Gelassene Eltern – glückliche Geschwister

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Was ist, wenn Empathie nicht funktioniert?

Wenn Eltern damit beginnen, liebevoll zu führen, sind sie oftmals überrascht, wie gut Empathie »funktioniert«, um ihr Kind zu beruhigen und ihm dabei zu helfen, ihre Grenzen zu akzeptieren. Tatsächlich ist Empathie so effektiv, wenn es darum geht, sich mit unserem aufgebrachten Kind zu verbinden und ihm zu helfen, sich zu beruhigen, dass wir völlig überrascht sind, wenn es »nicht funktioniert«. Doch Empathie ist kein Trick, um die andere Person zu kontrollieren. Es ist ein Mittel, um sich zu verbinden und unserem Kind zu helfen, Gefühle zu verarbeiten. Wenn Empathie also nicht »funktioniert«, fragen Sie sich, ob Sie wirklich mit Ihrem Kind verbunden sind und ihm mit seinen Gefühlen helfen. Von Eltern höre ich in Bezug auf den »Gebrauch« von Empathie überwiegend die folgenden Schwierigkeiten:

1 »Empathie führt dazu, dass mein Kind noch mehr weint.« Dies bedeutet, dass Ihre Empathie tatsächlich ausgezeichnet »funktioniert«. Überlegen Sie, wann Sie einmal große Gefühle hatten, die tief im Inneren eingesperrt waren – vielleicht war etwas Schlimmes vorgefallen. Sie haben sich zusammengerissen. Dann kam ein Mensch, bei dem Sie sich sicher gefühlt haben und der hat Sie umarmt oder etwas Mitfühlendes gesagt, woraufhin Sie in Tränen ausgebrochen sind. Sprich, wenn Kinder große Gefühle haben und wir mit ihnen mitfühlen, kommen sie mit ihren Gefühlen stärker in Kontakt. Und das ist eine gute Sache. Denn wenn sie einmal diese Emotionen fühlen, verschwinden diese. Wenn man sich ausweint, wird unsere Körperchemie wie auch unser Gefühlszustand positiv transformiert.

2 »Empathie beendet den Wutanfall nicht.« Sobald sich Ihr Kind im »Kampf-oder-Flucht«-Modus befindet, helfen Worte nicht mehr. Anstatt also das Gefühl zu benennen, vermitteln Sie Sicherheit, damit Ihr Kind Ihnen all diese Gefühle zeigen kann. Je weniger Worte, desto besser. Sagen Sie nur so viel, dass Ihr Kind Ihr Mitgefühl hört und weiß, dass Sie da sind und bereit sind, es zu umarmen. Empathie wird den Wutanfall nicht beenden, aber sie unterstützt Ihr Kind darin, seine Gefühle zu zeigen und zu heilen.

3 »Ich wiederhole immer wieder ›Du bist sehr traurig und frustriert‹, aber er wird wütend und sagt mir, dass ich das nicht sagen soll.« Kinder spüren es, wenn wir Wörter einfach nur nachplappern, und es macht sie wütend. Wenn Sie es tatsächlich schaffen, zu fühlen, wie sehr Ihr Schatz innerlich zerrissen ist, werden Sie feuchte Augen bekommen. Und Ihr Kind wird sich verstanden fühlen.Außerdem spielt eine Rolle, wie alt Ihr Kind ist. Bei einem wütenden Kleinkind könnten Sie auf dessen Gefühlsebene gehen und Ihre Anerkennung zeigen mit einem »Du bist so wütend!« Das Kleinkind wird dadurch oftmals beruhigt: Mama denkt nicht, dass es ein Notfall ist; es gibt sogar ein Wort für diese Welle, die es übermannt. Werden die Kinder allerdings älter, macht es sie nur noch wütender, wenn man ihnen sagt, wie sie sich fühlen. Wie die meisten von uns Erwachsenen wollen auch sie nicht analysiert oder manipuliert werden; sie wollen sehen, dass wir ihre Sicht der Dinge verstehen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären verärgert und Ihr Partner würde immer nur wiederholen: »Du bist sehr traurig und frustriert!«Man muss dem Gefühl nicht immer einen Namen geben. Die Sicht des Kindes zu verstehen reicht aus: »Es tut mir leid, dass du aufgewacht bist und feststellen musstest, dass Papa mit deinem Bruder zum Einkaufen gefahren ist … Ich weiß, dass du gerne mitgefahren wärst.«Wenn Kinder größer werden, reicht ein einfacher Satz wie »Ach Schatz, es tut mir leid, dass es so schwer ist« aus, um zu vermitteln, dass Sie mitfühlen.Und Sie müssen Ihrem Kind, während es gerade einen Wutanfall hat, natürlich nicht sagen, wie traurig und wütend es ist. Jegliche Worte werden seine Wut nur steigern. Das Einzige, was es wissen muss, ist, dass es sicher ist und dass Sie da sind und es umarmen, wenn es dazu bereit ist.

4 »Ich fühle mit ihr, aber dann ist sie immer noch verärgert.« Empathie hilft uns, die Sicht unseres Kindes zu verstehen und uns mit ihm zu verbinden. Manchmal reicht das aus, um seine Emotionen zu entschärfen. Aber wenn das Kind eine Reaktion zeigt auf das, was ein großes Problem in seinem Leben darstellt, kann es eventuell nur dann die Emotion bewältigen, wenn wir es bei der Lösung des Problems unterstützen: »Du bist verärgert, weil deine kleine Schwester immer Sachen aus deinem Puppenhaus nimmt. Lass uns einen Platz suchen, an dem du ungestört damit spielen kannst und der für deine Schwester nicht zu erreichen ist.«Manchmal braucht unser Kind unsere Unterstützung, um das Problem selbst lösen zu können: »Du bist so wütend auf deinen Bruder. Ich glaube, er sollte hören, wie du dich fühlst. Lass uns deinen Bruder suchen, und ich bleibe bei dir, während du ihm sagst, wie du dich fühlst.«Manchmal kann es einfach nicht das haben, was es gerade will, aber Sie können ihm in Form eines Wunsches geben, was es möchte: »Es ist echt schwer, wenn dein großer Bruder nicht mit dir spielen will. Ich glaube, du wünschst dir, dass er dir jeden Tag dabei helfen würde, Schienen aufzubauen, richtig?«Es gibt aber auch Momente, in denen das Problem nicht gelöst wird. Vielleicht ist die Enttäuschung einfach zu groß oder sie bringt einen alten Schmerz hervor, der immer noch versteckt ist und darauf wartet, ausgedrückt zu werden, sodass hier nur noch Tränen helfen. In diesem Fall hat die Empathie »funktioniert«, denn Ihr Kind fühlt sich so sicher, dass es seinen Kummer zeigen kann. Auf diese Art und Weise bauen Kinder Resilienz auf – sie fühlen sich sicher genug, um ihre Enttäuschung in ihrer ganzen Größe zu fühlen – und sie lernen, dass sie sich am Ende des Prozesses gut fühlen. Es weint? Das ist gut.

5 »Ich sage ›Du bist wütend, aber wir schlagen nicht‹ und zehn Minuten später schlägt er wieder.« Wenn Ihre Botschaft nicht ankommt, dann liegt es meistens daran, dass Ihr Kind über Ihre Empathie hinaus mehr Unterstützung im Umgang mit seinen Gefühlen benötigt. Wenn wir das Wort »aber« benutzen, kann es sein, dass Kinder den Eindruck haben, dass ihre Gefühle nicht wirklich gewürdigt werden. Hier kann es hilfreich sein, ein »und« zu verwenden, wie z. B. »Du kannst so wütend sein wie du möchtest, UND wir schlagen nicht.«

Der häufigste Grund aber dafür, warum empathische Erinnerungen vom Schlagen nicht abhalten, lautet: Sie können einfach nicht erwarten, dass »Gespräche« jeglicher Art große Gefühle heilen können. Kinder, die schlagen, tragen eine unterdrückte Angst in sich. Sie haben das Bedürfnis, zu weinen, sich zu schütteln und Ihnen ihre Angst zu zeigen. Wie wir Kindern helfen können, sich durch große Emotionen durchzuarbeiten, sehen wir später in diesem Kapitel.

Tatsächlich funktioniert Empathie immer, um sich mit seinem Kind wieder zu verbinden und ihm mit seinen Gefühlen zu helfen. Sprich, wenn Ihre Empathie nicht zu »funktionieren« scheint, kommen Ihnen vielleicht Worte in die Quere. Versuchen Sie nicht weiter, die richtigen Worte zu finden. Stellen Sie sich stattdessen vor, Sie wären wieder Kind und fühlten, was Ihr Sohn oder Ihre Tochter in diesem Moment fühlt. Was sollten Ihre Eltern jetzt tun, damit Sie sich in dieser Situation geliebt fühlen? Tun Sie genau das.

Vorbeugende Maßnahmen

Die tägliche Wunschzeit bewirkt in unserer Familie wahre Wunder. Wann immer wir sie schleifen lassen, bemerke ich einen Verfall in der Beziehung meiner Kinder, und ich bemerke eine sofortige Verbesserung, wenn wir sie wieder regelmäßig nutzen, auch wenn es manchmal nur fünf Minuten am Tag sind. Sie scheint sogar noch wirkungsvoller zu sein, wenn wir noch ein spielerisches Familien-Raufen dazunehmen, bei dem sich die Kinder gegen die Erwachsenen zusammentun; es stärkt wirklich ihre Bindung.

Belinda

Was bedeuten vorbeugende Maßnahmen in Bezug auf Ihre Kinder? Nun, stellen Sie sich vor, dass Sie den Liebesspeicher Ihrer Kinder wieder auffüllen und ihnen täglich ein emotionales Sich-Einstimmen verabreichen, um nicht von der Fahrbahn abzukommen. In einem Leben mit mehr als einem Kind ist Trennung unausweichlich, und wenn Sie keine Methoden für den Alltag haben, um sich wieder zu verbinden, dann verursacht diese Trennung Probleme, bevor Sie es auch nur erahnen. Sobald Sie also mehr als ein Kind haben, werden die vorbeugenden Maßnahmen für jedes Kind enorm wichtig.

Bei der herkömmlichen Erziehung gibt es keine wirklichen vorbeugenden Maßnahmen; Sie schreiten lediglich mit Disziplin ein, wenn es nicht rundläuft. Doch mithilfe gelassener Elternschaft versuchen Sie an die Ursache zu gelangen, warum es nicht rundläuft, und erfüllen die Bedürfnisse Ihrer Kinder, damit es weniger häufig nicht rundläuft. Natürlich ist das Arbeit, aber Kinder groß zu ziehen bedeutet so oder so Arbeit, und diese Investition in positive Prävention schafft ein friedlicheres Zuhause, engere Beziehungen und kooperativere Kinder. Wenn Sie vor dem Abendessen eine Kissenschlacht veranstalten, sind Sie und alle anderen wesentlich besser gelaunt, sprich, die Stimmung ist besser und alle kommen besser miteinander klar – statt Ihre Kinder anzuschreien, wenn sie sich beim Abendessen nur streiten.

Die Vorteile vorbeugender Maßnahmen sind:

 Ihr Kind fühlt sich dafür geschätzt, einfach es selbst zu sein – das beste Gegengift bei Geschwisterrivalität.

 Ihr Kind fühlt sich tief mit Ihnen verbunden. Dies hilft ihm, mit Ihnen kooperieren zu wollen und macht Ihr Leben friedlicher.

 Ihr Kind fühlt sich sicher, dadurch gelingt es ihm, sich zu regulieren.

 Ihr Kind nimmt Ihre Hilfe in Anspruch, bevor es von seinen Gefühlen überwältigt wird. Dadurch minimieren sich die kritischen Situationen, in denen beide Kinder Sie dringend brauchen.

 

 Ihre Kinder genießen häufiger einen positiven Umgang miteinander. Laut Studien führt dies zu engeren Geschwisterbeziehungen, was wiederum zu weniger Konflikten führt und dies weiter zu häufiger positiven Interaktionen – ein positiver Kreislauf.26

Es folgen nun die grundlegenden vorbeugenden Maßnahmen, die jede Eltern-Kind-Beziehung zuverlässig transformiert – und somit auch die Geschwisterbeziehung transformiert:

1 Führen Sie regelmäßige Abläufe ein. Familien, die sich besser organisieren, berichten von besseren Geschwisterbeziehungen, auch wenn dies nicht bedeutet, dass es eine direkte Ursache und Wirkung gibt.27 Aber regelmäßige Abläufe bewirken tatsächlich, dass Kinder sich sicherer fühlen. Dieses Gefühl von Sicherheit hilft ihnen, sich emotional zu regulieren und folglich mit jedem in der Familie besser auszukommen. Dadurch minimieren Sie Ihren Job als OrdnungshüterIn und reduzieren Machtkämpfe. Das ist wichtig für die Geschwisterbeziehung, da ein Nebeneffekt von Eltern-Kind-Machtkämpfen ist, dass Kinder ihre Egos retten, indem sie Wege suchen, wie sie sich machtvoller gegenüber ihren Geschwistern fühlen können. Dies heißt nicht, dass Sie Ihren Kindern einen festen Plan aufzwingen müssen, sondern herauszufinden, was für Sie und Ihre Kinder am besten funktioniert und eine Alltagsroutine zu finden, auf die sich alle freuen.

2 Machen Sie Empathie zu Ihrem bevorzugten Mittel, um mit Ihrem Kind in Kontakt zu treten. Als Eltern versuchen wir meistens unsere Kinder durch den Alltag zu bringen. Somit finden wir es oft unpassend, wenn sie negative Emotionen zum Ausdruck bringen. Und dennoch ist dieses empathische Eingehen auf unser Kind möglicherweise die wichtigste vorbeugende Gewohnheit, die wir uns aneignen können, denn es stärkt die Eltern-Kind-Beziehung und hilft Kindern dabei, Emotionen unmittelbar zu verarbeiten. Wenn Ihr Kind also sagt: »Ich hasse Hühnchen! Warum gibt es schon wieder Hühnchen?!«, könnten Sie sich zu einem Vortrag darüber hinreißen lassen, wie lang Ihr Tag war, dass sein Körper Proteine braucht, und warum es dankbar sein sollte, so ein gesundes Abendessen zu bekommen. Versuchen Sie stattdessen zunächst seine Perspektive anzuerkennen: »Du hast heute Abend keinen Appetit auf Hühnchen, richtig? Ich nehme an, wir hatten in der letzten Zeit ziemlich oft Hühnchen zum Essen. Und es ist nicht dein Lieblingsessen, das weiß ich. Ich glaube, du würdest am liebsten jeden Abend Nudeln essen, nicht wahr?« Ihr Kind isst das Hühnchen vielleicht nicht freudig, aber am Ende wird es ein friedlicheres Abendessen. Vielleicht gibt es einige gute Ideen bezüglich der Ernährung und wie man die Nahrungsvorlieben aller Familienmitglieder unter einen Hut bekommen kann. Und Ihr Kind wird die Mahlzeit beenden und sich mit Ihnen enger verbunden fühlen, anstatt gefrustet zu sein.

3 Tägliches Raufen. Kinder bauen den ganzen Tag über eine Form von Besorgnis auf (leichte Ängste), und sie brauchen ein Ventil, um diese rauszulassen. Zum Glück hat die Natur die Menschen mit einer fantastischen Möglichkeit ausgestattet, diese Ängste abzubauen und die entstandenen Stresshormone aus dem Körper zu befördern: das Lachen. Lachen ist wirklich die beste Medizin, und das beste Mittel, um Ihr Kind zum Lachen zu bringen, ist die Art von Raufen, die eine sehr leichte Angstreaktion hervorruft.28 Lachen setzt zudem Oxytozin und Endorphine frei. Deshalb bauen Sie jedes Mal, wenn Sie mit jemandem lachen, Vertrauen auf. 29 Das bedeutet, dass wenn Ihre Kinder miteinander lachen, sie eine Form von Verbundenheit erleben, die dabei hilft, das später am Tag auftretende geschwisterliche Gezänk abzufangen. Finden Sie heraus, was Ihre Kinder so zum Lachen bringt, dass sie sich den Bauch halten müssen, und planen Sie davon jeden Tag mindestens 15 Minuten ein. Das kann das Guckguck-Spiel sein, sich durch die Wohnung jagen, die Kinder wie ein Pferd auf dem Rücken tragen oder eine Kissenschlacht Kinder gegen Eltern. (Mehr zum Thema Raufen erfahren Sie in Kapitel 8.)

4 Wunschzeit. Die tägliche Zeit alleine mit einem Kind lässt Vertrauen wachsen, verbindet Sie wieder mit dem Kind und hilft Ihrem Kind dabei, seine Emotionen auszudrücken und so dann über sie hinwegzukommen. Patty Wipfler brachte in Hand in Hand die »Wunschzeit« auf ein ganz neues Level, indem sie Eltern empfahl, diese Zeit völlig ungeplant und das Kind das Zepter in die Hand nehmen zu lassen. Mit anderen Worten, es handelt sich hierbei nicht um Aktivitäten wie zusammen Kekse backen oder lesen, und es ist auch kein gewöhnliches miteinander spielen, bei dem Sie eine eher ebenbürtige Mitwirkende sind. Lassen Sie einfach das Kind entscheiden, was es tun möchte und überschütten Sie es mit Ihrer liebevollen Aufmerksamkeit. Widerstehen Sie dem Drang, eine aktive Rolle einzunehmen; beschreiben Sie stattdessen, was Sie das Kind tun sehen (»Jetzt krachen die LKWs zusammen!«). Wenn es darauf besteht, dass Sie mitmachen, übernehmen Sie die Rolle, die es vorschlägt, aber lassen Sie es entscheiden, wo es langgeht.

Die meisten Eltern berichten, dass sich, sobald sie damit begonnen haben, tägliche Extrazeit mit den Kindern zu verbringen, ihre Probleme mit ihren Kindern rasant verringerten, ganz gleich, ob es sich bei dem Problem um Aggressionen unter Geschwistern, Wutanfälle oder Trotz handelt. Sollten Sie es nicht schaffen, diese Wunschzeit jeden Tag einzuplanen, dann versuchen Sie am Wochenende, eine längere Zeitspanne hierfür einzurichten. Allerdings ist es wesentlich effektiver in Bezug auf die Bedürfnisse Ihres Kindes, sich jeden Tag zehn Minuten Zeit zu nehmen, anstatt bis zum Wochenende damit zu warten, sich mit Ihrem Kind wieder zu verbinden. Zudem hilft es womöglich, mit einem Kind von Zeit zu Zeit etwas Besonderes zu unternehmen und woanders zu übernachten. Dies kann einen Negativ-Kreislauf unterbrechen und Dinge in andere Bahnen lenken. Wenn Sie zu den Eltern gehören, die alleinerziehend sind oder sich oftmals alleine um die Kinder kümmern, lege ich Ihnen ans Herz, sich mit einem Freund, einer Freundin mit dem Babysitting abzuwechseln oder sogar zwei Mal die Woche einen Babysitter kommen zu lassen, damit Sie mit jedem Kind Zeit alleine verbringen können.

Wenn beide Elternteile nicht zu Hause arbeiten, können Sie die Suche nach Zeit für vorbeugende Maßnahmen entmutigend finden. Da ich aber der Meinung bin, dass es sich derart positiv auf Ihr Leben und auf die Beziehung Ihrer Kinder untereinander auswirken wird, schlage ich Ihnen folgendes Experiment vor: Streichen Sie alles, was unnötig ist, von Ihrem täglichen Zeitplan und versuchen Sie, drei Monate lang jeden Tag mit den Kindern zu raufen und Extrazeit zu verbringen. Seien Sie schonungslos konsequent. Keine Elternabende, kein Fernsehen, keine Arbeits-E-Mails am Abend. Ziehen Sie sogar in Betracht, eine Stunde pro Tag weniger zu arbeiten, auch wenn das bedeutet, dass Sie weniger Gehalt bekommen. Ich versichere Ihnen, dass Sie solch eine drastische Veränderung bei Ihren Kindern erleben werden, dass Sie erst wieder zu Ihrem alten Rhythmus zurückkehren wollen, wenn Ihre Kinder älter sind.

Die regelmäßige Anwendung der vorbeugenden Maßnahmen wird Ihrem Kind dabei helfen, Ihrer Führung folgen zu wollen. Wenn es Ihnen nicht folgen will, dann liegt es daran, dass es mit seinen Emotionen nicht umgehen kann. Wie können Sie ihm helfen? Die Antwort lautet: »Inzeiten« (Time-in) und »geplante Wutanfälle«. Diese werde ich in den folgenden zwei Abschnitten erläutern.

Wenn Ihr Kind seine Gefühle auslebt: »Inzeit« (Time-in)

Das Weinen und Schreien hält ein paar Minuten an, aber hört oftmals nicht auf, auch wenn er mich umarmt, sich beruhigt und sich sogar entschuldigt hat, ohne dass ich darum gebeten habe. Er wird bald drei.

Katrina

Bei der »Inzeit« (Time-In) handelt es sich um das, wonach es sich anhört – dem Gegenteil einer Auszeit. Während eine Auszeit das Kind isoliert, ist eine Inzeit, eine Möglichkeit, das »schlechte« Verhalten zu unterbrechen und so verhindern, dass die Situation eskaliert, indem Sie sich wieder mit Ihrem Kind verbinden.

Nehmen wir einmal an, Ihre Tochter ist schlecht gelaunt und streitlustig. Zu guter Letzt wirft sie ihren Becher durchs Zimmer. Sollten Sie ihr nun eine Auszeit verordnen?

Wenn sie formulieren könnte, was gerade los ist, würde sie vielleicht sagen: »Hey Mama, Papa, ich habe gerade eine echt schwere Zeit. Ich bin aufgewacht und fühlte mich knatschig. Wir hatten nichts mehr von meinem Lieblingsmüsli. Ich habe euch im Kindergarten so sehr vermisst. Es war so schwer für mich, solange still zu sitzen und Anweisungen zu folgen. Meine Freundin hat mir gesagt, dass ich nicht zu ihrer Geburtstagsfeier kommen kann, wenn ich das Spiel nicht so spiele, wie sie es will. Und dann komme ich endlich nach Hause und ich habe Hunger und bin schlecht gelaunt, und der kleine Bruder, den ihr immer so süß findet, sitzt die ganze Zeit auf eurem Schoß, während ich von euch immer zu hören bekomme, dass ich eine Minute warten soll! Ich frage mich, ob mich hier überhaupt irgendjemand lieb hat! Vielleicht habt ihr jetzt einen Ersatz, weil ich einfach nicht gut genug für euch bin!«

Natürlich kann sie das so nicht sagen. Deshalb lebt sie dies durch ihr schwieriges Verhalten aus. Sie hat den ganzen Tag lang Ängste und Tränen unterdrückt, darauf wartend, dass sich eine sichere Gelegenheit findet, um das alles rauslassen zu können. Jetzt kommen alle diese Emotionen hoch und sie »spielt diese Gefühle nach«. Wenn Kinder provozieren und absichtlich die Regeln nicht beachten, bitten sie um Hilfe im Umgang mit diesen aufwühlenden Gefühlen. Oftmals genügt es, sich wieder mit ihnen im Herzen zu verbinden, mittels einer Inzeit zum Beispiel. Dann können sie sich wieder selbst regulieren.

Deshalb bringen Sie Ihr ganzes Mitgefühl auf und erinnern sich daran, dass es ein kleiner Mensch ist, dessen Verhalten ein Hilferuf ist. Sie sagen »Becher sind nicht zum Werfen da. Mäuschen, du hast gerade eine schwere Zeit, richtig? Lass uns in unsere Kuschelecke gehen und ein bisschen kuscheln.« Sie umarmen es, gehen mit ihm in die dafür vorgesehene Kuschelecke und kuscheln. Sie fühlen die Herzenswärme, was vielleicht dem Kind schon ausreicht, um sich wieder zu berappeln. Nach diesem herzlichen, körperlichen Auftanken versuchen Sie es zum Lachen zu bringen, denn Lachen lässt diese angestauten Ängste fast so gut verschwinden wie Tränen dies können. Sein sonniges Gemüt kehrt zurück und es ist bereit, Ihnen beim Beseitigen des Becher-Vorfalls zu helfen.

Fragen Sie sich nun, ob Sie das Kind jetzt bestrafen sollen, damit es lernt, den Becher nicht zu werfen? Dies ist unnötig und kontraproduktiv. Es hat bereits gelernt, dass es das nächste Mal den Becher nicht werfen will sowie einige andere wichtige Lektionen:

 »Meine Eltern sind auf meiner Seite. Ich muss meinen Becher tatsächlich nicht werfen, auch wenn ich wirklich sauer bin. Meine Eltern sind immer da, um mir zuzuhören und mir zu helfen.« (Stärkt das Vertrauen in die Eltern-Kind-Beziehung und somit will das Kind kooperieren.)

 »Wenn ich wütend bin, habe ich oft das Gefühl, dass ich ganz dringend zeigen muss, wie unglücklich ich bin, aber wenn ich dann ein paar Minuten mit den Gefühlen bin, ohne um mich zu schlagen, gehen sie weg.« (Vermittelt Fähigkeiten, um Emotionen zu regulieren und somit auch das Verhalten.)

 »Meine Eltern lieben und akzeptieren mich so wie ich bin, auch dann, wenn ich schwierige Emotionen fühle.« (Das Fundament von Selbstwertgefühl.)

 »Nachdem ich mich beruhigt habe, kann ich immer einen Weg finden, um die Dinge besser zu machen.« (Der erste Schritt in Richtung Akzeptanz, dass niemand perfekt ist, dass wir aber unsere Fehler immer zugeben und reparieren können.)

Inzeiten sind keine Bestrafung. Sie bieten Ihrem Kind die Möglichkeit, die Verbundenheit zu Ihnen zu spüren, die es braucht, um seine Emotionen regulieren zu können. Die meisten Kinder brauchen diese Zeit der Verbundenheit jeden Tag, wenn sie von Ihnen getrennt waren. Oftmals reicht diese Zeit der Verbundenheit aus, um Ihren gesamten Abend wieder auf Kurs zu bringen.

Es gibt aber auch Momente, in denen »Aufmerksamkeit« einfach nicht ausreicht. Ihr Kind wird Sie dies wissen lassen, denn es wird sich kein Stück besser fühlen nach Ihrer Inzeit. In diesem Fall benötigt es mehr Hilfe mit seinen Emotionen, die einfaches Verbunden-Sein nicht leisten kann. Für gewöhnlich widersetzt es sich Ihrer Verbundenheit, denn wenn es Ihre Liebe für sich spürt, öffnen sich alle Schleusen und die Tränen, die es zurückhält, brechen hervor. Wenn Sie es aufmuntern, kann es sich vielleicht für eine gewisse Zeit zusammennehmen, aber ein Wutanfall steht kurz bevor. Warum diesen also nicht einladen?