Gelassene Eltern - zufriedene Kinder

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Nimm so oft du kannst, die Schönheit und Freude jedes Augenblicks in dir auf. Hör auf zu hetzen und schwelge im Lachen deines Kindes, dem Duft seines Haars, seiner Freude darüber, wenn es etwas Neues gemeistert hat. »Die Fülle zu genießen« lässt deine Seele auftanken. Wenn du ganz und gar präsent bist, inspiriert das deine Kinder, sich mit dir zu verbinden und zu kooperieren. Und es heilt dich davon, dich auf dem Altar der Elternschaft zu opfern.

Zehn Regeln, wie du das Heranwachsen wunderbarer Kinder begleitest

Innerhalb eines einzigen Monats habe ich an meiner Tochter große Veränderungen beobachtet. Gelingt es mir nämlich, ruhig zu bleiben und die Situation in ein Spiel oder einen Scherz zu verwandeln, während ich weiterhin die Regeln durchsetze, bekommt sie keinen Wutanfall. Sie folgt besser, wenn ich »Nein« sage, und ist einfach zufriedener und umgänglicher. Es kommt wirklich darauf an, dass ich mich besser verhalte, dann tut sie das auch!

BRIANNA,

Mutter einer Zweijährigen.

Oft fragen mich Eltern, wie es gelingen kann, großartige Kinder ins Leben zu begleiten. Mir scheint, dass dabei die wichtigsten Regeln für uns gelten, nicht für unsere Kinder. Wir beginnen damit, dass wir für uns selbst Verantwortung übernehmen und enden mit Verbindung als ultimativer Regel. Bei allem anderen dazwischen geht es um langfristiges Coachen.

1. Die wichtigste Elternfähigkeit: Reguliere dich selbst. Sorge gut für dich selbst, damit du nicht an deinen Kindern Dampf ablässt. Greife ein, bevor deine eigenen Gefühle außer Kontrolle geraten. Halte deinen Tank gefüllt. Je mehr du dich mitfühlend um dich selbst kümmerst, umso mehr Liebe und Mitgefühl hast du auch für dein Kind. Denke daran, dass dich dein Kind in allem nachahmen wird, was du tust, ob du herumschreist oder abwertende Bemerkungen über deinen Körper machst.

2. Die wichtigste Elternverpflichtung: Sei Fürsprecher deines Kindes und gib es nie auf. Eine Blume, die nicht gedeiht, schreist du ja auch nicht an: Du wirst sie gießen. Erkenne an, wo sich dein Kind gerade befindet. Gehe auf seine Bedürfnisse ein und nicht darauf, wovon du glaubst, dass es das braucht. Jedes Kind verdient mindestens einen Menschen, der 110 prozentig auf seiner Seite steht. Das heißt nicht, dass dein Kind immer recht hat. Es bedeutet vielmehr, dass dein Kind immer jede zusätzliche Mühe wert ist, dass jedes Quäntchen Liebe, das du in dein Kind investierst, Gutes bewirkt.

3. Das wichtigste Erziehungsgeheimnis: Entgegen aller darüber verfassten Bücher funktioniert Disziplinierung nicht. Durch Strafe wird das Verhalten deines Kindes immer verschlimmert. Sie zu vermeiden, ist das Wichtigste, was du tun kannst, um verantwortungs- und rücksichtsvolle Kinder großzuziehen. Statt dein Kind zu bestrafen, leitest du es liebevoll an und setzt zwar seinem Verhalten Grenzen, begegnest jedoch seinen Gefühlen immer mit Empathie, auch jenen, die das Kind aufgrund deiner Grenzsetzung fühlt. Sowohl Empathie als auch Anleitung undGrenzen sind wesentlich; nichts davon ist für sich allein ausreichend.

4. Was Kinder brauchen, dir aber niemand sagt: einen sicheren Ort, um Gefühle auszudrücken, während du »zuhörst«. Wenn du ein Kind so ins Leben begleiten willst, dass es sein Verhalten steuern kann, muss es erst die Emotionen steuern können, die dieses Verhalten antreiben. Und wenn du ein Kind willst, das seine Emotionen steuern kann, dann muss es zuerst wissen, dass es einen sicheren Ort (in deinen Armen) zum Weinen und Toben hat, wo es nicht vorschnell beruhigt wird. Lachen setzt dieselben Spannungen frei wie Weinen, daher ist auch das Spielen ein wunderbarer Weg, um Kinder darin zu unterstützen, ihre Ängste und Enttäuschungen auszudrücken. Kinder, die von klein auf im Umgang mit ihren heftigen Gefühlen unterstützt werden, lernen sehr bald die eigenen Gefühle (und daher auch ihr Verhalten) zu steuern.

5. Wovon sich dein Kind wünscht, dass du es begreifst: Dein Kind ist eben ein Kind und versucht sein Allerbestes. Rechne mit altersentsprechendem Verhalten, nicht mit Perfektion, und achte auf deine Prioritäten. Dein Kind nimmt vor deinen Augen Gestalt an – es entwickelt sich noch und wird aus fast allem unangemessenen Verhalten herauswachsen. Sein unordentliches Zimmer ist weniger wichtig als sein Verhalten gegenüber dem kleinen Bruder.

6. Das nützlichste Mantra: Nimm es nicht persönlich. Egal, was dein Kind tut: Dir wird es viel leichter fallen, darauf gelassen zu reagieren, wenn du merkst, sobald dich etwas triggert. Hier geht es aber nicht um dich, sondern um dein Kind, einen sehr jungen Menschen, der sein Bestes tut, um mit deiner Unterstützung zu lernen und zu wachsen. Kultiviere deinen Sinn für Humor. Das wird dir auch bei der Vermeidung von Machtkämpfen helfen. Bestehe nicht darauf, recht zu haben; hilf deinem Kind vielmehr, sein Gesicht zu wahren. Wenn deine inneren Knöpfe aktiviert werden, betrachte das als Gelegenheit, diesen Knopf ans Licht zu bringen, damit er keine Macht mehr über dich hat.

7. Woran du dich erinnern musst, wenn schwierige Zeiten kommen: Jedes Fehlverhalten hat seinen Ursprung in unerfüllten Grundbedürfnissen. Erfülle die Bedürfnisse deiner Kinder nach Schlaf, Nahrung, Zeit zum Ausspannen, Kuscheln, Verbindung, Spaß, Meisterschaft und Sicherheit. Lass die Kinder im Vorfeld wissen, welches Verhalten du von ihnen erwartest. Kinder wollen erfolgreich sein. Baue ihnen Stück für Stück ein »Gerüst«, mit dessen Hilfe sie das Gewünschte auch bewältigen können. (Tun sie es nicht, ist das ein Beziehungs- und kein Verhaltensproblem.)

8. Der beste Erziehungsspezialist? Dein Kind. Erlaube ihm, dir vom frühesten Säuglingsalter an, zu zeigen, was es braucht. Höre mit dem Herzen zu. Sei bereit dich zu verändern und zu wachsen – und lerne, diesen Prozess zu genießen.

9. Das einzig Beständige? Veränderung. Was gestern funktioniert hat, wird morgen nicht mehr gelten, also muss sich dein Erziehungsansatz in dem Maß verändern, wie sich die Kinder entwickeln. Offenbar bekommt jeder von uns das perfekte Kind, das uns zeigt, was wir zu lernen haben.

10. Das Allerwichtigste: Bleibt miteinander verbunden und entziehe deinem Kind niemals deine Liebe, nicht einmal für einen Augenblick. Schütze vor allem anderen die Beziehung zu deinem Kind. Der tief greifendste Grund, weshalb ein Kind kooperiert, ist der, dass es dich liebt und dir gefallen will. Nur über die Liebe kannst du auf dein Kind Einfluss nehmen. Liebe braucht dein Kind am meisten. Und diese Nähe macht alle Opfer des Elterndaseins wett.

TEIL ZWEI

Förderung von Verbindung

In den Augenblicken, in denen ich innehalte, überprüfe, was in meinem Kopf abgeht und mich wieder mit der Wahrheit verbinde, dass ich meine Kinder liebe und dazu bereit bin, für sie da zu sein, wendet sich das Blatt. Meine Kinder fühlen die Liebe, sie fühlen sich bestätigt und gehört. Wenn ich einfach weiter haste, den Kopf voll mit »zeitraubendem Erwachsenenkram«, dann mache ich das Leben für mich und meine Kinder so viel schwieriger. Diese Trennung lässt uns alle leiden.

AMBER,

Mutter von zwei Kindern

2

Die wesentliche Voraussetzung für gelassene Eltern und zufriedene Kinder

Das sichere Wissen, jemanden an der Seite zu haben, der auf es achtgibt, erlaubt es Kindern Beulen, Kratzer und Enttäuschungen zu riskieren, in anderen Worten: zu lernen, zu wachsen und Resilienz zu entwickeln. Fühlen sich Kinder mit uns sicher verbunden, dann lernen sie, sich selbst und andere zu lieben. An der Wahrheit des alten Sprichworts, dass wir unseren Kindern Wurzeln geben, damit sie später Flügel entwickeln können, hat sich bis heute nichts geändert. Sie brauchen nach wie vor eine sichere Verbindung, damit sich ihre Wurzeln fest verankern. Deshalb gehört die Förderung von Verbindung zu den drei zentralen Hauptprinzipien dieses Buches.

Wie wir sehen werden, enthält das Fördern von Verbindung auch unsere beiden anderen Hauptprinzipien. Coaching statt Kontrolle ist nämlich gar nicht möglich, wenn deine Kinder nicht das Gefühl haben, dass du auf tief gehende, wortlose Weise mit ihnen verbunden bist. Und was die Selbstregulation betrifft, so wird durch deine eigene emotionale Integrität bestimmt, wie tief du dich mit deinem Kind verbinden kannst.

Weshalb Verbindung das Geheimnis zufriedener Eltern ist

Eltern gehen an die Verbindung zu ihrem Kind manchmal wie an eine Pflicht heran. Dabei haben wir ja schließlich schon eine lange Liste an Verpflichtungen und wonach wir uns wirklich sehnen, ist eine Stunde für uns allein, in der niemand an uns herumzerrt. Aber diese bereichernde Verbindung ist ja gerade die Belohnung dieser harten Arbeit. Die herzerwärmenden Momente mit unseren Kindern sind all die sehr realen Opfer wert. Und unsere Kinder müssen wissen, dass wir uns an ihnen freuen, andernfalls betrachten sie sich nicht als liebenswert. Vielleicht ist sogar die Fähigkeit, dich an deinem Kind zu freuen der wichtigste Faktor für seine Entwicklung. Sie ist es, die dich – automatisch – dazu bringt, all das zu tun, was ihm beim Gedeihen hilft – angefangen vom Gurren während der Säuglingszeit über Raufspiele im Alter von drei Jahren bis hin zum Plaudern, wenn es fünf ist.

Diese tiefe Verbindung macht gelassene Elternschaft überhaupt erst möglich. Kinder kooperieren freiwillig, ja sogar begeistert, wenn sie glauben, dass wir auf ihrer Seite stehen. Wenn sie nicht im tiefsten Inneren darauf bauen können, erscheinen ihnen unsere Verhaltensnormen unfair, im Widerspruch zu dem, was sie als in ihrem besten Interesse wahrnehmen, ob das nun bedeutet, sich das größte Kuchenstück zu nehmen oder uns anzulügen.

 

Egal wie viele »Erziehungsfertigkeiten« du lernst, eine beschädigte Eltern-Kind-Bindung können sie nicht wettmachen. Das fühlt sich dann an, als würdest du mit dem Fahrrad einen sehr steilen Berg hochfahren. In einer guten Beziehung fühlt sich das Wachsen mit Kindern dagegen so an, als würdest du bergab rollen – du musst zwar noch immer aufmerksam sein und auf dem Weg bleiben und gewiss gibt es auch Drehungen und Wendungen, aber du hast jetzt die Schwungkraft auf deiner Seite.

Eine enge Bindung macht uns unser angeborenes Elternwissen zugänglich und erlaubt es uns, die Dinge aus der Perspektive unseres Kindes zu betrachten, was unsere Einfühlsamkeit zusätzlich stärkt. Und es führt dazu, dass sich die Kinder stärker unserem Einfluss öffnen, sogar dann, wenn sie in die größere Welt der Freunde, Schule und ihr weiteres Leben hinausziehen. Studie um Studie zeigt, dass Teenager vor den Exzessen in unserer Kultur und in Gruppen Gleichaltriger am besten durch eine enge Beziehung zu ihren Eltern geschützt werden.

Betrachten wir, wie sich diese Verbindung im Lauf der Kindheit entfaltet.

Verbindung, während dein Kind heranwächst

Babys (0–13 Monate): Verdrahtung des Gehirns

Was ist für dein Baby ebenso wichtig wie Nahrung, damit es sich optimal entwickelt? Verbindung. Menschen werden mit der Bereitschaft geboren, zu lieben und geliebt zu werden. Jegliche emotionale Entwicklung – einschließlich der Fähigkeit unsere Emotionen und unsere Laune zu regulieren, Belohnungen aufzuschieben und gesunde Liebesbeziehungen zu entwickeln – baut auf der liebevollen Fürsorge auf, die wir im Säuglingsalter erleben. Tatsächlich formt sich das Gehirn als unmittelbare Reaktion auf die Interaktionen mit unseren Eltern.

Neugeborene kommen mit einem Gehirn auf die Welt, welches viel Entwicklungsarbeit zu leisten hat. So wird die menschliche Flexibilität erhalten, sich an verschiedene Umweltbedingungen anzupassen. Also wird die Weise, wie du mit deinem Kind in seinem ersten Lebensjahr interagierst, sehr stark bestimmen, wie Gehirn und Nervensystem für den Rest seines Lebens verdrahtet sein werden. Dein Baby lernt aus dem Kontakt mit dir, wie es sich physiologisch und damit psychologisch reguliert. Deine liebevolle Berührung reguliert seinen Stress und die Ausschüttung seiner Wachstumshormone. Sein Herzschlag synchronisiert sich mit deinem. Wie Sue Gerhardt in Die Kraft der Elternliebe: Wie Zuwendung das kindliche Gehirn prägt, beschreibt, »wird … im Baby die (ihm normal erscheinende) Bandbreite der Erregung ausgebildet« und zwar: »in Koordination seines Systems mit dem der Menschen in seiner Umgebung. Babys depressiver Mütter stellen sich auf geringe Stimulation ein und gewöhnen sich an einen Mangel an positiven Gefühlen. Babys von aufgeregten Müttern bleiben vielleicht übererregt und nehmen Gefühle als etwas wahr, das einfach aus einem herausbricht.«1

Im normalen Wechselspiel, das sich zwischen Eltern und Baby automatisch ergibt, funktioniert das so: Dein Baby schaut dich an. Du lächelst und gurrst. Es lächelt zurück und strampelt begeistert. Du gurrst und lächelst noch begeisterter, um dich auf seine Ausgelassenheit einzustimmen, und ihr führt einen »emotionalen Tanz« auf, währenddessen ihr euch immer liebevoller und ausgelassener fühlt. Nach einer Weile reicht deinem Baby die Aufregung. Es muss sich beruhigen, in einen weniger erregten Zustand zurückkehren. Es schaut weg. Einige Eltern würden dennoch seinen Blickkontakt suchen, um ihm noch mehr Lächeln zu entlocken, aber du bist auf dein Baby gut eingestimmt. Du merkst, dass es eine Pause braucht. Deine Stimme wird beschwichtigender. Vorsichtig schaut dich dein Kind wieder an: Ist es sicher, sich wieder zu beteiligen? Aber ja. Du lächelst sanft, nachdem auch du dein Energieniveau heruntergefahren hast. Dein Baby kuschelt sich zufrieden bei dir ein. Du hast seinen Hinweis aufgenommen. So lernt dein Kind, dass es seine Bedürfnisse ausdrücken kann und du unterstützend darauf reagierst. Es lebt in einem herrlichen, sicheren Universum. Darin gibt es Aufregendes und Beruhigendes. Mit deiner Hilfe kann es mit allem umgehen, was kommt.

Was ist geschehen? Dein kleines Kind hat aus der gemeinsamen Interaktion eine wichtige Selbstregulations-Lektion gelernt. Es kann zufrieden werden, aufgeregt, sogar übererregt. Wenn es sich dabei immer stärker dysreguliert, davongetragen fühlt, kann es ein SOS aussenden. Du wirst ihm helfen, sich zu beruhigen. Das Leben ist sicher. Oder, genauer, du hältst dein Kind in Sicherheit. Du hilfst ihm, seinen Gefühlszustand zu regulieren, egal, ob es dabei um gute oder schlechte Gefühle geht. Seine Bindung zu dir wird ihm Sicherheit vermitteln. Es kann dem Universum vertrauen.

Während des ersten Lebensjahres deines Kindes wird diese Interaktion viele Male wiederholt. Wir wissen genau, dass dein Kind eine Lektion über Vertrauen lernt, die sich physiologisch tief in sein Gehirn einprägt. Während dieser und in allen folgenden Interaktionen geschieht, laut dem Neurobiologen Allan Schore, Folgendes: »Die Mutter lädt Emotionsprogramme auf die rechte Gehirnhälfte des Kindes herunter. Das Kind verwendet den Output der rechten Gehirnhälfte der Mutter als Vorlage für die Prägung, die feste Verdrahtung von Nervenschaltkreisen in seiner eigenen rechten Hemisphäre.«2 Du bestimmst sogar die Größe seines Hippocampus3 (seine stärkere Entwicklung führt zu besserem Lernen, Stressmanagement und größerer geistiger Gesundheit), des anterioren Gyrus cinguli (emotionale Regulation) und der Amygdala (emotionale Reaktivität). Diese frühe Hirnverdrahtung beeinflusst Zufriedenheitsniveau und Laune im späteren Leben, denn eine bessere Verdrahtung bedeutet eine bessere Fähigkeit, sich mit anderen zu verbinden, positive oder negative Emotionen zu regulieren und sich selbst zu beruhigen.

Die Verbindung zu deinem Baby zur Priorität zu machen, erleichtert dir seine Pflege, denn so wird es ein zufriedenes Baby, das zu einem sich geborgen fühlenden, zufriedenen, kooperativen Kind heranwächst. Beruhigung ist für alle Säuglinge wesentlich, da das Gehirn die Fähigkeit zur Regulation negativer Emotionen direkt aus der Erfahrung entwickelt, beruhigt zu werden. Die meisten, wenn auch nicht alle Säuglinge bestehen darauf, sehr oft gehalten und getragen zu werden, was ihre physiologische Regulation unterstützt. Das Schlafmuster der Neugeborenen synchronisiert sich mit dem der Mutter, daher können Säuglinge, die in der Nähe der Mutter schlafen, Erregungsniveau und Atmung besser steuern, was das Risiko für den plötzlichen Kindstod (SIDS Sudden Infant Death Syndrom) verringert. Dich mit dem Kind zu verbinden, hilft dir, auch seine besonderen Hinweise und Bedürfnisse zu verstehen, was wiederum dein Selbstvertrauen in der Elternrolle stärkt. Sobald das Baby lernt, dass es von seinen Betreuern zuverlässig versorgt und beschützt wird, baut es an seinem inneren Gefühl von Geborgenheit, während es die nächsten Entwicklungsaufgaben ansteuert: Exploration, Meistern seiner Umwelt und das Knüpfen von Beziehungen.

Vielleicht hältst du das sogenannte Attachment Parenting (bindungsorientierte Elternschaft) für einen neuen Trend, der oft Dr. Bill Sears zugeschrieben wird. Aber daran ist nichts neu; wir machen das schon seit Bestehen der Menschheit. Dr. Sears sagt selbst: »Bindungsorientierte Elternschaft ist kein neuer Erziehungsstil … vielmehr ist es die Art und Weise, wie Eltern jahrhundertelang für ihre Babys gesorgt haben, bevor die Kinderspezialisten die Bühne betreten haben und die Eltern dazu brachten Ratgeberliteratur ernster zu nehmen als ihre Babys.« Bindungsorientierte Elternschaft wird heute durch eine ansehnliche Menge an Theorie und Forschung gestützt, aber die grundlegende Idee ist einfach und erschließt sich intuitiv. Im Vergleich zu anderen Säugetieren werden menschliche Babys in einem hilflosen Zustand geboren. Sie brauchen ihre Eltern so lange in engster Nähe, bis sie allein überleben können.

Leider hat sich in unserer Gesellschaft der Mythos entwickelt, dass bindungsorientierte Elternschaft von den Eltern ein Leben in ständiger Selbstaufopferung verlangt. Das stimmt einfach nicht. Du musst dein Baby nicht ständig an dir tragen oder mit ihm in einem Bett schlafen, um zu ihm eine sichere Bindung aufzubauen. Die einzige wesentliche Richtschnur für den Aufbau einer gesunden Bindung beinhaltet – und wieder handelt es sich um gesunden Menschenverstand –, dich auf die Hinweisreize des Babys einzustimmen und darauf zu antworten. Und genau das wollen doch die meisten Eltern in ihrem tiefsten Innern, oder?

Also wollen wir die bindungsorientierte Elternschaft neu definieren. Es bedeutet einfach, sowohl auf die emotionalen als auch körperlichen Bedürfnisse des Babys einzugehen, was im Säuglingsalter meist beinhaltet, dass es sich in Elternnähe aufhält. Wie bei allen elterlichen Fähigkeiten hängt dieses Eingehen von unserem eigenen emotionalen Wachstum ab. Tatsächlich ist die Forschung dazu sehr aufschlussreich. Wir können bereits während der Schwangerschaft – noch bevor das Kind überhaupt auf der Welt ist – vorhersagen, ob das Kind zu Mutter oder Vater eine sichere Bindung haben wird. Wie? Einfach, indem wir Mutter und Vater über die eigene Kindheit befragen. Hatten wir selbst eine sichere Bindung zu unseren Eltern, wird das bei unserem Baby fast sicher ebenso der Fall sein. Hatten wir andererseits Eltern, die unsere Bedürfnisse nicht verlässlich erfüllt haben und wir folglich sehr mit unserem Wunsch nach Verbindung oder der Vermeidung derselben beschäftigt waren, dann wird uns eine innige Bindung zu unserem Kind unbehaglich sein. Zum Glück wird diese Korrelation nicht nur davon bestimmt, was du erlebt hast, sondern auch, wie du es verarbeitet hast. Wenn du über deine Kindheit reflektierst, die Emotionen aufsteigen lässt und deine Lebensgeschichte von einer mitfühlenden, reifen Warte aus betrachtest, wächst tatsächlich dein orbitalfrontaler Cortex (der orbitale Teil des Präfrontalen Cortex) – und befähigt dich dazu, auf dein Kind einfühlsam einzugehen und zu ihm eine sichere Bindung aufzubauen. Wie wir uns als Eltern mit unserer eigenen Bindungsgeschichte versöhnt haben, ist eine zuverlässigere Vorhersagevariable für eine sichere Bindung als andere Faktoren, einschließlich spezieller Praktiken wie das gemeinsame Schlafen in einem Bett oder sogar die Zeit, die du mit deinem Kind verbringst. Während du deine eigene Kindheit verarbeitest, wirst du erfreulicherweise auch auf subtile Weise für dein Kind emotional besser verfügbar und es gedeiht dementsprechend gut, egal ob Säugling oder Schulkind. Machst du dir Sorgen, ob du in der Babyzeit auf dein Kind genügend eingestimmt warst? Der optimale Aufbau der Gehirnstruktur in den ersten drei Jahren der Gehirnentwicklung deines Kleinen ist einem späteren Umbau natürlich vorzuziehen. Die jüngste Forschung zeigt jedoch, dass sich das Gehirn ein Leben lang verändert und wächst. Wenn du deinen Vier- oder Sechsjährigen beruhigst, dann lernt auch sein Gehirn noch von dir, wie es sich beruhigen kann. Vielleicht muss er ein wenig länger weinen, damit seine Erfahrung von Verlassensein oder Angst geheilt wird, aber er ist immer noch jung und offen genug dafür. Entscheidend für die Überwindung seiner früheren Verletzungen ist dabei, wie geduldig du mit seinen emotionalen Ausbrüchen umgehst. Dann wird es einfach noch wichtiger, dich daran zu erinnern, dass sein herausforderndes Benehmen ein Hilferuf nach deiner emotionalen Unterstützung ist. Verständnis für dein Kind ist immer heilsam.

Und Eltern, die immer im Einklang mit ihrem Baby sind, gibt es nicht. Wie der Forscher Edward Tronick sagt: »Nur etwa zwanzig bis dreißig Prozent der Zeit verläuft eine Interaktion ›perfekt‹ synchron. Die übrige Zeit wechselt sie zwischen synchron, nicht synchron, oder sie finden gerade wieder zur Synchronizität zurück. Dieses Nicht-synchron-sein befreit Eltern von der ständigen Bürde des Perfektionismus – denn man kann nicht perfekt sein. Egal, wie sehr Sie sich anstrengen, es funktioniert nicht. Wenn Sie sich neu verbinden, kann es unter anderem manchmal geschehen, dass Sie etwas Neues erschaffen: Sie finden einen neuen Weg etwas gemeinsam zu tun, das Sie noch nie zuvor getan haben. Wenn Sie etwas Neues schaffen, wachsen Sie. Und bei Babys geht es ums Wachsen«4.

BINDUNG EINSCHÄTZEN

Die »Fremde Situation« inszeniert eine kurze aber aufreibende Trennung und Wiedervereinigung in einer für das Kind fremden Situation. Fünfzehn Monate alte Kinder werden anhand ihrer Reaktion folgendermaßen eingeteilt:

Sicher gebunden: Diese Kleinkinder protestieren, wenn der Elternteil geht, und lassen sich bei seiner Rückkehr leicht von ihm trösten. Als sicher gebunden bezeichnet, werden sie durch die Trennung zwar vielleicht gestresst, vertrauen jedoch darauf, dass der Elternteil bei seiner Rückkehr Trost und Sicherheit spenden wird. Es stellt sich heraus, dass sie zu dem Elternteil, an den sie sicher gebunden sind, eine bessere Beziehung haben, aber das ist noch nicht alles. Im Lauf ihrer Entwicklung werden diese Kinder in praktisch allen Bereichen als besser anpassungsfähig eingestuft, auch im Zwischenmenschlichen und Schulischen.

 

Unsicher-ambivalent: Diese Kleinkinder protestieren beim Weggehen des Elternteils, weisen jedoch bei seiner Rückkehr Trost zurück. Offensichtlich haben sie die Lernerfahrung gemacht, dass sie sich nicht immer darauf verlassen können, dass der Elternteil ihre Bedürfnisse erfüllt. Sie wirken sogar ärgerlich, als ob ihnen vom Elternteil etwas Notwendiges vorenthalten wird. Im Lauf ihrer Entwicklung bleiben diese Kinder darauf fokussiert, Bestärkung für Beziehungen zu suchen, aber aufgrund ihrer tief gehenden Bedürftigkeit neigen sie dazu, sich in unbefriedigenden Beziehungen zu verstricken. Ihre ständige Suche nach Liebe hält sie vielleicht davon ab, sich anderen altersentsprechenden Entwicklungsaufgaben zu widmen, wie dem Lernen von Unabhängigkeit und dem Experimentieren damit. Diese Kinder beschäftigen sich auf der Suche nach Erfüllung unbefriedigter Bindungsbedürfnisse oft übermäßig mit Gleichaltrigen.

Unsicher-vermeidend: Diese Kleinkinder protestieren vielleicht beim Weggehen des Elternteils gar nicht und suchen bei seiner Rückkehr auch keinen Trost. Offenbar drücken sie keine altersentsprechenden Bedürfnisse nach Verbindung aus, weil sie davon ausgehen, dass sie in der Beziehung nicht erfüllt werden. Obgleich sie in dieser experimentellen Situation selbstständiger wirken, sind sie in der Schule und zu Hause gar nicht selbstständiger und werden von Erzieherinnen und Erziehern aus der Tagesbetreuung sogar als weinerlicher und fordernder als Gleichaltrige eingeschätzt. Werden ihre physiologischen Funktionen während der fremden Situation aufgezeichnet, stellt sich sogar heraus, dass die Herzschlagfrequenz und das Cortisolniveau dieser Kinder emporschnellen, ein Hinweis darauf, dass sie zwar gelernt haben, es zu verbergen, aber tatsächlich emotional sehr erregt sind, wenn der Elternteil das Zimmer verlässt. Im Laufe ihrer Entwicklung finden diese einsamen Kinder ihre emotionalen Bedürfnisse überwältigend und angsterregend und unterdrücken sie deshalb. Sie werden für Intimität keine große Kapazität entwickeln, es sei denn, sie machen eine Psychotherapie oder erleben eine andere transformierende Liebesbeziehung. Während sie vielleicht mit schulischen oder sportlichen Erfolgen glänzen, schränkt das Fehlen sozialer Fähigkeiten ihre Zufriedenheit und sogar berufliche Erfolge ein.

Kleinkinder (13 – 36 Monate):

Aufbau einer sicheren Bindung

Wir betrachten, was mit der Eltern-Kind-Bindung geschieht, wenn unser Baby das berüchtigte »Trotzalter« erreicht. Als Kleinkind ist es nun in der Lage physiologische Vorgänge zu steuern, ist aber noch sehr auf deine Hilfe angewiesen, um sich emotional zu regulieren. Seine emotionalen Kontrollzentren im frontalen Cortex sind immer noch im Werden. Während die Aufgabe des Kleinkindes ironischerweise darin besteht, sich als aktiver Entdecker seiner Welt zu betätigen, kann er diese Flügel nur dann entwickeln, wenn er zu uns eine sicher gebundene Beziehung hat.

Uns liegen nun Forschungsergebnisse aus über vier Jahrzehnten vor, einschließlich Längsstudien, die die Auswirkungen einer sicheren Bindung verfolgen. Wenn sicher gebundene Babys älter werden, knüpfen sie bessere Beziehungen zu anderen, haben einen höheren Selbstwert, sind flexibler und resilienter unter Stress und tun sich in allen Lebensbereichen leichter, angefangen von Schule, Arbeit bis hin zu Interaktionen mit Gleichaltrigen.

So außergewöhnlich es vielleicht wirkt, aber fünfzehn Monate alte Kleinkinder haben bereits Interpretationen darüber gespeichert, wie Beziehungen funktionieren und Strategien entwickelt, um sich ihre zwischenmenschlichen Bedürfnisse zu erfüllen. Sofern sich nichts verändert, werden sie diese Strategien ihr Leben lang anwenden.

Angenommen, unsere hypothetische fünfzehn Monate alte Kleine hat eine sichere Bindung entwickelt. Sie hat gelernt, dass sie sich darauf verlassen kann, dass die Eltern auf ihre Hinweise eingehen. Nachdem sie jetzt herumtapsen kann, will sie die Welt erforschen. Braucht sie ihre Eltern noch immer? Dringend. Die Eltern sind so etwas wie ein Leuchtturm für das Kind, den es umkreist.

Versuche nur mit ihr auf den Spielplatz zu gehen und setze dich neben dem Sandkasten auf eine Parkbank. Während des Spielens wird sie zur Rückversicherung regelmäßig zu dir aufschauen. Dann wechselst du zur nächsten Parkbank, die von deiner Kleinen genauso weit entfernt ist. Du beobachtest, wann sie aufschaut, damit du sie dann beim Namen rufen kannst. Sie sieht dich sofort, wie du ihr wie sonst zuwinkst. Aber spielt deine Kleine weiter? Nein. Sie runzelt die Stirn. Vielleicht weint sie sogar. Aber ganz bestimmt wird sie dich rufen oder zu dir hinüber tappen. Sie »tankt auf« – bekommt eine Umarmung – und kehrt erst dann zum Sandkasten zurück. Was ist passiert? Ihr Leuchtturm hat sich bewegt. Daraufhin muss sie sich selbst neu orientieren.

Wie wird dein Kleinkind von der

Betreuung in der Tagesstätte beeinflusst?

Was sich zu Hause abspielt, wird immer viel wichtiger sein als das Geschehen in der Tagesbetreuung, denn die Psyche des Kindes wird von seiner Bindung an dich dominiert. Verbringt dein Kind allerdings mehr als zwanzig Wochenstunden in der Kita, dann wird dies natürlich auf seine Entwicklung Einfluss haben. Mancher Einfluss ist positiv, denn das Kind lernt mit Gleichaltrigen umzugehen und bekommt reichlich Gelegenheit zur Exploration. Aber Babys sind so gemacht, dass sie engen Kontakt zu einem primären Erwachsenen brauchen. Eltern sind besser auf ihr Kind eingestimmt, haben in der Regel weniger Kinder zu betreuen und kümmern sich einfach mehr, also können sie die Bedürfnisse der Babys besser erfüllen. Leider gewährleisten die Vereinigten Staaten keine bezahlte Familienzeit, daher verbringt dort etwa die Hälfte aller Babys einen Großteil ihrer Wachstunden in den ersten zwei Lebensjahren von den Eltern getrennt. Dies ist aber für die Emotionszentren des Gehirns die kritische Entwicklungsphase.

Was bedeutet das praktisch? Wenn du ein Kind im Alter von zwei Monaten anlächelst, dann wird es ein wenig Zeit brauchen, bis es zurücklächelt. Dieser emotionale Tanz ist daran beteiligt, die Neuronen im orbifrontalen Cortex aufzubauen, dem Hirnzentrum für emotionale Intelligenz. Wenn jedoch die Betreuerin in der Kinderkrippe ein Baby anlächelt, kann sie nicht auf dessen Reaktion warten, denn sie muss sich noch um zwei oder drei weitere Babys kümmern. Im Verlauf des Tages versäumt das Baby vielleicht immer wieder dieses notwendige Aufeinander-eingestimmt-sein. Andererseits werden vielleicht im Einzelkontakt mit einer einfühlsamen Tagesmutter alle Bedürfnisse des Babys ebenso gut erfüllt wie von der eigenen Mutter oder dem eigenen Vater.

Im Kleinkindalter ist ein Kind, auf dessen Bedürfnisse einfühlsam eingegangen wurde, besser für die Betreuung in einer Gruppe vorbereitet. Eltern sollten jedoch wissen, dass Zweijährige, die die meiste Zeit in Tagespflege verbringen, auch die meisten Verhaltensprobleme haben5. Das ist verständlich, da Kleinkinder unter Stress – und Trennung von den Eltern ist für ein junges Kind Stress – häufiger zu unpassendem Verhalten neigen. Zum Glück zeigen dieselben Studien ebenfalls, dass vorzügliche elterliche Fürsorge die Kinder vor den negativen Auswirkungen der Tagespflege schützt.6 Anders gesagt, zwar verhält sich dein Kind vielleicht öfter unpassend, wenn es lange von dir getrennt ist, aber wenn du seinem Verhalten mit Verständnis begegnest, werden deine Beziehung zu ihm und seine Psyche deswegen keinen Schaden nehmen. Erfreulicherweise sind Kinder in Tagespflege im Alter von drei Jahren ebenso verträglich wie andere Kinder. Vielleicht ist dies das perfekte Alter, um mit »Fremdbetreuung« zu beginnen, weil die Kinder jetzt besser in der Lage sind, ihre Bedürfnisse verbal auszudrücken und länger auf deren Erfüllung zu warten. Es laufen noch psychologische Längsschnittuntersuchungen, die uns die nötigen Informationen über die Auswirkungen von Tagesbetreuung liefern werden, aber wir wissen bereits, dass deren Qualität eine gewaltige Rolle spielt. Und da im ersten Lebensjahr so viel an Gehirnentwicklung stattfindet, die im späteren Leben Stimmung, Ängste und Depressionsneigung bestimmt, sind die Auswirkungen bereits teilweise bekannt. So entspricht es einfach dem gesunden Menschenverstand zu versuchen, den Babys diese eingestimmte Verbindung mit uns zu ermöglichen, die sie in diesem ersten entscheidenden Lebensjahr benötigen.

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