Mysterium fidei

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a) Der Mensch – eine erinnerungsbestimmte Existenz

An der existentiellen Frage »Wer bin ich?« kann ich ablesen, daß mir meine Existenz fraglich ist. Ich muß meine Geschichte abschreiten und herausfinden, wie ich zu dem geworden bin, der ich heute bin. Ich muß die Menschen um mich herum, die mein Leben kennen, bitten, ob sie mir sagen können, wie und wer ich einmal war und wie ich zu dem wurde, der ich nun heute bin.

Dieses Gedächtnis ist keineswegs ein von anderen Menschen isoliertes Nachgrübeln, sondern eine gemeinschaftliche Aufgabe. Wer ich bin, können mir immer nur die anderen sagen. Die existentielle Frage nach meinem Woher ist eine Frage, die sich auch andere stellen, die zu mir gehören oder zu denen ich gehöre. Die existentielle Frage nach dem »Wer bin ich?« fragt ja einschlußweise auch danach, wer zu mir gehört und zu wem ich gehöre. Alle wollen wir voneinander wissen, wer wir sind, welche Gemeinsamkeiten wir haben und zu welcher Zukunft jeder von uns und wir alle zusammen berufen sind.

Aus dem Interesse, welche gemeinsame Zukunft wir haben, d.h. wer wir in Zukunft sein werden, lernen wir, daß unser Fragen nach uns selbst nicht nur nach rückwärts gewandt ist, sondern sich auch nach vorwärts richtet in die Zukunft. Und wieder ruft jeder von uns dem anderen zu: Wer kann mir sagen, wer ich sein werde: morgen, übermorgen, in alle Ewigkeit.

Bei diesen Fragen dulden wir keinen Aufschub der Antwort. Denn heute müssen wir leben, heute müssen wir wissen, wer wir sind, weil wir heute die sein müssen, die wir tatsächlich sind. Heute quält uns oft Belastendes der Vergangenheit und belastet uns Hoffnungslosigkeit der Zukunft.

Kurzum, der Mensch zeigt in der existentiellen Frage »Wer bin ich«, mit der er sich gedenkend und suchend in die Vergangenheit und Zukunft wendet, um seine Gegenwart zu bewältigen, seine anamnetische, zu deutsch: gedächtnisorientierte Existenz.

b) Die Eucharistiefeier und die eucharistischen Gaben sind von anamnetischer Wirklichkeit
(1) Die Eucharistiefeier als Anamnese

Schon auf den ersten Blick zeigt die Eucharistiefeier ihren Gedächtnischarakter. Die eucharistischen Hochgebete zeigen es in ihrem Blick zurück und voraus. Menschen schreiten im Gedenken ihre gemeinsame Geschichte ab, fragen nach ihrer Zukunft, um zu wissen, wer sie sind: von Gott in Christus und im Heiligen Geist von Anfang an und bis in alle Ewigkeit angenommene und in ihrer Geschichte begleitete Personen, die in dieser Geschichte mit Christus eine Gemeinschaft bilden. Wer in diese Gemeinschaft eintritt, der feiert seine existentielle Frage »Wer bin ich«, in dem er dem einen Gott in drei Personen begegnet. Dieser dreifaltige Gott hat eine Geschichte mit den Menschen. Es ist eine Geschichte von Schöpfung in Liebe, von Rettung aus eigener und fremder Not. In der eucharistischen Gedächtnisfeier gedenken die Menschen, die sich Kirche nennen, des Heilswerkes, das der himmlische Vater als Heilswerk zur Rettung der Menschen durch Menschwerdung, Leben, Leiden und Auferstehen seines Sohnes in der Kraft des Heiligen Geistes wirkte. Das Gedenken der Eucharistiefeier steigt bei all unserem Zurück und Voraus mit Jesus zugleich auf zum himmlischen Vater: »So sehr hast du die Welt geliebt, heiliger Vater, daß du deinen eingeborenen Sohn als Retter gesandt hast, nachdem die Fülle der Zeiten gekommen war. Er ist Mensch geworden durch den Heiligen Geist, geboren aus der Jungfrau Maria. Er hat wie wir als Mensch gelebt, in allem uns gleich außer der Sünde. Den Armen verkündete er die Botschaft vom Heil, den Gefangenen Freiheit, den Trauernden Freude. Um deinen Ratschluß zu erfüllen, hat er sich dem Tod überliefert, durch seine Auferstehung den Tod bezwungen und das Leben neu geschaffen« (IV. Hochgebet).

In diesem Gedenken an Jesus gedenkt die Kirche ihrer Stiftung in Gottes Ratschluß, seinen Sohn zur Sammlung aller Menschen ins Fleisch zu senden: »Denn durch deinen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, und in der Kraft des Heiligen Geistes erfüllst du die ganze Schöpfung mit Leben und Gnade. Bis ans Ende der Zeiten versammelst du dir ein Volk, damit deinem Namen das reine Opfer dargebracht werde vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang« (III. Hochgebet).

In diesem Gedenken der Kirche an ihre eigene Stiftung durch den dreifaltigen Gott, im feierlichen Erwähnen der in Christus erfolgten Konzentration der Heilsgeschichte gedenkt der himmlische Vater auch unser. Er beantwortet unsere und auch meine existentelle Frage »Wer bin ich?«: »Als du (der Mensch) im Ungehorsam deine Freundschaft mit mir, deinem Gott, verlorst und der Macht des Todes verfielst, habe ich, dein Gott, dich dennoch nicht verlassen, sondern voll Erbarmen allen und besonders auch dir geholfen, mich zu suchen und zu finden. Immer wieder habe ich den Menschen und dir meinen Bund angeboten und sie und auch dich durch die Propheten gelehrt, das Heil zu erwarten. So sehr habe ich, euer und dein heiliger Vater, die Welt geliebt, daß ich meinen eingeborenen Sohn als Retter zu dir gesandt habe« (IV. Hochgebet). Im Gedächtnisvollzug der Eucharistiefeier sagt der uns hörende und an uns denkende Gott uns selbst, wer wir sind: Wir alle sind, weil wir in seiner Liebe geworden sind. In seiner Liebe haben wir Bestand und sind in Christus gerettet.

Ein Mensch, der dieser Liebe innegeworden ist und erfahren hat, wer er von Gott her ist, kann dann zusammen mit denen, die Eucharistie feiern, den himmlischen Vater lobpreisen: »Ich preise dich, Vater im Himmel, denn so sehr hast du mich und meine Welt geliebt, heiliger Vater, daß du mir und denen, die zu mir gehören, deinen eingeborenen Sohn als Retter gesandt hast, nachdem die Fülle der Zeiten gekommen war. Er ist Mensch wie ich geworden für mich durch den Heiligen Geist, geboren aus der Jungfrau Maria. Er hat wie wir und ich als Mensch gelebt, in allem uns und mir gleich außer der Sünde. Mir Armen verkündete er die Botschaft vom Heil, mir, dem Gefangenen, Freiheit, mir und den Meinen, uns, den Trauernden, Freude. Um deinen Ratschluß zu erfüllen, hat er sich für mich dem Tod überliefert, durch seine Auferstehung meinen Tod bezwungen und mein Leben neu geschaffen.«

(2) Die eucharistisch-anamnetischen Gestalten

Anamnese ist Gedächnis, Erinnerung. Das deutsche Wort »erinnern« läßt ein »Verinnerlichen« mitschwingen. Die Mahlgaben werden in der von uns beschriebenen Gedächtnisfeier gedeutet. Sie machen in sich gegenwärtig, was die eucharistische Feier in ihren Lobpreisungen singt. In die Gaben wird verinnerlicht das fragend-existentielle Gedächtnis der feiernden Menschen: ihre Unheilsgeschichte, die in Jesus Christus als dem Gott in der Geschichte zur Heilsgeschichte gewandelt wurde. Die Gaben von Brot und Wein der Eucharistiefeier sind vor der Konsekration auch, wenn auch nicht nur, unheilsgeschichtlich orientierte Gedächtniszeichen und reichen vor das Abendmahl Jesu zurück. In der alttestamentlichen Passaliturgie sind sie Zeichen der Unheilssituation des alttestamentlichen Volkes in Ägypten, aber auch Zeichen der Befreiung. Im Abendmahl Jesu sind sie Zeichen der der Gemeinschaft der Jünger drohenden Christusferne und Gottesverlassenheit. Es ist ein Abschiedsmahl, das Jesus feiert. Unserer Eucharistiefeier deutet noch vor aller Wandlung Brot und Wein als Ausdruck der Situation des heutigen Menschen mit seiner Frage, wer er sei, gerade angesichts der menschlichen Mühsal, Gebrechlichkeit, Leid- und Todverfallenheit. Die Eucharistiefeier, in der die Menschen ihrer Unheilsgeschichte ebenso gedenken wie ihrer Heilsgeschichte, deuten das Brot als Brot der Mühsal, ihrer Lebenswüste, ihres Hungers, ihrer knechtlichen Arbeit und aller existentiellen Notsituationen, den Wein als Zeichen dafür, wie sehr das Leben sie belastet und durch die Kelter preßt, oft bis aufs Blut.

Wenn nun die Kirche die mit solch existentiellen Fragen gedeuteten Zeichen wandelt zum Leib und Blut Christi, dann werden diese Gaben Zeichen dafür, daß Jesus selbst mit diesen Gaben auch unsere Sinnsuche und unsere Unheilsgeschichte, aber auch alle Freude annimmt und sich darin als Retter erweist. Jesus zeigt sich so als der neue Mose, durch den Gott die Menschen in der Wüste dieser Welt mit dem Brot von Himmel speist, der den Orientierungslosen und Herumirrenden gleich dem Durchzug durch die Wüste sich selbst als Evangelium des Neuen Bundes gibt. Wenn Christus im Brot anwesend ist, wenn das Brot sein Leib ist, dann sagt uns das, daß wir Menschen in unseren Unheilssituationen von Christus bleibend angenommen sind. Das eucharistische Brot wird zum Zeichen dafür, daß es in Christus eine heile Zukunft gibt. In und mit dem eucharistischen Brot beantwortet Gott unsere existentielle Frage »Wer bin ich?«: Du bist der, den ich in Liebe eine Ewigkeit lang ernähren und am Leben erhalten werde. Dein Leben ist das gleiche Leben, das meinem gestorbenen und auferstandenen Sohn zukommt.

Auch der Wein erhält in der Eucharistiefeier neben der Deutung des geknechteten Israels das Zeichen der Trennung Jesu von seinen Jüngern – Christus wird mit ihnen erst wieder trinken, wenn er in seinem Reiche ist. Für die Menschen unserer Tage bietet die Eucharistiefeier den Wein Gott an als Zeichen unserer heutigen menschlichen Existenz, unserer Christusvergessenheit und so Christusverlassenheit, säkularer Gottferne und Gottlosigkeit. Aber dann, wenn der himmlische Vater den Wein als das Gedächtnissymbol seines Sohnes angenommen hat und im Heiligen Geist zu dem gemacht hat, an was er erinnert, dann ist dieser Wein das Blut Christi. Es ist jene Wirklichkeit, die unsere Leiden zum Sieg führt. Zugleich ist der konsekrierte Wein Verheißung und beginnende Wirklichkeit auch unserer Auferstehung und unseres Trinkens im Reiche seines Vaters.

 

Damit beantwortet der himmlische Vater im Blut seines Sohnes die existentielle Frage des Menschen: »Wer bin ich?«: »Du bist jener, der mit und in Christus bei mir eine Zukunft hat, in der du eine Ewigkeit nicht mehr bluten wirst.«

2. Epikletische, von Bitten (und Dank) bestimmte Existenz des Menschen und Eucharistie oder die Frage: »Wer liebt mich?«
a) Der Mensch – eine epikletische Existenz

Die zweite, den Menschen bestimmende existentelle Frage lautet: »Wer liebt mich?« Diese Frage ist mit der ersten eng verbunden. Denn auch hier muß ich meine Gegenwart und Geschichte abschreiten, um zu entdecken, wer mich liebt. Auch muß ich in die Zukunft schauen, ob dort jemand sei, der mir Leben ermöglicht. Aber diese Frage ist noch schwieriger zu beantworten als die erste. Wir erfahren nämlich, daß wir die Liebe uns gegenüber nicht erzwingen können. Denn erzwingen wir uns die Liebe des anderen, dann ist sie keine Liebe mehr. Wir lernen: Liebe ist wesentlich Ausdruck echter Freiheit und nicht jener falschen Freiheit, die wie ein Schmetterling von einer Blüte zur anderen flattert und sich nicht bindet. Der ist ein echt Liebender, der sich in seiner Freiheit an einen anderen Menschen bindet, ihn aber in dieser Selbstbindung zugleich freigibt. Zwischen zwei Partnern ist Liebe die in Treue zueinander gebundene Freiheit, wobei die wechselseitige Treue darin besteht, die Freiheit des anderen nicht aufzuheben, sondern zu fördern. Liebe ist deshalb nicht zu erzwingen, weil Freiheit nicht zu erzwingen ist. Der eine Partner kann den anderen um seine Liebe nur bitten oder für die gewährte Liebe danken. Weil wahre Liebe wirklich frei ist, ist sie auch unbestechlich. Nur die Bitte mit leeren Händen und der Dank ohne Rückzahlung wird der Freiheit eines anderen Partners gerecht. Und damit ändert sich die Frage »Wer liebt mich?« in die Bitte der leeren Hände: »Liebe mich selbstlos; liebe mich allein um meiner selbst willen! Laß mich in deiner selbstlosen Liebe so werden, wie ich werden werde: d.h. laß mir meine eigene Zukunft; laß mich so geworden sein, wie ich ward: d.h. laß mir meine eigene Geschichte und laß mich so sein, wie ich bin: d.h. laß mir meine eigene Gegenwart!« Ich muß hier nicht aufzählen, wie viele Irrtümer über Freiheit, Treue und Liebe es gibt.

b) Die Eucharistiefeier und die eucharistischen Gaben sind von epikletischer Wirklichkeit
(1) Die Eucharistiefeier als epikletische Wirklichkeit

Auch die Kirche, soweit sie aus Menschen besteht, steht mit leeren Händen vor der Freiheit Gottes. Sie kann ihm nur in Bitte und Dank begegnen. Sie wird damit, wie wir gesehen haben, einer Grundwirklichkeit menschlicher Existenz gerecht. Der Mensch lebt nicht aus sich, sondern immer von einem anderen her, letztlich von einem, der größer ist als er, der umfassender weiß, wer der Mensch ist und der die selbstlose Liebe ist, weil er nichts braucht. In der Meßfeier bekennt der Mensch, daß er nur dann frei ist, wenn er nicht mehr sich selber und seinem Egoismus leben muß, sondern von einem anderen her auf einen anderen hin: »Damit wir nicht mehr uns selber leben, sondern ihm, der für uns gestorben und auferstanden ist, hat er von dir, Vater, als erste Gabe für alle, die glauben, den Heiligen Geist gesandt, der das Werk deines Sohnes auf Erden weiterführt und alle Heiligung vollendet« (IV. Hochgebet). Im Blick auf diese Heiligung betet die eucharistische Liturgie um den Heiligen Geist in doppelter Weise: Einmal in der sogenannten Wandlungsepiklese über den Gaben: »Ja, du bist heilig, großer Gott, du bist der Quell aller Heiligkeit. Darum bitten wir dich: Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit sie uns werden Leib und Blut deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus« (II. Hochgebet). Zum anderen in der sogenannten Kommunionepiklese nach dem Einsetzungsbericht: »Wir bitten dich: schenke uns Anteil an Christi Leib und Blut und laß uns eins werden durch den Heiligen Geist« (II. Hochgebet). Die Kommunionepiklese kann auch anders lauten, hat aber das gleiche Anliegen: »Stärke uns durch den Leib und das Blut deines Sohnes und erfülle uns mit seinem Heiligen Geist, damit wir ein Leib und ein Geist werden in Christus« (III. Hochgebet). Der Heilige Geist ist es also, der unsere leeren Hände und Herzen füllt mit Jesus, der die selbstlose Liebe des Vaters an die Menschen gelebt hat und ist. In unserem Bitten um die selbstlose Liebe Gottes wird dieser Christus im Heiligen Geist in der Feier aktuell und in den Gaben sakramental gegenwärtig. Nach dieser Erfahrung dreht sich unsere existentielle Frage »Wer liebt mich?« um in den lobpreisenden Dank an Gott, der in Christi Leben seine selbstlose Liebe zu uns bis zum Kreuz bewiesen hat. Die selbstlose Liebe des Vaters hat auf den Sohn verzichtet, um in ihm alle Menschen anzunehmen. Der Sohn hat auf seine Herrlichkeit beim Vater verzichtet, wird Mensch und stirbt als die Menschen Liebender ungeliebt, um seine Selbstlosigkeit uns zu zeigen. Und der Heilige Geist zeigt seine Selbstlosigkeit, indem er uns nicht besetzt wie böse Geister den Menschen besetzen; der Heilige Geist macht unsere Hände leer und rein, damit wir für die uns geschenkte Liebe Jesu bereitet sind und sie nicht selbst korrumpieren und zerstören. Die Eucharistiefeier ist Feier einer Wandlung: die Unfähigkeit des Menschen zur Liebe wird durch die selbstlose Liebe Gottes in Selbstlosigkeit, d. h. in selbstlose Freiheit und so in Liebesfähigkeit des Menschen gewandelt.

(2) Die eucharistisch-epikletischen Gaben

Die Gaben von Brot und Wein stellen in der Eucharistiefeier nach der Gabenbereitung, aber auch vor und nach der Wandlung in den Leib und in das Blut Christi, die Not des Menschen dar, der seine existentielle Frage »Wer liebt mich?« zu beantworten sucht. Brot und Wein sind Ausdruck und Gestalt der ständigen Bitte des Menschen an Gott, den Vater, er möge ihm seinen Sohn, die selbstlose Liebe, senden. »Daher bitten wir dich, sende deinen Geist, damit diese Gaben werden zum Leib und Blut Christi.« Wenn die Gaben Leib und Blut Christi sind, dann sind sie zum Symbol der aus Freiheit und Liebe entspringenden Treue Gottes zum Menschen geworden und sagen den Menschen: Gott ist es, der dich in Christus selbstlos, d.h. um deines Heiles willen liebt. Wir sind die Gestalten deiner erhörten Bitten.

3. Die vom Verlangen nach Gemeinschaft bestimmte Existenz des Menschen und die Eucharistie als »Communio« oder die Frage: »Wer macht mich frei, auch von meinem Befreier?«
a) Der Mensch – eine gemeinschaftliche Existenz

Wiederum kann uns eine der entscheidenden existentiellen Fragen, die mit den anderen existentiellen Fragen verbunden ist, zur Eucharistie hinführen. Die existentelle Frage nach Liebe macht dem Menschen klar, daß Liebe und Gemeinschaft zusammengehören. Die Eucharistie feiert Gottes Liebe in Jesus Christus zu uns und ist Ausdruck der durch die Liebe Gottes und seine Nähe entstandenen Gemeinschaft unter uns Menschen und mit ihm. Die Frage nach der Liebe ist immer auch die nach der Gemeinschaft, denn die Liebe will dem Geliebten Raum und Nähe geben. Aber da zur Liebe die Freiheit gehört, entsteht für den Menschen das existentielle Problem, wie Freiheit, die ja zur Liebe gehört, und Gemeinschaft, die auch zur Liebe gehört, zusammengehen. Daher ist in der existentiellen Bitte um Liebe und so um Nähe und Gemeinschaft immer auch schon die andere, noch tiefere Frage zu hören: »Wer macht mich frei?« Die Frage nach der Freiheit in einer Gemeinschaft stellt die Frage nach der Treue und Echtheit der Liebe in dieser Gemeinschaft. Falsche Liebe versklavt den Geliebten, macht ihn zum Objekt, zu ihrem Affen oder Maskottchen. Echte Liebe versklavt den Geliebten nicht, sondern gibt ihn, weil sie ihn um seiner selbst willen liebt, frei und hilft ihm so in seinem Personsein. In der Freigabe bindet sich der Liebende seinerseits in Treue an die Freiheit des Geliebten.

Im Idealfall ist es so; nicht immer. Es kann durchaus sein, daß jemand ehrlich meint, den Partner selbstlos zu lieben, aber aus Unachtsamkeit, Dummheit oder Infantilität ihn dennoch in seine Vorstellungskategorien einordnen will und so versklavt. Und hier wird der versklavte Partner die existentielle Frage stellen, stumm oder laut: »Wer macht mich frei von meinem Befreier?«

Wie gesagt: Es gibt ein richtiges und ein falsches Verständnis von Liebe. Richtige Liebe ist selbstlos, durch keine Nebenabsichten besetzt; sie manipuliert nicht und liebt den anderen um seiner selbst willen. Liebe läßt den Geliebten frei. Falsche Liebe ist nicht selbstlos, sondern egoistisch, daher wählerisch, und weil wählerisch, nie ohne Nebenabsichten. Falsche Liebe flattert wie ein Schmetterling von einer Blume zur anderen. Sie will nicht die Blume, sondern den Nektar. Die Liebe ist nur dann echt, wenn sie frei ist und frei gibt. Wie oft erfährt nun der Mensch, daß ihm heuchlerische Liebe die Freiheit verspricht, ihn jedoch in Wirklichkeit versklavt. Dann wird der von falscher Liebe Besetzte sagen: Wer befreit mich von meinem Befreier? So ist die existentielle Frage nach der Liebe die nach der Freiheit, und die nach der Freiheit zugleich die nach der Freiheit vom Befreier.

b) Die Eucharistiefeier und die eucharistischen Gaben sind von gemeinschaftlicher Wirklichkeit
(1) Die Eucharistiefeier als gemeinschaftliche Wirklichkeit: Fest

Die Eucharistiefeier ist ein Fest, zu dem alle Menschen geladen sind, die auf den dreifaltigen Gott getauft sind und Kirche sein wollen. In dieser Feier präsent sind nicht nur die Menschen in ihren vielschichtigen Lebenswelten, Funktionen und Verantwortungen. In dieser Feier ist auch gegenwärtig der dreifaltige Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der Heilige Geist will in Christus aus allen Menschen eine Gemeinschaft machen, damit alle eins sind in einer Einheit, wie Christus sie erbeten hatte: »Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich« (Joh 17,21–23).

Es ist also ein Fest der Einheit, die aus der selbstlosen Liebe entspringt, wie sie im himmlischen Vater und in Christus ist und wie sie der Geist allen mitteilt. Vater und Sohn geben im Heiligen Geist den Menschen Raum, Lebensraum, Zukunft, und die Menschen geben im Heiligen Geist dem Vater und dem Sohn in sich Lebensraum. Dieses Fest der Einheit und des gegenseitigen Gewährens von Lebensraum ist Fest der Erinnerung an das Unheil, das die Menschen an sich tragen, und zugleich an das Heil, das Christus mit seinem Kreuz in diese Unheilsgeschichte eingestiftet hat. Es ist ein Fest, das der Freiheit und der Befreiung der Menschen von Schuld, Versklavung, Tod und Einsamkeit durch den dreifaltigen Gott gedenkt. Und alle denken daran, die Menschen gehen die Geschichte von Heil und Unheil ab; und in ihrem Gedenken gedenkt der dreifaltige Gott seiner Heilstaten. Es ist ein Gedächtnis, eine Feier, eine Gemeinschaft.

In dieser festlich feiernden Gemeinschaft beantwortet der dreifaltige Gott die existentielle Frage des Menschen nach Freiheit: »Wer macht mich frei?«. Der dreifaltige Gott befreit zunächst den in sich und mit sich selbst besetzten Menschen: »Damit wir nicht mehr uns selber leben, sondern ihm, der für uns gestorben und auferstanden ist, hat er von dir, Vater, als erste Gabe für alle, die glauben, den Heiligen Geist gesandt, der das Werk deines Sohnes auf Erden weiterführt und alle Heiligung vollendet« (IV. Hochgebet). Der himmlische Vater befreit in der Meßfeier im Heiligen Geist den Menschen von seiner selbstverschuldeten Unfreiheit, die dem Bußgericht unterworfen werden muß. Was den Menschen an seine Vergangenheit bindet, ihm keinen Lebensraum, keinen Atem und keine Zukunft läßt, verbrennt der selbstlose Gott in seiner Liebe. Das Fest hat für alle, für den dreifaltigen Gott und für die Menschen, einen einzigen Grund: die selbstlose Liebe. Der himmlische Vater beweist seine Selbstlosigkeit gegenüber den Menschen, daß er seinen Sohn gesandt hat in ihre gottlose Finsternis (Joh 1). Der Sohn beweist seine Selbstlosigkeit, daß er trotz der Ablehnung (Tod) durch die Menschen bei uns bleibt (Gegenwart nach der Auferstehung). Der Geist beweist seine selbstlose Liebe, insofern er im Verweis auf unsere leeren Hände beim Vater für uns eintritt.

 

In einer solchen Feier, in der die Liebe des dreifaltigen Gottes und die Befreiung des Menschen durch den Tod Jesu der festliche Grund sind, verstummt die andere Frage: »Wer macht mich frei von meinem Befreier?« Gott liebt absichtslos und grundlos und gewissermaßen ohne Ansehen der Person.

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