Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen

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und da dauerte es nicht lange, so hörte Herr Leupold

den Drachen schon schreien: Gelre, Gelre! – Harre

nur, dachte der junge Degen, ich will dich schon begelren,

und rückte auf den Drachen zu. Dieser funkelte

ihn mit feurigen Augen an, die wie Sterne blitzten,

und sperrte seinen Rachen greulich auf und blies giftigen

Atem daraus hervor, aber Herr Leupold stieß ihm

seine Lanze hinein, daß am Hinterkopfe die Spitze

wieder hervordrang, und stach ihn mit dem Schwerte

in die Weichen und tötete ihn. Voll Dankes priesen

die Bewohner der Gegend des jungen Ritters Heldentat

und ernannten ihn zu ihrem Oberherrn. Er erbaute

sich darauf da, wo er den Drachen überwunden, ein

Schloß und nannte das nach dem Drachenschrei

Gelre. Daraus ist der Name Geldern entstanden, den

die blühende Provinz noch heute führt.

137. Des Riesen Handwerfen

Am Scheldefluß hauste zu Julius Cäsars Zeiten ein

Riese auf einem hohen Turme, soll Antigonus geheißen

haben, der bewachte das Land und nahm allen,

welche dort vorüberreisten oder über das Wasser setzen

wollten, die Hälfte ihrer Güter als Zoll ab. Wollten

sie den nicht entrichten, so mußten sie mit ihm

kämpfen, und dann hieb er dem Besiegten jedesmal

die rechte Hand ab und warf sie in die Schelde. Da

kam ein Mann, der hieß Brabon, mit mehrern andern

Gefährten an die Stelle der Überfahrt, und fanden

allda den Knecht des Riesen auf der Wacht, der wehrte

ihnen den Übergang; sie sollten erst mit dem Riesen,

seinem Herrn, das Ihre teilen, oder sie müßten

ihre rechte Hand lassen. Dazu war Brabon nicht geneigt,

weder zum einen noch zum andern; darauf

schlug der Knecht an eine Eisenstange, die gab tiefen

Glockenschall, und da kam der Riese trutziglich vom

Turme herunter und fragte: Wer ist es, der mit mir

kämpfen will? – Ich allein! erwiderte Brabon, und

alsbald begann der Kampf. Da fiel manch harter

Kampf und schwerer Streich. Der Riese war ein starker

Wigand, und wohin er schlug, wuchs kein Gras

mehr. Endlich aber obsiegte ihm dennoch der mannhafte

Held Brabon und schlug ihm erst die rechte

Hand, hernach auch den Kopf ab, und nahm die Hand

und warf sie über den breiten Strom und rief: So weit

ich diese Hand werfe, so weit soll auch dieser Strom

zu dem Lande gehören, das ich mir jetzt erkämpft! –

Und ging, und dankte für seinen Sieg dem Kriegsgotte

Mars, und brachte ihm Opfer in seinem Tempel. Und

die Hand fiel in des Stromes Mitte, und das Land

ward nach dem Helden Brabant geheißen, und die

Hälfte der Schelde gehörte fortan zu Brabant.

Da nun Julius Cäsar aus Britannien zurückkehrte,

kam Brabon zu ihm und erzählte ihm sein Abenteuer

mit dem Riesen Antigonus, den er im Ried an der

Schelde erschlagen. Da lobte ihn der große Feldherr,

und zog mit ihm nach dem Ort, und ließ dort eine

Burg erbauen, und weihte sie und gab ihr und dem

Lande große Rechte und Freiheiten, und machte Brabon

zu einem Markgrafen des römischen Reiches. Der

Ort aber ward von dem Handwerfen Handwerpen genannt

und wuchs und ward groß und mächtig und ist

jetzt die Stadt Antwerpen.

Damals hat Julius Cäsar Turnhout gegründet und

mit großen Freiheiten begabt, und nahe bei Löwen

das Kaiserschloß gebaut. Da er mit dem Helden Brabon

dort auf die Jagd ging, schoß er einen mächtig

großen Adler und nahm das für ein

glückverkündendes Orakel der Götter an. Darum

gründete er an jenem Ort eine neue Kolonie und nann-

te sie Aarschuß, das heutige Aerschot.

138. Herr Lem

Überhaupt gab es in frühen Zeiten in den niedern

Landen gegen das Meer hin gar viele und gewaltige

Riesen und Heunen, die waren aus Britannien gekommen,

von der großen weißen Kreideinsel Albionien,

das nach dem Trojaner Britus seinen spätern Namen

Britannien empfing. Solch ein Riese saß da, wo jetzt

Leiden liegt, der hieß Lem, und bekam einen Sohn,

der hieß auch Lem, und später gründete er eine Stadt,

da wurde er Herr Lem genannt, weil er darinnen als

ein Herr gebot, und die wurde nach ihm genannt, das

ist Harlem. Im Harlemer Walde stand ein Bacchustempel,

und der ganze Wald war diesem Gotte heilig.

Von ihm wird noch ein Kanalgraben bei Harlem

Bakenessergracht genannt, und wo der alte Bacchustempel

stand, steht jetzt die Bakenesserkerk. Des

Riesen Herr Lem Frau hieß Walberech und soll ein

abscheulich großes und starkes Mensch gewesen sein.

Wenn sie von Holland nach England wollte, tat sie

nur einen Schritt. Sie hatte große Pferde und Rinderherden,

die weideten am Ufer der Nordsee, da kam ein

Schiff mit Räubern gefahren, die landeten an und nahmen

das Vieh von der Weide und beluden ihr Schiff

damit, das nicht klein war. Als Walberech kam, nach

ihren Herden zu sehen, waren diese fort, und fern auf

der See schwamm das Schiff, wo die Herden darin

waren. Da trat Walberech in das Wasser, langte hin,

nahm ihre Herde wieder, hing die Ochsen und Kühe

auf die eine Seite, die Pferde auf die andere, und die

Schafe setzte sie auf ihren Kopf, die krochen darauf

herum wie die Schafläuse auf einem Schafkopf. Das

Schiff aber nahm Walberech, hob es hoch und schleuderte

es dann mit Gewalt in das Wasser bis zum

Grunde. Die Räuber fraß Walberech und trank ihr

warmes Blut und ging dann wieder nach Hause.

139. Gangolfs Brunnen

Im Lande Languedoc war ein Graf, Gangolf mit

Namen, der zog gegen die Sarazenen und Vandalen

und kam in Welschland auf ein Blachfeld, wo ein klarer

Brunnen sprang. Dort ließ er sich nieder, und ließ

Gezelte schlagen, und trank mit all seinen Wappnern

aus dem Brunnen, und ließ auch die Tiere tränken. Da

kam des Feldes Eigentümer daher und schalt und

sagte, das sei nicht des Landes Gewohnheit und Sitte,

den Leuten das Gras zu vertreten, und sich ungefragt

niederzulassen, und Menschen und Vieh aus fremden

Brunnen zu tränken. Darauf sprach Gangolf sanftmütig

und freundlich also: Es tut mir leid, mein guter

Herr, daß es geschehen, doch zürnet nicht allzusehr,

wenn es Euch genehm, so kaufe ich Euch den Brunnen

ab. – Das, meinte jener Mann, sei ein Wort, das

sich hören ließe, und lachte in seinem Herzen als ein

Schalk, indem er meinte, den Brunnen möge der

Fremde immerhin kaufen, wenn nur der Platz sein

bliebe, auf dem er quelle. Und heischte des Geldes

nicht allzuviel, und Gangolf zahlte es und hob sich

hinweg mit den Seinen, nachdem er seinen Stab in

den Quell eine Weile gestellt hatte.

Da nun Gangolf wieder in seine Heimat nach der

Grafschaft Burgund kam, stieß er seinen Stab in sei-

nem Hof in den eignen Grund und Boden, da sprang

alsbald ein heller, wasserreicher Quell, und jener

Brunnen, den Gangolf im welschen Lande gekauft,

versiegte auf immerdar.

Diese burgundische Sage würde nicht unter den

deutschen Sagen dieses Buches stehen, wenn sich

nicht von ihr ein auffallender Widerhall, sogar bis auf

den Namen, im östlichen Frankenlande fände.

Am Felsenberge Milseburg im Rhöngebirge

springt der von allem Volke wertgehaltene Gangolfsbrunnen.

Da war ein Heiliger, Gangolf geheißen, der

liebte diesen Berggipfel wegen seiner Einsamkeit und

kam hinab nach Fulda, die uralte Bischofstadt, und

fand bei einem Bürger einen klaren Brunnen, kaufte

den dem Bürger ab, und derselbe meinte wunders, wie

er den frommen Mann überlistet; denn, dachte er, der

Brunnen mag immerhin sein eigen sein, mein bleibt

doch der Platz, wo er quillt. Aber St. Gangolf ließ

sich einen kleinen hölzernen Brunnenkasten machen,

füllte den mit Wasser aus dem Brunnen, trug ihn eigenhändig

auf die Milseburg, stellte dort den Kasten

hin und durchstieß mit seinem Stabe den Boden.

Siehe, da quoll das Wasser fort und fort von unten

herauf in den Kasten, daß dieser überfloß, der Brunnen

des Bürgers drunten in Fulda aber versiegte. Der

Gangolfsbrunnen aber quillt noch unversiegbar fort

bis auf den heutigen Tag, sein Wasser, wohl ver-

stopft, soll sich jahrelang frisch erhalten, auch die

sondere Tugend haben, für Frauen ein Kindleinsbrunnen

werden zu können.

140. Die Isabellenfarbe

Es geschahe, daß die Spanier die Stadt Ostende belagerten,

welches aber die Holländer auf das allerhartnäckigste

verteidigten. Wenn jene auch ein Außenwerk

einnahmen, so warfen die Belagerten alsbald ein

neues Bollwerk auf. Isabella, die Gemahlin des Erzherzogs

Albert von Österreich, eine Infantin von Spanien,

die bei ihrem Gemahl im Lager war und kriegslustigen

Gemütes, tat einen Schwur und sagte: Ich

will nicht eher mein Hemde wechseln, bis daß Ostende

über und von uns genommen ist, und meinte, es

würde eine längste Zeit sein, wenn sie das Hemde

acht Tage ungewechselt auf dem Leibe trüge. Aber so

schnell ging es nicht, die Belagerung dauerte etwas

länger; siebenzigtausend Spanier ließen vor Ostende

das Leben, funfzigtausend Leben kostete die Verteidigung

den Staatengeneralen von Holland. Ostende

wurde darüber fast ein Steinhaufen, und Isabella blieb

ihrem Schwur getreu und trug das Hemde fort und

fort. Als die Belagerung begann (22. Juni 1601), war

 

die Jahreszahl in den Worten enthalten: OstenDe

nobIs paCeM: zeige uns den Frieden – und als sie

endlich endete, nachdem sie nicht weniger als drei

Jahre, zwei Monate und siebenzehn Tage gewährt, da

konnte man das Jahr in den Worten finden: Osten-

DaM paCIs InItIa: ich will euch zeigen des Friedens

Anfang.

Und da nun endlich die Frau Erzherzogin Isabella

ihr so lange getragenes Hemde auszog, so hatte das

ohne die Löcher, die hineingefallen waren, eine sehr

eigentümliche und unentschiedene Farbe, welche äußerst

in Mode kam und nach der Infantin benamt

wurde. Nie hat die Erfindung irgendeiner Farbe auf

der Welt so viel gekostet als die Isabellenfarbe.

141. Doktor Faust und sein Teufel Jost

Auch das Niederland hat seine eigne Sage vom weitberufenen

Doktor Faust. Selbiger war gar ein gelahrter

Mann und hatte seinen Wohnsitz auf dem Schlosse

Waerdenberg bei Bommel. Alldort laborierte und alchimisierte

er, suchte den Stein der Weisen und konnte

ihn nicht finden. Da dachte der Teufel, mit dem

Doktor sei wohl ein Fang zu tun, trat daher zu ihm

und sprach: Ohne mich wird dir nichts glücken, deine

Köcheleien, und was du braust und destillierst, das

alles taugt den Teufel nicht. Nimm mich zum Diener

an, so sollst du haben, was dein Herz begehrt, sieben

Jahre diene ich dir, und dann dienst du mir. Das war

dem Doktor Faust recht, daß ihm der Teufel dienen

wollte, denn er glaubte nicht an eine Ewigkeit und an

eine Strafe drüben, und verschrieb sich dem Teufel

mit seinem Blut. Und wie er das getan hatte, so war

nichts so schön auf der Welt, was Doktor Faust nicht

begehrt hätte; aus Paris mußten die besten Kleider

kommen, aus Amsterdam die besten Leckereien, aus

Harlem die schönsten und teuersten Tulpen, im Sommer

aß Faust Eis und im Winter süße Trauben, das

alles mußte der Teufel, sein Diener, der sich Jost

nannte, herbeischaffen, denn Faust hatte seine größte

Freude daran, den höllischen Knecht gehörig im

Trabe zu erhalten. Wenn Faust von Waerdenberg

nach Bommel fahren wollte, wozu er nicht länger Zeit

brauchte als nach Konstantinopel, als wohin er auch

zum öftern fuhr, so rief er seinen Teufel: Jost! Schlag

eine Brücke über die Schelde, und brich sie hinter mir

ab! Rasch! – Und in einem Augenblicke war die

Brücke da und auch da gewesen. Die Bommeler Straßen

hatten ein vorsündflutliches Pflaster, gerade wie

manche gute Stadt im lieben Thüringer- und im übrigen

Deutschland, da rief Faustus: Jost, pflastere

rasch, pflastere vor den Pferden her, und hinter dem

Wagen räume ab, ich kann die Bommeler nicht leiden

– sie können auch fernerweit im Drecke baden. –

In einem Keller zu Bommel hatten sie prächtiges

Bier aus Tiel, das schmeckte Faustum, und er bezechte

sich, und danach setzte er sich auf das Faß, wie er

dort zu Leipzig in Auerbachs Keller auch getan, und

Jost mußte das Faß samt Faustum aus dem Keller

schroten, während derselbe reitend daraufsaß, das

haben viele Gäste mit angesehen.

Da Faustus wahrnahm, daß der Teufel ihm nichts

zuliebe tat, sondern alles aus grimmem Haß, so ärgerte

er ihn, ließ ihm keinen Augenblick Ruhe, und wenn

der Teufel gedachte, es wäre genug getan, er wollte

nun auch ruhen und ausschnaufen, da war es weit gefehlt,

da säete sein schlimmer Herr einen Scheffel

Korn unter die Dornhecken, dann mußte Jost alles zu-

sammenlesen, da durfte kein Körnlein mangeln, oder

der Doktor schüttete einen Sack Mehl aus dem Fenster,

und Jost hatte es wieder aufzusammeln, daß ja

kein Stäublein fehle. Darüber wurde der arme Teufel

ganz mager, dünn und spinnebeinig, und er hatte es

dicksatt und sprach endlich zu Faust: Höre, mein werter

Doktor! Bei dir kann es kein Teufel aushalten, für

solche Herrschaft dank' ich schön. Ich habe diese vier

Jahre her mehr geschwitzt und gebraten als meine

ganzen Lebetage in der Hölle. Du heizest einem ja

ärger ein als Beelzebub und machst einem so warm,

uff! Ich schenke dir die vier Jahre und deinen Kontrakt,

gib mich frei, du sollst alles umsonst genossen

haben! Aber Faust sagte: Quod non Diabole! Verträge

muß man halten, bist du meiner müde, bin ich

doch nicht deiner müde! Und so mußte der Teufel Jost

dem Doktor Faust noch drei volle Jahre dienen. Als

diese drei Jahre herum waren, wer war da froher als

der Teufel? Er fuhr so recht wie der Teufel auf das

Schloß Waerdenberg, packte Faustum und zerrte ihn

an den Haaren durch ein engvergittertes Fenster des

Schloßturmes, daß das helle Blut ringsherum spritzte.

Das machte Flecken, die nicht wegzuwaschen sind

und immer noch gezeigt werden.

Seltsam ist's, daß die weitumgehende Sage vom

Teufelsbündner Doktor Faust sich gern an Orte nahe

verwandten Klanges heftet, die deutsche Sage läßt ihn

im Lande Württemberg zu Knittlingen geboren werden,

läßt ihn in Wittenberg lehren, in dessen Nähe

enden, und die deutsch-niederländische Sage versetzt

ihn nach Schloß Waerdenberg. Diesem Zusammenhang

mögen die Forscher der Sage weiter nachsinnen,

ob dies mehr als bloßer Zufall sei.

142. Vom Zauberer Agrippa

Der weit berufene Zauberer Henricus Cornelius

Agrippa wohnte zu Löwen, er führte stets einen

schwarzen Hund mit sich, der ihm auf dem Fuße folgte,

wie dem Doktor Faust sein Hund Prästigiar; mochten

wohl beide von einer Art abstammen, und hieß

des Agrippa Hund Paradrius. Dieser weise Meister

der Magie, Agrippa, hatte stets einen Schüler, dem er

die schwarze Kunst lehrte, und der ihm als Famulus

diente. Nun trug sich mit einem dieser Schüler folgendes

zu. Der Meister mußte verreisen, und der Schüler,

den er damals gerade hatte, war noch zu unerfahren,

als daß der Meister ihn hätte in seine Heimlichkeit

blicken lassen können oder wollen. Er gab daher beim

Abschied den Schlüssel zu seinem Studierzimmer der

Hausfrau und befahl ihr bei Leib und Leben, keinen

Menschen in dasselbe einzulassen. Kaum aber war

der Meister hinweg, so bat der Schüler die Frau, ihn

in des Meisters Zimmer zu lassen, denn er war neugierig

und brauchte allerlei Vorwand, und ob auch anfangs

die Frau widerstand, so gab sie endlich doch

nach und ließ den Schüler ein. Da lag das große Zauberbuch

des Meisters auf seinem Pult an einer Kette,

damit es keiner wegtrage. Neugierig trat der Jüngling

hinzu, schlug das Buch auf und begann darinnen zu

lesen, er wußte aber kaum, daß das, was er las, eine

Beschwörungsformel war. Da klopfte es an die Türe.

Jener überhörte das Klopfen und las weiter. Es klopfte

noch einmal, aber jener hörte wieder nicht, er las

immer weiter. Da sprang die Türe auf, und es trat ein

höllischer Geist ein, fürchterlich anzusehen, und fragte:

Was rufst du mich? Was soll ich dir tun? – Der

Schüler bebte, als die übermächtige Erscheinung vor

ihm stand, er vermochte nicht zu sprechen – das Entsetzen

faßte ihn, er konnte auch den Geist nicht wieder

hinwegbannen, zürnend hob der Geist die Hand,

und der Schüler sank entseelt zu Boden. Das alles

sahe in der Ferne der Zauberer Agrippa in seinem

Erdspiegel und eilte flugs nach Hause zurück, rief

einen dienstbaren Geist und gebot ihm, in die Leiche

zu fahren und aus dem Hause zu wandeln, damit es

nicht heiße, als sei bei ihm sein Schüler umgekommen,

dann aber wieder von dem Körper zu weichen.

Diesem Gebot gehorchte der Geist, und der Schüler

wandelte wieder, wie lebend, durch die Straßen. Aber

an einer Ecke fiel er um, denn der Geist hatte ihn wieder

verlassen, und jedermann konnte nicht anders

glauben, als daß ihn erst an dieser Stelle ein jäher Tod

befallen.

Da es mit Henricus Cornelius Agrippa zum Sterben

kam, verfluchte er seinen Hund und rief: Packe dich

hinweg, du, meiner Verdammnis Schuld und Urhe-

ber! – Und nach dem Tode des Meisters ist der Hund

hinweggekommen, niemand wußte wohin. Einige

sagen, er sei in das Wasser gesprungen und seit der

Zeit nicht mehr gesehen worden, andere sagen, Agrippa

habe den Hund vor seinem Ableben an einen

Freund verschenkt, dem dann der Hund, gleich dem

vorigen Herrn, auf eine Zeit habe dienen müssen. Es

hatte jedoch mit solcher Gabe gar ein nachdenkliches

Aber.

143. Der Hund des Jan von Nivelle

Zu Nivelle geschah es, daß Bouchard V., Herr von

Montmorency, das Kloster von Sankt Gertrud besuchte,

dessen Äbtissin gleichsam als die Herrin der Stadt

angesehen wurde, und dessen Fräulein morgens geistliche,

abends aber weltliche Kleidung trugen, auch,

wenn es ihnen gefiel, das Kloster verlassen und heiraten

konnten. Eines dieser Klosterfräulein gefiel dem

Herr von Montmorency über die Maßen wohl, er liebte

es und ward wieder geliebt, doch konnte er es nicht

ehelichen. Die Frucht dieser Liebe war ein Sohn, der

empfing den Namen Jan von Nivelle, und als derselbe

herangewachsen war, schenkte oder kaufte ihm sein

Vater ein kleines Gut mit einem Schlößchen, und der

junge Herr zog abenteuernd in der Welt umher, erkämpfte

manchen Dank und erwarb am Hofe Gottfrieds

des Beherzten auch die Liebe einer schönen

Dame, die ihm willig zu folgen verhieß, als er ihr antrug,

ihm auf sein Schlößchen bei Nivelle zu folgen.

Er setzte seine Angebetete hinter sich auf das Pferd,

sein treuer Hund lief nebenher, und so ritten sie miteinander

eine gute Strecke und wechselten manch

süßes minnigliches Wort. Siehe, da kam ein stattlicher

und schöner Ritter dem Jan von Nivelle entgegen,

der bot ihm nach abenteuernder Ritter Brauch so-

gleich Kampf an und forderte, daß er mit ihm um die

Dame eine Lanze brechen solle, und wer obsiege, dem

solle sie gehören.

Jan von Nivelle war tapfer genug, um keinem

Abenteuer sich zu entziehen, hier aber sprach er:

Weshalb soll ich kämpfen um das, was schon mein

ist? Die Jungfrau wird wohl wissen, wem sie folgen

will, sie allein mag entscheiden, wem sie gehört, nicht

Schwert und Lanze! – Wohlan, edle Jungfrau, so entscheidet

Ihr! sprach mit höhnischem Blick auf Jan

von Nivelle der fremde Ritter, und siehe, die Jungfrau

sprang vom Roß herab und ließ sich von dem Fremden

auf das seine heben, sei es, daß dieser ihr besser

gefiel, sei es, daß sie bereits im Einverständnis mit

ihm war. Jan von Nivelle verlor über diese Treulosigkeit

kein Wort; er grüßte seinen Gegner nach Rittersitte

und ritt mit seinem Hunde weiter, nachdenkend

über des Weibes Art und Launen. Er war aber noch

gar nicht weit geritten, so kam sein Gegner ihm nachgesprengt,

der die Schöne einstweilen seiner harren

ließ, und rief: Meine Herrin hat gar ein großes Wohlgefallen

an Euerem Hunde, edler Ritter! Wolltet Ihr

mir den lassen ohne Gefährde? Außer dem müßten

wir dennoch einen Gang miteinander tun.

Jan von Nivelle blieb auch bei dieser sehr wenig

bescheidenen Forderung ganz ruhig und erwiderte: Ich

habe die Jungfrau nicht gehalten, nach eigener Wahl

zu handeln, ich halte auch meinen Hund nicht; wen

von uns zweien er erwählt, der nehme ihn hin. – Des

war der Ritter sehr erfreut und lockte den Hund und

bot ihm gute Bissen, aber der bleckte die Zähne gegen

ihn und knurrte ihn grimmig an und wäre ihm vielleicht

gleich in das Gesicht gesprungen, wenn sein

Herr ihn nicht abgerufen. Dieser lenkte jetzt ohne

Gruß sein Roß von dannen, der Hund schoß mit freudigem

Bellen an ihm vorbei, und jener Ritter wandte

sich beschämt zu der Jungfrau zurück, die an Treue

der Hund beschämte. Das ist der Sagenstoff zu Bürgers

Gedicht Das Lied von Treue.

Es hat auch noch einen Jan Nivelle den Zweiten gegeben,

der machte Bekanntschaft mit dem Zauberer

Heinrich Cornelius Agrippa, und da dieser einst durch

Nivelle kam, lud er ihn gastlich auf sein Schloß und

bewirtete und herbergte den berühmten Mann allda

 

auf das köstlichste, erzählte ihm die vorstehende Geschichte

und wünschte sich auch einen so treuen

Hund. Zum Danke verehrte Agrippa dem Schloßherrn

einen schwarzen Hund – den haben viele für einen

schlimmen Geist gehalten, und der Hund hatte einen

ganz geheimnisvollen Namen, und niemand kannte

ihn als sein Herr, Jan von Nivelle, allein. Diesen

Hund mochte rufen und anlocken, wer da wollte, er

hörte auf niemand als auf seinen Herrn. Dieser Jan

von Nivelle-Montmorency soll der Großvater des

Grafen Horn gewesen sein, der mit Egmont in Brüssel

zugleich enthauptet wurde. Seine Mutter war Gudula

Vilain von Gent.

144. St. Johannisäpfel

Es war ein heiliger Bischof von Tongern, zubenannt

das Lamm, der war vorher ein Ackersmann gewesen,

der seiner Pflicht lebte und fromme Werke übte. Eines

Tages zog Johann seine Furchen auf dem Acker, da

stand ein Mann in Pilgertracht vor ihm, von überirdischem

Ansehen, und sprach: Gott grüße dich, Bischof

von Tongern!

Wen grüßet Ihr also? fragte Johann, indem er sich

rings umsah. Dich! antwortete der Pilger, den der

Herr ob deiner Frömmigkeit erkor zum heiligen

Amte. – Solches glaube ich nimmermehr! Hebe dich

weg, Versucher! rief Johann aus, so wahr das trockne

Holz deines Stabes grünet und Früchte trägt, so wahr

werde ich Bischof von Tongern. – Schaue und glaube

dann! rief der Pilgrim, stieß seinen Stab in den frischgepflügten

Ackerboden, und alsbald bedeckte sich

derselbe mit junger Rinde, trieb Sprossen und Zweige,

die setzten Blüten an, und die Blüten wurden

schöne Äpfel.

Alles ging in Erfüllung, der Baum blieb stehen,

und seine lieblichen Äpfel wurden durch Schößlinge

weit im Lande verbreitet und heißen St. Johannisäpfel

bis auf den heutigen Tag. Noch weiter verbreitet sind

die Sagen von grünenden Stäben, die meist zu Wun-

derbäumen erwuchsen, wie in Thüringen jener Wunderbaum

zu Varila, den Bonifazius aufpflanzte, des

Papstes Urban Stab in der Sage vom Ritter Tannhäuser

und manche andere mehr.

145. So viel Kinder als Tage im Jahre

Eine Stunde von Gravenhage liegt ein Dorf, das heißt

Losduinen (sprich Losdeunen), da hat ehemals ein

Kloster gestanden; die Sage geht alldort, daß dieses

Kloster wegen ruchlosen Lebens seiner Bewohner in

einer Nacht versunken sei, und daß an einer gewissen

Stelle, die aber nicht jeder findet, ein Sausen und

Brausen in der Tiefe gehört werden könne. Nur die

Kirche blieb erhalten, sie liegt außerhalb des Dorfes,

östlich, und es werden in derselben zwei kupferne

Taufbecken gezeigt, an die sich folgende Geschichtssage

anknüpft.

Graf Floris IV. von Holland hatte von seiner Gemahlin

Mechthild eine Tochter, des Namens Margaretha,

und vermählte diese mit Hermann I. Grafen von

Henneberg, den die Alten als einen freudigen und

mannhaften Helden priesen. Margaretha gebar ihrem

Gemahl einen Sohn, Poppo, und eine Tochter, Jutta,

welche letztere sich noch bei der Mutter Leben, mit

dem Markgrafen Otto dem Langen zu Brandenburg,

vermählte. Auch die Mutter hatte sehr jung geheiratet

und reiste in ihrem zweiundvierzigsten Jahre nach

dem Haag, ihrem Heimatlande. Da habe nun diese

Gräfin ein armes Frauchen erblickt, das auf jedem

Arm ein Kindlein trug und sie anbettelte, und die Kin-

der wären Zwillinge gewesen. Habe die Gräfin gezweifelt,

daß eine Frau von einem Manne mehr denn

ein Kind auf einmal empfangen könne, der Armen die

Gabe geweigert, ja sie verhöhnt und geschmäht. Darüber

ward die arme Frau kläglich weinend, hob ihre

Augen gen Himmel und rief: O Herr und Gott, der du

bist aller Dinge im Himmel und auf Erden mächtig,

ich bitte dich demütiglich, daß du wollest dieser Gräfin

so viele Kinder auf einmal in ihren Schoß bescheren,

als Tage im Jahre sind. Und sei weinend hinweggegangen.

Und am selben Tage fühlte die Gräfin sich gesegneten

Leibes und nahm von Stund an zu und wurde so

stark und so schwer, daß kein Mensch alle sein Lebtage

dergleichen gesehen hatte. Nun hatte ihr Vater

ein Haus in Losduinen, da blieb sie wohnen, denn sie

vermochte nicht nach ihrer neuen Heimat in das Land

Henneberg zu reisen, und am Charfreitag, als man

schrieb eintausendzweihundertundsechsundsiebenzig,

da gebar sie dreihundertundfünfundsechzig Kinder,

Knäblein und Mägdlein durcheinander, alle ganz ausgebildet

an allen Gliedern. Die taufte am andern Tage

der Bischof Otto von Utrecht, ein Ohm der Frau, in

den zwei Becken (nicht in einem, wie viele sagten und

schrieben), die noch heute in Losduinen zu sehen

sind, und nannte die Knäblein Johannes und die

Mägdlein Elisabeth. Sie starben aber alle bald darauf

an ihrem Tauftage, am Vorabend des heiligen Osterfestes,

und die Mutter desgleichen, und wurden miteinander

in der Klosterkirche begraben. Hernachmals ist

diese Geschichte in mancherlei Denkversen in deutscher,

lateinischer und holländischer Sprache auf eine

Holztafel innerhalb der Kirche zu Losduinen verewigt

worden, welche vormals links neben der Kanzel hing,

ein Grabstein aber, dessen in vielen Schriften gedacht

wird, welche diese Sage mitteilen, ist allda nicht vorhanden.

Zum Andenken an jene Wundergeburt wurde

an das Ufer der Maas eine Burg gebaut, welche so

viele Fenster zählte, als das Jahr Tage hat, und es

steht auch noch am Eingange des Dorfes Losduinen,

wenn man vom Haag herkommt, fast vereinzelt ein

großes Haus, das trägt über der Türe die Inschrift: IN

DEN HENNENBERG. – Den beiden Taufbecken legt

das Volk eine wunderbare Kraft noch heute bei und

hält sie in hohen Ehren. Unfruchtbare Frauen werfen

stillschweigend nach und nach eine Handvoll Sand an

die Becken, damit entlocken sie der Mutter Natur den

erwünschten Segen. –

Zu Delft in der schönen Hippolytikirche ist auf

einer Tafel diese Geschichte geschildert, und in der

Abtei zu Egmont soll ein Grabmal der Gräfin Margaretha

befindlich sein.

146. Der ewige Jäger

Die alten Grafen von Flandern hatten ein Schloß, des

Namens Wynendael, in dessen Nähe wohnte ein frommer

Bauersmann, der hatte nur einen einzigen Sohn,

aber der war nicht fromm und fleißig wie sein alter

Vater, sondern mit Leib und Seele der Jagd ergeben,

so daß er gar wenig daheim blieb oder seines Ackers

wartete, sondern immer nur in den Wäldern herumstreifte,

und da half kein Bitten und kein Drohen bei

dem schlimmen Buben. Nun kam der Alte zum Sterben

und fühlte sein nahes Ende und wollte vom Sohne

Abschied nehmen und ihm noch eine Ermahnung zurücklassen,

ließ daher denselben bitten, zu ihm zu

kommen, aber der Sohn blieb draußen, obgleich er

des Vaters nach ihm verlangende Worte vernahm,

nahm sein Jagdgewehr, pfiff seinen Hunden und ging

hinweg in den Wald. Darüber ergrimmte der sterbende

Alte und hob die Hände empor in Verzweiflung

und verfluchte den Sohn mit den Worten: So jage,

jage, jage in alle Ewigkeit – in alle Ewigkeit – und

sank zurück und war tot. Und seit dem Tage kam der

Verfluchte nie mehr nach Hause, in den Wäldern

hörte man ihn schreien: Jakko! Jakko! Jakko!, als

Raubvogel hörte man ihn kreischen, als Hund bellen,

und so muß er es forttreiben bis zum Jüngsten Tage,

wo nicht noch länger. Erst als um Wynendael allmählich

die Wälder ausgerottet wurden, verlor sich aus

dortiger Gegend der Spuk des ewigen Jägers und zog

sich höher hinauf, wo es noch Wälder gab.

147. Tückebold Kludde

In ganz Flandern und Brabant glaubt das Volk an das

Dasein eines bösen Geistes und nennt ihn Kludde,

aber auch Kleure. Er spukt überall und in allen Gestalten,

häufig zeigt er sich dem Mahr verwandt, erscheint

als altes mageres Pferd mit durchscheinenden

Rippen und struppiger Mähne, mischt sich unter die

des Nachts im Freien weidenden Rosse, und wenn

einer der Hüter meint, er besteige einen der besten

Hengste, um einen Ritt zu machen, so ist's der Geist

Kludde in Pferdegestalt, der mit ihm wild davonrennt,

als jage ihn der helle Teufel, bis er an ein Wasser

kommt, wo er den verzagenden Reiter hineinwirft.

Dann fängt der Geist Kludde an zu lachen, daß sich

entsetzt, wer dies Gelächter hört, und legt sich auf den

Bauch und wälzt sich vor Lachen, während sein Reiter

aus dem Wasser- oder Schlammbade sich angstvoll

herausarbeitet.

Manchesmal flackern vor dem Kludde zwei blaue

Flämmchen her, die nennen die Bauern und die Pferdeknechte

Stalllichter und halten dafür, daß die

Flämmchen des Geistes Augen seien. Kludde kann

sich zum Baum machen, klein wie ein Schlehenstrauch

und bis hoch in die Wolken wachsen; Kludde

kann dich als Schlange umringeln und als Hornisse

umsumsen, er schreckt dich als Fledermaus oder als

Kröte, er kann Katze sein und Maus, Frosch und

Ochse. Man hört ihn auch rufen, und sein Ruf lautet

Kludde! Kludde! So ruft er seinen Namen, wie der

Vogel Kuckuck, der verrufene Gauch. Er neckt und

plagt zu Lande wie zu Wasser; am Seegestade ist er

Neck, auf dem platten Lande Schreck, ein greulicher

Spuk, selbst Werwolf. Geist Kludde soll der Geist

eines Mannes sein, der mit dem Teufel ein Bündnis

hatte, und zu ruhelosem Wandeln auf Erden und Plagen

der Menschen verurteilt sein.

Einstens ging ein Mädchen mit ihrem Geliebten

und einem Freunde desselben über Land, und waren

in guten Gesprächen, da rief der Liebhaber mit einem

Male: Schaut dorthin! Was sehe ich dort? – Die andern

sahen nichts. – Was siehst du denn? – Kludde

ist's! Jetzt springt er als Hund! Seht, er streckt sich –

jetzt ist er ein Schaf – jetzt eine Katze – nein – da ist

er ein Baum geworden. – Die andern konnten nichts

von alledem erblicken. – Sag's, wenn du ihn wieder

siehst! rief der Begleiter, ich will auf ihn zugehen. –

Da läuft er ja vor uns her! – Jener sah nichts, und sie

wandten sich, nach Hause zu gehen.

Vor dem Hause lag eine Steinplatte etwas lose,

unter die man den Hausschlüssel zu legen pflegte.

Und da rief der Liebhaber wieder: Seht! Seht ihr ihn

nicht? Er sitzt ja auf der Platte, da kann ich nicht zum

Schlüssel! Komm, Mieken, wir wollen dich erst nach

Hause geleiten, du ängstigst dich. – Als die Freunde

wiederkamen, sah der Liebhaber immer noch den

Geist auf der Platte hocken, und der andere sah nichts.