Der Pflichtwidrigkeitsvorsatz der Untreue

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Teil 2 Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum

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Die Gemeinsamkeit der in Betracht kommenden Tatbestandsmerkmaltypen zeichnet zugleich deren Abgrenzungsschwierigkeit aus: Blankett-, normative und tatbewertende (Tatbestands-)Merkmale verweisen in unterschiedlichem Umfang auf Vorschriften und Wertungen, die sich außerhalb des betreffenden Tatbestandes befinden. In Literatur und Rechtsprechung wird seit Jahrzehnten versucht, Kriterien zu entwickeln, die insbesondere die Abgrenzung der Blankettmerkmale von normativen Tatbestandsmerkmalen zu leisten vermögen.[1] Die Abgrenzung der Merkmalsarten erweist sich allerdings als schwierig,[2] manche bezweifeln sogar die Möglichkeit,[3] andere freilich schon die Notwendigkeit einer Merkmalsunterscheidung.[4]

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Gleichwohl ist zu beobachten, dass der gewünschte Vorsatzgegenstand insbesondere beim Pflichtwidrigkeitsmerkmal des § 266 mit der Begriffskategorie nicht nur verständlich gemacht, sondern überdies begründet wird. Diese Herangehensweise greift jedoch zu kurz. Es bliebe verdeckt, welches Verständnis der Begriffseinordnung zugrunde liegt, und somit offen, warum der Pflichtwidrigkeitsvorsatz den geforderten Gegenstand verlangt. Das Ergebnis etwa, der Täter müsse die Pflichtwidrigkeit seiner Handlung nachvollziehen, weil es ein normatives Tatbestandsmerkmal sei, ist zirkulär und überzeugt nicht. Die Beantwortung von Sachfragen einzig orientiert an Begriffskategorien leidet an den Unsicherheiten, die durch die unpräzise Kontur normativ geprägter (Tatbestands-)Merkmale und damit am Fehlen eines eindeutigen Begriffsverständnisses verursacht werden. „Den“ Blankettbegriff bzw. „das“ normative Tatbestandsmerkmal wird es kaum geben können, da die Definition eines Begriffs stets im Sachzusammenhang erfolgen muss. Nicht ausgeschlossen ist es folglich, dass der traditionell als verfassungsrechtliche Kategorie verstandene Begriff des Blanketts im vorsatzrechtlichen Kontext anderen Inhalts ist.

Anstelle einer begriffskategorialen Annäherung an den Pflichtwidrigkeitsvorsatz ist es deshalb zielführender, von Beginn an die eigentliche Sachfrage in den Vordergrund zu stellen. Befreit von begrifflichen Einordnungsproblemen verbleibt der Blick allein auf dem Gegenstand des Pflichtwidrigkeitsvorsatzes. Das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit bietet hierbei genau besehen zwei Anknüpfungspunkte für den Pflichtwidrigkeitsvorsatz: die die Pflichtwidrigkeit begründenden Tatsachen und den Pflichtverstoß als Rechtsfolge. Beide Vorsatzgegenstände können ausschließlich oder in Kombination unterschiedliche Vorsatzmodelle bilden.

Teil 2 Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum › A. Die Vorsatzmodelle beim Pflichtwidrigkeitsmerkmal

A. Die Vorsatzmodelle beim Pflichtwidrigkeitsmerkmal

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Wollte man die Vorsatzmodelle nach deren Täterfreundlichkeit sortieren, kann dies für das Versuchs- und Vollendungsdelikt nur gesondert erfolgen. In der hier im Hinblick auf die fehlende Versuchsstrafbarkeit der Untreue allein interessierenden Vollendungskonstellation ist das Vorsatzmodell für den Täter das ungünstigste, das für den Pflichtwidrigkeitsvorsatz die Kenntnis lediglich der Tatsachen ausreichen lässt, die die Pflichtwidrigkeit begründen (1. Vorsatzmodell).

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Als sachgerecht könnte es für den Pflichtwidrigkeitsvorsatz jedoch auch angesehen werden, dass der Täter die Pflichtwidrigkeit seiner Handlung als Rechtsfolge („Regelungseffekt“) erkannt hat. Nun wird es keine Rechtsfolgenkenntnis ohne Tatsachenkenntnis geben können, der Täter wird in aller Regel aufgrund von vorgestellten Tatsachen auf eine bestimmte Rechtsfolge schließen.[5] Gleichwohl ist weiter zu differenzieren: Es könnte ausreichend sein, dass der Täter die Rechtsfolge auf Grundlage von vorgestellten Tatsachen nachvollzogen hat, die objektiv die Rechtsfolge überhaupt nicht zu begründen vermögen (2. Vorsatzmodell).[6] Dieser Fall ist in der Vollendungskonstellation bisher wohl erst einmal im Zusammenhang mit § 246 praktisch geworden.[7] Im Kontext der Untreue mag folgendes Beispiel den Unterschied verdeutlichen:

Beispiel:

Der Geschäftsführer G der Sportartikel GmbH in B hat keine Kenntnis von einem Gesellschafterbeschluss, der den Ankauf von Trikots eines im Verkaufsumfeld sehr unbeliebten Fußballvereins H für pflichtwidrig erklärt. Morgens liest G sein Horoskop, wonach er am heutigen Tag machen könne, was er wolle, er werde es „ohnehin keinem recht machen“. Der abergläubige G entwickelt allein auf Grundlage dieser Vorhersage die tiefe Überzeugung, dass der am Nachmittag anstehende Trikoteinkauf den Gesellschaftern nicht gefallen werde. Dennoch kauft G Trikots in großer Anzahl des ungeliebten Fußballvereins H.

G hat die Rechtsfolge des Trikoteinkaufs als „pflichtwidrig“ zutreffend erkannt. Die Tatsachengrundlage, aus der er die Rechtsfolge ableitet, ist rechtlich indes gänzlich unerheblich: Die Weissagung aus einem Horoskop ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt geeignet, die Pflichtwidrigkeit des Trikotkaufs objektiv zu begründen. Dies wäre nach dem 2. Vorsatzmodell jedoch auch nicht erforderlich, um den Vorsatz des G zu bejahen.

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Die Kenntnis von den die Pflichtwidrigkeit objektiv begründenden Tatsachen ist neben der Rechtsfolgenkenntnis demgegenüber Erfordernis des 3. Vorsatzmodells.[8] Im Beispiel wäre danach der Vorsatz mangels Kenntnis von Tatsachen, die die Pflichtwidrigkeit objektiv begründen, zu verneinen. Nicht erforderlich ist es dabei, dass sich der Täter die im Einzelfall zutreffenden Tatsachen vorgestellt hat,[9] soweit die vorgestellten Tatsachen überhaupt objektiv geeignet sind, die Rechtsfolge zu begründen. Für das Vorliegen des Vorsatz wäre es beispielsweise ausreichend, wenn der Geschäftsführer Kenntnis von einer Weisung seitens eines Gesellschafters hat, dem er irrig ein gesondertes Weisungsrecht zuschreibt, obwohl laut Gesellschaftsvertrag Weisungen nur aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses erteilt werden können.[10] Handelt er wissentlich entgegen dieser Weisung, wäre sein Irrtum über das Vertretungsrecht nach dem 3. Vorsatzmodell vorsatzrechtlich unbeachtlich.

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Vorsatzmodelle im Überblick[11]:

Abb. 1: Vorsatzmodelle


Kenntnis der die Pflichtwidrigkeit begründenden Tatsachen Kenntnis der Pflichtwidrigkeit als Rechtsfolge Bezeichnung
Ja Nein
Nein Ja Rechtsfolgenkenntnis (2. Vorsatzmodell)
Ja Ja Rechtskenntnis (3. Vorsatzmodell)

Welches Vorsatzmodell im Fall des verweisenden Tatbestandsmerkmals der Pflichtwidrigkeit das sachgerechte ist, wird im Folgenden zu untersuchen sein. In der Literatur werden unterschiedliche Kriterien vorgeschlagen, die in Fällen von verweisenden Begriffen die Vorsatzmodelle unterscheidbar machen und damit die Abgrenzung von Verbots- und Tatbestandsirrtum ermöglichen sollen.

Teil 2 Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum › A › I. Formale Abgrenzung der Vorsatzmodelle

I. Formale Abgrenzung der Vorsatzmodelle

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Die hier als formal bezeichneten Differenzierungsansätze zeichnen sich durch die Kategorisierung verschiedener Verweisungsarten oder -orte aus („wie“ bzw. „wohin“ wird verwiesen). Der Charme formaler Kriterien liegt in dem Einfachheitsversprechen hinsichtlich der Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum, die eine möglicherweise nur mühsam zu leistende Unterscheidung der einschlägigen Vorsatzmodelle anhand von – im Einzelnen unklaren – materiellen Erwägungen überflüssig machen könnte.[13]

1. Kompetenzsprung als Abgrenzungskriterium

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In Anlehnung an eine im verfassungsrechtlichen Kontext geläufige Unterscheidung von Verweisungen könnte es vorsatzrechtlich geboten sein, verweisende Merkmale nach der sie ausfüllenden Stelle zu unterscheiden. Teilweise wird der verfassungsrechtliche Begriff des Blanketts auf solche Sanktionsnormen beschränkt, die durch Ausfüllungsvorschriften einer anderen Rechtsetzungsinstanz ausgefüllt werden.[14]

Der Kompetenzsprung als Wesensmerkmal des Blankettstrafgesetzes wird verfassungsrechtlich u. a. damit begründet, dass der Gesetzgeber sich selbst kein Blankett habe ausstellen wollen und die spezifischen Gefahren für den Bestimmtheits- und Gewaltenteilungsgrundsatz erst bei der Normergänzung durch eine andere Instanz entstünden.[15] Im Umkehrschluss könnten die Strafgesetze, die auf Vorschriften desselben Normgebers verweisen, garantietatbestandlich als Tatbestände mit normativen Tatbestandsmerkmalen einzuordnen sein.[16]

 

Übernähme man das Kompetenzkriterium im irrtumsrechtlichen Sachzusammenhang, wäre zunächst ungeklärt, welches Vorsatzmodell bei einer kompetenzüberschreitenden Verweisung einschlägig wäre, wobei es nahe läge – und im Ergebnis einer in der deutschen Irrtumsdogmatik bekannten Differenzierung des Reichsgerichtes entspräche[17] – den Irrtum über Existenz und Inhalt der Ausfüllungsvorschrift anderer Stellen für beachtlich (2. bzw. 3. Vorsatzmodell), denjenigen über Ausfüllungsvorschrift der Sanktionsnorm erlassenden Instanz für unbeachtlich zu erklären (1. Vorsatzmodell).

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In Anwendung des Kompetenzkriteriums ergäben sich für den Pflichtwidrigkeitsvorsatz unterschiedliche Vorsatzmodelle. Ein Kompetenzsprung im Sinne einer Bezugnahme auf Vorschriften einer anderen legislatorischen oder auch administrativen Stelle[18] kommt zunächst bei den Verweisen „Gesetz“ und „behördlicher Auftrag“ in Betracht. Der Vorsatzgegenstand hinsichtlich gesetzlicher Vermögensbetreuungspflichten aus z. B. landesrechtlichen Gesetzen, Rechtsverordnungen und kommunalen Satzungen wäre dann der Pflichtverstoß (2. bzw. 3. Vorsatzmodell), derjenige im Hinblick auf Pflichtenprogramme des Bundesgesetzgebers (z. B. § 43 Abs. 1 GmbHG) hingegen die die Pflichtverletzung begründenden Tatsachen (1. Vorsatzmodell).

Mangels Kompetenzsprungs zwischen Bundesgesetzgeber und ausfüllender Stelle erforderten die Verweisungen „Rechtsgeschäft“ und „Treueverhältnis“ hingegen die Rechtsfolgen- bzw. Rechtskenntnis als Vorsatzinhalt, sofern mit „anderer Stelle“ eine staatliche Instanz gemeint sein sollte. Eingedenk der verfassungsrechtlichen Wurzel des gewählten Blankettbegriffs ist dies aber nicht zwingend. „Andere Stelle“ könnte auch im Sinne von Nicht-der-Blankettstrafgesetzgeber zu verstehen sein, sodass auch Privatpersonen darunter fielen. Dafür spricht, dass sich die verfassungsrechtlichen Bedenken der Blankettgesetzgebung bei Bezugnahmen auf die (Rechts-) Quellen von Privatpersonen unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgrundsatzes und des Parlamentsvorbehalts verschärfen.[19] Konsequenterweise müssten Verweisungen auf rechtsgeschäftliche Pflichten ebenfalls vom Blankettbegriff umfasst und im irrtumsrechtlichen Zusammenhang das 2. bzw. 3. Vorsatzmodell anwendbar sein. Das traditionelle Verständnis ist wohl aber ein anderes: Binding spricht bei den normausfüllenden Instanzen ausdrücklich von (Polizei-) Behörden oder vom Partikulargesetzgeber,[20] von Liszt von der Justizverwaltung und vom Kaiser,[21] samt staatlichen Stellen. Fehlt es bei rechtsgeschäftlichen Vermögensbetreuungspflichten demnach an einem Kompetenzsprung zwischen staatlichen Stellen, käme für den Vorsatz wiederum das 1. Vorsatzmodell infrage.

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Unter Maßgabe des Kompetenzkriteriums würden anerkannte normative Tatbestandsmerkmale wie „fremd“ in §§ 242, 246, die nicht von anderen Instanzen als dem Bundesgesetzgeber (z. B. landesrechtliche Schatzfundbestimmungen[22] oder Bestimmungen ausländischer Rechtsordnungen) ausgefüllt werden, die Anwendung des 1. Vorsatzmodells erfordern.[23] Dass dieses Ergebnis nicht mit der allgemeinen Ansicht in Deckung zu bringen ist, wonach bei normativen Tatbestandsmerkmalen stets Rechts- bzw. Rechtsfolgenkenntnis[24] notwendig sei, ist noch kein gewichtiger Einwand gegen das Kriterium. Gegen das Kompetenzkriterium als vorsatzrechtliches Unterscheidungsmerkmal spricht – neben den Subsumtionsschwierigkeiten bei rechtsgeschäflichen Vermögensbetreuungspflichten – aber entscheidend die fehlende Erklärung dafür, warum es für das erforderliche Vorstellungsbild des Täters gem. § 16 einen Unterschied machen soll, wenn die Sanktionsnorm durch Ausfüllungsvorschriften unterschiedlicher Instanzen ausgefüllt wird. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, dass die Vermögensbetreuungspflicht aus einem Bundesgesetz Tatsachen-, die etwa aus einer landesgesetzlichen Schutzfundbestimmung hingegen Rechtsfolgen- bzw. Rechtskenntnis erfordert.[25] Die im verfassungsrechtlichen Kontext angeführten Argumente sind für den Vorsatz ohne Bedeutung. Auch Vogel, der sich im Ergebnis für eine vorsatzrechtliche Differenzierung nach dem Kompetenzkriterium ausspricht, begründet dies nicht mit dem Instanzensprung zwischen Sanktionsnorm und Ausfüllungsvorschrift.[26] Das im verfassungsrechtlichen Kontext entwickelte Kriterium des Kompetenzsprungs ist folglich für den Pflichtwidrigkeitsvorsatz des § 266 irrelevant.

2. Ort der Rechtsquelle

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Die vorsatzrechtliche Unterscheidung anhand des Standortes der Rechtsquelle, auf die sich der Irrtum bezieht, ist der deutschen Irrtumsdogmatik aber keineswegs fremd.[27] Schon das Reichsgericht orientierte sich im Fall eines Rechtsirrtums daran.

a) Die reichsgerichtliche Irrtumsrechtsprechung

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Die heute selbstverständliche Unterscheidung von Tatbestands- und Verbotsirrtum (§§ 16, 17) war unter der Geltung des RStGB unbekannt. In dessen § 59 war lediglich eine dem § 16 entsprechende Regelung des Tatbestandsirrtums zu finden.[28] Den von § 59 RStGB umfassten sog. Tatirrtum (error facti)[29] unterschied das Reichsgericht vom gesetzlich nicht geregelten sog. Rechtsirrtum (error iuris). Der Rechtsirrtum war nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts für den Vorsatz unbeachtlich, sofern es sich um einen strafrechtlichen Rechtsirrtum handelte. Irrte der Täter hingegen über einen außerstrafrechtlichen Rechtssatz, wurde der außerstrafrechtliche Rechtssatz zum „Thatumstand“ gem. § 59 RStGB und folglich der Rechtsfolge eines Tatirrtums gleichgestellt.[30]

Der Irrtum über die Existenz und Tragweite der Ausfüllungsvorschriften von Blankettstrafgesetzen wurde im Grundsatz als außerstrafrechtlicher Rechtsirrtum und damit als Tatirrtum behandelt.[31] Ausnahmen wurden dort gemacht, wo die Ausfüllungsvorschrift einen „unauslösbaren Bestandteil“[32] des Strafgesetzes bildete, was namentlich bei den heute sog. unechten Blankettstrafgesetzen angenommen wurde. Stellvertretend für dieses Judikat steht der „Expressbotenfall“[33] des Reichsgerichts, wo es ausführt, dass der Verweis der damaligen Strafbestimmung des § 27 Reichspostgesetzes auf die §§ 1 und 2 desselben Gesetzes „sichtlich nur aus Rücksicht der formellen Gesetzesökonomie, aus dem Streben nach möglicher Kürze, Übersichtlichkeit und so zu erreichender Verständlichkeit des Gesetzestextes“[34] erfolgt sei. Der Irrtum über den Inhalt der §§ 1 und 2 Reichspostgesetz wurde daher als ein strafrechtlicher Rechtsirrtum behandelt, der für den Vorsatz unbeachtlich war.

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Die reichsgerichtliche Rechtsprechung stieß schon seinerzeit auf massive Kritik,[35] in jüngeren Abhandlungen erlebt sie jedoch eine gewisse Renaissance.[36] Es kann nicht in Abrede gestellt werden, dass unter Anwendung der Frage, ob der Täter über einen außerstrafrechtlichen oder strafrechtlichen Rechtssatz irrt, auch sachgerechte Ergebnisse erzielt werden können. Diese stehen aber im Verdacht, nur zufällig zu sein. Der Irrtum etwa des Täters, der einen Hund in der irrigen Annahme tötet, Tiere seien keine „Sachen“ im Sinne des § 303, wäre unter Maßgabe der reichsgerichtlichen Rechtsprechung nur dann unbeachtlich, wenn der Sachenbegriff rein strafrechtlich bestimmt wird.[37] Die reichsgerichtliche Rechtsprechung schließt es nicht aus, das irrtumsrechtlich gewünschte Ergebnis unter dem Schein dogmatischer Erwägungen zu erzielen.[38] Wer möchte, dass der Täter – um vorsätzlich zu handeln – die „Fremdheit“ einer Sache als Rechtsfolge nicht zu kennen braucht, wird versucht sein, den Begriff der „Fremdheit“ originär strafrechtlich zu bestimmen. In der Konsequenz der reichsgerichtlichen Rechtsprechung läge es, den Irrtum über den dann strafrechtlichen Fremdheitsbegriff für unbeachtlich zu erklären. Die Einordnung eines Tatbestandsmerkmals als außer- oder rein strafrechtlich erweist sich mithin als beliebig[39], ein Eindruck, der sich in zahlreichen – den eigenen Irrtumsgrundsätzen widersprechenden – Entscheidungen des Reichsgerichts dokumentiert.[40]

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Die Unsicherheiten des reichsgerichtlichen Unterscheidungskriteriums zeigen sich im Übrigen auch in § 266. Hier steht ebenfalls im Streit, ob die Pflichtverletzung strafrechtsakzessorisch, oder mit Schünemann strafrechtsautonom zu begründen ist.[41] Über die Berechtigung einer strafrechtsautonomen Bestimmung der Pflichtwidrigkeit mag man trefflich streiten. Nicht ersichtlich ist aber, warum davon zugleich der Vorsatzgegenstand des Pflichtwidrigkeitsmerkmals abhängen soll, abgesehen davon, dass ihn bisher niemand allein danach zu bestimmen versucht hat. Die Autonomie strafrechtlicher Begriffsschöpfung kann keine Auswirkungen auf den Gegenstand des Vorsatzes haben.[42]

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Hinter der reichsgerichtlichen Irrtumsrechtsprechung steht die Annahme, dass die Kenntnis von den Inhalten der Strafgesetze von jedermann erwartet werden könne (error iuris criminalis nocet),[43] die Kenntnis von außerstrafrechtlichen Rechtssätzen dagegen nicht. Auch Arthur Kaufmann vermutet, dass das Reichsgericht im Zuge seiner ergebnisorientierten[44] Rechtsprechung in Wahrheit „Merkmale untersucht [hat], die der Täter gekannt haben muss, damit von ihm auch ohne Kenntnis des gesetzlichen Verbots die Mißbilligung der Handlung erwartet werden konnte.“[45] Dieser Gedanke ist identisch mit der Irrtumskonzeption der Schuldtheorie.[46] Die Einteilung nach strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen Irrtümern „vernebelt“ dies nur und verdeckt, dass in der Sache nicht die Abgrenzung von Rechts- und Tatirrtum, sondern die von Tatbestands- und Verbotsirrtum erforderlich ist.[47] Ob die Linie zwischen Kennen- und Nichtkennenmüssen von strafrechtlich relevanten Ge- und Verboten mit der Differenzierung zwischen außerstrafrechtlichen und strafrechtlichen Rechtssätzen zutreffend nachgezeichnet wird, erscheint überdies zweifelhaft.[48] Es könnte oftmals dem Zufall oder vorsatzfremden Erwägungen geschuldet sein, welcher Regelungstechnik sich der Gesetzgeber bedient und ob er die Bedingungen strafrechtlichen Verhaltens selbst im Straftatbestand bestimmt oder anstelle dessen auf andere Ausfüllungsvorschriften verweist. Das Verweisungsobjekt müsste solchenfalls lediglich in den Tatbestand „hineingelesen“ werden, wo es das Verweisungsmerkmal substituieren würde.

b) Die Substituierbarkeitsthese

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Die Bedeutung dieser sog. Substituierbarkeitsthese kann im irrtumsrechtlichen Kontext kaum überschätzt werden. Erstmals wurde sie von Kohlrausch in die irrtumsrechtliche Diskussion als Argument gegen die reichsgerichtliche Irrtumsrechtsprechung eingeführt: „Die Wahl der Darstellungsart kann den Umkreis der strafbaren Fälle nicht berühren, weder objektiv noch subjektiv.“[49] Rechtstechnisch wird die Substituierbarkeitsthese durch das „Zusammenlesen“ von Ausfüllungsvorschrift und Sanktionsnorm umgesetzt.[50] Das Verweisungsmerkmal wird durch die Ausfüllungsnorm ersetzt, eine eigene tatbestandliche Bedeutung verbleibt ihm dabei nicht. Der Täter muss die Tatbestandsmerkmale des ergänzten Tatbestands, nicht aber das Verbot insgesamt kennen. Folgerichtig schließen Welzel und Warda daraus, dass verhaltensnormenvermittelnde Straftatbestände auf Rechtsvorschriften auf dem Boden des Axioms des Zusammenlesens der Sanktions- und Ausfüllungsnormen im Vergleich zu Vollstrafgesetzen keine Besonderheiten aufwiesen.[51]

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Die ersatzlose Substituierung des Blankettmerkmals durch die Ausfüllungsnorm wird von Teilen der Literatur strikt abgelehnt. Herzberg kritisiert, die von der h.M. praktizierte Technik des Zusammenlesens, die suggeriere, es handele sich bei dem Zusammenlesen um einen lediglich „technischen“ Vorgang, sei bereits auf „den ersten Blick unrichtig“[52]. Die Ersetzung des Blankettmerkmals durch die Ausfüllungsvorschrift stelle in Wahrheit eine beliebige Interpretation des Gesetzes dar,[53] wodurch der Inhalt der Blankettnorm dergestalt verändert werde, dass die im Ausgangspunkt stark normativen Straftatbestände stärker deskriptiv werden.[54] Dazu seien aber weder die Richter noch die Rechtswissenschaftler befugt, dies sei vielmehr die Aufgabe des Gesetzgebers.[55] Der Einwand lautet: Wer das Blankettmerkmal ersatzlos durch die Ausfüllungsvorschriften ersetzt, verfälsche das Gesetz, es handele sich um eine „glatte Gesetzesmissachtung“[56]. Dahinter steht der Gedanke, dass der Gesetzgeber durch die Wahl der Gesetzesformulierung nicht nur den Anwendungsbereich des objektiven Tatbestandes, sondern zugleich den Inhalt der erforderlichen Vorstellung des Täters, also den subjektiven Tatbestand, festlegt.[57] Zwar sei es sachgerecht, die Ausfüllungsvorschrift in die Sanktionsnorm zu lesen, dem Verweisungsmerkmal müsse aber vorsatzrechtliche Bedeutung verbleiben, was im Ergebnis den Anforderungen des 3. Vorsatzmodells entspricht.[58]

 

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Es muss bezweifelt werden, dass der Gesetzgeber durch die Wahl der Gesetzesformulierung tatsächlich immer auch die Anforderungen an den Vorsatz mitzuregeln gedenkt resp. sogar gezwungen ist. Die Motive für die Verwendung der Verweisung als Gesetzestechnik können unterschiedlicher Art sein. Häufig dient sie der Gesetzesvereinfachung, wie in § 49 StVO, wo die Verstöße gegen die an verschiedenen Stellen der StVO angeordneten Verhaltensgebote der StVO katalogartig zusammengefasst und sanktioniert werden.[59] Mithilfe der Verweisungstechnik werden die Strafvorschriften „vor die Klammer“ gezogen und ermöglichen eine Entlastung des Gesetzestextes, die der Übersichtlichkeit des Gesetzes dient.[60]

Überdies ermöglicht die Verweisungstechnik die umstandslose Anpassungsfähigkeit des Strafrechtsschutzes. Die Verweisung als Gesetzestechnik kann den sich stetig wandelnden politischen, ökonomischen, sozialen und regionalen Gegebenheiten durch die Änderung der Ausfüllungsvorschrift Rechnung tragen, ohne dass der Gesetzgeber die Sanktionsnorm als Rahmengesetz jeweils zu ändern hätte (Flexibilitätsfunktion des Blankettgesetzes).[61] Als Beispiel dient § 327 Abs. 2 Nr. 1, dessen Tatbestandsmerkmal „genehmigungsbedürftige Anlage“ auf die im BImSchG geregelten Vorschriften Bezug nimmt. Das BVerfG stellt die Flexibilitätsfunktion dieses verweisenden Tatbestands heraus: „Eine detaillierte Regelung dieser überwiegend technischen Fragen im Bundes-Immissionsschutzgesetz selbst würde das Gesetz starr und kasuistisch machen und die notwendige Anpassung an die raschem Fortschritt und Wandel unterworfene Naturwissenschaft und Technik erschweren […].“[62]

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Dient die Verweisung als Gesetzestechnik also der Gesetzesökonomie und der Flexibilität des Sanktionsbedürfnisses, stellt sich das Hineinlesen der Ausfüllungsvorschrift in die Sanktionsnorm, die Substitution, nicht etwa als eine gesetzesverfälschende Interpretation des Gesetzes dar, sondern im Gegenteil: Sie ist dessen Anwendung.[63] Es stünde umgekehrt zu befürchten, dass in Konsequenz der Gegenauffassung der Gesetzgeber in seinem legislativen Handlungsspielraum beschnitten würde, wenn er – trotz erklärtermaßen anderen Motiven – zugleich gezwungen wäre, durch die Art der Gesetzestechnik die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand zu regeln. Berücksichtigt man zudem, dass die Formulierung des Tatbestandes womöglich nur Ausdruck zufälliger (motivloser) Gesetzestechnik sein könnte,[64] liegt in Wahrheit in dem Ergebnis der Gegenauffassung die eigentliche Kompetenzanmaßung durch den Rechtsanwender.

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In die richtige Richtung weist die Auffassung, die die Substituierbarkeitsthese nur bei Verweisungen auf Vorschriften desselben Gesetzes bzw. Gesetzgebers (sog. unechte Blankettstrafgesetze) anerkennt.[65] Es wird argumentiert, dass hier eindeutig keine Sinnverschiebung durch die Ersetzung des Verweisungsmerkmals durch die Ausfüllungsvorschrift vorliege. Daher handele im Verbotsirrtum, wer sich über unechte Blankettverweisungen im Irrtum befinde.

Zwar ist es richtig, dass sich die Vereinfachungsfunktion der Verweisungstechnik bei „kompetenzinternen“ Verweisungen besonders aufdrängt. Offen bleibt aber, warum es dem Gesetzgeber der Sanktionsnorm verwehrt sein soll, die Verhaltensgebote anderer Instanzen ebenfalls aus Vereinfachungsgründen in Bezug zu nehmen. Die gegenteilige Auffassung muss sich den Einwand gefallen lassen, dass sie auf diese Weise dem Kompetenzkriterium insgeheim vorsatzrechtliche Bedeutung beimisst.[66]

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Das bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber nicht auch durch Gesetz die Vorsatzanforderungen in einem einzelnen Tatbestand regeln könnte. Zweifelhaft ist nur, wann der Rechtsanwender auf einen entsprechenden gesetzgeberischen Willen zulässigerweise schließen darf. Nach Ansicht in der Literatur soll sich durch Auslegung der konkreten Tatbestandsfassung ergeben, welchen Vorsatzgegenstand der Gesetzgeber einer Strafvorschrift zugrunde gelegt hat.[67] Jescheck/Weigend führen das Beispiel des § 36 Abs. 3 Nr. 1 Marktorganisationsgesetz (MOG)[68] an, wonach ordnungswidrig handelt, wer „vorsätzlich oder leichtfertig entgegen einer Vorschrift […] zuwiderhandelt“. Hier folge aus dem Gesetz, dass sich der Vorsatz des Täters auch auf den Verstoß gegen Vorschriften beziehen müsse. Dass dies nicht überzeugen kann, ergibt sich schon daraus, dass der Gesetzgeber lediglich die Begehungsformen (im Beispiel: „vorsätzlich“ oder „leichtfertig“) klarstellen wollen könnte, ohne den Gegenstand des Vorsatzes zu regeln.[69]

Ein entsprechender gesetzgeberischer Wille könnte allenfalls damit begründet werden, dass die mit dem Vorsatzdelikt korrespondierende Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nur die Rechtsfahrlässigkeit umfasse, und das vorsätzliche Handeln im Umkehrschluss Kenntnis vom Verbot voraussetze.[70] Da hier jedoch regelmäßig ebenfalls Fallgestaltungen der Erfolgsfahrlässigkeit denkbar sein werden, ist auch diese Argumentation nicht überzeugend.[71] Auf die Fallgruppen muss im Kontext des § 266 allerdings auch nicht näher eingegangen werden, da die fahrlässige Untreue nicht unter Strafe steht.

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Als weiteres Argument gegen die Zulässigkeit der Substituierbarkeitsthese beruft sich Puppe auf den Wortlaut des auf Rechtsvorschriften verweisenden Tatbestands. Die tatbestandliche Formulierung mache das Verweisungsmerkmal zu einem Tatbestandsmerkmal.[72] Zwingend ist dies schon deshalb nicht, da das Verweisungsmerkmal auch hier lediglich eine Hinweisfunktion übernehmen könnte, das jeweils in Bezug genommene Verweisungsobjekt in den Tatbestand zu lesen. Im Übrigen ist festzustellen, dass auch Puppe das Wortlautargument nicht ausnahmslos gelten lässt. Denn folgerichtig wäre es, auch bei Tatbeständen mit tatbewertenden Merkmalen vorsatzrechtlich entsprechend zu argumentieren, und die Kenntnis des Verbots deshalb zum Vorsatzgegenstand zu erheben, da es durch die Tatbestandsfassung zum Tatbestandsmerkmal gemacht wurde.[73] Dies lehnt Puppe allerdings ab, und verlangt aus Wertungsgesichtspunkten bei tatbewertenden Merkmalen – ganz im Einklang mit der h.M.[74] – lediglich Tatsachenkenntnis.

Die Vermutung liegt nicht fern, dass es auch ihr in Wahrheit weniger um die Technik der Gesetzesregelung, als um den Inhalt der in Bezug genommenen Ausfüllungsvorschrift geht. Puppes Wertung lautet, gesetzliche Pflichten können nicht als bekannt vorausgesetzt werden (daher Rechtskenntnis), ungeschriebene Verhaltensnormen, die „zum Mindeststandard der in der herrschenden Rechtsethik der Gesellschaft begründeten Regeln des Zusammenlebens“[75] gehören, sind hingegen stets zu kennen (daher Tatsachenkenntnis).[76]

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Ob der Gesetzgeber eine gemeinhin bekannte Verhaltensnorm gesetzlich verfasst hat, kann indes – wie bereits bei einem Verweis auf Rechtsvorschriften festgestellt – zufällig sein. Das Auszahlungsverbot stammkapitalbeeinträchtigender Zahlung gem. § 30 GmbHG ist beispielsweise lediglich eine besondere Ausformung des tatbewertenden Merkmals der „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes“ gem. § 43 GmbHG. Dass die vorsatzrechtlichen Anforderungen von ein und derselben Verhaltensnorm in Abhängigkeit zu ihrer positiv-rechtlichen Verfasstheit treten sollen, überzeugt von dieser Warte aus nicht. Der Wortlaut des Verweisungstatbestandes kann damit kein durchgreifendes Argument für die geforderte Rechtskenntnis darstellen. Für das Pflichtwidrigkeitsmerkmal in § 266 gilt nichts anderes. Wenn Burger ausführt, der Wortsinn des Pflichtwidrigkeitsmerkmals spreche dafür, dass der Täter Rechtskenntnis haben müsse,[77] ist dem aus gleichen Gründen zu widersprechen. Sein Argument, der Pflichtverstoß sei ein Tatumstand gem. § 16 und müsse daher vom Vorsatz des Täters umfasst sein, ist überdies zirkulär, denn dies gilt es gerade nachzuweisen.[78]