Venus im Pelz

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Venus im Pelz
Venus im Pelz
Hörbuch
Wird gelesen Bela B. Felsenheimer, Catherine Flemming
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Sie heißt Wanda von Dunajew.

Und sie ist wirklich meine Venus.

»Aber Madame, wie kamen Sie auf den Einfall?«

»Durch das kleine Bild, das in einem Ihrer Bücher lag —«

»Ich habe es vergessen.«

»Die seltsamen Bemerkungen auf der Rückseite —«

»Warum seltsam?«

Sie sah mich an. »Ich habe immer den Wunsch gehabt, einmal einen ordentlichen Phantasten kennen zu lernen — der Abwechslung wegen — nun, Sie scheinen mir nach allem einer der tollsten.«

»Meine Gnädige — in der Tat —« wieder das fatale, eselhafte Stottern und noch dazu ein Erröten, wie es für einen jungen Menschen von sechzehn Jahren wohl passen mag, aber für mich, der beinahe volle zehn Jahre älter —

»Sie haben sich heute Nacht vor mir gefürchtet.«

»Eigentlich — allerdings — aber wollen Sie sich nicht setzen?«

Sie nahm Platz und weidete sich an meiner Angst — denn ich fürchtete mich jetzt, bei hellem Tageslichte, noch mehr vor ihr — ein reizender Hohn zuckte um ihre Oberlippe.

»Sie sehen die Liebe und vor allem das Weib«, begann sie, »als etwas Feindseliges an, etwas, wogegen Sie sich, wenn auch vergebens, wehren, dessen Gewalt Sie aber als eine süße Qual, eine prickelnde Grausamkeit fühlen; eine echt moderne Anschauung.«

»Sie teilen sie nicht.«

»Ich teile sie nicht«, sprach sie rasch und entschieden und schüttelte den Kopf, dass ihre Locken wie rote Flammen emporschlugen.

»Mir ist die heitere Sinnlichkeit der Hellenen — Freude ohne Schmerz — ein Ideal, das ich in meinem Leben zu verwirklichen strebe. Denn an jene Liebe, welche das Christentum, welche die Modernen, die Ritter vom Geiste predigen, glaube ich nicht. Ja, sehen Sie mich nur an, ich bin weit schlimmer als eine Ketzerin, ich bin eine Heidin.

»Glaubst du, es habe sich lange die Göttin der Liebe besonnen,

Als im Idäischen Hain einst ihr Anchises gefiel?«

Diese Verse aus Goethes römischer Elegie haben mich stets sehr entzückt.

In der Natur liegt nur jene Liebe der heroischen Zeit, »da Götter und Göttinnen liebten«. Damals »folgte Begierde dem Blick, folgte Genuss der Begier«.

Alles andere ist gemacht, affektiert, erlogen. Durch das Christentum — dessen grausames Emblem — das Kreuz — etwas Entsetzliches für mich hat — wurde erst etwas Fremdes, Feindliches in die Natur und ihre unschuldigen Triebe hineingetragen.

Der Kampf des Geistes mit der sinnlichen Welt ist das Evangelium der Modernen. Ich will keinen Teil daran.«

»Ja, Ihr Platz wäre im Olymp, Madame«, entgegnete ich, »aber wir Modernen ertragen einmal die antike Heiterkeit nicht, am wenigsten in der Liebe; die Idee, ein Weib, und wäre es auch eine Aspasia, mit anderen zu teilen, empört uns, wir sind eifersüchtig wie unser Gott. So ist der Name der herrlichen Phryne bei uns zu einem Schimpfworte geworden.

Wir ziehen eine dürftige, blasse, Holbeinsche Jungfrau, welche uns allein gehört, einer antiken Venus vor, wenn sie noch so göttlich schön ist, aber heute den Anchises, morgen den Paris, übermorgen den Adonis liebt, und wenn die Natur in uns triumphiert, wenn wir uns in glühender Leidenschaft einem solchen Weibe hingeben, erscheint uns dessen heitere Lebenslust als Dämonie, als Grausamkeit, und wir sehen in unserer Seligkeit eine Sünde, die wir büßen müssen.«

»Also auch Sie schwärmen für die moderne Frau, für jene armen, hysterischen Weiblein, welche im somnambulen Jagen nach einem erträumten, männlichen Ideal den besten Mann nicht zu schätzen verstehen und unter Tränen und Krämpfen täglich ihre christlichen Pflichten verletzen, betrügend und betrogen, immer wieder suchen und wählen und verwerfen, nie glücklich sind, nie glücklich machen und das Schicksal anklagen, statt ruhig zu gestehen, ich will lieben und leben, wie Helena und Aspasia gelebt haben. Die Natur kennt keine Dauer in dem Verhältnis von Mann und Weib.«

»Gnädige Frau —«

»Lassen Sie mich ausreden. Es ist nur der Egoismus des Mannes, der das Weib wie einen Schatz vergraben will. Alle Versuche, durch heilige Zeremonien, Eide und Verträge Dauer in das Wandelbarste im wandelbaren menschlichen Dasein, in die Liebe hineinzutragen, sind gescheitert. Können Sie leugnen, dass unsere christliche Welt in Fäulnis übergegangen ist?«

»Aber —«

»Aber der Einzelne, der sich gegen die Einrichtungen der Gesellschaft empört, wird ausgestoßen, gebrandmarkt, gesteinigt, wollen Sie sagen. Nun gut. Ich wage es, meine Grundsätze sind recht heidnisch, ich will mein Dasein ausleben. Ich verzichte auf euren heuchlerischen Respekt, ich ziehe es vor, glücklich zu sein. Die Erfinder der christlichen Ehe haben gut daran getan, auch gleich dazu die Unsterblichkeit zu erfinden. Ich denke jedoch nicht daran, ewig zu leben, und wenn mit dem letzten Atemzuge hier für mich als Wanda von Dunajew alles zu Ende ist, was habe ich davon, ob mein reiner Geist in den Chören der Engel mitsingt oder ob mein Staub zu neuen Wesen zusammenquillt? Sobald ich aber, so wie ich bin, nicht fortlebe, aus welcher Rücksicht soll ich dann entsagen? Einem Manne angehören, den ich nicht liebe, bloß deshalb, weil ich ihn einmal geliebt habe? Nein, ich entsage nicht, ich liebe jeden, der mir gefällt, und mache jeden glücklich, der mich liebt. Ist das hässlich? Nein, es ist mindestens weit schöner, als wenn ich mich grausam der Qualen freue, die meine Reize erregen, und mich tugendhaft von dem Armen abkehre, der um mich verschmachtet. Ich bin jung, reich und schön, und so, wie ich bin, lebe ich heiter dem Vergnügen, dem Genuss.«

Ich hatte, während sie sprach und ihre Augen schelmisch funkelten, ihre Hände ergriffen, ohne recht zu wissen, was ich mit ihnen anfangen wollte, aber als echter Dilettant ließ ich sie jetzt wieder eilig los.

»Ihre Ehrlichkeit«, sagte ich, »entzückt mich, und nicht diese allein —«

Wieder der verdammte Dilettantismus, der mir den Hals mit einem Hemmseil zuschnürt.

»Was wollten Sie doch sagen ...«

»Was ich sagen wollte — ja, ich wollte — vergeben Sie — meine Gnädige — ich habe Sie unterbrochen.«

»Wie?«

Eine lange Pause. Sie hält gewiss einen Monolog, der, in meine Sprache übersetzt, sich in das einzige Wort »Esel« zusammenfassen lässt.

»Wenn Sie erlauben, gnädige Frau«, begann ich endlich, »wie sind Sie zu diesen — zu diesen Ideen gekommen?«

»Sehr einfach, mein Vater war ein vernünftiger Mann. Ich war von der Wiege an mit Abgüssen antiker Bildwerke umgeben, ich las mit zehn Jahren den Gil Blas, mit zwölf die Pucelle. Wie andere in ihrer Kindheit den Däumling, Blaubart, Aschenbrödel, nannte ich Venus und Apollo, Herkules und Laokoon meine Freunde. Mein Gatte war eine heitere, sonnige Natur; nicht einmal das unheilbare Leiden, das ihn nicht lange nach unserer Vermählung ergriff, konnte seine Stirne jemals für die Dauer umwölken. Noch die Nacht vor dem Tode nahm er mich in sein Bett und während der vielen Monate, wo er sterbend in seinem Rollsessel lag, sagte er öfter scherzend zu mir: »Nun, hast du schon einen Anbeter?« Ich wurde schamrot. »Betrüge mich nicht«, fügte er einmal hinzu, »das fände ich hässlich, aber suche dir einen hübschen Mann aus, oder lieber gleich mehrere. Du bist ein braves Weib, aber dabei noch ein halbes Kind, du brauchst Spielzeug.«

»Es ist wohl nicht nötig, Ihnen zu sagen, dass ich, so lange er lebte, keinen Anbeter hatte, aber genug, er erzog mich zu dem, was ich bin, zu einer Griechin.«

»Zu einer Göttin«, fiel ich ein.

Sie lächelte. »Zu welcher etwa?«

»Zu einer Venus.«

Sie drohte mit dem Finger und zog die Brauen zusammen. »Am Ende gar zu einer ›Venus im Pelz‹, warten Sie nur — ich habe einen großen, großen Pelz, mit dem ich Sie ganz zudecken kann, ich will Sie darin fangen, wie in einem Netz.«

»Glauben Sie auch«, sagte ich rasch, denn mir kam etwas in den Sinn, was ich — so gewöhnlich und abgeschmackt es war — für einen sehr guten Gedanken hielt — »glauben Sie, dass Ihre Ideen sich in unserer Zeit durchführen lassen, dass Venus ungestraft in ihrer unverhüllten Schönheit und Heiterkeit unter Eisenbahnen und Telegraphen wandeln dürfte?«

»Unverhüllt gewiss nicht, aber im Pelz«, rief sie lachend, »wollen Sie den meinen sehen?«

»Und dann —«

»Was dann?«

»Schöne, freie, heitere und glückliche Menschen, wie es die Griechen waren, sind nur dann möglich, wenn sie Sklaven haben, welche für sie die unpoetischen Geschäfte des täglichen Lebens verrichten und vor allem für sie arbeiten.«

»Gewiss«, erwiderte sie mutwillig, »vor allem braucht aber eine olympische Göttin, wie ich, ein ganzes Heer von Sklaven. Hüten Sie sich also vor mir.«

»Warum?«

Ich erschrak selbst über die Kühnheit, mit der ich dieses »Warum« herausgebracht hatte; sie indes erschrak durchaus nicht, sie zog die Lippen etwas empor, so dass die kleinen, weißen Zähne sichtbar wurden, und sprach dann leichthin, als handle es sich um etwas, was nicht der Rede wert sei: »Wollen Sie mein Sklave sein?«

»In der Liebe gibt es kein Nebeneinander«, erwiderte ich mit feierlichem Ernst, »sobald ich aber die Wahl habe, zu herrschen oder unterjocht zu werden, scheint es mir weit reizender, der Sklave eines schönen Weibes zu sein. Aber wo finde ich das Weib, das nicht mit kleinlicher Zanksucht Einfluss zu erringen, sondern ruhig und selbstbewusst, ja streng zu herrschen versteht?«

»Nun, das wäre am Ende nicht so schwer.«

»Sie glauben —«

»Ich — zum Beispiel — —« sie lachte und bog sich dabei weit zurück — »ich habe Talent zur Despotin — die nötigen Pelze besitze ich auch — aber Sie haben sich heute Nacht in allem Ernste vor mir gefürchtet!«

»In allem Ernste.«

»Und jetzt?«

 

»Jetzt — jetzt fürchte ich mich erst recht vor Ihnen!«


Wir sind täglich beisammen, ich und — Venus; viel beisammen, wir nehmen das Frühstück in meiner Gaisblattlaube und den Tee in ihrem kleinen Salon, und ich habe Gelegenheit, alle meine kleinen, sehr kleinen Talente zu entfalten. Wozu hätte ich mich in allen Wissenschaften unterrichtet, in allen Künsten versucht, wenn ich nicht imstande wäre, ein kleines hübsches Weib —

Aber dieses Weib ist durchaus nicht so klein und imponiert mir ganz ungeheuer. Heute zeichnete ich sie und da fühlte ich erst so recht deutlich, wie wenig unsere moderne Toilette für diesen Kameenkopf passt. Sie hat wenig Römisches, aber viel Griechisches in der Bildung ihrer Züge.

Bald möchte ich sie als Psyche, bald als Astarte malen, je nachdem ihre Augen den schwärmerisch seelischen, oder jenen halb verschmachtenden, halb versengenden, müdwollüstigen Ausdruck haben, aber sie wünscht, dass es ein Porträt werden soll.

Nun, ich werde ihr einen Pelz geben.

Ach! Wie konnte ich nur zweifeln, für wen gehört ein fürstlicher Pelz, wenn nicht für sie?


Ich war gestern Abend bei ihr und las ihr die römischen Elegien. Dann legte ich das Buch weg und sprach einiges aus dem Kopfe. Sie schien zufrieden, ja noch mehr, sie hing förmlich an meinen Lippen und ihr Busen flog.

Oder habe ich mich getäuscht?

Der Regen pochte melancholisch an die Scheiben, das Feuer am Kamin prasselte winterlich traulich, mir wurde so heimatlich bei ihr, ich hatte einen Augenblick allen Respekt vor dem schönen Weibe verloren und küsste ihre Hand und sie ließ es geschehen.

Dann saß ich zu ihren Füßen und las ihr ein kleines Gedicht, das ich für sie gemacht habe.

»Setz‹ den Fuß auf deinen Sklaven,

Teuflisch holdes Mythenweib,

Unter Myrten und Agaven

Hingestreckt den Marmorleib.«

Ja — nun weiter! Diesmal bin ich wirklich über die erste Strophe hinausgekommen, aber ich habe ihr an jenem Abend das Gedicht auf ihren Befehl gegeben und habe keine Abschrift, und heute, wo ich dies aus meinem Tagebuche herausschreibe, fällt mir nur diese erste Strophe ein.

Es ist eine merkwürdige Empfindung, die ich habe. Ich glaube nicht, dass ich in Wanda verliebt bin, wenigstens habe ich bei unserer ersten Begegnung nichts von jenem blitzartigen Zünden der Leidenschaft gefühlt. Aber ich empfinde, wie ihre außerordentliche, wahrhaft göttliche Schönheit allmählich magische Schlingen um mich legt. Es ist auch keine Neigung des Gemütes, die in mir entsteht, es ist eine physische Unterwerfung, langsam, aber umso vollständiger.

Ich leide täglich mehr, und sie — sie lächelt nur dazu.


Heute sagte sie mir plötzlich, ohne jede Veranlassung: »Sie interessieren mich. Die meisten Männer sind so gewöhnlich, ohne Schwung, ohne Poesie; in Ihnen ist eine gewisse Tiefe und Begeisterung, vor allem ein Ernst, der mir wohltut. Ich könnte Sie lieb gewinnen.«


Nach einem kurzen, aber heftigen Gewitterregen besuchen wir zusammen die Wiese und das Venusbild. Die Erde dampft ringsum, Nebel steigen wie Opferdünste gegen den Himmel, ein zerstückter Regenbogen schwebt in der Luft, noch tropfen die Bäume, aber Sperlinge und Finken springen schon von Zweig zu Zweig und zwitschern lebhaft, wie wenn sie über etwas hoch erfreut wären, und alles ist mit frischem Wohlgeruch erfüllt. Wir können die Wiese nicht überschreiten, denn sie ist noch ganz nass und erscheint von der Sonne beglänzt, wie ein kleiner Teich, aus dessen bewegtem Spiegel die Liebesgöttin emporsteigt, um deren Haupt ein Mückenschwarm tanzt, welcher, von der Sonne beschienen, wie eine Aureole über ihr schwebt.

Wanda freute sich des lieblichen Anblicks, und da auf den Bänken in der Allee noch das Wasser steht, stützt sie sich, um etwas auszuruhen, auf meinen Arm, eine süße Müdigkeit liegt in ihrem ganzen Wesen, ihre Augen sind halb geschlossen, ihr Atem streift meine Wange.

Ich ergreife ihre Hand und — wie es mir gelingt, weiß ich wahrhaftig nicht — ich frage sie:

»Könnten Sie mich lieben?«

»Warum nicht«, erwidert sie und lässt ihren ruhigen, sonnigen Blick auf mir ruhen, aber nicht lange.

Im nächsten Augenblicke knie ich vor ihr und presse mein flammendes Antlitz in den duftigen Mousselin ihrer Robe.

»Aber Severin — das ist ja unanständig!« ruft sie.

Ich aber ergreife ihren kleinen Fuß und presse meine Lippen darauf.

»Sie werden immer unanständiger!« ruft sie, macht sich los und flieht in raschen Sätzen gegen das Haus, während ihr allerliebster Pantoffel in meiner Hand zurückbleibt.

Soll das ein Omen sein?


Ich wagte mich den ganzen Tag über nicht in ihre Nähe. Gegen Abend, ich saß in meiner Laube, blickte plötzlich ihr pikantes rotes Köpfchen durch die grünen Gewinde ihres Balkons. »Warum kommen Sie denn nicht?« schrie sie ungeduldig herab.

Ich lief die Treppe empor, oben verlor ich wieder den Mut und klopfte ganz leise an. Sie sagte nicht herein, sondern öffnete und trat auf die Schwelle.

»Wo ist mein Pantoffel?«

»Er ist — ich habe — ich will«, stotterte ich.

»Holen Sie ihn und dann nehmen wir den Tee zusammen und plaudern.«

Als ich zurückkehrte, war sie mit der Teemaschine beschäftigt. Ich legte den Pantoffel feierlich auf den Tisch und stand im Winkel, wie ein Kind, das seine Strafe erwartet.

Ich bemerkte, dass sie die Stirne etwas zusammengezogen hatte und um ihren Mund etwas Strenges, Herrisches lag, das mich entzückte.

Auf einmal brach sie in Lachen aus.

»Also — Sie sind wirklich verliebt — in mich?«

»Ja, und ich leide dabei mehr, als Sie glauben.«

»Sie leiden?« sie lachte wieder.

Ich war empört, beschämt, vernichtet, aber alles ganz unnötig.

»Wozu?« fuhr sie fort, »ich bin Ihnen ja gut, von Herzen gut.« Sie gab mir die Hand und blickte mich überaus freundlich an.

»Und Sie wollen meine Frau werden?«

Wanda sah mich — ja, wie sah sie mich an? — ich glaube vor allem erstaunt und dann ein wenig spöttisch.

»Woher haben Sie auf einmal so viel Mut?«, sagte sie.

»Mut?«

»Ja den Mut überhaupt, eine Frau zu nehmen, und insbesondere mich?« Sie hob den Pantoffel in die Höhe. »Haben Sie sich so schnell mit diesem da befreundet? Aber Scherz beiseite. Wollen Sie mich wirklich heiraten?«

»Ja.«

»Nun, Severin, das ist eine ernste Geschichte. Ich glaube, dass Sie mich lieb haben und auch ich habe Sie lieb, und was noch besser ist, wir interessieren uns für einander, es ist keine Gefahr vorhanden, dass wir uns so bald langweilen, aber Sie wissen, ich bin eine leichtsinnige Frau, und eben deshalb nehme ich die Ehe sehr ernst, und wenn ich Pflichten übernehme, so will ich sie auch erfüllen können. Ich fürchte aber — nein — es muss Ihnen wehe tun.«

»Ich bitte Sie, seien Sie ehrlich gegen mich«, entgegnete ich.

»Also ehrlich gesprochen. Ich glaube nicht, dass ich einen Mann länger lieben kann — als —« sie neigte ihr Köpfchen anmutig zur Seite und sann nach.

»Ein Jahr.«

»Wo denken Sie hin — einen Monat vielleicht.«

»Auch mich nicht?«

»Nun Sie — Sie vielleicht zwei.«

»Zwei Monate!«, schrie ich auf.

»Zwei Monate, das ist sehr lange.«

»Madame, das ist mehr als antik.«

»Sehen Sie, Sie ertragen die Wahrheit nicht.«

Wanda ging durch das Zimmer, lehnte sich dann gegen den Kamin zurück und betrachtete mich, mit dem Arme auf dem Sims ruhend.

»Was soll ich also mit Ihnen anfangen?«, begann sie wieder.

»Was Sie wollen«, antwortete ich resigniert, »was Ihnen Vergnügen macht.«

»Wie inkonsequent!«, rief sie, »erst wollen Sie mich zur Frau und dann geben Sie sich mir zum Spielzeug.«

»Wanda — ich liebe Sie.«

»Da wären wir wieder dort, wo wir angefangen haben. Sie lieben mich und wollen mich zur Frau, ich aber will keine neue Ehe schließen, weil ich an der Dauer meiner und Ihrer Gefühle zweifle.«

»Wenn ich es aber mit Ihnen wagen will?«, erwiderte ich.

»Dann kommt es noch darauf an, ob ich es mit Ihnen wagen will«, sprach sie ruhig, »ich kann mir ganz gut denken, dass ich einem Mann für das Leben gehöre, aber es müsste ein voller Mann sein, ein Mann, der mir imponiert, der mich durch die Gewalt seines Wesens unterwirft, verstehen Sie? Und jeder Mann — ich kenne das — wird, sobald er verliebt ist — schwach, biegsam, lächerlich, wird sich in die Hand des Weibes geben, vor ihr auf den Knien liegen, während ich nur jenen dauernd lieben könnte, vor dem ich knien würde. Aber Sie sind mir so lieb geworden, dass ich es mit Ihnen versuchen will.«

Ich stürze zu ihren Füßen.

»Mein Gott! Da knien Sie schon«, sprach sie spöttisch, »Sie fangen gut an«, und als ich mich wieder erhoben hatte, fuhr sie fort: »Ich gebe Ihnen ein Jahr Zeit, mich zu gewinnen, mich zu überzeugen, dass wir für einander passen, dass wir zusammen leben können. Gelingt Ihnen dies, dann bin ich Ihre Frau und dann, Severin, eine Frau, welche ihre Pflichten streng und gewissenhaft erfüllen wird. Während dieses Jahres werden wir wie in einer Ehe leben —«

Mir stieg das Blut zu Kopfe.

Auch ihre Augen flammten plötzlich auf. — »Wir werden zusammen wohnen«, fuhr sie fort, »alle unsere Gewohnheiten teilen, um zu sehen, ob wir uns ineinander finden können. Ich räume Ihnen alle Rechte eines Gatten, eines Anbeters, eines Freundes ein. Sind Sie damit zufrieden?«

»Ich muss wohl.«

»Sie müssen nicht.«

»Also ich will —«

»Vortrefflich. So spricht ein Mann. Da haben Sie meine Hand.«


Seit zehn Tagen war ich keine Stunde ohne sie, die Nächte ausgenommen. Ich durfte immerfort in ihre Augen sehen, ihre Hände halten, ihren Reden lauschen, sie überall hin begleiten.

Meine Liebe kommt mir wie ein tiefer, bodenloser Abgrund vor, in dem ich immer mehr versinke, aus dem mich jetzt schon nichts mehr retten kann.

Wir hatten uns heute Nachmittag auf der Wiese zu den Füßen der Venusstatue gelagert, ich pflückte Blumen und warf sie in ihren Schoß und sie band sie zu Kränzen, mit denen wir unsere Göttin schmückten.

Plötzlich sah mich Wanda so eigentümlich, so sinnverwirrend an, dass meine Leidenschaft gleich Flammen über mich zusammenschlug. Meiner nicht mehr mächtig, schlang ich meine Arme um sie und hing an ihren Lippen und sie — sie preßte mich an ihre wogende Brust.

»Sind Sie böse?«, fragte ich dann.

»Ich werde nie über etwas böse, was natürlich ist —« antwortete sie, »ich fürchte nur, Sie leiden.«

»O, ich leide furchtbar.«

»Armer Freund«, sie strich mir die wirren Haare aus der Stirne, »ich hoffe aber, nicht durch meine Schuld.«

»Nein —« antwortete ich — »und doch, meine Liebe zu Ihnen ist zu einer Art Wahnsinn geworden. Der Gedanke, dass ich Sie verlieren kann, ja vielleicht in der Tat verlieren soll, quält mich Tag und Nacht.«

»Aber Sie besitzen mich ja noch gar nicht«, sagte Wanda und sah mich wieder an mit jenem vibrierenden, feuchten, verzehrenden Blicke, der mich schon einmal hingerissen hatte, dann erhob sie sich und legte mit ihren kleinen durchsichtigen Händen einen Kranz von blauen Anemonen auf das weiße Lockenhaupt der Venus. Halb gegen meinen Willen schlang ich den Arm um ihren Leib.

»Ich kann nicht mehr sein ohne dich, du schönes Weib«, sprach ich, »glaube mir, dies eine Mal nur glaube mir, es ist keine Phrase, keine Phantasie, ich fühle tief im Innersten, wie mein Leben mit dem deinen zusammenhängt; wenn du dich von mir trennst, werde ich vergehen, zugrunde gehen.«

»Aber das wird ja gar nicht nötig sein, denn ich liebe dich, Mann«, sie nahm mich beim Kinn, »dummer Mann!«

 

»Aber du willst nur mein sein unter Bedingungen, während ich dir bedingungslos gehöre —«

»Das ist nicht gut, Severin«, erwiderte sie beinahe erschreckt; »kennen Sie mich denn noch nicht, wollen Sie mich durchaus nicht kennen lernen? Ich bin gut, wenn man mich ernst und vernünftig behandelt, aber wenn man sich mir zu sehr hingibt, werde ich übermütig —«

»Sei’s denn, sei übermütig, sei despotisch«, rief ich in voller Exaltation, »nur sei mein, sei mein für immer.« Ich lag zu ihren Füßen und umfasste ihre Knie.

»Das wird nicht gut enden, mein Freund«, sprach sie ernst, ohne sich zu regen.

»O! Es soll eben nie ein Ende nehmen«, rief ich erregt, ja heftig, »nur der Tod soll uns trennen. Wenn du nicht mein sein kannst, ganz mein und für immer, so will ich dein Sklave sein, dir dienen, alles von dir dulden, nur stoß mich nicht von dir.«

»Fassen Sie sich doch«, sagte sie, beugte sich zu mir und küsste mich auf die Stirne. »Ich bin Ihnen ja von Herzen gut, aber das ist nicht der Weg, mich zu erobern, mich festzuhalten.«

»Ich will ja alles, alles tun, was Sie wollen, nur Sie nie verlieren«, rief ich, »nur das nicht, den Gedanken kann ich nicht mehr fassen.«

»Stehen Sie doch auf.«

Ich gehorchte.

»Sie sind wirklich ein seltsamer Mensch«, fuhr Wanda fort, »Sie wollen mich also besitzen um jeden Preis?«

»Ja, um jeden Preis.«

»Aber welchen Wert hätte z. B. mein Besitz für Sie?« — Sie sann nach, ihr Auge bekam etwas Lauerndes, Unheimliches — »wenn ich Sie nicht mehr lieben, wenn ich einem andern gehören würde?« —

Es überlief mich. Ich sah sie an, sie stand so fest und selbstbewusst vor mir, und ihr Auge zeigte einen kalten Glanz.

»Sehen Sie«, fuhr sie fort, »Sie erschrecken bei dem Gedanken.« Ein liebenswürdiges Lächeln erhellte plötzlich ihr Antlitz.

»Ja, mich fasst ein Grauen, wenn ich mir lebhaft vorstelle, dass ein Weib, das ich liebe, das meine Liebe erwidert hat, sich ohne Erbarmen für mich einem anderen hingibt; aber habe ich dann noch eine Wahl? Wenn ich dieses Weib liebe, wahnsinnig liebe, soll ich ihm stolz den Rücken kehren und an meiner prahlerischen Kraft zugrunde gehen, soll ich mir eine Kugel durch den Kopf jagen? Ich habe zwei Frauenideale. Kann ich mein edles, sonniges, eine Frau, welche mir treu und gütig mein Schicksal teilt, nicht finden, nun dann nur nichts Halbes oder Laues! Dann will ich lieber einem Weibe ohne Tugend, ohne Treue, ohne Erbarmen hingegeben sein. Ein solches Weib in seiner selbstsüchtigen Größe ist auch ein Ideal. Kann ich nicht das Glück der Liebe voll und ganz genießen, dann will ich ihre Schmerzen, ihre Qualen auskosten bis zur Neige; dann will ich von dem Weibe, das ich liebe, misshandelt, verraten werden, und je grausamer, umso besser. Auch das ist ein Genuss!«

»Sind Sie bei Sinnen!«, rief Wanda.

»Ich liebe Sie so mit ganzer Seele«, fuhr ich fort, »so mit allen meinen Sinnen, dass Ihre Nähe, Ihre Atmosphäre mir unentbehrlich ist, wenn ich noch weiter leben soll. Wählen Sie also zwischen meinen Idealen. Machen Sie aus mir, was Sie wollen, Ihren Gatten oder Ihren Sklaven.«

»Gut denn«, sprach Wanda, die kleinen aber energisch geschwungenen Brauen zusammenziehend, »ich denke mir das sehr amüsant, einen Mann, der mich interessiert, der mich liebt, so ganz in meiner Hand zu haben; es wird mir mindestens nicht an Zeitvertreib fehlen. Sie waren so unvorsichtig, mir die Wahl zu lassen. Ich wähle also, ich will, dass Sie mein Sklave sind, ich werde mein Spielzeug aus Ihnen machen!«

»O! Tun Sie das«, rief ich halb schauernd, halb entzückt, »wenn eine Ehe nur auf Gleichheit, auf Übereinstimmung gegründet sein kann, so entstehen dagegen die größten Leidenschaften durch Gegensätze. Wir sind solche Gegensätze, die sich beinahe feindlich gegenüberstehen, daher diese Liebe bei mir, die zum Teil Hass, zum Teil Furcht ist. In einem solchen Verhältnisse aber kann nur eines Hammer, das andere Ambos sein. Ich will Ambos sein. Ich kann nicht glücklich sein, wenn ich auf die Geliebte herabsehe. Ich will ein Weib anbeten können, und das kann ich nur dann, wenn es grausam gegen mich ist.«

»Aber, Severin«, entgegnete Wanda beinahe zornig, »halten Sie mich denn dessen für fähig, einen Mann, der mich so liebt wie Sie, den ich liebe, zu misshandeln?«

»Warum nicht, wenn ich Sie dafür umso mehr anbete? Man kann nur wahrhaft lieben, was über uns steht, ein Weib, das uns durch Schönheit, Temperament, Geist, Willenskraft unterwirft, das unsere Despotin wird.«

»Also das, was andere abstößt, zieht Sie an?«

»So ist es. Es ist eben meine Seltsamkeit.«

»Nun, am Ende ist an allen Ihren Passionen nichts so Apartes oder Seltsames, denn wem gefällt nicht ein schöner Pelz? Und jeder weiß und fühlt, wie nahe Wollust und Grausamkeit verwandt sind.«

»Bei mir ist dies alles aber auf das Höchste gesteigert«, erwiderte ich.

»Das heißt, die Vernunft hat wenig Gewalt über Sie, und Sie sind eine weiche hingebende sinnliche Natur.«

»Waren die Märtyrer auch weiche sinnliche Naturen?«

»Die Märtyrer?«

»Im Gegenteil, es waren übersinnliche Menschen, welche im Leiden einen Genuss fanden, welche die furchtbarsten Qualen, ja den Tod suchten wie andere die Freude, und so ein Übersinnlicher bin ich, Madame.«

»Geben Sie nur acht, dass Sie dabei nicht auch zum Märtyrer der Liebe, zum Märtyrer eines Weibes werden.«


Wir sitzen auf Wandas kleinem Balkon in der lauen, duftigen Sommernacht, ein zweifaches Dach über uns, zuerst den grünen Plafond von Schlingpflanzen, dann die mit unzähligen Sternen besäte Himmelsdecke. Aus dem Park tönt der leise, weinerlich verliebte Lockton einer Katze, und ich sitze auf einem Schemel zu den Füßen meiner Göttin und erzähle von meiner Kindheit.

»Und damals schon waren alle diese Seltsamkeiten bei Ihnen ausgeprägt?«, fragte Wanda.

»Gewiss, ich erinnere mich keiner Zeit, wo ich sie nicht hatte, ja schon in der Wiege, so erzählte mir meine Mutter später, war ich übersinnlich, verschmähte die gesunde Brust der Amme, und man musste mich mit Ziegenmilch nähren. Als kleiner Knabe zeigte ich eine rätselhafte Scheu vor Frauen, in welcher sich eigentlich nur ein unheimliches Interesse für dieselben ausdrückte. Das graue Gewölbe, das Halbdunkel einer Kirche beängstigten mich, und vor den glitzernden Altären und Heiligenbildern fasste mich eine förmliche Angst. Dagegen schlich ich heimlich, wie zu einer verbotenen Freude, zu einer Venus aus Gips, welche in dem kleinen Bibliothekszimmer meines Vaters stand, kniete nieder und sprach zu ihr die Gebete, die man mir eingelernt, das Vaterunser, das Gegrüsst seist du Maria und das Credo.

Einmal verließ ich nachts mein Bett, um sie zu besuchen, die Mondsichel leuchtete mir und ließ die Göttin in einem fahlblauen kalten Licht erscheinen. Ich warf mich vor ihr nieder, küsste ihre kalten Füße, wie ich es bei unsern Landleuten gesehen hatte, wenn sie die Füße des toten Heilands küssten.

Eine unbezwingliche Sehnsucht ergriff mich.

Ich stieg empor und umschlang den schönen kalten Leib und küsste die kalten Lippen, da sank ein tiefer Schauer auf mich herab und ich entfloh, und im Traume war es mir, als stünde die Göttin vor meinem Lager und drohe mir mit erhobenem Arm.

Man schickte mich frühzeitig in die Schule und so kam ich bald auf das Gymnasium und ergriff alles mit Leidenschaft, was mir die antike Welt zu erschließen versprach. Ich war bald mit den Göttern Griechenlands vertrauter als mit der Religion Jesu, ich gab mit Paris Venus den verhängnisvollen Apfel, ich sah Troja brennen und folgte Odysseus auf seinen Irrfahrten. Die Urbilder alles Schönen senkten sich tief in meine Seele, und so zeigte ich zu jener Zeit, wo andere Knaben sich roh und unflätig gebärden, einen unüberwindlichen Abscheu gegen alles Niedere, Gemeine, Unschöne.

Als etwas ganz besonders Niederes und Unschönes erschien jedoch dem reifenden Jüngling die Liebe zum Weibe, so wie sie sich ihm zuerst in ihrer vollen Gewöhnlichkeit zeigte. Ich mied jede Berührung mit dem schönen Geschlechte, kurz, ich war übersinnlich bis zur Verrücktheit.

Meine Mutter bekam — ich war damals etwa vierzehn Jahre alt — ein reizendes Stubenmädchen, jung, hübsch, mit schwellenden Formen. Eines Morgens, ich studierte meinen Tacitus und begeisterte mich an den Tugenden der alten Germanen, kehrte die Kleine bei mir aus; plötzlich hielt sie inne, neigte sich, den Besen in der Hand, zu mir, und zwei volle frische köstliche Lippen berührten die meinen. Der Kuss der verliebten kleinen Katze durchschauerte mich, aber ich erhob meine ›Germania‹ wie ein Schild gegen die Verführerin und verließ entrüstet das Zimmer.«

Wanda brach in lautes Lachen aus. »Sie sind in der Tat ein Mann, der seines Gleichen sucht, aber fahren Sie nur fort.«

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