Ruhrpottliebe

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Sie lacht gehässig und verpasst mir einen Hieb, ihre Fingerknöchel bohren sich dabei schmerzhaft in meine Schulter.

Während sich Carmen im Bad von dem Shirt befreit, das nach alten Menschen riecht, und duscht, wühle ich mich durch einen Haufen Fragen, die das Internetportal mir bei meiner Anmeldung stellt. Angeblich dienen sie dazu, meinen Charakter zu erfassen und zu erkennen, was für ein Typ Frau ich bin, doch mir kommt es eher vor wie ein Schubladensystem. Ein bisschen wie bei diesen Ankreuz-Psychotests in der BRAVO früher.

Als Carmen wieder zu mir stößt, erstellen wir gemeinsam mein Profil. Sie riecht nach Mango-Shampoo und Deodorant. „Erst mal brauchst du einen Nickname. Verbinde es mit irgendwas, das zu magst. Einer Band, einem Film“, erklärt sie, während sie sich neben mir die braunen Locken trocken rubbelt. Nach kurzer Überlegung tippe ich Pulp Fiction ein und bin überrascht, dass dieser Name noch verfügbar ist. „Körpergröße …. 169 cm“, lese ich die erste Spalte des Profils samt Lösung laut vor und fülle sie aus. „Gewicht/​Figur … wahlweise dünn, schlank, sportlich, normal, ein paar Kilo mehr oder moppelig. Moppelig?“ Ich verschlucke mich an meinem Cocktail. Wie immer hat Carmen viel zu viel Schnaps hineingemischt, und meine Stirn beginnt bereits nach den ersten Schlucken zu kribbeln.

„Ja …“, lacht sie aufgedreht.

„Hm … also, ich sehe mich als sportlich, aber der ein oder andere würde mich bestimmt als moppelig bezeichnen“, nuschle ich vor mich hin.

„Sportlich? Kugelstoßerin oder was? Nimm normal!“, beschließt Carmen.

„Haarfarbe? Blond … Sternzeichen? Skorpion … als würde das irgendwas zur Sache tun … Raucherstatus? Gelegentlich!“

„Schreib das nicht!“

„Warum? Ist doch die Wahrheit.“

„Ja, aber da gibt es immer eine Reihe von Fitnessfreaks, die denken, du hast ein Gesicht wie ein voller Aschenbecher, nur weil du dir hin und wieder eine ansteckst … lass die Zeile einfach frei.“

„Na gut, Frau Expertin. Weiter im Text: Beziehungsstatus … vergeben, offene Beziehung, komplizierte Beziehung, verheiratet mit Nachwuchs, verheiratet ohne Nachwuchs, geschieden, verwitwet, Single, suchend …“

„Suchend ist praktisch ein Codewort für einsam, stehe meiner Mutter unnatürlich nahe, masturbiere überdurchschnittlich oft, rasiere mich nur im Hochsommer, und ziehst du mich aus, findest du weiße Baumwollunterhosen mit Stockflecken … also Single.“

„Okay. Beruf?“

„Denk dir einen Begriff aus, der deinen Beruf zwar umschreibt, irrsinnig wichtig klingt, es aber nicht genau auf den Kopf trifft“, weist sie mich an und lässt noch etwas braunen Zucker in ihr Glas rieseln.

„Ähm … Assistenz in der Justizbranche.“

„Dann schreib doch gleich: Aktenschlepper“, prustet sie los, und ich werfe ihr einen ernsten Blick zu.

„Wann fängt deine Ausbildung eigentlich an?“

„Nach dem Praktikum. Also noch gut 10 Tage.“

„Wie wäre Bürokratin? Klingt offiziell, mit leicht historischem Flair.“

„Okay, weiter … Ausbildung/​Abschluss … das geht ja wohl niemanden was an. Weiter … ich suche?“

„Jetzt wird’s interessant!“

„Wahlweise feste Beziehung, Freundschaft, Affäre, Mailkontakte oder was sich eben ergibt.“

„Jetzt musste aufpassen!“, fuchtelt Carmen wild mit ihrem Drink in der Luft herum. „Feste Beziehung klingt zu bedürftig. Als wärst du neulich 30 geworden und hättest einsam vor den tausend Kerzen gesessen und beschlossen, dass es endlich Zeit wird, ein Kind zu werfen. Freundschaft klingt armselig. Als würdest du jemanden suchen, mit dem du dich über deine Star-Trek-Figurensammlung unterhalten und eine Fahrgemeinschaft für die Cosplay-Messe gründen kannst.“

Sie räuspert sich kräftig und zupft ihren übergroßen Pullover zurecht.

„Affäre … klingt nach Werner, Mitte fünfzig, will endlich seine Lack- und Lederneigungen ausleben und sucht jemanden, der sich für ihn in den Ganzkörperanzug schmeißt und sich mit Pferdesalbe beschmieren lässt.“

„Ah!“

„Und Mailkontakte. Klingt ein bisschen zu sehr nach E-Mail für dich mit Meg Ryan und Tom Hanks. Hallo, lieber Seattle 35, ich bin heute über eine Brücke gelaufen. Da hab ich mich so tiefsinnig gefühlt. Brücken sind ja auch so tiefsinnig. Und das Leben ist so tiefsinnig. Was meinst du? Da ist, was sich eben ergibt‘ genau das Richtige“, schließt sie und grinst zufrieden.

„Finde ich nicht. Ich finde, ,was sich eben ergibt‘ klingt nach , Wir treffen uns und nichts muss, aber wenn du pimpern willst, bin ich natürlich gerne dabei‘! Das ist nicht unbedingt die Einstellung, mit der ich zu einem Date gehe …“

„Dann lass es halt frei“, brummt sie sichtlich beleidigt, dass ich ihre Internet-Dating-Eloquenz infrage stelle.

„Dann ist hier noch eine Zeile mit Charakterbegriffen.“

„Da schreibst du drei Wörter hin. Die meisten Frauen schreiben Sonnenuntergang, Spazierengehen und Katzen, die meisten Männer Party, Sport und Autos.“

Sie scheint schon ein wenig betrunken zu sein, denn aus ihrem niedlichen Kichern wird langsam, aber sicher ein geräuschvolles Grunzen. Ich überspringe die Rubrik.

„Jetzt muss ich ein Foto hochladen.“

„Die meisten Frauen laden Fotos hoch, bei denen sie aus ungefähr drei Meter Höhe fotografiert wurden, damit ihre Gesichter auch ja schön schlank aussehen.“

„Hast du über das Thema mal eine Facharbeit geschrieben?“

„Nö, man sammelt eben Erfahrungen.“

Nachdem Carmen auf der Couch eingeschlafen ist und Slatko es sich unbemerkt auf ihrem weichen Busen gemütlich gemacht hat, bekomme ich meine erste Nachricht im Online-Dating-Karusell.

„Hey Girl, I’m Gassimou. My friends call me Mo. I´m student in Berlin. Love your face on the photo and would like to meet ya. Greets.“

Leicht erschrocken betrachte ich das tiefschwarze, ernste Gesicht des Schreibers. In seinem Profil steht nicht viel, bloß ein paar Floskeln à la My german is awful, but I love German Girls with blonde hair and blue eyes. Kurz schaue ich zu Carmen, die laut schnarcht.

„Ach ja, hier sind also keine armen Schweine und Freaks unterwegs?“, flüstere ich ihr kaum merklich zu, als ich die Nachricht lösche und mich auslogge.

Kapitel III

„War man eben noch lediglich das Leben und Lieben satt

Und ist jetzt dank Trank ganz krank vom Sinn

Morgengrauen mittendrin und ich bin ohne her und hin

Weil ich hin bin und nicht mehr Herr der Lage.“

Sebastian 23

„Weißt du, wie schnell so eine hellgraue Couch versaut ist?“, blinzelt Katja ihren Kevin mit mütterlicher Fürsorge an und streicht ihm ein paar Pizzabrötchenkrümel vom Bauchansatz. Schon wieder frage ich mich, wie zum Teufel ich auf die Idee kommen konnte, mit einem Pärchen, noch dazu mit einem, wie die beiden es sind, essen zu gehen. Manche alten Freunde sollte man einfach in der Schublade lassen.

„Aber florales Muster kommt mir auch nicht in die Tüte, Schatz“, erwidert Kevin bestimmt und schmunzelt mich an, anscheinend darauf wartend, dass ich ihm beipflichte, was ich gewiss nicht tun werde. Noch eine Weile diskutieren sie über Teppichböden, unfreundliche Verkäufer in Möbelhäusern unserer wunderbaren Einzelhandelswüste nahe der Dortmunder Autobahnausfahrt und die perfekte Farbe für eine neue Couch. Wahrscheinlich wird der liebe Kevin mehr Zeit auf ihr als auf Katja verbringen.

Das herzzerreißende Szenario am anderen Tischende führt mir mein Scheitern als Single vor Augen, wie eine Walze, die langsam über mich rollt und mir die Innereien aus allen Poren drückt. „Och Kev-Kev!“, faucht Katja, als Kevin den Rest Cola aus seinem Glas versehentlich auf die beigefarbene Tischdecke kippt. Kev-Kev? Da kann sie dem armen Jungen auch gleich eine Kugel ins Knie jagen. Während Katja ihrem Liebsten die Cola von der Chino tupft, sorgt sie locker-lässig dafür, dass die Situation noch unangenehmer wird.

„Du, der Kevin hat übrigens noch ’nen ganz netten älteren Bruder, den solltest du unbedingt mal kennenlernen.“

„Ja, genau“, pflichtet Kevin ihr überflüssigerweise bei, und ich höre mir eine Weile die Vorzüge des Bruders an, der ein echter Verkaufsschlager zu sein scheint. Bis vor ein paar Monaten war Katja selbst noch die Promiskuität in Personality, immer auf der Jagd, in ihrem Handtäschchen Zettel mit ihrem Namen und ihrer Handynummer, ein kleines Herzchen über dem j. Doch nun hat sie Kevin gefunden, ihr treudoofes Schoßhündchen, und plötzlich ist James Blunt gar nicht mehr so furchtbar schwul. Spazierengehen entpuppt sich als eine überaus anregende Freizeitbeschäftigung, und der Anzahl der Male zufolge, an denen sie mein Angebot auszugehen wegen eines DVD-Abends ausgeschlagen hat, wäre ihr ein Führungsposten als Filmkritiker bei Deutschlands populärsten Fernsehzeitungen bombensicher. Und Kevin? Er lebt nun ein Leben im offenen monogamen Vollzug, in dem er mit plüschigen rosafarbenen Hello-Kitty-Handgranaten beworfen wird.

„Ja, scheint ja ein netter Kerl zu sein“, heuchle ich und lenke das Gespräch auf gemeinsame Freunde, um nicht komplett dem Zynismus zu verfallen. Carmen hat mal etwas sehr Schlaues gesagt. Nicht dass sie nicht generell ein sehr schlauer Mensch wäre, doch manchmal hat sie diese hellen Momente, in denen sie mir einen Einblick in die tiefen Erkenntnisse der Carmen-Rotblatt-Verhaltenspsychologie gewährt. Dabei umschmeichelt sie gleißend weißes Licht, und ich erkenne die Weisheit in ihren meist betrunkenen Augen. Einmal, in einem dieser Momente, hat sie jedenfalls gesagt: „Dana, weißt du was?“

Ich erkannte die Gunst der Stunde.

 

„Ja, bitte?“

„Weißt du, welche Art von Paaren ich besonders schlimm finde? Also im Grunde sind sie ja alle furchtbar, eine regelrechte Mutation aus Aids, Krebs, Pest und Tuberkulose für jeden, der nicht mit Zweisamkeit gesegnet ist, aber es gibt diese eine Sorte, die alle anderen in den Schatten stellt. Praktisch die Schalker unter den Pärchen: die, die schon zu einem einzigen Knäuel aus rosa Fleisch geworden sind, das nur noch Sätze von sich gibt, die von dem Wörtchen WIR angeführt werden. Die, die auf Konzerte gehen, aber nicht ein einziges Mal auf die Bühne sehen, weil sie mit Knutschen beschäftigt sind. Die, bei denen Händchenhalten einfach nicht reicht. Ineinander verhakt laufen sie durch die Städte, die Arme so fest um die Körper geschlungen, dass sie kaum noch laufen können, aber Hauptsache, 90 % des Körpers berührt den anderen kontinuierlich. Und falls sie dann hinfallen und sich die Knie aufschürfen, ist das völlig okay, denn sie tun es als beziehungspflegende Aktivität. Wenn man nicht so ein Schalke-Paar werden will, muss man Folgendes tun: Man muss sich hin und wieder im übertragenen Sinne voneinander wegstoßen, um zu erkennen, dass man noch ein eigenständiger Mensch ist und nicht längst ein siamesischer Zwilling.“

Bei Kev-Kev und Katja scheint sich das Zeitfenster dafür schon längst geschlossen zu haben. Würde es durch irgendeinen unglücklichen Zufall dazu kommen, dass man die beiden trennt, wäre es wie bei einem Astronauten, der nach einer anstrengenden, harten und wirklich sehr, sehr langen Mission zurück auf die Erde kommt … die Muskeln haben sich zurückgebildet, und der vermeintliche Held wird wie ein dünnes Würmchen mit Rollstuhl zu seiner Familie gerollt.

Kaum ist das Dessert gekommen, reden sie sogar von Hochzeit.

Nach einer endlos langen weiteren Stunde verlassen wir das italienische Restaurant mit dem Versprechen, bald zu telefonieren, und während die beiden in ihrem Mini in Richtung überprivilegierte-Kleinfamilien-Siedlung im Klosterviertel düsen, klappe ich meinen Kragen hoch und schlendere durch die Stadt. Eine Reihe meiner Freunde, und auch meine Familie, hat es sich in den vergangenen Wochen zur Eigenart gemacht, mir das Gefühl zu vermitteln, ich bräuchte für mein Singlesein einen Behindertenausweis.

„Ja, das Kind geht auch zu wenig unter Leute“, warf meine Mutter in die Kaffeerunde. Sie liebt es, mit anderen über mich zu reden, als sei ich nicht anwesend, während ich ihr genau gegenübersitze.

„Geh doch mal in die Disco, wie junge Leute das heute so machen“, hat meine Tante mir daraufhin geraten. Ich hasse Discos. Schon die solariumbraunen Hauptschulabsolventen am Eingang, die einem erzählen wollen, man sei sturzbetrunken, obwohl man gerade mal ein Bier getrunken hat, um dann mit strengem Blick auf deinen Ausweis zu starren. Als wüssten wir nicht alle, dass der IQ zum Nachrechnen kaum reicht. Und dann betrittst du die mit Glitzer besprühten Hallen. Das Erste, was dir vor die Augen kommt, sind 40 Kilo Schminke auf zwei Mädchen verteilt, das beste Paillettentop aus dem Schrank gekramt, den Push-up auf Anschlag. Und während Sean Paul durch dein Hirn schallt, bewegst du dich durch ein Meer wackelnder Hintern, gibst dein Hartverdientes für Cocktails mit Schirmchen aus, und wenn du Glück hast, begegnet dir jemand wie Katja, die schon ein Zettelchen für dich bereithält.

„Als ich so alt wie du war, hatte ich schon seit zwei Jahren einen Freund“, hat meine Schwester dann betont. „Na, schön für dich“, entgegnete ich zähneknirschend.

„Ich geh jetzt mal zum Speed-Dating. Komm doch auch mit. Leichter wird es einem sonst wirklich nicht gemacht, Männer kennenzulernen“, schlug mir meine dickliche Cousine vor, der ich auch schon Johannes zu verdanken hatte, doch ich will nicht. Da sitzt man so zum Sonderpreis von 39,99 € mit hochgeschnürten sekundären Geschlechtsmerkmalen und führt verschämte Zwangskonversationen mit Outlet-Singles und betreibt dabei, wahrscheinlich sogar ohne sich verlogen vorzukommen, verschrobene Selbstdarstellung, heftiger als bei jedem Vorstellungsgespräch. Nicht mein Ding.

„1, 2 oder 3, ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht, Singles dieser Welt“, nuschele ich mir in meinen imaginären Bart, während Matheos vertraute Kleinstadtkneipe meinen Weg kreuzt, ich kurz innehalte und hineinstarre. Der Laden ist voll, seine Insassen auch, und der Elektrobeat schallt dumpf zu mir auf die Straße. Im roten Licht, zwischen all den Köpfen, entdecke ich meine Schwester Lisa. Sie hält ein Glas Weißweinschorle am langen Arm in die Luft, während sie sich an einer Gruppe Jungs vorbeidrückt, die sie grinsend mustern. Kurz zögere ich, doch da habe ich schon den Türgriff in der Hand. Mit einem „Yeeeeeah!“ werde ich von Matheo begrüßt, der mir prompt ein schaumloses Bier und einen Deckel mit meinem Namen in großen verschmierten Lettern in die Hände drückt.

Als Lisa mich entdeckt, fällt sie mir überschwänglich um den Hals, und bald machen wir es uns auf einer Reihe Barhockern an der Wand gemütlich. Die Fluppe hängt entspannt zwischen meinen Lippen, die Kehle brennt vom Tequila. Wie ich es liebe, beinahe stocknüchtern dazusitzen und schweigend die betrunkene Menge zu beobachten. Es ist Samstagnacht, und wieder sind sie alle versammelt, die gebrandmarkten Insassen meiner ausstrahlungsarmen, seelenfressenden Betonklotzkleinstadt.

Vorteilhaft drapiert, billig dekoriert, allesamt im selben Hugo-Boss-Aftershave ersoffen. Niemand von ihnen ist wirklich aus Überzeugung hier, vielmehr sind sie hier gestrandet, von den nymphenartigen Lockrufen der Alkoholindustrie angezogen. Der Geist ist stark, das Fleisch ist rar. Es scheint Brunftzeit zu sein, denn alle tänzeln umeinander herum. Die Männer klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, um sich feierlich ins Spiel zu schicken. So machen sie sich zu vertrauten Fremden, die sich die Abwesenheit von Zweifel und Schüchternheit und deren Verwandten und Bekannten ertrunken haben und nun taumelnd dahängen.

Eine bekannte Mittvierzigerin schiebt sich grinsend eine Mettwurst zwischen die Dritten, und alle lachen dreckig. Ich glaube, ich muss kotzen. Es belustigt mich gleichzeitig, denn sie scheinen enthemmt, berauscht, belanglosen Radiopop in die Nacht prügelnd, als würden sie jedes Wort, das sie mitgrölen, genauso meinen. Auf minder kreativen Zweischrittfoxtrott tanzend, von links nach rechts dribbelnd.

Ein Finger bohrt sich in meine Schulter, und ich sehe zur Seite. Ein großer Typ mit breiten, ausladenden Schultern lächelt mich ein wenig aufgeregt an.

„Entschuldigung, aber bist du nicht Dana?“, schreit er gegen die Musik in mein Ohr und legt dabei seine Hand auf meine Schulter, als seien wir Vertraute.

„Ja“, schreie ich perplex zurück. Er riecht nach Bier und Aftershave.

„Die Praktikantin?“

„Wie bitte?“

„Ich bin Ben.“

„Wer?“

„BEN!“, schreit er noch lauter in mein Ohr. Ich lehne mich zurück und sehe in sein Gesicht. Er kommt mir bekannt vor, doch kann ich ihn nicht zuordnen.

„Sorry.“ Ich zucke mit den Schultern und grinse ihn freundlich an.

„Ich arbeite in der Nachtschicht. Bei der Firma, in der du Praktikum gemacht hast. Wir haben telefoniert!“

Jetzt geht mir ein Licht auf.

„Jaja …“, wedele ich mit der Hand in der Luft herum. „Wie hast du mich erkannt?“

„Ich muss gestehen, ich hab Jolie gebeten, mir dich auf Facebook zu zeigen.“

„Ah …“, lächle ich.

„Dein Praktikum ist jetzt vorbei?“

„Ja, genau.“

„Schade.“

„Ja, war eine lockere Zeit.“

„Kann ich mir vorstellen. Jolie wird ja eher fürs Rauchen bezahlt!“, lacht Ben. Er ist trotz seiner beachtlichen Größe niedlich. Er erinnert mich an den Teddy aus der Bärenmarkewerbung.

„Ich wollte es nicht aussprechen“, stimme ich in sein Lachen ein. Große braune Augen funkeln mich an. Sein Blick fährt an mir hoch und gleitet wieder hinunter.

„Ey, lass ma’ weiterziehen“, stößt ein ebenso großer Fremder zu uns und packt Ben bei der Schulter. Bens Augen huschen zu mir, dann wieder zu ihm, dann wieder zu mir.

„Ähm …“, beginnt er, als er sich wieder vorgebeugt hat und seine Wange meine berührt. „Hättest du Lust, dich mal mit mir zu treffen?“

„Öhm … ja, warum nicht?“, nuschle ich überrascht.

„Alter, jetzt komm …“, wirft der Fremde ein und ruckelt an Bens Schulter.

„Morgen?“, ruft Ben gehetzt.

„Morgen?“

„Ja, morgen.“

„Ja … meinetwegen.“

„Um drei am Bahnhof?“

„Okay.“

Zum Abschied drückt er mir einen Kuss auf die Wange und lächelt mich noch ein letztes Mal mit funkelnden Augen an, bevor er den Laden verlässt. Wie Matheo es immer macht, wenn er sieht, dass ich mich unter seinem Partyvolk langweile, schmuggelt er einen dreckigen Rocksong zwischen die Kommerzdudler, und ich schwinge mich mit Lisa auf die Tanzfläche. Wieder bohrt sich ein Finger in meinen Rücken. Ich drehe mich um, erwarte wieder Ben, aber falsch. Ein kleiner Skater in meinem Alter mit strohblondem verwuscheltem Haar, auf dem eine bunte Snowboardermütze liegt, steht vor mir. Ich mustere seine Markenklamotten, mein Blick wandert an ihm hinauf. Ich erwidere sein benebeltes Lächeln. Er beugt sich vor, sein Kinn streift meine Schulter, als auch er sich an mein Ohr schmiegt, als seien wir Vertraute.

„Ich hab dich gesehen, und ich finde, du bist anders. Ich bin auch anders. Wir sollten uns zusammentun.“

„Anders?“, schreie ich ein wenig verwirrt gegen die Musik an. „Na, alternativ!“

Meine Augen beginnen prompt das Strahlen.

Wir stellen uns in eine einsame Ecke der Bar und beginnen zu reden, knallen uns Bandnamen um die Ohren, reden über Festivals, und ich gebe mir die größte Mühe zu verbergen, dass ich lang nicht so tief drinstecke, wie er es tut. Ich hänge an seinen Lippen, sehe ihm fasziniert dabei zu, wie er besoffen wild gestikuliert, immer wieder die Hände an den Kopf legt, als würde ihm jede Sekunde der Schädel platzen, absolut begeistert von all den Dingen spricht, die auch in mir so viel auslösen.

Bald landen wir draußen bei einer Handvoll Rauchern, die sich in der klirrend kalten Nacht aneinanderdrücken, und hocken uns auf eine Mauer. Er rutscht immer näher, bald legt er seinen Arm um mich.

„Dortmund ist doch tot. Jedenfalls was unsere Altersgruppe angeht. Jeder, der ein bisschen was im Kopf hat, geht, wenn er kann, und der Rest hängt frustriert an den Bushaltestellen herum. Das deprimiert“, philosophiert er vor sich hin und nimmt mal wieder die Hände an den Kopf.

„Nun sind wir aber noch hier.“

„Ja. Wir armen Schweine.“

Wir prusten beide laut los, und ich kippe etwas Bier in meinen Schal statt in meinen Mund.

„Ich meine, hier gibt es so wenige wie uns!“, fährt er fort, und ich muss lachen, da er von uns spricht, als seien wir eine vom Aussterben bedrohte Tierart oder die letzten Illuminaten.

„Manchmal, wenn ich ein Bandshirt sehe oder ein Festivalbändchen, dann fühle ich mich halt direkt verbunden.“

Noch eine Weile sitzen wir da, auf der kalten Mauer, und reden Blödsinn. Gegen Sonnenaufgang fährt mein Lieblingsfahrer am Taxistand vor und winkt mir durch die Autoscheibe zu. Ich springe von der Mauer.

„Ich geh dann mal.“

Plötzlich springt der kleine Skater ebenfalls auf, drückt sich an mich, packt mich mit festem Griff und drückt seine kalten Lippen auf meine. Eine Weile mache ich mit, doch komme ich mir vor wie ein hilfloser Teenager. Also lasse ich ab, flüstere noch ein zartes „Ciao“ und drehe mich um.

„Nach Hause?“, lächelt Georgius, als ich in seinem eierschalenfarbenen Benz sitze. „Ja, nach Hause.“

Angezogen falle ich ins Bett, fahre Karussell und spüre, wie die Trunkenheit weicht. Mein Kopf fühlt sich weich an, Schmerz blitzt über meiner Stirn auf.

Ich habe mir fest vorgenommen zu schlafen, bis mir die Knochen vom Liegen wehtun, doch meine Mutter macht mir einen Strich durch die Rechnung. Gegen elf jagt sie mich aus dem Bett, und ich streife mit Slatko durch den Wald. Der Tag verspricht beinahe scheiße zu werden, doch dann fällt mir alles wieder ein: Ben! Date! Drei Uhr! Ein Schmunzeln macht sich breit, und ich stapfe zurück zum Haus.

Heute mag ich mich. Das ist ein seltenes Geschick, deshalb schlägt es sich auch prompt in meinem Äußeren nieder. Die Haare liegen locker-flockig, die Jeansjacke federt auf der Taille, ich fühle mich gut. So schreite ich in Richtung Bahnhof, wo Ben und ich um drei verabredet sind. Ich sehe ihn schon von Weitem. Er steht neben einer zerkratzen orangefarbigen Bank, auf der normalerweise zu jeder Tageszeit eine Oma mit Rolli oder Gehhilfe platziert ist, doch heute ist sie frei. Er unterhält sich mit einem braun gebrannten Typen, wippt aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. Neben ihm sieht der andere aus wie ein winziger Schokoladenzwerg. Ben trägt eine schlichte Jeans und ein Hemd mit, sagen wir, interessantem Karomuster.

 

„Ben?“, hauche ich mit meiner flirty Stimme. Er reißt den Blick vom Südländer weg und schmeißt ihn zu mir. „Dana!“, presst er hervor.

Er wirkt ganz hibbelig. Ein nasser Kuss auf die Wange folgt. „Gehen wir ein bisschen bummeln?“, frage ich grinsend.

„Was auch immer“, haucht er. Hat er gekifft, um sich locker zu machen, ist er nervös, oder ist das einfach seine Art?

Wir laufen den mit Kopfstein gepflasterten Weg hinunter in Richtung Innenstadt. Die Sonne fällt mir angenehm warm auf Kopf und Nacken. „Warst du dieses Wochenende beim Eishockey?“, frage ich, um das Eis zu brechen. Nicht dass es mich interessieren würde, aber ich kann mich erinnern, dass da irgendwas auf seiner Facebookseite stand, von wegen Wochenenden in Sonderzügen und Abenden auf der Fantribüne. Heute Mittag habe ich noch kurz im Internet recherchiert, wollte nicht gänzlich unwissend sein.

„Ja! War super!“ Er lächelt mich schüchtern von der Seite an.

„Du bist also Fan von den Roosters.“

„Ja, schon lange.“

„Aber die verlieren doch ständig, oder nicht?“

„Ich bin halt nicht nur Fan, wenn der Pokal im Schrank seht“, kommt es wie aus der Pistole geschossen zurück.

„Ja, aber wenn es nie was zu feiern gibt, ist das doch auch langweilig, oder nicht?“

Er zuckt nur mit den Schultern. Da fällt mir auf, er trägt ein dünnes silbernes Kettchen, das irgendwo zwischen Brusthaaransatz und Hemdkragen verschwindet. Ich mag keine Männer, die Halsketten tragen, weil meine Mutter sie auch nicht mag. Aber na ja, ich werde ihm wohl noch eine Chance geben.

Als wir in der Menge untertauchen, wirkt Ben noch immer ein wenig unentspannt. Ständig späht er herüber zu mir, und wenn ich dann zurückschaue, streut das Lächeln in seinem Gesicht zu einem riesigen fetten Grinsen. Um uns schwirren Kinder mit tropfenden Eishörnchen, Frauen mit großen Sonnenbrillen und Männer mit schlechten Tattoos aus dem vorvorletzten Sommer umher.

„Ich hab dich schon vor unserem Telefonat gekannt“, gesteht er, als wir von der Fressmeile auf die Straße voller orientalischer Kramläden wechseln.

„Wie meinst du das?“

„Du hast doch mal in einem Restaurant gearbeitet, unten am See, oder nicht?“

„Ja, und?“

„Ich war da mal, und du hast gekellnert.“

Es gab nur eine ungefähr zweiwöchige Phase, in der ich kellnerte, bis alle sich von meiner Fallsucht überzeugt hatten und ich in die Küche verfrachtet wurde, wo das Geschirr auf dem PVC-Belag nicht ganz so schnell zersprang. Doch in dieser kurzen Zeit war ich gestresst, verschwitzt und genervt von alten Männern, die einem gönnerhaft 20 Cent Trinkgeld geben und dann noch ein „Aber gib nicht alles auf einmal aus!“ hinterherschieben.

„Ich hab mich an dich erinnert, als ich dich wiedergesehen habe. Du hast an dem Tag ein schwarzes Shirt mit der Grinsekatze aus Alice im Wunderland getragen und warst schnell im Biernachschenken. Ich hab meinen Bruder ins Haus tragen müssen“, schließt er seine Story, und ich freue mich, da das Grinsekatzen-Shirt tatsächlich in meinem Schrank hängt.

Die Rolltreppe im Kaufhaus treibt uns näher zueinander, unentwegt lächelt er mich schüchtern an. Ich mag seine unaufdringliche, zurückhaltende Art.

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