Unbestreitbare Wahrheit

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Ich machte Cus verrückt, weil ich ihn ständig nach diesen alten Boxkämpfen ausfragte. Ich weiß, er liebte es, übers Boxen zu reden, aber manchmal übertrieb ich es wohl auch. Ich las alle Bücher übers Boxen, die Cus hatte. Wenn wir also beim Essen saßen, und Cus den anderen Jungs die Boxgeschichte näher brachte und nach einem Namen oder einem Datum suchte, beendete ich den Satz für ihn.

„Dieser Junge weiß alles“, sagte er. „Man könnte meinen, er sei dabei gewesen.“

Ich nahm die Boxgeschichte so ernst, weil ich so viel von den alten Boxern lernte. Was musste ich tun, um so zu sein? Was konnte dieser oder jener Boxer Besonderes? Cus klärte mich darüber auf, wie böse und gemein sie außerhalb des Rings waren. Aber wenn sie im Ring standen, waren sie entspannt und ruhig. Ich war ganz aufgeregt, wenn Cus über diese Jungs redete, und erkannte, dass er sie sehr schätzte. Ich wünschte mir, dass jemand so über mich sprach. Ich wünschte mir so sehr, Teil dieser Welt zu sein, schaute mir die Kämpfe im Fernsehen an und sah, wie die Boxer mit verzerrter Miene ihre Schläge austeilten und dass ihre Körper sehr muskulös waren. Ich wünschte mir, es würde sich um mein Gesicht und meinen muskulösen Körper handeln.

Wir unterhielten uns über die Boxsportgrößen. Ich schwärmte für Jack Johnson. Was für ein mutiger Kerl. Er war tatsächlich der erste Junge, der stolz darauf war, schwarz zu sein. Und ich mochte seine Überheblichkeit. Er wurde um die Jahrhundertwende wegen eines Strafzettels von der Polizei angehalten und sollte zehn Dollar bezahlen. Er gab dem Polizisten 20 Dollar und sagte: „Nehmen Sie das, denn ich werde auf dem Rückweg nochmal hier vorbeikommen.“

Er war ein Meister der Manipulation. Wenn er trainierte, umwickelte er seinen Penis, bevor er seine Boxerhosen anzog, um ihn größer und die Weißen minderwertiger erscheinen zu lassen. Während der Boxkämpfe demütigte er seine Gegner. Er war ein richtiger Maulheld. „Ich gebe dir 10.000 Dollar, wenn es dir gelingt, meine Lippe aufzureißen“, sagte er. Während einer Runde lachte er seinem Kontrahenten ins Gesicht, sprach mit seiner Frau und erklärte ihr, wie sehr er sie liebe, während er dem Kerl, gegen den er antrat, die Seele aus dem Leib prügelte. Gern hätte ich mit ihm herumgehangen. Er beherrschte mehrere Sprachen und feierte mit den königlichen Familien von Russland und England.

Dempsey war der erste Ein-Million-Dollar-Champ. Er führte Showbusiness und Glamour in den Boxsport ein. Ich fühlte mich ihm am meisten verbunden, weil er ein sehr unsicherer Junge war. Er hatte immer Angst, überwand sie aber stets, um sein Ziel zu erreichen.

Cus’ Favorit war Henry Armstrong. Der griff seinen Gegner konstant an und zermürbte ihn. „Konstanter Angriff, keine Unterbrechung“, erklärte Cus mir. „Armstrong bewegt immer seinen Kopf und hat eine gute Abwehr. Brich den Willen des Gegners, zerstöre seinen Kampfgeist, lass all seine verdammten Anstrengungen ins Leere laufen.“

All seine verdammten Anstrengungen ins Leere laufen lassen? Wow! Dann starrte Cus mich an.

„Wenn du auf mich hörst, dann gehörst du bald zu den Göttern. Schau, wie interessiert du bist und wie du über all diese alten Boxer sprichst. Der einzige Grund, weshalb die Menschen von diesen Jungs erfahren, ist der, dass du ihr Andenken lebendig hältst. Du wirst alle diese Boxer überstrahlen. Als Junge habe ich mal Jack Dempsey gesehen. Ich habe diese Boxer kennengelernt und ihnen die Hand geschüttelt. Sie können dir aber nicht das Wasser reichen. Du bist ein Riese, ein Koloss unter den Männern.“

Ich verschlang diesen Scheiß. Aber all das Gerede über Engagement, Disziplin und harte Arbeit reichte nicht aus, mich davon abzuhalten, nach Brooklyn zurückzukehren und wieder zu klauen und Leute auszurauben. Ich spielte ein doppeltes Spiel. In Catskill mimte ich den Chorknaben und in Brooklyn den Teufel.

Dem Himmel sei Dank, dass ich nie festgenommen wurde. Das hätte Cus das Herz gebrochen.


Cus verstand es, mir ein gutes Gefühl zu vermitteln, ein Gefühl, als könnte ich die Welt erobern. Aber er wusste auch, wie er mir das Gefühl vermitteln konnte, ein Stück Scheiße zu sein. Manchmal sagte er zu mir: „Du lässt deinen Verstand die Oberhand gewinnen.“ Das war sein ungeschriebener Geheimkode, um zu sagen: „Du bist ein scheiß Schwächling. Du besitzt nicht genug Disziplin, um einer der Großen zu werden.“ Die großen Boxer konnten den besten Kampf ihres Lebens abliefern, auch wenn gerade ihr Kind entführt oder ihre Mutter umgebracht wurde. Die Großen sind emotional völlig eigenständig. Auch Sänger und Schauspieler sind so, nicht nur die Boxer. Wie ich gelesen habe, waren einige der legendärsten Künstler fähig, eine rekordverdächtige Performance hinzulegen, auch wenn sie high von irgendwas waren. Manchmal konnten sie nicht mal mehr gehen und fuhren direkt von der Bühne in die Klinik, aber sie besaßen extrem viel Disziplin und Entschlossenheit. Ich wollte einer dieser Boxer und Performer werden.

Vom ersten Tag an, als ich bei Cus einzog, fing er an, mich entsprechend zu bearbeiten und zu testen, wie weit er mich ohne ersichtlichen Grund drangsalieren konnte. Zum Beispiel tauchte er in meinem Zimmer auf und fragte: „Was hast du heute in der Schule gemacht? Nun, du musst ja wohl was gemacht haben, denn du warst den ganzen Tag in der Schule. Was hast du gelernt? Wo sind deine Hausaufgaben? Hast du welche auf?“

Die anderen Jungs behaupteten immer, Cus bevorzuge mich, aber sie wussten nicht, wie er mit mir redete, wenn wir allein waren.

Ich hatte immer Gewichtsprobleme. In meiner Vorstellung war ich ein fettes Schwein, auch wenn die anderen bei meinem Anblick nicht auf den Gedanken kamen. Wenn ich trainierte, schmierte ich mir Abolene, ein Mittel zum Fettabbau, auf die Haut und trug ein bis zwei Wochen lang einen Saunaanzug, den ich lediglich abends zum Baden auszog. Damit konnte ich noch ein paar Pfunde zum Schmelzen bringen. Dann ging ich zu Bett. Am nächsten Morgen streifte ich ihn wieder über, ging zum Joggen und trug ihn den ganzen Tag. Mein Gewicht war ebenfalls ein Punkt, der Cus Anlass zum Kritteln gab.

„Dein Arsch wird immer fetter“, sagte er. „Du verlierst wohl das Interesse, oder? Du willst das alles wohl nicht mehr mitmachen, denn es ist zu anstrengend für dich, nicht wahr, Mike? Du hast dir wohl vorgestellt, dass wir hier oben Spielchen machen, oder? Hast gedacht, du bist wieder in Brownsville, rennst herum und treibst deine Spielchen?“ Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich das anhören. Und zwar genau in dem Augenblick, wenn Sie sich ein Eis gönnen, was Sie sich sowieso nur am Wochenende zugestanden, müssten Sie das über sich ergehen lassen. „Nicht viele Kids können das tun, was wir hier machen, deshalb ist es etwas ganz Besonderes. Ich hatte wirklich angenommen, du könntest es“, fuhr er fort.

Teilweise tadelte mich Cus, und ich hatte keinen Schimmer, weshalb. Er nahm mich auseinander und machte mich nieder. „Mit deinem kindischen Getue und Verhalten wirst du nie den Gipfel erreichen, nach dem wir streben.“ Manchmal, wenn Cus mich mal wieder niedergemacht hatte, konnte ich nicht anders als verzweifelt zu schreien: „Ihr könnt mir alle gestohlen bleiben. Aggh!“

Ich konzentrierte mich dann auf die positiven Dinge, die er zu mir sagte, und erklärte ihm: „Ich werde alles daransetzen zu gewinnen. Ich würde mein Leben opfern, um Champion zu werden, das darfst du mir ruhig glauben, Cus.“ Und statt zu erwidern: „Mike, du schaffst es“, musste er mir unbedingt noch einen Seitenhieb versetzen: „Überleg dir genau, worum du bittest, du könntest es bekommen.“

Er krittelte auch an meinen Klamotten herum. An Feiertagen kamen manchmal Gäste, Camilles Schwester oder andere Besucher. Ich schlüpfte in eine hübsche Hose, ein Hemd mit Weste und band mir eine Krawatte um. Ich saß ganz entspannt da, und die Damen bemerkten: „Mike, du siehst gut aus.“ Und dann kam Cus herein.

„Wie bist du denn herausgeputzt? Deine Hose ist so eng, dass sich deine Eier und dein Arsch abzeichnen. Was ist los mit dir?“

Camille wollte mich verteidigen, aber Cus fiel ihr ins Wort.

„Verschone mich mit deiner Meinung. Camil-lee, bitte. Dieser Aufzug ist unmöglich.“

Aber Cus bedachte mich nie mit Schimpfworten wie „Hurensohn“. Er nannte mich lediglich faule Tomate oder Penner. Das hieß in der Boxersprache, dass ich ein schmutziger, versiffter Nigga sei. Ich heulte jedes Mal wie ein Baby. Er wusste, dass ich am Boden zerstört war, wenn er das zu mir sagte.

Ich empfing von ihm so viele unterschiedliche Botschaften, dass ich unsicher wurde, wie er mich in Wirklichkeit als Boxer einschätzte. Einmal, als Tom Patti und ich gerade aus der Sporthalle kamen, verspätete sich Cus einen Moment. Ich schlüpfte auf den Rücksitz und versteckte mich.

„Sag Cus, ich sei zu Fuß heimgegangen. Und wenn er einsteigt, frag ihn bitte, wie er eigentlich zu mir steht.“ Tom war dazu bereit. Dann stieg Cus ein.

„Wo zum Teufel steckt Mike?“, fragte er.

„Ich glaube, er bleibt in der Stadt“, erwiderte Tom.

„Okay, dann fahren wir. Er wird später nachkommen.“ Also fuhren wir los. Ich lag auf dem Rücksitz und flüsterte mit Tom, da Cus halb taub war und schlecht hörte.

„Hör zu, Tom, frag Cus, ob er findet, dass ich harte Schläge verpasse“, sagte ich.

„He, Cus, findest du, dass Mike hart zuschlägt?“, fragte Tom.

„Tut er. Ich will dir mal was sagen: Dieser Junge schlägt so hart zu, dass er eine Ziegelmauer entzweischlagen könnte. Er schlägt nicht nur hart zu, sondern auch effektiv. Er kann sowohl mit der rechten als auch mit der linken Hand den Gegner k.o. schlagen“, sagte Cus.

 

„Frag Cus, ob er glaubt, ich könne in Zukunft wirklich ein großer Boxer werden“, flüsterte ich.

Tom stellte Cus die Frage.

„Tommy, wenn Mike seine fünf Sinne beisammenhält und sich auf das angestrebte Ziel konzentriert, wird er einer der größten Boxer, wenn nicht gar der größte Boxer in der Geschichte des Boxsports.“

Das hörte ich gerne. Inzwischen waren wir bei Cus’ Haus angelangt. Als wir ausstiegen, entdeckte mich Cus auf dem Rücksitz.

„Du hast gewusst, dass er mit uns fuhr?“, wandte er sich an Tom.

Tom spielte den Unschuldigen.

„Versuch nicht, mich zu verschaukeln. Du hast genau gewusst, dass er hinten auf dem Rücksitz lag. Ihr beide seid wirklich nicht auf den Kopf gefallen, das kann ich euch sagen.“

Cus fand es nicht lustig, aber wir schon.

Das Lustige daran war, dass er seine eigenen Emotionen nicht kontrollieren konnte. Cus war einfach ein total verbitterter Mann, der nach Rache sann. Roy Cohn, Kardinal Spellman, diese Männer verfolgten ihn im Schlaf. J. Edgar Hoover? „Oh, wenn ich ihm nur eine Kugel in den Kopf jagen könnte, denn das verdient er.“ Er faselte ständig davon, wie er jemanden umbringen würde, und dabei waren einige der Kerle bereits tot. Aber er hasste sie abgrundtief.

Als ich einmal etwas Nettes über Larry Holmes sagte, geriet Cus außer sich.

„Was glaubst du denn? Er ist ein Nichts. Man muss diesen Mann demontieren. Es ist unser Ziel, ihn auseinanderzunehmen und ihm die Meisterschaft abzunehmen. Er ist nichts für dich.“

Manchmal brüllte Cus bei einem Fernsehauftritt wie ein Tier. Eigentlich wirkte er nicht wie ein bösartiger alter Mann, doch er war es. Wenn man nicht bereit war, sein Sklave zu sein, hasste er einen abgrundtief. Er war immer auf Konfrontation aus. Den größten Teil des Tages hörte man ihn sagen: „Oh, dieser Hundesohn, oh, ich kann es nicht glauben, dieser Kerl aus, du weißt schon, wen ich meine … Was für ein Dreckskerl!“

Die arme Camille sagte dann: „Cus, beruhige dich. Dein Blutdruck steigt.“

Cus herrschte in dem Haus mit eiserner Faust und beherrschte sogar Camille, obwohl es ihr Haus war. Cus besaß keinen Cent. Er hat sich nie richtig um Geld gekümmert und das meiste einfach weggegeben. Camille wollte das Haus verkaufen, weil es so teuer war, es zu unterhalten, doch Cus überredete sie, es zu behalten. Er wies sie darauf hin, dass er eines Tages einen Stall guter Kämpfer haben und dann alles besser werden würde. Er hatte aber schon fast die Hoffnung verloren, als ich des Weges kam.

Ich glaube nicht, dass Cus damit rechnete, in absehbarer Zeit einen Boxweltmeister präsentieren zu können. Die meisten Boxer, die nach Catskill kamen, waren bereits etablierte, die den Mädchen und den Versuchungen der Stadt entfliehen wollten. Außerdem mochte zu der damaligen Zeit keiner seinen Boxstil. Sie fanden ihn überholt. Dann tauchte ich dort auf, völlig unwissend, jemand, der noch zu formen war. Ich konnte nicht begreifen, warum Cus sich dermaßen über mich freute. Wenn er mich ansah, fing er an, hysterisch zu lachen. Er griff nach dem Hörer und erzählte aller Welt: „Das Wunder ist zum zweiten Mal geschehen. Ich habe einen neuen Champ im Schwergewichtsboxen.“ Dabei hatte ich noch nie einen Amateurkampf ausgetragen. Ich habe keine Ahnung, was ihn bewog, so etwas zu sagen, aber irgendwie scheint er wirklich diesen Weltmeister in mir gesehen zu haben.


Nie werde ich meinen ersten Amateurkampf vergessen. Es war in einer kleinen Halle in der Bronx. Sie gehörte Nelson Cuevas, einem ehemaligen Boxer von Cus. Die Halle war ein Dreckloch. Sie befand sich im zweiten Stock eines Gebäudes direkt neben der Hochbahn. Die Gleise waren so nah, dass man die Hand aus dem Fenster strecken und beinahe die Bahn berühren konnte. Solche Kämpfe nannte man auch „Smoker“, da der Zigarettenrauch so dicht war, dass man kaum den Gegner erkennen konnte, der vor einem stand.

Smokers waren ungenehmigte Wettkämpfe, was im Grunde genommen bedeutete, dass sie illegal waren. Draußen standen keine Sanitäter und Krankenwagen. Wenn die Zuschauer den Kampf nicht mochten, äußerten sie dies nicht durch Buhrufe, sondern verprügelten sich gegenseitig, um dem Boxer zu zeigen, wie man es richtig machte.

Alle waren piekfein gekleidet, ob Gangster oder Drogendealer. Und jeder schloss eine Wette auf die Boxer ab. Ich erinnere mich, wie ich mal einen Typen fragte: „Kaufst du mir ein Würstchen in Blätterteig, wenn ich gewinne?“ Wer gewettet hatte und gewann, kaufte einem gewöhnlich etwas zu essen.

Kurz vor meinem Kampf bekam ich so große Angst, dass ich mich fast aus dem Staub gemacht hätte. Ich dachte an all die Vorbereitungen bei Cus. Selbst nach all dem Training hatte ich immer noch riesigen Bammel, gegen jemanden im Ring anzutreten. Was war, wenn ich versagte und verlor? Auf den Straßen in Brooklyn hatte ich unzählige Male gekämpft, aber dies hier war eine ganz andere Geschichte. Man kennt seinen Gegner nicht und hat nichts gegen ihn. Ich war dort mit Teddy Atlas, meinem Trainer, und ich erklärte ihm, ich würde kurz in den Laden runtergehen. Also ging ich hinunter und setzte mich auf die Treppe, die zur U-Bahn hoch führte. Eine Sekunde lang erwog ich, einfach in die verdammte Bahn einzusteigen und nach Brownsville zu fahren. Aber dann erinnerte ich mich ruckartig an alles, was Cus mir eingebläut hatte, und ich fing an, mich zu entspannen, und mein Ego und mein Stolz gewannen die Oberhand. Also ging ich wieder hinauf, zurück in die Halle.

Ich kämpfte gegen einen hochgewachsenen Puerto Ricaner mit Afro-Look. Er war 18, vier Jahre älter als ich. Zwei Runden lang traktierten wir uns gegenseitig mit harten Schlägen, aber in der dritten traf ich ihn voll, und er fiel gegen das untere Seil. Ich ließ noch einen Schlag folgen, der ihm buchstäblich das Mundstück herausriss, das in die Zuschauermenge geschleudert wurde. Ich hatte ihn k.o. geschlagen und war außer mir vor Begeisterung. Der Ring – das war mein Leben. Ich wusste nicht, wie ich den Sieg feiern sollte. Also trat ich auf ihn, stellte mich auf den flach am Boden liegenden Scheißkerl und riss die Arme hoch.

„Geh sofort von ihm runter, was fällt dir ein, dich auf den Mann zu stellen“, schnauzte mich der Ringrichter an. Cus war in Catskill und erwartete meinen Anruf, damit ich ihm vom Ausgang berichtete. Teddy rief ihn an und berichtete ihm, was geschehen war. Cus war so begeistert, dass er sich am nächsten Morgen von seinem Freund Don, der uns zur Halle gefahren hatte, ein weiteres Mal alles berichten ließ.

Jede Woche kehrte ich dorthin zurück. Man ging in die Umkleidekabine, wo sich einige Kids versammelt hatten, und man erklärte ihnen, wie schwer man war und wie viele Boxkämpfe man bereits ausgetragen hatte. Gewöhnlich flunkerte ich, machte mich älter als 14. Es gab nicht gerade viele 14-jährige Boxer, also kämpfte ich immer gegen ältere Jungs.

Diese Smokers bedeuteten mir sehr viel, viel mehr als den anderen Kids. Ich war nämlich in der Hölle geboren und jedes Mal, wenn ich einen Kampf gewann, bedeutete dies einen Schritt weg von dieser Hölle. Die anderen Boxer waren nicht so hinterhältig wie ich, und hätte ich nicht diese Smokers gehabt, wäre ich vermutlich in der Gosse zugrunde gegangen.

Sogar Teddy trat bei diesen Kämpfen in Aktion. Eines Abends waren wir in Nelsons Halle und irgendein Kerl schubste Teddy. Teddy verpasste ihm einen Fausthieb ins Gesicht, und Nelson mischte sich ein. Er nahm eine der Trophäen, die seine Halle schmückten, echter Marmor mit einem Boxer aus Zinn auf dem Sockel, und fing an, dem Kerl auf den Schädel zu schlagen. Wären die Bullen aufgekreuzt, hätten sie ihm einen Mordversuch unterstellt. Wo auch immer Teddy auftauchte, lag Streit in der Luft. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass er mich verteidigte oder andere Kerle neidisch waren, weil er den besten Boxer hatte, aber er war nie so klug, auch nur einmal nachzugeben.

Eines Tages fuhren wir nach Ohio, aber Teddy geriet auch dort sogleich wieder in Streit mit anderen Trainern.

Wir fingen an, bei Smokers im gesamten Nordosten anzutreten. Bevor wir losfuhren, nahm mich Cus beiseite.

„Ein paar Freunde von mir werden sich den Kampf ansehen. Ich werde am Telefon sitzen und warten. Ich rechne damit, dass sie wie ein Rohrspatz über deinen Kampf schimpfen werden, wenn sie anrufen“, sagte er. Das vergaß ich nie. „Wie ein Rohrspatz schimpfen.“ Das spornte mich so an, dass ich während der sechsstündigen Fahrt wie aufgezogen war. Ich konnte keine Sekunde stillsitzen. Ich konnte es nicht abwarten, in den Ring zu steigen und die Scheißkerle zu vermöbeln. Einer meiner Gegner kam mit seiner Frau und seinem Baby zum Kampf, und ich zwang ihn eiskalt zu Boden.

Cus kam zu meinem fünften Kampf in einem Smoker in Scranton. Ich trat gegen einen Typen namens Billy O’Rourke im Scranton Catholic Youth Center an. Billy war 17, und ich behauptete, genau so alt zu sein, denn es war ein offizieller Pro-Card-Kampf für Amateure. Vor dem Kampf ging Cus zu O’Rourke.

„Mein Mann ist ein Killer“, sagte Cus. „Ich will nicht, dass du was abbekommst.“

Das war bis dahin mein härtester Kampf. In der ersten Runde hatte ich die Oberhand und hielt ihn in Schach, aber dieser irre weiße Psycho kam immer wieder hoch. Nicht nur, dass er ein ums andere Mal wieder aufstand, er legte immer noch einen zu. Je härter ich ihn in die Knie zwang, desto unnachgiebiger stand er wieder auf und verpasste mir seine Haken. In der ersten Runde hatte ich ihn durch meine Schläge in Schach gehalten, aber in der zweiten herrschte der totale Kriegszustand. Wir kämpften jetzt in der dritten Runde, und Teddy wollte nicht riskieren, dass der Kampf in die falsche Richtung lief.

„Hör zu, du erzählst ständig, dass du ein großer Boxer werden willst, wie all die tollen Boxer, und dass du es unbedingt schaffen willst. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Geh da rein und beweg deinen Kopf, schlag zu.“ Ich stand auf, stieg in den Ring und zwang in der dritten Runde O’Rourke dreimal zu Boden. Er war blutüberströmt. Am Ende des Kampfes drängte er mich gegen die Seile. Aber ich befreite mich wieder und versetzte ihm einen K.o.-Schlag. Die Zuschauer rasten. Es war der Kampf des Abends.

Cus freute sich über meinen Auftritt, aber meinte auch: „Noch eine Runde, und er hätte dich besiegt.“

Im Mai und Juni 1981 strebte ich meine erste Meisterschaft an – die Junior Olympiade. Bisher hatte ich etwa zehn Kämpfe ausgetragen. Zuerst musste man ein lokales Turnier gewinnen, dann ein regionales, und schließlich trat man in Colorado um den nationalen Titel an.

Ich gewann alle meine Vorentscheidungskämpfe, also flog ich mit Teddy nach Colorado. Cus nahm den Zug, weil er unter Flugangst litt. Als ich in die Umkleidekabine trat, erinnerte ich mich, wie meine Boxhelden sich verhalten hatten. Die anderen Kids gingen auf mich zu, streckten die Hand aus, um meine zu schütteln. Aber ich lächelte nur spöttisch und wandte ihnen den Rücken zu. Ich spielte eine Rolle. Jemand sagte etwas, und ich starrte ihn nur an. Cus sagte immer, man müsse seinen Gegner manipulieren, indem man Chaos und Verwirrung stifte, selbst aber eiskalt bleibe. Ich beschwor solche chaotischen Situationen herauf, dass ein paar der anderen Boxer mich nur ansahen und danach ihren Kampf verloren, damit sie später nicht gegen mich antreten mussten. Ich gewann alle meine Kämpfe durch K.o.-Schläge in der ersten Runde. Die Goldmedaille bekam ich, nachdem ich Joe Cortez in acht Sekunden besiegt hatte, ein Rekord, der, wie ich glaube, bis heute einmalig ist. Ich war auf dem richtigen Weg.

Nachdem ich diese Goldmedaille gewonnen hatte, wurde ich zum Lokalhelden. Cus gefiel die Aufmerksamkeit, die ich erregte. Er liebte das Rampenlicht. Aber ich musste immer wieder daran denken, wie irre das alles war. Ich war gerade einmal 15, und die Hälfte meiner Freunde in Brownsville war tot, ausgelöscht. In Catskill hatte ich nicht viele Freunde. Ich hatte auch kein Interesse an der Schule. Cus und ich hatten unsere Pläne, was wir im Leben erreichen wollten, und so wirkte die Schule auf mich wie eine Ablenkung von diesem Ziel. Es war mir egal, was man mir beibrachte, trotzdem hatte ich das Bedürfnis zu lernen. Cus unterstützte mich dabei, und ich las einige Bücher aus seiner Bibliothek, darunter welche von Oscar Wilde, Charles Darwin, Machiavelli, Tolstoi, Dumas und Adam Smith. Ich las auch ein Buch über Alexander den Großen. Geschichte mochte ich ganz besonders, da sie so viel über das Wesen des Menschen verriet. Und ich lernte auch viel darüber, was diese Männer tief in ihrem Inneren bewegte.

 

In der Schule hatte ich eigentlich keine größeren Schwierigkeiten, abgesehen davon, dass ich mal ein paar Schüler vermöbelt habe und dafür suspendiert wurde. Einige Schüler machten sich wohl über mich lustig, aber niemand legte sich mit mir an. Cus hatte Mr. Bordick, meinem Rektor an der Junior Highschool, erklärt, dass ich etwas Besonderes sei und mir deshalb Zugeständnisse gemacht werden müssten. Mr. Bordick war ein sehr netter Mann. Wenn es ein Problem gab, ging Cus zu ihm, redete mit seinen typisch italienischen Gesten auf ihn ein, und ich konnte wieder zur Schule gehen. Um 17 Uhr kam ich aus der Schule und ging erst mal für zwei Stunden in die Sporthalle. Abends las ich Bücher übers Boxen, sah mir Filme an oder unterhielt mich mit Cus. An den Wochenenden stand ich morgens um fünf Uhr auf, joggte ein paar Meilen, frühstückte, legte mich nochmal schlafen und stand gegen Mittag wieder in der Sporthalle. Während der Woche absolvierte ich mein Jogging auf dem Weg zur Schule und auf dem Rückweg.

Ab und zu sorgte mein Mentor, der Kontrollfreak Cus, für Extra-Laufeinheiten. Einmal war ich auf einem Schulball, der um 22 Uhr enden sollte. Ich informierte Cus, dass ich um 23 Uhr zu Hause sei. Nach dem Ball war es noch richtig gemütlich, also rief ich Cus an und erklärte ihm, ich würde vermutlich etwas später heimkommen, weil ich auf ein Taxi warten müsse.

„Nein, mach dich sofort auf die Socken und renn heim, ich kann nicht auf dich warten“, raunzte er mich an. Cus gab uns keine Haustürschlüssel, aus Angst, wir könnten sie verlieren.

Ich trug einen Anzug und hübsche Abendschuhe, aber Cus wollte, dass ich SOFORT losrannte. Meine Freunde wussten bereits, dass ich zu gehen hatte, wenn Cus das wollte.

Einmal war ich mit ein paar Freunden unterwegs, und wir feierten ausgelassen. Dann fuhren sie mich nach Hause. Ich sah durchs Fenster, dass Cus in seinem Sessel eingeschlafen war, während er auf meine Heimkehr wartete.

„Dreht um, nehmt mich mit zu euch. Ich habe keine Lust, mich mit Cus rumzustreiten“, sagte ich. Jedes Mal, wenn ich zu spät nach Hause kam, machte er mich zur Schnecke. Ich versuchte, die Treppe hochzuschleichen, doch sie war alt und knarzte, und ich dachte bei mir: „Scheiße, das ist das Ende.“ Nach einem Kinobesuch, den mir Cus erlaubt hatte, wartete er auf mich, um mich zu verhören.

„Was hast du gemacht? Mit wem warst du zusammen? Wer sind sie? Woher stammen ihre Familien? Wie lautet ihr Nachname? Hast du vergessen, dass du morgen einen Boxkampf hast?“

In der neunten Klasse wollte Cus mich sogar verheiraten. Ich traf mich mit Angie, einem Mädchen aus dem Ort. Cus mochte sie. Man hätte annehmen können, dass er gegen eine Beziehung war, weil diese mich vom Training abhalten würde, aber Cus fand, es wäre gut für mich, wenn ich mich fest binden würde. Ich würde ruhiger werden und könnte mich mehr aufs Boxen konzentrieren. Mit Angie war es aber nichts Ernstes. Ich wollte so großspurig leben wie meine Helden Mickey Walker und Harry Greb. Sie liebten den Alkohol und die Frauen und genossen das Leben in vollen Zügen. Aber Camille, eine wirklich tolle Frau, durchschaute die Absichten von Cus.

„Lass dir nicht von Cus einreden, wen du heiraten sollst“, erklärte sie mir. „Du triffst dich mit so vielen Mädchen, wie du Lust hast, und wählst dann die Beste aus.“

Eines Tages hatte ich in der Schule Streit, und Cus musste antanzen und die Dinge in Ordnung bringen. Als er zurückkam, wollte er mit mir sprechen.

„Wenn du dich weiterhin so aufführst, musst du fort von hier“, sagte er. Ich war am Boden zerstört und fing an zu heulen.

„Bitte, schick mich nicht fort“, schluchzte ich. „Ich will bleiben.“

Mir gefiel die familiäre Atmosphäre wirklich, die Cus mir vermittelte. Und ich liebte ihn abgöttisch. Er war der erste Weiße, der mich nicht nur nicht verurteilte, sondern der denjenigen, der sich abfällig über mich äußerte, windelweich prügeln würde. Niemand war mir so nahe wie dieser Italo. Er drang bis in mein tiefstes Inneres vor. Jedes Mal, nachdem ich mich mit ihm unterhalten hatte, musste ich los und durch Schattenboxen oder Sit-ups Energie verbrennen, so aufgewühlt war ich. Ich lief los und fing an zu heulen, denn ich wollte ihn glücklich machen und beweisen, dass all die positiven Dinge, die er über mich sagte, richtig waren.

Ich glaube, an jenem Tag fühlte sich Cus nicht wohl in seiner Haut, weil er mir gedroht und mich zum Heulen gebracht hatte, denn er umarmte mich. Das war das erste körperliche Zeichen von Zuneigung, das ich je bei ihm erlebt hatte. Aber als ich anfing zu heulen, wusste Cus, dass er mich in der Hand hatte. Von diesem Augenblick an wurde ich sein Sklave. Hätte er mir befohlen, jemanden umzubringen, ich hätte es getan. Das meine ich total ernst. Alle nahmen an, dass ich bei einem reizenden alten Italiener wohnte, dabei war ich mit einem Scheißkrieger zusammen. Aber ich genoss jede Minute. Ich war glücklich, sein Soldat zu sein, dies gab meinem Leben einen Sinn. Ich war gerne derjenige, der seine Mission erfüllen sollte.

Ich trainierte jetzt noch härter, wenn das überhaupt möglich war. Wenn ich aus der Sporthalle kam, musste ich die Treppe buchstäblich hochkriechen. Ich kämpfte mich zum Bad im dritten Stock hoch. Cus ließ heißes Wasser in die Porzellanwanne einlaufen und tat noch etwas Epsomsalz hinein.

„Bleib so lange darin sitzen, wie du es aushältst“, sagte er. Also setzte ich mich rein, und das heiße Wasser verbrannte mich. Aber am nächsten Morgen ging es meinem Körper sehr viel besser, und ich konnte wieder trainieren. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so großartig gefühlt. Ich war fixiert auf meine Mission, und davon wich ich kein Jota ab – ein Gefühl, das ich niemandem so richtig erklären kann.

Wenn die anderen Boxer aus der Halle gingen, sich mit ihren Freundinnen amüsierten und ihr Leben genossen, kehrten Cus und ich nach Hause zurück und arbeiteten weiter. Wir stellten uns vor, dass wir überall auf der Welt Häuser besitzen würden. Cus sagte: „Nein wird ein Fremdwort für dich sein. Du wirst ein Nein und alles, was damit zusammenhängt, nicht mehr verstehen.“

Mir erschien es unfair von den übrigen Boxern, nach dem Weltmeistertitel zu greifen, denn ich wurde von diesem Genius, der mich darauf vorbereitete, großgezogen. Jene anderen Kerle wollten Geld scheffeln und ihrer Familie ein schönes Leben bieten. Aber dank Cus wollte ich berühmt werden, und wenn sie es mit ihrem Blut bezahlen mussten. Ich war sehr unsicher, aber ich sehnte mich nach dem Ruhm und wollte, dass die Welt auf mich blickte und mir sagte, ich sähe gut aus. Dabei war ich ein verdammtes stinkendes fettes Kind.

Doch Cus versuchte, mir klar zu machen, dass es sich lohnte, nach dem grünen und goldenen WBC-Gürtel zu streben. Und nicht wegen des Geldes. Ich wollte von Cus wissen: „Was bedeutet es, der größte Boxer aller Zeiten zu sein? Die meisten dieser Männer sind tot.“

„Hör zu. Sie sind wohl tot, aber wir reden über sie. Das ist die wahre Unsterblichkeit, wenn dein Name bis zum Ende aller Zeiten bekannt ist“, sagte er.

Cus liebte die Dramatik und war wie eine Figur aus Die drei Musketiere.

„Wir müssen den richtigen Augenblick abwarten, wie die Krokodile im Schlamm. Wir wissen nicht, wann die Dürre kommt und die Tiere durch die Sahara ziehen müssen. Aber wir warten ab. Monate, Jahre. Aber unsere Zeit wird kommen. Und die Gazellen und Gnus werden das Wasser überqueren. Und wenn sie kommen, werden wir zuschlagen. Hörst du mir zu, mein Sohn? Wir werden so hart zuschlagen, dass die ganze Welt ihre Schreie hören wird.“

Er meinte es todernst, und ich auch. Cus benutzte mich, um wieder in den Boxbetrieb einzusteigen. Und ich wollte unbedingt mit von der Partie sein. Es war wie dieser Der Graf von Monte Christo-Scheiß. Wir sannen auf Rache.