Unbestreitbare Wahrheit

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Mit der Rutland Road Crew erreichte meine Kriminalität eine andere Stufe. Meistens handelte es sich bei ihnen um Jungs aus der Karibik, aus Crown Heights. Barkim kannte die älteren, The Cats. Ich fing an, mit der RRC rumzuhängen, ihrer Nachwuchsabteilung, und machte bei ihren kleinen Raubzügen mit. Wir gingen gewöhnlich zuerst zur Schule, frühstückten, nahmen dann den Bus oder Zug und waren während der Unterrichtsstunden mit unseren Raubzügen beschäftigt. So wurde ich also einer von ihnen. Wir waren alle gleich, solange wir die Einnahmen unserer Beutezüge teilten.

Wer dies liest, wird mich als erwachsenen Menschen dafür verurteilen und mich als kriminell bezeichnen, aber all dies spielte sich vor mehr als 35 Jahren ab. Ich war ein kleiner Junge und wollte geliebt und akzeptiert werden, und das wurde ich auf der Straße. Dies war meine einzige Erziehung, und diese Jungs waren meine Lehrer. Die älteren Gangster sagten mir zwar, „du solltest das nicht tun, du solltest lieber zur Schule gehen“, aber wir wollten nicht auf sie hören, auch wenn sie auf der Straße das Sagen hatten. Sie sagten uns, wir sollten in der Schule bleiben, wenn sie irgendwo einbrachen. Aber alle Jungs respektierten mich jetzt, da ich ein kleiner Geldmacher war. Einigen meiner Freunde, die ein bisschen Geld brauchten, griff ich unter die Arme. Ich besorgte uns allen Alkohol und etwas zu essen und fing an, Tauben zu kaufen. Wenn man gute Vögel hatte, wurde man respektiert. Es lief immer gleich ab: schnell auf Raubzug gehen und dann Klamotten kaufen. Ich merkte, wie ich jetzt von allen behandelt wurde, und ich war mit meinem Lammfellmantel und meinen Pumas gut angezogen. Ich besaß einen geilen Skianzug mit einer gelben Schneebrille, hatte aber noch nie in meinem Leben auf einer Skipiste gestanden. Ich konnte den Markennamen Adidas nicht einmal buchstabieren, aber ich wusste, welches Gefühl er mir verlieh.

Einer der Rutland-Jungs brachte mir bei, wie man Schlösser knackte. Hat man einen Schlüssel, der in die Öffnung passt, dreht man ihn hin und her, sodass er den Zylinder runterdrückt und die Tür geöffnet werden kann. Ich war wie im Rausch. O Mann, wenn wir die Türen aufgebrochen hatten, stießen wir auf Silber, Schmuck, Gewehre und Geldbündel. Wir weinten und lachten vor Glück, konnten aber nicht alles mitschleppen. Man kann ja mit all dem Kram nicht einfach durch die Straßen laufen. Also stopften wir es in unsere Schultaschen.

Eines Tages brachen mein Freund Curtis und ich in ein Haus ein. Die Besitzer stammten, genau wie Curtis, aus der Karibik. Plötzlich hörte ich: „Wer ist da? Bist du’s, Liebling?“ Ich dachte, es sei Curtis, also erwiderte ich: „Ich versuche, eine Waffe und das Geld zu finden. Kümmerst du dich um den Safe?“ Dann erkannte ich, dass es nicht Curtis’ Stimme war. Es war der Kerl, der hier wohnte und auf der Couch lag. Ich eilte zur Tür. „Curtis, diese Scheiße hier klappt nicht. Lass uns verduften, jemand ist im Haus“, sagte ich. Aber Curtis war ein Perfektionist. Er wollte lieber ganze Arbeit leisten und nicht einfach davonrennen. Ich rannte aus dem Haus, so schnell mich meine Füße trugen. Aber Curtis blieb zurück und versuchte, das Sicherheitsschloss zu knacken. Der Besitzer öffnete die Tür, knallte sie ihm gegen den Kopf und schlug ihn eiskalt nieder. Ich dachte lange, er wäre tot. Erst ein Jahr später sah ich ihn wieder. Er lebte, aber sein Gesicht war zerstört, so hart war der Aufprall der Tür gewesen.

Wenn wir Silber gestohlen hatten, brachten wir es zu Sal’s, einem Laden an der Utica und Sterling. Ich war noch klein, aber sie kannten mich, da ich immer mit den älteren Jungs kam. Die Jungs in dem Laden wussten, dass ich gestohlenes Zeug brachte, aber sie konnten mich nicht übers Ohr hauen, denn ich wusste, was der Kram kostete. Auch wenn ich den genauen Preis nicht kannte, wusste ich, was das Zeug wert war. Und ich wusste, was ich wollte.

Manchmal gingen wir, wenn wir unterwegs waren, zur Mittagszeit in eine Schule, in die Cafeteria, schnappten uns ein Tablett, stellten uns an und ließen uns dann das Essen schmecken. Wir hielten Ausschau nach jemandem, den wir beklauen könnten, und entdeckten Jungs, die einen edlen Schulring um den Hals trugen. Wir beendeten unseren Lunch, stellten die Tabletts zurück, schnappten uns den Ring und stürmten hinaus.

Auf der Straße wollten wir immer ordentlich aussehen, denn ein kleines schwarzes Kind auf der Straße, das ungepflegt und schmutzig aussieht, wird schikaniert. Also sahen wir gepflegt und harmlos aus. Wir hatten das gesamte Outfit, Schulranzen und nette kleine Brillen und den typischen Look einer katholischen Schule, eine ordentliche Hose und weiße Hemden.

Nach etwa einem Jahr unternahm ich die Brüche auf eigene Faust. Es war recht lukrativ, aber auf der Straße herumzuhängen und Ausschau nach Opfern zu halten, war viel aufregender als das Ausrauben von Häusern. Man erleichterte ein paar Ladys um ihren Schmuck, und die Bullen jagten einem hinterher. Wir nannten sie Helden, die kamen und den Tag retteten. Höheres Risiko für weniger Geld.

Manchmal stellte man fest, dass man Konkurrenz hatte. Man stieg in einen Bus, in dem bereits jemand auf der Lauer lag. Vielleicht war man selbst auffällig. So was nannte man „Aufsehen erregen“. Bevor man einstieg, war im Bus alles ruhig, aber dann machte der Busfahrer eine Durchsage.

„Meine Damen und Herren, soeben sind ein paar junge Männer eingestiegen. Passen Sie auf Ihre Handtaschen auf, man wird versuchen, Sie auszurauben.“ Dann stieg man bei der nächsten Haltestelle aus, aber der andere, der unauffällige Dieb, stieg ebenfalls aus und folgte einem.

„Du Arschgesicht, du hast den ganzen Bus in Aufruhr gebracht“, schrie er. Und wenn er älter war als man selbst, versohlte er einem den Arsch und nahm einem das ab, was man bis dahin gestohlen hatte – das Geld und den Schmuck.

Ich fand schwer einen Partner, der mit mir gemeinsam auf Taschendiebstahl gehen wollte, da ich weder so geduldig noch so gut wie die anderen darin war. Ich war nie so glatt, dass ich gesagt hätte: „Ich werde jetzt den Nigga da verarschen, mich langsam von rechts ranschieben und ganz nah dranbleiben.“ Ich war viel besser darin, jemanden zu überrumpeln.

Jeder starke Kerl kann andere überrumpeln. Aber der Kick bestand darin, gerissen zu sein und den anderen auszutricksen. Die meisten Leute würden denken: „Man verfolgt mich, ich werde mich schnell verziehen.“ Aber nicht mit uns. Auch wenn eine Lady den ganzen Tag krampfhaft ihre Geldbörse umklammerte, ließen wir sie nicht aus den Augen, auch wenn sie keine Sekunde die Geldbörse losließ. Wir folgten ihr, zogen uns dann aber zurück. Eins der kleinen Kinder, die immer bei uns waren, beobachtete sie jedoch weiterhin. Ein paar Sekunden lang ließ sie sich ablenken, und der Kleine schnappte sich den Geldbeutel und machte sich aus dem Staub. Und bevor wir wieder auftauchten, hörten wir einen herzzerreißenden Schrei: „Um Himmels willen, mein Geld ist weg!“

Es war verrückt.

Der einfachste Beutegang war das Klauen einer Goldkette, was ich ganz dreist in der U-Bahn tat. Ich setzte mich an einen Platz am Fenster. Zu der Zeit konnte man noch die Fenster öffnen. Ich kurbelte ein paar Fenster herunter, dann hielt die Bahn an und neue Fahrgäste stiegen ein und setzten sich ans Fenster. Ich stieg aus, und sobald sich der Zug langsam wieder in Bewegung setzte, griff ich hinein und schnappte mir ihre Ketten. Sie schrien auf und blickten mich an, aber sie konnten nicht aussteigen. Ich behielt die Kette ein paar Tage lang, versteckte sie gut und verkaufte sie dann, bevor die älteren Jungs sie mir wegnehmen konnten.

Obwohl ich mittlerweile mehr oder weniger dazugehörte, kam ich damals mit den Mädchen nicht so recht klar. Ich mochte Mädchen, aber in dem Alter wusste ich nicht, wie ich es ihnen sagen sollte. Einmal beobachtete ich die Mädchen beim Seilspringen. Ich mochte sie und wollte mit ihnen zusammen springen, also fing ich an, sie zu ärgern. Und plötzlich fingen diese Mädchen aus der 5. Klasse an, mich ohne Vorwarnung zu verprügeln. Ich spielte mit ihnen, aber sie meinten es ernst, und ich wurde überrumpelt. Erst viel zu spät dämmerte es mir, dass ich mich wehren musste. Damals kam jemand und beendete den Spuk, aber sie hatten sich als stärker erwiesen als ich. Ich wollte nicht mit ihnen streiten.

Für meine Mutter und meine Schwester war es keine Überraschung, dass ich klaute und keineswegs gesellschaftsfähige Dinge tat, um Geld heimzubringen. Sie sahen meine hübschen Klamotten, und ich versorgte sie mit Essen – Pizza oder was von Burger King und McDonald’s. Meine Mutter erkannte, was es geschlagen hatte, aber es war bereits zu spät. Sie dachte, ich sei ein Krimineller, ich würde umkommen oder vor die Hunde gehen. Vermutlich hatte sie schon früher Kids wie mich erlebt und ahnte, dass ich jeden bestehlen würde. Ich kannte keinerlei Grenzen und machte vor niemandem Halt.

Meine Mutter zog es vor zu betteln. Sie verwirrte mich ein wenig, da sie zu ehrlich war. Allerdings bettelte sie ständig um Geld, so war sie halt. Ich gab meiner Schwester viel Geld für den Haushalt. Manchmal gab ich meiner Mutter 100 Dollar oder so, aber ich bekam es nie zurück. In den Augen meiner Mutter war ich nie so viel wert. Wenn ich sagte, „Ma, du schuldest mir Geld“, antwortete sie lediglich: „Und du schuldest mir dein Leben, Junge. Ich zahle dir nichts zurück.“

Nachdem die großen Jungs in der Nachbarschaft wussten, dass ich ein Dieb war, nahmen sie mir das Geld, den Schmuck und meine Schuhe weg, und ich hatte Angst, es meiner Mutter zu sagen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Sie verprügelten mich, stahlen mir meine Tauben und wussten, wie sie mich einschüchtern konnten. Barkim brachte mir nicht bei, wie man sich wehrte. Er brachte mir lediglich bei, wie man sich gut kleidete und Hygiene betrieb. Wenn mich auf der Straße jemand anschrie oder jagte, nahm ich einfach mein Zeug und machte mich aus dem Staub. Ich wurde weiterhin schikaniert, aber ich wurde jetzt auch mehr respektiert.

 

Als ich heranwuchs, wollte ich immer im Mittelpunkt stehen. Ich wollte der Kerl sein, der cool daherredete: „Ich bin der größte Dreckskerl weit und breit“, „Ich habe die besten Vögel“. Ich wollte ein richtiger Straßenjunge sein, ein cleverer Bursche, aalglatt und redegewandt, aber ich war zu schüchtern und unbeholfen. Wenn ich versucht hätte, so zu reden, hätte mir jemand was auf die Rübe gegeben und gesagt: „Halt die Schnauze, Nigga!“ Doch als ich in meinen ersten Straßenkampf geriet, bekam ich einen Vorgeschmack davon, wie es war, sich in der Bewunderung der Menge zu sonnen.

Eines Tages ging ich nach Crown Heights und brach mit einem älteren Jungen in ein Haus ein. Wir fanden 2.200 Dollar Bargeld, und er gab mir 600 Dollar. Ich ging in eine Tierhandlung und kaufte für 100 Dollar Vögel. Sie wurden für mich in eine Kiste verpackt, und der Besitzer half mir, sie in die U-Bahn zu verfrachten. Als ich ausstieg, half mir jemand aus meiner Nachbarschaft, die Kiste zu dem Abbruchhaus zu schleppen, wo ich meine Tauben versteckte. Aber dieser Junge erzählte einigen Kids der Umgebung, dass ich all diese Vögel hätte. So tauchte ein Kerl namens Gary Flowers mit ein paar Freunden auf, um meine Tauben zu klauen.

Meine Mutter beobachtete, wie sie sich an den Vögeln zu schaffen machten, und rief mich sofort. Ich rannte zu ihnen und stellte sie zur Rede. Sie sahen mich kommen und ließen von den Tauben ab, nur Gary hatte immer noch einen meiner Vögel unter dem Mantel versteckt. Inzwischen hatte sich eine Menschenmenge um uns versammelt.

„Gib mir meinen Vogel zurück“, protestierte ich.

Gary holte den Vogel unter seinem Mantel hervor.

„Willst du den Vogel? Willst du wirklich den verdammten Vogel?“, fragte er mich. Dann drehte er der Taube den Hals um und warf sie auf mich, so dass mein Gesicht und mein Hemd voller Blut waren.

„Kämpf mit ihm“, drängte einer meiner Freunde. „Hab keine Angst, kämpf einfach mit ihm.“

Zuvor war ich immer viel zu ängstlich gewesen, mit jemandem zu kämpfen. In meiner Gegend wohnte ein älterer Kerl, Wise, der mal in der Police Athletic League geboxt hatte. Er rauchte mit uns Gras, und wenn er high war, fing er mit Schattenboxen an. Ich beobachtete ihn, und er sagte: „Los, mach mit.“ Aber ich hatte nicht einmal den Mut, mit ihm die Boxbewegungen zu trainieren. Ich erinnerte mich jedoch an seinen Boxstil.

Also sagte ich mir, scheiß drauf. Meine Freunde waren schockiert. Ich hatte keine Ahnung, was ich tat, schlug einfach wie wild um mich. Ein Schlag traf ihn, und er ging zu Boden. Wise tänzelte, wenn er Schattenboxen trainierte. Nachdem ich Gary k.o. geschlagen hatte, tänzelte ich ebenfalls. Es schien das Leichteste auf der Welt zu sein. Der ganze Block schaute dabei zu. Alle jubelten und klatschten. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, obwohl mein Herz wie wild raste.

„Dieser Nigga hat eine schnelle Faust“, lachte einer der Jungs. Ich probierte den Ali-Shuffle, aber ohne Erfolg. Trotzdem war es ein gutes Gefühl, sich zu verteidigen, und ich mochte es, wie mir alle applaudierten und mich abklatschten. Hinter meiner Schüchternheit verbarg sich vermutlich schon immer ein wilder Entertainer.

Jetzt erntete ich auf der Straße eine ganz neue Art von Respekt. Die Jungs fragten jetzt meine Mutter nicht mehr: „Kann Mike mit uns spielen?“, sondern: „Kann Mike Tyson mit uns spielen?“

Andere Jungs schleppten ihre Kumpels an, damit sie gegen mich antraten, und schlossen Wetten auf den Ausgang ab. Ich hatte jetzt also eine weitere Einnahmequelle. Sie strömten auch aus anderen Bezirken herbei. Obwohl ich noch ein Kind war, trat ich gegen ältere Jungs an und gewann viel Geld. Selbst wenn ich verlor, sagten die Jungs, die mich geschlagen hatten: „Verdammt, bist du wirklich erst elf?“ So wurde ich allmählich in Brooklyn bekannt. Ich hatte den Ruf, dass ich gegen jeden antrat, auch gegen erwachsene Männer, einfach gegen jeden. Ich begann jetzt, Rachepläne für die Schläge zu schmieden, die ich bei den Schikanen abbekommen hatte. War ich mit ein paar Freunden unterwegs und entdeckte einen der Jungs, die mich vor Jahren verprügelt und schikaniert hatten, verfolgte ich ihn in das Geschäft, das er betrat, drängte ihn hinaus und bearbeitete ihn mit meinen Fäusten. Ich erklärte meinen Freunden nicht, weshalb, sondern sagte nur: „Ich hasse dieses Arschloch da drüben.“ Sie unterstützten mich, zerrissen seine Kleider und verprügelten ihn. Und der Kerl, der meine Brille weggeworfen hatte? Ich verprügelte ihn auf der Straße wie einen räudigen Hund, weil er mich so gedemütigt hatte. Er hatte das vielleicht schon vergessen, aber ich nicht.

Mit meinem neu gewonnenen Selbstbewusstsein, meinem Glauben an meine Fähigkeit, mich selbst verteidigen zu können, eskalierte meine Kriminalität. Ich wurde immer verwegener und fing sogar an, meine Nachbarschaft zu bestehlen. Ich dachte, so mache man es, und kapierte nicht das Gesetz der Straße. Ich dachte, jeder sei Freiwild, da ich anscheinend ja auch für alle Freiwild zu sein schien. Ich wusste nicht, dass man mit bestimmten Leuten nicht spaßen sollte.

Zu der Zeit lebte ich in einem Mietshaus und bestahl jeden, der hier wohnte, aber niemand wusste, dass ich der Dieb war. Einige dieser Leute waren mit meiner Mutter befreundet. Sie lösten ihren Sozialhilfescheck ein, kauften ein paar Spirituosen und besuchten meine Mom, kippten sich einen hinter die Binde und hatten Spaß miteinander. Ich zog mich derweil zurück, kletterte die Feuerleiter hoch, brach in die Wohnung einer der Frauen, die unten bei Mom waren, ein und stahl alles, was nicht niet- und nagelfest war. Als die Frau dann in ihre Wohnung zurückkehrte, entdeckte sie das Unheil und rannte schreiend zu meiner Mutter: „Lorna, stell dir vor, man hat mir alles gestohlen, sogar die Kindernahrung, einfach alles.“

Nachdem sie gegangen war, kam meine Mutter in mein Zimmer.

„Junge, ich weiß, du hast was damit zu tun, oder? Was hast du getan?“

Ich erwiderte: „Mom, das war ich nicht, schau dich doch um.“ Ich hatte nämlich das gesamte Diebesgut auf dem Dach verstaut und wollte es mir später mit meinen Freunden holen.

„Wie hätte ich das anstellen sollen? Ich war doch in meinem Zimmer und sonst nirgendwo“, erklärte ich meiner Mom.

„Nun, wenn du’s nicht warst, dann weißt du bestimmt, wer’s war, du Dieb“, kreischte meine Mutter. „Du bist nichts als ein Dieb. Ich habe mein ganzes Leben lang nichts gestohlen. Ich weiß gar nicht, woher du das hast, du Ganove.“

Oh Gott. Können Sie sich vorstellen, dass Ihre eigene Mutter so einen Mist verzapft und Sie für einen Dieb hält? Für meine Familie war ich ein hoffnungsloser Fall, alle dachten, ich würde als Krimineller enden. Niemand sonst in meiner Familie hatte je so etwas getan. Meine Schwester leierte mir ständig vor: „Welcher Vogel fliegt nicht? Der Gefängnisvogel.“

Einmal begleitete ich meine Mutter zu ihrer Freundin Via. Vias Mann war einer dieser Kerle, die gern mit ihrem Geld protzten. Er ging schlafen, und ich klaute ihm die Geldbörse aus der Tasche und nahm das Geld. Als er aufwachte, verprügelte er Via brutal, weil er dachte, dass sie das Geld gestohlen hätte. Alle in der Nachbarschaft fingen an, meine Unverfrorenheit zu hassen. Und wenn sie mich nicht hassten, so waren sie neidisch auf mich, sogar die Spieler, denn ich besaß Nerven aus Stahl.

Ich fühlte mich unglaublich. Es war mir gleichgültig, ob jemand, dem ich die Halskette entriss und den ich die Treppe hinunterwarf, sich den Kopf aufschlug, bumm, bumm, bumm. Machte es mir etwas aus? Nein, denn ich wollte diese Halskette um jeden Preis: Mitleid war für mich ein Fremdwort. Warum sollte ich auch welches haben? Mit mir hatte ja auch niemand Mitleid gehabt. Ich empfand nur dann Mitleid, wenn einer meiner Freunde bei einem Bruch erstochen oder erschossen wurde. Das machte mich traurig.

Aber ich machte einfach weiter, dachte wohl, dass ich nicht getötet würde, dass mir das nicht passieren könnte. Ich konnte einfach nicht aufhören. Ich wusste, dass ich dabei draufgehen konnte, aber das war mir egal. Ich glaubte ohnehin nicht, dass ich jemals 16 werden würde, also was sollte das. Vor Kurzem sagte mein Bruder Rodney zu jemandem, er finde, dass ich der mutigste Kerl sei, den er kenne, aber ich fand mich gar nicht mutig. Ich hatte tapfere Freunde, die wegen ihres Schmucks, ihrer Uhren oder ihres Motorrads erschossen wurden. Sie haben ihre Beute aber nicht aufgegeben, obwohl man sie ihnen entreißen wollte. Diese Jungs genossen in der Nachbarschaft den größten Respekt. Ich weiß nicht, ob ich mutig war, aber ich erlebte auch, wie Menschen Mut bewiesen. Ich fand immer, dass ich eher verrückt als mutig war. Ich schoss auf offener Straße auf Menschen, während meine Mutter aus dem Fenster guckte, und war einfach hirnlos. Rodney hielt es für Mut, aber in Wahrheit war es mangelnde Intelligenz. Ich war ein Extremist.

Jeder, den ich kannte, stand mit beiden Füßen im Leben. Sogar die Jungs, die Jobs hatten, verdienten sich ein Zubrot mit Gaunereien. Sie verkauften Drogen oder stahlen irgendwas. Es war wie eine Science-fiction-Welt, wo die Bullen die bösen Jungs waren und die Diebe und Ganoven die guten. Wenn man niemandem etwas zugefügt hatte, galt man als Spießer, und niemand wollte etwas mit einem zu tun haben. Gehörte man zu den Bösen, war man in Ordnung. Wenn dir jemand in die Quere kam, dann kämpften sie für dich, weil sie wussten, dass du einer von ihnen warst. Es war so geil, dass all diese heruntergekommenen, grinsenden Mistkerle meinen Namen kannten.


Alles eskalierte, als ich Bekanntschaft mit der Polizei machte. In Brownsville erschossen zu werden, war nichts Ungewöhnliches. Man war gerade in irgendeiner Gasse mit Glücksspielen beschäftigt, und ein paar Kerle kreuzten auf und schossen aufeinander. Man wusste nie, wann es losging. Andere wiederum fuhren auf ihren Motorrädern vorbei, und bumm, bumm schossen sie auf einen. Wir wussten im Allgemeinen, wo sich gewisse Gangs herumtrieben, und mieden deshalb bestimmte Plätze.

Aber es ist etwas ganz anderes, wenn die Bullen anfangen, auf einen zu schießen. Eines Tages schlenderten ein paar von uns Jungs auf der Amboy Street an einem Juwelierladen vorbei und sahen den Juwelier, der eine Schachtel trug. Ich schnappte sie mir, und wir rannten, so schnell uns die Füße trugen. Als wir kurz vor unserem Wohnblock waren, hörten wir quietschende Reifen und ein paar Undercover-Bullen sprangen aus dem Auto und fingen an, auf uns zu schießen. Ich rannte in ein abbruchreifes Haus, in dem wir immer herumhingen, und ich wusste, ich war gerettet. Ich kannte mich in dem Gebäude genau aus und wusste, wie man hinter den Mauern verschwand, durch ein Loch schlüpfte, auf das Dach hoch kletterte und sich in den Dachsparren versteckte. Und genau das tat ich, ich ging hinauf, spähte durch das Loch und sah, wer unten alles herumlief.

Dann sah ich, wie die Bullen in das Gebäude stürmten. Sie liefen herum, mit gezogenen Pistolen, und einer von ihnen schlüpfte durch ein Loch im Boden.

„Verdammte Scheiße, diese beschissenen Kids verarschen mich, locken mich hier rein“, sagte er. „Ich werde den verdammten Bastarden das Licht ausblasen.“

Ich belauschte das Gespräch dieser weißen Bullen und lachte mir ins Fäustchen. Das Gebäude war zu baufällig, als dass die Bullen es bis zum nächsten Stock geschafft hätten, da die Stufen durchbrachen. Aber es bestand die Gefahr, dass sie hoch blickten und mich zwischen den Dachsparren entdeckten und auf mich schossen. Ich erwog, auf das nächste Dach zu springen, aber das wären immerhin drei Meter gewesen.

Also arbeitete ich mich auf das Dach vor, und mein Freund, der im selben Haus wie ich wohnte, stand auf seinem Dach. Ich robbte auf den Knien voran, wenn ich aufgestanden wäre, hätten mich die Bullen ja sehen können. Aber mein Freund beruhigte mich.

„Mike, entspann dich. Sie sind wieder raus aus dem Gebäude, aber sie sind immer noch auf der Suche nach dir. Da unten stehen jede Menge Polizeiautos“, berichtete er mir.

Ich stand, so mein Gefühl, eine Ewigkeit auf dem Dach und wartete.

„Mike, sie sind weg“, verkündete mein Freund schließlich.

Also ging ich wieder hinunter, blieb aber noch ein paar Minuten im Haus. Meine Freunde suchten den Block ab, um sicher zu sein, dass sich die Bullen nicht irgendwo versteckt hatten.

 

„Mike, warte noch ein bisschen“, bat mich mein Freund. Schließlich gab er mir Entwarnung. Ich war froh, dass ich meinen Arsch gerettet hatte. Wir hatten all die teuren Uhren, Medaillons, Armbänder, Brillanten und Rubine. Wir brauchten zwei Wochen, um den ganzen Kram loszuwerden, mussten einiges unter der Hand verkaufen und einen Teil in einem anderen Stadtteil verschachern.

Es klingt wie ein Witz, aber zum ersten Mal festgenommen wurde ich wegen einer gestohlenen Kreditkarte. Ich war damals zehn und sah eindeutig zu jung aus, um schon eine Kreditkarte zu besitzen. Also überredeten wir einen älteren Jungen, uns in ein Geschäft zu begleiten und dieses und jenes zu kaufen, auch etwas für sich selber.

Als wir ein anderes Mal in einem Laden in der Belmont Street versuchten, die Karte einzusetzen, sahen wir aber für eine Kreditkarte einfach zu jung aus. Wir stapelten die Klamotten und Sneakers an der Kasse und reichten der Kassiererin die Kreditkarte. Sie bat uns, einen Moment zu warten, und tätigte einen Anruf. Sie schnitt dann die Karte durch, und innerhalb von Sekunden tauchten die Bullen auf und verhafteten uns.

Sie brachten mich zur Polizeiwache in unserem Viertel. Meine Mutter hatte kein Telefon, also holten sie sie mit dem Polizeiauto ab und brachten sie dorthin. Als sie reinkam, schrie sie mich an und schlug wie wild auf mich ein. Als ich zwölf war, wurde das zur Routine. Wegen dieser Festnahmen musste ich bei Gericht erscheinen, aber ich wurde nicht verurteilt, weil ich minderjährig war.

Ich hasste es, wenn meine Mutter auf dem Revier aufkreuzte und auf mich einschlug. Ich kauerte mich in einer Ecke zusammen und versuchte, mich zu schützen, wenn sie mich attackierte. Anschließend betrank sie sich mit ihren Freundinnen und erzählte ihnen, wie sie den Teufel aus mir herausgeprügelt habe. Das war wirklich traumatisierender Scheiß. Bis heute muss ich den Blick abwenden, wenn ich in eine Zimmerecke schaue, da ich an all die Schläge erinnert werde, die meine Mutter mir verpasst hat.

Sie schlug mich sogar, wenn ich nichts falsch gemacht hatte. Einmal, als ich elf war, machte ich ein Würfelspiel mit einem Jungen, der etwa 18 war. Ich hatte an jenem Tag ein glückliches Händchen, und meine Freunde schlossen Wetten ab, dass meine Zahlen fallen würden. Ich fing mit 200 Dollar an, aber meine Zahl fiel sechsmal hintereinander. Ich hatte 600 Dollar von ihm gewonnen.

„Noch eine Runde. Ich setze meine Uhr ein“, sagte er.

Bumm, schon wieder fiel meine Zahl.

„Spiel ist Spiel“, sagte ich. „Gib mir deine Uhr.“

„Tatsache ist, ich gebe dir gar nichts“, sagte er und versuchte, sich das Geld zu schnappen, das ich von ihm gewonnen hatte. Ich fing an, nach ihm zu beißen, schlug ihn mit einem Stein, und wir fingen an zu ringen. Ein paar Freundinnen meiner Mutter sahen den Aufruhr und rannten zu unserer Wohnung.

„Dein Sohn kämpft mit einem Erwachsenen“, erklärte eine von ihnen.

Meine Mutter kam angestürmt. Alle anderen Erwachsenen ließen uns kämpfen, weil sie ihr Geld wollten. Wenn dieser Kerl nicht zahlte, würde es sonst auch niemand tun. Ich war mitten drin im Ringkampf mit diesem Kerl, als meine Mutter mich ansprang, meine Hände packte, mir eine schmierte und mich zu Boden warf.

„Warum kämpfst du mit diesem Mann?“, brüllte sie. „Was hast du diesem Mann getan? Tut mir leid, Sir“, erklärte sie ihm.

„Er hat versucht, sein Geld zurückzunehmen“, protestierte ich.

Meine Mutter nahm das Geld, gab es dem Mann und schlug mir ins Gesicht.

„Tut mir leid, Sir“, wiederholte sie.

„Ich werde dich umbringen, du Scheißkerl“, brüllte ich, als sie mich wegzerrte.

Allerdings verdiente ich jeden Schlag, den ich bekam. Ich wollte zu den coolen Kids gehören, den 15-Jährigen, die Schmuck, Geld und Freundinnen hatten. Zu der Zeit mochte ich die Mädchen nicht besonders, aber ich mochte schicke Klamotten und Aufmerksamkeit.

Meine Mutter resignierte jetzt. Sie war geachtet und konnte sich gut ausdrücken, ihre anderen Kinder waren lernfähig und verträglich, und dann war da noch ich. Ich war der Einzige, der weder lesen noch schreiben konnte. Ich kapierte das Zeug einfach nicht.

„Warum kannst du das nicht?“, fragte sie mich. „Was stimmt nicht mit dir?“

Sie nahm an, ich sei geistig zurückgeblieben. Als Baby hatte sie mich zu all den Institutionen auf der Lee Avenue geschleppt, und ich wurde psychologischen Tests unterzogen. Als Kind hielt ich laute Selbstgespräche. Ich glaube, das war in den Siebzigern nicht normal. Nachdem ich auffällig geworden und im System drin war, musste ich auf die dem Gericht unterstellte Special Ed-Schule für Geistesgestörte. Die Special Ed war wie ein Gefängnis. Man lebte die ganze Zeit hinter verschlossenen Türen. Die ganzen asozialen Kids und die verdammten Spinner wurden dort einfach zusammengepfercht. Man sollte das tun, was einem aufgetragen wurde, aber ich ließ mir das nicht gefallen, fing mit allen Streit an und spuckte ihnen ins Gesicht. Man gab uns Jetons, mit denen wir zur Schule und wieder nach Hause fahren konnten, und ich klaute den Kids ihre Jetons und spielte damit. Ich schreckte auch nicht davor zurück, die Lehrer zu bestehlen, und am nächsten Tag kam ich mit dem neuen Outfit zur Schule, das ich mir von ihrem Geld gekauft hatte. Ich baute einfach jede Menge Scheiße.

Man fand, ich sei hyperaktiv, also verabreichte man mir Thorazin. Ritalin wurde ausgelassen, und man griff gleich nach dem großen T, das man in den Siebzigern kleinen bösen schwarzen Scheißkerlen wie mir verabreichte. Mit Thorazin ist man auf einem Trip. Man sitzt da, starrt vor sich hin, kann sich aber nicht bewegen, kann nichts tun. Alles ist toll, man kann alles hören, ist aber irgendwie zugedröhnt, wie ein Zombie. Man bittet nicht um Essen, es wird einem zur rechten Zeit gebracht. Vielleicht wird man gefragt: „Musst du zur Toilette?“, und man antwortet: „Oh ja, dringend.“ Man weiß nicht einmal, wann man pinkeln muss.

Als ich diesen Mist nahm, schickte man mich aus der Schule heim. Ich sollte zu Hause bleiben, mich entspannen und mir die Zeichentrickserie Rocky and His Friends anschauen. Meine Mutter fand, dass etwas nicht mit ihrem Baby stimmte, aber ich war lediglich ein verdammt knallhartes Kind. Man schätzte mich falsch ein und machte mich vermutlich noch ein wenig abgefuckter als ich sowieso schon war, aber ich nahm das nie jemandem persönlich übel. Ich dachte immer, ich hätte es verdient, dass mir etwas Schlimmes widerfuhr, weil irgendwas mit mir nicht stimmte.

Neben den Zombies und verrückten Kids schickte man die Kriminellen in die Special Ed-Schulen, so lernten sich die Leute aus den verschiedenen Bezirken kennen. Wir fuhren zum Times Square und trafen all die Jungs von unserer Schule, alle in Lammfellmänteln, modischen Klamotten und mit Geld in der Tasche. Sie taten alle das Gleiche.

1977 lungerte ich am Times Square herum, als ich ein paar Jungs aus meinem alten Wohnviertel in Bed Stuy entdeckte. Wir unterhielten uns, und einer von ihnen schnappte sich die Geldbörse einer Nutte. Sie geriet außer sich und schüttete mir einen Becher heißen Kaffee ins Gesicht. In dem Augenblick tauchten die Bullen auf, und mein Freund Bub und ich gaben Fersengeld. Wir rannten in ein nicht jugendfreies Kino, doch die Nutte kreuzte kurz danach mit den Bullen auf.„Das sind sie“, sagte sie und deutete auf Bub und mich. „Ich? Ich habe nichts damit zu tun“, protestierte ich, aber die Bullen führten uns hinaus und schubsten uns auf den Rücksitz des Polizeiwagens.