Mysterium fidei

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2. Patristische und dogmengeschichtliche Forschung

Damit stehen wir bei der Frage, ob die patristische Forschung eine formale Struktur bzw. eine theologische Sinngestalt auffindet. Und tatsächlich scheint sich die Patristik dies zur Aufgabe zu machen.

H. Moll157 schreibt: »In der Eucharistie kommt jene Doppelbewegung zum Vorschein, die für den christlichen Kult konstitutiv ist: Der Sinn der Liturgie enthüllt sich einerseits in der katabatischen Bewegung, der Heiligung des Menschen, die vornehmlich in den Sakramenten geschieht; ihr korrespondiert die anabatische Bewegung, der Kult der begnadeten Gemeinde, der von den Gliedern der Kirche Gott dargebracht wird. Ihre unlösbare Verflochtenheit zeigt sich nachhaltig im Blick auf die Eucharistie als Opfer. Das geschichtliche Opfer Jesu, das am Kreuz auf Golgotha unüberbietbar zur Vollendung gelangt ist, wird in der Feier der Eucharistie anamnetisch vergegenwärtigt … Die Stellung der Kirche besteht darin, daß sie an der Sühnekraft des Todes Christi Anteil erhält, aber auch darin, daß sie in das Tun Christi hineingenommen wird … Dieser Ausschnitt aus der Lehre von der Eucharistie soll in den Grenzen des abgesteckten Themas historisch und dogmengeschichtlich behandelt werden.«158

Diese Sicht kann Moll tatsächlich nachweisen. Er kann zeigen, daß die nachbiblische Tradition schon früh diese formale Struktur erkannt hat. Der Mangel der Untersuchung liegt darin, die verschiedenen Dimensionen dieser Struktur, wie etwa Wort als Opfervollzug (eucharistein, eulogein, hagiazein) und Sakrament nicht genügend herausgearbeitet zu haben, die dann die mit Klemens und Origenes beginnende Reflexion als Eulogia bezeichnet. Der Begriff Eulogia (LXX) sagt jene Sinnfigur, die das katabatische, anamnetische und anabatische Moment des Heilssegens umfaßt und so jene Figur ist, in der der Opfergedanke als ein Aspekt seine Erfüllung erhält. Es ist Moll nicht gelungen, die mit dem Begriff Eucharistie einsetzende Engführung der theologischen Sprache herauszustellen bzw. Begriffe im eucharistischen Kontext zu analysieren, die imstande wären, den Sinnreichtum des christlichen Opferbegriffes zu offenbaren (hagiazein, eulogein, ainein, anapherein, doxazein, anamimneskesthai). Der ausgezeichnete Beitrag von G. Kretschmar in TRE 1159 bringt besonders für die vornizänische Zeit die eucharistischen Sinnelemente Anamnese, Segnung, Opfer deutlich zum Ausdruck. Es gelingt aber auch ihm nicht, die diesen Begriffen zugrundeliegende theologische Gestalt zu ermitteln.

In seinem weiteren umsichtigen Beitrag liturgiegeschichtlicher Art zum Stichwort »Abendmahlsfeier«160 finden wir mannigfache Hinweise auf die sich in der Liturgie ausdrückende Sinngestalt, wobei wichtige Elemente aus dem Prozeß »von der jüdischen Mahlzeit zur christlichen Eucharistie« ermittelt sind, jedoch nicht theologisch systematisiert werden. Dies ist in einer liturgiegeschichtlichen Darstellung eigentlich auch nicht zu fordern. Wichtig ist hier die Erkenntnis, daß das Mahl Segensgeschehen ist, Vergangenheit und Zukunft im Gedächtnis und Lobpreis umfassend161.

Von einer Beschreibung der mittelalterlichen Eucharistieauffassung162 wird man kaum die Darstellung einer theologischen Grundgestalt erwarten, wenn man nicht die mittelalterlichen Meßandachten hinzuzieht, wie dies H. B. Meyer tut163. Zu sehr waren sakramentalistische Frömmigkeit und philosophisch orientierte Theologie auseinandergefallen. Meyer gibt in einem eigenen Abschnitt »Meßtheologie und Meßfrömmigkeit«164 die Gründe an, die die Suche nach einer theologischen Sinngestalt der Eucharistie vereitelten.

Wenn uns nun die dankenswerte Arbeit von J. Wohlmuth165 vorliegt, die historisch-kritisch die Frage nach Realpräsenz und Transsubstantiation im Konzil von Trient erörtert, so läßt sich fragen, ob Realpräsenz und Transsubstantiation mit der formalen Sinngestalt der Eucharistie zu tun haben.

Tatsächlich kann Wohlmuth schon bei der Analyse der 4 Originalvoten aus den Theologenkommissionen von 1547 bezüglich des von Cervini, Lainez und Salmeron ausgearbeiteten Artikel l auf Franciscus Visdomini hinweisen, der die Begriffe Eucharistie, Synaxis und Testamentum erklärt. Zusammenfassend sagt Wohlmuth: »Die Eucharistie ist ›Gnadensakrament‹, weil es das Wort Gottes und Christus ›voll Gnade und Wahrheit‹ enthält. Es enthält also nicht nur das Verdienst oder das opus operatum, das Christus am Kreuz vollbrachte, sondern ihn selbst mit Leib, Blut und Seele, d. h. in seiner einstigen irdischen und jetzigen himmlischen Existenz. Die Eucharistie ist – zweitens –›Gnadensakrament‹, weil es uns überreiche Gnade schenkt und uns auf wunderbare Weise anspornt und beflügelt, die Großtaten Gottes zu verkünden und dem, der sich selbst uns gewährt, dafür gebührend zu danken.«166

Man spürt, daß es Visdomini um ein Sinngefüge der Eucharistie geht: »Abgesehen davon, daß hier das übliche Redeschema gewaltig durchbrochen wird, findet man bei Visdomini wirkliche Theologie, die allein fähig gewesen wäre, Antwort auf die Anfragen der Reformatoren zu geben. Eucharistie ist zuerst auf uns zukommendes Gnadengeschenk, das zugleich die lobpreisende Antwort von unten her ermöglicht. Gnade ist dabei nicht ein abstraktes Verdienst oder opus operatum, sondern Christus selbst als lebendige Person, in dem die Fülle der Gnade und das Wort Gottes auf uns zukommt, der ›Christus totus‹ in seiner vollen irdischen und erhöhten Existenz. Ausdrücklich wird betont, daß Gott selbst sich ›pro nobis‹ gewährt, ausliefert, um noch einmal festzuhalten, daß unser Lobpreis in der Eucharistie Antwort, nicht Eigeninitiative, nicht Werk ist. Interessant ist dabei, daß Visdomini nicht einmal mit dem Ausdruck opus operatum zufrieden ist, obwohl er es als opus operatum Christi versteht. Aber selbst dann wäre es ihm noch zu sachhaft aufgefaßt, zu wenig die ganze Person Christi mit seinem Heilswerk meinend. Eucharistie als ›sacramentum gratiosum‹ bedeutet also für den Autor eine Bewegung von oben nach unten – wenn man in dieser Terminologie sprechen will –, welche die Bewegung von unten nach oben bewirkt. Damit gibt Visdomini ohne Polemik eine fundamentale Antwort auf das reformatorische Grundanliegen. Die Antwort fließt ihm ganz selbstverständlich aus seiner theologischen Überlegung zu; vielleicht ein kleines Zeichen dafür, daß eine solche Position auch in der damaligen katholischen Theologie möglich war.«167

Abschließend sagt Wohlmuth unter anderem: »Da im Anschluß an gute theologische Tradition zwischen ›Corpus verum‹ und ›Corpus mysticum‹ unterschieden wird, erkennt Visdomini richtig, daß der Streit um die Präsenz des ›corpus verum‹ das hermeneutische Problem der Schriftauslegung heraufbeschwört. Überdies zeigt sich in der Auseinandersetzung mit Zwingli um die Interpretation von Jo. 6, daß auch christologische und soteriologische Grundpositionen in Frage stehen.«168

Daß auch Lainez nach den Protokollen zu Artikel 1 eine Grundgestalt der Eucharistie anzielt, zeigen seine Ausführungen gegen Zwingli über den Begriff der Commemoratio: »Der angeführte Grundsatz: ›summa commemoratio est una cum re commemorata‹ wird sogar noch ›personal‹ gewendet, indem eine Person selbst ihr vergangenes Werk repräsentiert. Das eucharistische Festmahl der Befreiung, das in der Erinnerung von Kreuz und Auferstehung besteht, erinnert nicht nur an Christus, sondern der präsente Christus selbst ›erinnert‹ seinen Tod und seine Auferstehung, in dem er uns an sich teil gibt.«169 Mit Recht schließt Wohlmuth: »Theologisch am bedeutsamsten sind wohl die in Auseinandersetzung mit Zwingli (?) geäußerten Bemerkungen zur ›commemoratio‹, die sehr geeignet gewesen wären, ein eucharistisches Gesamtkonzept zu entwickeln.«170

Aus der Diskussion bis zum Entstehen des Kanon 3 der Sessio XIII ließen sich freilich auch Relationen anführen, in denen der für den Verlauf des Konzils folgenreiche Mangel einer Sinngestalt bis zur Zweiteilung des eucharistischen Geheimnisses in Realpräsenz und Meßopfer deutlich wird171.

Hier sind auch die theologiegeschichtlichen Beiträge von J. Staedtke172, E. Iserloh173 und A. Peters174 sowie die liturgiegeschichtlichen von A. Niebergall175 zu konsultieren. Sie zeigen die verschiedensten Zugänge zur Eucharistie auf, wie sie der Lauf der Geschichte hervorbrachte. Zu einer Frage nach einer theologischen Grundgestalt scheint man in den von ihnen behandelten Zeitepochen nicht gekommen zu sein. Diskussionen um das Zueinander von »veritas« und »figura«, Wort und Sakrament, Substanz und Akzidens, Amt und Gemeinde, Messe und Opfer, um Aristotelesrezeption und Nominalismus sowie der pietistische Individualismus verstellen die Frage nach der theologischen Sinngestalt der Eucharistie. Erst mit dem Anbruch des ökumenischen Gesprächs176 beginnt auch das Ringen um die theologische Sinngestalt des Abendmahls.

3. Biblische Ansätze

Nachdem die systematischen Erörterungen allesamt eine Stiftung durch Jesus annehmen und dies in katholischer wie evangelischer Tradition Überzeugung war, ist nun die Exegese zu befragen, ob sie uns diese historische Stiftung tatsächlich nachweisen kann, ja, ob sie fähig ist, uns die ursprüngliche Gestalt des Abendmahles zu zeigen. G. Delling meint in seinem TRE I177 gelieferten Beitrag: Wenn man auch nicht eine Urgestalt des Abendmahles ermitteln könne, so schließe dies doch nicht aus, »daß man von Übereinstimmungen bzw. Entsprechungen her gemeinsame Aussagen erhebt, die auf ein erkennbares ursprüngliches Geschehen und ein Grundverständnis des Abendmahls«178 schließen lassen. Leider entwickelt der Artikel keine theologische Formalgestalt, sondern fügt nur materiale theologische Aussagen aneinander.

 

Auch G. Kretschmar179 gelingt es in seinem liturgiegeschichtlichen Beitrag nicht, eine Grundgestalt zu liefern; er bringt aber viele Einzelaspekte herbei, die nicht übersehen werden dürfen und die Verbindung von Abendmahl und Passaliturgie verdeutlichen.

Zwei neuere Arbeiten sind hier besonders zu konsultieren: einmal die mit wissenschaftlicher Akribie und Umsicht erstellte Studie von H. Patsch180 und zum anderen die mehr popularisierende, aber für unsere Frage nicht weniger wertvolle Veröffentlichung von R. Pesch181. – Wenn uns auch Patsch die Gründe aufzeigt, warum der Exeget nicht die exaktere Rekonstruktion des historischen Abendmahles liefern kann, so zeitigt seine Arbeit doch Ergebnisse, die für die Frage des Systematikers nach der Grund- und Sinngestalt der Eucharistie entscheidend sind. Der konkrete Rahmen war ein Passamahl. Das Abendmahl Jesu und das der Urkirche erhalten mit all ihren spezifischen jesuanischen und nachösterlich christologischen Momenten vom Passamahl ihre äußere Sinnfigur.

Gleichsam den Motiven des Lebens Jesu nachgehend, gelingt es Patsch, diese Figur (eschatologischer Ausblick, Bundesmotiv der universellen stellvertretenden Sühne etc.) in den liturgischen Einsetzungsberichten wiederzufinden, besonders aber in den diese Motive analog beinhaltenden liturgischen Deuteworten: »Während also das Brotwort das Ich Jesu in seiner Ganzheit als sakramentale Gabe umschreibt, ist im Becherwort diese Ganzheit näher als eine bekundet, die stellvertretend für die Völkerwelt die Handlung des Sterbens vollzieht.«182 Damit erhält das Abendmahl zwei jesuanische Motive, die sakramental eingefangen sind und weder als Motive noch in ihrer sakramentalen »Verdichtung« aus dem jüdischen oder hellenistischen Kulturkreis abgeleitet werden können: »Das Abendmahl ist das Problem des Lebens Jesu« (Schweitzer).

Die ausgezeichnete Arbeit von Patsch macht es also dem Systematiker zur Aufgabe, die theologische Sinngestalt des Abendmahles und der Eucharistie an der Gestalt Christi zu verifizieren183.

Was wir schon bei den systematischen Ansätzen gefragt haben, läßt sich auch hier fragen: Gibt es eine formale Sinngestalt, die die Eucharistie und die Person Christi gleichermaßen einfängt und einander zuordnet? Hier könnte die Arbeit von R. Pesch weiterhelfen, bringt sie doch das Abendmahl Jesu positiv mit dem Passamahl zusammen, so daß sich vielleicht aus der Sinngestalt des Passamahles, in das hinein Jesus sich selbst als neues Bundesvermächtnis gibt, zugleich die Sinnstruktur gefunden werden könnte, die nicht nur Passa, Abendmahl und Eucharistie, sondern auch Christus umgreift. Pesch geht ausdrücklich der Frage: »Wie Jesus das Abendmahl hielt. Der Grund der Eucharistie«184 bibeltheologisch nach. Seine Ergebnisse sollen daher ausführlich referiert werden. Mit der Frage nach dem Wie und nach dem Grund der Eucharistie trifft er unser eigenes Anliegen. Suchen wir doch nach der Grund- und Sinngestalt der Eucharistie im Abendmahl. Via exclusionis tastet sich Pesch an die älteste Überlieferungsschicht des NT heran185. Er siedelt das Abendmahl innerhalb des Passamahlrahmens an. Diesen Rahmen beschreibt er: 1. Weihespruch des Hausvaters über den ersten Becher (Kidduschbecher) und anschließende Vorspeise = Grünkräuter, Bitterkräuter, Fruchtmustunke; 2. Passaliturgie und Passahaggada als Festerzählung durch den Hausvater = Erinnerung an die Befreiung Israels aus Ägypten. Trinken des zweiten Bechers; 3. Tischgebet (Lobspruch über das Brot) und Hauptmahlzeit186.

»Die Besonderheiten, welche die Passionsgeschichte vom Paschamahl Jesu mit den Zwölfen festhält und deutet, beziehen sich alle auf Jesu kommenden Tod, seine Gefährdung, seine (unbestimmte) Vorhersage, seine Auslieferung durch einen der Zwölf … und auf die Deutung, die Jesus seinem Tod im voraus gibt, selbst.«187 Den Fortschritt von der Vorspeise zum Hauptgang markiert das neuerliche: »und als sie aßen« (Mk 14, 22). Dabei richtete sich der Hausvater auf, sprach den Segen, den Lobspruch: »Gepriesen seist du, Herr, unser Gott, König der Welt, der Brot aus der Erde hervorgehen läßt«, dem das zustimmende Amen der Teilnehmer folgte. Deutungen der Mahlelemente gehören zur Passaliturgie188. Mit dem Deutewort »Das ist mein Leib« sagt Jesus: Das bin ich selbst189.

Für unsere Frage nach der Grund- und Sinngestalt der Eucharistie sind nun die folgenden Ausführungen wichtig: »Auf die richtige Spur werden wir geführt, wenn wir beachten, daß Jesus mit dem ausgeteilten Brot Segensgemeinschaft vermittelt; gemeinsames Essen konstituiert Gemeinschaft. Gibt Jesus nun den Jüngern Brot zu essen, das er als sich selbst deutet, so vermittelt er Gemeinschaft mit sich selbst. Er interpretiert sich als Quelle von Segen und Heil, als Heilsmittler. Er setzt die besondere Bedeutung seiner Person voraus, wenn er sagt: ›Dies ist mein Leib.‹ Die Jünger konnten verstehen: Dies bin ich, der Messias, der Christus. Das Deutewort zum Brot macht das Mahl zum messianischen Mahl. Das Deutewort zum Becher setzt die Brotdeutung voraus. Jesus spricht vom Sühnetod des Messias.«190 Pesch fährt fort: »Die Qualität der Gemeinschaft, die Jesus stiftet, kommt mit der Todesdeutung des Becherwortes erst ganz zum Vorschein: es ist die Gemeinschaft, die Gott aufgrund des Sühnetodes des Messias anbietet.«191

»Am Schluß des Paschamahls, bevor der zweite Teil des Paschahallels (Psalmen 114 oder 115 bis 118) gesungen wird (vgl. Mk 14, 26), wird über dem dritten Becher Wein das Dankgebet gesprochen. Darin ist ein Gebet enthalten, das Gott um das Gedenken des Messias anfleht: ›Unser Gott und Gott unserer Väter, es steige auf, komme, erreiche, werde gesehen, gefalle, werde gehört, bedacht und gedacht das Gedenken an uns, das Bedenken unserer Lage und das Gedenken an unsere Väter und das Gedenken an den Messias, den Sohn Davids, deines Knechtes, und das Gedenken an Jerusalem, deine heilige Stadt, und das Gedenken an dein ganzes Volk, das Haus Israel, vor dir – zur Rettung und zum Guten …‹ Der Hausvater erhebt zur Benediktion den ›Segensbecher‹ um eine Handbreit über den Tisch; Jesus knüpft hieran eine zweite besondere Mahlhandlung an. Er gibt den Becher, wie die Notiz ›und sie tranken aus ihm alle‹ (Vers 23 b) deutlich macht, ohne selbst zu trinken (wie er vom auf sich selbst gedeuteten Brot schon nicht mitaß), den Zwölfen zu trinken und deutet den Wein: ›Dies ist mein Blut des Bundes, das ausgegossen wird für viele‹ … Mit der Wendung ›mein Blut‹ gibt Jesus zu verstehen, daß jetzt Gott durch seinen Tod, den Tod des Messias, Sühne schaffen wird.«192 Dabei weist »ausgießen« auf eine gewaltsame Todesart Jesu hin, der dennoch Sühnetod für die vielen = für alle, bedeutet (mit Hinweis auf Jes 53, 5. 10. 11. 12) und den »Neuen Bund« begründet, als dessen Mittler sich Jesus deutet193. Mk 14, 25 (Verzichtserklärung und eschatologischer Ausblick) sind Ausdruck prophetischer Gewißheit des Todes und der zukünftigen Auferstehung. »Von der Heilsvoraussage fällt nun noch einmal Licht auf seine Abendmahlshandlung. Jesu Jünger werden durch Jesu besondere Gaben beim Paschamahl, das Brot und den Wein, die Jesus deutet, schon vorweg zu Teilhabern am messianischen Festmahl gemacht. Jesus, der Messias, hat ihnen Gemeinschaft mit sich selbst, Gemeinschaft mit Gott, im neuen Bund geschenkt, den Gott auf Grund des Sühnetodes seines Gesalbten, seines Sohnes in Kraft setzt. Die Urkirche feiert nach Ostern ihre Gemeinschaft mit Gott und seinem Messias im Gedenken an Jesus folgerichtig im messianischen Jubel: ›Sie empfingen die Speise im Jubel‹ (Apg2,46).«194

Für Pesch gilt: »Die christliche Abendmahlsfeier besteht in der Wiederholung der besonderen Mahlgesten und der Deuteworte Jesu, mit denen er beim Paschamahl vor seinem Tod seinen Tod deutete und seinen Jüngern seine messianische Heilsgemeinschaft und die Gemeinschaft des durch seinen Sühnetod von Gott gestifteten neuen Bundes vermittelte. In den symbolischen Gaben von Brot und Wein gab Jesus sich selbst über seinen Tod hinaus den Jüngern als Heilsgrund ihrer Gemeinschaft zu eigen. In der Wiederholung seiner Mahlgesten und seiner deutenden Worte beim Gemeinschaftsmahl, das nicht mehr an das einmalige Paschamahl gebunden bleibt, gedenkt die Gemeinde Jesu in dankbarem Lobpreis Gottes, der Jesus auferweckte, zu seiner Rechten thronen ließ und zum Herrn der Gemeinde machte; sie empfängt die eucharistische Speise in messianischem Jubel und feiert ihre Begnadung im Neuen Bund; sie erwartet die Vollendung des Heils in der ewigen Gemeinschaft mit Gott (die in der kirchlichen Gemeinschaft, der Liebesgemeinschaft der Urkirche ihr Gleichnis hat und in der Gemeinschaft Jesu mit dem Vater die lebendige Erfüllung schon fand) durch die Wiederkunft Christi: maranatha – unser Herr komme!«195 Die Urkirche »wußte, wenn sie Jesu Mahlgesten und seine deutenden Worte wiederholte, den Herrn selbst in seinem Geist und in den von ihm selbst gedeuteten Gaben, in Brot und Wein, gegenwärtig: Jesus selbst, der durch sie nun alle zur Gemeinschaft mit Gott einladen ließ – unbedingt, wie er selbst es getan und wie Gott in seinem Sühnetod und in seiner Auferweckung seine Einladung beglaubigt hatte. Das Abendmahl ist der Kirche Gedächtnis Jesu und Feier ihrer Erlösung, Erinnerung und gegenwärtige Geisterfahrung zugleich: Aktion des Glaubens, der im Gesetzten gründet, der Hoffnung, die vom Geist getrieben ausharrt, und der Liebe, die Gottes Gemeinschaft gegenwärtigt.«196

Versuchen wir nun die Aussagen von Pesch über Passa- und Abendmahl zu systematisieren, so ergibt sich folgendes Bild: Der Weihespruch über dem Becher (Kidduschbecher) mit anschließender Vorspeise und folgender Passa-haggada beinhalten Erinnerung an Schöpfungs- und Heilssegen. Auch der Brotsegen nach der Vorspeise nimmt dieses Gedenken des Schöpfungs- und Heilssegens auf. Wenn Jesus dieses Brot als seinen Leib deutet, deutet er seinen historischen Leib als Segensleib, weil er der Leib des Messias ist. Damit leuchtet eine erste Sinnlinie auf. Wie das Passamahl die Brotgaben als Segensgaben Gottes deutet und in diesen natürlichen Gaben das Heilstun Gottes anamnetisch darstellt, so das Abendmahl als Segensgeschehen den Opferleib Jesu als Segensleib und Segenstat Gottes. Die katabatische Sicht »Segen« wird deutlich, der anamnetisch in der Eucharistiefeier gegenwärtig wird, zunächst im Bewußtsein Jesu, der sich als Segensgabe Gottes versteht und sich sodann in den Gaben als Segensgabe austeilt. Gleichzeitig ist aber auch sowohl im jüdischen Passamahl neutestamentlicher Zeit wie auch im Abendmahl die eschatologische Dimension dieses Segens gedächtnishaft anwesend. Denn nach dem Passamahl faßt die Segnung des dritten Bechers das Gedenken der Juden und die Bitte um neuerliches Gedenken Gottes in der Form der Bitte um zukünftige Rettung zusammen. Diesen Segensbecher deutet Jesus als sein Blut in prophetischer Gewißheit des Todes und der Auferstehung und deutet sich so als eschatologischen Segenstrank. Noch immer haben wir die von Gott – nun für die Zukunft geschenkte Segenswirklichkeit vor uns. Da Jesus in seinem Gedenken an Gott und die Menschen sowohl Gott wie den Menschen seine Person anbietet und diesen Hingabeakt mit seiner Person in den Gaben realsakramental darstellt, kommt die katabatische (für euch) Sicht des Segens zugleich mit der anabatischen (für Gott) Sicht des Segens zum Ausdruck. Daher ist in den folgenden Lobpreis seine Hingabe an Gott und die Menschen als bleibendes Geschenk eingeschlossen und wird zu Gott vermittelt. Wir haben hier ein lobpreisendes Gedächtnisopfer, das, im Wort vollzogen, seinen Grund primär im Hingabeakt und in der Gegenwart Christi in der Feier und in den Gaben zeigt. Dieses ana-batisch-anamnetische Lobopfer macht den Opfercharakter des kirchlichen Lobopfers deutlich.

Wir fragen nun, ob es eine Grund- und Sinngestalt gibt, die dieses ganze Geschehen mit seinen theologischen Deutungselementen zusammenfaßt.197