zum Könige ausgerufen.«

»Und was sagte der Adler dazu?« fragte der König.

»Das soll mein gnädigster König und Herr sogleich erfahren«, erwiderte der Geheimrat. »Der Adler sprach zum Raben: ›Sprich Rabe, was habe ich dir jemals zuleide getan? Aus welchem Grunde wälzest du so viele Schmach auf mich? Nie habe ich etwas wider dich verschuldet, und du mit deinen giftigen und verleumderischen Worten raubst mir heute eine herrliche Krone, die ich schon nahe über meinem Haupte schweben fühlte! Aber bei aller Wahrheit schwöre ich dir heilig und teuer, du Lästerredner: ein Baum, in den ein Mensch mit der Axt haut, wächst wieder zusammen, und eine Schwertwunde durch Fleisch und Bein mag wieder heilen. Aber die Wunden, welche die Zunge schlägt, die heilen nicht, und ihre Schande gewinnt kein Ende. Deine Worte sind mir ein glühendes Schwert, das mir immerdar im Fleische wütet. Feuer mag durch Wasser gelöscht werden und der Brand des Haders durch Schweigen; der Schlangen Giftbiß heilt durch Theriak und die Wunde der Traurigkeit durch Hoffnung. Aber das Feuer der Feindschaft, in das die Zunge Öl gießt, das brennt sonder Ende. Heute hast du einen Dornbusch gepflanzt zwischen dein Geschlecht und mein Geschlecht, der soll dauern und grünen von Welt zu Welt, bei unserm und unserer Kinder und spätesten Enkel Leben, und soll euch die bitterste Frucht des Hasses tragen! Das sei dir zugeschworen bei Jovis Blitzen!‹

Als die Vögel die Zornworte des Adlers vernahmen, erschraken sie, hoben ihre Schwingen und flogen davon nach allen vier Winden, und der Adler flog auch davon, und keiner sagte weiter ein Wort, und nur der Rabe saß einsam und verlassen auf dem Steine, der ihm als Rednerkanzel gedient hatte, und wurde sehr nachdenklich und sprach zu sich selber: Nun habe ich auch geredet. Weiser wäre gewesen, wenn ich geschwiegen hätte. Die alten Weisen sagten: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Jetzt habe ich durch meine Warnung mir und meinem Geschlechte der Aaren ewigen Haß heraufbeschworen. Der Adler hat mich mit Machtworten niedergeschmettert, und keiner der andern Vögel hat auch nur den Schnabel aufgetan, das Wort für mich zu nehmen, trotz ihres vorherigen tollen Zujauchzens. Sie waren klug, sie haben das Gold des Schweigens gefunden; sie haben nicht Neigung gehabt, ihre Zungen zu verbrennen, wie ich getan, ich alter Narr und alberner Schwätzer. Jene gedachten der Zukunft, ich hatte nur die Gegenwart im Auge. Stütze sich doch kein weiser Mann auf seine Weisheit und kein Starker auf seine Stärke und belade sich nicht, um andern zu nützen, mit Feindschaft, sonst ist er der Tor, der Gift genießt, um hernach dessen Wirkungen mit Theriak zu hintertreiben; solches Tun kann leicht fehlschlagen. Für den unweisesten und allerdümmsten aller Vögel muß ich mich von heute an und immerdar selbst halten. Konnte ich nicht dessen eingedenk sein, was die alten Weisen sagten: das ist der schädlichste Verlust, den sich einer durch Worte zuzieht — bevor ich mit meinem dummen Schnabel die ewige Feindschaft der Adler gegen mein Geschlecht entzündete!

So klagte der Rabe und nahm sich seine unweise Rede dermaßen zu Herzen, daß er bald darauf erkrankte und starb.

»Siehe, mein König«, endete der Geheimrat seine Mitteilung, »das ist die Ursache des Adlerhasses gegen uns.«

»O wehe!« seufzte der König. »Wollte der Himmel, daß jener unweise Rabe nie aus dem Ei gekrochen wäre, statt uns in diese Not zu bringen. Jetzt werden uns noch die Zähne von den sauren Träublein stumpf, die unsere Väter gegessen haben. Aber nun rede weiter, was soll es werden, was sollen wir tun?«

Von einem Einsiedel und drei Gaunern

»Ein kluger Mann vollbringt durch Einsicht und überlegten Entschluß, was manchem stärkeren mißlingt!« sagte der weise Rabe, des Rabenkönigs Ratgeber, zu diesem letzteren. »Ich muß dabei jener Gauner gedenken, die mit ihrer List und Schlauheit einen Einsiedel also täuschten, daß er das nicht mehr glaubte, was doch seine Augen sahen.«

»Wie geschahe das?« fragte der König, und der Rabe antwortete:

»Es war einmal ein Einsiedel, der ging und kaufte sich eine Geiß, sie bei seiner Hütte zu halten und ihre Milch zu genießen. Das sahen von weitem drei Diebe und besprachen sich untereinander, wie sie ohne Gewalt den Waldbruder um die Geiß betrügen möchten. Sie verteilten sich alsbald so, daß einer nach dem andern dem Einsiedel begegnete, in kurzen Fristen hintereinander. Der erste, welcher zu ihm kam, bot ihm die Zeit und sagte spöttisch: ›Waldbruder! Ihr sorget Euch gewiß, daß die Diebe Euch Eure Schätze stehlen wollen, weil Ihr Euch einen Hund gekauft habt. Was wollt Ihr mit dem Hunde tun?‹ — ›Es ist kein Hund, es ist eine Ziege!‹ sagte der Einsiedel gelassen, aber jener behauptete steif und fest, es sei ein Hund, bis der zweite Gauner hinzukam, auch grüßte und ebenfalls fragte, was der fromme Waldbruder mit dem Hunde tun wolle. ›Ein heiliger Mann‹, sagte er, ›muß sich nicht mit einem so unreinen Tiere befassen. Eines Hundes Gebell stört Gebet und Andacht, und nirgendwo steht geschrieben, daß die heiligen Apostel Hunde geführt oder sich gar mit solchem Getier getragen hätten!‹

Jetzt kam der dritte Schalk hinzu, als jene drei noch über den vorgeblichen Hund stritten, und sprach: ›Aha! Ihr habt hier einen Hundehandel! Was soll der Köter gelten? Ich suche just ein solches Vieh zu kaufen.‹

Jetzt glaubte der Einsiedel allen Ernstes, seine Geiß sei ein Hund und der sie ihm verkauft, habe ihn betrogen, und da warf er im Zorn die Geiß hin und eilte von dannen. Die drei Gauner aber nahmen die Geiß, trugen sie heim, schlachteten und brieten sie und ließen sich den Braten gut schmecken, indem sie des Einsiedels Einfalt noch lange belachten.

»Dieses sagte ich dir, mein König«, fuhr der weise Rabe fort, »auf daß du erwägest, daß, wie klug und mächtig auch die Adler sind, wir mit List und Schlauheit uns ihrer dennoch entledigen können. Und nun, o König, sage ich dir erst mein eigentliches Geheimnis, denn die Ursache der Feindschaft zwischen den Adlern und den Raben ist vielen kundig und von unserer Väter Überlieferung her noch manchem Alten im Gedächtnis. Mein Rat, den ich dir jetzt gebe, muß zwischen dir und mir das tiefste Geheimnis bleiben.

Erstens überschütte mich vor den andern mit der scheinbaren Zornschale deiner Ungnade; tue, als habe ich dir falschen und böslichen Rat gegeben, hacke auf mich vor dem ganzen Hofhalte, verwunde mich und laß mich auf der Erde liegen, dann erhebe dich mit deinem gesamten Volke, flieget von dannen so weit, daß man keinen Raben mehr ringsum erblicke, und haltet euch an einem andern Orte so lange still, bis ich wieder zu dir zurückkehre und dir gute Botschaft ansage.«

Diesen Rat befolgte der König der Raben. Und als die Kundschafter der Adler wahrgenommen, daß das Volk der Raben samt seinem Könige sich von dannen gehoben, so kamen sie in Scharen samt ihrem Könige nach dem Rabenwalde und zerstörten der Raben Nester, und einer unter ihnen sah den verwundeten Raben unter dem Baume liegen und flog zu ihm nieder.