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Die schönsten Märchen

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Der wandernde Stab

In ein Wirtshaus auf einsamer Heide im Norden trat eines Tages ein Mann von ernstem Aussehen. Sein Gesicht war fahl und grau wie Asche, und sein Gewand war braun wie frische Graberde. In der Hand trug er einen Stab von festem dunklen Holze. Diesen Stab stellte er in eine Ecke der Wirtsstube. Im Wirtshause wohnte nur eine alte Frau mit einem Knaben von etwa vierzehn Jahren, nebst einem Knechte und einer Magd. Diese beiden Leute waren draußen beschäftigt; in der Wirtsstube war niemand als die Wirtin und ihr junger Sohn.

Der düstere Wanderer heischte einen kleinen Imbiß, und die Wirtin ging, diesen herbeizuholen. Der Wanderer blieb allein mit dem Knaben, aber er beachtete den letzteren nicht, sondern trat an ein Fenster, das gen Morgen gerichtet war, und seufzte und stand lange daran und starrte hinaus, über die öde Fläche des Heidelandes.

Der Knabe betrachtete unterdes mit Neugier den Stab des Fremden. Am Handgriffe dieses Stabes war mit Silberstiften die Figur eines Kreuzes also eingeschlagen:

Diese Stifte glänzten gar hell, wie neu, und dieser Stock reizte den Knaben; seine Neugier wandelte sich in Habgier um. Scheu blickte er nach dem Fremden, der unbeweglich an dem Fenster stand — scheu streckte Jacob, so hieß der Wirtin junger Sohn, die Hand nach dem Stabe aus. Gleich daneben stand eine alte, hohe Wanduhr mit braunem, geschnitztem Gehäuse. Leise drehte Jacob am Türgriffe des Uhrgehäuses, leise öffnete er dessen Türe, leise faßte er den Stab, und es zitterte seine Hand, als er ihn berührte, aber er nahm ihn und stellte ihn in das Uhrgehäuse und schloß die Türe wieder. Der Stab war weg.

Jetzt trat die Wirtin, Jacobs Mutter, ein und brachte, was der Fremde begehrt hatte. Hinter ihr schlüpfte Jacob aus der Stube.

»So, hier wäre es!« sagte die Wirtin zu ihrem einzigen Gaste. »Gesegne es Euch Gott! Setzt Euch doch!« Der Fremde neigte sein Haupt zum Zeichen des Dankes, er nahm das Glas, netzte seine bleichen Lippen, aber er setzte sich nicht. Der alten Frau kam ein Grauen an vor dem Manne; draußen begann schon die Abenddämmerung.

Die Wirtin wünschte nicht, daß der Fremdling unter ihrem Dache weile, gleichwohl fragte sie: »Wollt Ihr hier übernachten? Schier ist‘s Abend! Seid Ihr nicht müde, da Ihr Euch nicht setzt?«

»Kann nicht bleiben, muß weiter, muß wandern — wer fragt, ob ich müde bin? Oh!« war die dumpfe Antwort.

Der Wirtin grausete noch mehr. Der Fremde legte ein Stück Geld auf den Tisch — die Wirtin griff nicht danach. Jetzt ging jener nach der Türe zu, griff in die Ecke und fragte: »Wo ist mein Wanderstab?«

»Hattet Ihr einen Stab?« fragte die Wirtin.

»Ich hatte einen Stab und stellte ihn in diese Ecke!« antwortete der hohe, dunkle Mann mit hohler Stimme.

»Mein Gott! Wo könnte er denn hin sein?« rief die erschrockene Frau. »Sucht ihn — vielleicht irret Ihr Euch? Stelltet den Stock anderswo hin?«

»Er ist hinweg. Er bringt der Hand dessen, der ihn nahm, kein Glück!« sprach darauf jener dumpf und gepreßt.

»Genommen?« rief die Wirtin heftig. »Wer sollte ihn genommen haben? Es war ja niemand hier als Ihr und ich — und —«, da stockte sie.

»Und Euer Sohn!« ergänzte der Fremde.

»Gott im Himmel!« schrie die Frau auf — und lief alsbald aus der Stube und rief, daß es durch das Haus gellte: »Jacob! Jacob!«

Jacob antwortete nicht — er hatte sich versteckt und wußte, weshalb ihn die Mutter rief, und fürchtete sich.

Atemlos kam diese zurück und sprach: »Ich höre und sehe nichts von dem Jungen — ich weiß nicht, tat er‘s oder tat er‘s nicht. Doch harret nur noch einen Augenblick!«

Die Wirtin ging in die Kammer und kam gleich darauf mit einem zwar alten, aber schönen Stabe zurück, den sie dem Fremden reichte. »Da — nehmt einstweilen den Gehstock meines seligen Mannes — Ihr sprecht doch wohl einmal wieder hier ein! Findet sich der Eure, so gebt Ihr mir diesen dagegen zurück.« »Ich dank Euch, Wirtin!« sprach der fremde Mann und ging. Es war schon sehr düster, Nebel schwebten über den Heidestrecken — in sie hinein schritt der bleiche Wanderer.

Der Wirtin ward leichter um das Herz, als dieser unheimliche Gast ihr Haus verlassen hatte. Sie nahm das von ihm zurückgelassene Geld — es war eine uralte kleine Silbermünze; die Frau kannte weder Schrift noch Gepräge; sie konnte nicht wissen, daß die Münze unter der Regierung des Römerkaisers Tiberius geprägt worden war, desselben Kaisers, welcher Jerusalem zerstörte.

Leise ging jetzt die Türe auf — schüchtern drehte Jacob sich in die Stube herein. »Unglückssohn!« kreischte ihm die Mutter entgegen. »Sprich, nahmst du des Fremden Stock?«

Jacob schwieg — halb aus Trotz und halb aus Angst vor seiner Mutter Zorn und ihrer strengen Strafe.

»Du schweigst — also nahmst du ihn, du gottvergessener Bube!« schalt die Wirtin. »Wo ist der Stock? Wohin schlepptest du ihn? Gleich nimm ihn und springe damit dem Fremden nach und laß dir von ihm deines seligen Vaters Sonntagsstock wiedergeben, mit dem er in die Kirche ging und den ich dem Fremden lieh, damit er nicht sage, daß er in meinem Hause bestohlen worden sei, durch mein Kind bestohlen!«

Jacob war ein verstockter Knabe — er blieb stumm, er regte kein Glied, er sagte kein Wort, seine Mutter mochte schelten, wie sie wollte, bis sie in Zorn geriet, ihn heftig schlug und ohne Abendbrot ihn zu Bette gehen ließ.

Am andern Tage, als die Wirtin in der Küche beschäftigt war, drehte Jacob am Riegelgriff des Uhrgehäuses und öffnete die Türe und langte hinein und zog den Stab heraus. Mit Wohlgefallen betrachtete er ihn und doch auch mit Scheu, denn die sieben Silberstifte funkelten gar so sonderbar, und der Stab war so eiskalt wie eine starre Schlange, und gleichwohl war es, als lebe der Stab. Unwillkürlich zog es Jacob, an diesem Stabe zu gehen, und er ging mit ihm — und ging — und ging — weit, weit von hinnen — über die Heiden hin — längst sah er nicht mehr sein Vaterhaus. Rastlos regte sich der Stab in Jacobs Hand — gegen seinen Willen — und Schauer des Todes durchrieselten den Knaben. Wohin, wohin führte, wohin zwang ihn der Stab? Gehen, gehen mußte er fort und fort, nicht ruhen noch rasten konnte er, an keiner Stelle, an keiner Quelle.

Endlich, als der Tag sich neigte, als die Nebel wieder über den öden menschenleeren Heiden schwebten, da stand im grauen Nebeldämmer schier gespenstisch vor Jacobs Blick ein düsteres Gehöft, auf das er zuschritt, und endlich ganz verwundert gewahrte, daß er zu Hause sei.

Übel und mißgelaunt empfing ihn seine Mutter; sie hatte geglaubt, er sei davongelaufen, hatte sich sehr geängstigt, hatte Knecht und Magd ausgesendet, ihn zu suchen, und fast alle Arbeit eines Tages war versäumt worden. Dergleichen sieht niemand gern in einem fleißigen Haushalte. Jacob aber war so müde, o so müde; er wankte auf sein Bette zu und fiel halbohnmächtig darauf nieder; der Stab entsank seiner Hand, ohne daß Jacob es wahrnahm, die Mutter hob den Stab nicht auf, ihr graute vor demselben.

Eine Woche verging; der Stab stand still im Gehäuse der alten Wanduhr. Jacob entsann sich nicht, ihn wiederum dort hinein verborgen zu haben, und hütete sich wohl, ihn wieder anzurühren, doch sah er ihn von Zeit zu Zeit an, und Schauer überrieselten ihn bei dem Anblick. Im Dunkel des braunen Uhrgehäuses leuchteten hell wie Diamanten die sieben ein Kreuz bildenden Punkte.

Ein Freitag war‘s, gleich jenem Tage, an welchem Jacob des fremden Wandermannes Stab heimlich genommen und versteckt hatte, und siehe da, mit einem Male war der Stab in Jacobs Hand, ohne daß letzterer sie nach ersterem ausgestreckt, und Jacob mußte wieder wandern, wandern wie das vorige Mal, rastlos, ruhelos, bis am Himmel die Sternlein zu leuchten begannen. Und dann kam Jacob schlagerdenmüde wieder nach Hause, matt und zitternd, bleich im Gesichte, und redete nicht. Und wenn er redete, so war es schaurig zu hören. Durch Dörfer sei er gekommen und habe allen Leuten, die ihm in denselben begegnet, gleich ansehen können, ob sie noch selben Jahres sterben würden oder nicht; den Häusern habe er es angesehen, daß nächstens Feuersbrünste sie verzehren, Fluren, daß der Hagel sie treffen werde.

Jeden Freitag mußte Jacob wandern — der Stab zwang ihn, mußte sehen alles kommende Weh und Leid aller Orten, wohin der Stab ihn führte, und dann kündete er es daheim der Mutter, der Magd und dem Knechte, und diese kündeten es den einkehrenden Gästen.

Jacob und seine Mutter verwünschten tausend und abertausendmal den wandernden Stab. Die Mutter sann auf Rat, wie der Sohn des Stabes sich entledigen solle, und Jacob befolgte den Rat. Auf einer der nächsten Wanderungen trat Jacob in ein Gasthaus, stellte den Stab in eine Ecke, verzehrte etwas, zahlte und ging hinweg — ohne den Stab mitzunehmen. Er war aber noch nicht dreißig Schritte gegangen, so kam ihm der Wirt nachgelaufen, schrie überlaut: »Ho! ho! Halt!« — und als er näher kam, rief er: »Ihr habt Euern Stecken vergessen!« und warf Jacob den Stab nach, der sich alsbald von selbst in dessen Hand verfügte.

Jacob stand am rauschenden Bach! Ha, jetzt hab ich‘s dachte Jacob erfreut — und da flog vom Steg der Stab in die rollende Flut. Es war, als winde sich in dieser der Stab wie eine braune Schlange.

»Der läuft mir nun nicht wieder nach!« rief Jacob, und erleichterten Herzens kehrte er heim.

Nicht lange war Jacob das Herz leicht; nicht länger, bis er im Dunkel des Uhrgehäuses das Siebengestirn des Kreuzes unheimlich blinken und funkeln sah.

Jetzt gab — denn mehr und mehr wurde Jacobs Unglück besprochen — die Magd auch einen Rat. » Vernagelt den Rumpelkasten!« riet sie, »so ist der Gais gestreut. Ob die Uhr geht oder nicht, ist all eins.« —

Das war ein recht guter Rat, schade nur, daß er vergeblich war. Als der nächste Freitag kam, war der Stab in Jacobs Hand, dieser wußte gar nicht wie, aber er mußte wandern — wandern — wandern — vom Morgen bis zum Abend — und kam nach Hause, müder und elender denn je zuvor.

 

»Wenn mir solches Hexenunglück zustieße«, sprach Velten, der kluge Knecht, »ich wüßte lange, was ich täte. Ich hieb den Stecken in Stücke, Punktum!«

Auch dieser Rat wurde versucht, ob er sich vielleicht erprobe. Leider tat er das nicht — in Stücke zersprang allerdings etwas, aber nicht der Stab, sondern nur die Axt, mit welcher Jacob Hiebe auf ersteren führte, und wie gelähmt sank seine Hand, die den Stiel der Axt machtlos zu Boden fallen ließ.

Wandern, wandern! Jeden und jeden Freitag, den Gott werden ließ — körperschwach, seelenkrank, der Verzweiflung nahe. Wandern und voraussehen alles Übermaß des menschlichen Elends, das sonst wohltätig dem Auge der Sterblichen eine allweise Gottheit verbirgt. Kriegerscharen, welche die Ortschaften verheerten, Ströme, die sie überfluteten, Herden, mit deren Leichnamen die Pest die Fluren düngte, alles Grauenvolle, was die nächste Zukunft bringen solle, sah Jacob voraus.

Einst kam er in ein Dorf, darin ein Brand lohete. Haus um Haus ergriff die Flamme, von einem Dache sprang sie zum andern Dache. Wieder durchblitzte ein Gedanke Jacobs Seele. In die Flammenlohe den Stab! Und da flog der Stab — blieb hängen an einem brennenden Dachsparren und wurde rotglühend, dann weiß, und die Silberstifte des Kreuzes flammten bläulich. Jacob ging ohne Stab nach Hause.

Da schnarrte die Wanduhr, da ging ihre Türe von selbst auf, spottend der Nägel, mit denen sie zugeschlagen war — da stand der Stab — unversehrt. Ohnmächtig sank Jacob in die Arme seiner Mutter — er war vernichtet, und sie sank mit der teuren Last, die sie nicht aufrecht zu halten vermochte, auf ihre Knie nieder und betete heiß und innig und schrie jammernd zum Himmel auf.

Jacob wanderte, mußte wandern, weit aber konnte er nicht mehr wandern — seine Kraft war erschöpft, der matte Quell seines Lebens begann zu versiegen.

Zweiundfünfzig Male hatte Jacob wandern müssen, müssen, ob er stand oder lag, es riß der Stab ihn von dannen, ob er die ganze Woche über todesmatt kein Glied zu rühren vermochte — am Freitag erfolgte die Wanderschaft. Doch war der Stab barmherzig, er führte auf kurzem und immer kürzern Wegen ihn um das Vaterhaus; zuletzt war Jacob so sterbensmatt, daß er zu einem Gange von einer Stunde einen vollen Tag brauchte, denn rascher sich fortzuschleppen, war ihm unmöglich, er glich einem zitternden Greise von neunzig Jahren, und die Farbe seines Angesichts glich der Asche.

Jacob glaubte, daß er endlich sterben werde, und seine Mutter und alle, die ihn sahen, glaubten das nämliche, Jacob hoffte es.

Da kam am Tage vor dem dreiundfünfzigsten Freitag ein Traum über Jacob. Er sah ganz lebhaft, als ob es wirklich geschähe, die Türe der alten Wanduhr aufgehen, den Stab heraus an das Bette treten, darin Jacob lag.

Und da hub der Stab an zu sprechen.

»Jacob«, sprach er, »ich bin ein sehr alter Stab. Mit mir in seiner Hand ging der Erzvater, nach dessen Namen du genannt bist, über den Jordan. Ich ruhete in Moses‘ Hand, da Moses mit Gott sprach, und ward zur Schlange und wiederum zum Stabe.

Ich ruhete in Aarons Hand und ward wieder zur Schlange und verschlang die Schlangenstäbe der Zauberer Pharaonis. Und wieder ward ich aufgehoben von Moses‘ Hand, und das rote Meer teilte sich unter mir. Zweimal schlug Moses mit mir an den dürren Fels, und es sprang Wasser aus dem Felsen der Wüste und tränkte die Verdürstenden, beide, Menschen und Tiere. Wessen Stab ich nun bin, das kannst du, Knabe, nicht fassen. Du hast große Sünde getan, daß du dem armen Wanderer seinen Stab und seine Stütze heimlich entwendet hast, dafür hast du wandern müssen im finstern Tale und hast kosten müssen des Lebens Bitterkeit. Aber fortan wird der Herr deine Seele erquicken und dich führen auf rechter Straße, um seines Namens willen. Des Herrn Stecken und Stab wird dich trösten.«

Als der Stab also gesprochen hatte, war es, als umweheten Jacob Flügel der Engel mit Himmelsruhe. Er fühlte keine Ermüdung mehr, er schlummerte ein, er erwachte wie neugeboren.

Da brach der Freitagmorgen an — es war ein Karfreitag. Jacob glaubte jeden Augenblick, er werde die Wanderung wieder beginnen müssen, aber der Stab kam nicht in seine Hand.

Gegen Abend sprach Jacob sanft und fromm mit seiner Mutter, von erhabenen und göttlichen Dingen, die Kinder noch nicht verstehen. Da ging die Türe auf, und ein hoher dunkler Wanderer trat ein und grüßte: »Friede sei mit euch!«

Schauer durchbebten Mutter und Sohn, beide kannten den Wanderer.

Und da tat sich die Türe des Wanduhrschrankes auf, und der Stab schwebte heraus und in des Fremdlings Hand. Hell durch die abendliche Düsternis leuchtete das Kreuz am Stabe. Der Fremdling aber sprach noch einmal: »Friede sei mit euch!« und wandte sich und ging. In die Seelen von Mutter und Sohn zog heiliger Friede. Der Stab Wehe war wieder von ihnen genommen.

Die Wünschdinger

Es war einmal am Nordlandsmeere ein Seekönig, der gebot über vieles Land und viele Schiffe und hatte drei Söhne, die zu ihren Jünglingsjahren gekommen waren, die sollten nun hinaus in die See, tapfere Taten tun, Mut erproben und Gut erwerben. Da ließ der König drei neue, große, stattliche Schiffe bauen und wohl bemannen und ausrüsten, schenkte jedem seiner Söhne eines dieser Schiffe und fragte nun den ältesten Sohn: »Was gedenkst du zu beginnen mit dem Schiffe, das ich dir schenkte?«

»Damit, mein Herr Vater«, antwortete der älteste Seekönigssohn, »gedenke ich weit übers Meer nach Osten zu fahren und Schätze zu gewinnen von fernen Küsten und Inseln.«

»Wohl getan!« sprach der König. »Fahre hin und fahre wohl!«

Hierauf fragte er seinen zweiten Sohn: »Was gedenkest du mit dem Schiffe zu tun, das ich dir schenkte?«

»Damit, mein Herr Vater«, antwortete der mittelste Seekönigssohn, »gedenke ich weit übers Meer gen Westen zu fahren, neue Lande und Inseln zu entdecken und von ihren Schätzen ein gutes Teil heimzuführen.«

»Wohl getan!« sprach auch zu diesem Sohne der König. »Fahre auch du hin und fahre wohl!«

Nun wandte sich der König zu seinem dritten Sohne und fragte: »Was gedenkst du mit dem Schiffe zu tun, das ich dir geschenkt habe?«

»Ich gedenke, mein gnädiger König, Herr und Vater«, antwortete der jüngste Seekönigssohn, »damit auf Abenteuer auszuziehen und mich Eures hohen Namens und Eurer Liebe würdig zu zeigen, wohin mich auch mein Fahrzeug trage.« Diese Antwort überraschte den König, weil er sie nicht so erwartet hatte, doch ließ sich nichts dagegen sagen, er sprach daher: »Soll mich freuen! Fahre hin und fahre wohl!«

Nun wurde ein Abschiedsbankett gehalten, und darauf gingen die drei Königssöhne zur See. Eine Zeitlang fuhren sie mit ihren drei Schiffen gemeinschaftlich zusammen, als sie aber in die hohe See kamen, da trennten sie sich — nach Osten, Westen und Süden. Der nach Osten fuhr, kam in das Silberland, allwo es Rubel schneite, und füllte sein Schiff mit Silber, so viel es zu tragen vermochte. Der zweite, der nach Westen gesegelt war, hatte eine ungleich längere Fahrt, kam aber in das Goldland, das man Eldorado nannte, und es gelang ihm, sein ganzes Schiff mit Golde zu befrachten, so viel es immer tragen konnte. Beide Brüder fuhren, der eine mit seinem Silberschiffe, der andere mit seinem Goldschiffe, wieder heimwärts nach ihres Vaters Schlosse, allwo sie wohlbehalten wieder anlangten und freudig empfangen wurden.

Der dritte Bruder, der nach Süden zu gesteuert war, fand weder ein Silberland noch ein Goldland, überhaupt schier gar kein Land, und schon gingen auf seinem Schiffe die Nahrungsmittel aus. Endlich gewahrte er von fern einen kleinen dunklen Punkt, auf den er lossteuerte, und hoffte mit Zuversicht, dort mindestens ein Brotland zu finden, aber als er näher kam, sah er, daß es eine wüste Insel war, von Korallenriffen umgeben, voll steiler schroffer Klippen und unwirtbarer Felsen; es war das Hungerleiderland, mindestens, wenn es auch nicht so hieß, denn es schien von gar niemand bewohnt zu sein, stand auch auf keiner Land- oder Seekarte, nannte der Königssohn diese unwirtbare Insel so, nachdem er drei Tage auf derselben herumgeirrt war, für sich und seine Mannschaften Nahrung zu entdecken, und nichts gefunden hatte. Vor Hunger fiel er am dritten Tage um und lag in Ohnmacht. Aus dieser erwachend, sah er eine holde Jungfrau vor sich stehen, die ihn mit Anteil betrachtete und ihn fragte: »Wer bist denn du, und wo kommst denn du hierher?«

»Ach!« ächzte der Königssohn, »wäre ich doch lieber nicht hierher gekommen. Ich bin ein Prinz, der nichts zu essen hat, und komme um vor Hunger!«

»Ei, wenn dir sonst nichts fehlt, dafür kann ich schon tun! Folge mir, mein Prinz!« sprach das Mädchen, und dem Königssohne klangen dessen Worte wie Musik.

Seine junge Führerin brachte ihn zu einem Häuschen, in welches beide eintraten, da saß ein altes Spinnfrauchen und war fleißig am Rocken, und das Mägdlein sprach zu der Alten: »Liebes Mütterlein, hier ist ein junger Prinz, der Hunger hat; wollen ihn essen und trinken lassen!«

»Mitnichten, denke nicht daran!« entgegnete die Alte. »Wünschtüchlein ist wohl im Schreine verschlossen. Geb‘s nicht heraus, nicht heraus!«

Aber da fing die Tochter der Alten an zu weinen und sich kläglich zu gebärden und rief: »Ich hab‘s ihm doch versprochen! Ich muß ihm Wort halten! Bitte, bitte, bitte schön, gib das Wünschtüchlein heraus!« Darauf schloß die Alte einen Schrein auf und brachte ein leinen Tüchlein hervor, das war wundersam künstlich ausgenäht nach uralter Art und hatte gesteppte Fransen. Das breitete die Alte auf den Tisch und murmelte die Worte:

 
»Decke dich, mein Wünschtüchlein
Für einen Mann mit Speis und Wein.«
 

Kaum hatte sie das gesagt, so stand und lag auf dem Wünschtüchlein Brot und Salz, Beizbraten und anderer Braten, gekochter Blaukohl und anderer Kohl, eine Flasche Wein nebst Glas und Messer und Gabel. So gut, wie es ihm diesesmal schmeckte, hatte es dem Königssohne selbst in seines Vaters Schlosse noch nie geschmeckt. Als er satt war, trank er unter Worten des Dankes die Gesundheit seiner beiden Wohltäterinnen und ging nach seinem Schiffe zu, um ehebaldigst weiterzufahren.

Da kam ihm das junge Mädchen nach und rief: »Nimm mich mit — ich sterbe ohne dich!«

Er aber antwortete: »Liebes, gutes Kind — mitnehmen kann ich dich nicht, ich würde dich nur ins Verderben führen, geht es mir aber wieder gut, so komme ich und hole dich ab.«

»Nun, so halte dein Wort!« sprach das Mädchen, »und nimm zum Andenken das Wünschtüchlein und brauche es so, wie du es meine Mutter hast brauchen sehen! Verwahre es gut und vergiß nicht!«

Der Königssohn nahm hocherfreut das werte Wünschding in Empfang und ging auf sein Schiff, wo die Mannschaft klägliche Gesichter schnitt vor eitel Hunger und schon davon murmelte, das Los zu werfen und einen aus ihrer Mitte in Braten und Kochwildbret zu verwandeln. Der Königssohn aber lachte, ließ eine große Tafel auf das Verdeck schaffen, breitete das Tüchlein darauf und sprach:

 
»Decke dich, mein Wünschtüchlein
Für alle die Meinen mit Speis und Wein.«
 

Da machte die Mannschaft einmal Augen, wie die Tafel sich füllte mit Schweinebraten und anderem Braten, Gartensalat und Gurkensalat, Kuhkäse und anderem Käse, Portwein und anderem Wein. Das war ein wahres Festessen, und fröhlich stach man wieder in See. Gegen Abend wurde an einer anderen Insel angelandet, welche der Königssohn ebenfalls untersuchte. Er fand sie gleichfalls unbewohnt und unwirtbar, wurde vom Umherwandern hungrig und müde, setzte sich daher an einen passenden Ort auf den Rasen, breitete sein Wünschtüchlein aus und nahm eine Mahlzeit ein. Da kam auf einmal ein Mann gegangen, der blieb verwundert stehen und sprach: »Wie? Ihr speiset hier vollauf, und ich, der ich vom Sturm an diese Hungerinsel verschlagen bin, falle vor Hunger fast um!«

»Seid mein Gast!« sprach freundlich der Königssohn und ließ sich das Tüchlein von frischem decken, erzählt‘ auch dem Manne, wie er zu demselben gekommen sei.

»Ach ja«, sagte der Fremde, »es gibt solche Wünschdinger, nicht alle helfen einem aber etwas. Sehet hier meinen Stab, das ist auch ein Wünschding. Drehe ich den Knopf ab und sage: Hundert — oder tausend — oder hunderttausend Mann, zu Fuß oder zu Pferde, so sind sie da und tun, was ich will, und drehe ich den Knopf wieder auf, so sind sie hinweg. Was hab ich aber davon? Was nützen mir Kriegsmannschaften, wenn ich sie nicht ernähren kann? Soldaten wollen auch leben — und wenn man selbst nichts hat, wie dann? Da lob ich mir so ein braves Wünschtüchlein, um das gäb ich gleich den Wünschelstab.«

 

»Nun, da könnten wir ja tauschen, wenn es Euch recht wäre!« sprach der Königssohn.

»Ihr kommt in der Tat meinem heimlichen Wunsche zuvor, edler Freund!« rief erfreut der Fremde, und der Tausch erfolgte auf der Stelle, worauf die beiden sich trennten. Aber nach einer kleinen Weile drehte der Königssohn den Stockknopf ab und rief: »Hundert Mann zu Pferde!« Da rasselten die Reiter heran. »Holt mir schnell mein Wünschtüchlein!« gebot der König, und wie der Wind vollzog die Mannschaft seinen Befehl, wie der Wind war sie zurück und schwenkte das Tüchlein als Standarte. Da breitete der Prinz das Kleinod aus und rief:

 
»Decke dich, mein Wünschtüchlein
Für hundert Mann mit Speis und Wein.«
 

Und er ließ die Mannschaft sich satt essen und satt trinken, wofür sie ihn hoch und abermals hoch und noch einmal hoch leben ließ. Hierauf bedankte sich der Prinz recht schön und schraubte seinen Stockknopf wieder auf, und alsbald verschwand die Mannschaft.

Hierauf begab sich der glückliche Besitzer der zwei Wünschdinger wieder auf sein Schiff, fuhr weiter und landete am nächsten Tage an einer dritten Insel, auf welcher er wieder umherging, Abenteuer zu suchen. Auf dieser Insel begegnete ihm ein altes Frauchen, das war in einen bunten Mantel, von lauter einzelnen Lappen zusammengesteppt, gehüllt und sah sehr elend aus und ächzte: »Ach, ich falle bald um vor Hunger und Durst, ich habe seit zwei Tagen nichts genossen. Habt Ihr nicht etwas Brot bei Euch?«

»Nein, altes Mütterlein«, antwortete der Prinz. »Mit Brot trage ich mich nicht. Möchtet Ihr nicht sonst etwas haben von Nahrung? Ich kann Euch geben, was Ihr wünscht!«

»Ei, du meine Güte!« rief das Frauchen. »Wenn ich doch nur ein Schälchen Kaffee hätte! Es ist mir gar zu hohl im Leibe!«

Da zog der Königssohn sein Kleinod hervor, breitete es aus und sprach:

 
»Decke dich, mein Wünschtüchlein
Für uns zwei mit Kaffee, Frühstück und Wein.«
 

Da deckte sich das Tüchlein mit Tassen und Tellern, mit Kaffeekännchen, Sahnekännchen und Milchkännchen, alles warm, mit Semmeln und Kuchen, Brottorte und Bisquittorte, mit Rohrzucker und Kandiszucker, mit Butter und Honig, mit westfälischem Schinken und pommerscher Gänsebrust, mit Malagawein und Cyperwein. Da lachte das alte Frauchen im ganzen Gesicht und schleckte, was das Zeug hielt, und wurde ganz lustig und warf ihren Mantel in die Höhe; da flogen alle Läppchen einzeln auseinander und fielen rings umher auf die Insel, und wo ein gelbes oder rotes Läppchen hinfiel, da stand ein stattliches Schloß oder eine Villa, wo ein grünes lag, wurde ein Park, wo ein blaues, ein schöner See, da war auf einmal die öde Insel in ein Paradies verwandelt. Das gefiel dem Königssohn über die Maßen wohl, und er sprach zu dem Frauchen: »Um dieses Kleinod, wie Euer Mantel ist, könnte ich Euch fürwahr beneiden.«

»Ja, ja — er ist recht hübsch«, erwiderte die Alte, »was hilft mir aber der schönste See, wenn nichts weiter darin ist als Wasser, was der größeste Park, wenn das Wild darin nicht gebraten ist, und was das herrlichste Schloß, wenn man in selbigem keinen Kaffee und nichts zu schnabulieren bekommt? Euer Wünschtüchlein wäre mir traun fast lieber.«

»So laßt uns die Wünschdinger tauschen!« schlug der Prinz vor, und das war die Alte gleich zufrieden, klatschte in die Hände, da wurden die Schlösser, die Parks, die Seen alle wieder bunte Läppchen und setzten sich als Mantel zusammen, den gab das Frauchen in des Prinzen Hand und nahm erfreut aus der seinen das Wünschtüchlein.

Sie war noch nicht weit, so schraubte jener wieder den Knopf von seinem Wünschelstabe ab, befahl hundert Mann und sein Tüchlein wieder, und auf der Stelle wurde sein Befehl vollzogen. Hierauf begab sich der Königssohn wieder auf sein Schiff und segelte weiter. Am nächstfolgenden Tage wurde abermals eine südliche Insel entdeckt, auf welcher der Königssohn umherstrich. Er fand keine Schätze darauf, ging sich jedoch müde und schlummerte an einer schönen Stelle in einem Wäldchen ein.

Da weckten ihn wundersamschöne Violinsaitenklänge, er erhob sich und sähe über sich auf einem Felsen einen Geigenspieler sitzen, den er grüßte und ihm seinen höchsten Beifall bezeugte. Der Violinist nahm die Anerkennung des Königssohnes als eine wohlverdiente Huldigung sehr artig auf. Er sagte: »Ich freue mich, daß Ihr ein so richtiges Urteil und einen so guten Geschmack habt. Die Geige ist die Königin aller Instrumente; wer nicht geigen kann, ist ein Tropf, und ich bin hinwiederum der König aller Geigenspieler; alle Violinisten der ganzen Welt sind nur Stümper gegen mich; wenn ich auf einer einzigen Saite nur streiche, man nennt sie die G-Saite, so werden die Menschen verrückt und verzückt, schließen die Augen, fallen vor Wonne um und werden hin. Wenn ich aber die A-Saite streiche, so kommen sie wieder zu sich und schreien alle ah! Ah! und werden wütend vor Entzücken und Narrheit und gebärden sich, als ob die Erde und die gesamte Menschheit nichts Edleres, Besseres und Erhabeneres hervorbringen könne als solch ein bißchen Ohren- und Sinnenkitzel, weshalb ich auch die Narren alle tief verachte und mich mit meiner Geige, nachdem ich mit Gold und Schätzen von dem dummen Volke überhäuft worden bin, in diese Einöde zurückgezogen habe, wo ich nur mir selbst lebe, mich selbst höre und mich anbete, denn eigentlich bin ich ein Gott, mindestens ist mir das, als ich mich früher vor den Völkern hören ließ, häufig zugeschrien worden, absonderlich von verzückten Frauen, die nicht wußten, daß meine Geige eine Wünschelgeige ist, auf welcher sich alles, was ich im Sinne habe, das Erhabenste, Kühnste, Zarteste, Phantastischste und Tollste, von selbst abspielt, sobald ich es nur wünsche.«

»Das läßt sich in jeder Beziehung hören« sprach der Prinz. »Fürwahr, ich verehre Euch und Eure Geige, doch würdet Ihr mich sehr zu Danke verpflichten, wenn Ihr mir einen Imbiß reichen wolltet; ich bin hungrig und durstig und fand auf dieser Insel nicht das mindeste Genießbare.«

»O Mann des Erdentumes!« rief der Geiger. »Also meine Töne zu hören, war Euch kein Genuß? Nach Irdischem nur steht Euer Sinnen und Begehren? Wahrhaftig, Ihr tut mir leid. Zu essen und zu trinken gibt es hier kaum hinreichend so viel, als mein schwacher irdischer Leib selbst bedarf. Gar zu gern möchte ich einmal wieder ein Glas Champagner trinken, der sonst an meiner Künstlertafel in Strömen floß, wenn die, welche mich bewirtet, mich vergötterten — davon ist hier keine Rede.«

»Hm, hm«, machte bedenklich der Königssohn. »So ist es doch gut, daß es außer der Euren auch noch andere schöne Künste gibt, dieweil zwar die Virtuosen, aber nicht die Menschheit von Tönen zur Genüge satt werden. Ich zum Beispiel bin ein Eßkünstler, ein Koch, und da es Euch hier an guten Sachen gebricht und Ihr mich so schön erquickt habt, so will ich Euch nun auch meine Kunst sehen lassen und lade Euch bei mir zu Gaste.«

»Wo denn?« fragte der Geiger.

»Gleich hier zur Stelle!« antwortete der Prinz, zog sein Kleinod, breitete es aus und sprach:

»Decke dich mein Wünschtüchlein

Für zwei Künstler mit Frühstück und bestem Wein.«

Da entwickelte das Tüchlein eine Tugend wie noch nie; da kamen Lachs und Kaviar, Sardinen und Anchovis, Bremer Bricken und frische Matjes-Heringe, Hummer und Austern auf den Tisch, und Silleri-Champagner, feinster Burgunder, Jerez und Syrakuser kamen zum Vorschein, und die beiden ließen sich‘s über die Maßen schmecken, und der Geiger wurde ganz fidel, schenkte sein Glas voll Champagner, daß es stark überschäumte, stieß mit dem Prinzen an und jauchzte: »Sollst leben, Koch! Sollst mein Bruder sein! — Bruder! — Du bist auch ein Gott!«