Wenn die Nacht stirbt und dunkle Mächte sich erheben

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Auf der letzten Stufe angekommen, blieb ich stehen und der Schwarzhaarige stoppte hinter mir, wobei er fast gegen meinen Rücken gestoßen wäre.

»Gefällt es dir?«, flüsterte Hunter unsicher, doch dafür gab es keinen Grund. Der Ausblick war ein Traum. Wir befanden uns auf einem der Türme des Schulgebäudes. Genauer gesagt auf dem Dach des Turms. Über uns funkelten die Sterne und der leuchtende Mond ließ mich sofort an Diana denken. Im Stillen dankte ich der Göttin für mein jetziges Leben und verlor mich in dem wundervollen Ausblick, den die Dachterrasse bot. Eine rote Decke war auf dem Boden ausgebreitet worden und auf dem Stück Stoff standen ein paar gestapelte Teller und ein Korb, aus dem eine halbe Weinflasche herausschaute. Besteck lag in einer kleinen Schale zusammen mit mehreren Servietten und ein Schneidbrett mit Brotmesser befand sich neben den Weingläsern. Ein Kerzenständer mit drei angezündeten Kerzen spendete Licht in der Mitte des Platzes und eine Schüssel mit Erdbeeren stand neben einem Tiegel voller geschmolzener Zartbitterschokolade. Es war perfekt. Die Atmosphäre war unglaublich romantisch und die Szenerie erinnerte an einen Liebesfilm, in dem sich das Paar gerade frisch verlobt hatte.

»Es ist…«, fing ich an und grinste, als Hunter sich anspannte.

»…unbeschreiblich«, beendete ich meinen Satz und drehte mich zu meinem Begleiter um, der erleichtert ausatmete. Kurz drückte ich dem Schwarzhaarigen einen Kuss auf die Lippen und ein angenehmer Schauer zog sich über meinen Rücken. Dann zog ich ihn an der Hand, die immer noch meine hielt, zur Decke und ließ mich auf einen freien Platz sinken. Hunter setzte sich neben mich und öffnete den Picknickkorb. Zum Vorschein kamen neben dem Wein auch noch Wurst, Käse und Butter. Als letztes zog er einen Laib Brot aus dem Behälter und schnitt ein paar Scheiben ab, sodass ich nur noch zugreifen musste.

»Ich hoffe, du hast Hunger, Prinzessin«, sagte er und überreichte mir einen Teller. Danach gab er mir ein Besteck und wir fingen an zu essen, während Hunter auf einem bereitgestellten CD-Player mehrere langsame Lieder abspielte. Die bezaubernden Melodien mit den hohen Klängen ließen die Atmosphäre noch märchenhafter wirken.

Das Brot war weich und schmeckte nach verschiedenen Körnern. Mein Belag bestand aus Butter und Käse, weil ich schon zum Frühstück massenhaft Fleisch verdrückt hatte und nur wenig Lust hatte wieder Speck zu verschlingen. Der Emmentaler schmeckte leicht salzig, während der Wein, den Hunter mir eingeschenkt hatte, eine süßliche Note beinhaltete. Der Alkohol färbte meine Wangen leicht rötlich, aber ich versuchte mir keine Gedanken darüber zu machen und genoss lieber die himmlischen Geschmacksnoten, die sich auf meiner Zunge vermengten und meine Geschmacksnerven angenehm vibrieren ließen. In der Zeit, in der ich es schaffte zwei Scheiben Brot zu essen, vertilgte der Schwarzhaarige das Doppelte, aber ich hatte die Vermutung, dass er nur so schnell aß, weil er angespannt war. Verwirrt über seine Verunsicherung versuchte ich, ein Gespräch zu beginnen.

»Gibst du mir die Erdbeeren?«, fragte ich lieblich und bekam schnell meine Nachspeise, nachdem sie in Schokolade getunkt wurde, vor die Lippen gehalten. Ich mochte die süßen Sammelfrüchte und nagte die Beere deshalb bis auf den Stängel ab, während ich Hunters Gesichtsausdruck genauestens beobachtete. Sein Kiefer war angespannt und Schweiß perlte von seinen Schläfen. Ich schluckte den Bissen hinunter und lächelte, um ihn zu beruhigen. Konnte es sein, dass er noch nervöser war als ich?

Nur kurz konnte ich durchatmen, da bot mir mein Begleiter hastig die nächste Erdbeere an, um keine unangenehme Pause entstehen zu lassen.

»Möchtest du keine?«, fragte ich lachend, als sich das Spiel viermal wiederholte und der Morgan-Bruder in der Zwischenzeit nichts zu sich nahm.

»Doch«, hauchte Hunter und biss sich nervös auf die Unterlippe. Diesmal war es an mir eine Erdbeere in die Schokolade zu tauchen und sie ihm vors Gesicht zu halten. Abwechselnd fütterten wir uns gegenseitig, bis alle Früchte aufgegessen waren und niemand von uns mehr einen Bissen hinunterbekam. Danach legte ich mich auf die kuschelige Picknickdecke und entspannte meine Glieder. Ich schloss die Augen und genoss die kühle Luft auf meiner Haut.

»Das war fantastisch«, sagte ich und zog den jüngeren Morgan-Bruder zu mir, der sich unbeholfen umsah, als wüsste er nicht, was er tun sollte.

»Das sollten wir dringend wiederholen«, lachte Hunter und legte seinen Arm unter meinen Kopf, sodass ich es bequemer hatte. Erfreut, dass er sich endlich entspannte, drückte ich mich an seinen starken Körper, der eine angenehme Wärme ausstrahlte. Der Abend kam mir irreal vor, da ich nach dem Schrecken, den wir erlebt hatten, nicht glauben konnte, dass diese Nacht nun ein Teil meines Lebens war. Ich liebte jede Sekunde, die ich mit dem schwarzhaarigen Schönling verbrachte und nicht an Tod und Verderben denken musste.

»Jederzeit«, erwiderte ich und schmiegte mich in seine Armbeuge. Hunter stemmte seinen muskulösen Oberkörper in die Höhe, sodass er sich über mich lehnen konnte und ich zwischen seinem Arm und seinem Gesicht eingebettet zum Liegen kam.

»Morgen, selbe Zeit, selber Ort?«, fragte er flüsternd und strich mir meine Haare aus der Stirn. Die liebevolle Geste ließ mein Herz höherschlagen und ich schluckte nervös.

»Ich liebe dich«, seufzte er und beugte sich näher zu mir, sodass ich meine Lippen leicht auf seine drücken konnte. Zärtlich rieb er seine Nase an meiner und leckte behutsam über meine Unterlippe. Die Finger seiner freien Hand fuhren die linke Seite meiner Gürtellinie entlang, während seine Zunge bedächtig in meine Mundhöhle eindrang und meine Zunge zum Spielen aufforderte. Kurz rangen wir um die Dominanz, die er schlussendlich mit unfairen Mitteln gewann. Geschickt lenkte er mich ab, indem seine Fingerspitzen meinen Körper liebkosten und sich an meinem Hosenbund festkrallten. Mir war trotz der angenehmen Temperaturen heiß und kleine Schweißperlen bildeten sich auf meiner Haut. Auch auf Hunters Körper bildete sich ein Schweißfilm, als ich mit meinen Händen über seinen Rücken strich und ihm zusätzlich leicht in die Lippen biss. Ich konnte ihn stöhnen hören und drängte mich ihm entgegen, woraufhin er sich aufsetzte. Kurz war ich verwirrt, doch dann kam seine Wärme wieder zurück und sein Shirt landete irgendwo entfernt auf einem der benutzten Teller. Ich fühlte seine nackten Schulterblätter unter meinen Händen und seine liebevolle Zunge in meinem Mund. Meine Brustwarzen stellten sich auf und ich stöhnte wieder, als Hunter mein linkes Bein anhob, um mehr von mir berühren zu können. Mein Kopf war wie benebelt und ich konnte keinen klaren Satz mehr bilden. Alles in mir schrie nach mehr. Mehr von diesem Gefühl und mehr von Hunter. Dass wir uns zum ersten Mal so nah waren und ich unser Verhältnis auf freundschaftlicher Basis belassen wollte, verdrängte ich einfach und genoss, was er mit mir tat. Auch die Tatsache, dass ich zum ersten Mal einem Menschen so nahe war, ignorierte ich gekonnt und verlor mich in dem Wunsch, in Hunter hineinkriechen zu wollen, damit sich nichts mehr zwischen uns drängen konnte.

Der Unterleib des jüngeren Morgan-Bruders bewegte sich rhythmisch gegen meine Mitte und er keuchte immer schneller. Einhändig versuchte er, mir mein Shirt über den Kopf zu ziehen, doch als er es nach dem vierten Versuch nicht geschafft hatte, seufzte er frustriert und beendete den Kuss. Bittende Augen sahen mir entgegen und in seinem Mundwinkel hing ein Spuckfaden, der ihn immer noch mit mir verband. Seine Wangen waren gerötet und er biss sich auf die Unterlippe, während ich mich selbst von meinem unerwünschten Kleidungsstück befreite. Dankbarkeit blitzte in seinen Augen auf und er keuchte laut. Nur Sekunden später lag Hunters Mund wieder auf meinem. Er zog seinen Arm unter meinen Kopf hervor und ersetzte ihn durch mein T-Shirt, damit ich nicht mit dem Hinterkopf am Boden aufschlug. Wohlig rekelte ich mich unter ihm, als er meine Hände über meinem Kopf platzierte und sie festhielt. Enttäuscht stöhnte ich, da ich ihn auch gerne weiter erkundet hätte. Gewissenhaft küsste er jeden Millimeter von meinen Lippen bis zu meinem Schlüsselbein und weiter runter zu meinem Bauchnabel. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinem Körper, als sich etwas Hartes an meine Mitte drückte und mir klar wurde, dass Hunter die Situation genauso genoss wie ich. Mit Bedacht schleckte mein Begleiter Kreise um die Einkerbung in meinem Bauch und küsste sich dann wieder hoch. Dreimal wiederholte er diesen Prozess und ich war froh, dass ich bereits auf dem Boden lag, da spätestens jetzt meine Beine, die sich wie Wackelpudding anfühlten, unter mir nachgegeben hätten. Mir war ungewohnt heiß. Meine Haut kribbelte und mein Körper schien Feuer zu fangen. Hunter löste ohne es zu wissen, nur mithilfe seiner Berührungen, einen Brand in meinem Inneren aus, der außer das Gefühl der Erregung alles wegschmolz und in meinem Herzen Flammen entzündete. Ein lautes Rascheln störte die Stille, die bis auf das gelegentliche Keuchen zwischen uns herrschte, weshalb sich die Realität kurz einen Weg durch meine Emotionen bahnen konnte. Weil das Geräusch jedoch genauso schnell verschwand, wie es gekommen war, dachte ich nicht weiter darüber nach und schloss wieder meine Augen. Wie in einer Blase, abgeschieden vom Rest der Welt, fühlte ich mich auf diesem alten Schuldach, während meine Begleitung sanft meinen Bauch streichelte und mit seiner Zunge meine Tätowierungen ableckte. Er fuhr mit seinen großen Händen meine Taille entlang und stoppte diesmal nicht an meinem Bund, sondern schob seine Finger zwischen den Knopf der Hose und meiner Haut, um meine Jeans zu öffnen. Das kühle Metall des Reißverschlusses bildete einen starken Kontrast zu seinen warmen Handflächen. Ich stöhnte und hob mein Becken an, als Hunter mir: »Fühlt sich das gut an, Prinzessin?« ins Ohr flüsterte. Mitten in der Bewegung erstarrte ich und mein Gehirn schaltete sich wieder ein, da ich sofort das Bild von Maria und ihrem Gemahl, der dieselben Worte an meine Vorfahrin gerichtet hatte, vor Augen sah und plötzlich war das Gefühl der Schwerelosigkeit in meinem Inneren verschwunden. Die Wirklichkeit brach auf mich ein und der Geruch von verwesenden Körpern kroch in meine Nase, als ich mich wieder an die alten Gemäuer der Kirche erinnerte, in denen Maria ihre letzten Tage gefristet hatte. Ganz allein, während ihr Gemahl ebenfalls qualvoll sterben musste, weil er sie geliebt hatte. Was zur Hölle tat ich hier? Wir hatten uns darauf geeinigt Freunde zu sein, und wenn wir jetzt weitergingen, würden wir nie mehr eine freundschaftliche Beziehung führen können. Aber die wichtigere Frage war: Wollte ich das? Wollte ich hier auf diesem Turm meine Unschuld an Hunter verlieren? War ich bereit, es zu tun?

 

Meine Ziehmutter hatte immer gesagt, dass Mädchen, die unverheiratet Sex hatten, in die Hölle kamen, aber ich war eine Hexe, deshalb würde mich der Himmel wahrscheinlich sowieso nie zu Gesicht bekommen. Aus irgendwelchen Gründen war ich trotzdem noch nicht bereit, Sex zu haben. Vielleicht, weil die letzte Zeit so verwirrend war. Vielleicht, weil ich jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, Leichen von Schülern sah. Vielleicht, weil ich mir meinen Gefühlen Hunter gegenüber nicht sicher war. Aber egal, welcher dieser Gründe mich zurückhielt, solange es sich nicht hundertprozentig richtig für mich anfühlte, sollte ich auf keinen Fall leichtfertig mit ihm schlafen, da wir ansonsten für immer ungewollt aneinander gebunden wären.

»Hör auf«, verlangte ich leise und wollte mich aufsetzen, um ein wenig Distanz zwischen uns zu bringen, sodass mein Körper nicht erneut meinen Verstand lahmlegen konnte. Hunter drückte meinen Oberkörper wieder auf den Boden und sagte: »Entspann dich, Prinzessin.«

Dann küsste er meine Schläfe und wandte sich wieder meinem Hosenknopf zu.

»Hunter, du sollst aufhören!«, wiederholte ich und schaffte es diesmal mich aufzurichten, weil mein Begleiter mehr damit beschäftigt war, mich auszuziehen, als meinen Brustkorb auf die Decke zu drücken. Wie ein Wahnsinniger riss er an meiner Jeans, bis der Verschluss sich endlich öffnete und er den Stoff von meinem Körper ziehen konnte. »Hunter, ich meine es ernst, hör jetzt auf!«, schrie ich und strampelte mit den Füßen. Was war in ihn gefahren? Ich biss erzürnt die Zähne zusammen, als Hunters Gewicht meine Beine in den Boden drückte und mir somit jegliche Bewegungsfreiheit nahm.

»Stell dich nicht so an«, fluchte er und hielt meine Arme fest. Unbehagen erfüllte mich und am liebsten hätte ich ihn für diese Aktion geschlagen, da er meinen märchenhaften Abend ruinierte. Außerdem benahm der Schwarzhaarige sich vollkommen irrational. Er zupfte und riss an mir, wie ein Kind an einer leblosen Puppe. Mit diesem Verhalten war es kaum vorstellbar, dass er mich vor wenigen Minuten noch wie eine Königin behandelt hatte.

»Was soll das?«, zischte ich und versuchte mich aus seiner Umklam-merung zu lösen.

»Du machst mir Angst«, kreischte ich und wollte seinen Griff lockern, indem ich mich gegen ihn stemmte. Zum ersten Mal verfluchte ich, dass er stärker war als ich mit meinen 70 Kilogramm Kampfgewicht, und wurde panisch. Kurz erhaschte ich einen Blick in Hunters Augen, die eine seltsam milchige Farbe angenommen hatten und mich aggressiv ansahen.

»Hunter?«, fragte ich wimmernd und versuchte von ihm weg zu krabbeln, weil seine Hände zu Fäusten geballt waren. Angriffslustig fuhr er sich übers Gesicht und mahlte mit den Zähnen. Als der Schwarzhaarige wieder nach mir griff, bekam ich seine Hand zu fassen und stellte mir vor, wie meine Finger heiß wurden. Augenblicklich schrie der jüngere Morgan-Bruder laut auf vor Schmerz und ließ von meinem Bein, das er wie einen Schraubstock festhielt, ab. Augenblicklich ließ ich die Flammen wieder verschwinden, um nicht aus Versehen das Dach in Brand zu setzen. Trotzdem war Hunters Handfläche krebsrot, aber seine Haut warf keine Blasen, wie es Nicoles Oberarm getan hatte, als ich zum ersten Mal meine Kräfte gegen einen Menschen eingesetzt hatte. Obwohl dieser Mistkerl es im Moment genauso sehr verdient hätte, wie die Eisprinzessin damals.

»Wo ist dein Problem?«, schrie er mir entgegen.

Was mein Problem war? Was war denn bitteschön sein Problem?

»Du hast mir wehgetan und du hast nicht aufgehört, als ich dich gebeten habe«, keifte ich zurück. Am liebsten hätte ich mich in eine Decke eingerollt und geweint.

»Als du nicht mehr wolltest? Wir machen ständig, was du willst. Du denkst immer nur an dich. Hast du dich jemals gefragt, was ich vielleicht will?«, fauchte er und Tränen der Wut traten mir in die Augen, weil ich einerseits wusste, dass er recht hatte, aber es andererseits keinesfalls entschuldigte, was für eine Show er gerade abzog. Außerdem hatte ich ihn oft gefragt, ob er irgendetwas anderes tun wollte und er hatte immer verneint. Er wollte mir Zeit lassen. Zumindest dachte ich das.

»Ich denke immer nur an die anderen. Auch an dich«, behauptete ich, um mich selbst zu verteidigen. Ich schniefte mitleiderregend und konnte nicht verhindern, dass sich salzige Tränen aus meinem Augenwinkel lösten. Warum nahm er mich nicht in den Arm, um mich zu trösten, wie er es sonst tat? Er stand einfach nur da und sah mich aus ausdruckslosen Augen an.

»Aber was du willst, wissen wir jetzt: Du willst mich einfach nur ficken«, setzte ich nach und kurz konnte ich einen Schimmer Reue in seinen Gesichtszügen erkennen, bevor er seine Mimik wieder unter Kontrolle hatte. Meine Worte waren hart. Das war mir bewusst, aber ich wusste nicht, wie ich anders mit der Trauer in meinem Herzen hätte umgehen sollen.

»Nein, ich wollte dich lieben, dich vergöttern, aber das willst du ja nicht«, warf er mir vor und schnappte sich sein Shirt vom Boden, um es wieder überzuziehen. Wütend funkelte er mich an, während er sich wiederaufrichtete.

»Ich kann nichts dafür, dass alles so unglaublich kompliziert ist«, murmelte ich kleinlaut und schlang die Arme um meinen Körper, um äußerlich Stärke zu signalisieren, obwohl der Versuch in Anbetracht meiner Tränen lächerlich war. Ob ich ihn beruhigen konnte, wenn ich ihm lange genug gut zuredete?

»Doch, weil du alles verkomplizierst. Bevor du an diese Schule gekommen bist, war alles leichter«, behauptete er angriffslustig und mir fiel es schwer, nicht zu schluchzen. Mit Reden kam ich in dieser Situation wohl nicht weiter. Das hielt er also von mir? Dass es besser gewesen wäre, wenn ich es nie an die Hexenschule geschafft hätte? Hunter reduzierte mich von einem Menschen zu einem wandelnden Problem auf zwei Beinen. Vielleicht nicht absichtlich, aber deshalb tat es nicht weniger weh.

»Schön. Dann wäre es wohl besser, wenn ich ganz schnell wieder von hier verschwinde«, flüsterte ich gekränkt, doch da er mir antwortete, wusste ich, dass er mich gehört hatte.

»Ja genau, spiel wieder das arme Mädchen, das für nichts etwas kann, aber ganz ehrlich: Ich habe mich wochenlang um dich bemüht und von dir kam absolut gar nichts. Glaub mir, ab jetzt brauchst du keine Angst mehr haben, dass ich mit dir schlafen will. Du bist einfach nur erbärmlich.«

Autsch. Das hatte gesessen.

Wenn er mich geschlagen oder angespuckt hätte, wäre die Botschaft nicht halb so erniedrigend gewesen. Noch vor einer Stunde dachte ich, dass alles zwischen uns in Ordnung war und nun verfluchte er jedes Wort, das ich je gesagt hatte. Kurz erstarrte Hunter, als ich ihm den Rücken zuwandte, weil er nun eine gute Sicht auf die Narben, die meine Ziehmutter mir zugefügt hatte, bekam. Aber das war mir lieber, als noch länger halb nackt vor ihm zu stehen, obwohl er mir nur Groll und Hass entgegenbrachte. Nackt war ich viel zu angreifbar. Der Leidensdruck in meiner Brust verstärkte sich und ich hatte das Gefühl, dass mein Herz zerbrach, sodass am Ende Millionen kleine Splitter gegen meine Organe stachen, jedes Mal, wenn ich einatmete. Ich beugte mich zu meinem Shirt und zog es über meinen geschundenen Körper. Was auch immer mit dem Schwarzhaarigen nicht stimmte, in dem Moment, in dem er einfach ging, ohne ein Wort zu sagen, wusste ich, dass das nicht mehr mein Hunter war. Mein Held hätte mich nie weinend mit einem vernarbten Rücken am Dach stehen lassen, ohne eine Erklärung zu verlangen. Er hätte nicht zugelassen, dass ich allein die Teller und die Lebensmittel in den Korb zurück räume, während ich mir den Kopf zerbreche, ob ich nicht einfach mit ihm hätte schlafen sollen. Auch wenn ich es im Nachhinein vielleicht bereut hätte. Mein Hunter hätte mich nie zu etwas gedrängt, dass ich nicht wollte. Mein Gemahl hätte mich in mein Zimmer zurückgebracht und gewartet, bis ich einschlafe, abgesehen davon, ob ich ihm den Sex verwehrt hatte oder nicht. Aber als ich allein in meinem Bett lag, mir die Augen ausheulte und Taras unruhigen Bewegungen, die sie seit Deinem Tod im Schlaf machte, lauschte, wurde mir klar, dass ich nicht mit dem bitteren Gefühl hätte leben können, wenn ich meine Jungfräulichkeit am heutigen Tag verloren hätte. Hunter würde das mit Sicherheit verstehen. Vielleicht war er nur wütend und frustriert gewesen, weil er schlecht geschlafen hatte oder er einfach Druck ablassen musste. Wahrscheinlich würde er sich morgen entschuldigen und alles würde wieder wie vorher werden. Mit etwas Glück würden wir es auch schaffen den heutigen Streit in Ruhe aufzuarbeiten, sodass wir beide mit unserer Beziehung zufrieden sein können. Eventuell lag er gerade selbst auf seiner Matratze im Burschentrakt und dachte darüber nach, wie er sich am besten bei mir für sein Verhalten rechtfertigen konnte, zumindest versuchte ich mir das fest einzureden. Aber damit lag ich falsch, Mel. Nichts ist wieder wie vorher geworden. Am nächsten Tag verschlimmerte sich die Situation zunehmend und das Schicksal erinnerte mich einmal mehr daran, dass es mich abgrundtief hasste.

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