Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen

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der Steuerbordseite ins Meer, und das Korn dazu! Ich

befehle es! – Der Schiffer gehorchte, da brauste es in

den Tiefen, und die Wellen hoben sich und teilten

sich, und es wuchs ringsum vor den Hafen eine mächtige

breite Düne von Sand, Hügel auf Hügel, und auf

der Düne lagen Korn und Weizen und keimten und

schossen auf in Ähren, die blühten auf, aber taub, und

trugen nimmer Frucht. Die Witwe kehrte in die Stadt

zurück, um deren Hafen sich nun die Düne zog, daß

kein Schiff mehr in den Hafen einlaufen konnte und

trug den Fluch der verarmenden Stadt und starb in

Kummer und Elend. Aber auf der Düne, welche bis

auf den heutigen Tag der Frauensand heißt, erwächst

Jahr auf Jahr das taube Korn, der Dünenhelm oder

Dünenhalm genannt, und weht und wiegt sich im

Winde.

159. Stavorens Untergang

Das große Zeichen, das der Herr getan, als er die

Sanddüne aus dem Meeresgrunde aufwachsen ließ,

besserte noch lange nicht die Ruchlosigkeit der Einwohner

von Stavoren, denn solcher Leute, wie jene

gottlose Witwe war, gab es dort nur noch allzuviele.

Da war eine reiche und übermütige Jungfrau, die hatte

viele Schiffe in See und des Gutes so viel, daß sie

nicht wußte, wie viel. Die beauftragte auch einen

Schiffer zur Zeit, wo große Hungersnot im Lande war,

ihr das Kostbarste und Wertvollste, was er in fernen

Landen nur immer zu finden vermöge, mitzubringen.

Und der Schiffer fuhr hinweg und kam bald wieder,

und als die Jungfrau fragte, was er Köstliches für sie

mitbringe, da er so bald zurück sei, sie habe ihn noch

nicht erwartet, sprach der Schiffer: Meine Jungfrau,

das Köstlichste ist jetzt, was der Mensch zum Leben

braucht; ich bringe den schönsten Weizen. – Die

Jungfrau aber hatte reichen Schmuck, Gold, Perlen

und Diamanten erwartet und zürnte: Weizen! Was

soll mir dieses elende Zeug? Gleich über Bord

damit! – Das hörte eine Schar hungernder Armen, die

flehten die Jungfrau kniefällig an, doch ihnen das Getreide

zu geben, es nicht verderben zu lassen! – Aber

die stolze Jungfrau blieb bei ihrem harten Sinne. Der

Schifführer sprach: Meine Jungfrau, bedenket Euch

wohl, es könnte Euch reuen! Gott hört und sieht

Gutes und Schlimmes, er lohnt und rächt. Ein Tag

könnte kommen, wo Ihr, hungrig und arm gleich diesen

Elenden, gern die Körnlein einzeln aufläset, die

Ihr jetzt in das Meer wollt schütten lassen! – Frecher

Knecht! zürnte da die Jungfrau und schlug ein satanisches

Gelächter auf. Gleich wirf den Weizen ins

Meer, und diesen goldnen Ring werfe ich hinterdrein!

So wenig werde ich verarmen, so wenig ich diesen

Ring jemals wiedersehe! Und so geschah die gottlose

Tat.

Und wie die Jungfrau handelte, so handelten in anderer

Weise freventlich auch die meisten Einwohner

von Stavoren. Am andern Tage aber traf die Jungfrau

die Nachricht, daß viele ihrer Schiffe auf der Heimfahrt

aus dem Morgenlande gescheitert seien; am

zweiten Tage die weitere Nachricht, daß ihre übrigen

Schiffe von den Seeräubern genommen seien; am dritten

Tage verbreitete sich die Kunde, daß ihr sonstiges

Vermögen, das sie einem reichen Handelshause anvertraut

hatte, durch den Fall dieses Hauses verloren

sei. Am vierten Tage wurde aus ihrem Ziehbrunnen

ein Seefisch, eine Bütte, herausgezogen, niemand

wußte, wie dieser Fisch in den süßen Brunnen kam;

als der Fisch geschlachtet wurde, fand sich in seinem

Eingeweide – der Ring, den die Jungfrau mit freveln-

dem Ausruf in das Meer geworfen hatte.

Noch ein Jahr verging, da sah man das vordem so

stolze Weib betteln gehen von Haus zu Haus und auf

dem Felde Ähren lesen, um sein elendes Leben zu fristen.

Auch dieses Zeichen der Warnung, das der Herr

tat, irrte die Einwohner von Stavoren nicht, ihr Leben

fortzusetzen, obschon die Stadt durch den versperrten

Hafen zu verarmen begann. Da geschah es mit einem

Male, daß man in allen Ziehbrunnen Bütten und

Schellfische und Heringe fing, daß das Wasser stieg

und das Land sank, und mehr als drei Vierteile der

reichen Stadt verschlang die Flut, die fort und fort am

Lande nagt, und aller Segen war hinweg, und der Rest

der Stadt verarmte mehr und mehr.

160. Die sieben Meerminnen

Ein friesischer Schiffer hatte sein Schiff gerüstet zu

weiter Fahrt, und stand am Bord, und hob die Hand,

und gelobte sich dem Meere. Es solle das Meer ihm

schirmen und schonen sein Schiff und seine Ladung,

so wolle er auch ihm getreu sein all sein Leben lang

und nimmer an das Land begehren zu längerm Verweilen.

Da hoben sieben Meerminnen ihre Leiber

halb aus der Flut, und hörten seinen Schwur, und nahmen

ihn, und tauchten wieder in die Tiefe nieder.

Lange fuhr der Schiffer von Meere zu Meere, von

Lande zu Lande, und sein Reichtum mehrte sich, aber

er konnte dessen auf dem Schiffe nicht froh werden,

ihn nicht genießen, und allmählich kam doch ein Sehnen

in sein Herz nach dem Lande. Und da kam sein

Schiff einst an einen blumenreichen Strand voll Reiz

und blühender Gärten, und er sah eine wunderholde

Jungfrau wandeln, die sein Herz gewann, und er gewann

bald auch das ihre, freite um sie, verkaufte sein

Schiff, erbaute ein herrliches Haus am Strande,

schmückte es aus mit seinen Schätzen wie ein Königsschloß,

und dahinein führte er seine Erkorene als

liebe Braut. Aber siehe, in der Nacht, als der Schiffer

im Arme seiner Liebsten ruhte, da hoben sich die sieben

Meerminnen aus der See nahe dem Ufer an des

Schiffers Palast und sangen ein entsetzlich Lied, und

es rollte ein Wellenberg heran, der übersprang das

Ufer und stieß ans Haus, da bebte das Haus in seinen

Fugen; dem sprang ein zweiter nach, der brach die

Türen ein und rauschte in die Flur, und ein dritter, der

brach durch die untern Fenster, und ein vierter, der

brach oben durch, und ein fünfter, der riß den Schiffer

hinweg, und ein sechster, der fing den Schiffer auf

und warf ihn im Zurückbranden in die wildwogende

schaumspritzende See. Da empfingen die Meerminnen

den Schiffer und führten ihn tief hinab zum Grunde.

Dort muß er wohnen, von dort springt er mit den

Wellen im Maimond herauf nach seinem zerstörten

Hause und will sein Lieb retten, aber immer ziehen

ihn die Meerminnen wieder zurück.

Kapitel 8

161. Der Friesen Bekehrung

Nach Friesland kam der heilige Wolfram, der wurde

des Volkes und Landes erster Apostel. Ein Traumgesicht

hatte ihm offenbart, daß er das werden solle, und

so kam er zum Hofe des Friesenherzogs, der hieß

Radbot, und wie der Heilige kam, da sollte dem Götzen

nach der heidnischen Landessitte eben wieder ein

Opfer durch den Strang gebracht werden, ein durch

das Los erwählter Knabe des Namens Occo. Da bat

Wolfram für den Knaben und um dessen Leben im

Namen seines Gottes und Heilandes bei Herzog Radbot,

und Radbot sprach: Siehe, ob dein Christus ihn

vom Tode erretten kann, dann soll er dein sein. – Wie

nun der Knabe zum Strange geführt und aufgeknüpft

ward, da betete Wolfram, und da riß der Strang, der

Knabe fiel zur Erde und wandelte unversehrt, und

Wolfram taufte ihn. Da erkannte Radbot die Macht

des Heilandes und dachte, sich auch zum Christenglauben

zu bekehren. Ehe Radbot aber dazu schritt,

erschien ihm in der Nacht der Teufel in Engelsgestalt

und in herrlichem Geschmuck und flüsterte ihm zu:

Warum willst du abfallen von deines Landes Gott?

Tust du das nicht, so wirst du künftig wohnen in

einem goldnen Hause, das will ich dir zeigen morgen

des Tages. Nun frage aber auch Wolfram, wo denn

sein Himmel sei, den er dir verheißt. Er soll ihn dir

auch zeigen, so er das vermag. –

Das sagte Radbot andern Tages dem heiligen

Wolfram an und verhieß, er wolle ein Christ werden,

wenn der Friesen Gott ihm nicht das goldne Haus

zeige, Wolfram aber sagte, und wenn dem Herzoge

auch solches Haus gezeigt werde, so werde es ein

Gaukelspiel des Satans sein. – Da wurde nun ein

Friese erwählt für Radbot und ein Diakon für Wolfram,

die gingen aus zusammen, das Haus zu finden,

und alsbald gesellte sich ein Dritter zu ihnen als ein

Wegweiser. Sie kamen unvermerkt auf einen herrlichen

Weg, der war mit Marmor geplattet, und von

fern leuchtete ihnen das goldene Haus entgegen, herrlich

und voller Glast, und darin stand auch ein Thron

von Elfenbein mit Edelsteinen geziert und mit Purpur

ausgeschlagen. Und der Führer sprach zu dem Diakon

und zu dem Friesen: Sehet, das ist Herzog Radbots

ewiges Haus. – Und der Diakonus sprach: Ja, wenn

Gott es gebaut hat, so wird es ewig stehen, und schlug

ein Kreuz gegen das Haus: hui, da schwand es dahin,

und war ein stinkender Kothaufen, und der Marbelweg

war eine Sumpflache, und der Führer war der

Teufel selber, der verschwand mit Gestank und Zorngebrüll.

Schnell waren der Friese und der Diakon zum

Hause gelangt, aber drei Tage lang mußten sie mühsam

durch Binsen und Geröhrig schreiten, ehe sie die

Stadt des Herzogs wieder erreichten. Der Friese sagte

seine Botschaft an, und was er gesehen, und ließ sich

 

taufen. Sein Name hieß Sugomar. Und Herzog Radbot,

als er diese Mär vernommen, wollte sich auch

taufen lassen, und da er in das große steinerne Taufbecken

treten wollte und schon einen Fuß hineingestellt

hatte, fragte er, wo die Schar seiner Vorfahren

sich befinde, bei den Seligen im Himmel oder bei den

Teufeln in der Hölle. – Darauf antwortete der Bischof:

Wer nicht glaubet und getauft wird, der wird

nicht selig. – Da zog Radbot den Fuß wieder aus dem

Becken und sprach: Wo meine Voreltern sind, will

ich auch sein, bei meiner Magschaft und Sippschaft;

was soll ich allein im Paradiese bei den wenigen

Christenleuten? – Und ließ sich nicht taufen. Aber am

dritten Tage starb Herzog Radbot und fuhr hin zu seiner

Sippschaft und Magschaft.

Da der heilige Bonifazius zu den Friesen kam und

sie auch bekehren wollte, ließ wohl ein Teil sich taufen,

aber nachher erschlugen sie ihn samt seinen Gefährten

Adolar und Theoban und fielen wieder in das

Heidentum zurück.

162. Wittekinds Taufe

Kaiser Karl der Große war gar mildtätig gegen Arme

und Gaben Heischende, absonderlich an den großen

Festtagen, deshalb folgten ihm auch die Bettler in

Scharen nach. Da geschah es in einer Karwoche, daß

Wittekind, der Sachsen Heerführer, der zu Engern

saß, den Kaiser zu versuchen dachte, legte Bettlergewande

an, ging in Karls Lager, wollte auch der Franken

Heimlichkeit erkunden und setzte sich unter die

Schar der Bettler. Da nun der erste Ostertag angebrochen

war, wurde die heilige Messe gelesen, und wie

der Priester das Heiligtum emporhob, so erblickte

Wittekind durch ein göttliches Wunder in der Monstranz

ein Kind, so schön, wie er noch nie eines gesehen

hatte, und ward gegen das Kind voller Liebe.

Nach dem Messeopfer wurden den Bettlern Silberpfennige

ausgeteilt, und da wurde Wittekinds Heldengestalt

erkannt trotz seiner Verkleidung und er vor

Kaiser Karl geführt. Aber Karl empfing seinen großen

Gegner gütig und sprach mit ihm über den Christengott

und seinen Dienst, und Wittekind erzählte von

dem Kinde, das ihm vorgeschwebt. Darauf hat der

Sachsenheld die heilige Taufe willig angenommen

und hat auch veranlaßt, daß viele seiner ihm untergebenen

Fürsten und Führer sich taufen ließen, und Karl

der Große machte ihn zum Herzoge von Sachsen, Engern

und Westfalen und verwandelte das schwarze

springende Roß, welches der Sachsenheld in seinem

Schilde führte, in ein weißes.

163. Das Oldenburger Horn

Im heutigen Oldenburger Lande herrschte ein Graf,

des Namens Otto, der hatte große Lust am Jagen, und

zog aus mit seinen Vasallen, Jagdgenossen und Jägern

nach einem Walde, der hieß Bernefeuer, nicht

allzufern von dem Osenberge. Da stieß dem Grafen

ein Reh auf, das floh vor ihm her, und er hetzte es mit

seinen Rüden und kam in der Verfolgung seinem

Jagdgefolge ganz aus dem Gesicht, und sein weißes

Pferd trug ihn also schnell von dannen, daß er selbst

seinen schnellen Winden aus der Spur kam und sich

mit einem Male, ohne auch nur vom weiten etwas von

seiner Jägerei zu sehen oder zu hören, auf einer stillen

Bergfläche befand. Auch das Reh, das ihn so weit

verlockt, sah er nimmer. Nun war die Hitze an diesem

Tage groß, es soll im Julimond gewesen sein, und den

Grafen durstete sehr, daher sprach er zu sich selbst: O

Gott, wer kühlen Wassers nur einen einzigen Trunk

hätte! – Siehe, da öffnete sich eine Felswand am

Osenberg, und es trat aus ihr eine schöne, wohlgezierte

Jungfrau, reizend anzuschauen, die hielt in ihrer

Hand ein uraltes Jägertrinkhorn, verziert mit mancherlei

seltsamem Bildwerk, das war von Silber überkleidet

und kostbar vergüldet und überaus künstlich, voll

Figuren, und das Horn war voll eines Trankes, den

bot die Jungfrau dem Grafen sittiglich dar. Graf Otto

nahm das Trinkhorn, schlug den Deckel auf und wollte

es zum Munde führen, sah aber in das Horn hinein

und beschaute den Trank, und der gefiel ihm mitnichten,

denn als er ihn schüttelte, war er trübe und roch

auch nicht wie Malvasier – und der Graf trank nicht.

Die Jungfrau aber ermunterte den Grafen, er solle nur

ihr vertrauen und trinken; es werde ihm und seinem

Geschlechte gedeihen. Dies und die Landschaft Oldenburg

werde davon ein gutes Gedeihen haben. –

Aber der Graf weigerte sich fortdauernd, um so mehr,

da die Jungfrau in ihn drang, doch zu trinken, und so

sagte sie: Wo du nicht trinkest, wird in deinem Geschlechte

und deiner Nachkommenschaft nimmermehr

Einigkeit sein. Nun hielt der Graf immer noch das

Horn mit dem Trunke in seiner Hand und hatte sein

Bedenken, und da zuckte das Roß, und es troff etwas

von dem Tranke über und auf des Pferdes hintern

Bug, da gingen gleich dem Pferde die Haare weg.

Jetzt langte die Jungfrau nach dem Horne und begehrte

es wieder aus seiner Hand zu nehmen, aber der

Graf behielt es in seiner Hand und ritt von dannen,

und die Jungfrau schwand wieder in den Berg hinein.

Den Grafen aber kam ein Grauen an, und schüttete

das Horn aus, und behielt es, und ritt weiter, indem er

sein Roß spornte, bis er sich wieder zu seiner Jägerei

fand, zeigte ihr das Horn und erzählte, auf wie wun-

derbarliche Weise er zu dem köstlichen Kleinod gekommen

sei. Darauf ist das Horn sorgsam im Schatz

der Grafen von Oldenburg aufbewahrt worden.

Dieser Graf Otto war dieses Namens der erste in

seinem edlen Geschlecht und hatte von seiner Gemahlin

Mechthild, Gräfin von Alvensleben, fünf Söhne,

deren ältester war Johannes der Erste, dieser hatte

wiederum fünf Söhne, von denen ward der erste Udo

geheißen, Bischof zu Hildesheim, der zweite aber

hieß Huno, der war gar herrlich und ehrenreich, also

daß er den Beinamen Gloriosus empfangen hat.

164. Friedrich der Löwensieger

Graf Huno von Oldenburg war auch ein frommer und

rechter Mann, der lebte zu den Zeiten Kaiser Konrad

des Saliers und wurde von diesem Kaiser zu einem

Reichstag nach Goslar beschieden. Aber über den

Übungen seiner Frömmigkeit vor Gott und über guten

Werken verabsäumte er den Fürstentag, weshalb

Übelgesinnte ihn übler und aufwieglerischer Gesinnung

ziehen und den Zorn des Kaisers gegen ihn erregten.

Und der Kaiser gebot, Graf Huno solle seine

Unschuld durch ein Gottesurteil beweisen oder als

Aufrührer sterben. Er solle auf Tod und Leben mit

einem ungeheuern, grausamen Löwen kämpfen. Nun

hatte Graf Huno einen jungen freudigen Sohn, der war

stark und gewandt und mutvoll, der begleitete seinen

Vater an des Kaisers Hof und trat für seinen Vater als

Kämpfer ein, denn Graf Huno war alt und wäre dem

grimmen Löwen wohl leicht erlegen. Beide gelobten

der heiligen Jungfrau, wenn ihnen der Sieg zufiele, ein

reiches Stift zu gründen. Vor dem Kampfe ersann der

junge Graf von Oldenburg eine List, er ließ eine

Puppe von Stroh und Leinwand lebensgroß anfertigen

und dieselbe ritterlich bekleiden, so daß sie einen

Mann vorstellte, die trug er vor sich her, und als der

Löwe ihm entgegensprang, warf er ihm die Puppe ent-

gegen, darauf fiel er den Löwen an, während der

Löwe den Strohmann zerriß, und besiegte ihn ohne

Verletzung. Der Kaiser war froh und umarmte den

jungen Helden, schenkte ihm seinen eigenen Schwertgurt

und seinen Ring und belehnte ihn mit vielen Gütern.

Lange Zeit sind von diesem Löwensiege im Friesenlande

Lieder gesungen worden.

165. Das Zwergvolk im Osenberge

Im Osenberge, aus dem vorzeiten die Jungfrau trat,

welche dem Grafen von Oldenburg das Horn darreichte,

gibt es Zwerge und Erdmännlein.

Lurlei

Im Dorfe Bümmerstett war ein Wirtshaus, das hatte

von den Zwerglein gute Nahrung. Sie liebten das Bier

und holten es gern, wenn es vom Brauen noch warm

aus der Bütte kam, und bezahlten es mit gutem Gelde

vom feinsten Silber, obschon solches Geld kein landübliches

Gepräge hatte. Da ist auch einmal ein uraltes

Zwerglein zu durstiger Jahreszeit in das Brauhaus gekommen

und hat Bier holen wollen, hat aber großmächtigen

Durst mitgebracht und gleich etwelche gute

Züge in die Hitze getan, darauf ist es eingeschlafen

tief und fest, und niemand hat gewagt, es zu stören

oder zu wecken. Aber als das steinalte Männlein endlich

wieder aufgewacht ist, da hat es angehoben bitterlich

zu weinen und zu klagen: Ach ach ach! was

wird mein Großvater mir nun für Schläge geben! –

Und ist so eilend davongesprungen, daß es gar seinen

Bierkrug vergessen gehabt, und nimmermehr ist das

Männlein oder ein anderes Gezwerg wieder in das

Brauhaus zu Bümmerstett gekommen. Den Krug aber

hob der Wirt gut auf, und hatte die beste Nahrung;

dann heiratete des Wirtes Tochter, blieb aber mit

ihrem Mann im Hause und setzte die Wirtschaft fort,

und hatten auch lange Zeit Nahrung vollauf. Aber

endlich wurde durch Unvorsicht der Krug zerbrochen,

und von da an ging gleich die Wirtschaft den Krebsgang,

und mit dem Kruge war das Glück zerbrochen,

denn Glück und Glas, wie bald bricht das, oder Glück

und Glas, wie bald zerbricht ein Bierkrug! Der Wirt,

der die Tochter des alten Wirts gefreit hatte, wurde an

die hundert Jahre alt und hat es selbst oft und viel erzählt,

es ist aber schon lange her, daß er es erzählt

hat, schon volle zweihundert Jahre.

166. Die Elben

In den Gewässern um die Nordseeküsten, um Friesland

und zwischen der Elbemündung und Helgoland,

erblickt man häufig schwimmende Eierschalen; in diesen

fahren die Elben herum. Das sind kleine zarte Elementargeisterlein,

teils guter, teils schlimmer Art.

Sie wohnen im Wasser und kommen oft in Wasserbläschen

über fischleeren Weihern auf die Oberfläche,

hausen aber auch in kleinen Hügeln; in Brabant heißen

diese Hügel Alvinnenhügel, da hat das alte Wort

Alf, Elf, Elbe sich nur in Alfin, Alvinne umgewandelt.

So klein der Elben Erscheinen ist, so groß ist

ihre Macht, dies deutet nichts besser an als der große

gewaltige Strom, an dessen Ausgang in das Meer sie

wohnen, und der ihren Namen trägt, die Elbe, darin

wohl einen tiefen Sinn – des Naturgeistes Mächtigkeit

zugleich im Kleinsten wie im Größten – die alte mythische

Weisheit in der deutschen Sprache runischen

Zauber bannte. So mag einer das Rätsel aufgeben, mit

einem Wort das ätherisch Leichteste und etwas recht

Schweres, ins Gewicht Fallendes zu nennen. Im

Worte Elfenbein ist die Lösung gegeben.

In Westflandern sagen die Leute, wenn der Wind

recht pfeift und heult: Alvinna weint – und denken

sich unter der Alvinna eine mythische Persönlichkeit,

es ist aber eben nur die personifizierte Naturstimme,

als elbisch-dämonische Macht im dunkeln Volksbewußtsein

lebendig.

167. Das heilige Land

Hoch aus der Nordsee Fluten hebt sich die Insel Helgoland,

deren Name noch im vorigen Jahrhundert gar

nicht anders als Heilgeland geschrieben wurde, insula

sancta, weil sie vor grauen Zeiten ein Götterheiligtum

gewesen. Schon damals mochte der Reimspruch seine

Geltung haben:

Grün ist das Land,

Rot ist der Rand,

Weiß ist der Sand,

Das sind die Zeichen von Helgoland.

Als das Heidentum verschwunden war, hatten auf

dieser Insel sieben ausgedehnte Kirchspiele Raum.

Noch im Jahre 1530 ernährte die Insel, nachdem die

Meeresflut längst des Landes größten Teil verschlungen,

über zweitausend Bewohner fast ausschließlich

durch den Heringsfang. Da kam es einigen Übermütigen

bei, die nur geringen Fang getan, einen oder einige

Heringe mit Ruten zu peitschen, da schwand auch

dieser Segen hinweg, die Insel wurde immer kleiner

und immer ärmer, und was vordem Tausende genährt,

nährte nun nur noch Hunderte. Die Sage geht, daß das

Heilgeland von alters her kein giftiges Tier auf sich

 

dulde. Wegen der Heringe, sagen andere, sei es also

gewesen, daß die Helgoländer oft nicht Tonnen und

Salz genug für den reichen Segen gehabt, die Heringe

seien sogar den Strand hinaufgelaufen, da habe eine

alte Helgoländerin, darüber ärgerlich, einmal einen

Besen genommen und sie hinuntergefegt, von dieser

Zeit an seien sie ausgeblieben.

168. Fositesland

Auf der Insel Helgoland stand zu Heidenzeiten das

Heiligtum eines Gottes des Namens Fosite oder Fosete,

der war ein Gott der Eintracht und des Friedens.

Kein unreines Tier durfte seinem Tempel nahen, und

wer des Ortes Heiligkeit verletzte, mußte den Tod erleiden.

Die Apostel dieses gottheiligen Landes waren

Ludger und Wilibrord. Ludger schiffte, ein Kreuz in

der Hand, auf die Insel zu, und sang den sechzigsten

Psalm. Da ward ein Rauch erblickt, der von der Insel

aufstieg und hoch über sie sich ausbreitete und alsdann

verschwand. Da sprach Ludger: Wisset, meine

Brüder, daß dieser Dampf Satan selbst war, den nun

der Herr von diesem Insellande vertrieben. Und betrat

das Ufer freudig und predigte Jesum Christum. Er zerstörte

den Tempel Fosetes und baute an seiner Stätte

die erste Kirche. Als Wilibrord eines der Tiere

schlachtete, welche um Fosetes Tempel weideten und

für heilig und unverletzbar galten, glaubten die Bewohner,

er werde alsbald sterben, da dies aber nicht

geschah, so ließen sie sich taufen. Selbst die Seeräuber

in späterer Zeit achteten dieses Land also heilig,

daß sie nie etwas davon hinwegführten, ja den frommen

Einsiedlern, die dort wohnten, reichten sie sogar

einen Teil ihrer Beute. So ist auch bis auf den heuti-

gen Tag alldort ein tiefer heiliger Brunnen, darinnen,

dem Meeresstrande so nahe, doch süßes Wasser

quillt. Daraus sind die heidnischen Bewohner des

Landes getauft worden.

169. Der Jungfernstuhl und der Mönch auf

Helgoland

Da die eilftausend Jungfrauen unter Anführung der

heiligen Ursula aus Albion gen Köln zogen, kamen

sie auf ihrer Meerfahrt auch nach dem grünen Helgoland

und landeten allda, aber die Einwohner verfolgten

einige an das Land Gekommene, daß sie nicht

wußten, wie sich retten, da eilten sie an den Strand

und sprangen auf das Wasser, darin gingen sie nicht

unter, sondern es hob sich ein Fels unter ihren Füßen,

auf dem sie ruhten, bis ihr Schiff herankam und sie

einnahm. Dieser Fels hat davon den Namen Jungfernstuhl

erhalten. Um ihn her wurden noch lange Jahre

die Fußtapfen der Jungfrauen tief in den Boden eingedrückt

ersehen. Aber zur Strafe verwünschten die

Jungfrauen alles auf der Insel, außer die Menschen.

Da verwandelte sich alles Geräte in Stein. Ein Prediger

hat davon lange ein Endchen Wachslicht in Verwahrung

behalten, das ganz zu Stein geworden.

Als hernachmals Helgoland dennoch christlich geworden

war, hielten seine Bewohner fest am alten

Glauben. Da sendete der König einen Mönch, welcher

Luthers Lehre angenommen hatte, dorthin, diese

Lehre dort zu predigen, aber die Einwohner stürzten

ihn von einem Felsen herab in das Meer. Da wuchs

ein steinern Gebilde aus der Tiefe, ganz wie ein

Mönch gestaltet, und auf der Klippe ging der Geist

des Bekehrers um und predigte mit einer Donnerstimme,

so lange, bis sich die Leute dennoch zur neuen

Lehre bekehrten, dann hatte der Geist Ruhe, aber der

steinerne Mönch blieb als ein sonderbares Wahrzeichen

stehen.

170. Mannigfual

In der Nordsee, erzählen die nordfriesischen Seefahrer,

steuert ein Riesenschiff. Sein Umfang ist untümlich

groß, die Masten sind höher als alle Kirchtürme,

die Taue sind so dick wie große Tannen. In der Takellage

sind Öffnungen, dahinein die Matrosen zum öftern

gehen, der Einkehr halber, um eine Stärkung zu

sich zu nehmen, denn wer als junger Matrose da hinaufklettert,

der kommt erst in hohen Jahren mit grauem

Haar und Bart wieder herunter. Der Kapitän reist

zu Pferde auf dem Verdeck herum, um seine Befehle

zu erteilen, und ist froh, wenn er in einem Tage herumkommt.

Dieses wundersame Schiff heißt der

Mannigfual. Insgeheim hält es seinen Kurs nur im

hohen Norden, im tiefsten Fahrwasser, denn sonst

könnte es in der Landnähe bald aufsitzen. Einstmals

wurde das Schiff dennoch südwärts getrieben, es befand

sich im Atlantischen Ozean und kam in den

Kanal zwischen Dover und Calais. Da war ihm das

Fahrwasser zu schmal, es füllte beinahe den Kanal

ganz aus, da hätten die Franzosen auf trocknem

Boden über das Schiff weg nach England spazierengehen

können. Da fiel dem Kapitän ein guter Gedanke

ein, er ließ die Backbordseite, nach Dover zu, ganz

mit weißer Seife bestreichen, das glückte, jetzt wisch-

te der Mannigfual glücklich durch die Meerenge und

kam in die Nordsee. Aber die abgescheuerte Seife und

der Schaum, den es gab, verliehen den Felsen der britischen

Küste bei Dover ihre weiße Farbe bis auf den

heutigen Tag.

Einst geriet der Mannigfual in die Ostsee, Gott

weiß wie. Da war das Wasser gar zu seicht. Die

Schiffsleute warfen ihren Ballast, Schlacken und

Asche über Bord, um das Schiff flott zu machen. Daraus

ist die Insel Bornholm entstanden, und aus dem

Unrat der Kabuse das dabeiliegende Inselchen Christiansoe.

171. Der Geldsot

In Süddithmarschen bei Marne rinnt eine helle Quelle

über die Marsch hin, die blinkt wie Silber. Nahe

dabei hat ein Dorf gestanden, das verheerte erst der

Moskowiterkrieg, nachher kam die Seuche, und da

starb es ganz aus bis auf einen einzigen Mann, das

war der Hirte, und der erbte nun all das Geld und Gut,

das die Verstorbenen hatten zurücklassen müssen,

doch half es ihm auch weiter nichts, denn er verließ

den Ort nicht. Er hatte aber seine Lust daran, alles zusammenzutragen,

und versenkte dann alles hinab in

den Quellbrunnen, und dann starb er und hinterließ

keine Erben. Es mochte es aber im Vorbeireisen doch

jemand gesehen haben, was der Hirte getan, denn die

Sache kam unter die Leute, und der Brunnen wurde

der Geldsot geheißen. Wenn einer mit einem Stocke

in den Quell hineinstieß, klang es hohl, und man

konnte bisweilen in der Tiefe den kleinen grauen

Mann sehen, wie er, einen schwarzen Hut auf dem

Kopf und ein brennendes Licht in der Hand, nachsieht,

ob der Schatz noch ganz vorhanden ist. Wollte

einer versuchen und hinabgreifen, so war der Hirte

verschwunden. Einstmals haben sich ihrer Dreie verbunden,

den Schatz zu heben, und haben die Quelle

weit aufgegraben, und da sind sie auf einen großen

Braukessel gestoßen, den konnten sie so nicht herausheben,

da legten sie einen Windebaum quer über das

Loch und banden Stricke an die Öhre und begannen

den Kessel in die Höhe zu winden, das taten sie aber

ganz stillschweigend, weil man beim Schatzheben ja

nicht reden darf. Mit einem Male hörten sie Räder rollen

und Achsen ächzen, und da fuhr ein Fuder Heu

vorbei, das zogen sechs weiße Mäuse. Aber keiner

von den Dreien verlor ein Wort, noch einen Laut, und

der Kessel rückte schon merklich höher. Da kam der

Mann mit dem dreieckichten Hute auf einem Schimmel

geritten, der nur drei Beine hatte. – Guten Abend!

sagte der Alte, aber die Drei waren klug und antworteten

nicht. – Könnt' ich wohl das Heufuder einholen?

fragte der Mann weiter, und da fuhr's dem einen heraus:

Den Teufel wirst du's einholen, du lahmer Krüppel

auf deinem lebendigen Dreibein! – O weh, da

brach die Winde, und der Kessel versank, und nimmermehr,

so viel ihrer es auch später wieder versucht

haben, hat einer vermocht, ihn zu heben.

172. Röwerlöwe

Der Dithmarschen Volk liebte von Urväterzeiten her

seine Freiheit über alles. Große Kämpfe hat es bestanden

und blutige Schlachten geschlagen, und viele

siegreich, bis es zuletzt noch überwunden ward. Aber

immer noch ist in ihm die Erinnerung an seinen alten

Ruhm lebendig, wie die Hoffnung auf seiner Freiheit

Wiederkehr.

Kaiser Karl der Große schon hatte mit den Dithmarschen

zu kämpfen. Nun lebte zu Windbergen ein

starker und tapferer Kampfheld, genannt Röwerlöwe,

der trat in des Kaisers Dienst, und Karl setzte ihn zu

einem Herrn über das Dithmarschenland und -volk als

einen Vogt, der die Unterjochten im Zaume halten

und zum Christentume zwingen sollte. Aber die Dithmarschen

ließen sich mitnichten im Zaume halten, sie

empörten sich gegen den Röwerlöwe, nahmen ihn gefangen

und räderten ihn. Von diesem Röwerlöwe soll

das berühmte Geschlecht derer von Reventlowen abstammen,

er soll dessen Ahnherr gewesen sein. Lange

Zeit wohnten seine Nachkommen noch in Dithmarschen,

aber immer glimmte im Volk ein alter Groll

gegen dasselbe fort, da hat es sich endlich hinweggewendet

und sich über Holstein, Schleswig und Dänemark

verbreitet.

173. König Dan

Im Lande Dithmarschen geht die Sage, daß der erste

König von Dänemark Dan geheißen, der habe dem

Lande den Namen gegeben, und nach ihm heiße es

Danemark, er habe aber nicht im heutigen Dänemark

gewohnt, sondern in Schleswig. Früher habe er auch

lange Zeit unter den Heiligen im Kalender gestanden.

Zu seiner Zeit war alles noch heidnisch, die Leute verbrannten

ihre Toten, taten die Asche in Urnen und

setzten sie bei in Riesenbergen (Hünenhügeln), König

Dan wollte aber nicht verbrannt sein, sondern auf seinem

königlichen Stuhl im Grabe sitzen, und wollte

auch sein aufgesattelt Pferd bei sich haben, das ist

auch so befolgt worden.

Ohnweit Tönningen in Eiderstede ist ein kleiner

Erdhügel mit einer Höhle. Darinnen sitzt König Dan

wie der Kaiser Friedrich im Kyffhäuser, mit zweimalhunderttausend

Mann Wappnern, und alle schlafen.

Einstmals wurde einem zum Tode verurteilten Soldaten

das Leben versprochen, wenn er in die Höhle hineingehen

und berichten wollte, was er sähe. Da nun

der Soldat in die Höhle kam, sah er den König sitzen

an einem Tisch, und hatte sein Haupt auf den Arm gestützt

und schlief. Der Bart war ihm lang gewachsen

und hing unter den Tisch herab. Jetzt erwachte der

König und fragte den Soldaten: Was willst du? –

Mich schickt mein Herr und König herein, daß ich

Nachricht von Euch bringe. Sage deinem Herrn, erwiderte

König Dan, ich werde zu seiner Zeit wiederkommen

und ihm Hülfe bringen, und er soll herrschen

über die ganze Welt. – Diese Zeit ist noch nicht gekommen