Eiskalte Energie

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››Das habe ich gerne gemacht. Gute Nacht.‹‹

››Gute Nacht. Übrigens: Bitte rede mit niemandem über die Konferenz.‹‹ Auf einmal sah er sehr ernst aus. Sie wunderte sich darüber und hatte das Gefühl, dass Eric ihr etwas verheimlichte. Aber sie sagte nur: ››Ich kann schweigen.‹‹

››Mach's gut‹‹, verabschiedete sich Eric und verließ ihre Wohnung.

Irgendwie werde ich nicht schlau aus diesem Mann, dachte Isabella und machte sich daran, ihre Küche in Ordnung zu bringen.

Am nächsten Morgen war Isabella sehr früh aufgestanden und hatte unter Hochdruck gearbeitet, denn wenn sie bis zum Abend mit der Präsentation fertig sein wollte, hatte sie keine Zeit zu verlieren.

Als es auf den Abend zuging, hatte sie es geschafft. Ihre Präsentation war fertig. Das war der erste Schritt. Sie nahm ihren Speicherchip, den sie für die Arbeit bei Eric benötigen würde und wollte sich gerade ihre Jacke anziehen, als ihr Blick auf ihr Spiegelbild fiel. So kann ich unmöglich gehen, dachte sie, während sie den halb aufgelösten Pferdeschwanz und den Schlabberpulli betrachtete, den sie trug. Niemand, der sie sah, würde glauben, dass sie ein Rendezvous mit Eric hatte. Sie dachte ironisch daran, wie viele andere brillante Wissenschaftlerinnen sich wohl für einen Mann zurechtmachen müssten, nur um die halbe Nacht mit ihm arbeiten zu dürfen. Das Leben war manchmal merkwürdig. Nachdenklich ging sie ins Schlafzimmer und öffnete ihren Kleiderschrank. Was zog man zu einem Date am Freitagabend mit einem Mann wie Eric an? Ihr Blick wurde von einem schimmernden Rot angezogen und ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. Wenn Sie sich schon die Mühe machte, sich aufzustylen, dann konnte sie es auch richtig tun. Dieses Kleid würde Eric bestimmt umhauen.

Sie betrat die Eingangshalle des Hauses in dem Eric wohnte und ging auf dem Portier zu. Dieser sah sie interessiert an.

››Guten Abend, ich möchte zu Eric Bergmann‹‹, erklärte Isabella.

››Wen darf ich melden?‹‹, fragte der Portier.

››Luisa Lange‹‹, antwortete sie nach kurzem Zögern. Das war der erste Name, der ihr auf die Schnelle eingefallen war. Lange war der Mädchenname ihrer Mutter.

Der Portier telefonierte kurz und sagte dann: ››Bitte, Frau Lange, sie werden erwartet‹‹, während er auf einen Fahrstuhl wies. Isabella betrat den Aufzug. Die Blicke des Portiers folgten ihr. Sie zog ihre Jacke aus und betrachtete sich im Spiegel. Ihr trägerloses Kleid schimmerte bordeauxrot. Das Oberteil war bis unter die Brust in schmale Längsfalten gelegt, was ihre Oberweite verführerisch zur Geltung brachte. Dann ging es in glatte Seide über. Der schmale Rock reichte bis zu ihren Knien. Passende rotschimmernde High Heels vervollständigten das Bild. Ihre Augen hatte sie mit rauchgrauem Lidschatten betont und ihre Lippen schimmerten dank ihres neuen Lipglosses verführerisch. Isabella lächelte sich im Spiegel zu. Die Türen des Fahrstuhls glitten auf und sie durchschritt den Flur wie ihren persönlichen Laufsteg.

Eric sah sie auf sich zukommen. Beinahe hätte er sie nicht erkannt. Er bewunderte, wie die rote Seide ihres Kleides sich verführerisch an ihren Körper schmiegte, während sie mit leicht schwingenden Hüften auf ihn zuging.

››Hallo Eric‹‹, begrüßte sie ihn mit der Andeutung eines Lächelns. Eric starrte auf ihren Mund. Ihm war bisher nicht aufgefallen, wie voll und verführerisch ihre Lippen waren. Schließlich riss er sich zusammen und nahm ihre Hand. Galant hauchte er einen Handkuss darauf.

››Hallo, meine Schöne. Du siehst unglaublich aus.‹‹ Sein Blick glitt bewundernd über ihr Kleid, während er sie in seine Wohnung geleitete und die Tür schloss.

››Gehört das auch zur Tarnung?‹‹

››Ja, in dem Flur gibt es überall Überwachungskameras‹‹, flunkerte er und bemühte sich um einen lockeren Ton. Er verschwieg ihr, dass er niemals in ein Haus mit Überwachungskameras ziehen würde.

››In deiner Wohnung sind wir aber schon sicher, oder?‹‹, fragte sie ironisch.

››Ich habe das Gefühl, du nimmst das alles nicht so richtig ernst.‹‹

››Oh doch, ich habe mich extra aufgestylt für die Arbeit heute Abend.‹‹ Sie deutete auf ihr Kleid. ››Ich hoffe, dem Portier hat’s gefallen und er ist jetzt so richtig neidisch auf dich.‹‹

Lachend sagte Eric: ››Ich wette, das ist er. Er stellt sich jetzt bestimmt vor, wie ich dich mit Champagner abfülle und verführe.‹‹

››Dann hat sich der Aufwand ja gelohnt‹‹, sagte Isabella zufrieden. ››Die Präsentation der Ergebnisse habe ich fertig. Willst du sie erst mal ansehen?‹‹, fragte sie nun in geschäftsmäßigem Ton. Eric nickte. Er hatte Mühe, den Blick von ihrer verführerischen Figur zu lösen.

Als sie einen Speicherchip aus ihrem kleinen roten Handtäschchen zog, knurrte ihr Magen.

››Oh, tut mir leid‹‹, sagte sie und legte verlegen die Hand auf ihren Bauch.

››Hast du Hunger? Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?‹‹, fragte Eric.

››Na ja, ich habe um sechs gefrühstückt und dann ...‹‹ Isabella überlegte.

››Und danach hast du nichts mehr gegessen. Stimmt's?‹‹, fragte Eric.

››Stimmt‹‹, bestätigte sie.

››Dann werden wir uns erst mal was bestellen. Magst du Pizza?‹‹

››Ja, gerne.‹‹

››Was für eine Pizza möchtest du?‹‹

››Ich möchte eine mit Tomaten und Mozzarella.‹‹

Eric bestellt die Pizzen. Dann nahm er den Speicherchip und ging zur Sitzgruppe.

››Komm, machen wir es uns hier gemütlich‹‹, sagte er. Isabella kam zu ihm, ließ sich auf eine der Couchen sinken und schlüpfte aus ihren roten High Heels. Währenddessen schloss Eric den Speicherchip an das Mediencenter an und schaltete den Bildschirm ein, der an der Wand hing.

Als ihre Präsentation auf dem Bildschirm erschien, begann sie diese zu erläutern.

››Ich dachte, ich erkläre erst mal die Art und Weise, wie das Methanhydrat abgebaut wird.‹‹ Sie klickte durch die entsprechenden Slides. Eric wurde immer wieder von ihrem roten Kleid abgelenkt. Er versuchte nicht allzu offensichtlich in ihr Dekolleté zu starren und sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Nun verstand er, warum Frauen während der Arbeit konservative Kostüme trugen.

Sie war noch nicht weit gekommen, als es klingelte.

››Das ist bestimmt der Lieferservice‹‹, sagte Eric, während er sich erhob. Als er an der Tür war, bediente er ein Display und plötzlich war der ganze Raum in gedämpftes Licht getaucht, auf dem Bildschirm prasselte ein gemütliches Kaminfeuer und leise verführerische Musik ertönte. Erst dann öffnete er die Tür, um die Pizzen entgegenzunehmen. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, betätigte er das Display noch einmal, worauf das Licht wieder hell wurde, die Musik ausging und das Kaminfeuer verschwand.

››Da geht sie hin, die Romantik‹‹, bemerkte Isabella.

››Schon praktisch, so ein intelligentes Haus‹‹, sagte Eric.

››Ja, besonders zur Tarnung‹‹, entgegnete Isabella.

››Hier, deine Pizza.‹‹

››Danke.‹‹ Isabella öffnete die Schachtel. ››Hm, die sieht köstlich aus‹‹, sagte sie und machte sich hungrig über die Pizza her. Eric dachte über die Gegensätzlichkeiten nach, die sie vereinte. Sie trug ein sexy Kleid, das dazu gemacht war, einen Mann zu verführen, aber sie benahm sich kein bisschen verführerisch, ganz anders als die Frauen, die er sonst einlud. Wieder einmal bedauerte er, dass sie kein echtes Date hatten. Isabella gefiel ihm. Sie war nicht so gekünstelt wie seine bisherigen Bekanntschaften. Und wenn sie nicht gerade sauer auf ihn war, war sie wirklich warmherzig und fürsorglich, so wie gestern Abend. Aber wegen ihres Berufs und der Entdeckung, die sie gemacht hatte, konnte er sich nicht mit ihr einlassen. Es war einfach unmöglich.

Als sie fertig gegessen hatten, machten sie sich wieder an die Arbeit. Isabella erläuterte ihre Präsentation weiter.

››Als nächstes habe ich die Gefahren erläutert, die mit dem Abbau zusammenhängen. Die Gefahren für die Leute, die es abbauen, aber auch für den Schiffsverkehr und die Gefahr von Tsunamis.‹‹ Wieder zeigte sie die entsprechenden Slides. ››Der dritte Punkt zeigt die Folgen für das Klima auf‹‹, erläuterte sie weiter. ››Methan ist 25-mal klimawirksamer als Kohlendioxid. Das heißt, es wird den Klimawandel erheblich beschleunigen, wenn es in größeren Mengen freigesetzt wird. Sobald die kritische Grenze überschritten ist, wird eine Kettenreaktion ausgelöst. Das habe ich hier dargestellt.‹‹ Sie deutete auf ein kompliziertes Diagramm. ››Hier ist die Methankonzentration in der Atmosphäre und das ist der Anstieg der Meerestemperatur. Steigt diese über die kritische Grenze hier ...‹‹, dabei zeigte sie auf die entsprechende Stelle im Diagramm. ››... wird es zu warm für das Methanhydrat im Meeresboden.‹‹

Eric hatte aufmerksam zugehört und saß nun nachdenklich da. Isabella sah ihn an.

››Was ist?‹‹, fragte sie.

››Ich weiß nicht, ob das für alle Anwesenden anschaulich genug ist‹‹, antwortete er nachdenklich.

››Wieso? Ich habe doch alles ganz klar dargelegt.‹‹

››Ja, aber Leute, die nicht vom Fach sind, können sich nicht unbedingt so viel darunter vorstellen. Sie sehen viele Zahlen, haben aber kein Bild vor Augen, was das bedeutet. Wir müssen ihnen die Auswirkungen bildlicher vor Augen führen.‹‹

››Woran denkst du?‹‹

››Wir müssen ihnen zeigen, wie es nach Naturkatastrophen aussieht. Wie die Menschen, die davon betroffen sind, leiden.‹‹

››Hm, …‹‹, überlegte Isabella. ›Ich werde darüber nachdenken, wie ich das in den Vortrag einbauen kann.‹‹

Danach begannen sie, über eine Alternative zum Methanhydrat nachzudenken.

››Wichtig ist, dass wir die Kosten einigermaßen quantifizieren können, sonst traut sich keiner an die Sache heran, weil alle Angst haben, es könnte zu teuer werden‹‹, bemerkte Eric.

 

››Angenommen, man versorgt alle privaten Haushalte nur noch über Solarzellen mit Strom, dann hätte man die Stromnachfrage an die Kraftwerke erheblich reduziert. Außerdem sind die Solarzellen sehr effizient geworden und haben sich nach spätestens einem Jahr amortisiert. In den ländlichen Gebieten wird die Stromversorgung ja schon zum größten Teil durch Biogasanlagen gedeckt. Also sollten wir uns auf die Städte konzentrieren‹‹, sagte Isabella.

››Wenn man alle Haushalte dazu bringen will, die Stromversorgung über Solarzellen abzudecken, muss der Staat wahrscheinlich Subventionen zahlen, denn sonst wird das vielen vermutlich zu teuer‹‹, entgegnete Eric.

››Da hast du Recht. Aber wie soll man die Energiekonzerne davon überzeugen, auf Methanhydrat zu verzichten? Die sind doch der Meinung, dass das der einfachste und billigste Weg ist.‹‹

››Am besten mit Zuckerbrot und Peitsche. Man verbietet den Abbau und die Nutzung von Methanhydrat und fördert im Gegenzug den Einsatz von erneuerbaren Energien noch stärker. Allerdings glaube ich, dass das den großen Energiekonzernen gar nicht gefallen wird. Wenn ein Großteil des Energiebedarfs dezentral, durch erneuerbare Energien gedeckt wird, verlieren sie erheblich an Macht‹‹, sagte Eric.

››Stimmt‹‹, sagte Isabella nachdenklich, ››Solarkraftwerke kann man in Deutschland nicht effizient betreiben. Das geht nur in Südeuropa oder Afrika. Die Menge an Off-Shore-Windparks in der Nordsee ist auch begrenzt. In solche Projekte werden sie vermutlich investieren, aber der Wettbewerb in Europa wird zunehmen. Ich glaube nicht, dass sie ihre marktbeherrschende Position unter diesen Umständen verteidigen können. Die deutschen Energiekonzerne würden in der Bedeutungslosigkeit versinken.‹‹

››Umso besser müssen wir unser Konzept verkaufen, damit es eine Chance hat‹‹, entgegnete Eric.

››Also gut, dann werde ich die Menge an Solarzellen berechnen, die man braucht, um die Haushalte zu versorgen. Kannst du die Kosten dafür ermitteln?‹‹, fragte Isabella.

››Natürlich‹‹, sagte Eric. Er gab Isabella ein Notebook. Für sich selbst hatte er auch eins aus seinem Büro mitgebracht. Dann begannen sie mit der Arbeit. Nach einer Weile klingelte ein Handy.

››Oh, das ist meins‹‹, sagte Isabella, holte es aus ihrer Tasche und ging ran. Es war Luisa.

››Hallo Luisa‹‹, meldete sie sich.

›› Isabella, ich wollte mal hören, wie es dir so geht.‹‹

››Ganz gut so weit. Und dir?‹‹

››Mir geht es auch gut. Es ist ganz schön einsam ohne dich auf der Arbeit.‹‹

››Gibt es ... gibt es etwas Neues?‹‹, fragte Isabella zögernd.

››Du meinst, ob sich Schwaiger das mit der Kündigung noch mal überlegt hat?‹‹

››Ja, genau.‹‹

››Nein, leider nicht. Ich glaube, da ist nichts zu machen. Ich habe noch mal mit ihm geredet, aber er ließ sich nicht umstimmen.‹‹

››Schade, ich hatte gehofft ..., na ja, es lässt sich nicht ändern.‹‹

››Wollen wir uns bald mal treffen?‹‹, wechselte Luisa das Thema.

››Ja, warum nicht‹‹, antwortete Isabella, die in Gedanken immer noch bei ihrer Kündigung war.

››Wie wäre es am Sonntag?‹‹, fragte Luisa.

››Am Sonntag habe ich keine Zeit.‹‹ Isabella sah, wie Eric energisch den Kopf schüttelte und ihr zuflüsterte: ››Leg auf!‹‹

››Luisa, kann ich dich gleich zurückrufen?‹‹, fragte Isabella.

››Ja klar‹‹, antwortete Luisa und Isabella legte auf.

››Was ist los?‹‹ Fragend sah Isabella Eric an.

››Isabella, überleg doch‹‹, sagte Eric, ››du bist arbeitslos, deprimiert und einsam und da hast du am Sonntag keine Zeit?‹‹

››Daran habe ich gar nicht gedacht. Aber Luisa ist meine Freundin, ich kann ihr trauen!‹‹

››Bist du dir da sicher?‹‹, fragte Eric skeptisch.

››Ja‹‹, sagte Isabella überzeugt.

››Solange wir zusammenarbeiten, will ich, dass du niemandem traust, nicht einmal deiner eigenen Mutter und schon gar nicht einer Frau, die im Institut für Umweltforschung arbeitet‹‹, entgegnete Eric.

››Woher weißt du, dass sie beim Institut für Umweltforschung arbeitet?‹‹

››Ich habe ein bisschen recherchiert.‹‹

››Hast du auch etwas über mich herausgefunden?‹‹, fragte Isabella leicht gereizt.

››Nur, dass du eine fleißige Wissenschaftlerin mit einem tadellosen Ruf bist. Ich musste mich schließlich absichern, dass du wirklich die bist, für die du dich ausgibst‹‹, erwiderte Eric.

››Also gut, und was soll ich deiner Meinung nach Luisa erzählen?‹‹

››Lass dir für Sonntag eine Ausrede einfallen und verschiebe das Treffen auf Montagnachmittag.‹‹

››Okay‹‹, sagte Isabella widerwillig. Sie nahm ihr Handy und rief Luisa an.

››Hey, ich bin's. Tut mir leid, aber meine Mutter hat gerade angerufen und die wird immer ärgerlich, wenn sie warten muss. Sie will am Wochenende vorbeikommen und mich aufmuntern. Eigentlich ist das das Letzte, worauf ich jetzt Lust habe, aber sie hat sich nicht abwimmeln lassen. Gerade hat sie mich angerufen, um mir mitzuteilen, welche Kuchensorten ich ihr am Sonntag auf keinen Fall servieren soll.‹‹ Isabella seufzte, ››Na ja, jedenfalls muss ich jetzt meine Wohnung erstmal wieder auf Vordermann bringen, damit sich die Nörgelei in Grenzen hält. Falls ich das Wochenende überlebe, würde ich mich gerne mit dir treffen. Wie wär's Montagnachmittag?‹‹

››Ja, das würde gehen, wenn ich zeitig Feierabend mache. Um 17:00 Uhr in unserem Stammcafé?‹‹

››Ja, ich freue mich darauf.‹‹

››Ich mich auch, bis dann‹‹, sagte Luisa und sie beendeten das Telefonat.

››Ich hasse es, meine Freundin anzulügen‹‹, sagte Isabella ärgerlich zu Eric. Doch dieser ließ sich davon nicht beeindrucken.

››Wo ist denn euer Stammcafé?‹‹, fragte er.

››Das ist am Schloss Charlottenburg. Wieso fragst du?‹‹

››Nur so. Es ist also weit weg vom Institut für Umweltforschung und dem Umweltministerium?‹‹, erkundigte er sich beiläufig.

››Ja‹‹, bestätigte sie und überlegte, was er mit dieser Frage bezweckte. Aber Eric hatte sich wieder seiner Arbeit zugewandt und Isabella vermutete, dass sie nichts Weiteres aus ihm herausbekommen würde.

Auf einmal überkam sie Müdigkeit. Sie sah auf ihre Uhr und bemerkte, dass es schon nach elf war.

››Ich sollte mich auf den Weg nach Hause machen, ich bin ziemlich müde‹‹, sagte sie. Eric sah auf.

››Soll ich dich nach Hause bringen?‹‹, fragte er.

››Nein, nicht nötig. Ich bin mit dem Rad da.‹‹

››In dem Kleid kannst du Fahrrad fahren? Das würde ich gerne mal sehen.‹‹ Grinsend sah er sie an. Isabella überging seinen Einwurf.

››Soll ich morgen vorbeikommen, wenn ich meinen Teil fertig habe?‹‹

››Ja, das wäre gut.‹‹ Eric überlegte kurz. ››Ich bringe dich noch ein Stück. Nur wegen der Tarnung natürlich‹‹, fügte er hinzu.

Isabella nahm ihren Speicherchip, schlüpfte in ihre High Heels, zog ihre Jacke an und sie verließen die Wohnung. Im Fahrstuhl legte Eric einen Arm um Isabellas Taille und zog sie an sich. Sie blickte ihn fragend an.

››Ist nur Tarnung‹‹, sagte er lächelnd. ››Der Portier soll ja nicht denken, dass unser Date schlecht gelaufen ist.‹‹

Arm in Arm gingen sie durch die Lobby und traten in die dunkle Nacht hinaus.

››Wo steht dein Fahrrad?‹‹

››Ich habe es fünf Minuten von hier abgestellt. Ich dachte, es könnte den Eindruck schmälern, wenn ich auf dem Fahrrad ankomme.‹‹ Isabella glitt aus Erics Arm und lief neben ihm her. Als sie das Fahrrad erreicht hatten, verabschiedete sie sich.

››Gute Nacht‹‹, sagte sie reserviert, um Eric loszuwerden.

››Gute Nacht‹‹, antwortete Eric. Aber anstatt zu gehen, blieb er grinsend stehen, um zu beobachten, wie sie mit diesem engen Kleid auf das Rad steigen wollte. Isabella sah ihn ärgerlich an, aber es war klar, dass er nicht gehen würde. Sie zog ihren Rock ein Stück hoch um mehr Bewegungsfreiheit für ihre Beine zu haben. Dann stieg sie in einer fließenden Bewegung auf und fuhr los. Eric hatte angenommen, dass sie dabei ungeschickt aussehen würde, aber das tat sie nicht. Isabella hatte seinen erstaunten Blick bemerkt.

››Jahrelange Übung‹‹, rief sie ihm lachend zu. Dann verschwand sie in der Dunkelheit.

Isabella saß an ihrem Computer. Ihr stand die Aufgabe bevor, ihren Vortrag emotionaler zu gestalten. Sie schloss die Augen und zwang sich tief durchzuatmen. Dann gab sie den Suchbegriff in ihren Computer ein: Tsunamis. Sie suchte nach Bildern vergangener Katastrophen und Bildern der Opfer. Sie fand Hunderte und begann sie sich anzusehen. Ihr erster Impuls war, nicht so genau hinzuschauen, um die schrecklichen Einzelheiten nicht allzu genau wahrzunehmen. Das tat sie häufig bei Nachrichten über Katastrophenmeldungen. Sie hatte immer die Menschen bewundert, die in Katastrophengebiete fuhren, um zu helfen. Sie selbst hatte ein eher theoretisches Fach studiert, um nicht mit solchen Situationen konfrontiert zu werden. Doch diesmal musste sie genau hinsehen. Sie durchsuchte stundenlang die Bilder, bis sie die schrecklichsten ausgewählt hatte. Tränen liefen ihr übers Gesicht, als sie sie ansah und jedes kleine Detail der Katastrophe wahrnahm.

Isabella stand auf und ging auf ihren Balkon. Sie brauchte dringend frische Luft. Sie atmete tief durch und versuchte die Bilder in ihrem Kopf zurückzudrängen. Eric hatte recht gehabt. Bis vor ein paar Stunden waren Tsunamis für sie eher eine abstrakte Sache gewesen. Natürlich hatte sie gewusst, was passiert, wenn ein Tsunami auf eine bevölkerte Küstenregion trifft. Aber das war eine theoretische Art von Wissen gewesen. Bis jetzt hatte sie nicht die Not und die Verzweiflung gespürt, die mit einer solchen Katastrophe einhergingen. Nun tat sie es.

Sie hatte sich hilflos gefühlt beim Anblick dieser Bilder. Doch nun wuchs ihre Entschlossenheit. Natürliche Tsunamis konnte niemand verhindern, künstlich ausgelöste schon. Darauf musste sie sich konzentrieren.

Sie atmete noch einmal tief durch. Dann ging sie wieder hinein und rief Eric an.

››Ich bin jetzt soweit‹‹, meldete sie sich. Ihre Stimme klang seltsam tonlos.

››Ich bin auch fast fertig‹‹, antwortete Eric. ››Hast du schon zu Mittag gegessen?‹‹

››Ich habe keinen Appetit.‹‹ Isabellas Antwort klang so abweisend, dass er nicht weiter nachfragte. ››Ich bin in einer halben Stunde bei dir. Ist dir das recht?‹‹

››Ja, bis dann.‹‹

Isabella zog sich um. Sie schlüpfte in ihre dunkelblauen Jeans und ein schlichtes, türkisfarbenes Oberteil. Unter der Jacke war das sowieso nicht zu sehen. Als Zugeständnis an ihre Tarnung zog sie sich High Heels statt ihrer bequemen Turnschuhe an. Zum Glück war es Nachmittag und sie musste sich nicht so aufstylen wie am Abend zuvor. Zehn Minuten später war sie fertig und fuhr los.

››Hallo, komm rein‹‹, begrüßte Eric sie. Er ließ sie eintreten und schloss die Tür.

››Heute gar kein Küsschen zur Begrüßung?‹‹, fragte Isabella ironisch.

››Wenn du gerne eins haben willst, soll es an mir nicht liegen.‹‹ Grinsend machte er Anstalten sie zu küssen.

››Nein, nein‹‹, wehrte Isabella ab. ››Ich dachte nur, für die Kameras, aber jetzt, wo die Tür zu ist, können wir uns das ja sparen.‹‹

Sie zog ihre Jacke aus und folgte ihm zur Sitzgruppe. Sie reichte ihm ihren Speicherchip.

››Ich habe meinen Vortrag emotionaler gestaltet‹‹, sagte sie knapp.

Eric nahm den Chip entgegen und sah sie dabei an. Sie wirkte heute anders als sonst, irgendwie ernster und entschlossener. Allerdings verstand er nicht, was diese Veränderung herbeigeführt hatte. Er schloss den Speicherchip an und reichte ihr die kleine Fernbedienung. Wie am Abend zuvor präsentierte Isabella ihm den Vortrag und auf einmal verstand er, was mit ihr los war. Ihm stockte der Atem, als er die Bilder der Tsunamiopfer sah. So etwas hatte er noch nicht gesehen. Sie hatte die schlimmsten ausgesucht, die man sich vorstellen konnte.

››Wie lange hast du daran gearbeitet?‹‹, fragte er, als sie fertig war.

››Den ganzen Vormittag.‹‹ Wieder war ihre Stimme tonlos. Einen halben Tag lang derartige Bilder ansehen musste schrecklich sein, dachte Eric.

››Eins muss man dir lassen, wenn du etwas machst, dann richtig.‹‹

››Ich gebe mein Bestes‹‹, antwortete sie ironisch. ››Ich habe allerdings noch ein Problem.‹‹ Nun sah sie ihn zum ersten Mal direkt an. ››Ich weiß nicht, wie ich verschwundene Schiffe zeigen soll.‹‹

Eric war verwirrt. ››Verschwundene Schiffe?‹‹, fragte er ratlos.

 

››Ich habe keine Fotos oder Filme gefunden, die zeigen, wie ein Schiff durch aufsteigendes Methan sinkt. Vielleicht hat es auch noch nie jemand gesehen und danach noch die Chance gehabt, darüber zu reden. Die Schiffe gelten einfach als verschollen.‹‹

››Okay, jetzt hab ich’s verstanden.‹‹

Sie diskutierten mehrere Möglichkeiten und entschieden sich schließlich für Vorher-Nachher-Bilder, wie Eric es sarkastisch nannte. Erst wollten sie mehrere große Schiffe wie Containerschiffe und Kreuzfahrtschiffe zeigen, von denen die meisten Leute nicht ernsthaft annahmen, dass sie wirklich sinken würden. Das Nachher-Bild zeigte das verschollene Schiff, nämlich glatte See.

Danach wandten sie sich der Erstellung eines Alternativplans zu. Dieser sollte zeigen, wie die Stromversorgung in Zukunft ohne Methanhydrat gesichert werden könnte.

››Ich habe die Kosten für die neuen Solarzellen ermittelt. Die sind erst einmal nur vorläufig, weil der Verkauf gerade erst anläuft. Hast du die Verbrauchswerte für die Haushalte?‹‹ So ging es die nächsten Stunden weiter. Sie glichen Zahlen ab und fügten sie zusammen, bis sich nach und nach ein Bild herauskristallisierte.

››Ich habe Hunger. Wie sieht's mit dir aus?‹‹, unterbrach Eric schließlich die Arbeit.

››Ja, etwas zu essen könnte ich auch vertragen.‹‹

Nachdem die Arbeit Isabella ein paar Stunden von den schrecklichen Bildern abgelenkt hatte, war auch ihr Appetit zurückgekehrt.

››Wünschst du dir ein intimes Dinner zu zweit oder sollen wir ausgehen?‹‹ Eric lächelte sie an. Er bemühte sich um einen lockeren Ton, um Isabella von den Bildern der Tsunamiopfer abzulenken. Er hatte gespürt, wie schwer es ihr gefallen sein musste, sich stundenlang diese schrecklichen Bilder anzusehen. Sie sollte auf andere Gedanken kommen.

Isabella ging auf sein Spiel ein. ››Ich möchte ausgehen. Wer weiß, was du bei einem intimen Dinner mit mir vorhast.‹‹ Eric grinste sie zweideutig an.

››Du weißt nicht, was du dir entgehen lässt.‹‹

Sie zogen sich ihre Jacken an und verließen die Wohnung. Auf dem Weg zum Fahrstuhl legte Eric seinen Arm um Isabellas Taille. Er beugte seinen Kopf zu ihr und hauchte einen Kuss auf ihren Hals. Isabella bekam bei dieser Berührung eine Gänsehaut, ließ es sich jedoch nicht anmerken.

››Für die Kameras‹‹, flüsterte Eric ihr ins Ohr.

››Natürlich‹‹, sagte sie mit einem vieldeutigen Lächeln.

Sie fuhren nach unten, durchquerten die Lobby und traten in die Abenddämmerung hinaus.

››Wo wollen wir hingehen?‹‹, fragte Eric während er Isabella ansah.

Sie lachte. ››Wir passen nicht besonders gut zusammen.‹‹ Sie spielte auf ihre Kleidung an. Sie selbst war wesentlich legerer gekleidet als Eric. So konnte sie nicht in eins seiner Lieblingsrestaurants gehen.

››Ich glaube, heute suche ich mal das Restaurant aus. Du kennst bestimmt keins, in das man mit Jeans gehen kann‹‹, entschied Isabella.

››Du könntest mit deinen Sachen auch in eins meiner Restaurants gehen‹‹, widersprach Eric.

››Ja, aber nur, wenn du den Typen am Eingang bestichst.‹‹

Nach zehn Minuten erreichten sie das Café, vor dem sie sich zum ersten Mal begegnet waren.

››Du willst mit mir Kaffee trinken! Und ich hatte gehofft, ich bekomme was Anständiges zu essen‹‹, sagte Eric. Isabella verdrehte demonstrativ die Augen.

››Ich kenne da ein Restaurant. Die machen echt tolle Sachen aus den Gemüsen der Saison. Hast du Lust darauf?‹‹

››Ja, klar! Ich dachte ...‹‹

››Dann komm mit!‹‹, unterbrach sie ihn, bevor er noch mehr Unsinn von sich geben konnte.

Sie gingen in eine schmale Straße und nach ein paar Metern hatten sie ein kleines Restaurant erreicht. Sie traten ein und bestellten ihr Essen an der Theke. Dann nahmen sie an einem der Tische Platz.

Ein paar Minuten später kam das Essen.

››Das sieht gut aus‹‹, meinte Eric.

››Ja‹‹, bestätigte Isabella. ››Ich wette, hier bezahlen wir nur so viel, wie du sonst für eine Vorspeise ausgeben würdest.‹‹

Eric überflog die Preise. ››Ja, das kommt ganz gut hin. Ich frage mich, warum ich sonst immer so viel für mein Essen bezahle.‹‹

››Vielleicht, weil du nur in überteuerte Yuppie-Läden gehst?‹‹ Isabella lächelte ihn schelmisch an.

››Hm, daran könnte es wohl liegen‹‹, antwortete Eric in gespielter Nachdenklichkeit.

In einvernehmlichem Schweigen aßen sie weiter.

››Zur Feier des Tages werde ich bezahlen‹‹, sagte Isabella, als sie das Essen beendet hatten.

››Was feiern wir denn?‹‹, fragte Eric.

››Unser Jubiläum.‹‹

››Welches Jubiläum denn?‹‹

››Du hast unser Jubiläum vergessen? Das ist mal wieder so typisch.‹‹ Isabella versuchte entrüstet zu klingen, aber das Lachen in ihrem Gesicht machte diesen Eindruck zunichte. Auch Eric musste lachen. Es klappte nicht so ganz, ein Liebespaar beim ersten Streit zu spielen.

Wieder in Erics Wohnung angekommen, fuhren sie mit der Arbeit fort.

››Wenn die Nachfrage nach den neuen Solarzellen auf einmal stark ansteigt, wie soll dann eigentlich verhindert werden, dass die Produzenten die Preise erhöhen?‹‹, fragte Isabella.

››Der Staat könnte ihnen günstige Kredite für den Ausbau ihrer Produktionskapazitäten geben. Diese Kredite kann er dann mit der Auflage versehen, dass die Preise in den nächsten Jahren nur moderat erhöht werden dürfen. Nach ein paar Jahren werden wahrscheinlich so viele Firmen diese neuen Solarzellen herstellen, dass die Preise durch den Wettbewerb konstant bleiben oder sogar fallen‹‹, entgegnete Eric.

››Na, da wirst du ja deine ganze Überzeugungskraft brauchen, wenn du am Montag das Konzept vorstellst‹‹, sagte Isabella. Eric zögerte. Er musste es ihr endlich sagen.

››Isa, du wirst das Konzept am Montag vorstellen, nicht ich!‹‹

››Was? Ich? Warum soll ich das machen?‹‹ Entsetzt sah Isabella ihn an.

››Weißt du, die Sache ist die: Eigentlich sollte jemand vom Umweltministerium einen Vortrag halten, aber der ist krank und du springst quasi für ihn ein. So soll es zumindest für die Teilnehmer der Konferenz aussehen.‹‹

››Ich verstehe kein Wort!‹‹

››Ich habe meine Kontakte zum Umweltministerium und über diese Kontakte habe ich erfahren, dass der Vortragende krank ist. Aber das weiß sonst keiner. Das ist unsere Chance, deine Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit vorzustellen. Wir würden niemals auf so eine Veranstaltung eingeladen werden. Wenn ich den Vortrag halte, würde es auffallen, denn erstens kennen mich zu viele Leute und zweitens ist jemand aus meiner Firma da. Dich dagegen kennt wahrscheinlich keiner der Anwesenden, denn aus deinem Forschungsinstitut nimmt keiner teil. Du gehst dahin, und entschuldigst deinen Kollegen, der leider kurzfristig erkrankt ist. Du hältst deinen Vortrag und verschwindest wieder, bevor jemand merkt, dass du nicht vom Umweltministerium bist.‹‹

Isabella sah ihn ungläubig an, bis sie schließlich herausbrachte: ››Das kann doch unmöglich dein Ernst sein!‹‹

››Doch, mein voller Ernst! Das ist unsere einzige Möglichkeit, deine Forschungsergebnisse schnell zu veröffentlichen‹‹, sagte er und sah sie beschwörend an. Das war es also, was er ihr verheimlicht hatte.

››Aber ich kann so was nicht. Ich habe schon in der Uni nicht gerne Referate gehalten. Meinst du allen Ernstes, dass ich mich dann auf so eine Konferenz stelle und mich für jemanden ausgebe, der ich nicht bin? Selbst wenn ich es versuche, würde mir das kein Mensch abnehmen‹‹, sagte Isabella aufgebracht.

››Willst du etwa da sitzen und nichts tun, während sich eine Katastrophe anbahnt? So hätte ich dich nicht eingeschätzt‹‹, sagte er in kühlem Tonfall. Er wusste, dass es unfair war, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen, aber er musste sie unbedingt überzeugen. Diese Konferenz war vielleicht ihre einzige Chance. Isabella sah ihn an. Unsicherheit sprach aus ihrem Blick.

››Es ist ganz normal, dass du ein bisschen Angst hast, aber ich bin mir ganz sicher, dass du es kannst‹‹, redete er ihr nun wieder gut zu.

››Was ist, wenn jemand merkt, dass ich gar nicht beim Ministerium arbeite?‹‹, fragte sie immer noch unsicher.

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