Offenbarung

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»Ich glaube unter den gegebenen Umständen schulden wir dir einige Erklärungen, Tomás.«

»Ihr schuldet mir gar nichts«, erwiderte ich, »ich bin nur ein bescheidener Diener des Herrn und habe meine Pflicht ihm gegenüber bedingungslos zu erfüllen.«

»Ja, ja, das ist schon richtig«, gab Celestio versöhnlich zu, »aber du hast einen weiten Weg umsonst gemacht, Bruder. Wenn du willst, zeige ich dir die Stadt, nachdem du dich ein wenig ausgeruht hast.«

Ich nahm diese unverhoffte Einladung dankend an, und ich muss gestehen, dass mir dabei vor lauter Freude fast das Herz aus der Brust gesprungen wäre.

Nach dem Abendgebet schloss ich mich den anderen Brüdern an, und wir gingen alle schweigend, der Reihe nach, ins Refektorium. Die eiserne Disziplin der Brüder in Rom beeindruckte mich über alle Maßen, denn es wurde nur das Nötigste gesprochen und jeder wusste, was er im Tagesablauf zu tun hatte. So wurden überflüssige Unterhaltungen vermieden, und die Ruhe, die für die Messen und Exerzitien vonnöten war, blieb ungestört. Es musste das Werk von Bruder Claudio gewesen sein, dass ein derart vollendetes Gemeinschaftsleben hervorgebracht hatte, denn nur er allein besaß die Kraft und den Willen, eine solche Ordnung dauerhaft zu festigen. Man hatte häufig mit großer Bewunderung und Achtung von seinen Errungenschaften für unseren Orden gesprochen, aber als ich mit eigenen Augen sah, wie er diese straffe Disziplin durchgesetzt hatte, wuchs meine Hochachtung für seine Person noch mehr.

Am nächsten Tag, kurz nach der Frühmesse, nahm mich Bruder Celestio beiseite und sagte:

»Weißt du noch, was ich dir gestern vorgeschlagen hatte, Tomás?«

Ich nickte.

»Hättest du den Wunsch, in meiner Begleitung die Stadt zu erkunden?«, setzte er hinzu.

»Ich will die Ordnung in Eurem Hause nicht durcheinander bringen, Bruder Celestio: Ich bin nicht nach Rom gekommen um mir die Stadt anzusehen, sondern um einen Auftrag zu erfüllen«, erwiderte ich vorsichtig.

»Das mit dem Auftrag kannst du getrost vergessen«, gab Celestio in einem nachlässigen Tonfall zurück, der mich richtiggehend überraschte. »Daraus wird nichts mehr. Also, willst du die Stadt kennenlernen, ja oder nein?«

Ich verstand nicht, warum er so sehr auf die Stadtführung pochte, aber da ich selbst den großen Wunsch hegte, den Nabel der Christenheit näher zu erkunden, willigte ich gerne ein.

Celestios Gesicht erhellte sich daraufhin schlagartig, als hätte ich ihm einen unverhofften Dienst erwiesen, mit dessen Erfüllung er gar nicht mehr gerechnet hatte. Das kam mir merkwürdig genug vor, aber nachdem ich unser Konvent in Cuenca verlassen hatte, war ich mehrmals gezwungen, mich an Merkwürdigkeiten aller Art zu gewöhnen und mir war mittlerweile, als gehörten diese Besonderheiten zum festen Bestandteil meiner Reise. Ich nahm an, dass Bruder Celestio recht hatte, als er beiläufig erwähnte, dass mein Auftrag erledigt sei. Ich hatte mich vor dem Heiligen Offizium offensichtlich nicht bewährt, und das schien den Ausschlag für meine Rückkehr in die Heimat gegeben zu haben. So war es im Lichte dieser verworrenen Ereignisse, meines Erachtens, höchst unwahrscheinlich, dass ich jemals wieder einen Fuß in diese Stadt setzen würde.

Ich gestehe, es war unbescheiden und selbstsüchtig von mir, aber schließlich kapitulierte ich vor dem Gefühl der Neugier und der Entdeckungsfreude und gab meinem Ordensbruder die Zustimmung, mich durch Rom zu führen.

Wir zogen gleich los, und sobald wir auf der Straße waren, begann Celestio zu reden, und er redete und redete ohne Unterlass. Allmählich beschlich mich das Gefühl, die Organisation im Hause der Gesellschaft sei doch nicht so vollkommen, hatte ich doch einen Menschen an meiner Seite, dessen Redefluss durch nichts und niemanden aufzuhalten war.

Langsam dämmerte es mir, warum Bruder Celestio so erpicht darauf war mit mir eine Stadtführung zu veranstalten. Er hatte endlich Gelegenheit, seinem Redefluss unbehelligt freien Lauf zu lassen. Ich seufzte resigniert und ermattet, als er nach etwa einer Stunde noch immer mit der gleichen Geschwindigkeit sprach, wobei ich zeitweilig das Gefühl hatte, dass er gar nicht mehr Luft holte, sondern die Worte aus einer endlosen Blase – falls es so etwas geben sollte – hervorsprudeln ließ. Ich mühte mich, mein Gehör abzuschalten, indem ich in mich ging und leise den Rosenkranz unzählige Male herunterbetete.

Doch der Herr beschloss, dass ich diesem Mann zuhören sollte; immer wieder zupfte mich Celestio mit einem kurzen Ruck am Ärmel und zwang mich, ihm die erwünschte Aufmerksamkeit zu schenken. Nach einer Weile gab ich meine Abwehrversuche auf und trachtete danach, seinem Wortschwall zu folgen. Unterdessen waren wir an einem langen, ovalen Platz angelangt, der mit zahllosen Marktständen regelrecht überfüllt war und wo der Lärmpegel Celestios Stimme endlich übertönte.

»Weißt du, wie dieser Platz heißt?«, fragte mich mein Begleiter mit dem Stolz des Ortskundigen.

Ich schüttelte wortlos den Kopf.

»Das ist der Campo dei Fiori«, fuhr er fort und warf mir einen komplizenhaften Blick zu. »An diesem Ort ist vor knapp drei Jahren der Dominikaner Giordano Bruno hingerichtet worden.«

Das war die erste wirklich bemerkenswerte Auskunft, die ich von meinem Ordensbruder an jenem Vormittag erhalten hatte. Die Hinrichtung des ehemaligen Dominikanermönches Bruno hatte damals ganz Europa aufgewühlt, weil es als Zeichen der Unnachgiebigkeit der Kirche gegenüber Abweichlern jeder Art gedeutet wurde.

Bruno, der vielen Berichten zufolge als eigensinnig, streitsüchtig und stolz galt, hatte zwar die Herrschaft Gottes auf Erden anerkannt, aber er vertrat die ketzerische Ansicht, dass das Weltall unendlich sei und dass es aus unzähligen Planeten bestehe, die alle mit verschiedenen Formen der Intelligenz bevölkert seien. Ferner hatte er unverdrossen behauptet, dass nicht, wie uns allen bekannt, die Sonne um die Erde kreise, sondern geradezu umgekehrt.

Wegen solcher gotteslästerlicher Gedanken wurde ihm der Prozess gemacht, und obwohl er zum größten Teil seine irrigen Ideen widerrufen hatte, verurteilte man ihn schließlich zum Tode durch den Scheiterhaufen, der hier auf dem Campo dei Fiori aufgerichtet ward.

Wir blieben einen Augenblick am Rande des Platzes stehen, und Bruder Celestio schwieg zu meiner großen Überraschung zum ersten Mal an diesem Vormittag. Ich atmete erleichtert auf, doch war meine Freude nur von kurzer Dauer, als mein Begleiter plötzlich dort fortfuhr, wo er aufgehört hatte, und ich musste mich vor seinem quälenden Wortbeschuss erneut geschlagen geben. Wir liefen indes weiter und erreichten eine Straße, die ich bereits kannte. Sie führte zur Brücke über den Tiber, hinüber zur Engelsburg. Oben, in der Mitte des runden Baus, stand ein großer marmorner Engel mit gezogenem Schwert, eine Erinnerung an eine einstige Pestseuche, die vor knapp drei Jahrhunderten in Rom gewütet hatte.

Celestio führte mich flink durch die engen, dunklen Gassen geradewegs auf den Vatikan zu, und nach kurzer Zeit standen wir vor den zwei verschmolzenen Kirchen, die ich bei meinem Besuch im Heiligen Offizium für kurze Zeit in Augenschein nehmen durfte.

»Dieses Viertel, das sich von der Engelsburg bis hin zum Vatikan erstreckt, heißt Borgo«, sagte Celestio und machte eine nachlässige Handbewegung dabei. »Und das, was vor dir steht, Bruder Tomás, ist das Zentrum der Christenheit«, sagte er in feierlichem Ton, und seine Arme vollzogen eine weite, ausladende Bewegung als Zeichen dafür, dass er die ganze Menschheit gemeint hatte.

»Ja, ich weiß, Bruder. Ich habe diesen Platz bereits gesehen«, antwortete ich geduldig. »Was ich allerdings nicht verstehe ist, warum diese beiden Kirchen so eng, Wand an Wand nebeneinander stehen«, fuhr ich fort.

Bruder Celestios Gesicht erhellte sich bei diesen Worten, so als hätte er völlig unerwartet ein göttliches Geschenk bekommen. Damit bestätigte er meine stille Vermutung, dass seine größte Sehnsucht das Reden war, und irgendwie tat er mir Leid dabei, weil ich fand, dass er in der Rolle des Dieners des Herrn in der Gesellschaft Jesu nicht sonderlich gut aufgehoben war. Ich verkniff mir jedoch jede Art von Bemerkung und versuchte seinen Worten zu lauschen, was mir diesmal überraschenderweise sehr gut gelang, zumal das, was er nachfolgend zu berichten hatte, bei mir auf großes Interesse stieß.

»Die Geschichte der beiden Bauten geht auf das vierte Jahrhundert nach Christi Geburt zurück, als der damalige Kaiser Konstantin zu Ehren des Herrn eine längliche Basilika errichten ließ, die in den nachfolgenden Jahrhunderten zum festen Ort der christlichen Glaubensausübung in dieser Stadt wurde«, fing Celestio an, mit glänzenden Augen wie die eines Kindes, das etwas ganz Aufregendes zu erzählen hat. »Die Basilika war natürlich nicht nur das lang gezogene Gebäude, das du jetzt siehst, welches aus einem hohen Mittelschiff und vier kleineren Seitenschiffen besteht. Daran angeschlossen war ein Kreuzgang mit einem Gebäude für die Mönche und einem hohen Kirchturm.

Die Entstehung der neuen runden Kirche begann zur Zeit seiner Heiligkeit des Papstes Nikolaus V., also vor gut einhundertfünfzig Jahren. Der konstantinische Gebäudekomplex war baufällig geworden, und man entschied den Kreuzgang abzureißen und an dessen Stelle einen neueren, gewaltigeren errichten zu lassen. Es wurden ebenfalls Stützmaßnahmen für das Längshaus, welches sich hier vor deinen Augen erstreckt, beschlossen und von da aus begann das Abenteuer, denn anders kann man es nicht bezeichnen, auch wenn man nur hinter vorgehaltener Hand darüber sprechen darf. Die nachfolgenden Heiligen Väter waren damit beschäftigt, diese Baumaßnahmen nach Kräften fortzuführen, bis schließlich Julius II. im Jahre unseres Herrn 1506 den Grundstein für eine völlig neue Kirche legte.« Er kicherte leise, während er mich verschwörerisch von der Seite ansah.

 

»Da viele Baumeister das Ausmaß der anstehenden Arbeiten erahnten, entbrannte ein mörderischer Kampf um den Auftrag von Neu St. Peter.

Als Erster legte ein gewisser Giulio da Sangallo einen Entwurf für eine kreuzförmige Neukirche vor, aber er schaffte es damit nur den Ehrgeiz von Donatello Bramante zu wecken. Du kennst doch Bramante, oder?!«

Ich schüttelte unsicher den Kopf, aber Bruder Celestio schien mir diese Bildungslücke überhaupt nicht übel zu nehmen. Ganz im Gegenteil: Sie spornte ihn an, die Geschichte in allen Einzelheiten wiederzugeben. Ich begann allmählich Bewunderung für ihn zu empfinden, denn derartige Kenntnisse der Baugeschichte besaß beileibe nicht jeder, und es wurde mir mit jedem seiner Worte immer deutlicher, dass dieses Gebiet ihm alles andere als fremd war.

»Bramante war einer der größten Architekten, die Italien jemals gesehen hat«, fuhr Celestio voller Begeisterung fort. »Er war aber auch ein selbstsüchtiger, herrisch auftretender Mensch, der von Bescheidenheit wenig verstand. Er legte dem Papst eine Zeichnung über ein Gebäude in Form eines griechischen Kreuzes vor, dessen Mitte von einer zentral gelegenen Kuppel beherrscht wurde und welchem beinahe die gesamte konstantinische Basilika weichen sollte. In seiner maßlosen Selbstüberschätzung hatte er sogar vorgesehen, das Grab Petri zu versetzen, um es ins neue Gebäude verlegen zu können. Das wurde allerdings dem Heiligen Vater doch zu viel, und er beschied Bramante, dass das Gebäude sich nach dem Grab zu richten hätte und nicht umgekehrt.«

»Und wo ist hier das Abenteuer, das du mir angekündigt hattest?«, fragte ich sichtlich enttäuscht.

»Das beginnt jetzt erst, hatte doch Bramante nicht mit der Baukommission gerechnet, die aus Leuten mit verschiedenen Interessen zusammengesetzt war und die ihm ständig Knüppel zwischen die Beine warf. Die Hindernisse dieser Baukommission verfolgten Bramante hartnäckig bis zu seinem Tod, ohne dass er auch nur in sichtbare Nähe der Vollendung seines Werkes gelangt wäre.

Das war aber nur der Beginn von dem Baudrama, das sich bis in unsere Tage hinzieht, denn einige Jahre später betrat Michelangelo Buonarroti die Bühne, wenn man das so nennen darf. Der Papst hatte ihn mit einer alternativen Skizze für Neu St. Peter beauftragt. Du kennst doch Michelangelo?«, unterbrach Celestio seine Erzählung und sah mich mit großen, erwartungsvollen Augen an.

»Ja, ich habe von ihm gehört, da er als Maler und Bildhauer in ganz Europa bekannt und berühmt ist. Ich muss dir aber gestehen, Bruder, dass ich von Kunst nur wenig verstehe«, gab ich verlegen zu. »Ich bin aber jedes Mal erfreut, wenn sich jemand findet, der mich auf diesem Gebiet belehren kann«, bemerkte ich in ermunterndem Ton.

Mein Begleiter blieb daraufhin abrupt stehen und musterte mich mit durchdringendem Blick.

»So sage mir doch, welches Gebiet umfasst dein Wissen, Bruder Tomás?«

Bruder Celestio war, wie ich feststellen musste, nicht nur beredsam, er war auch sehr neugierig. Das störte mich nur wenig, weil ich so gut wie nichts zu verbergen hatte und das, was ich für mich behalten wollte, lag tief und sicher in meinem Inneren begraben.

»Ich habe viele Jahre mit dem Studium fremder Sprachen und der Erforschung okkulter Wissenschaften verbracht, so dass ich darin einige Kenntnisse besitze«, gab ich demütig zurück.

Auf diese Worte hin wurde mein Ordensbruder plötzlich ernst und seine sonst ungewöhnlich glatte Stirn legte sich in nachdenkliche Falten. Er nickte kaum merklich und betrachtete mich prüfend, als hätte er auf einmal einen völlig anderen Menschen an seiner Seite entdeckt. Ich erwiderte fragend seinen Blick, in der unausgesprochenen Hoffnung, eine umfangreiche Erklärung für sein Verhalten zu bekommen.

Stattdessen sagte Celestio knapp:

»Wir waren bei Michelangelo stehen geblieben, nicht wahr?!«

Ich machte, noch immer überrascht über sein Verhalten, eine kleine zustimmende Kopfbewegung, sagte aber kein einziges Wort und ließ ihn gewähren.

»Die Intrigen um den Bauauftrag gingen so weit«, fuhr Celestio fort, »dass Michelangelo, der im Ergattern von Aufträgen sonst sehr zäh und geschickt war, eines Tages Hals über Kopf nach Florenz floh, in der unverrückbaren Überzeugung, man plane ihn zu ermorden, um ihn auf diese Weise vom Bau der neuen Kirche endgültig auszuschließen.

Bramante hatte in kluger Voraussicht versucht, endgültige Tatsachen für sein Projekt zu schaffen, indem er am westlichen Ende von Alt St. Peter die riesigen Vierungspfeiler für die Kuppel des Neubaus, die sich nun vor dir reckt, hochziehen ließ. Dadurch wurde der Untergang von Alt St. Peter insgeheim besiegelt. Auch wenn du nun die beiden Kirchen wie aneinandergewachsen siehst, so wisse trotzdem, dass die längliche Basilika des Konstantin unausweichlich dem Tode geweiht ist.«

Ich schaute ihn verdutzt an.

»Aber es sieht doch so aus, als ob der Altbau gerade frisch instandgesetzt worden wäre«, wandte ich erstaunt ein.

»Ist er auch, Bruder. Unser Heiliger Vater, Papst Clemens VIII., hat die Basilika erneut vor dem endgültigen Verfall gerettet, indem er sie vor kurzem restaurieren ließ. Aber glaube mir, das ist nur eine lange Agonie, sonst gar nichts. Die Zukunft gehört der neuen Kirche, denn es ist so viel Geld hineingeflossen, dass man sie gar nicht mehr abreißen kann. Manche bösen Zungen behaupten immer wieder, einer der Hauptgründe für die Entstehung der sogenannten Reformation sei im Ablasshandel zu finden, der zur Finanzierung des Neubaus vorgesehen war, welcher aber nur zur Verarmung der Bevölkerung geführt hat.

Wie dem auch sei. Gleich nach Bramantes Tod ging es 1514 mit dem Neubau unter der Ägide von Raffael Sanzio weiter.«

»Meinst du etwa den berühmten Maler?«, fragte ich ungläubig.

»Just der«, bedeutete mir Celestio. »Aber Raffael sah anscheinend seine Aufgabe eher im Bemalen des Innenraumes als in der architektonischen Weiterführung von Bramantes Plänen. Er malte nicht einmal selbst, sondern ließ malen und zwar vom späteren Baumeister der neuen Kirche, Antonio da Sangallo.« Celestio schenkte mir ein verschmitztes Lächeln, bevor er voller Zufriedenheit über seine gründlichen Kenntnisse fortfuhr. »Übrigens war es der besagte Raffael, der an dem Größenwahn litt, kurz nach seinem Antritt als Baumeister zu verkünden, der Neubau werde weit über eine Million Golddukaten kosten, weil es als symbolträchtigstes Zeichen des Christentums nichts weniger verdiene.«

»Hat er denn architektonisch gar nichts vollbracht?«, erkundigte ich mich und merkte, dass die Neugier über die Entstehungsgeschichte von St. Peter mich mittlerweile in ihren Bann gezogen hatte.

»Doch, einige Kleinigkeiten schon. Er verlängerte den Westteil der Kirche in die von Bramante ursprünglich gewollte Ausdehnung und plante in die gegenseitige Richtung, nach Osten also, ein langes Schiff mit fünf Jochbögen zu errichten.«

»Verrate mir doch, Bruder Celestio, wo du diese ganzen Kenntnisse herhast«, schoss es aus mir heraus, während ich alle christlichen Gebote der Bescheidenheit und der Zurückhaltung vergaß.

»Mein Vater hatte damals als junger Architekt beim Nachfolger von Raffael, Antonio da Sangallo, angefangen. Dort hatte er die ganze Kritik Sangallos an der Konzeption Bramantes mitbekommen und ebenso den Alternativplan, den sein erster Assistent, Baldassare Peruzzi dem damaligen Papst Leo X. vorgelegt hatte. Der sah einen wesentlich kompakteren Zentralbau vor, ohne große Ausdehnungen gen Osten, und unterstützte somit die vom Papst gehegte Hoffnung, damit erheblich Kosten zu sparen. Aber es kam natürlich anders. Sangallo entwarf einen Plan mit länglichem Abschluss nach Osten, für den er eigens ein Holzmodell anfertigen ließ, das alleine viertausend Scudi und sechs Jahre Arbeit kostete. An der Baustelle selbst geschah derweil nicht viel, so dass nach dem Tode Sangallos Michelangelo erneut als leitender Architekt eingesetzt wurde. Er bekam den Auftrag auf Geheiß des greisen Papstes Paul III. und, obwohl schon nicht mehr der Jüngste, war der berühmte Maler und Bildhauer voller Energie und neuer Ideen für die endgültige Verwirklichung des Kirchenneubaues.

Als erste Amtshandlung entließ Michelangelo die gesamte Architektenschar aus der Zeit Sangallos und teilte gleichzeitig der Baukommission mit, dass er mit ihr nichts zu tun habe und alle Angelegenheiten bezüglich des Baus ausschließlich mit dem Papst besprechen werde.

Du kannst dir unschwer vorstellen, Bruder Tomás, wie er mit dieser Einstellung ins Wespennest gestochen hatte. Das Schicksal und der Wohlstand unzähliger Leute hing von diesem Kirchenbau ab. Wie Michelangelo zu Recht erkannt hatte, waren dabei mächtige finanzielle Interessen im Spiel. Bankiers, Bauunternehmer, Architekten, Baumeister und Handwerker, alle hatten als gemeinsames Ziel, die Baumaßnahmen zu verzögern und immer neue Modelle vorzustellen, um die Vollendung des Werkes auf den Tag des Jüngsten Gerichts zu verschieben. So versuchten Michelangelos Gegner, ihn in jeder erdenklichen Form und mit allen Mitteln in ein schlechtes Licht zu rücken. Sie verwiesen allzu häufig auf sein hohes Alter – er war zweiundsiebzig als ihm die Schlüssel des Baumeisters von Paul III. ausgehändigt wurden – und auf die Tatsache, dass er bloß ein Zerstörer und kein Erbauer sei. In der Tat begann Michelangelo seine Arbeit auf der Baustelle von St. Peter mit einem gewaltigen Akt der Zerstörung von großen Teilen der Neukirche, da er den Ansatz Bramantes in seiner ganzen Tragweite verstanden hatte, wonach die einzige Hoffnung ein nachhaltiges Bauwerk zu errichten, in der Schaffung endgültiger Tatsachen bestand. Dadurch erzürnte er die Baukommission so sehr, dass sie ihm beim Tode Pauls die Schlüssel zur Baustelle erneut entzog. Der Schuss ging jedoch gewaltig nach hinten los, als der neu gewählte Papst Julius II. die sofortige Rückgabe der Schlüssel an den greisen Michelangelo anordnete. Mehr noch: Die von Paul III. ausdrücklich erteilten, weitreichenden Vollmachten, in denen unter anderem Michelangelos Konzept »für alle Zeiten« festgeschrieben wurde, erfuhren von seinem päpstlichen Nachfolger ausdrückliche Bestätigung, so dass sich die Gegner des greisen Baumeisters andere Strategien ausdenken mussten. Sie besannen sich auf die von Michelangelo realisierte Zerstörung von weiten Teilen des Baus und rechneten vor, dass diese mehr Geld in Anspruch genommen hatte als seine ganzen Wiederaufbaumaßnahmen.

Es half aber alles nichts.

Die Schar der Gegner, vor allem der designierte Nachfolger Sangallos, Nanni di Bacio Bigio, konnte nur hoffen, dass sie nach dem Ableben des hochbetagten Michelangelo zum Zuge kommen würde. Sie hatte sich aber auch in dieser Hinsicht erheblich verrechnet: Der berühmte Baumeister hatte weit über seinen Tod hinaus geplant. So hatte er in scheinbarer Willkür und ohne jedes System mehrere Stellen des Baus in Angriff genommen und verändert. Das warf man ihm noch lange Zeit nach seinem Tode vor, ohne zu ahnen, dass er äußerst klug und vorausschauend geplant hatte. Er schuf nämlich unverrückbare Tatsachen an den wichtigsten Punkten von Neu St. Peter, um dadurch eine nachträgliche Änderung seiner Pläne für immer zu unterbinden. Die Kuppel, die Kreuzarme sowie die vier Nebenkapellen dienten ihm als Beispielgeber und als Memento für alle nachfolgenden Baumeister. Eine grundlegende Änderung von Michelangelos Planung wurde dadurch in den Bereich des Unmöglichen verschoben.«

»Und was wurde aus seinen Gegnern?«, erkundigte ich mich mit ungezügelter Neugier.

»Sie haben, wenn überhaupt, nur unwesentliche Änderungen durchgesetzt. Nanni di Bacio Bigio, der erbittertste Feind Michelangelos, wurde nie Baumeister von St. Peter. Obwohl er, ironischerweise, beim Fürst Cosimo I. aus Florenz, den er um Fürsprache beim Papst ersucht hatte, sich schriftlich auf dessen Wunsch hin verpflichtet hatte, nicht die kleinste Kleinigkeit an Michelangelos Projekt zu verändern.«

»Wahrlich faszinierend, Bruder«, sagte ich mit ungespielter Bewunderung.

»Wie du ersehen kannst, ist die Geschichte dieses Bauwerks eine immer wiederkehrende Zerstörung, an deren Ende jedes Mal etwas völlig Neues entsteht.«

Ich pflichtete ihm bei und bewunderte ihn insgeheim, hatte er doch zum Schluss das ganze Geschehen in dieser bezeichnenden und präzisen Aussage zusammengefasst.

»Darf ich dich trotzdem noch etwas anderes fragen, Bruder Celestio?«

»Nur zu! Ich bin glücklich, wenn ich dir behilflich sein kann«, antwortete er mit heiterer Ehrlichkeit.

 

»Wenn ich diese beiden Bauten betrachte, machen alt- und neu St. Peter trotz aller Maßnahmen den Eindruck«, ich holte tief Luft, um meine Verlegenheit zu überwinden, »dass ich zwei – Gott verzeih mir – zwei Bauruinen vor mir stehen sehe. Links steht eine halbfertige, angeblich neue Kirche, die aber schon an manchen Stellen deutliche Spuren des Alterns aufweist, und rechts daran geheftet der längliche Altbau, der zwar heruntergekommen, aber an manchen Stellen unverkennbar neue Baustrukturen aufweist. Wie geht das denn zusammen?«

Celestio belohnte mich mit einem wissenden Lächeln.

»Es hängt mit der Unentschiedenheit und Unsicherheit der Päpste zusammen, eine eindeutige und bestimmte Stellung zu beziehen«, erwiderte er leise. Mittlerweile wimmelte der Platz um uns von Menschen, und das waren keine Worte, die in ihrer Deutlichkeit einem Priester zugestanden hätten.

Celestio war aber zu meinem Entsetzen nicht mehr zu bremsen und holte zu einer vernichtenden Behauptung aus.

»Die ganze gottverfluchte Reformation hängt an diesem Bau wie eine Klette an ihrem Wirt. Das gesamte Vermögen, das dafür aufgewandt wurde, und ich spreche jetzt von schier unvorstellbaren Summen, ist in diesem Neubau regelrecht versickert, ohne dass ein absehbares Ende dafür in Sicht wäre. Es lässt sich darüber trefflich streiten, ob Neu St. Peter, oder besser gesagt seine zögerliche Errichtung, diese so genannte Reformationsbewegung verhindert hätte. Sicher ist nur, dass es ihrem Aufschwung mehr als gut getan und dadurch unsere geliebte Mutter Kirche bis auf weiteres zum Rückzug auf dem Schlachtfeld des Glaubens gezwungen hat. Alle Kriege, die im vergangenen Jahrhundert in Europa gewütet haben, waren mittelbar oder unmittelbar mit der Frage des Glaubens verbunden. Das Blut von so vielen Unschuldigen hätte nie vergossen werden müssen, hätte man den Glauben ernsthaft und ehrlich verteidigt.« Seine Stimme wurde empfindlich lauter, und manche der Leute, die den Platz in unserer unmittelbaren Nähe überquerten, warfen uns verstohlene und neugierige Blicke zu.

»Bruder Celestio, sprich bitte leiser!«, flehte ich ihn an und spürte, wie mir der Schweiß an den Schläfen hinunterrann.

Doch es half alles nichts. Mein Ordensbruder war außer Rand und Band.

»Es ist doch eine offensichtliche Tatsache«, fuhr er in schneidendem Ton fort, »dass die Gläubigen sich immer mehr von uns abwenden, weil der Sündenablass eine gängige Handelsware geworden ist und die Vetternwirtschaft alle Bereiche unserer Heiligen Mutter Kirche in ihrem Würgegriff hält. Man muss sich in dieser Stadt nur ein wenig umschauen und man erkennt, dass es nicht mehr möglich ist, das alles zu ignorieren.«

»Bruder, bitte hör auf, sonst werden wir beide noch der Ketzerei angeklagt«, flüsterte ich mit zitternder Stimme, da ich unterdessen Angst um meinen alten Ordensbruder hatte.

»Entschuldige, Bruder Tomás, aber ich habe sonst niemanden, dem ich meinen Kummer ausschütten kann. Ich bin in großer Sorge um unseren Glauben, zumal das Geld und alles, was damit zusammenhängt, ihn endgültig zu vernichten droht.«

Ich wollte ihn erneut ermahnen, als er meinen Arm ergriff und mit verständnisvollem Blick nickte.

»Ich weiß, ich weiß. Du hast Angst, Tomás. Das kann ich dir gar nicht übel nehmen.«

»Nein, ich habe keine Angst um mich, sondern um dich, Bruder Celestio.«

»Um mich brauchst du nicht in Sorge zu sein«, erwiderte er, und ein dankbares Lächeln erhellte sein Gesicht. »Ich bin alt und befinde mich mit Gott und mir selbst im Reinen. Wenn ich sterben muss, dann gehe ich mit gutem Gewissen. Was mich stört, liegt im Irdischen, denn hier herrscht nach wie vor der Mammon.«

Er seufzte tief, bevor er fortfuhr.

»Ich werde jetzt deine Frage beantworten, warum diese beiden Kirchen nebeneinander bestehen. Es geht um Geld und um nichts anderes. Es sind keine finanziellen Mittel mehr vorhanden, um Neu St. Peter zur Vollendung zu bringen. Der jetzige Papst, Clemens VIII. Aldobrandini, hat den Altbau mit Stützmaßnahmen versehen, erstens, weil er nicht imstande ist, eine nachhaltige Entscheidung zu treffen, und zweitens, und das ist der wichtigste Grund, weil man ohne Geld keine grundlegenden Baumaßnahmen fortführen kann.«

»Ja, aber es fließt noch immer ungeheuer viel Geld in diese Stadt«, wandte ich ungläubig ein. »Allein unser verblichener König Philipp II. hat Unsummen zur Stützung des Glaubens ausgegeben.«

Ein bitteres Lächeln keimte im Gesicht des Alten auf.

»Ja, da hast du recht. Aber was du nicht weißt, ist, dass hier alles ausschließlich nach dem Prinzip der Vetternwirtschaft läuft, und das kostet sehr viel Geld. Es fängt ganz oben an. Unser oberster Hirte ist das traurigste Beispiel dafür, und es geht weiter bis zu den Prioren und den anderen kirchlichen Würdenträgern.«

Er ließ den Kopf sinken, und wir schwiegen eine ganze Weile, während ich erleichtert merkte, wie sehr mir diese Ruhe behagte.

Ich warf erneut einen nachdenklichen Blick auf das riesige Gebilde aus zwei völlig verschiedenartigen, eng zusammengewachsenen Gebäuden und fragte mich insgeheim, was letztlich daraus werden sollte. Als meine Augen langsam über die Anlage schweiften, fiel mir auf einmal etwas auf, und ich konnte nicht umhin Bruder Celestio danach zu fragen.

»Verrate mir bitte, Bruder, was bedeutet dieser riesige Obelisk, der vor unseren Augen in den Himmel ragt?«

»Er stammt aus heidnischen Zeiten«, erwiderte Celestio geduldig. »Es heißt, in der Kugel oben an der Spitze sei die Asche Caesars aufbewahrt.«

Um uns herum wimmelte es inzwischen von Menschen, und diese riesige, laute und stinkende Menge ließ, einem seltsamen Ungeheuer gleich, den Lärmpegel ins Unerträgliche ansteigen.

Bruder Celestio bemerkte meine innere Unruhe und entschied, dass ich für diesen Tag genug gesehen und gehört hatte. Er empfahl mir sogleich die Rückkehr in unser Haus an der Jesuskirche. Ich widersetzte mich nicht, war ich doch Gehorsam gewohnt, außerdem freute ich mich insgeheim auf die Ruhe und Einsamkeit meiner Zelle.

Später, in der Abgeschiedenheit meines Gemachs dankte ich dem Herrn für die Gnade, die er mir erwiesen hatte, einen Blick auf die Ewige Stadt werfen zu dürfen, da ich fest damit rechnete, dass meine Rückkehr nach Cuenca beschlossene Sache war und in ein bis zwei Tagen erfolgen würde. Ich wäre zugegebenermaßen gerne noch eine Weile geblieben, denn das, was ich von Rom gesehen hatte, erregte meinen Appetit auf mehr, und wäre es nach meinen unbedeutenden, eigennützigen Wünschen gegangen, hätte ich dieser Stadt nicht so bald den Rücken gekehrt. Es war aber der Wille des Herrn und der meiner Oberen, mich die Heimreise in Kürze antreten zu lassen, und dem hatte ich mich anstandslos zu fügen. Andererseits muss ich gestehen, dass im Angesicht der Tatsachen, die um mich her wie von einem Schleier der Verheimlichung verhüllt zu sein schienen, die Rückreise eine gewisse Freude weckte, konnte ich doch wieder an meinen Tisch in Cuenca zurückkehren, um die Arbeit fortzusetzen, aus der ich derart unwirsch herausgerissen wurde. Der Gedanke daran breitete sich wie ein warmer Strom in meinen Adern aus, und ich schlief mit einem lange vermissten Gefühl der Glückseligkeit ein.

Ich erwachte ungewollt durch das Geräusch von hastigen leisen Schritten und von gereiztem Geflüster, während es um mich her ebenso dunkel war wie am Abend, als ich mich schlafen gelegt hatte. Verwirrt und schlaftrunken setzte ich mich auf und versuchte, die Uhrzeit zu erraten. Da sich im Flur das Geräusch der Schritte vereinzelt weiter vernehmen ließ, beschloss ich, mich schnell anzukleiden und meine Zelle zu verlassen. Gerade als ich die Tür öffnen wollte, schlug irgendwo in der Nähe eine Kirchturmglocke fünf Mal. Verunsichert machte ich die Türe auf und schaute in den verlassenen Flur hinaus. Kurz entschlossen schlug ich die Richtung zur Kapelle ein, und als ich dort ankam, sah ich mindestens ein Dutzend meiner Brüder, die sich aufgeregt unterhielten und dabei vergebens versuchten, ihre Stimmen im Flüsterton zu halten.

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