Licht über weißen Felsen

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Wakiya schaute dem Blonden nach. Der schaudererregende Mensch ging hinüber auf die Zuschauertribüne und setzte sich hin, wie es auch viele andere taten.

Der Mann mit den borstigen Haaren ließ sich nicht mehr sehen.

Wakiya-knaskiya hielt sich den Kopf mit beiden Händen. An seinen Schläfen klopfte das Blut. Allmählich nur konnte er ruhiger werden und darauf achten, was um ihn vorging.

Drunten in der Arena wurde die Rodeoparade geritten; die Teilnehmer des Wettbewerbs zeigten sich. In ihrer Reihe ritt auch Joe King.

Ein Cowboy. Ein Cowboy, der einen Riesen mit einem einzigen Stein hätte töten können. Aber besaß er auch Kraft gegen den bösen Zaubergeist? Oder wurde er wehrlos gegen ihn, weil er selbst ein Geist geworden war?

Die Wettbewerbe begannen.

Ein kleines flüchtendes Kalb mit dem Lasso fangen und es fesseln, das konnte jeder Hirte. Nur war der eine schneller und behender als der andere.

Joe King machte dabei nicht mit.

Einem kleinen flüchtenden Kalb das Lasso um ein Hinterbein werfen, das war schon schwieriger. Nur wenigen gelang es in kurzer Zeit.

Für Joe King war es ein Spiel.

Ein junges, sehniges, wütend bockendes Pferd mit Sattel reiten war eine schwere Probe. Manche Reiter stürzten. Ein Mann wurde schwer verletzt.

Joe King hatte zugesehen.

Ein mit seiner ganzen Kraft und allen Tücken bockendes Pferd ohne Sattel reiten, das war die Kunst der Söhne der Prärie.

Inya-he-yukan saß auf der Bretterwand des Verschlags – er ließ sich auf den Rücken des Pferdes herabgleiten – die Tür des Verschlags wurde im gleichen Augenblick aufgerissen. Der Schecke stürmte heraus, und Inya-he-yukan ritt ihn. Wie bäumte sich das Tier! Es schnellte sich, dass der Reiter in die Höhe flog – stieg wieder – schlug hoch aus – Inya-he-yukan aber hielt das Gleichgewicht – Inya-he-yukan stürzte nicht.

Die geforderte Zeit war um. Doch der Schecke wusste so wenig wie die anderen Pferde etwas von der Stoppuhr des Preisrichters und seinem Signal. Der Reiter, der den Wettkämpfern beim Abschluss zu helfen und sie auf sein Pferd herüberzunehmen hatte, galoppierte heran. Der Schecke ließ ihn nicht in seine Nähe. Joe King musste von dem tobenden Pferd abspringen; das war der gefährlichste Augenblick. Zwei Reiter brachten den Schecken endlich mit Mühe hinaus.

Inya-he-yukan hatte seinen Cowboyhut verloren. Da stand er, schwarzhaarig, ein Indianer. Beifall brauste auf.

Wakiya klatschte nicht wie die anderen. Er hatte das nie gelernt. Er schaute nur aus seinem Baum hinab und hinüber zu Inya-he-yukan. Aber der Sieger schaute nicht zu ihm herüber, nicht mit einem Blick.

Nach der Pause folgte der Wettkampf im »steer-wrestling«, im »Ochsenringen«. Andernorts wurden dafür auch längst Ochsen eingesetzt, aber hier hatten es die Wettkämpfer noch mit jungen schwarzen Stieren zu tun. Wakiya hatte kein Programm in der Hand wie Queenie King, die im türkisfarbenen Kleid drunten am weißen Zaun der Arena stand, oder wie Margot Crazy Eagle, die auf dem Rasen saß. Wakiya musste warten, ob Inya-he-yukan in die Arena ging. Die anderen Teilnehmer sah er kaum. Aber jetzt wurde ein besonders schneller und starknackiger Stier in die Arena gejagt, von zwei Reitern rechts und links verfolgt, so dass er nicht ausbrechen konnte. Der eine der Reiter war Inya-he-yukan.

Der Indianer schwang sich hinüber auf den Stier, packte ihn von hinten an den langen Hörnern – glitt mit den Füßen auf den Boden und lief mit dem Stier – wollte das Tier zum Stehen bringen – wollte – aber der Stier lief – und der Indianer stolperte – und der Indianer lief doch – noch mit – noch immer mit – zu lang – zu lang – wurde er schon geschleift? – Nein – doch – aber jetzt stand der Stier.

Inya-he-yukan wechselte blitzschnell den Griff. Er hielt noch ein Horn des Stieres gepackt, mit der anderen Hand griff er in die Nase und versuchte, den Kopf des Tieres mit einem Ruck zu drehen. Der Stier stand wie aus Stein, gab seine ganze Kraft in den Nacken. Es gelang Inya-he-yukan nicht, ihm den Kopf zu drehen – Stierkraft gegen Menschenkraft – Hebelwirkung – gelang doch – der junge Stier musste sich fallen lassen, wollte er nicht das Genick brechen.

Der Indianer war erschöpft und taumelte.

Sein Cowboyhut lag wieder irgendwo.

Es war eine sehr schwere Übung. Nur wenige ganz junge und starke Männer bestanden sie.

Der Beifall für Inya-he-yukan blieb dennoch schwach. Er hatte sich zu erschöpft gezeigt.

Warum wollte er mehrere Proben bestehen? Eine genügte für diesen Indianer. Er brauchte sich nicht als Allround-Cowboy über die Maßen hervorzutun.

Inya-he-yukan erhielt seinen Hut abermals zurück, setzte ihn auf und verließ als Joe King die Arena.

Drüben auf der Tribüne saßen der böse Geist mit dem Lockenhaar und das schwarze Borstenfeld, glotzten und pfiffen abfällig. Wakiya war fast so erschöpft wie ein Stierringer. Er kletterte vom Baum herunter und lief zu Margot Crazy Eagle. Als sie sah, wie bleich das Kind war, fürchtete sie einen neuen Anfall der Krankheit. Aber Byron Bighorn aß und trank etwas und zeigte sich nach außen hin sehr ruhig.

In der Arena folgten noch mehrere Wettkämpfe. Wakiya blieb gleichgültig.

Er betrachtete noch einmal Queenie, die schöne junge Königin, um sie nicht zu vergessen.

Dann begann schon der allgemeine Aufbruch, und die Familien Whirlwind und Crazy Eagle beschlossen, mit den Kindern sogleich nach Hause zu fahren. An dem großen Tanzvergnügen, das des Abends und des Nachts in einer neuen Vergnügungsstätte stattfinden sollte, hatten sie kein Interesse.

Man begegnete noch Kate Carson, der fülligen Wohlfahrtsfrau, bei deren Anblick Wakiya stets an den roten Radiergummi denken musste.

»Sie bleiben noch?«

»Mit Mr Haverman. Wir versauern sonst auf der Reservation. Mal zusehen, wie die jungen Leute tanzen. Die Rockband soll gut sein, sie kommt von außerhalb.«

Man grüßte und trennte sich.

Wieder ging die Fahrt durch die einsame Prärie und über die Grenze, die niemand sehen konnte. Das Vieh drängte sich noch am halb ausgetrockneten Bach. Bei dem leeren Zelt und der Bretterwand fanden sich keine Besucher mehr ein. Mahnend stand nur noch der Name in großer schwarzer Schrift: Crazy Horse.

Tashunka-witko, dachte Wakiya, und er dachte an die weißen Felsen und an »Stein hat Hörner«… Stonehorn, wie manche auf Englisch sagten.

Aber Inya-he-yukan war Joe King geworden. Um des Preises willen war er zu den Geistern gegangen, die ihn hassten und verderben wollten.

Als die Agentursiedlung erreicht war, fröstelte Wakiya und wollte heim zur Mutter. Doch erlaubte Margot nicht, dass er bis in die Nacht hinein noch einen langen Weg laufen würde.

Er musste in dem Haus Crazy Eagle im weißbezogenen Kinderbett schlafen.

Dreimal fuhr er schreiend aus seinen Träumen auf, weil er einen bösen Geist gesehen hatte. Margot stand jedes Mal auf, um ihn zu beruhigen.

»Es war zuviel für ihn.«

David wurde durch die Unruhe nicht geweckt; er schlief und lächelte im Schlaf.

Der Sonntagmorgen brach an. Familie Crazy Eagle und Wakiya saßen zusammen am Frühstückstisch, tranken aus bunten Plastiktassen und aßen von bunten Plastiktellern. Wakiya liebte weder Margarine noch Milch.

David lauerte nur auf die Erlaubnis des Vaters, sprechen zu dürfen.

»Vater, darf ich Cowboy werden?«

»So gut reitest du noch lange nicht, Junge.«

»Ich möchte aber. Wie Joe King!«

»Dann musst du üben.«

»Vater! Ich muss ein Lasso haben.«

»Wozu?«

»Ich muss üben.«

»Wünsche es dir zum Geburtstag.«

»Dann sind die Ferien schon vorbei!«

»Also müssen wir deinen Geburtstag vorverlegen und Weihnachten dazu.«

»Vater, ich habe doch auch Namenstag. Könnte ich da nicht das Lasso bekommen?«

»Wir wollen sehen.«

»Vater, Susanne kann schon gut reiten.«

»Sie lebt ja auch auf einer Ranch.«

»Vater, ich möchte Rancher werden und Cowboy. Wie Joe King. Dann heirate ich Susanne. Ich muss ein Pferd haben.«

»Ist Joe King so gut geritten?«

»Vater, er hat einen ersten Preis gewonnen! Ein Indianer! Er hat über die Cowboys gesiegt. Ich möchte werden wie Joe King.«

»Ein guter Reiter möchtest du werden!«

»Weißt du das mit dem schwarzen Stier, Vater? Er hat ihm den Kopf herumgedreht und dann ist der Stier hingefallen.«

»Versuche es mit einem Kalb.«

»Aber Vater! Das Kalb hat doch keine Hörner. Lange Hörner braucht man dazu.«

»Beim steer-wrestling war Joe auch dabei? Das ist eine ungewöhnliche Leistung.«

Nun meldete sich Margot zu Wort.

»Joe hat sich tatsächlich wunderbar gehalten. Die ganze Reservation kann stolz auf ihn sein. Der Superintendent war sehr zufrieden.«

»Sehr gut. Joe und Queenie haben es jetzt auch leichter auf ihrer Ranch – seitdem der alte King nicht mehr lebt, der das Geld vertrank. Vielleicht wird doch noch etwas aus dem …«

Ed Crazy Eagle verschluckte rasch ein Wort, das er auf der Zunge gehabt hatte. »Ich bin froh, dass die Sache glatt gelaufen ist. Ihr seid nach dem Rodeo alle gleich nach Hause gefahren?«

»Kate Carson und Haverman und auch Familie Booth sind noch in New City geblieben und natürlich Joe und Queenie zum Tanzen am Abend. Die Newt Beats spielten.«

»Hoffentlich lief auch das noch glatt ab.«

»Warum sollte es nicht?«

»Die Polizei befürchtete Tumulte … und fürchtet einige Gangster, die aufgetaucht sein sollen. Der Bandenkrieg scheint noch nicht zu Ende. Und Joe ist da irgendwie verstrickt … oder verstrickt gewesen. Lassen wir das. – Wann bringst du Byron heim?«

 

»Gleich nach dem Mittagessen. Das Mittagessen sollte er noch bei uns haben.«

Den Vormittag über trieben sich die beiden Jungen in der Siedlung umher. David erzählte vom Rodeo, und alle Jungen spielten Pferd und Reiter. Einer musste jeweils das bockende Pferd machen, ein anderer den Reiter.

Wakiya-knaskiya schaute zu. Er war schwach, und er war auch überflüssig. Bis David ihn zum Preisrichter ernannte. Aber Wakiya wusste, dass er nie so stark werden konnte wie Joe King, und nie würde er Susanne Wirbelwind heiraten können.

Auch Inya-he-yukan hatte seine Augen nicht mehr auf ihn gerichtet. Er war es nicht wert.

Wakiyas trübe Gedanken wurden unterbrochen.

Aus Richtung New City kamen einige Wagen die Straße herauf. Einer zweigte ab und fuhr am Haus Crazy Eagle vor. Kate Carson stieg aus. Sie sah müde aus und schnaufte wie ein erschöpftes Pferd. David rannte sofort zu dem zu erwartenden Besuch, und Wakiya lief hinterher. Die Kinder gingen mit Kate Carson zusammen ins Haus.

»Danke, lieber Crazy Eagle, aber ich setze mich erst gar nicht, ich will sofort nach Hause. Es war ja grauenvoll! Ich bin völlig erschöpft. Nur schnell zu Ihrer Information …«

»Was hat es gegeben, Mrs Carson?«

»Die rasenden Fans – Tumult – das war verrückt, aber nicht das Schlimmste. Nichts dabei zum Teufel gegangen als das Bretterpodium. Aber dann haben sie geschossen – sie haben Menschen umgebracht – der Hauptverbrecher ist der Polizei noch entgangen.«

»Wer?«

»Ein Schurke, ein Mörder, ein Wahnsinniger – blondgelockt – pervers – Jenny ist sein Gaunername.«

»Sind Freunde von uns zu Schaden gekommen?«

»Scheinbar nicht. Hoffentlich ist Joe King noch am Leben. Er war mitten in der Schießerei … Wie ist so etwas nur möglich!«

»Treffen wir uns heute nachmittag bei Eivie? Meine Frau wird hingehen können, wahrscheinlich auch ich selbst. Dann berichten Sie in Ruhe.«

»Ruhe?! Aber Sie haben recht, ich muss mich beruhigen. Ich werde etwas einnehmen.«

Kate Carson stürzte wieder zu ihrem Wagen.

Margot zitterte. »Ed, was kann das gewesen sein?«

»Gangsterrache, nehme ich an. Joe scheint sich losgesagt zu haben. Das wollen sie nicht dulden.«

»Aber wozu haben wir Polizei und Gerichte, Ed?«

»Die Gangster sind ein Staat im Staate …«

»Du meinst, Joe hat zu ihnen gehört?«

»Daran ist leider kein Zweifel.«

»Aber wie ist das nur gekommen? Er scheint doch ein ganz tüchtiger Mensch zu sein.«

»Ich habe es nicht miterlebt, Margot. Aber der Vater ein Trinker – die Mutter fort – der Junge ein schlechter Schüler – mit sechzehn Jahren kam er zum ersten Mal ins Gefängnis – er hatte in der Schule gestohlen.«

Wakiya schrie auf. »Nein!«

Ed, Margot und David wandten sich wie mit einem einzigen Ruck dem Kind zu.

Der Blinde wollte Wakiya, dessen Lippen nach dem Aufschrei noch zitterten, über das Haar streichen. Aber das Kind entzog sich ihm.

»Teacock lügt!«

»Byron Bighorn! Setz dich hin und hör mich an. Ich muss jetzt sehr ernsthaft mit dir sprechen.«

Langsam nahm Wakiya einen Stuhl und setzte sich.

»Byron Bighorn! Wann hast du mit Joe King über diese Sache gesprochen?«

Wakiya schwieg.

»Byron Bighorn! Ein Lehrer lügt nicht. Sag das nie wieder. Verstehst du?«

Wakiya schwieg.

»Byron Bighorn, antworte mir!«

Wakiya schwieg.

Ed Crazy Eagle war selbst ein Indianer. Er wusste, dass er das Kind jetzt nicht zum Sprechen bringen konnte.

Während Wakiya-knaskiya auf dem Stuhle sitzen blieb und nicht anders fühlte als je ein Angeklagter, der die Aussage zu verweigern entschlossen ist, wandte sich Ed mit leisen Worten an seine Frau: »Dieser Joe King ist so gefährlich wie faszinierend. Es mag sein, dass er sich aus seinem üblen Leben selbst herausreißt – obgleich es schwer ist, sich an den eigenen Haaren aus einem Sumpf zu ziehen, und helfen kann ihm im Grunde niemand von uns. Queenie hat er an sich gekettet. Sie wird nie etwas Böses tun, auch wenn sie zugrunde geht. Aber ein in jeder Beziehung anomales Kind, krank und überbegabt, ist in Gefahr, wenn ein Joe King seine Phantasie völlig einnimmt. Was kann man nur tun? Auch die Einsamkeit des Bighorn-Hauses verführt nur zum Unwirklichen.«

»Ed, ich wage nicht, den kleinen Bighorn zu uns zu nehmen. Ich fühle mich dieser Aufgabe nicht gewachsen. Ich habe Angst vor seiner Krankheit.«

Margot schämte sich.

Ed wollte ihr eine solche Empfindung ersparen. »Es wäre auch falsch, ihn von der Mutter wegzuholen.«

Ed und Margot mochten glauben, dass Wakiya ihren Worten nicht folgen könne. Er hatte jedoch mehr erraten, als sie ahnten.

Wakiya hasste Ed Crazy Eagle in diesem Augenblick, denn er schien ihm aus einem Menschen ein Geist und ein Richter geworden zu sein. Ed war ein Richter der Geister, so, wie die Mutter es gesagt hatte. Er wiederholte Teacocks Lügen. Und wenn Inya-he-yukan auch sich selbst und seinen kleinen Bruder Wakiya vergessen und verraten hatte und ganz Joe King geworden war, um einen Geisterpreis zu gewinnen, so sollte doch keine Zunge sagen, dass er gestohlen habe. Wakiya glitt plötzlich vom Stuhl, und bis Margot und Ed das recht erfassten, war er schon aus der Tür. Er lief nicht auf der Straße, denn er wusste, dass man ihn auf der plattgetretenen Schlange mit dem Auto fangen konnte. Er huschte zwischen den Gärten durch in die Prärie hinaus, versteckte sich dort, schlief und machte sich gegen Abend auf den Heimweg.

Bei Sonnenaufgang hockte er an der Türöffnung der Blockhütte, und die Mutter fand ihn da.

Sie fragte nichts. Wenn Wakiya wollte, würde er schon zu erzählen beginnen.

Die Ferien traten in ihre zweite Hälfte. Der Gipfel war überschritten, und die Tage und Nächte rollten dem nächsten Schuljahr zu.

Wakiya spürte, wie sie abwärts rollten.

Er igelte sich wieder ein, saß nachmittags und abends in seinem Versteck und wollte weder Wasser holen gehen noch der Mutter einkaufen helfen. Morgens spielte er mit Bruder und Schwester Schule oder Rodeo oder mit dem Bruder allein Fußball. Die Mutter hatte eines Tages einen alten Fußball mitgebracht, aber sie gestand nicht, wer ihn ihr geschenkt hatte.

Beim Abendbrot berichtete sie Wakiya aber, was sie in der Agentursiedlung Neues gehört hatte: »Inya-he-yukan haben sie schon wieder geholt, und keiner weiß, wohin sie ihn gebracht haben. Tashina war beim Superintendent deswegen. Sie ist bleich und sieht mager aus wie ein Reh in der Dürre. Es hat Mord und Blut gegeben in New City, und sie wollen von Inya-he-yukan irgendetwas wissen. Aber er sagt ihnen nichts. Er ist von unserem Stamm.«

»Wer ist Tashina?«

»Inya-he-yukans Frau, die die Geister Queenie nennen.«

Es war Wakiya nicht anzusehen, was er nun dachte. Er dachte aber, dass die Geister Inya-he-yukan ganz und gar sterben und verderben lassen wollten, alle die Geister, ob sie nun ein Teacock oder ein Superintendent oder eine Zauberbestie waren oder auch ein Geist, der aus einem Menschen entstanden war wie Ed Crazy Eagle. Wakiya aber konnte Inya-he-yukan nicht helfen. Denn Inya-he-yukan hatte sich selbst in das Geisterreich hineingewagt.

Die Tage und Nächte schienen immer schneller abwärts zu rollen.

Wakiya litt wieder unter seiner Krankheit. Er hatte keine schweren Anfälle, aber oft musste er laufen wie ein Toller, mit schlenkernden Armen und Beinen. Die Geschwister spielten für sich, und Wakiya lag auf den Decken in der Hütte oder er saß in seinem Versteck auf einem Präriehügel. Die beiden Hunde kamen dort zu ihm, so war er nicht ganz allein. Er hatte auch müde Gräser um sich, große, harte Yucca mit blauen Kernen und eine arme, kleine, vertrocknete Kaktee. Sie hätte dick und saftig werden können und eine große, rote Blüte tragen, doch hatte das Unwetter sie entwurzelt, und sie war im Staub vertrocknet, geschrumpft und hässlich. Wakiya liebte die hässliche, kleine, vertrocknete Kaktee, und wenn er des Abends zuweilen lange in seinem Versteck saß und der Mond schon am Himmel heraufzog, sprach er mit Mond und Kaktus. Der größere der Hunde jaulte zum blassen Himmelsgesicht hinauf wie ein sehnsüchtiger Wolf.

Wakiya war in der Prärie.

An manchem Abend, wenn er die Lider senkte und nur den Duft der trockenen Erde, des dürren Grases, der welkenden Blüten, den Geruch der halbwilden Hunde in sich aufnahm und das Leben des Windes, der von weither kam, von weither, weither und allüberall vom alten Land der Indianer, die die Winde heilig hielten – dann sprach Wakiya auch mit seinem Vater, und er sah ihn, wie er einst vor ihm gestanden und ihn die Geheimnisse gelehrt hatte.

Die Tage blieben noch heiß, die Nächte wurden klarer. Wie Zunder lag das verdurstete Gras auf rissiger Erde. Die Mutter und der Bruder mussten noch weiter laufen als bisher, wenn sie Wasser holen wollten. An Waschen war nicht mehr zu denken. Mutter und Kinder waren froh, wenn sie einmal am Tage ihren Durst löschen konnten.

»Mutter, was haben unsere Vorväter getan, wenn die Bäche austrockneten und auf der Prärie nichts als Durst war?«

»Sie haben getan, Wakiya, was die Büffel taten. Sie zogen zu den Wäldern der Schwarzen Berge, und sie zogen zu den Wäldern der Weißen Berge, wo die Quellen aus der Erde hervorkommen und zwischen den Felsen große Seen liegen, und da tranken sie und wuschen sich und schwammen.«

»Mutter, warum haben uns die Geister das Wasser weggenommen?«

»Warum, Wakiya, sollten sie uns das Wasser geben? Sie haben das Land genommen, sie haben die Bäume genommen, sie haben die Büffel genommen, sie haben das Gold genommen, sie haben das Wasser genommen. Wir sind übriggeblieben zum Sterben.«

»Wir sind aber noch immer da, Mutter. Können wir nichts tun?«

»Unsere Arme und Hände sind zu schwach, Wakiya.«

»Aber den Steinknaben, der alles tötete, was er antraf, haben nicht die starken Tiere besiegt, sondern die schwachen, die klug waren. Das hast du uns erzählt, Mutter.«

»Die Biber waren klug, und doch haben die Geister sie alle getötet und tragen ihre Felle als Beute.«

»Ich will aber nicht sterben. Wollen wir wandern gehen und im Garten des Vatergeistes Superintendent von dem Wasser trinken, das er aus seiner schwarzen Schlange mit dem gelben Maul über das Gras sprühen lässt?«

»Die Polizeimänner würden uns fortjagen, Wakiya, mit Stöcken und Mazzawaken.«

Durstig legte sich Wakiya auf die alten Decken. Es war schwül im Blockhaus. Die Mutter hantierte vorsichtig beim Kochen auf dem eisernen Ofen, denn jeder Funke konnte jetzt zum Brand werden. Wakiyas Worte und Gedanken wühlten dabei in ihr. Er hatte wahr gesprochen. In der Agentursiedlung tranken sie aus großen Bechern, badeten sich und netzten das Gras mit frischem Wasser. Aber Eliza Bighorns Kinder litten Durst.

Sie machte sich noch in der Nacht auf.

»Zum Stammesrat gehe ich, Wakiya. Sie sollen Wasser schaffen.«

In der folgenden Nacht erst kam sie wieder heim, einen Sack mit Wasser auf dem Rücken.

»Da!«

Mehr sagte sie nicht. Die Kinder tranken durstig und wuschen sich die Augen, die von Wind und Staub schmerzten. Dann verschloss die Mutter den Sack wieder als Vorrat für den nächsten Tag.

Als die kleinen Geschwister schliefen, begann die Mutter nach ihrer Gewohnheit mit Wakiya zu reden: »Sie sprechen Worte, die so leer sind wie eine ausgekernte Yucca.«

Wakiya schaute nach der Türöffnung, durch die der Mond hereinschien.

»Die Prärie ist zu trocken. Auch die Geister haben Angst vor dem Feuer.«

Wakiya atmete langsamer und tiefer. Es gab etwas, was die Geister fürchteten.

»Inya-he-yukan ist wieder da. Aber sein Verstand ist verwirrt, sagen sie. Er habe immer schon solche Augen gehabt.«

»Hat er sie noch, Mutter?«

»Ich habe ihn nicht gesehen. Aber geschwiegen hat er. Er ist von unserem Stamm.«

»Was ist sein Geheimnis?«

»Wenn wir es wüssten, wäre es keines.«

Am nächsten Tag saß Wakiya vom Morgen bis zur Nacht in seinem Versteck. Er dachte vorsichtig, nicht übereilt Schritt um Schritt vor sich hin.

Inya-he-yukan war nicht ein Geist geworden. »Er ist von unserem Stamm.« Die Mutter hatte es gesagt. Er trug nur den Namen Joe King wie ein Kleid, das ein Indianer anzieht und ablegt. Er trug den Namen wie seinen Cowboyhut. Wenn er ihn absetzte, war er ein Mensch, und wenn die Schere seinen Schädel kahl schnitt, wuchsen die schwarzen Haare immer nach. Die Geister konnten seine Augen nicht verstehen. Teacock hasste ihn. Wakiya-knaskiya liebte ihn. Auch Wakiya hatte einen solchen Namen, den man nehmen und weglegen konnte, Byron Bighorn.

 

Inya-he-yukan war in der Hand der Geister gewesen und hatte ihnen getrotzt. Wakiya musste bald wieder zu den Geistern in die Schule gehen. Aber sein Geheimnis wollte auch er nicht verraten.

In der Nacht konnte Wakiya keine Ruhe finden, obgleich er sich glücklich fühlte. Er hatte sein Traumbild wiedergefunden. Er schämte sich, dass er an Inya-he-yukan gezweifelt hatte, und war doch glücklich. Inya-he-yukan war der Stärkere.

Gegen Abend des folgenden Tages war es die Mutter, die unruhig zu werden begann. Sie blieb, ihren Gewohnheiten widersprechend, lange vor der Hütte stehen, mit dem Gesicht gegen den Wind, wie Wild, das wittert. Sie rief Wakiya zu sich her. Wakiya rannte in seiner alten, eng gewordenen Leinenhose herbei.

»Wakiya, was sagt der Wind?«

»Er spricht fremde Worte zu mir, Mutter.«

»Du kannst sie nicht verstehen. Ich verstehe sie auch noch nicht. Aber wir müssen wach bleiben.«

Zwei Stunden später, im letzten Abenddämmer, lief Wakiya zur Mutter, die noch Feuerholz machte.

»Mutter!«

»Wakiya-knaskiya?«

»Der Wind warnt uns!«

Die Luft begann zu rauschen. Eliza Bighorn legte den Kopf zur Seite, horchte, legte das Beil weg und rannte auf den nächsten Hügel. So schnell hatte Wakiya die Mutter noch nie rennen sehen. Oben stand sie und spähte in die dunkelnde Ferne. Dabei witterte sie wieder.

Sie schrie. Es gellte durch die Stille: »Feuer!«

Die Mutter sprang den Hügel herab, während die kleinen Geschwister sich bei Wakiya eingefunden hatten.

»Fort, fort! Zur Sandkuhle!«

Die Mutter nahm das kleine Mädchen auf den Arm, die beiden Jungen blieben dicht beieinander. So flüchteten sie, ohne sich noch ein einziges Mal nach der Hütte umzusehen. Die Hunde flüchteten auch, aber in der umgekehrten Richtung. Hoch in der Luft zogen Raubvögel davon. Tiefer, schon erschöpft, flogen Drosseln und Lerchen. Sie alle flüchteten dem in die Hitze der fernen Feuersbrunst hineinrauschenden Sturm entgegen, vom Feuer fort. Aber Eliza Bighorn glaubte, dass die weißen Felsen und die Straße zu weit entfernt seien. Mit den Kindern würde sie sie nicht mehr vor dem Feuer erreichen. Deshalb lief sie in umgekehrter Richtung zu dem Feuer hin. Sie musste mit den Kindern schneller als das Feuer bei der Sandkuhle sein.

Mutter und Kinder liefen um ihr Leben.

Der Feuersturm rauschte immer mächtiger, je näher das Feuer kam. Er trug Staub mit sich, zerrte in den Kronen der Kiefern und warf loses Holz umher. Es war nicht leicht, in den Staubwolken die Richtung zu halten. Der Staub setzte sich in den Nacken und wirbelnd auch in Nase, Augen und Ohren. Der Sturm verschlang die Stimmen. Die beiden Brüder wussten in Dunkelheit und Staub kaum mehr, wo die Mutter war. Sie fassten sich an der Hand, um einander nicht auch noch zu verlieren. Aber das hinderte sie beim Laufen.

Nun hatten sie die Mutter wieder. Sie trug die kleine Schwester auf dem Rücken. Die Luft rings war schon heiß, feuerheiß. Funkenschwärme stoben über den Nachthimmel, der durch den Rauch noch tiefer geschwärzt war. Die Flüchtlinge sahen nun die Sandkuhle, einen abgebrochenen Hügelhang, wo kein Gras wuchs. Aber noch war die erhoffte Rettung weit entfernt für ihre keuchenden Lungen, müden Füße, brennenden Augen.

Die Funkenschwärme schufen neue Brandherde auch außerhalb des wachsenden Feuerkreises. Am Boden lagen schon Vögel mit versengten Schwingen; sie konnten nicht mehr fliegen, und es blieb ihnen nichts als der nahende Feuertod.

Mutter und Kinder flüchteten.

Jetzt war die Sandkuhle näher, aber auch das Feuer rückte mit mörderischer Gewalt vor.

Ja, wenn Eliza Bighorn noch Pferde gehabt hätte wie einst der Großvater! Dann wäre die Flucht leichter gewesen. Aber als der Vater lange krank und arbeitslos gewesen war, hatte die Familie verkauft, was sie nicht auf dem Leib trug.

Barfuß liefen sie um ihr Leben.

Die Mutter war gestolpert und stürzte. Die kleine Schwester flog ins Gras. Die beiden Brüder hielten an, um der Mutter zu helfen.

»Lauft!« Eliza Bighorns Stimme war heiser.

Aber die Brüder liefen nicht fort. Sie kannten die Sandkuhle, sie wussten, wohin. Aber Mutter und Schwester zu verlassen, das kam ihnen nicht in den Sinn.

Mühsam richtete sich die Mutter wieder auf. Sie wusste selbst nicht, ob und wie sie sich verletzt hatte.

Aber da die Kinder mit ihr verbrennen würden, wenn sie nicht weiterlief, so lief sie.

Die Hitze blähte den Körper auf. Die Augen und der Gaumen stachen. Dunkelrot war der Horizont, schwarz wallten darüber die Rauchkronen. Das war das Feuer der Prärie, wie es seit Urväterzeiten die Büffel, die Mustangs, die Antilopen, die Bären, die Vögel und die Menschen gefürchtet hatten. Aber bei den Vorvätern warnten die Trommeln und Pfeifen, und ein rettendes Gegenfeuer wurde angezündet. Niemand wohnte damals allein und hilflos für sich. Immer standen Zelte beieinander. Immer waren Krieger und junge Burschen da, um Frauen und Kindern zu helfen.

Aber die Geister hatten befohlen, die Häuser weit zerstreut zu bauen, weil sie es als Rancher und Farmer selbst so gewohnt waren.

Eliza und die Kinder kamen noch zur Sandkuhle. Nachdem sie das Ziel erreicht hatten, krochen sie bis zur Mitte der großen, kahlen Stelle. Sie krochen auf allen vieren und blieben dann einfach liegen. Wenn das Feuer sie jetzt hätte erreichen können, wären sie wehrlos verbrannt.

Es sandte seine quälende Hitze und den Rauch, der die Lungen füllte und lähmen wollte. Rings flammte und qualmte die Prärie. Die Flüchtlinge sahen es nicht, sie lagen auf dem Gesicht, die Wangen drückten sie in den Sand, der warm und doch noch kühler als die Luft war.

Die Mutter rührte sich. Sie drückte Funken aus, die auf sie und die Kinder herabgestoben waren und die Kleider angesengt hatten.

Lange lagen die vier Menschen so, halb ohnmächtig zwischen Glut und Qualm, bis das Grasfeuer endlich vorbeigezogen war. In ihrem Rücken raste es weiter, und jetzt glühte dort der Himmel, und der rauschende Wind hatte die Richtung gewechselt. Er stürmte dem Feuer nach und trieb es an. Wolken von heißer Asche trieben über die Sandkuhle und marterten die Flüchtlinge mit dem, was sich davon niedersenkte. Mutter und Kinder hatten nicht mehr viel Kraft in sich. Sie konnten nicht mehr überlegen, sie konnten nur noch mühsam atmen und denken, dass sie leben wollten. Der Gaumen brannte ihnen vor Durst, die Zunge klebte trocken daran, aber sie hatten kein Wasser, nicht einen einzigen Tropfen. Der Kopf schmerzte sie. Sie waren so ausgetrocknet, dass sie kaum mehr sprechen und die Kinder nicht weinen und nicht schreien konnten. Sie lagen da wie die Toten.

Sie wussten nicht, wie lange sie so gelegen hatten, als ein kurzer Regen niederging. Sie wälzten sich auf den Rücken, rissen Hemd und Bluse auf, öffneten den Mund, streckten die Hände flach aus und ließen sich das erquickende, lebensrettende Nass auf die Stirn, auf die Brust träufeln und auf die nackten Füße.

Als der Regen vorüber war, leckten sie noch von dem feuchten, ascheverschmutzten Sand.

Die Mutter raffte sich auf und schaute über das verbrannte Land, über das jetzt die Sonne schien mit einem matten, unwirklichen Schein, denn sie hatte Asche und Sand schon wieder getrocknet, und der Wind kam ganz verwirrt aus vielen Ecken, und jagte Asche und Sand dahin und dorthin. Der Boden war noch warm. Zwischen den Asche- und Sandschleiern und dem farblosen Sonnenlicht glühte es noch rot und drohend, wo eine alte Krüppelkiefer sich vom Feuer nicht ganz hatte auffressen lassen.

Die Mutter suchte einen Gedanken zu fassen. Sie musste Wasser finden, sonst verdurstete sie samt den Kindern. Sie machte sich auf. Wakiya schaute ihr nach. Die Mutter hatte kein Gefäß dabei, um Wasser zu bringen. Das einzige, was sie noch besaß, waren die Kleider und ihr Messer. Mit dem Messer konnte sie eine Schale schnitzen, wenn sie Holz dazu fand. Als sie zurückkam, hielt sie eine trockene Schale in der Hand. Die Wasserstelle hatte kein Wasser mehr.