Anna Karenina | Krieg und Frieden

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

29

Die Ausführung dieses Planes machte viele Schwierigkeiten; aber Ljewin setzte all seine Kraft daran und erreichte, wenn auch nicht alles, was er wünschte, so doch so viel, daß er ohne Selbstbetrug glauben konnte, die Sache sei die darauf verwandte Mühe wert. Eine der Hauptschwierigkeiten lag darin, daß die Wirtschaft bereits im Gange war und es unmöglich war, alles zum Stillstand zu bringen und von neuem anzufangen, sondern gleichsam die Maschine, während sie ging, umgeändert werden mußte.

Als er gleich noch an demselben Abend, an dem er nach Hause zurückgekehrt war, dem Verwalter seine Pläne mitteilte, da stimmte dieser sichtlich mit Vergnügen dem Teile der Auseinandersetzung zu, in dem Ljewin nachwies, daß alles bisher Unternommene Unsinn und unvorteilhaft sei. Der Verwalter bemerkte dazu, das habe er schon längst gesagt; man habe nur nicht auf ihn hören wollen. Was aber den von Ljewin vorgetragenen Plan anlangte, sich als Genossenschafter mit den Arbeitern zusammen an dem ganzen landwirtschaftlichen Unternehmen zu beteiligen, so setzte der Verwalter demgegenüber nur eine sehr trübselige Miene auf, sprach gar keine bestimmte Meinung aus und begann sogleich von der Notwendigkeit zu reden, am nächsten Tage die noch übrigen Roggenhaufen einzufahren und das Land umackern zu lassen, so daß Ljewin merkte, der Verwalter halte den jetzigen Zeitpunkt nicht für geeignet zu solchen Neuerungen.

Als er dann über denselben Gegenstand mit den Bauern sprach und ihnen den Vorschlag machte, ihnen unter neuen Bedingungen Land zu überlassen, da stieß er wieder auf dieselbe Hauptschwierigkeit, daß sie nämlich von der laufenden Tagesarbeit zu sehr in Anspruch genommen waren, als daß sie Zeit gehabt hätten, die Vorteile und Nachteile des Unternehmens ordentlich zu überlegen.

Ein treuherziger Bauer, der Viehwärter Iwan, schien Ljewins Vorschlag, an dem Ertrage des Viehhofes mit seiner Familie Anteil zu erhalten, vollständig zu begreifen und das Unternehmen durchaus zu billigen. Aber sooft Ljewin ihm die künftigen Vorteile klarzumachen versuchte, prägte sich auf Iwans Gesichte eine gewisse Unruhe und ein Bedauern darüber aus, daß er die Auseinandersetzung nicht bis zu Ende anhören könne, und er fand schleunig irgendeine Arbeit für sich, die angeblich keinen Aufschub duldete: entweder griff er nach der Heugabel, um Heu aus dem Schuppen herauszuwerfen, oder er machte sich daran, Wasser einzugießen oder den Dünger auszuräumen.

Eine zweite Schwierigkeit bestand in dem unbesiegbaren Mißtrauen der Bauern, die schlechterdings nicht glauben wollten, daß der Gutsbesitzer ein anderes Ziel im Auge haben könne, als sie soviel wie möglich auszubeuten. Sie waren fest davon überzeugt, daß (er möge zu ihnen sagen, was er wolle) seine wirkliche Absicht immer in dem stecken werde, was er zu ihnen nicht sage. Und wenn sie selbst über den Plan sich äußerten, so sprachen sie zwar sehr viel, verrieten aber niemals ihre wahre Absicht. Außerdem (und hier merkte Ljewin, daß der gallige Gutsbesitzer recht hatte) war die erste und unumstößliche Bedingung, die die Bauern für irgendwelche Zustimmung ihrerseits aufstellten, die, daß sie zu keinerlei neuem Verfahren bei der Landwirtschaft und zu keiner Benutzung neumodischer Geräte gezwungen werden dürften. Sie gaben zu, daß der moderne Pflug besser pflüge, daß der Saatdecker erfolgreicher arbeite; aber sie brachten tausend Gründe vor, weswegen sie weder den einen noch den andern benutzen könnten; und obgleich Ljewin der Überzeugung war, daß er den Stand seines Wirtschaftsbetriebes etwas herabsetzen müsse, so tat es ihm doch leid, auf Vervollkommnungen verzichten zu müssen, deren Vorteile augenfällig waren. Aber trotz aller dieser Schwierigkeiten beharrte er auf seinem Sinne, und zum Herbst kam die Sache in Gang, oder wenigstens schien es ihm so.

Anfangs hatte Ljewin vorgehabt, die ganze Wirtschaft, so wie sie war, den Bauern, den Arbeitern und dem Verwalter unter den neuen genossenschaftlichen Abmachungen zu überlassen; aber sehr bald hatte er sich überzeugt, daß das unmöglich sei, und war zu dem Entschlusse gekommen, die Wirtschaft zu teilen. Der Viehhof, der Obstgarten, der Gemüsegarten, die Wiesen und Felder wurden in verschiedene Abteilungen zerlegt und sollten getrennte Betriebsgebiete bilden. Der treuherzige Viehwärter Iwan, der nach Ljewins Ansicht die Sache von allen am besten begriffen hatte, wählte sich noch einige Genossen dazu, vorzugsweise aus seiner eigenen Familie, und wurde Genossenschafter beim Viehhofe. Ein weit entferntes Feld, das acht Jahre lang brachgelegen hatte, wurde mit Hilfe des klugen Zimmermannes Fjodor Rjesunow von sechs Bauernfamilien auf Grund der neuen genossenschaftlichen Abmachungen übernommen, und der Bauer Schurajew übernahm auf derselben Grundlage die sämtlichen Gemüsegärten. Alles übrige blieb vorläufig noch beim alten; aber diese drei Abteilungen bildeten den Anfang der neuen Wirtschaftsordnung und beschäftigten Ljewin vollauf.

Allerdings ging die Sache auf dem Viehhofe einstweilen nicht besser als vorher, und Iwan widersetzte sich energisch der Unterbringung der Kühe in warmen Ställen und der Bereitung der Butter aus süßer Sahne, indem er behauptete, die Kuh brauche im Kalten weniger Futter, und das Buttern aus saurer Sahne sei ergiebiger. Auch forderte er seinen Lohn wie bei der alten Einrichtung, und es war ihm ganz gleichgültig, daß das Geld, das er erhielt, nicht Lohn, sondern ein Vorschuß auf seinen Anteil am Gewinn war.

Allerdings unterließ es Fjodor Rjesunows Genossenschaft, das Land vor der Aussaat nochmals mit modernen Pflügen umzuackern, wie doch verabredet war, und entschuldigte sich damit, die Zeit sei zu kurz gewesen. Allerdings bezeichneten die Bauern dieser Genossenschaft, obgleich sie mit Ljewin übereingekommen waren, die Bewirtschaftung auf der neuen Grundlage durchzuführen, dieses Land dennoch nicht als gemeinschaftliches, sondern als auf Halbpart gepachtetes, und mehr als einmal hatten sowohl die Bauern dieser Genossenschaft wie auch Rjesunow selbst zu Ljewin gesagt: »Sie hätten eine bestimmte Geldsumme für das Land nehmen sollen; dann hätten Sie mehr Ruhe, und wir hätten mehr freie Hand.« Außerdem schoben diese Bauern immer unter verschiedenen Vorwänden die mit ihnen vereinbarte Erbauung eines Viehhofes und einer Getreidedarre auf diesem Lande auf und zogen die Sache bis zum Winter hin.

Allerdings hatte Schurajew die größte Lust, die von ihm übernommenen Gemüsegärten in kleinen Losen an einzelne Bauern zu verpachten. Er hatte offenbar die Bedingungen, unter denen ihm das Land übergeben war, völlig mißverstanden, und zwar, wie es schien, absichtlich mißverstanden.

Allerdings hatte Ljewin oft, wenn er mit den Bauern sprach und ihnen alle Vorteile des Unternehmens darlegte, die Empfindung, als ob die Bauern dabei nur auf den Tonfall seiner Stimme hörten und sich fest vornähmen, er möge sagen, was er wolle, sich nicht von ihm hinters Licht führen zu lassen. Ganz besonders hatte er dieses Gefühl, wenn er mit dem Klügsten unter den Bauern, mit Rjesunow, sprach und in dessen Augen ein heimliches Aufleuchten bemerkte, in dem sowohl der Spott über ihn, Ljewin, wie auch die bestimmte Überzeugung deutlich zum Ausdruck kam, daß, wenn jemand bei der Sache geprellt werden sollte, dies jedenfalls nicht er, Rjesunow, sein werde.

Aber trotz alledem meinte Ljewin doch, daß die Sache nun in Gang gekommen sei und daß, wenn er nur streng Rechnung führe und bei seinem Vorsatze beharre, er in Zukunft die Bauern von den Vorteilen einer solchen Einrichtung schon noch werde überzeugen können und daß dann die Sache ganz von selbst gehen werde.

Durch diese Geschäfte und dazu noch durch den übrigen Wirtschaftsbetrieb, der in seinen Händen geblieben war, sowie auch durch die schriftstellerische Tätigkeit an seinem Buche, durch all dies war Ljewin den ganzen Sommer über so stark in Anspruch genommen, daß er fast gar nicht auf die Jagd fuhr. Ende August erfuhr er von dem Oblonskischen Diener, der ihm den Sattel zurückbrachte, daß die Familie wieder nach Moskau gereist sei. Er sagte sich, daß er durch die Unhöflichkeit, mit der er den Brief Darja Alexandrownas unbeantwortet gelassen hatte – ein Benehmen, an das er nicht ohne Schamröte zurückdenken konnte –, seine Schiffe hinter sich verbrannt habe und sich bei dieser Familie nie mehr blicken lassen könne. Ebenso unartig hatte er sich auch gegen Swijaschski benommen, indem er, ohne Lebewohl zu sagen, abgefahren war. Er nahm sich vor, auch zu diesem nie wieder hinzufahren. Aber jetzt war ihm das gleichgültig. Die Angelegenheit mit der Umgestaltung seiner Wirtschaft beschäftigte und interessierte ihn so wie bisher noch nie etwas in seinem Leben. Er las die Bücher durch, die ihm Swijaschski gegeben hatte, ließ sich andere, die dieser nicht besaß, von einer Buchhandlung schicken, und las auf diese Art eine Menge nationalökonomische und sozialistische Schriften über diesen Gegenstand, fand aber, wie er das auch erwartet hatte, nichts darin, was auf sein eigenes Unternehmen besonderen Bezug gehabt hätte. In den nationalökonomischen Büchern, zum Beispiel bei Mill, den er zuerst und mit großem Eifer durchstudierte, in der Hoffnung, jeden Augenblick bei ihm die Lösung der ihn beschäftigenden Fragen zu finden, fand er Gesetze, die aus der Lage der europäischen Landwirtschaft abgeleitet waren; aber er konnte nicht einsehen, mit welchem Rechte diese auf Rußland nicht anwendbaren Gesetze als allgemeingültig bezeichnet wurden. Dieselbe Beobachtung machte er bei den sozialistischen Büchern: entweder waren es schöne, aber nicht zu verwirklichende Phantasien, ähnlich denen, für die er sich ehemals in seiner Studentenzeit begeistert hatte, oder Verbesserungen desjenigen Zustandes der Dinge, der in Europa vorhanden war, mit dem aber der Betrieb der Landwirtschaft in Rußland nichts gemein hatte. Die Nationalökonomie behauptete, die Gesetze, nach denen sich der Wohlstand Europas entwickelt habe und noch jetzt entwickle, seien allgemeingültig und zweifellos richtig. Die sozialistische Lehre behauptete, eine Weiterentwicklung nach diesen Gesetzen werde zum Untergange führen. Aber weder bei den Nationalökonomen noch bei den Sozialisten war eine Antwort oder auch nur ein Schatten von Antwort auf die Frage zu finden, was er, Ljewin, und alle russischen Bauern und Landbesitzer mit ihren Millionen von Händen und Deßjatinen anfangen müßten, damit diese dem allgemeinen Wohlstande die größtmögliche Förderung brächten.

 

Da er diese Sache nun einmal in Angriff genommen hatte, so las er gewissenhaft alles durch, was sich auf diesen Gegenstand bezog, und faßte den Plan, im Herbste ins Ausland zu reisen, um diese Frage auch noch an Ort und Stelle zu studieren, damit es ihm auf diesem Gebiete nicht mehr so gehen könne, wie es ihm schon so oft auf verschiedenen anderen Gebieten ergangen war. Denn kaum hatte er manchmal im Gespräche die Ansicht dessen, mit dem er sich unterhielt, erfaßt und seine eigene Ansicht darzulegen begonnen, so wurde ihm sofort vorgehalten: »Aber Kaufmann und Jones und Dubois und Miceli? Die haben Sie offenbar nicht gelesen. Lesen Sie die; die haben diese Frage gründlich behandelt.«

Er sah jetzt klar, daß bei Kaufmann und Miceli nichts zu finden war, was er gebrauchen konnte. Er wußte, was er wollte. Er sah, daß Rußland gutes Land und gute Arbeiter besaß und daß in manchen Fällen, wie bei dem alten Bauern auf der Hälfte des Weges, die Arbeiter und das Land etwas Tüchtiges hervorbrachten, in den meisten Fällen aber, wo in europäischer Art Kapital angelegt war, nur wenig erzeugt wurde und daß dies lediglich daher kam, daß die Arbeiter nur auf ihre eigene Art arbeiten wollten und auch nur dann gut arbeiteten, und daß dieses Widerstreben nicht nur gelegentlich, sondern dauernd war und seine Grundlagen im Volksgeiste hatte. Er glaubte, daß das russische Volk, das den Beruf habe, ungeheure noch leerstehende Landstrecken zu besiedeln und zu bebauen, so lange, bis alles Land in Benutzung genommen sei, an der dafür notwendigen Art der Bewirtschaftung mit bewußter Absicht festhalten werde und daß diese Art der Bewirtschaftung ganz und gar nicht so schlecht sei, wie man gewöhnlich annehme. Das beabsichtigte er zu beweisen, theoretisch in seinem Buche und praktisch in seiner Wirtschaft.

30

Ende September war das Holz für den Bau des Viehhofes auf dem der Arbeitsgenossenschaft überlassenen Stück Land angefahren; die Butter war verkauft und der Gewinn verteilt. In der Wirtschaft, in der Praxis, ging die Sache ausgezeichnet, oder wenigstens schien es Ljewin so. Um aber die ganze Sache theoretisch klarlegen und seine Abhandlung abschließen zu können, die, Ljewins kühnen Hoffnungen zufolge, bestimmt war, nicht nur einen Umschwung in der Nationalökonomie herbeizuführen, sondern diese Wissenschaft vollständig zu beseitigen und den Grund zu einer neuen Wissenschaft zu legen, über das Verhältnis des Volkes zum Erdboden: dazu brauchte er nur ins Ausland zu reisen und an Ort und Stelle alles, was dort nach dieser Richtung hin geschehen war, zu studieren und den zwingenden Beweis zu führen, daß alles, was dort geschehen war, nicht das Richtige und Nötige sei. Ljewin wartete nur, bis er den Weizen werde abgeliefert und das Geld dafür empfangen haben, um ins Ausland zu reisen. Aber es trat andauernder Regen ein, der es nicht nur unmöglich machte, die Kartoffeln, und was noch von Korn auf dem Felde stand, einzubringen, sondern überhaupt alle landwirtschaftlichen Arbeiten hemmte, ja selbst die Ablieferung des Weizens. Auf den Wegen war ein unergründlicher Schmutz; zwei Mühlen wurden durch plötzlich eintretendes Hochwasser weggerissen, und das Wetter wurde noch von Tag zu Tag schlechter.

Am 30. September ließ sich frühmorgens die Sonne wieder ein klein wenig blicken, und in der Hoffnung auf gutes Wetter traf nun Ljewin die endgültigen Vorbereitungen zur Abreise. Er ließ den Weizen aufschütten, schickte den Verwalter zum Händler, um das Geld in Empfang zu nehmen, und ritt selbst auf seinem ganzen Gebiete umher, um vor seiner Abreise die letzten Anordnungen zu treffen.

Nachdem Ljewin alle Geschäfte erledigt hatte, ritt er, ganz durchnäßt von den Regenbächlein, die ihm trotz seines Lederrockes teils in den Hals, teils in die Stiefelschäfte gelaufen waren, aber in der muntersten und angeregtesten Gemütsstimmung am Abend nach Hause zurück. Das Unwetter tobte gegen Abend noch schlimmer. Der Graupelschnee peitschte das Pferd, das am ganzen Leibe naß war und fortwährend Kopf und Ohren schüttelte, so schmerzhaft, daß es in schräger Haltung vorwärts schritt. Ljewin aber fühlte sich unter seiner Regenkappe ganz wohl und blickte fröhlich um sich, bald nach den trüben Bächlein, die in den Wagengeleisen dahinliefen, bald nach den Tropfen, die an jedem kahlen Zweige hingen, bald nach dem weißen Fleck noch nicht geschmolzenen Graupelschnees auf den Brückenbohlen, bald nach dem saftigen, noch fleischigen Laube einer Ulme, das in dicker Schicht um den entblätterten Baum herumlag. Trotz des düsteren Aussehens der ihn umgebenden Natur fühlte er sich in besonders gehobener Stimmung. Die Gespräche mit den Bauern auf dem weit entlegenen Felde hatten ihm gezeigt, daß sie anfingen, sich an ihre neuen Verhältnisse zu gewöhnen. Der alte Herbergswirt, bei dem er für ein Weilchen eingekehrt war, um sich zu trocknen, hatte sich über Ljewins Plan sehr beifällig geäußert und sich aus freien Stücken erboten, in die Genossenschaft als Vieheinkäufer einzutreten.

›Man muß nur beharrlich sein Ziel verfolgen‹, dachte Ljewin. ›Auf die Art werde auch ich das meinige schon erreichen. Und die Sache ist die darauf verwandte Mühe und Arbeit wert. Es ist das nicht etwa nur meine persönliche Angelegenheit, sondern hier handelt es sich um das Wohl der Gesamtheit. Die ganze Landwirtschaft, der wichtigste Teil des Volkslebens, muß vollständig umgestaltet werden. Statt der Armut allgemeiner Wohlstand und Zufriedenheit, statt der Feindschaft Eintracht und Interessengemeinschaft. Mit einem Worte: eine unblutige Umwälzung, aber eine ganz gewaltige Umwälzung, zuerst in dem kleinen Raume unseres Kreises, dann im Gouvernement, in Rußland, in der ganzen Welt. Denn eine wahre, gerechte Idee kann nicht ohne Frucht bleiben. Ja, das ist ein Ziel, für das zu arbeiten es sich verlohnt. Und daß gerade ich auf diese Idee gekommen bin, Konstantin Ljewin, derselbe Mensch, der einmal in schwarzer Krawatte zum Ball gefahren ist und dem Kitty Schtscherbazkaja einen Korb gegeben hat und der sich selbst so kläglich und unbedeutend vorkommt – das beweist gar nichts dagegen. Ich bin überzeugt, daß Franklin sich für ebenso unbedeutend hielt und ebensowenig Selbstvertrauen besaß, wenn er über seine gesamte Persönlichkeit nachdachte. Das will gar nichts besagen. Auch der hat gewiß seine Agafja Michailowna gehabt, der er seine Geheimnisse anvertraute.‹

Unter solchen Gedanken langte Ljewin (es war schon ganz dunkel geworden) wieder zu Hause an.

Der Verwalter war von seiner Fahrt zu dem Händler zurückgekommen und hatte einen Teil des Geldes für den Weizen mitgebracht. Der Vertrag mit dem Herbergswirte wurde aufgesetzt. Unterwegs hatte der Verwalter bemerkt, daß das Getreide noch überall auf dem Felde stand, so daß, wie er hervorhob, seine noch nicht eingebrachten hundertsechzig Haufen nichts waren im Vergleich mit dem, was noch bei andern draußen war.

Nach dem Mittagessen setzte sich Ljewin wie gewöhnlich mit einem Buche in den Lehnstuhl und fuhr während des Lesens fort, zwischendurch an seine bevorstehende Reise und in Verbindung damit an seine Abhandlung zu denken. Heute trat ihm die ganze Bedeutsamkeit dieser seiner Arbeit besonders klar vor Augen, und ganz von selbst bildeten sich in seinem Kopfe vollständige Satzgefüge, die den Kern seiner Ideen ausdrückten. ›Das muß ich mir aufzeichnen‹, dachte er. ›Das soll eine kurze Einleitung bilden, die ich früher für unnötig gehalten habe.‹ Er erhob sich, um an den Schreibtisch zu gehen, und Laska, die zu seinen Füßen lag, stand, sich reckend, gleichfalls auf und sah ihn an, wie wenn sie fragte, wohin es gehen solle. Aber er fand keine Zeit, sich seine Aufzeichnungen zu machen, denn die Vorarbeiter waren gekommen, um sich Anleitungen zu holen, und Ljewin ging zu ihnen hinaus in die Vorhalle.

Nachdem er ihnen die erforderlichen Anleitungen erteilt, das heißt Anordnungen für die Arbeiten des nächsten Tages getroffen und auch alle Bauern empfangen hatte, die ihn sprechen wollten, kehrte Ljewin wieder in sein Zimmer zurück und setzte sich an die Arbeit. Laska legte sich unter den Tisch; Agafja Michailowna setzte sich mit ihrem Strickstrumpf auf ihren gewohnten Platz.

Nachdem Ljewin eine Zeitlang geschrieben hatte, erinnerte er sich auf einmal in ungewöhnlich lebendiger Weise an Kitty, an ihre ablehnende Antwort und an die letzte Begegnung mit ihr. Er stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.

»Sie brauchten sich ja hier nicht mehr zu langweilen«, sagte Agafja Michailowna zu ihm. »Wozu sitzen Sie denn immer noch zu Hause? Sie sollten nach einem Badeorte mit warmen Quellen fahren; mit Ihren Vorbereitungen sind Sie ja glücklicherweise fertig.«

»Ich will ja auch übermorgen abreisen, Agafja Michailowna. Ich muß nur erst mein Unternehmen zum Abschluß bringen.«

»Na, Ihr Unternehmen, das ist schon so das Richtige! Sie haben so schon den Bauern mehr als genug in den Rachen geworfen. Sie sagen ohnehin schon: ›Euer Herr wird vom Zaren dafür eine Gnade erhalten.‹ Ich muß mich immer wundern: warum machen Sie sich so viel Sorge um die Bauern?«

»Ich mache mir nicht um die Bauern Sorge; ich tue das um meinetwillen.«

Agafja Michailowna wußte mit Ljewins wirtschaftlichen Plänen ganz genau Bescheid; Ljewin hatte ihr seine Absichten oft mit allen Einzelheiten auseinandergesetzt und nicht selten mit ihr gestritten und sich ihren Anschauungen nicht anschließen können. Aber jetzt hatte sie das, was er sagte, völlig mißverstanden.

»Ja, das ist gewiß, an sein Seelenheil muß man vor allen Dingen denken«, sagte sie mit einem Seufzer. »Da ist zum Beispiel Parfen Denisütsch; wenn er auch nicht lesen und schreiben konnte, aber er ist doch so gestorben, daß man nur Gott bitten möchte, jedem einen solchen Tod zu geben«, sagte sie; es war dies ein unlängst verstorbener Hofknecht. »Er hatte das Abendmahl genommen und die Letzte Ölung erhalten.«

»Davon rede ich nicht«, antwortete er. »Ich wollte sagen, daß ich um meines eigenen Vorteils willen so handle. Es ist für mich vorteilhafter, wenn die Bauern besser arbeiten.«

»Da können Sie tun, was Sie wollen: wenn so ein Bauer ein Faulpelz ist, dann wird er sich doch immer ungeschickt anstellen. Wenn einer ein Gewissen hat, wird er arbeiten; und wenn er keins hat, ist nichts dagegen anzufangen.«

»Aber Ihr habt doch selbst gesagt, daß Iwan jetzt besser für das Vieh sorgt?«

»Ich sage nur eins«, erwiderte Agafja Michailowna, und zwar offenbar nicht infolge eines plötzlichen Einfalls, sondern als Ergebnis eines streng logischen Gedankenganges: »Sie müssen heiraten, das ist die ganze Sache!«

Daß Agafja Michailowna ganz denselben Punkt erwähnte, an den er soeben gedacht hatte, ärgerte und verdroß ihn. Er runzelte die Stirn und setzte sich, ohne ihr zu antworten, wieder an seine Arbeit; er wiederholte sich noch einmal im Kopfe alles, was er sich vorhin über die hohe Bedeutsamkeit dieser Arbeit gesagt hatte. Nur zuweilen horchte er in der tiefen Stille auf das Klappern von Agafja Michailownas Stricknadeln, und wenn ihm dann das einfiel, woran er nicht denken wollte, so zog er wieder die Stirn in Falten.

Um neun Uhr wurde Schellengeläut hörbar und das dumpfe Geräusch eines Wagens, der in dem tiefen Schmutze hin und her schwankte.

»Nun, sehen Sie, da bekommen Sie Besuch; nun werden Sie sich nicht mehr langweilen«, sagte Agafja Michailowna, stand auf und ging nach der Tür hin. Aber Ljewin überholte sie. Seine Arbeit wollte ihm jetzt nicht recht von der Hand gehen, und er freute sich über jeden Gast, mochte kommen, wer da wollte.