Trible

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Aus der Reihe: Trible #1
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5. Kapitel

Ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden und so starrten wir uns an und ein Lächeln umspielte seine Lippen als er „Hi.“, sagte. Ich brachte kein Ton heraus, sondern konnte nur weiter in seine dunklen Augen schauen. „Katy, alles okay?“ Ertönte July´s Stimme neben mir und ich wandte den Blick zögerlich von ihm ab und schaute stattdessen July an, dessen blaues Kleid fast komplett nass war und sich einige Locken aus ihrem Zopf gelöst hatten und nun nass ihr Gesicht umrahmten. Ich nickte nur und July warf einen verstohlenen Blick zu dem Jungen rüber. „Na dann.“ July hatte schon meine Hand genommen um mich weiter zu ziehen als eine neue Stimme ertönte. Ein blonder Junge ebenfalls in dem gleichen Alter wie der Andere hatte seine Hand auf dessen Schulter gelegt und grinste uns an. Er sah eigentlich auch nicht gerade schlecht aus. „Hey Jungs, was ist denn los?“ Ein Mädchen mit schulterlangen braunen Haaren lehnte sich lässig an den Blonden. „Oh hi. Ich hoffe meine Brüder belästigen euch nicht oder so?“ Der schwarzhaarige Junge mit dem ich vorhin zusammengeprallt war löste sich von dem Blonden und schaute mich weiterhin an. Ich schaute zurück, doch wieder war July der Grund weshalb ich mich abwendete, weil sie mich leicht mit ihrem Fuß getreten hatte. Ich funkelte sie böse an. July beachtete mich nicht, sondern hob skeptisch die Augenbraue. „Ihr seid Geschwister?“ „Klar. Nur hatte unser Vater das Bedürfnis, das er gleich drei Frauen schwängern zu müssen und das fast zur gleichen Zeit, weshalb wir bis auf Lucy gleich alt sind.“ Wow, das nenn ich mal einen Vater. Der Blonde lachte auf. „Ja, bei uns zwei war es eh ein One-Night-Stand gewesen. Stimmt’s, Lucas?“ Dieser verzog das Gesicht nur zu einer Grimasse. Lucas also. irgendwie passt der Name und das Mädchen heißt also Lucy. „Und ihr? Freundinnen oder Geschwister?“, fragte sie auch sogleich und beäugte uns. „Geschwister.“, antwortete July und lächelte. Das Mädchen tippte sich mit dem Finger ans Kinn. „Ihr seht euch ja gar nicht ähnlich.“ Wut kochte in mir hoch. Natürlich sahen wir uns nicht mehr ähnlich seit July sich verwandelt hatte und ich jetzt auch. Ich habe es immer gehasst, wenn solche Sprüche wie von dieser Lucy immer geäußert wurden. Früher konnte man uns von weitem nicht mal unterscheiden, im Gegensatz zu jetzt. „Muss man das denn?“, fragte ich deshalb spitz zurück und ich bemerkte wie kurz ein Schatten von Verblüffung bei ihr erschien aber er verschwand so schnell er auch gekommen war. „Nein, natürlich nicht.“, sagte sie lächelnd und ihr Lächeln wurde sogar noch breiter. „Hey, aber wollte ihr mit uns mal hochgehen. Dort gibt es so einen Laden. Ich habe aber keine Ahnung wie man einen Laden nennt bei dem es Saft, Kaffee und Essen gibt.“ July lachte auf. „Ich habe auch keinen Plan, aber wir gehen gerne mit. Wir sind nämlich neu hier und mein Magen knurrt wie die Hölle und bin deshalb froh über eine anständige Mahlzeit.“ Der Blonde lachte ebenfalls auf. „Das kenn ich.“ Er machte eine kleine Pause ehe er fortfuhr. „Aber hey wir kennen eure Namen ja noch nicht einmal.“ „Ich bin Katy und das ist July.“, antwortete ich hastig und warf Lucas einen verstohlenen Blick zu. Warum auch immer fühlte ich mich von ihm angezogen. „Okay. Ich bin Lucy und das ist Maik und Lucas.“ Lucy zeigte zuerst auf den Blonden dann auf Lucas. „Na dann, kann`s ja losgehen. Wir holen nur noch schnell unsere Sachen.“ July neben mir schaute an sich hinunter. „Äh, vielleicht sollten wir uns vorher umziehen.“ Maik winkte ab und schenkte ihr ein Lächeln. „Kein Problem, wir können draußen sitzen. Ist sowieso schöner.“ Wir wollten uns schon in Bewegung setzten als mich ein heftiger Schmerz durchzuckte. Es war wieder die linke Seite, dort wo mein Herz war. Ich keuchte auf und presste meine Hand auf die Stelle. Ich kam gar nicht zum Schreien, weil im nächsten Moment der Schmerz schwächer wurde bis nur noch ein leises Pochen zu spüren war. Ich zuckte zusammen als ich spürte wie July meinen Arm umfasste. „Geht es dir gut?“ Ich nickte und hob den Blick wieder, die Hand legte ich aber nicht ab. July musterte mich forschend. „Vielleicht war es doch keine gute Idee schon zu gehen.“, wisperte sie mir zu und ich schüttelte den Kopf. „Alles okay?“ Ich lenkte den Blick von July auf Lucas, der nur ein paar Meter vor mir stand und mich besorgt musterte, doch das interessierte mich nicht. Es waren die dunklen Wolken über ihm. Pechschwarz waren sie, noch schwärzer als normale Gewitterwolken. Er machte einen Schritt auf mich zu und ich wich zurück als hätte er eine ansteckende Krankheit. Was hatte das zu bedeuten? Mein Blick wanderte zu Maik und Lucy. Sie hatten die gleichen Wolken, die ruhig über ihnen schwebten. „Katy?“ Ich machte noch einen Schritt zurück als ich Lucas Stimme hörte. „Was ist los?“ Ich wandte meinen Blick von ihnen ab und schaute stattdessen July an. Sie hatte keine schwarzen Wolken über sich, nur echte Besorgnis stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ich spürte wie das Pochen langsam schwächer wurde und ich wandte meinen Blick noch ein letztes Mal zu den drei Geschwistern zu. Ihre Wolken wurden immer schwächer, lösten sich langsam auf und verschwanden gänzlich. Genau in dem Moment als ich kein Pochen mehr spürte. Ich schüttelte verwirrt den Kopf und nahm meine Hand wieder runter. „Es war wirklich nett euch kennenzulernen, aber wir müssen leider wieder los.“ July wollte mich wegziehen doch ich blieb stehen. „Quatsch, ich habe riesen Hunger und ich glaube nicht das Mr. und Mrs. Jenkins etwas richtiges im Haus haben außer Sushi.“ July verzog eine Grimasse. „Stimmt, als ich gestern Nacht dort in der Küche war, habe ich nichts gefunden was in unseren Ernährungsplan passt.“ Lucy lachte neben uns und legte den Arm um July als wären sie beste Freunde. „Das kenn ich. Als meine Mutter so einen reichen Schnösel geheiratet hat, gab es auch nur so Sachen im Kühlschrank.“ Sie kam mit dem Kopf näher. „Sie hat immer so getan als würde sie das Zeug essen aber in Wahrheit hat sie sich heimlich Pizza bestellt.“ Wir mussten Lachen, doch es klang ein wenig künstlich bei mir. Ich tat das alles nur July wegen. Sie brauchte Freunde und Lucy schien ein guter Kandidat für eine Freundin zu sein. Und vielleicht ging ich auch wegen Lucas mit nach oben. Ich musste einfach herausfinden was hier los war. Was dieser Schmerz zu bedeuten hatte und die Wolken, die währenddessen über den Geschwistern erschienen waren. Und vielleicht wollte ich Lucas auch näher kennenlernen. „Geht es dir wieder besser?“, fragte mich Lucas, der langsamer geworden ist und jetzt neben mit mir am Ende läuft. „Ja klar.“ Ich spürte seinen Blick auf mir und ich konnte das Kribbeln in mir nicht unterdrücken. „Was war denn mit dir los? Es sah so aus als hättest du Schmerzen und als…“ Er brach ab. „Als hättest du Angst vor mir.“ Ich lachte auf um die angespannte Stimmung zu unterdrücken, doch es half nichts. Im Gegenteil, er schaute mich jetzt noch genauer an. Mist. „Ähm, ich habe manchmal schreckliche Migräne und da lasse ich halt außer July niemanden an mich heran. Klingt blöd ich weiß.“ Ich war wirklich gut im Lügen. Ob das jetzt gut oder schlecht war wusste ich nicht. Ich denke mal Beides. „Und warum hast du dir dann deine Hand ans Herz gelegt?“ Ich grinste ihn an. „Dir entgeht wirklich nichts.“ Ich seufzte als er mich immer noch musterte. Mein Gott war der Hartnäckig, aber irgendwie gefiel mir das. Es gab mir das Gefühl, das ich ihm nicht egal war, was aber totaler Unsinn war. Wir kannten uns schließlich erst seit ein paar Minuten. Aber vielleicht spürte er ja auch diese Anziehungskraft zwischen uns und ist deswegen besorgt, weil ich ihm nicht egal bin. Ich verscheuchte den Gedanken indem ich den Kopf schüttelte. „Das ist nur so ein Reflex. Keine Ahnung weshalb ich mir dorthin fasse anstatt an den Kopf.“ Er wandte den Blick ab und nickte als gäbe er sich mit dieser Antwort zufrieden. „Und seit wann wohnt ihr schon hier?“ Versuchte ich hastig das Thema zu wechseln und es klappte tatsächlich. „Seit ein paar Monaten erst. Wir wohnen hier mit unserem Vater, der eine neue Freundin hat, die so hohl wie eine Glühbirne ist, aber so lässt er uns viel Freiraum, weil er sich die meiste Zeit mit ihr beschäftigt.“ Er zog eine Grimasse. „Obwohl ich eher denke, dass sie hinter seinem Geld her ist, wenn sie überhaupt so weit denken kann.“ Ich lächelte. „Und was ist mit euren Müttern? Ich meine warum lebt ihr nicht bei ihnen?“ Er schüttelte den Kopf. „Das ist gar nicht so einfach. Lucy´s Mutter zum Beispiel ist vor einem Jahr an Krebs gestorben, sie wohnt seitdem bei Dad.“ Er schaute kurz zu Lucy hinüber. „Ich glaube manchmal, dass sie mit ihrer fröhlichen Art ihren Schmerz verbergen will.“ Ich nickte. „Das kenne ich.“ Er warf mir einen verstohlenen Blick zu, fragte aber nicht nach, worum ich wirklich dankbar war. Bei mir war es genauso. Ich hatte auch meine Trauer hinter einem dicken Panzer versteckt. Ich wollte dieses ganze Mitgefühl nicht und habe alles versucht um dem zu entkommen. Indem ich fast immer ein Lächeln auf den Lippen hatte sprachen die meisten nur ihr Beileid aus, anstatt sie mich noch in den Arm zu nehmen und mir tröstende Worte zusprachen, die es nur noch schlimmer machten. July konnte es nicht und brach vor Kummer manchmal zusammen. Ich tat es auch, nur alleine in meinem Zimmer. „Maik´s Mutter ist vor zwei Jahren im Irrenhaus gelandet. Er redet nicht über sie oder besucht sie. Ich weiß nur, dass sie nach dem Tod ihrer Mutter depressiv geworden ist. Maik hatte seine Großmutter zum Glück nie kennengelernt und so konnte sie ihn auch nicht in das gleiche schwarze Loch ziehen.“ „Das ist ja furchtbar.“ Lucas schüttelte den Kopf. „Er versucht es genauso wie Lucy zu verstecken aber manchmal sehe ich es ihm an wie er leidet, wenn unser Dad von ihr spricht. Er scheint das aber nie zu bemerken.“ „Und was ist mit…“ Ich schluckte. „Mit deiner Mum?“ Er blickte mich nicht an als er sprach. „Sie ist gestorben als ich nur ein paar Monate alt war. So ein Penner ist in sie hineingefahren. Sie war sofort tot. Ich habe keinerlei Erinnerung deshalb an sie. Dad hat mir zwar Bilder gezeigt und mir von ihr erzählt, aber das war nie das Gleiche.“ „Lucas, das tut mir so…“ „Leid?“, vervollständigte er meinen Satz und sah mich dabei an. „Ich weiß. Das sagen alle, die davon hören.“ Er stieß hörbar Luft aus. „Ich kann Mitgefühl nicht ausstehen.“ Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich auch und habe genau das Gerade bei ihm gemacht. Ich bin ja so eine Idiotin. „Aber das musst du doch mit am besten wissen oder?“ Ich blieb stocksteif stehen und starrte ihn an. „Was?!“ Er blieb ebenfalls stehen. „Mr. und Mrs. Jenkins sind eure Pflegeeltern. Sie sind dafür bekannt das sie Kinder bei sich aufzunehmen. Manche reden darüber, weil sie es komisch finden, dass die Meisten nach einem Monat oder so wieder verschwinden. Seitdem wir hier sind waren es schon drei Kinder wobei es wie bei euch auch ein Geschwisterpaar gab. Als ihr sie vorhin erwähnt habt, wusste ich das eure Eltern tot sein müssen.“ Ich starrte ihn weiterhin an. Seine Worte haben in mir Misstrauen ausgelöst. Nach einem Monat sind wir hier vermutlich schon wieder weg. Aber wohin sind die anderen Kinder alle verschwunden? Waren die etwa auch Drachen? „Wie alt waren die immer?“ Er zog die Stirn in Falten. „So in eurem Alter meistens. Wieso?“ Ich blieb einer Antwort erspart, weil plötzlich July gefolgt von Lucy und Maik neben uns auftauchten. „Wo bleibt ihr denn?“ July schaute misstrauisch zwischen uns hin und her. „Alles klar bei euch?“ „Klar, wollen wir jetzt endlich was essen gehen?“ Ich ließ die Anderen stehen und ging voraus wobei ich Lucas Blick in meinem Nacken spürte. Wieder dieses Kribbeln in mir und ich musste unwillkürlich lächeln. Wer weiß was die schwarzen Wolken über ihm zu bedeuten hatten, aber eins wusste ich. Lucas gehörte zu den Menschen, die nicht böse sind und an die ich bestimmt noch häufig denken werde.

 

6. Kapitel

Der restliche Tag mit den Halbgeschwistern war eigentlich gar nicht so schlecht gewesen. Nachdem wir uns eine riesige Pizza geteilt hatten, die July und ich fast alleine aufaßen, wenn die Anderen uns nicht gestoppt hätten, sind wir noch eine Weile geblieben, während Lucy uns mit großen Gesten die Gegend beschrieb. Ihre Brüder Maik und Lucas gaben nur manchmal Kommentare von sich aber versuchten nicht ansatzweise Lucy bei ihrem Redefluss zu stoppen. Und wenn es Maik es einmal probierte, wurde er sofort von ihr angefahren, das sie es schon gleich sagen wollte und so. Lucas schlichtete immer schnell den kleinen Streit. Vermutlich war er schon Weltmeister darin. Ja, an Lucy konnte man sich echt gewöhnen. Schließlich musste sie doch aufhören zu reden, weil Lucas sie daran erinnerte, dass ihr Vater noch mit ihr reden wollte. Sie verzog zwar das Gesicht, ging aber dann nicht bevor sie uns umarmt hatte. July erwiderte die Umarmung sofort, während ich nur etwas überrumpelt da saß und ihr nachsah wie sie durch die Tür ging. Nachdem wir bezahlt hatten gingen wir an den Strand, dabei bemerkte ich wie die Zwei flirteten. Bevor wir uns trennten flüsterte ich noch July schnell zu. „Aber denk an deinen neuen Lover.“ July warf mir einen bösen Blick zu und kniff mich in die Seite bevor sie zusammen mit Maik verschwand. Natürlich hätte ich auch verschwinden können und zwar nach Hause. Allein. Doch irgendwie lief ich dann doch mit Lucas am Strand entlang und redete über alles Mögliche. Er erzählte mir etwas über sein bisheriges Leben, die Schule, das erste Treffen mit Lucy und Maik. Und ich berichtete ausführlich über meine alten Pflegefamilien, meine Eltern ließ ich dabei aus. Und immer wenn sich unsere Blicke trafen, klopfte mein Herz wie wild und meine Haut kribbelte an der Stelle wo er mich zufällig berührte wie verrückte. Die Verabschiedung war dagegen etwas komisch gewesen. Wir tauschten unsere Handynummern aus und dann verabschiedete er sich mit einem „Bis bald.“. Jetzt wo ich im Bett lag, musste ich immer wieder bei dem Gedanken an Lucas lächeln und da fiel es mir wieder ein. Die dunklen Wolken oder Schatten wie ich sie heimlich getauft hatte. Ich wusste immer noch nicht was sie zu bedeuten hatten. Lucas, Maik und Lucy waren stinknormale Teenager genau wie July und ich wenn man mal die Drachengeschichte ausschloss. Aber trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Ein Klopfen lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Tür. Ich setzte mich auf, knipste das Licht an und rief: „Herein.“. July´s roter Lockenkopf erschien in der Tür. „Kann ich reinkommen?“ Ich nickte und lehnte mich gegen das Kopfende. July ließ sich auf das andere Ende nieder und wir schwiegen einen Augenblick lang. July war es, die das Schweigen unterbrach. „Was war da vorhin am Strand los?“ „Was meinst du?“ Ich zog meine Knie an mich und schaute sie unschuldig an. Sie schnaubte. „Was ich meine? Ich meine, dass du vorhin anscheinend Schmerzen hattest und zwar hier.“ Sie legte ihre Hand auf mein Herz. Ich zog meine Knie noch enger an mich heran und legte mein Kinn auf ihnen ab, sodass July gezwungen war ihre Hand wieder wegzunehmen. „Katy, rede mit mir. Bitte. Ich mache mir Sorgen um dich.“ Ich konnte ihre Sorge richtig heraushören. Ja, das konnte July schon immer gut. Sich um mich sorgen, aber manchmal hatte sie es schon übertrieben. Unwillkürlich zuckte ich zusammen als plötzlich ihre Hand auf meiner ruhte. „Du kannst mir vertrauen. Das weißt du doch oder?“ Es zerriss mir fast das Herz July so zu sehen. In ihren Augen schimmerten schon die ersten Tränen. July war leicht zu verletzten. Sie war wie ein rohes Ei, das ganz leicht zerbrechlich ist. Und am meisten verletzte es sie, wenn man sie ausschloss, ganz besonders von ihrer eigenen Schwester. Aber ich konnte es ihr einfach nicht erzählen. July würde sofort verlangen, dass ich es den Anderen sagen sollte, damit sie mir helfen konnten. Und ganz oben auf der Liste der „Helfer“ stand bestimmt Sarah. Nein, ich traute ihr nicht über den Weg und insgeheim wusste ich, dass ich selbst herausfinden musste, warum ich diese Schmerzen hatte und ich diese Zeichnung nicht geschafft hatte. Ich stand ganz allein vor diesem riesigen Berg aus Fragen. Auch wenn July meine Schwester war, sie war in der Lage selbstständig zu den Anderen zu gehen um mich zu verraten. Sie würde das alles nur aus Liebe machen, aber das könnte ich ihr nie im Leben verzeihen. „Katy?“ Sie lächelte mich aufmunternd an. „Doktor Black kann dir bestimmt helfen. Er ist zwar kein Drache, aber der beste Arzt den man sich nur wünschen kann in so einer Situation.“ Ich schüttelte entschieden den Kopf. „Tut mir Leid July, aber ich kann es dir nicht erzählen.“

„Aber du…“

„Weil ich es selbst noch nicht ganz verstehe.“, unterbrach ich sie und schaute sie liebevoll an. Ich konnte ihr die Enttäuschung deutlich ansehen. „Vielleicht irgendwann, aber nicht jetzt.“ July nickte mit gesenktem Kopf und stand auf. „Dann warte ich halt.“ Ich konnte ihren Worten nicht so recht glauben schenken. Sie hatte sich schon abgewandt als mir noch etwas einfiel. „Versprich mir, dass du niemandem davon erzählst. Auch nicht wenn es noch einmal passiert.“ Was bestimmt der Fall sein wird, setzte ich in Gedanken hinzu. Es dauerte einen Augenblick lang bis sie nickte. „Versprochen, obwohl ich immer noch der Meinung bin, dass du es jemandem sagen solltest.“ Sie sah mich eindringlich an. „Irgendwann wird es vielleicht zu spät sein Katy und du wirst deine Entscheidung noch bereuen, aber dann kann dir niemand mehr helfen. Ich am allerwenigsten.“ Und mit diesen Worten ging sie und ließ mich allein. Mit der Erkenntnis, dass sie zum einen Recht als auch Unrecht hatte. Ich werde meine Entscheidung hier niemals bereuen. Niemals. Aber vielleicht hatte July mit dem einen Recht, das mir nacher niemand mehr helfen kann. Dann muss ich mir halt selbst helfen, redete ich mir immer wieder ein und dann schlief ich auch schon ein, aber ich träumte nicht wie erwartet von July´s Worten. Nein, in dieser Nacht träumte ich zum ersten Mal von Lucas.

Licht und eine fröhliche Stimme weckten mich an diesem Morgen. „Guten Morgen.“ Blinzelnd öffnete ich die Augen. July stand lächelnd vor meinem Bett. Nichts Verletztes oder Trauriges war mehr in ihrem Gesicht zu sehen. Sie trug eine schwarze Jeans und ein ebenso pechschwarzes T-Shirt. „Wie siehst du denn aus?“, murmelte ich und rieb mir verschlafen die Augen. July blickte an sich hinunter und fuhr über den Stoff. „Das ist meine Drachenkleidung. Die muss ich jedes Mal anziehen wenn ich zur Ausbildung gehe. Du bekommst heute sicher auch eine.“, setzte sie noch hinzu. Ich nickte und setzte mich auf. „Wie spät haben wir eigentlich?“ Mein Blick wanderte zum Wecker. „Mein Gott July bis du verrückt?!“, schrie ich. „Es ist halb fünf.“ Ich wollte mir die Bettdecke über den Kopf ziehen doch July war schneller und stärker und nahm sie mir weg. „Hey.“, protestierte ich und versuchte sie erneut zu greifen, doch July hielt sie fest umklammert. Wütend funkelte ich sie an. „Aufstehen. Du hast doch in einer halben Stunde das Gespräch mit Sarah.“ „Das habe ich doch um sechs. Müssen wir die Uhr noch bei dir üben?“ July schüttelte den Kopf. „Sarah hat mir gestern Abend noch eine SMS geschickt. Ihr ist etwas dazwischen gerutscht und du sollst schon um fünf kommen. Meine Ausbildung fängt leider auch schon zu der gleichen Zeit an.“ Oh Gott. Bei dem Gedanken zu Sarah zu gehen drehte sich mir der Magen um. „Blöde Kuh.“, brummte ich leise und schwang meine Beine aus dem Bett. July drehte sich hastig um und hielt mir eine schwarze Jeans mit passendem Top hin. „Hier zieh das an, sonst stichst du zu sehr aus der Menge hervor. Die Großen haben nämlich um die Zeit auch schon Training und tragen auch das Gleiche wie ich.“ „Sind wir hier etwa auf einer Beerdigung?“, murrte ich während ich die Klamotten entgegennahm. July hob nur die Augenbraue zu dem Kommentar. „Beeil dich mal bitte.“, sagte sie als sie sah wie ich immer noch mit dem Kleid in der Hand vor ihr stand. „Ich möchte zu meiner neuen Trainerin nicht zu spät kommen und du magst dich doch bestimmt auch nicht verspäten oder?“ „Natürlich nicht.“, gab ich gespielt fröhlich zurück und begann mich auszuziehen. „Muss du mich dabei so beobachten?“, fauchte ich July an als diese mich immer noch wie ein seltenes Wesen begutachtete. „Nein, ich habe nur das Gefühl das du heute noch schöner geworden bist.“ „Wirklich?“ Ich strich mir verwirrt das blonde Haar aus dem Gesicht. July zuckte nur mit den Schultern und drehte sich schließlich um. „Fertig.“ „Super.“ Sie lief eilig zur Tür. „Darf ich denn wenigsten noch Zähne putzen und so? Ich habe keine Lust da stinkend runter zu gehen.“ Das Mädchen legte den Zeigefinger an das Kinn und runzelte die Stirn als müsste sie ernsthaft über diese simple Frage so lange nachdenken. „Na gut. Aber beeile dich und das duschen kannst du später.“ Ich grinste. „Aj aj, Sir.“ Ich war schon halbe im Badezimmer verschwunden als mir noch etwas einfiel. „Und was ist mit Frühstück?“ July rollte mit den Augen. „Gibt´s immer später und jetzt los.“, sagte sie und machte eine huschende Bewegung in meine Richtung. Ich riss die Augen weit auf. „Kein Frühstück?“ Ich liebte essen, besonders das Frühstück. Was man an meiner Figur damals auch deutlich gesehen hatte. „Nein.“ Sie kam genervt auf mich zu, stupste mich leicht ins Bad und machte die Tür vor meiner Nase zu. Na großartig. Ich schaute mein Spiegelbild an. July´s Kommentar vorhin hat mich verunsichert. Meine Haare waren zwar verwuschelt, aber vielleicht waren auch meine Gesichtszüge feiner geworden und meine Augenfarbe intensiver. Ich zuckte mit den Achseln. Schönheitsverwandlung im Schlaf überraschte mich jetzt nicht mehr so sehr wie vielleicht vor ein paar Tagen. Nachdem ich mir die Zähne geputzt, die Haare gekämmt und ein bisschen Wimperntusche aufgetragen hatte, machte ich die Tür wieder auf und wie zu erwarten stand July davor. „Hast du mich etwa belauscht?“ Sie verdrehte die Augen. „Ja klar, ich stehe jeden Morgen während du Zähne putzt vor deiner Tür, wusstest du das nicht?“ Ich kicherte und kniff sie freundschaftlich in die Seite. „Da bin ich ja beruhigt.“ July kicherte ebenfalls wurde aber in der nächsten Sekunde schon wieder ernst. „Komm wir müssen los, wir haben gerade mal noch eine viertel Stunde.“ Sie zog mich eilig durch das Haus in den Keller. Sofort steuerte July zu dem Sicherheitskasten und tippte den Code ein. Sofort schwang das Bücherregal wieder zur Seite. „Verrätst du mir auch mal den Code?“ „Sarah wird dich in alles einweisen.“, sagte sie knapp und zog mich ungeduldig weiter. „Wenn sie dir vertraut.“, fügte sie noch leise hinzu. Ich runzelte die Stirn. „Was soll das heißen?“ Sie warf mir einen Seitenblick zu. „Nimm ihr das nicht böse, sie vertraut Leuten nicht so schnell. Die Sicherheit der Drachen steht bei ihr an erster Stelle und sie tut alles, damit es ihnen gut geht.“ Dann werde ich den Code wohl nie bekommen. July zerrte immer mehr an meiner Hand. Ihre Hektik verunsicherte mich Zunehmens. Sie war sonst nie so. Außer sie machte sich Sorgen oder hatte Angst. Ein bisschen zu spät kommen fand sie schon immer nicht gerade super aber so extrem. Ich schielte zu ihr hinüber. „Kann es sein, dass du Angst vor dem Training oder deiner Trainerin hast?“ „Was?!“ July blieb so ruckartig stehen, dass ich nach vorne stolperte. „Komm schon July.“, sagte ich als ich ihre weit aufgerissenen, grünen Augen sah. „So hektisch bist du doch sonst nur, wenn du Angst hast.“ „Nun ja.“ Sie holte tief Luft. „Ich habe von Einigen gehört, dass sie besonders streng sein soll und wie soll ich es sagen, knallhart ist.“ Jetzt war ich es, die die Augen weit aufriss. „Und so jemand wird deine Trainerin?“ July zuckte gleichgültig die Schultern, doch ich kannte sie zu gut um zu wissen, dass es ihr überhaupt nicht egal war. „Ich habe mitbekommen wie Sarah zu Carlo gesagt hat, dass ich irgendwie besonders gut wäre und ich deshalb gefördert werden müsste.“ Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Und kannst du dich nicht irgendwie wehren? Ihnen einfach sagen, dass du nicht willst, dass sie deine Trainerin wird.“ July schüttelte bedauerlich den Kopf. „Nein und jetzt komm.“ Sie nahm wieder meine Hand und zog mich weiter, da fiel mir etwas ein: „Magst du Sarah eigentlich?“ „Klar. Sie war damals im gleichen Rudel wie ich, die stellvertretende Leitung. Da hier der Leiter verschwunden war, wurde sie hierher versetzt.“ Verschwunden. Was wohl eine andere Bezeichnung für Tot bedeuten soll. „Wieso fragst du?“ Ich schwieg. Ich konnte July nichts über mein ungutes Gefühl bei Sarah erzählen. Sie würde nur wiedersagen, dass ich mir das alles nur einbilde und ich mir keine Sorgen machen müsse. Oder schlimmer noch. Sie ging sofort zu Sarah und erzählte ihr über meine Bedenken, damit sie weiß wie sie mit mir umgehen muss. Wenn es um mich oder Menschen, die ihr Nahe standen geht, hatte sie schon oft die Grenzen unbewusst überschritten. July schien jetzt dieses Schweigen falsch zu verstehen, denn sie sagte: „Du brauchst doch keine Angst vor ihr zu haben. Sarah tut dir nichts, vertrau mir.“ „Ich habe keine Angst.“, erwiderte ich stur. July betrachtete mich einen Augenblick lang als würde sie mir nicht so recht glauben, wandte den Blick aber zum Glück wieder ab ohne noch etwas zu sagen. „So.“ July blieb bei einer Weggablung stehen und drehte sich zu mir um. Ich gehe jetzt nach Links.“ Sie zeigte dorthin. „Du musst nach rechts, den Gang weiter, dann wieder nach rechts abbiegen und ganz hinten auf der linken Seite ist Sarahs Büro. Okay?“ Ich schaute sie verblüfft an. „Wow. Wie kannst du dir das alles nur merken? Wir sind doch erst seit vorgestern da.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Sarah hat mir in der Nacht unserer Ankunft einen Plan mit allen Wegen, den ich mir einprägen musste, gegeben.“ Sie wandte sich ab. „Momentmal. Du kennst all diese Gänge auswendig?“ July drehte sich nach ein paar Metern noch einmal um und tippte sich grinsend mit ihren Finger an den Schädel. „Tja, wir Drachen sind halt schlau und vergessen so etwas nicht so schnell.“ Sie zwinkerte mir zum Abschied schelmisch zu ehe sie den Gang entlang hastet und mich alleine ließ. Toll, war ich jetzt etwa dumm, nur, weil ich keinen blassen Schimmer hatte wie es jetzt wieder zurückgeht? Oder war ich generell kein echter Drache, was natürlich meinen schlechten Orientierungssinn erklären würde? Schließlich hatte ich Glückspilz als Einzige jemals die Zeichnung nicht geschafft und bin in kürzester Zeit ein Freak geworden. Mein Gott, wenn ich weiter so über mich rede werde ich noch depressiv. Ich fuhr mir missmutig durch mein blondes Haar und setzte meinen Weg fort. Hoffentlich ist dieses bescheuerte Gespräch bald vorbei. July hatte mir den Weg richtig erklärt und ehe ich mich versah stand ich schon vor Sarah´s Bürotür. Daneben war ein Schild mit dem Namen „Sarah Leitung“ befestigt. Entweder war das hier bei den Drachen üblich, dass man den Nachnamen einfach weglässt oder sie wollte ihn nicht erwähnen, weil sie Angst davor hatte, dass man sie etwa googelt und vielleicht auf schmutzige Geheimnisse stößt. Wie auch immer. Das Klopfen hallte unnatürlich laut in dem leeren Gang wieder und mir fiel ein, dass ich auf dem Weg hierher keine Menschenseele getroffen hatte. „Herein.“ Ich atmete noch einmal tief ein, ehe ich die Tür aufmachte. Sarah saß hinter einem übergroßen Schreibtisch aus altem Holz. Sie spielte mit ihrer Lesebrille herum und schaute mich aufmerksam an. Mir huschte unwillkürlich ein Lächeln über die Lippen als ich mich erinnerte, dass Rily erzählt hatte, beinahe Sarah´s Schreibtisch in Brand gesetzt zu haben. Nun ja, der Raum war jedenfalls groß genug, dass ein Drache wenn nicht sogar zwei Drachen mühelos hineinpassten. Wenn ich den Tisch auch recht betrachtete sah er sogar auf der einen Seite ein wenig angekohlt aus. „Katy, na endlich. Pünktlichkeit scheint wohl nicht gerade deine Stärke zu sein, nicht wahr?“ Sie lächelte mich wissend an und kam um ihren Schreibtisch herum dabei trommelte sie mit ihrer Brille auf ihre Hand. Ich bemühte mich sichtlich ihr keine patzige Antwort an den Kopf zu werfen so unter dem Motto „Und Freundlichkeit ist nicht ihre Stärke, wenn sie nicht einmal Hallo sagen können.“ Also schwieg ich. Schweigen war in manchen Situationen ohnehin besser als Reden so wie jetzt. „Aber kommen wir nun zum eigentlichen Thema heute.“ Sie lehnte sich an ihren Schreibtisch an. „Da du die Zeichnung gestern nicht geschafft hast, müssen wir herausfinden ob du überhaupt alle Eigenschaften eines echten Drachens besitzt. Wenn nicht…“ Sie brach ab und legte langsam die Brille wieder weg als wäre sie etwas ganz Kostbares. „Was ist dann?“ Sie ignorierte meine Frage und ging stattdessen zu einem Tisch mit zwei Stühlen. „Komm.“ Ich rührte mich nicht. „Ich möchte dich nicht zweimal darum bitten.“, zischte sie ohne den Blick von dem Tisch abzuwenden. Zögernd trat ich näher und sah, dass auf dem Tisch ein riesiges Tablet lag. Es verdeckte wirklich den kompletten Tisch. Ich betrachtete den Bildschirm genauer. Unzählige Gänge wurden angezeigt, die so verzweigt waren, das es einem Labyrinth ähnelte. „Das ist unsere komplette Anlage.“ Sie umkreiste den Plan. „Wir sind zurzeit ein recht kleines Rudel mit vierzig Drachen und dreißig Menschen.“ Sie schaute auf mich herab. „Mit dir wären wir ein und vierzig Drachen oder ein und dreißig Menschen je nachdem was du letztendlich bist.“ Ich würde definitiv die zweite Variante bevorzugen. Sie strich mit einer Handbewegung den Plan weg und ein kleiner Abschnitt vom Labyrinth war nun zu sehen. Ganz unten stand das Wort Jenkins da. Oh je, bitte keine Wegbeschreibung. Sarah zeigte auf die Schrift. „Von dort seid ihr gekommen und deine Aufgabe ist es mir nun den Weg zu meinem Büro zu zeigen.“ Scheiße. Ich starrte den Plan an. Sind wir rechts oder links? Oder weiter geradeaus und dann links? Ich hatte keine Ahnung, deshalb versuchte ich die Frage ein wenig zu umgehen. „Ist das denn so wichtig?“ Sarah kräuselte die Lippen. „Ja, weil es eine der Eigenschaften eines Drachen ist. Also?“ Sie überflog den Plan mit ihrer Hand. „Wo sind wir?“ „Unter der Erde?“, versuchte ich die Stimmung ein wenig zu lockern, doch Sarah funkelte mich darauf nur warnend an. „Ich…“ Ich betrachtete den Plan nochmal in der Hoffnung, dass mir noch irgendetwas einfallen würde doch mein Gehirn hatte keinen blassen Schimmer. „Irgendwo da?“ Ich umkreiste wage eine Fläche. „Nein. Da.“ Sarah zeigte direkt auf die andere Seite. Mist. Ich hörte Sarah seufzen und sah wie sie wieder zu ihrem Schreibtisch ging um ein Klemmbrett zu holen. Ich folgte ihr. „Deine Schönheit. Also deine körperliche Veränderung ist vorhanden.“ Sie schaute auf und legte den Kopf schief. „Mir kommt´s so vor als wärst du…“ Sie schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf ihren Zettel, aber insgeheim wusste ich was sie sagen wollte. Das ich noch hübscher geworden bin wie July es schon heute Morgen gesagt hatte. „In der Orientierung bist du allerdingst eine komplette Niete.“ Sie kritzelte etwas auf ihrem Blatt. „Wie sieht es mit der Nacht aus. Magst du sie?“