Resilienz

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2. Wippen Sie vor und zurück und von einer Seite zur anderen. Bemerken Sie jede Veränderung in Ihrer Empfindung. Malen Sie mit Ihren Knien Kreise und fühlen Sie die Veränderungen der Empfindungen in den Fußsohlen.

3. Wandert Ihr Geist, dann richten Sie einfach wieder Ihre Aufmerksamkeit auf die Fußsohlen.

4. Heben Sie einen Fuß an und setzen ihn wieder ab. Heben Sie nun den anderen Fuß und setzen ihn wieder ab. Bemerken Sie, wie sich die Empfindungen in den Füßen beim Anheben und Absetzen verändern. Bemerken Sie dabei jede Veränderung im ganzen Körper.

5. Beginnen Sie, langsam zu gehen, Schritt für Schritt, und bemerken Sie dabei jede Veränderung in den Fußsohlen. Achten Sie auf die Empfindung beim Anheben des Fußes, beim Schritt nach vorn und dann beim Absetzen des Fußes. Gehen Sie eine halbe bis eine Minute (oder länger, wenn Sie mögen).

6. Halten Sie an und stehen Sie still. Bemerken Sie nun die Empfindungen in den Füßen und im Körper.

7. Erkennen Sie an, dass die kleine Oberfläche der Füße Ihren ganzen Körper stützt. Vielleicht erlauben Sie sich einen Moment der Wertschätzung und der Dankbarkeit für diese großartige Leistung Ihrer Füße, die Sie durch Ihr gesamtes Leben hindurch tragen, Tag für Tag.

8. Sie können diese Übung an der Kasse im Supermarkt machen (Sie müssen bei Punkt 5 Kreativität beweisen) oder anderswo, um in dieses Gefühl der Gegenwärtigkeit, Ruhe und Sicherheit in dem jeweiligen Moment zu kommen. Selbst die subtilen Bewegungen dieser Übung werden Ihr Nervensystem neu starten.

Ebene 2: Pannen und Kummer, Unruhen und Stürme

Wir geraten jeden Tag ein wenig aus dem Gleichgewicht. Selbst mit einer inneren sicheren Basis können Unruhen und Schwierigkeiten, eine kleine Krise oder eine große Katastrophe dafür sorgen, dass wir den Halt verlieren und unsere Resilienz zeitweise oder manchmal auch länger entgleist.

Die nachfolgenden körperbasierten Übungen stärken das auf soziale Kontakte ausgerichtete System, welches unser Nervensystem beruhigt. »Dir geht es gut. Es ist in Ordnung. Alles wird gut«, auch dann, wenn die Dinge gar nicht gut aussehen. Diese Übungen unterstützen Sie darin, Ihre Resilienz wiederzuerlangen und die Ressourcen zu finden, es noch einmal zu versuchen.

Laut Dacher Keltner, Gründer des Greater Good Science Center an der University of California in Berkeley, ist eine warmherzige, sichere Berührung der schnellste Weg, im Nervensystem Leichtigkeit und Ruhe wiederherzustellen.34 Berührung ist die »ursprüngliche Sprache des Mitgefühls, der Liebe und Dankbarkeit, das zentrale Medium, in dem das Gute eines Menschen auf einen anderen Menschen übergehen kann«. Warmherzige, sichere Berührungen aktivieren die Ausschüttung von Oxytocin, dem Hormon der Sicherheit und des Vertrauens, dem direkten und sofortigen Gegenmittel Ihres Gehirns für das Stresshormon Cortisol.

ÜBUNG 2–4: UMARMUNGEN

Eine warmherzige Umarmung mag für Sie keine neue Übung sein, aber manchmal vergessen wir, wie nachhaltig sie unsere angespannten Nerven beruhigt.

1. Identifizieren Sie Menschen oder Tiere in Ihrem Leben, die Sie gerne umarmen oder um eine Umarmung bitten können. (Ich habe mir den Hund meiner Nachbarin für diese Zwecke mehr als einmal ausgeliehen.)

2. Umarmen Sie diesen Menschen oder dieses Tier mit Ihrem ganzen Körper zwanzig Sekunden lang. Zwanzig Sekunden (ungefähr drei Atemzüge) reichen, um Oxytocin in beiden Umarmenden auszuschütten, wenn es ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens gibt. Es schafft für beide einen sich selbst verstärkenden Kreislauf der Bindung und der Zugehörigkeit.

3. Wiederholen, wiederholen und nochmals wiederholen – mit so vielen verschiedenen Mitmenschen und Tieren, die Sie gerne umarmen, und so oft Sie sich daran erinnern.

Umarmungen sind eine »Wenig-und-oft«-Übung par excellence für Ihr Nervensystem. Mit jeder Umarmung werden Sie entspannter und offener und Sie bleiben entspannter und offener, während Sie Ihrem Tag nachgehen. Sie stärken die neuronalen Leitungsbahnen Ihres auf soziale Kontakte ausgerichteten Systems auf die bestmögliche Weise.

Nervenzellen sind Teil der Struktur Ihres Herzens. Warmherzige, sichere Berührungen aktivieren diese Neuronen. Ihr Körper spürt die beruhigende Energie Ihres auf soziale Kontakte ausgerichteten Systems.

ÜBUNG 2–5: DAS HERZZENTRUM ANKURBELN

1. Bitten Sie jemanden, in deren Nähe Sie sich sicher fühlen, neben Ihnen zu sitzen.

2. Legen Sie die Hand auf Ihr Herz. Bitten Sie die andere, ihre Hand gleichzeitig sanft auf Ihren mittleren Rücken zu legen, in der gleichen Höhe wie Ihre eigene Hand. Sie können die Energieverlagerung dieser Übung auch erleben, indem Sie sich das Gefühl der Verbindung zu einem anderen Menschen ins Gedächtnis rufen, während Sie sich an ein Kissen lehnen und auf einer festen Couch oder einem Stuhl sitzen.

3. Atmen Sie ruhig ein und aus. Spüren Sie die sichere Energie in der Mitte Ihres Rumpfes. Entspannen Sie sich in diese Leichtigkeit und Geborgenheit eines aktiven auf soziale Kontakte ausgerichteten Systems.

4. Nach ein oder zwei Minuten können Sie sich mit Ihrem Übungspartner abwechseln, wenn Sie möchten.

Das auf soziale Kontakte ausgerichtete System ist nonverbal. Eine warmherzige, sichere Berührung vermittelt Sicherheit und führt das Nervensystem zurück zur Ruhe, auch ohne Worte.

ÜBUNG 2–6: HAND AUFS HERZ

Dieses Werkzeug ist so wirksam, dass eine Panikattacke in weniger als einer Minute beruhigt werden kann.

1. Legen Sie Ihre Hand aufs Herz. Atmen Sie ruhig, langsam und tief in diesen Herzbereich hinein. Wenn Sie möchten, dann können Sie ein Gefühl der Leichtigkeit und Sicherheit oder der Güte in dieses Herzzentrum hineinatmen.

2. Erinnern Sie sich an einen einzigen Moment, in dem Sie sich sicher und von einem anderen Menschen geliebt und geschätzt fühlten. Versuchen Sie nicht, sich an die ganze Beziehung zu erinnern, denken Sie nur an einen einzigen Moment. Das kann eine Partnerin oder ein Partner, ein Kind, ein Freund oder eine Freundin, ein Therapeut oder eine Lehrerin oder eine spirituelle Persönlichkeit sein. (Sich an einen liebevollen Moment mit einem Tier zu erinnern funktioniert ebenfalls.)

3. Während Sie sich diesen Moment der Sicherheit, Liebe und Wertschätzung ins Gedächtnis rufen, erlauben Sie sich, die damit verbundenen Gefühle zu erleben. Lassen Sie Ihren Körper von den Empfindungen dieses Moments überschwemmen. Verweilen Sie mit diesen Gefühlen zwanzig oder dreißig Sekunden. Bemerken Sie, ob sich Leichtigkeit und Sicherheit instinktiv vertiefen.

4. Wiederholen Sie diese Übung am Anfang mehrmals am Tag, um die neuronalen Schaltkreise dieses Erinnerungsmusters zu stärken. Danach können Sie sie jederzeit wiederholen, wenn Sie diese Übung benötigen.

Sich an einen Moment zu erinnern, an dem Sie sich sicher und von einem anderen Menschen oder einem Haustier geliebt und geschätzt fühlten, aktiviert das soziale Vagus-System und versichert Ihnen, dass Sie in der Tat sicher sind, dass Sie dazugehören und dass Sie willkommen sind. Ihr Blutdruck sinkt und Ihre Herzfrequenz stabilisiert sich. Sie kehren zu dem Gefühl der Sicherheit zurück, das aus dem Gefühl von Verbindung und Zugehörigkeit zu sicheren anderen Menschen erwächst, auch dann, wenn Sie alleine sind.

Sie können diese Bindung und Zugehörigkeit, dieses Gefühl der »Ruhe und Verbindung«, selbstverständlich auch dann erleben, wenn Sie sich in Gesellschaft anderer Menschen befinden, denen Sie vertrauen und in deren Nähe Sie sich sicher fühlen. Sie aktivieren ebenfalls die Ausschüttung von Oxytocin immer dann, wenn Sie sich an solche Momente erinnern oder sie sich einfach nur vorstellen. Ich empfehle, diese Übung immer dann zu machen, wenn Sie die ersten Anzeichen von Unruhe und Verunsicherung bemerken. Mit mehr Übung werden Sie aus einer schwierigen emotionalen Reaktion heraustreten können, bevor diese Sie vollständig einnimmt. Üben Sie sie mindestens fünfmal pro Tag eine ganze Woche lang, um Ihr Gehirn darin zu trainieren, auf diese neue Art zu reagieren. Sie ist, wenn Sie so wollen, mobiles Gleichgewicht.

ÜBUNG 2–7: EINEN MOMENT DER VERBINDUNG GENIESSEN35

Anmerkung: Diese Übung funktioniert auch inmitten von überwältigenden Problemen oder Tragödien sehr gut.

1. Bitten Sie eine gute Freundin (oder eine Therapeutin Ihres Vertrauens), bei dieser Übung zu assistieren. Setzen Sie sich in angenehmer körperlicher Nähe einander gegenüber. Lächeln Sie sich offen und freundlich an und halten Sie dabei Blickkontakt.

2. Spüren Sie in sich Sorge um das Wohlergehen der anderen und Fürsorge für sie und zeigen Sie das in Ihrem Gesicht. Lassen Sie sich selber spüren, dass dem Gegenüber Ihr Wohlbefinden auch wichtig ist. Nehmen Sie dessen Fürsorge in seinem Gesicht wahr.

3. Genießen Sie das Gefühl der Entspannung in der Verbindung zueinander. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit 30 Sekunden lang auf diese Erfahrung und lassen Sie die Gefühle tiefer werden. Spüren Sie die gefühlte Wahrnehmung dieser Entspannung im Körper.

Verbindung zu genießen ist eine neuronale Übung, die die Leitungsbahn des Bauch-Vagus nutzt, welche eine Ressource von Sicherheit und damit Resilienz in Ihrem Gehirn produziert. Der Vorgang des Genießens gibt Ihrem Gehirn die Zeit, die es braucht, um eine positive Erfahrung in positive Gefühle umzuwandeln.

Ebene 3: Zu viel

Manchmal trifft uns das Leben hart. »Falle sieben Mal hin, stehe acht Mal auf.« So lautet ein inspirierendes japanisches Sprichwort. Aber es ist nicht immer einfach, von einem Trauma oder mehreren Traumata oder einem ganzen Leben voller Traumata wieder auf die Beine zu kommen. Hat man Sie über Bord geworfen und Sie benötigen Hilfe, um wieder ins Boot zu klettern, dann ist es besonders wichtig, Ihr auf soziale Kontakte ausgerichtetes System zu stärken und zu nutzen, um Zuflucht und Ressourcen in sicheren Verbindungen mit anderen Menschen zu finden.

 

ÜBUNG 2–8: GLEICHMUT FÜR ZWEI36

Jeder Atemzyklus trainiert sanft den Regulierungsrhythmus Ihres sozialen Vagus. Das Einatmen aktiviert den Sympathikus und fördert soziale Kontakte und Verbindung. Das Ausatmen aktiviert den Parasympathikus und ruft ein Gefühl des Wohlbefindens hervor. In dieser Übung synchronisieren Sie Ihren Atem mit dem Ihres Gegenübers, um der Übung Verbundensein hinzuzufügen.

1. Ihre Übungspartnerin liegt mit geschlossenen Augen bequem auf dem Boden. Sie sitzen in bequemer Haltung daneben. Kommen Sie in ein Gefühl, mit diesem Menschen im Hier und Jetzt gegenwärtig zu sein.

2. Legen Sie eine Hand auf die Hand oder den Unterarm Ihrer Übungspartnerin und die andere auf deren Scheitel. Ihre Partnerin atmet langsam und tief.

3. Beginnen Sie damit, Ihren Atem mit ihrem Atem zu synchronisieren. Atmen Sie einfach zwei oder drei Minuten lang gemeinsam und achten dabei darauf, wie die Lebenskraft des Atems in Ihren Körper und den Ihrer Übungspartnerin ein- und wieder aus ihm austritt.

4. Nach zwei bis drei Minuten tauschen Sie die Rollen.

Durch Wiederholung dieser Übung stärken Sie Ihr auf soziale Kontakte ausgerichtetes System. Sie erreichen leichter ein gemeinsames Gleichgewicht: Gleichmut für zwei.

Sie gewinnen an Stabilität und Stärke, wenn Sie Ihr Verwandtsein mit den Menschen anerkennen, die in demselben Boot wie Sie sitzen – oder die aus demselben Boot wie Sie über Bord geworfen wurden. Sie werden sich der gemeinsamen Humanität Ihrer Situation bewusst. »Ich bin nicht die Einzige. Ich bin nicht alleine.«

ÜBUNG 2–9: EINER SELBSTHILFEGRUPPE BEITRETEN ODER EINE SOLCHE SELBER GRÜNDEN

1. Suchen Sie sich eine Selbsthilfegruppe in Ihrem Umkreis für Menschen, die das gleiche Trauma oder ein ähnliches Trauma wie Sie erlebt haben: eine Selbsthilfegruppe für Krebspatienten, für Angehörige von Alzheimererkrankten oder für Eltern, die ein Kind durch Gewalt, Krankheit oder eine Naturkatastrophe verloren haben. Sie erhalten Unterstützung, Ermutigung und lernen Vorbilder kennen, die wissen, was Sie gerade durchmachen, ohne dass Sie irgendetwas sagen, rechtfertigen oder erklären müssten. Dies sind Menschen, die, mit den Worten von Brené Brown, »das Recht verdient [haben], Ihre Geschichte zu hören«. In der Gemeinschaft mit sicheren anderen zu sein stärkt den sozialen Vagus einer jeden. Sie helfen einander, Ihre Emotionen zu regulieren, gerade, indem Sie sich gegenseitig unterstützen.

2. Gibt es eine solche Selbsthilfegruppe nicht, dann gründen Sie eventuell eine. Die 84-jährige Mutter einer Freundin von mir zog in ein Altersheim, nachdem ihr Mann nach 62 gemeinsamen Jahren verstorben war. Sie gründete dort eine Selbsthilfegruppe für kürzlich Verwitwete in ähnlicher Situation. Geschichten zu teilen und Hilfe anzubieten machten einen ansonsten schmerzlichen Übergang leichter.

3. Jahrzehnte an Studien in der Verhaltensforschung bestätigen den Nutzen von Selbsthilfegruppen. Aber den Kontakt zu vielen Menschen zu suchen ist eine großräumigere Erfahrung neuer Konditionierung. Wenden Sie auch hier das Prinzip des Wenig und Oft an. Fragen Sie Freunde, ob sie eine geeignete Gruppe empfehlen können. Gehen Sie zu einem Treffen, um zu sehen, ob diese Erfahrung für Sie hilfreich ist. Vielleicht lassen Sie sich beim ersten Mal von einer Freundin begleiten. Ist die Gruppe das Richtige für Sie, dann gehen Sie bitte weiter hin. Wenn nicht, dann versuchen Sie bitte, Ihre Erfahrungen nur mit einer anderen Person zu teilen.

Rekonditionierung

Jedes Mal, wenn Sie Ihren Körper bewegen und Ihre Haltung ändern, ändern Sie Ihre Physiologie. Jedes Mal, wenn Sie Ihre Physiologie ändern, ändern Sie die Aktivität und den Zustand Ihres vegetativen Nervensystems. Sie können diese Veränderung selber erleben:37 Legen Sie einen Bleistift zwischen Nase und Oberlippe (dazu müssen Sie mithilfe Ihrer Gesichtsmuskeln die Stirn runzeln). Legen Sie ihn dann zwischen Ihre Zähne (dazu müssen Sie mithilfe Ihrer Gesichtsmuskeln lächeln). Bemerken Sie, wie sich das forcierte Stirnrunzeln und das forcierte Lächeln anfühlen, und den Unterschied zwischen beiden. Mit etwas Übung können Sie den Wechsel in Ihrem inneren Zustand durch die Veränderung Ihrer Physiologie bemerken. (Danke sehr, Dan Siegel, für diese Übung!) Sie können diese Art von Rekonditionierung – die Gegenüberstellung von negativen und positiven körperlichen Bewegungen – anwenden, um zum physiologischen Fundament Ihrer Resilienz zurückzukehren. Und während dieses Prozesses verdrahten Sie vielleicht sogar die Erfahrungen Ihrer physischen Zustände neu.

Ebene 1: Nur ein kleines Ungleichgewicht

Die nachfolgenden Übungen sind einfache Werkzeuge mit großer Wirkung. Üben Sie wenig und oft, um neue Leitungsbahnen in Ihrem Gehirn zu erzeugen.

ÜBUNG 2–10: EINEN MOMENT DER ENTSPANNUNG GENIESSEN38

Lassen Sie Ihren Körper seufzen: Atmen Sie tief aus und lassen Sie dabei die Anspannung in Ihrem Körper los. Ein tiefer Seufzer (oder mehrere) ist die natürliche Art des Körpers, sein Nervensystem zurückzusetzen. Üben Sie, indem Sie auf jeden Moment der Anspannung, auch beängstigende Momente, mit einem bewussten Seufzen reagieren, um Ihre Physiologie in einen entspannteren Zustand zu versetzen.

Die Kopplung von angespannten und entspannten Zuständen dann, wenn der entspannte Zustand stärker ist, stärkt den »Muskel« Ihrer Vagus-Bremse und ermöglicht selbst in angespannten Momenten mehr Ruhe.

ÜBUNG 2–11: PROGRESSIVE MUSKELENTSPANNUNG39

Da wir nicht gleichzeitig das sympathische und das parasympathische Nervensystem aktivieren können, kann unser Körper nicht gleichzeitig angespannt und entspannt sein. Die progressive Muskelentspannung aktiviert den Parasympathikus und dient der schrittweisen Entspannung des gesamten Körpers. Die nachfolgende Anleitung funktioniert von den Füßen zum Kopf. Sie können sie aber auch andersherum machen. Die gesamte Übung dauert circa sieben bis zehn Minuten und kann im Liegen oder Sitzen gemacht werden.

1. Fangen Sie an, indem Sie die Zehen des rechten Fußes krümmen. Halten Sie diese Anspannung und zählen Sie bis sieben. Lösen Sie dann die Anspannung und strecken die Zehen. Zählen Sie bis fünfzehn. Krümmen Sie danach das rechte Fußgewölbe, als wollten Sie Ihren Fuß vom Körper weg strecken. Halten Sie diese Anspannung und zählen Sie bis sieben. Entspannen Sie den Fuß wieder und zählen Sie bis fünfzehn. Beugen Sie den Fuß und ziehen Sie die Zehen zum Schienbein hin. Halten Sie diese Anspannung und zählen Sie bis sieben. Entspannen Sie den Fuß und zählen Sie bis fünfzehn.

2. Beim Anspannen bis sieben und beim Entspannen bis fünfzehn zu zählen stellt sicher, dass Sie sich länger entspannen als anspannen. Das gehört zum Rekonditionierungsprozess. Zählen hält Ihr Gehirn auch davon ab, in den Standardmodus von Sorge und Grübelei zu wandern. Wenn Sie beim Anspannen einatmen und beim Entspannen ausatmen, schalten Sie den Parasympathikus mehr als den Sympathikus ein und bringen so mehr Ruhe in Ihren Körper.

3. Fahren Sie damit fort, andere Körperbereiche anzuspannen und zu entspannen und beim Anspannen einzuatmen und bis sieben und beim Entspannen auszuatmen und bis fünfzehn zu zählen. Spannen Sie Ihre rechte Wade an und entspannen Sie sie, dann den rechten Oberschenkel, die rechte Hüfte und danach das rechte Gesäß. Spannen Sie nun Ihre linken Zehen an und entspannen Sie sie wieder, dann den linken Fuß, die linke Wade, den linken Oberschenkel und danach die linke Hüfte und das linke Gesäß. Spannen Sie Ihren Rumpf an und entspannen ihn wieder, dann den Hüftbereich, den Bauch und im Anschluss die Muskeln im Rippen- und im Wirbelsäulenbereich. Spannen Sie die Finger jeder Hand an und entspannen Sie sie wieder, dann die Handflächen, die Handgelenke, die Unterarme, die Ellbogen, die Oberarme, die Schultern und zuletzt den Nacken. Spannen Sie danach alle Gesichtsmuskeln an und entspannen Sie sie wieder – Kiefer, Hals, Lippen, Wangen, Ohren, Augen, Nase, Stirn.

4. Beenden Sie die Übung mit einem tiefen Seufzer. Verweilen Sie eine ganze Minute lang in diesem entspannten Zustand.

Probieren Sie diese Übung abends aus: Sie ist eine hervorragende Einschlafhilfe.

ÜBUNG 2–12: YOGA – KIND-HALTUNG

Eine der unter Yoga-Lehrerinnen beliebtesten Asanas oder Haltungen zur Entspannung oder Regeneration ist Balasana oder »Kind-Haltung«.Nach einer 45- oder 90-minütigen Yogastunde, in der die Praktizierende den Körper durch viele verschiedene Haltungen mit begleitenden Atemübungen geführt hat, darf sie sich ausruhen und all die körperliche Aktivität nun in einem entspannten, kohärenten Ruhezustand zusammenführen, der den Geist nährt und den Körper entspannt. Aber Sie können diese Haltung zur bewussten Entspannung von Körper und Geist auch dann einsetzen, wenn Sie nie Yoga praktizieren.

1. Stehen Sie auf einer Yogamatte, dem Teppich oder auf einer gepolsterten Unterlage.

2. Gehen Sie auf alle viere. Hände und Knie stützen Ihren Körper in einer »Tisch«-Position.

3. Lehnen Sie sich zurück. Strecken Sie das Gesäß zu den Füßen und senken Sie es auf die Fersen hinunter (oder auf ein zwischen Gesäß und Fersen gelegtes Kissen). Ihre Arme sind natürlich nach vorne ausgestreckt. Legen Sie die Stirn auf den Boden (oder auf ein Kissen).

4. Entspannen Sie sich und ruhen Sie in dieser Haltung zwei oder drei Minuten lang. Atmen Sie sanft ein und aus, richten Sie Ihren Geist auf die Leichtigkeit in Ihrem Körper aus.

5. Sie können die Kind-Haltung nach jeder Art der körperlichen Betätigung einnehmen (oder nach einem langen Tag). Die Entspannung im Körper zu erleben hilft Ihnen, sich in Ihrer natürlichen Resilienzbasis zu verankern.

Ebene 2: Pannen und Kummer, Unruhen und Stürme

Ihr Körper hat die natürliche Tendenz, sich bei Stress oder Katastrophen anzuspannen, und diese Anspannung trägt dann dazu bei, dass Ihr Gefühl des Wohlbefindens aus der Bahn gerät. Die folgenden Übungen stellen dieser Anspannung die äußerst wirksame Entspannung durch Eintauchen in die Natur gegenüber. Das verändert sowohl Ihren psychologischen als auch physischen Zustand.

ÜBUNG 2–13: FREUNDLICHER BODY-SCAN40

Diese Übung wurde ursprünglich als Kernübung des MBSR-Programms (Mindfulness-Based Stress Reduction oder Stressbewältigung durch die Praxis der Achtsamkeit) konzipiert. Jon Kabat-Zinn entwickelte dieses Programm an der medizinischen Fakultät der University of Massachusetts in Amherst mit dem Ziel, dass Patientinnen und Patienten Stress und chronische Schmerzen besser bewältigen. Wenn möglich, machen Sie diese Übung bitte draußen oder mit Blick auf eine schöne Landschaft. Studien haben gezeigt, dass selbst zehn Minuten in der Natur oder zumindest mit Blick auf die Natur den Körper entspannen und die kognitiven Fähigkeiten verbessern.

1. Legen Sie sich in bequemer Haltung auf das Bett oder den Boden oder draußen auf eine Decke, Yogamatte oder ein Kissen. Fühlen Sie, wie Kopf, Schultern, Rücken, Hüften, Beinunterseiten und Fersen den Boden berühren. Erlauben Sie Ihrem Körper, sich zu entspannen und in den ihn unterstützenden Untergrund zu sinken. Atmen Sie ganz natürlich, sanft und tief.

2. Richten Sie Ihr Gewahrsein auf die Empfindungen in den Füßen. Begrüßen Sie den großen Zeh des rechten Fußes und achten Sie auf Schmerzen im Zeh und wünschen ihm dann Trost und Leichtigkeit. Begrüßen Sie alle Zehen des rechten Fußes, das Fußgewölbe und den Knöchel und die Ferse. Achten Sie dabei behutsam auf die Empfindungen in jedem Bereich des Fußes und atmen Sie Trost und Leichtigkeit in jeden Bereich hinein.

3. Machen Sie das Gleiche langsam mit dem linken Fuß und für jeden Bereich Ihres Körpers den Rumpf entlang aufwärts, die Hände und Arme und jeden Bereich Ihres Gesichts und Kopfes, bis zu den Ohren, Augen, Nase und allen schmerzempfindlichen Teilen Ihres Mundes, bis zu den Haaren auf dem Kopf und dem sensationellen Gehirn im Schädel, das es Ihnen möglich macht, in diesem Moment achtsam, mitfühlend und gefestigt zu sein.

4. Während Sie Ihren Körper so scannen, atmen Sie eine mitfühlende Fürsorge und Akzeptanz in jeden Bereich, der Trost und Leichtigkeit benötigt. Sie können entschleunigen, achtsam wahrnehmen, und mitfühlende Fürsorge in jedes Gelenk atmen, falls Sie an Arthritis leiden, oder in jede Narbe, die das Überbleibsel alter Sportverletzungen ist. Der Body-Scan dient dazu, jeden Teil des Körpers achtsam und mit Liebe zu bewohnen, sich jeder Körpererfahrung sicher bewusst zu werden.

 

5. Üben Sie sich darin, besonders achtsam und mitfühlend gegenüber Empfindungen im Bauch, Genitalbereich, Herzzentrum und im Hals und Kiefer zu sein, also in Bereichen, die unbewusste somatische Erinnerungen an Stress, Scham, Wut oder Angst festhalten. Atmen Sie jetzt mitfühlende Akzeptanz in diese Bereiche hinein, um sämtliche beunruhigenden Empfindungen oder Erinnerungen zu tragen. Begrüßen Sie sie! Hören Sie, wo die physischen und psychologischen Schmerzen sind, und schicken Sie Fürsorge und die Intention des Trostes und der Leichtigkeit zu jeder im Körper festgehaltenen beängstigenden Erinnerung.

6. Beenden Sie diese Übung, indem Sie sich des Energiefeldes Ihres Körpers als Ganzes bewusst werden – Ihr ganzer Körper atmet, in Gleichmut, lebendig, entspannt und resilient.

7. Mit dieser Übung bauen Sie ein größeres Gewahrsein und eine größere Akzeptanz für Ihren Körper auf. Später, wenn Sie anfangen, mit beunruhigenden somatischen Empfindungen oder Erinnerungen zu arbeiten, bildet der freundliche Body-Scan einen sicheren Rahmen für jegliche Gefühle und ermöglicht es, dass sich diese Gefühle auflösen und Sie sich durch sie hindurchbewegen können.

ÜBUNG 2–14: WALD-BAD41

Ich gehe in die Natur, um zur Ruhe zu kommen und geheilt zu werden und um meine Sinne in Einklang zu bringen.

JOHN BURROUGHS,

Studies in Nature and Literature

Während das Stressniveau in unserer modernen, übermäßig vernetzten Stadtgesellschaft steigt, wünschen sich Menschen die Ruhe, die ein Eintauchen von Körper und Geist in die Natur mit sich bringt. Und die Wissenschaft bestätigt die Richtigkeit dieser intuitiven Weisheit.

1. Suchen Sie sich ein Waldstück oder einen Park mit viel Grünflächen, in dem Sie eine halbe bis anderthalb Stunden spazieren gehen können. (Laut Florence Williams, Autorin von The Nature Fix, hat ein längerer Aufenthalt in der Natur positivere Auswirkungen auf das Gehirn.) Sie können alleine spazieren gehen, Sie können mit einer Freundin oder mit einer Gruppe spazieren gehen. Stille wirkt sich jedoch ebenfalls gut auf das Gehirn und sein Gleichgewicht aus: Hat das Gehirn weniger Reize zu verarbeiten, gibt es mehr Ruhe und Regeneration.

2. Beginnen Sie, langsam zu gehen, und nehmen Sie die Eindrücke aller fünf Sinne in sich auf:

• Sehen Sie die Form eines Blattes, die Vielzahl an Baumformen, die Wolken am Himmel.

• Riechen Sie die Kiefernnadeln oder die frische Luft oder die feuchte Erde.

• Hören Sie das Vogelgezwitscher oder das Rauschen des Windes und vielleicht das Plätschern eines nahen Teiches oder Baches.

• Fühlen Sie das Moos auf einem Zweig oder die Flechte auf einem Stein oder den Sand, die Kieselsteine unter Ihren Füßen.

• Schmecken Sie eine Beere, wenn es solche gibt (und diese essbar sind).

3. Gehen Sie noch langsamer, atmen Sie noch langsamer, vielleicht bleiben Sie stehen und achten darauf, wie sich Licht und Schatten, Bewegung und Stille um Sie herum verändern. Halten Sie inne, um die Veränderungen in Ihnen, in Ihrer Energie oder Stimmung zu bemerken.

4. Nehmen Sie sich am Ende des Spaziergangs einen Moment Zeit, um über die gesamte Erfahrung, insbesondere jegliche Veränderungen in Ihrer gefühlten körperlichen Erfahrung, nachzudenken.

Diese Übung lässt Blutdruck und Cortisolwerte zuverlässig sinken. Wissenschaftler in Finnland haben herausgefunden, dass ein Eintauchen in die Natur fünf Stunden pro Monat (das entspricht circa zehn Minuten pro Tag oder dreißig Minuten zwei- oder dreimal pro Woche) ausreicht, um langfristige positive Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit zu haben.

Ebene 3: Zu viel

Es mag kontraintuitiv klingen, positive Erfahrungen inmitten von Tragödien zu suchen, aber das Gegenüberstellen von positiven und negativen Erfahrungen ist die Grundlage der Rekonditionierung und jeder erfolgreichen Traumatherapie. Es ist unerlässlich, wollen wir Trauma bewältigen, heilen, lernen und wachsen. Wichtig ist, nie das Geschehene zu verleugnen, zu verdrängen, zu bagatellisieren oder zu vergessen. Aber selbst kleine positive entspannende Erfahrungen, besonders wenn alles aus den Fugen gerät, verlagert das Gehirn aus Kontraktion, Reaktivität und Grübelei heraus und in ein Gefühl der Möglichkeiten und größeren Perspektive hinein.

ÜBUNG 2–15: GEKONNTE ABLENKUNG

1. Suchen Sie selbst in den dunkelsten und düstersten Stunden nach positiven Erfahrungen, besonders körperbasierten Erfahrungen, die Sie darin unterstützen, Ihren psychischen Zustand durch Veränderung Ihres physischen Zustands zu verändern. Dazu gehören beispielsweise eine heiße Tasse Kaffee zu trinken, die kühle Brise auf Ihrer Haut zu spüren, das Lächeln einer Freundin mit einem Lächeln zu erwidern, einen Spaziergang in der Natur zu machen oder mit einem Welpen zu spielen. Verzeichnen Sie die gefühlte Wahrnehmung dieser Erfahrung in Ihrem Gewahrsein und lassen Sie sie dort verweilen. Genießen Sie diese Zuflucht. Suchen Sie nach solchen Erfahrungen wenig und oft. Selbst kurze Erfahrungen können eine sofortige Veränderung bewirken.

2. Wenn Gedanken, Gefühle oder Empfindungen unlösbar scheinen, dann verlagern Sie bitte die Ausrichtung Ihrer Aufmerksamkeit vorübergehend, aber vollständig, von den Problemen dieses Moments weg. Noch einmal: Wichtig ist, nie in Verleugnung oder Dissoziation zu entfliehen, sondern bewusst und absichtsvoll in einen anderen Aktivitätskanal zu wechseln. Sehen Sie sich eine Lieblingsshow im Fernsehen an, bereiten Sie eine Mahlzeit vor, gehen Sie schwimmen oder Rad fahren oder tanzen, gehen Sie ins Fitnessstudio. Gönnen Sie Geist und Herz eine Ruhepause, ohne sich schuldig zu fühlen: Das ist grundlegende Selbstfürsorge.

Bewusst die Aufmerksamkeit abzulenken bietet eine vorübergehende Ruhepause von Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten, denen man sich stellen muss. Und das müssen Sie hinterher, aber Sie werden sich hoffentlich erholt und in der Lage fühlen, danach wieder weiterzukämpfen.

ÜBUNG 2–16: PENDELN – ZWISCHEN ANSPANNUNG UND LEICHTIGKEIT WECHSELN42

Diese Übung beinhaltet ein bewusstes sicheres Gegenüberstellen negativer und positiver körperlicher Zustände, um die somatischen Erinnerungen an ein negatives Erlebnis neu zu verdrahten.

1. Identifizieren Sie eine Stelle in Ihrem Körper, in der Sie eine somatische Erinnerung oder ein Trauma oder etwas Negatives oder Unangenehmes festhalten. Bemerken Sie die körperlichen Empfindungen – ein flaues Gefühl im Magen, ein angespannter Kiefer, Anspannung in Rücken oder Schultern.

2. Machen Sie nun eine Stelle in Ihrem Körper aus, die keinerlei Stress oder Trauma fühlt – vielleicht ist es der Ellbogen oder der große Zeh. Bemerken Sie die körperlichen Empfindungen, sich im Toleranzfenster zu befinden, sich ruhig, entspannt und wohlzufühlen. Wenn Sie momentan die körperbasierten Empfindungen von Trauma spüren, dann ist dieses Fenster vermutlich sehr klein. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf diese ruhige, traumafreie Stelle im Körper und nehmen Sie die Empfindungen von Leichtigkeit und Entspannung stetig wahr.

3. Wechseln Sie Ihre Aufmerksamkeit jetzt absichtsvoll zwischen den angenehmen körperlichen Empfindungen in der traumafreien Körperstelle und den unangenehmen körperlichen Empfindungen in der traumatisierten Körperstelle hin und her. Richten Sie Ihr Gewahrsein jeweils eine halbe bis eine Minute auf diese Stelle und bleiben Sie bei der unangenehmen Stelle nur so lange, wie Sie diese Erfahrung sicher »halten« können, ohne von ihr überwältigt zu werden.