Krieg und Frieden

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28

Schon flogen zwei feindliche Granaten über die Brücke, auf welcher Gedränge entstand. Mitten auf der Brücke stand Fürst Neswizki. Er war vom Pferde gestiegen und vom Gedränge bis ans Geländer geschoben worden. Lachend sah er sich nach seinem Kosaken um, der mit den beiden Pferden am Zügel einige Schritte hinter ihm stand. Eben wollte Neswizki seinen Weg fortsetzen, als wieder Soldaten und Wagen ihn ans Geländer drängten, so daß ihm nichts übrigblieb, als zu warten.

»Hört ihr da!« rief der Kosak. »Haltet euch links, damit der General vorüber kann.« Aber die Soldaten zogen Schulter an Schulter in einer dichten Masse über die Brücke.

»Sind denn noch viele dort?« fragte hoffnungslos der Kosak.

»Einer weniger als eine Million!« sagte lachend ein vorübergehender Soldat. Hinter ihm kamen vergnügte und augenscheinlich angetrunkene Soldaten.

Nun kamen andere Fuhren, darunter ein Bauernwagen vom Lande, dem Anschein nach beladen mit einem ganzen Haus. An diesem Wagen war eine schöne bunte Kuh angebunden. Auf dem Wagen saßen zwei Frauen, eine ältere und ein rotwangiges Mädchen. Augenscheinlich wurden diese Auswanderer zufolge besonderer Erlaubnis durchgelassen. Die Augen aller Soldaten richteten sich auf die Frauen, während der Wagen im Schritt vorüberfuhr. Auf allen Gesichtern erschien derselbe zynische Gedanke.

»Wohin fahrt ihr?« fragte ein Offizier, der einen Apfel aß und lächelnd nach dem hübschen Mädchen blickte.

Der Fuhrmann deutete an, daß er nichts verstehe.

»Willst du? Da nimm!« sagte der Offizier, indem er dem Mädchen den Apfel reichte, den es lachend nahm. Neswizki wandte ebenso wie alle anderen die Augen nicht von den Frauen ab, bis sie vorübergefahren waren. Nach ihnen kamen wieder Soldaten und endlich blieben alle stehen. Die Pferde an einem Regimentswagen waren in Unordnung gekommen, und die ganze Menge mußte warten.

»Warum warten sie? Was ist das für eine Ordnung?« riefen die Soldaten. »Zum Teufel, jetzt ist nicht Zeit, zu warten. Es kann schlimm werden, wenn er die Brücke anzündet!«

Mit »er« meinten die Soldaten immer den Feind.

Neswizki blickte auf die Wellen der Enns hinab, als er plötzlich ein ihm neues Geräusch vernahm, das rasch näher kam. Etwas Großes fiel klatschend ins Wasser, die Menge setzte sich wieder in Bewegung. Neswizki merkte, daß es eine Kanonenkugel gewesen war.

»Heda, Kosak, gib das Pferd her!« sagte er. »Nun zur Seite mit euch, gebt den Weg frei!«

Mit großer Anstrengung erreichte er das Pferd und setzte sich mit unaufhörlichem Schreien in Bewegung. Die Soldaten drückten sich aneinander, um ihm Raum zu geben, aber das Gedränge wurde immer stärker.

»Neswizki! Neswizki! Du Fratze!« hörte er eine heisere Stimme hinter sich. Neswizki sah sich um und erblickte fünfzehn Schritte entfernt, durch die Massen der Infanterie gedrängt, den hübschen schwarzen Denissow, die Mütze im Genick und den Dolman umgehängt.

»Befiehl doch diesem Satansvolk, mir den Weg freizugeben«, rief Denissow. Er war in heftigen Zorn geraten und schwang den Säbel in der Scheide.

»Eh, Wassja«, rief Neswizki freudig aus, »wie geht's dir?«

»Die Schwadron kann nicht hinüber«, rief Denissow zornig. »Wie eine Hammelherde! Gebt den Weg frei! Höre du da auf der Fuhre, ich steche dich nieder!« schrie er und zog wirklich den Säbel. Die Soldaten drängten sich erschrocken zusammen, und Denissow erreichte Neswizki.

»Warum bist du heute nicht betrunken?« sagte Neswizki zu Denissow.

»Sie lassen einem nicht Zeit dazu«, erwiderte Denissow. »Den ganzen Tag wird das Regiment bald hierhin, bald dorthin gejagt. Wenn man sich schlägt, so schlägt man sich, aber der Teufel weiß, was das heißen soll.«

»Wie du heute fein bist!« sagte Neswizki, seinen neuen Dolman betrachtend.

Denissow lächelte, zog sein parfümiertes Taschentuch heraus und hielt es Neswizki unter die Nase. »Es geht nicht anders, heute geht's ins Gefecht, darum habe ich mich rasiert und die Zähne geputzt und mich parfümiert.«

Der Anblick der mächtigen Gestalt Neswizkis, begleitet von dem Kosaken, und die Entschiedenheit Denissows, der den Säbel schwang und fortwährend schrie und tobte, brachte es so weit, daß sie endlich das jenseitige Ufer erreichten. Neswizki fand den Obersten, dem er den Befehl zu überbringen hatte, und nachdem er seinen Auftrag ausgerichtet hatte, ritt er zurück. Als er den Weg freigemacht hatte, blieb Denissow am Ende der Brücke stehen. Er hielt sein ungeduldiges Pferd zurück und blickte der herankommenden Schwadron entgegen. Auf den Brettern der Brücke ertönten die Hufschläge, als ob einige Pferde galoppierten, und die Schwadron, mit den Offizieren an der Spitze, ritt in Gliedern von vier Mann über die Brücke. Die Infanteristen, die dadurch aufgehalten worden waren, standen vor der Brücke im Schmutz und betrachteten mit jenem besonderen mißgünstigen Gefühl und jener Spottsucht, womit Soldaten verschiedener Art gewöhnlich einander musterten, die reinlichen, zierlichen Husaren, die an ihnen vorüberritten.

»Niedliche Kinderchen! Wie vom Jahrmarkt!«

»Taugen nicht viel, sind nur zum Ansehen«, bemerkte ein anderer.

30

Endlich hatten die Wagen alle die Brücke überschritten, das Gedränge verminderte sich, und das letzte Bataillon ging über die Brücke. Nur die Schwadron Denissow blieb auf dem jenseitigen Ufer. Der Feind war auf dieser Seite des Ufers weithin sichtbar, konnte jedoch von der tiefliegenden Brücke aus noch nicht gesehen werden. Plötzlich erschienen auf der Anhöhe vor der Brücke Soldaten in blauen Mänteln und Artillerie – das waren Franzosen. Die Soldaten der Nachhut kamen im Trab den Berg herab. Obgleich die Offiziere und Soldaten der Schwadron Denissow unter sich von gleichgültigen Dingen sprachen und sich bemühten, unbefangen zu erscheinen, dachten sie doch immer nur daran, was dort auf dem Berge vorging und blickten beständig nach den am Horizont erscheinenden Flecken, die sie für feindliche Vorposten erkannten. Das Wetter hatte sich nachmittags wieder aufgeklärt, die Sonne schien hell über dem Donautal. Zuweilen ertönte Hörnerklang. Zwischen der Schwadron und dem Feinde befand sich nichts mehr, außer kleinen Streifwachen. Ein leerer Raum von dreihundert Faden trennte sie noch. Der Feind hatte aufgehört zu schießen und verriet durch nichts seine drohende Nähe.

Auf der Anhöhe beim Feinde erhob sich eine kleine Rauchwolke, und eine Kanonenkugel flog pfeifend über die Köpfe der Schwadron hin. Die Offiziere, welche beisammen standen, trennten sich und gingen an ihre Stellen. In der Schwadron war alles schweigsam, die Husaren blickten alle nach dem Feind und nach ihrem Rittmeister und erwarteten den Befehl. Eine zweite, eine dritte Kanonenkugel flog vorüber; augenscheinlich wurde nach den Husaren geschossen, aber die Kugeln gingen zu hoch. Sooft eine Kugel vorüberflog, hielt die ganze Schwadron wie auf Kommando den Atem an, auf jedem Gesicht erschien um Lippen und Kinn der Ausdruck einer besonderen Aufregung. Der Wachtmeister blickte mit finsterem Gesicht die Soldaten an, als ob er sie mit Strafe bedrohe. Der Junker Rostow, der auf der linken Flanke stand, hatte das glückselige Aussehen eines Schülers, der vor einem großen Publikum beim Examen aufgerufen wird und sicher ist, sich auszuzeichnen, doch auch auf seinem Gesicht zeigte sich unwillkürlich ein eigentümlich ernster Zug.

Denissows Gesicht war ebenso wie es immer aussah, besonders abends, wenn er zwei Flaschen Wein getrunken hatte; es war nur stärker gerötet als gewöhnlich. Er hob den Kopf auf, wie ein Vogel, wenn er trinkt, stieß mit seinen kleinen Beinen dem Pferde unbarmherzig die Sporen in die Seiten und ritt auf die andere Flanke der Schwadron. Er rief den Leuten mit heiserer Stimme zu, sie sollten ihre Pistolen besichtigen, und ritt zu Kirsten. Der Stabsrittmeister ritt auf seinem hohen Pferd Denissow im Schritt entgegen. Er war ernst wie immer, nur seine Augen glänzten stärker als sonst.

»Nun, wie geht's?« sagte er zu Denissow, »kommt's nicht zum Schlagen? Du wirst sehen, wir gehen wieder zurück.«

»Der Teufel weiß, was da vorgeht«, knurrte Denissow. »Ah, Rostow?« rief er dem Junker zu, als er sein vergnügtes Gesicht bemerkte. In diesem Augenblick erschien der Oberst auf der Brücke; Denissow ritt ihm entgegen.

»Exzellenz, erlauben Sie, anzugreifen? Ich werde sie zurückwerfen!«

»Was ist da anzugreifen?« sagte der Oberst mit verdrießlicher Stimme. »Und warum stehen Sie überhaupt dort? Sehen Sie, die Plänkler gehen zurück. Lassen Sie die Schwadron auch zurückgehen!«

Die Schwadron ging über die Brücke und kam außer Schussweite, ohne einen Mann zu verlieren. Nach ihnen ging auch die zweite Schwadron hinüber, welche die Vorposten gebildet hatte, und zugleich die letzten Kosaken.

Ein Adjutant ritt auf den Obersten zu mit dem Befehl, die Brücke anzünden zu lassen, und bald darauf kam auch auf einem Kosakenpferd Neswizki, welcher denselben Befehl überbrachte.

»Wie, Herr Oberst«, rief er schon von fern, »ich habe Ihnen gesagt, die Brücke müsse angezündet werden, und jetzt geht alles drunter und drüber?«

Ärgerlich ließ der Oberst das Regiment halten und wandte sich an Neswizki.

»Sie sagten mir von Brennstoff«, sagte er, »aber davon, daß die Brücke angezündet werden soll, haben Sie mir nichts gesagt.«

»Wieso, Väterchen«, begann Neswizki, indem er sein Pferd anhielt, die Mütze abnahm und über seine durchschwitzten Haare strich, »wieso habe ich Ihnen nicht gesagt, daß die Brücke angezündet werden soll?«

»Ich bin nicht Ihr Väterchen, Herr Generalstabsoffizier, und Sie haben mir auch nicht gesagt, die Brücke müsse angezündet werden! Ich kenne den Dienst und bin gewöhnt, jeden Befehl pünktlich auszuführen. Sie haben gesagt, die Brücke werde angezündet, aber wer sie anzündet, kann ich nicht vom Heiligen Geist wissen.«

 

»Nun, so ist's immer!« sagte Neswizki, die Achseln zuckend.

»Sie sagten, Herr Generalstabsoffizier …«

»Herr Oberst«, unterbrach ihn der Adjutant, »die Zeit ist kostbar! Sie müssen sich beeilen, sonst werden Sie vom Feind mit Kartätschen beschossen!«

Der Oberst sah in finsterem Schweigen den Adjutanten und Neswizki an. »Ich werde die Brücke anzünden«, sagte er in feierlichem Tone, als wollte er sagen, trotz des ihm angetanen Unrechts werde er dennoch tun, was nötig sei. Er ritt zurück und befahl der zweiten Schwadron, bei welcher Rostow diente, auf die Brücke zurückzukehren.

Rostows Hand zitterte leicht, als er sein Pferd einem Soldaten übergab.

»Krankenträger!« schrie eine Stimme von hinten. Rostow dachte nicht daran, was das bedeutete. Er lief weiter und strebte, allen voranzukommen, aber gerade bei der Brücke geriet er in den zähen Schlamm, stolperte und fiel auf die Hände nieder. Die anderen überholten ihn.

»Auf beiden Seiten, Rittmeister!« hörte er die Stimme des Obersten, welcher vorausgeritten war und nicht weit von der Brücke hielt.

Rostow rieb seine mit Schmutz bedeckten Hände an der Reithose ab und wollte weiterlaufen, in der Meinung, es sei am besten, je weiter er laufe. Aber der Oberst rief ihm zu, ohne ihn zu erkennen: »Wer läuft dort auf der Mitte der Brücke? Zur rechten Seite, Junker, schnell!« Dann wandte er sich an Denissow, welcher, um mit seiner Tapferkeit zu prahlen, zu Pferde auf die Brücke ritt.

»Wozu sich aussetzen, Rittmeister? Sie sollten absteigen!« sagte der Oberst.

»Eh! Wen es treffen soll, den trifft es«, erwiderte Denissow, indem er sich auf dem Sattel umwandte.

Inzwischen standen Neswizki und der Adjutant außer der Schussweite beisammen und beobachteten die kleine Anzahl Leute mit gelben Tschakos, dunkelgrünen, mit Schnüren besetzten Jacken und blauen Reithosen. Dann sahen sie nach dem jenseitigen Ufer, wo blaue Mäntel und Gruppen mit Pferden, welche leicht als Kanonen erkenntlich waren, sich rasch näherten.

»Wer wird schneller sein? Werden die Unsrigen die Brücke noch anzünden können, oder werden sie von den Franzosen mit Kartätschen vertrieben werden?« Diese Frage stellte sich unwillkürlich jeder von ihnen.

»O, den Husaren wird es gelingen«, sagte Neswizki, »sie sind nur noch einen Kartätschenschuss weit entfernt.«

»Es war unnütz, so viele Leute zurückzuführen«, sagte der Adjutant.

»Das ist richtig«, bestätigte Neswizki. »Hätte er zwei gewandte Burschen gesandt, wäre das ebensogut gewesen.«

»Nun«, sagte der Adjutant, »jetzt gibt's Kartätschen!«

Er zeigte auf ein französisches Geschütz, welches eben eiligst abprotzte. Auf der französischen Seite stieg eine Rauchwolke auf, dann eine zweite, eine dritte, fast zu gleicher Zeit.

»Oho«, ächzte Neswizki wie unter brennendem Schmerz und ergriff die Hand des Adjutanten, »sehen Sie, einer ist gefallen! Gefallen! Gefallen!«

Die französischen Geschütze wurden rasch wieder geladen; die Infanterie in blauen Mänteln bewegte sich im Lauf auf die Brücke zu. Wieder stiegen die Rauchwolken nacheinander auf, und die Kartätschen prasselten über die Brücke. Aber Neswizki konnte jetzt nicht sehen, was auf der Brücke vorging, ein dichter Rauch stieg von der Brücke auf. Den Husaren war es gelungen, sie in Brand zu stecken, und die französische Batterie schoß auf sie nicht mehr, um sie daran zu verhindern, sondern nur deshalb, weil die Kanonen aufgefahren waren und doch nach irgend etwas schießen mußten. Die Franzosen hatten drei Kartätschensalven abgegeben, bevor die Husaren zu ihren Pferden zurückkehrten. Zwei Salven waren schlecht gerichtet, aber die letzte traf mitten in einen Haufen Husaren, von denen drei fielen.

Rostow blieb auf der Brücke stehen, ohne zu wissen, was er tun sollte. Es war nichts niederzusäbeln, wie er sich immer eine Schlacht vorgestellt hatte. Beim Anstecken der Brücke konnte er nichts helfen, weil er nicht, wie die anderen Soldaten, ein Strohbündel mitgenommen hatte. Er stand und blickte um sich, als es plötzlich auf der Brücke prasselte, als ob Erbsen ausgeschüttet würden, und einer der Husaren, der ihm am nächsten stand, stöhnend auf das Geländer fiel. Rostow lief mit anderen auf ihn zu; wieder schrie jemand »Träger!« Vier Mann ergriffen den Husaren und hoben ihn auf.

»Oh, oh, oh, oh! Laßt mich los!« schrie der Verwundete, aber er wurde dennoch aufgehoben und auf die Tragbahre gelegt. Rostow wandte sich ab und blickte in die Ferne, nach der Donau, nach dem Himmel und der Sonne. Wie schön erschien der dunkelblaue Himmel, wie hell und siegreich schien die Sonne, wie freundlich glänzte das Wasser in der fernen Donau.

»Ich wünschte nichts anderes«, dachte Rostow, »als daß ich dort wäre! In mir allein und in diesem Sonnenschein liegt so viel Glück, hier aber herrscht nur Stöhnen, Leiden und Schrecken!« Wieder wurde etwas gerufen und wieder liefen alle zurück. In diesem Augenblick verschwand die Sonne hinter den Wolken. Vor Rostow erschienen wieder Tragbahren. Die Furcht vor dem Tode und Verwundung, die Liebe zum Leben und das Entzücken an der Sonne, alles floß in einen krankhaft aufgeregten Eindruck zusammen.

»Herr im Himmel, errette mich!« flüsterte Rostow.

Die Husaren liefen zu den Pferden. Die Stimmen wurden laut und ruhiger. »Du, Brüderchen, hast du Pulver gerochen?« rief ihm Denissow zu.

»Es ist alles aus! Ich bin ein Feigling!« dachte Rostow, und mit einem schweren Seufzer ergriff er die Zügel seines Pferdes und stieg auf.

»Was war das? Kartätschen?« fragte er Denissow.

»Ja, und es war gut gemeint!« rief Denissow. »Die Burschen haben tüchtig gearbeitet. Aber Arbeit ist unangenehm, eine Attacke ist etwas anderes, wo man alles in Stücke hackt, was vorkommt!«

Denissow ritt zu einer kleinen Gruppe hinüber, welche sich um den Obersten gebildet hatte.

»Aber ich glaube, niemand hat es bemerkt«, dachte Rostow. Und wirklich hatte niemand etwas bemerkt, weil jedem das Gefühl eines Junkers, wenn er zum erstenmal ins Feuer kommt, bekannt war.

»Melden Sie dem Fürsten, daß ich die Brücke angezündet habe«, sagte der Oberst feierlich.

»Aber wenn man nach dem Verlust fragt?«

»Kleinigkeit«, erwiderte der Oberst. »Zwei Husaren verwundet und einer gefallen!« sagte er mit sichtlichem Vergnügen.

31

Die kleine russische Armee von fünfunddreißigtausend Mann unter dem Befehl Kutusows zog sich rasch auf Wien zurück und hielt sich nur auf, wo sie vom Feind eingeholt wurde, worauf sie sich in Nachhutgefechte nur so weit einließ, als nötig war, um den Rückzug zu sichern, ohne die Bagage zu verlieren. Solche Gefechte fanden bei Lembach, Amstetten und Melk statt, aber trotz aller auch vom Feind anerkannten Tapferkeit, mit der die Russen sich schlugen, hatten diese Gefechte nur noch schnelleres Zurückweichen zur Folge. Die österreichische Armee trennte sich jetzt von der russischen, es war nicht daran zu denken, Wien zu verteidigen. Anstatt des tiefdurchdachten Angriffsplans, welcher nach den Gesetzen der neuen Wissenschaft, der Strategie, vom Hofskriegsrat entworfen und Kutusow bei seiner Anwesenheit in Wien übergeben worden war, blieb jetzt Kutusow nichts übrig, als die Vereinigung mit den aus Russland nachkommenden Heeresteilen zu suchen.

Am 28. Oktober ging Kutusow mit der Armee auf das linke Ufer der Donau über und machte zum erstenmal Halt, da er die Donau zwischen sich und den Franzosen hatte. Am 30. griff er die auf dem linken Ufer stehende Division Mortier an und vernichtete sie. In diesem Gefecht wurden zum erstenmal einige Trophäen – Fahnen, Geschütze und zwei feindliche Generale – erbeutet. Zum erstenmal nach zweiwöchigem Rückzug machten die russischen Truppen Halt. Sie hatten jetzt nicht nur das Feld behauptet, sondern auch die Franzosen verjagt. Obgleich die Truppen abgerissen und erschöpft und um ein Drittel zusammengeschmolzen waren, obgleich auf dem andern Ufer der Donau Kranke und Verwundete mit einem Brief Kutusows, der sie der Menschlichkeit des Feindes empfahl, zurückgeblieben waren, obgleich die großen Hospitäler und Häuser in Krems, in welchen Lazarette eingerichtet worden waren, nicht alle Kranken und Verwundeten aufnehmen konnten, hatte doch der Sieg über Mortier den Geist der Truppen bedeutend gehoben. In der ganzen Armee und dem Hauptquartier waren sehr günstige, wenn auch falsche Gerüchte über das angebliche Eintreffen neuer Truppen aus Russland, über einen Sieg der Österreicher und den Rückzug des erschrockenen Bonaparte in Umlauf.

Während der Schlacht befand sich Fürst Andree bei dem österreichischen General Schmidt, welcher bald darauf fiel. Sein Pferd wurde unter ihm erschossen, und er wurde selbst durch einen Streifschuss leicht verletzt. Als Zeichen besonderer Gunst wurde er von Kutusow mit der Nachricht von diesem Sieg an den österreichischen Hof abgesandt, welcher sich bereits in Brünn befand, da Wien von den Franzosen bedroht war. In der Nacht nach dem Gefecht war Fürst Andree in aufgeregter Stimmung mit einer Meldung vom General Dochturow in Krems an Kutusow gekommen und wurde noch in derselben Nacht nach Brünn abgesandt. Dieser Auftrag bedeutete einen wichtigen Schritt im Avancement.

Es war eine dunkle Sternennacht. Am Tage war etwas Schnee gefallen. Fürst Andree saß in dem leichten Postwagen mit dem Gefühl eines Menschen, welcher lange gewartet und nun endlich den Anfang des erwünschten Glückes erreicht hat. Sobald er die Augen schloss, ertönte in seinem Ohr Gewehrfeuer und Kanonendonner. Er erinnerte sich nochmals an alle Einzelheiten des Sieges und seinen kaltblütigen Mut während der Schlacht, und endlich schlummerte er ein. Nach der dunklen Sternennacht brach ein heller, heiterer Morgen an. Der Schnee schmolz in der Sonne. Die Pferde liefen rasch dahin durch dichte Wälder.

Es dunkelte, als Fürst Andree in Brünn eintraf. In den Straßen mit hohen Häusern und hell erleuchteten Läden empfand er jene Atmosphäre einer großen, volkreichen Stadt, welche für den Krieger nach dem Lagerleben immer so verführerisch ist. Ungeachtet der raschen Fahrt und der schlaflosen Nacht fühlte sich Fürst Andree, als er am Schlosse vorfuhr, noch frischer als am vorhergehenden Abend. Nur seine Augen glänzten fieberhaft und seine Gedanken folgten sich mit außerordentlicher Schnelligkeit und Deutlichkeit. Er stellte sich vor, welche Fragen Kaiser Franz an ihn richten und was er antworten werde. Er glaubte, man werde ihn sogleich dem Kaiser vorstellen, aber bei dem großen Einfahrtstor des Schlosses kam ein Beamter ihm entgegen, und als er in ihm einen Kurier erkannte, führte er ihn zu einem anderen Eingang.

»Dort in der Tür rechts finden Sie den Flügeladjutanten«, sagte ihm der Beamte, »er wird Sie zum Kriegsminister begleiten.«

Der Flügeladjutant bat ihn, etwas zu warten, und ging zum Kriegsminister. Nach fünf Minuten kam er zurück und führte den Fürsten Andree mit besonderer Höflichkeit durch den Korridor in ein Kabinett, wo der Kriegsminister arbeitete. Die freudige Erwartung des Fürsten Andree wurde bedeutend gedämpft, als er das Kabinett des Kriegsministers betrat. Er fühlte sich beleidigt, und dieses Gefühl steigerte sich, als der Kriegsminister, an einem großen Tisch sitzend, zwei Minuten lang den Eintretenden unbeachtet stehen ließ. Er las ein Papier und machte dabei Bemerkungen mit einem Bleistift.

»Nehmen Sie das und geben Sie es ab«, sagte der Kriegsminister zu seinem Adjutanten, indem er ihm das Papier reichte, aber noch immer beachtete er den Kurier nicht.

Fürst Andree schloss aus diesem Benehmen, daß die Tätigkeit von Kutusows Armee den Kriegsminister weniger als alles übrige interessierte, und daß er für nötig fand, den russischen Kurier dies fühlen zu lassen.

»Aber das ist mir ganz gleichgültig«, dachte er.

Der Kriegsminister schob die übrigen Papiere zusammen und hob den Kopf auf. Er hatte ein kluges, charaktervolles Gesicht.

»Vom Generalfeldmarschall Kutusow?« fragte er. »Gute Nachrichten, wie ich hoffe?«

»Es hat ein Zusammenstoß mit Mortier stattgefunden.«

»War er siegreich? Es wäre Zeit!« Er ergriff die Depesche, die an ihn gerichtet war, und las sie mit kummervoller Miene.

»Ach, mein Gott! Mein Gott! Schmidt!« sagte er auf deutsch. »Welches Unglück!« Nachdem er die Depesche gelesen hatte, legte er sie auf den Tisch und blickte Fürst Andree gedankenvoll an.

 

»Ach, welches Unglück. Die Sache war entscheidend, sagen Sie? Aber Mortier ist nicht gefangengenommen worden? – Nun, ich bin sehr erfreut, daß Sie gute Nachrichten brachten, obgleich der Sieg durch den Tod Schmidts teuer erkauft ist. Seine Majestät wird Sie wahrscheinlich zu sehen wünschen, aber nicht heute. Ich danke Ihnen. Erholen Sie sich! Seien Sie morgen beim Eingang nach der Parade! Übrigens werde ich Ihnen Nachricht geben. Auf Wiedersehen! Ich danke Ihnen sehr.«

Fürst Andree verließ das Schloss mit dem Gefühl, als ob alles Interesse und Glück, das ihm der Sieg verliehen hatte, jetzt in den gleichgültigen Händen des Kriegsministers und bei dem höflichen Adjutanten zurückgeblieben sei. Seine Gedanken nahmen eine andere Richtung. Das Gefecht erschien ihm wie eine Erinnerung aus längst vergangener Zeit.