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Anna Karenina, 2. Band

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22

Stefan Arkadjewitsch fühlte sich vollkommen verblüfft von den neuen, ihm fremdartigen Gesprächen, die er vernahm. Das Getriebe des Petersburger Lebens wirkte im allgemeinen anregend auf ihn ein, indem es ihn aus dem stagnierenden Moskauer Sumpfe herausbrachte, aber er liebte und verstand dieses Getriebe nur in den ihm nahestehenden und bekannten Kreisen – in dieser fremdartigen Umgebung hier wurde er verlegen, konnte er nicht alles verstehen. Indem er der Gräfin Lydia Iwanowna zuhörte, und die auf ihn gerichteten schönen, naiven oder verschlagenen Augen Landaus – er wußte es selbst nicht – sah, begann Stefan Arkadjewitsch eine gewisse eigenartige Schwere im Kopfe zu empfinden.

Die verschiedenartigsten Gedanken gingen in seinem Kopfe durcheinander. Mary Sanina freut sich, daß ihr Kind gestorben ist – es wäre recht angenehm, könnte man jetzt ein wenig rauchen – um sein Seelenheil zu retten, ist nur nötig, daß man glaubt, und die Mönche wissen nicht, wie man das machen muß, wohl aber die Gräfin Lydia Iwanowna kennt das – woher nur das schwere Gefühl in dem Kopfe? Von dem Cognac oder davon, daß das da alles so sehr seltsam ist? Ich glaube doch wohl bis jetzt nichts Anstößiges begangen zu haben; und doch kann ich sie nicht mehr bitten. Man sagt, sie veranlaßt einen zum Beten; als ob sie mich nicht dazu veranlaßt hätten? Das wird doch gar zu dumm. Und welchen Unsinn sie da liest, sie spricht aber gut aus. Landau – Bessuboff – weshalb heißt er Bessuboff? Plötzlich fühlte Stefan Arkadjewitsch, wie seine Kinnlade unwiderstehlich sich zum Gähnen auszurenken begann. Er strich sich seinen Backenbart, indem er das Gähnen verbarg und schüttelte sich, fühlte aber dann, daß er bereits schlafe und schon zu schnarchen anfange. Er erwachte in dem nämlichen Moment, als die Stimme der Gräfin Lydia Iwanowna sprach „er schläft“.

Stefan Arkadjewitsch kam erschrocken zur Besinnung, er fühlte sich schuldbewußt und überführt, tröstete sich aber sogleich, nachdem er wahrgenommen hatte, die Worte „er schläft“ sich nicht auf ihn bezogen, sondern auf Landau.

Der Franzose war ebenso eingeschlafen, wie Stefan Arkadjewitsch. Aber während sein Schlaf sie, wie er meinte, verletzt haben würde – doch selbst hieran dachte er nicht einmal, so seltsam schien ihm alles – erfreute sie der Schlaf Landaus, besonders die Gräfin Lydia Iwanowna, außerordentlich.

Mon ami,“ sagte Lydia Iwanowna, vorsichtig, um nicht Geräusch zu verursachen, die Falten ihres seidenen Kleides streichend und in ihrer Aufregung Karenin schon nicht mehr Aleksey Aleksandrowitsch nennend, sondern „mon ami – donnez lui la main. Vous voyez? St!“ – lispelte sie dem abermals eintretenden Diener zu: „Niemand wird empfangen.“

Der Franzose schlief, oder stellte sich schlafend, den Kopf nach der Rücklehne des Sessels geneigt und mit der schwitzenden Hand, die auf dem Knie lag, schwache Bewegungen machend, als ob er etwas fangen wollte. Aleksey Aleksandrowitsch erhob sich, ging vorsichtig, sich an dem Tische anhaltend herzu und legte seine Hand in die des Franzosen. Stefan Arkadjewitsch stand gleichfalls auf, die Augen weit öffnend, im Wunsche, völlig wach zu werden, falls er etwa noch schliefe, und blickte bald auf dieses, bald auf jenes. Alles war Wirklichkeit. Stefan Arkadjewitsch fühlte, daß es ihm im Kopfe immer unbehaglicher wurde.

Que la personne qui est arrivée la dernière, celle qui demande, qu'elle sorte! – Qu'elle sorte!“ – sprach der Franzose, ohne die Augen zu öffnen.

Vous m'excuserez, mais vous voyez – revenez vers dix heurs, encore mieux demain.“

Qu'elle sorte!“ wiederholte der Franzose ungeduldig.

C'est moi, n'est ce pas?“ Mit der bestätigenden Antwort ging Stefan Arkadjewitsch. Er vergaß, um was er Lydia Iwanowna hatte bitten wollen; er vergaß die Sache seiner Schwester, auf den Fußspitzen ging er hinaus, nur in dem einzigen Wunsche, möglichst schnell von hier fortzukommen, wie aus einer Lasterhöhle. Er eilte auf die Straße hinaus und unterhielt sich geraume Zeit scherzend mit dem Kutscher, um möglichst bald wieder zu Verstande zu kommen.

Im französischen Theater, welches er noch für den letzten Akt besuchte, und darauf bei den Tataren beim Champagner, in der ihm eigenen Sphäre, erholte sich Stefan Arkadjewitsch ein wenig, aber gleichwohl war es ihm an diesem Abend gar nicht recht nach Wunsch.

Als er nach Haus zu Peter Oblonskiy gekommen war, bei dem er in Petersburg wohnte, fand er ein Billet von Betsy vor. Dieselbe schrieb ihm, sie wünsche sehr die begonnene Unterhaltung zu beendigen und bitte ihn, morgen zu ihr zu kommen. Er hatte dieses Schreiben kaum durchgelesen, und eine finstere Miene dazu gemacht, als unten die wuchtigen Schritte von Leuten vernehmbar wurden, welche etwas Schweres trugen.

Stefan Arkadjewitsch ging hinaus, um nachzusehen; es war der wieder junggewordene Peter Oblonskiy, welcher so berauscht war, daß er nicht die Treppe heraufgehen konnte. Gleichwohl aber befahl er selbst, ihn auf die Füße zu stellen, als er Stefan Arkadjewitschs ansichtig geworden, und ging mit diesem, an ihn angehängt, in dessen Zimmer, wo er ihm zu erzählen anfing, wie er den Abend verbracht habe. Hier schlief er dann auch ein.

Stefan Arkadjewitsch hatte die Laune verloren, was sich bei ihm selten ereignete, und konnte lange Zeit den Schlaf nicht finden. Alles woran er auch denken mochte, war widerwärtig, aber als das Widerwärtigste, als etwas gewissermaßen Beschämendes, rief er sich den Abend bei der Gräfin Lydia Iwanowna ins Gedächtnis zurück.

Am andern Tage erhielt er von Aleksey Aleksandrowitsch eine bestimmte Verweigerung der Scheidung Annas, und erkannte nun, daß dieser Entschluß auf dem fußte, was der Franzose gestern in seinem wirklichen oder verstellten Schlafe gesagt haben mochte.

23

Soll im Familienleben etwas unternommen werden, so bedarf es dazu entweder eines vollständigen Zerfalls unter den Gatten, oder einer liebevollen Übereinstimmung. Wenn aber die Beziehungen unter den Gatten unbestimmte sind, weder so noch so, dann kann nichts unternommen werden.

Viele Familien bleiben Jahre lang auf dem alten Platze, der den beiden Gatten gleichgültig geworden ist, nur aus dem Grunde, weil weder ein völliger Zerfall, noch ein ebensolches Einverständnis vorhanden ist.

Sowohl Wronskiy wie Anna war das Moskauer Leben in seiner Hitze, seinem Staub, wobei die Sonne nicht mehr wie im Frühling, sondern wie im Sommer schien, alle Bäume auf den Boulevards längst schon belaubt standen und die Blätter schon von Staub bedeckt waren – unerträglich geworden; doch lebten beide, ohne nach Wosdwishenskoje umzusiedeln, wie schon längst beschlossen war, indem ihnen langweilig gewordenen Moskau weiter, weil zwischen ihnen in letzter Zeit kein Einverständnis mehr bestand.

Die Verstimmung, die sie trennte, hatte keine äußerliche Ursache, und alle Versuche einer Aussprache beseitigten dieselbe nicht nur nicht, sondern vergrößerten sie noch. Es war dies eine innere Verbitterung, welche für Anna ihren Grund in der Abnahme seiner Liebe hatte, für Wronskiy in der Reue darüber, daß er sich ihretwegen in eine schwierige Situation verwickelt hatte, welche Anna, anstatt sie zu erleichtern, nur noch drückender gestaltete. Weder eins, noch das andere von beiden äußerte die Ursache seines Grolls, aber sie hielten sich gegenseitig für ungerecht, und bemühten sich bei jeder Gelegenheit, dies einander zu zeigen.

Für sie war er in seinem ganzen Wesen, mit allen seinen Gewohnheiten, Gedanken, Wünschen, mit seiner ganzen seelischen und physischen Beanlagung nur Eins – die Liebe zum Weib; diese Liebe aber mußte nach ihrem Gefühl, ganz auf sie allein konzentriert sein. Sie hatte sich jedoch vermindert, und folglich hatte er nach ihrem Urteil einen Teil derselben auf andere, oder auf ein anderes Weib übertragen müssen – und so war sie eifersüchtig geworden. Sie war nicht wegen eines anderen Weibes eifersüchtig auf ihn, sondern wegen der Abnahme seiner Liebe. Sie besaß noch keinen Gegenstand auf den sich ihre Eifersucht erstrecken konnte, suchte denselben jedoch, und übertrug bei dem geringsten Fingerzeig diese Eifersucht von dem einen Gegenstand auf den anderen. Bald hegte sie Eifersucht auf ihn wegen jener gewöhnlichen Frauenzimmer, mit denen er dank seinen Junggesellenverbindungen, so leicht in Verbindung treten konnte, bald wegen jener Weltdamen, mit denen er zusammentreffen konnte, bald auch hegte sie Eifersucht auf ein nur in ihrer Vorstellung vorhandenes Mädchen, welches er, indem er sein Verhältnis mit ihr löste, lieben könnte.

Diese letztere Art ihrer Eifersucht folterte sie am meisten, insbesondere deshalb, weil er ihr selbst unvorsichtigerweise in einer offenherzigen Minute gesagt hatte, seine Mutter verstehe ihn so wenig, daß sie sich erlaubt hätte, ihn zur Heirat mit der jungen Fürstin Sorokina zu überreden.

In dieser Eifersucht grollte ihm Anna, und suchte nun in allem Gründe zum Grollen. In allem, was es Drückendes gab in ihrer Lage, klagte sie ihn an; der qualvolle Zustand des Wartens, den sie in Moskau – zwischen Himmel und Erde – durchlebte, die Langsamkeit und Unentschlossenheit Aleksey Aleksandrowitschs, ihre Vereinsamung – alles legte sie ihm zur Last. Wenn er sie liebte, würde er all das Drückende ihrer Lage begriffen, und sie aus derselben befreit haben; daran, daß sie noch in Moskau lebte, und nicht auf dem Lande, war nur er schuld. Er konnte nicht leben, wenn er sich auf dem Lande vergrub, so wie sie es wünschte; ihm war die Gesellschaft unentbehrlich und er hatte sie in diese furchtbare Situation gebracht, deren Schwierigkeit er nicht verstehen wollte. Dann aber trug er auch schuld daran, daß sie auf ewig von ihrem Sohne getrennt war.

Selbst die seltenen Minuten der Zärtlichkeit, die für beide kamen, beruhigten sie nicht; in seiner Zärtlichkeit fand sie jetzt einen Anflug von Ruhe und Zuversicht; was früher nicht gewesen war und sie reizte.

 

Die Dämmerung war schon eingetreten. Anna schritt allein, seine Heimkehr von einem Essen unter Junggesellen erwartend, zu dem er gefahren war, im Kabinett auf und nieder, einem Raum, in welchem das Geräusch vom Trottoir weniger vernehmlich war – und überdachte nochmals die Ausdrücke, welche bei ihrem gestrigen Zwist gefallen waren, in allen Einzelheiten.

Indem sie immer weiter rückwärts ging von den ihr erinnerlichen, kränkenden Worten bei diesem Streite, bis zu dem, was die Veranlassung dazu gebildet hatte, gelangte sie endlich auf den Beginn der Auseinandersetzung. Lange vermochte sie nicht daran zu glauben, daß der Streit aus einem Gespräch entstanden war, welches völlig harmlos, und für keines der beiden von höherem Werte gewesen war. Es war wirklich so. Alles war daher gekommen, daß er über die Mädchengymnasien gespöttelt hatte, indem er sie für unnütz hielt, während sie für dieselben eingetreten war.

Er hatte sich im allgemeinen der weiblichen Bildung gegenüber respektlos verhalten und gesagt, daß Hanna, die von Anna protegierte Engländerin, durchaus keine Kenntnisse in der Physik nötig habe.

Dies hatte Anna gereizt; sie sah hierin eine geringschätzige Hindeutung auf ihre eigenen Beschäftigungen, und ersann und äußerte nun einen Satz, der ihm den ihr bereiteten Schmerz heimzahlen sollte.

„Ich erwarte nicht, daß Ihr an mich und meine Empfindungen dächtet, wie dies nur ein liebender Mann kann, ich hätte aber nur einfach Taktgefühl erwartet,“ sagte sie.

Und in der That, er errötete vor Verdruß und antwortete etwas Unangenehmes. Sie besann sich nicht mehr auf ihre Antwort, aber gleich darauf hatte er, offenbar in dem Wunsche, ihr auch weh zu thun, geantwortet:

„Eure Leidenschaft für dieses Mädchen interessiert mich nicht, weil ich sehe, daß sie nicht natürlich ist.“

Diese Härte seinerseits, mit welcher er eine Welt stürzte, die sie sich mit soviel Mühe aufgebaut, um ihr schweres Dasein ertragen zu können, diese Ungerechtigkeit, mit der er sie der Heuchelei, der Unnatürlichkeit zieh, empörte sie.

„Ich beklage sehr, daß allein das Rohe und Materielle Euch verständlich und natürlich erscheint,“ sprach sie und verließ das Zimmer.

Als er gestern Abend zu ihr gekommen war, hatten sie des vorgefallenen Zwists gar nicht gedacht, aber beide gefühlt, daß derselbe wohl beigelegt aber nicht vorüber war.

Heute war er nun den ganzen Tag über nicht zu Haus gewesen und sie fühlte sich so vereinsamt und bedrückt in dem Gefühl, mit ihm uneinig zu sein, daß sie alles vergessen, vergeben, sich mit ihm aussöhnen und sich selbst anklagen, ihn aber rechtfertigen wollte.

„Ich selbst bin schuld. Ich bin reizbar und sinnlos eifersüchtig. Ich werde mich mit ihm aussöhnen und wir werden auf das Dorf fahren, dort werde ich ruhiger werden,“ sprach sie zu sich selbst.

„Unnatürlich“, kam ihr plötzlich nicht so sehr das Wort, welches sie vor allem verletzt hatte, wieder ins Gedächtnis, als vielmehr eine Absicht, ihr wehe zu thun. „Ich weiß, was er sagen wollte; er wollte sagen, es sei unnatürlich, nicht die eigene Tochter zu lieben, wohl aber ein fremdes Kind. Was versteht er von Liebe zu Kindern, von meiner Liebe zu Sergey, welchen ich ihm geopfert habe? Aber es war so sein Wunsch, mir weh zu thun! Nein; er liebt eine andere, es kann nicht anders sein,“ und indem sie gewahrte, daß sie, im Wunsche, ruhig zu werden, wiederum den soviel Mal schon von ihr durchlaufenen Kreis vollendet hatte und zu der alten Erbitterung zurückgekehrt war, erschrak sie über sich selbst.

„Geht es denn aber wirklich nicht an? Sollte ich es nicht auf mich nehmen können?“ sprach sie zu sich selbst und begann abermals von Anfang an. „Er ist gerecht, ehrenhaft, er liebt mich. Ich liebe ihn, bald wird die Scheidung erfolgen. Wessen bedarf es da noch? Nur der Ruhe, des Vertrauens, und ich will es auf mich nehmen. Ja, jetzt, sobald er kommt, werde ich ihm sagen, daß ich die Schuldige gewesen bin, obwohl ich es nicht war – und wir wollen dann abreisen,“ und um nicht mehr denken, sich nicht mehr ihrem Groll überlassen zu müssen, schellte sie und befahl die Koffer zum Einpacken der Sachen für die Reise aufs Dorf herbeizubringen.

Um zehn Uhr kam Wronskiy an.

24

„Nun; ging es recht vergnügt zu?“ frug sie mit schuldbewußtem und sanftem Ausdruck in den Zügen, ihm entgegentretend.

„Wie gewöhnlich,“ versetzte er, sogleich mit einem einzigen Blick auf sie erkennend, daß sie in einer ihrer besten Stimmungen sei. Er war an diese Übergänge schon gewöhnt und heute ganz besonders erfreut davon, weil er selbst sich gleichfalls in bester Laune befand.

„Was sehe ich! So ist's recht!“ sagte er, auf die Koffer im Vorzimmer weisend.

„Ja, wir müssen abreisen, und es ist ganz gut, daß wir auf das Dorf wollen. Dich hält doch wohl nichts zurück?“

„Nur eines wünschte ich. Ich komme sogleich wieder, wir wollen dann sprechen, ich möchte mich nur umkleiden. Laß den Thee geben.“

Er begab sich in sein Kabinett.

Es hatte etwas Verletzendes darin gelegen, als er sagte, „so ist's recht“; wie man zu einem Kinde spricht, wenn dieses aufgehört hat launisch zu sein; und noch verletzender war der Gegensatz zwischen dem schuldbewußten Tone bei ihr und dem selbstbewußten bei ihm; auf einen Augenblick empfand sie in sich den aufsteigenden Wunsch nach Kampf; allein indem sie sich selbst bezwang, erstickte sie denselben und begegnete Wronskiy noch immer so heiter.

Nachdem dieser wieder zu ihr gekommen war, erzählte sie ihm, teilweise die zurechtgelegten Worte wiederholend, davon, wie sie den Tag zugebracht hatte, sowie von ihren Plänen zur Abreise.

„Weißt du, es ist über mich fast wie eine Begeisterung gekommen,“ sprach sie, „weshalb sollen wir hier auf die Scheidung warten? Geht das nicht ganz ebenso auf dem Dorfe? Ich kann nicht mehr länger warten, ich will nicht hoffen, nichts hören von der Scheidung. Ich habe beschlossen, daß dies keinen Einfluß mehr auf mein Leben ausüben soll. Bist du auch einverstanden?“

„O ja;“ sagte er, ihr beunruhigt in das erregte Gesicht blickend.

„Was habt Ihr denn dort angegeben? Wer war dabei?“ sagte sie.

Wronskiy nannte die Gäste. Es war ein vorzügliches Essen gegeben worden, eine Bootwettfahrt dazu und alles das war ganz hübsch ausgefallen, aber in Moskau thut man es nicht ohne ein ridicule. Es war auch eine Dame, eine Schwimmlehrerin der Königin von Schweden dabei aufgetreten und hatte ihre Kunst gezeigt.

„Wie? Sie schwamm?“ frug Anna, sich verfinsternd.

„In einem roten costume de natation; sie war alt und häßlich. Aber wann reisen wir?“

„Welch thörichte Phantasie! Schwimmt sie denn in einer ganz besonderen Weise?“ sagte Anna, ohne hierauf zu antworten.

„Durchaus nichts Besonderes war dabei; ich muß sogar sagen, es war ein furchtbarer Unsinn. Aber wann also denkst du zu reisen?“

Anna schüttelte den Kopf, als wünsche sie, einen unangenehmen Gedanken zu verscheuchen.

„Wann wir reisen? Nun, je früher, um so besser. Morgen werden wir noch nicht fertig sein; aber übermorgen.“

„Ja – doch nein, halt. Übermorgen ist Sonntag, da muß ich zu maman,“ sagte Wronskiy, in Verlegenheit geratend, weil er, sofort nachdem er den Namen der Mutter ausgesprochen hatte, ihren starr und argwöhnisch auf sich gerichteten Blick fühlte. Seine Verwirrung bestätigte ihr ihren Verdacht. Sie geriet in Wallung und entfernte sich von ihm. Jetzt war es nicht mehr die Lehrerin der Königin von Schweden, sondern die junge Fürstin Sorokina, welche mit der Gräfin Wronskaja zusammen auf einem Dorfe bei Moskau lebte, die vor Anna auftauchte.

„Du kannst doch morgen zu ihr fahren?“ sprach sie.

„Nein, nein! In der Angelegenheit, in welcher ich zu ihr will – läßt sich ein Kreditschein und das Geld morgen nicht erhalten,“ antwortete er.

„Wenn dem so ist, so werden wir gar nicht reisen.“

„Warum das?“

„Ich werde nicht später abreisen. Entweder Montag oder gar nicht.“

„Aber warum?“ sagte Wronskiy, wie mit Erstaunen. „Das hat doch gar keinen Sinn.“

„Für dich hat es keinen Sinn, weil du mit mir nichts zu thun hast. Du willst mein Leben nicht begreifen. Das einzige, was mich hier interessiert hat – war Hanna. Du sagst, dies sei eine Heuchelei. Du hast erst gestern gesagt – daß ich meine Tochter nicht liebte, sondern mich stellte, als ob ich diese Engländerin liebte – dies wäre unnatürlich. Ich möchte nun wissen, welches Leben hier für mich ein natürliches sein könnte!“

Einen Augenblick kam sie zur Besinnung und erschrak darüber, daß sie ihrem Vorsatz untreu geworden war. Aber obwohl sie wußte, daß sie sich damit verderbe, vermochte sie nicht mehr an sich zu halten; sie mußte ihm zeigen, wie ungerecht er war, sie konnte sich ihm nicht mehr unterordnen.

„Ich habe dies niemals gesagt; ich habe gesagt, daß ich dieser so plötzlichen Liebe nicht nachfühlen könnte.“

„Warum sprichst du, der mit seiner Offenheit prahlt, nicht die Wahrheit?“

„Ich prahle nie und spreche nie die Unwahrheit,“ sprach er ruhig, den in ihm aufsteigenden Groll niederhaltend, „es ist sehr bedauerlich, wenn du mich nicht achtest“ —

„Die Achtung hat man erdacht, um eine leere Stelle damit zu verdecken, auf welcher die Liebe sein müßte. Aber wenn du mich nicht mehr liebst, so ist es besser und ehrenhafter, dies auszusprechen.“

„Nein, das wird unerträglich!“ rief Wronskiy, vom Stuhle aufstehend. Vor ihr stehen bleibend, sprach er dann langsam: „Weshalb stellst du meine Geduld auf die Probe?“ Er sprach dies mit einem Ausdruck, als könnte er noch mehr sagen, halte aber an sich; „es giebt gewisse Grenzen!“

„Was wollt Ihr damit sagen?“ rief sie, mit Schrecken auf den offenen Ausdruck von Haß schauend, der in seinem ganzen Gesicht, und besonders in den harten, drohenden Augen lag.

„Ich will sagen,“ begann er, stockte aber, „ich muß fragen, was Ihr von mir wollt?“

„Was könnte ich wollen? Ich könnte nur wollen, daß Ihr mich nicht vernachlässigt, wie Ihr es beabsichtigt“ – sagte sie, vollkommen verstehend, was er nicht vollendet hatte, „aber das will ich nicht; das kommt erst in zweiter Reihe. Ich will Liebe, und diese giebt es nicht mehr. Vielleicht, daß alles schon vorbei ist.“

Sie schritt der Thür zu.

„Bleib – bleibe!“ sagte Wronskiy, ohne seine finster zusammengezogenen Brauen zu glätten, und ergriff sie bei der Hand. „Was ist denn eigentlich? Ich habe gesagt, daß die Abreise auf drei Tage verschoben werden muß, du hast mir darauf geantwortet, ich lüge und sei ein ehrloser Mensch!“

„Ja, und ich wiederhole, daß ein Mensch, der mir vorwirft, alles für mich geopfert zu haben“ – sprach sie in der Erinnerung an die Worte eines anderen, früheren Streites – „daß er schlimmer ist, ein Mensch ohne Herz, als ein ehrloser Mensch!“

„Nein; es giebt aber doch eine Grenze für die Geduld!“ rief er aus, ihre Hand schnell loslassend.

„Er haßt mich, das ist klar,“ dachte sie, und verließ schweigend, ohne sich umzublicken, mit unsicheren Schritten das Gemach. „Er liebt eine andere; das ist noch klarer,“ sprach sie zu sich, in ihr Zimmer tretend, „ich will Liebe, aber die ist nicht mehr da. Vielleicht ist alles vorüber,“ wiederholte sie mit den von ihr schon geäußerten Worten, „und wir müssen ein Ende machen. Aber wie?“ frug sie sich und setzte sich in einem Sessel vor dem Spiegel. Gedanken daran, wohin sie jetzt fahren könnte – zu der Tante vielleicht, bei welcher sie erzogen worden war, zu Dolly, oder einfach ins Ausland, ferner daran, was er jetzt, allein in seinem Kabinett thun möge; ob dieser Streit ein entscheidender gewesen oder eine Aussöhnung noch möglich sei, sowie, was jetzt alle ihre früheren Petersburger Bekannten von ihr sagen würden, wie Aleksey Aleksandrowitsch die Sache betrachten würde; viele andere Ideen, was jetzt werden solle nach dem Bruch, kamen ihr in den Kopf, aber sie gab sich ihnen nicht mit ganzer Seele hin.

In ihrer Seele lebte ein unklarer Gedanke, der sie ausschließlich interessierte, doch konnte sie sich nicht klar darüber werden. Indem sie aber nochmals an Aleksey Aleksandrowitsch dachte, rief sie sich zugleich auch die Zeit ihrer Krankheit nach ihrer Niederkunft und jenes Gefühl wieder ins Gedächtnis zurück, welches sie damals nicht verlassen hatte „warum bin ich nicht gestorben?“ und erkannte nun plötzlich das Gefühl, welches in ihrer Seele lebte. Ja; er war es, der Gedanke, der allein alles entschied, „sie mußte sterben.“

„Die Schmach und Schande Aleksey Aleksandrowitschs, Sergeys, und meine eigene furchtbare Schmach – das alles wird durch den Tod gesühnt. Sie wollte – sterben, er aber sollte bereuen, er muß Mitleid empfinden, Liebe, und soll meinethalben leiden!“

 

Mit beständigem Lächeln des Mitleids mit sich selbst saß sie in dem Lehnstuhl, die Ringe ihrer linken Hand abziehend und wieder aufsetzend, und sich lebhaft seine Gefühle nach ihrem Tode, von den verschiedenen Seiten aus, vorstellend.

Sich nähernde Schritte, es waren seine Schritte, zogen sie ab. Als wäre sie mit dem Weglegen ihrer Ringe beschäftigt wandte sie sich nicht einmal nach ihm um.

Er trat zu ihr und ihre Hand ergreifend, sagte er leise:

„Anna, wir wollen übermorgen fahren, wenn du willst. Ich bin mit allem einverstanden.“

Sie schwieg.

„Nun?“ frug er.

„Du weißt ja selbst,“ sagte sie und brach sogleich, unfähig, noch länger an sich zu halten, in Schluchzen aus. „Verlaß mich, verlaß mich!“ sprach sie unter Schluchzen, „ich werde morgen fortgehen – ich werde noch mehr thun! Wer bin ich noch? Ein lasterhaftes Weib, ein Stein auf deinem Wege. Ich will dich nicht quälen, ich will nicht, und werde dich befreien. Du liebst nicht, liebst eine andere!“

Wronskiy beschwor sie, sich zu beruhigen und beteuerte, daß es doch gar keinen Anlaß zur Eifersucht für sie gäbe, daß er niemals aufgehört habe oder aufhören werde, sie zu lieben, und sie noch mehr liebe, als je zuvor.

„Anna, wozu sollen wir uns beide so quälen?“ sagte er, ihr die Hände küssend. In seinen Zügen malte sich jetzt Zärtlichkeit und ihr schien es, als vernehme sie mit ihrem Ohr einen Klang von Thränen in seiner Stimme, als verspüre sie das Feuchte dieser Thränen auf ihrer Hand, und augenblicklich ging die verzweiflungsvolle Eifersucht Annas in eine verzweiflungsvolle, leidenschaftliche Zärtlichkeit über. Sie umfing ihn und bedeckte ihm Kopf, Hals und Hände mit Küssen.