Märchenhaft - Elisabeth

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»Ja. Ich werde nachher eine Kühlmanschette drauflegen.« Sie hatte sich auf die Couch gesetzt, Moritz zog es vor, stehen zu bleiben.

»Sei mir nicht böse, aber ich sollte jetzt los. Auch wenn ich dich so oder so nur ungern allein lasse.«

»Schon okay. Dann verschieben wir die Doktorspiele halt auf morgen Abend.« Ihr schelmisches Grinsen ließ Moritz’ Herz schneller schlagen und zum wiederholten Male spürte er eine gewisse Regung. Er wagte kaum, darüber nachzudenken, was sich sonst noch hinter Elisabeths bisheriger Fassade verbarg. Sie stand auf und sah ihn herausfordernd an.

»Sehr schön. Ich war mir bis gerade nicht sicher, wie ich den Tag morgen überstehen soll, jetzt scheint es mir quasi unmöglich ...« Seufzend nahm er sie in den Arm, küsste sie sehnsüchtig und spielte mit ihren Haaren, aus denen sich zwischenzeitlich das Band gelöst hatte.

»Na los, verschwinde. Sonst bist du in Nullkommanichts hier festgekettet und ich lass dich nicht mehr gehen.«

»Okay ... Dann komm gut ins Bett.«

»Ich bring dich zur Tür ...«

Zum Abschied hielten sie sich noch einen Moment im Arm und Moritz küsste sie auf die Stirn. Elisabeth legte ihren Kopf auf seine Brust und hörte sein Herz schlagen. Mit ihrer Hand fuhr sie kurz unter sein Shirt und strich zaghaft über seinen Bauch.

»Ich höre jetzt besser auf ...«, flüsterte sie in sein Ohr, als ihm ein leises Raunen entwichen war.

In diesem Moment klingelte sein Handy. Moritz verdrehte die Augen und brummte, küsste sie auf die Wange und beantwortete im Hinausgehen den Anruf. Winkte ihr aus dem Auto. Fuhr rückwärts aus der Einfahrt.

Für diesen Moment fühlte Elisabeth sich einsamer als in den Wochen zuvor.

Nach einem leisen Seufzer ging sie zum Eisschrank und nahm das Kühlpad heraus, um es auf ihr Knie zu legen. Wie in Trance setzte sie sich auf die Couch, schaltete vom Tablet aus die kleine Stehlampe im Fenster und die indirekte Deckenbeleuchtung an und versank in Gedanken.

Sie musste eingeschlafen sein, die Rollläden waren bereits unten, ihr Handy zeigte 22.30 Uhr. Und eine Nachricht von Moritz.

👤 Hey Liebes, ich hoffe, du verzeihst mir meinen Abgang gerade. Ich werde dir morgen nicht viel schreiben können, habe aber von 16 Uhr bis Montag früh um 6 Zeit ... Freue mich auf dich! Gute Nacht und süße Träume ... Moritz 💞

Sie las die wenigen Zeilen immer und immer wieder. Ihr Herz machte Sprünge und bebte wie wild. Für einen Moment nach dem Aufwachen war sie sich unsicher gewesen, ob sie die letzten Stunden erträumt hatte – aber es war tatsächlich passiert. Elisabeth überlegte, ob sie ihm antworten sollte. Moritz hatte ihr vor einer halben Stunde geschrieben. Sie wollte ihn nicht wecken, falls er bereits schlief. Als ausgewiesener Workaholic tat er das wohl kaum schon. Hatte er sein Handy nachts lautlos? Sie wagte es.

👠 Hey Sugar, entspann dich, alles gut. Wenn du magst, sei um 17 Uhr bei mir, ich koche gern was für uns. Hoffe, ich habe dich nicht geweckt. Dir auch eine gute Nacht. Träum schön!

Offenbar war Moritz noch wach. Oder wieder.

👤 Sugar? So süß bin ich doch nicht. Oder? Klären wir morgen in Ruhe 😉 17 Uhr hört sich prima an. Bin noch auf der Arbeit 😔 Fand deine Lasagne immer extrem lecker ...

👠 Du hast immer einen großen Bogen darum gemacht, wenn ich Essen mit ins Büro gebracht habe ... Flunkerst du mich an?

Es irritierte sie, dass Moritz auf die Lasagne zu sprechen kam. Wenn Elisabeth hin und wieder für die Kollegen gekocht hatte, war er einer der wenigen, der ihr Essen gemieden hatte.

👤 Hm. Ich hab dich im Büro immer angeflunkert. Sobald die Reste im Kühlschrank waren, habe ich mich darüber hergemacht 😁

👠 Elender Schwindler! Und ich habe mich immer gewundert, wo das Essen hin ist 😏

👤 Nicht schimpfen, Fräulein Rottenmeier ... Ich bringe als Wiedergutmachung den Wein mit ...

👠 Das wird ja immer besser. Fräulein Rottenmeier? Na, schön, dass die Fronten geklärt sind, Patrick Bateman.

👤 Ich, American Psycho? Boah! Der Typ ist bei weitem nicht so schlimm, wie ich 😈

Nee Spaß. Der Film ist spitze.

👠 Danke für die Warnung. Ich bitte meine Nachbarn, die Mülltonne anständig auf Leichen hin zu kontrollieren und spätestens Montag mal zu schellen ... 😎

👤 Ha-ha ... Das mit Fräulein Rottenmeier war vielleicht früher so ... Jetzt nicht mehr ... Und meine Visitenkarten sind ecru, nicht knochenfarben 😊

👠 Da bin ich aber beruhigt. Btw: ich liebe diese Szene im Film 😉 Was hältst du von Lasagne und American Psycho?

👤 Klingt nach einem spannenden Abend. Freue mich sehr darauf. 😚

In Elisabeths Bauch tanzten die Schmetterlinge Salsa. So verliebt war sie ewig nicht gewesen. Verliebt. O mein Gott. Plötzlich schoss ihr blitzartig ein Gedanke durch den Kopf.

👠 Wein + Zeit bis Montag um 6 = du kommst mit Koffer?

👤 Hab ich eigentlich noch nicht drüber nachgedacht. Aber wenn du so fragst ... 😇

👠 😁 klar, schieb es ruhig auf mich 😉 Sagen wir so; wenn du vom Wein mittrinkst, werde ich dich nicht mehr ans Steuer lassen. Wenn ich die Flasche allein getrunken habe, wirst du nicht mehr fahren wollen!

👤 😂😂😂 Du bist niedlich. Immer noch. Also gut. Ich werde vorbereitet sein 😉 Muss jetzt leider noch ein bisschen was tun 😞 Schlaf gut 😚

👠 Tu, was du nicht lassen kannst. Gute Nacht. 💋

Moritz legte sein Handy beiseite und rieb sich das Kinn. Was war passiert an diesem Freitag? Er konnte es zwar beschreiben, aber dennoch nicht erfassen. Nach einem fürchterlichen Tag auf der Arbeit war er wutentbrannt zur Tür hinaus, hatte Daniel Schumacher per SMS instruiert, seine Rufbereitschaft für den Abend zu übernehmen, und war übelst gelaunt im Wald spazieren gegangen. Die Natur hatte für ihn zu Sommeranfang etwas besonders Klärendes, Warmes und Beruhigendes. Er nahm einen Schluck Whisky und sah auf den Bildschirm. Haufenweise Mails, Rückrufwünsche für die kommende Woche und das eingeforderte Konzept seines Assistenten zur Mitarbeiterplanung. Moritz lehnte sich zurück und sann nach einer Erklärung, die er Elisabeth servieren könnte, ohne sie zu verschrecken. Es würde nicht einfach werden, schon gar nicht bei ihrer gemeinsamen Vorgeschichte.

Die zurückliegenden Dates mit den anderen Frauen hatte er vermasselt, keine Frage. Es war ihm aber ziemlich egal. Sie genügten ohnehin allesamt nicht seinen Ansprüchen. Zu dumm, zu faul, zu naiv, zu uninteressant. Aber Elisabeth? Sie reizte ihn. Maßlos. Dieser Kontrast von bissiger, tougher Businessfrau und der warmherzigen, charmanten Person, die er heute kennengelernt hatte, triggerte ihn nicht nur, er machte ihn willenlos. Moritz gestand sich ein, verliebt zu sein, auch wenn er es in der Retrospektive kaum fassen konnte. Für Elisabeth würde er die Karten auf den Tisch legen. Legen müssen. Legen wollen. Wenn es nicht so verflucht heikel wäre. Sie wird mich wieder hassen. Ignorieren. Und mich mit gebrochenem Herzen zurücklassen. Oder auch nicht. Wer wusste das schon? Er würde morgen beim Lunch mit seinem Vater darüber sprechen. Widerwillig. Aber hin und wieder wusste der alte Herr guten Rat.

Also fasste Moritz sich ein Herz, beantwortete die Mails, delegierte die Rückrufwünsche weitestgehend, machte sich Termine und Notizen ins Handy und ging kurz danach ins Bett. Seine Gedanken kreisten um Elisabeth.

Der letzte Kuss war fast noch auf seinen Lippen zu spüren, eine nie da gewesene Sehnsucht breitete sich in ihm aus. Sollte er sie anrufen? Es war fast Mitternacht. Sie hätte ihr Handy sicherlich lautlos, wenn sie schon schlief. Er riskierte es.

»Schmidt ...« Elisabeth hatte nicht auf das Display gesehen und murmelte ins Mikrofon.

»Hier ist Moritz. Verzeih, dass ich dich geweckt habe.« Er hätte sich ohrfeigen können. Für sie musste der Tag mindestens genauso erschöpfend gewesen sein wie für ihn. Was hatte er sich bloß gedacht?

»Moritz ...« Sie klang bereits wesentlich wacher. »Ich habe nicht mehr mit dir gerechnet vor morgen Abend. Ich bin auf der Couch eingeschlafen ...«

»Oh. Sorry. Es tut mir echt leid.«

»Kein Ding. Alles gut. Was verschafft mir die Ehre?«

»Ich lag im Bett und hab an dich gedacht, konnte nicht schlafen.«

Sie schmunzelte. »O je ... Soll ich dir heiße Milch mit Honig bringen?« Es schmeichelte ihr, dass er offenbar Sehnsucht nach ihr hatte.

»Hm ... Bis du hier bist, ist das Zeug kalt. Aber du könntest zu mir unter die Decke kommen ...«

»Du bist ja goldig ... Wenn ich nicht so k. o. wäre und dich damit nicht frühzeitig aus der Reserve locken würde, würde ich es tatsächlich darauf anlegen ...«

»Weißt du, im Moment wäre mir Letzteres schon fast egal. Sei es halt drum. Der Wunsch, dich bei mir zu haben, ist gerade größer als alle Unwägbarkeiten.«

Elisabeth schluckte schwer. Auch wenn sie Moritz ihre Geduld versichert hatte; er machte es ihr gerade schwer, nicht auf eigene Faust hinter sein Geheimnis kommen zu wollen.

»Hey, ähm ... Lass uns irgendwie die nächsten sechzehn Komma irgendwas Stunden rumkriegen und dann erfüllt die gute Fee dir deinen Wunsch.«

»Ich wusste nicht, dass Feen Allgemeine Geschäftsbedingungen haben, und Fristen für die Wunscherfüllung setzen können ...« Moritz lachte.

»Na ja, streng genommen müssen sie Wünsche ad hoc erfüllen. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel.«

»Ich sag ja, du bist süß! Liebes ...« Moritz ließ sich Zeit, den Satz zu vollenden.

 

»Ja?«

»Es wird kompliziert, wenn du dich auf mich einlässt. Anfangs zumindest. Ich verspreche dir, so gut es geht, für dich da zu sein. Aber ich kann dir keine Garantie geben, dass du glücklich wirst.« Bereits bei den letzten Worten stockte Moritz und biss sich auf die Zunge. Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn und verfluchte sich stillschweigend. Warum hatte er das gesagt? Warum am Telefon? Mitten in der Nacht? Du bist so dämlich, Moritz.

»Moritz ... Was auch immer es ist, ich denke, dass wir darüber reden können. Nicht unbedingt jetzt. Vielleicht auch nicht morgen. Denk nicht so viel und schlaf lieber. Wir werden das gemeinsam meistern.«

Woher sie diese Zuversicht nahm, konnte Elisabeth sich selbst nicht beantworten. Es musste etwas in Moritz’ Stimme gewesen sein. Diese tiefgründige Traurigkeit, der Ernst und seine Aufrichtigkeit.

»Ich hoffe es ... Träum süß, Liebes.«

»Du auch ...«

Als sie aufgelegt hatte, kamen Elisabeth die Tränen. Aus Nervosität, Wut über die Situation, weil es sich so kompliziert anließ und Angst vor dem, was Moritz verbarg. Vielleicht sollte sie ihn einfach vergessen. Mit Sebastian hatte es schließlich auch prima funktioniert. Doch die Ereignisse des Abends ließen sie nicht kalt. Wie auch? Erst die Berührung im Café an der Tür, nach der sie eine wohlige Wärme durchströmt hatte, dann die zauberhaften Küsse beim Snowboarden und immer wieder seine Blicke, die direkt in ihr Herz trafen.

Samstag, 09.06.

Erschöpft und müde von der Grübelei fiel sie von der warmen Badewanne direkt ins Bett und in einen unruhigen Schlaf. Stündlich wachte sie auf und hoffte, dass es Zeit sei, aufzustehen. Um fünf Uhr morgens hielt es sie nicht mehr in den Federn. Sie zog ihre Laufhose und einen Kapuzenpullover an und drehte ihre Runde durch den angrenzenden Wald. Der Frühnebel und die aufgehende Sonne boten ein wunderschönes Bild, sie genoss die frische Luft und die Stille.

Nach den neun Kilometern sprang sie unter die Dusche und frühstückte anschließend. Der Supermarkt würde erst in anderthalb Stunden öffnen, das Haus war von oben bis unten vorzeigbar, dank ihrer Putzfrau und Elisabeths Ordnungsliebe.

Nichts zu tun.

Horror vacui.

Wenn es außer Geheimnissen und Überraschungen etwas gab, das Elisabeth hasste, war es Warten. Zeit ungenutzt verstreichen zu lassen war für sie furchtbar. Außerdem hatte sie das dringende Bedürfnis, sich jemandem anzuvertrauen. Ihre Freundin Marie war, abgesehen von Isabelle, der Dritten in ihrem Bunde, ihre größte Stütze in der Zeit nach Jans Tod gewesen. Und sie war es auch, die Elisabeth und Sebastian zunächst in die Küche gelockt und dann allein gelassen hatte. Marie hatte immer um den Zustand von Elisabeths und Jans Beziehung gewusst, jeden Abend gebetet, dass Elisabeth niemals ein Kind von ihm bekäme und sich scheiden lassen würde. Obwohl Jan Astrophysik studiert hatte, war er in Maries Augen ein Idiot gewesen, wie sie Elisabeth immer mal direkter, mal subtiler zu verstehen gegeben hatte. Ein Punkt, über den die Freundinnen heftig gestritten hatten. Aber ihre Freundschaft hielt auch solche klaren Ansagen aus und für Elisabeth fühlte es sich wie eine Wahlfamilie an. Ihre Eltern waren schon vor Jahren nach Spanien gezogen und sie hatte nur sporadisch Kontakt, das Verhältnis zu ihrer Mutter war seit jeher von Unverständnis geprägt und ihr Vater stand zwischen den Stühlen. Sie neidete ihren Freundinnen auf gewisse Weise deren Familienleben. Marie war zwar Single, bewohnte aber mit ihren beiden Schwestern und den Eltern einen riesigen Bauernhof, auf dem jeder genügend Raum für sich hatte, sich aber trotzdem einer gewissen Nestwärme nicht entziehen konnte. Isabelle hatte mit Marc vor sieben Monaten die kleine Leonie bekommen und sie waren die klassische Bilderbuchfamilie, samt Hund und Hamster. Elisabeths Familie bestand quasi aus Marie, Isabelle, deren Familien und Freunden. Insgeheim jedoch sehnte sie sich nach einer eigenen, so wie sie sie mit Jan hatte gründen wollen. Für die sie das Haus gebaut hatten, das nun ihr allein gehörte. Einen Augenblick lang wurde ihr schwer ums Herz. Marie ...

Marie könnte schon wach sein. Einen Versuch war es wert.

»Hrmpfna wa hä?« Marie war offenbar nicht wach.

»Süße, hier ist Elisabeth. Ich wollte dich nicht wecken. Sorry.«

»Schon gut«, murmelte Marie. »Ist ja nicht so, als wenn mir das bei dir nicht auch hin und wieder passieren würde. Was’n los?« Es war mehr ein Nuscheln, aber Elisabeth verstand.

»Ich bin verliebt. Tierisch. Und komm gerade so gar nicht klar.«

»Mäuschen, geh joggen. Ist schönes Wetter.«

»War ich schon. Hab auch schon geduscht. Und gefrühstückt.«

»Autsch. Also richtig verliebt? Ich dachte, Sebastian hat abgesagt?«

»Ja. Er kam auch nicht. Dafür habe ich Moritz getroffen.«

»Moritz? Du meinst den Psycho aus deiner Firma?«

»Äh, ja. Ich muss dir da einiges erklären ...«

Elisabeth erzählte vom vorangegangenen Abend und ließ kein Detail aus. Marie stellte keine Zwischenfragen, murmelte nur hin und wieder etwas in den Hörer. Als Elisabeth fertig war, bat sie Marie um Rat.

»Du bist ja lustig. Wie soll ich dir da helfen? Nur, weil ich Verhaltensforscherin bin ... Solange er keine Maus oder ein Affe ist, kann ich nur genauso vermuten wie du.«

»Ha-ha. Es ging mir auch nicht um eine wissenschaftliche Expertise, sondern um die Meinung von jemandem, der das nicht durch die rosarote Brille sieht.«

»Na gut. Entweder hat dein Märchenprinz gewaltig Dreck am Stecken und ist die fieseste Kröte, die du seit Menschengedenken geküsst hast, oder es entpuppt sich als harmlose Beziehungsphobie eines Mittdreißigers. Du findest es jedoch nur heraus, wenn du es ausprobierst.«

»Na toll. Klingt, als wäre in Tor eins, zwei und drei der Zonk.«

»So war das nicht gemeint. Warte erst mal ab und beobachte die Situation. Ich meine, so fremd seid ihr euch nicht und du vertraust ihm ja in gewisser Weise, sonst würdest du ihn nicht zu dir einladen.«

»Stimmt. Eigentlich spricht ja auch nichts dagegen. Er ist schon so ein bisschen Prince Charming. Das kenne ich halt nicht. Weder von ihm, noch von sonst einem Mann, mit dem ich zusammen war.«

»Jaaaa, das waren auch nur Arschlöcher. Oder Idioten. Oder beides in Personalunion.«

»Ha-ha. Danke für die Blumen ... Na ja, egal. Ich werd mir jetzt die Fußnägel lackieren und mich noch mal eine Stunde hinlegen. Irgendwie fehlt mir Schlaf.«

»Mach das, du Irre. Ich leg mich wieder hin.«

»Marie ... Danke, dass du für mich da bist.«

»Kein Thema. Hab dich lieb.«

»Ich dich auch. Schlaf schön.«

»Du auch. Bis bald.«

Elisabeth war beruhigt. Marie hatte recht. Es gab nichts zu verlieren. Wenn Moritz sich als Frosch entpuppte, wäre er nicht der Erste, den sie geküsst und gegen die Wand geschleudert hatte. Irgendetwas jedoch sagte ihr, dass das diesmal nicht notwendig sein würde.

Um neun Uhr wurde sie wieder wach. Ihr Handy signalisierte eine SMS. Moritz.

👤 Guten Morgen, Liebes. Es war eine sehr einsame Nacht ohne dich, du fehlst mir ... 😔

👠 Guten Morgen ... Ich habe auch miserabel geschlafen. War um fünf joggen und habe gerade noch etwas Schlaf nachgeholt. Fühl dich gekuschelt ...

👤 Würde dich jetzt gern in den Armen halten und küssen ... Noch acht Stunden 😒

👠 😩 Wie soll ich das aushalten bis dahin? 😩 Werde mich mit einkaufen ablenken müssen ...

👤 Und ich mit Arbeit 😩 Aber mal was Anderes: Ist es wirklich okay, wenn ich bleibe? Ich wollte das nicht implizieren ...

👠 Wenn du frech bist, kette ich dich einfach im Keller an die Heizung!

👤 Und wenn ich lieb bin?

👠 ... kette ich dich ans Bett.

Elisabeth ohrfeigte sich im Geiste. Gestern noch wollte sie es langsam angehen und heute verschickte sie bereits solche SMS. Die Antwort von Moritz verunsicherte sie noch mehr.

👤 Whaaaaat? 😱

👠 Vergiss die letzte SMS lieber wieder. Finger waren schneller als Hirn. Wenn du lieb bist, sammle ich die Einzelteile deines gebrochenen Herzens wieder zusammen und heile es.

👤 😢 Ich habe gegen beides keine Einwände 😚 Bin jetzt leider offline 📴 Vielleicht kann ich mich gleich noch mal melden. Ansonsten bin ich um fünf bei dir. 😘

Elisabeth atmete auf und schmunzelte. Moritz hatte es offenbar faustdick hinter den Ohren. Es wurde Zeit, einzukaufen und das Ragù für die Lasagne vorzubereiten. Träumen konnte sie später noch.

Um kurz vor fünf läutete es an der Tür. Durch die kleinen Glasscheiben sah Elisabeth Moritz’ Umrisse und ein Lächeln huschte ihr über die Lippen. Die Sonne schien ihm seitlich ins Gesicht, die Tasche hing ihm lässig über die Schulter und auch sonst wirkte er in Jeans und Poloshirt ziemlich entspannt.

»Hey ... Schön, dass du da bist ...« Elisabeth ließ ihn in den Flur und stellte seine Tasche ab.

Statt ihr zu antworten, schlang er seine Arme um ihre Taille und küsste sie so hingebungsvoll und sehnsüchtig, dass es Elisabeth heiß und kalt wurde.

»Hi ...« Moritz klang müde, aber erleichtert. »Weißt du eigentlich, wie froh ich bin, hier zu sein?«

»Hmmmm. Wissen nicht. Aber ich kann es mir denken. Es geht mir wenig anders ...« Sie küsste ihn zwei, drei Mal. »Du darfst aber auch gern reinkommen. Ich hab die Ketten noch nicht ausgepackt.«

Moritz lachte. »Na gut. Dann trau ich mich mal.«

»Hunger?«

»Und wie ...«

»Setz dich, sieh dich um, wie du magst. Ich brauche nur ein paar Minuten.«

»Kann ich dir nicht helfen?«

»Danke, nein ... Männer in der Küche richten eher Chaos an als hilfreich zu sein.«

»Sehr freundlich ...«, entgegnete er lachend, weil er gemerkt hatte, dass auch sie es nur halb so ernst gemeint hatte.

Moritz besah ihr Wohnzimmer. Es war völlig verändert. Beim letzten Besuch, den er ihr mit den Kollegen abgestattet hatte, war es in schwarz-weißen Hochglanzmöbeln ausgestattet, weiße Wände und eine Seite in schwarzer Samttapete mit Lilienmuster, schwarze Vorhänge und eine anthrazitfarbene Couch.

Er erkannte es kaum wieder, hellgraue Wände, viele Naturfarben, schwere, aber zeitlose Wildeichenmöbel, Bücher, Platten und DVDs in der Bibliothekswand. Moritz empfand es als wärmer und angenehmer und fühlte sich animiert, in ihren Büchern zu stöbern und zu sondieren, welche Musik sie hörte. Aus der Küche hörte er leises Tellerklappern und die Lüftung des Backofens. Auf dem Tisch standen bereits frisches Brot, Gläser, ein entzündeter Kerzenleuchter.

Viele der Bücher hatte er ebenfalls gelesen, einen Großteil der DVDs in seinem Schrank und auch ihr Musikgeschmack war nahezu vollständig kongruent. Er schmunzelte.

»Bin schon fertig ...« Elisabeth erschien im selben Moment am Tisch, als Moritz auf ihren Platz eine Rose gelegt hatte. Er nahm ihr die Teller ab und küsste sie auf die Wange.

»Oh ... Danke sehr. Ich stell sie schnell ins Wasser!«

»Kein Thema. Solange du sofort wiederkommst ... Seeeeehnsucht!«

Elisabeth schmunzelte, nahm eine Vase aus dem Sideboard und füllte sie in der Küche mit Wasser. Die Rose stellte sie darin auf den Tisch und beugte sich dann zu Moritz. »Solange das mit den Rosen und allgemein nicht endet wie beim Bachelor, komme ich gern immer wieder sofort zurück.«

»O nein, niemals. Alles, nur nicht so ein gescripteter Schwachsinn.«

»Dann ist ja gut ...« Sie setzte sich und legte die entfaltete Serviette in den Schoß. »Ich hoffe, du bist nicht böse, dass ich vorab schon Chianti dekantiert habe ...«, fragte sie mit Blick auf den Wein, den Moritz wie angekündigt mitgebracht hatte.

»Alles gut. Kein Stress. Der Abend ist ja noch jung.«

»Duuu, was ist los? Irgendwie ist deine Leichtigkeit von gestern weg ...« Sie biss sich auf die Zunge. Das Gespräch beim Essen war eher schleppend verlaufen, gequält und uninspiriert. Elisabeth wollte es nicht so direkt ansprechen, aber Moritz war immer ein Freund offener Worte gewesen. Trotz der Wiedersehensfreude wirkte er reserviert, zurückhaltend. Er saß kerzengerade, aber entfernt von der Tischkante, machte nur kleine Bewegungen und sprach leiser als zuvor.

»Entschuldige bitte. Ich hatte ein sehr langes, zermürbendes Gespräch mit meinem Vater. Der Auftakt der Dinge, die ich klären will.«

 

»Oh. Verstehe.« Sie räumte die Teller vom Tisch und füllte Wein nach. Moritz sah mit einem Mal richtig niedergeschlagen aus.

»Weißt du, eigentlich hätte das Gespräch mit ihm nicht besser laufen können.«

»Warum bedrückt es dich dann so?« Sie deutete, er solle sich auf die Couch setzen, stellte die Gläser auf den kleinen Tisch und setzte sich zu ihm.

»Mein Vater und ich hatten die letzten zehn Jahre ein mieses Verhältnis. Erst war ich ihm zu wenig ambitioniert im Studium, dann habe ich zu viel Zeit mit Jobs verbracht, die mich gelangweilt haben und obendrein habe ich es gewagt, die falsche Frau zu heiraten. Seine Sicht der Dinge. Heute kam das alles beim Lunch wieder auf die Agenda. Er hat zwar bedauert, dass Danielle so früh und unter diesen Umständen gestorben ist, aber meinte, es sei eine Fügung des Schicksals, dass ich im Allgemeinen und mit ihm im Speziellen einen Neuanfang machen könnte.«

»Klingt jetzt nicht unbedingt verführerisch, aber im Zusammenhang auch nicht nach Weltuntergang. Wo ist der Haken?«

»Ich arbeite seit meinem Ausstieg in unserem Familienunternehmen. Mein Vater ist quasi mein Chef, überlässt mir aber seit einem Monat die Geschäfte und die Verantwortung. Was ich gestern zu dem Thema gesagt habe, entspricht also leider nicht der Wahrheit.«

»Hm. Mich hatte zwar gewundert, wie das zusammenpassen sollte, keine Verantwortung, aber dauernd wichtige Anrufe, aber nun gut. Mit der Lüge kann ich leben.«

»Ernsthaft? Ich dachte, du reißt mir gleich den Kopf ab ...«

Elisabeth zog ihn am Kinn zu sich heran und küsste ihn.

»Nein. Im Job hätte ich das vielleicht getan. Ich habe dir versprochen, dir zu vertrauen. Solltest du die Wahrheit dehnen, wirst du deine Gründe haben. Solange es nur um so etwas geht, kann ich damit umgehen. Du wirst wissen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, reinen Tisch zu machen.«

»Ich weiß gerade nicht, was ich sagen soll. Ich hab mit allem gerechnet, nur nicht mit noch mehr Verständnis. Ist das irgendwie Feen-AGB?«

»Vielleicht ...« Elisabeth hatte keine Ahnung, warum sie so nachsichtig mit ihm war. Jeden anderen Mann hätte sie mit Missachtung gestraft. »Vielleicht auch Schmetterlinge im Bauch und Chianti im Blut. Komm her ...« Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und es sich in der Ecke bequem gemacht. Moritz saß mit den Ellbogen auf die Knie gestützt neben ihr und sah sie fragend an.

»Lehn dich an, ich kraul dir den Nacken ...«

Moritz entspannte sich zusehends. Elisabeth gewann ihre eigene innere Ruhe zurück; sie hatte bereits befürchtet, dass es so krampfhaft weitergehen könnte wie beim Essen.

»Duuu ... Es tut mir leid, dass ich so ein Arsch bin.«

»Wie meinen?«

»Dass ich so undurchsichtig bin und dich so behandle. Du hast das nicht verdient, du bist viel zu märchenhaft und süß, für jemanden wie mich.«

»Moritz, was soll das?«

Er drehte sich zu ihr um, sein bitterer Blick traf direkt in ihr Herz.

»Du weißt nicht, auf was du dich da einlässt. Ich weiß es ja selbst kaum. Ich habe meine Familie und das Unternehmen vor zehn Jahren verlassen, als ich mich mit meinem Vater überworfen habe. Meine Mutter starb, als ich noch klein war, meine Frau ist, wie du weißt, ebenfalls tot und mein älterer Bruder, der eigentlich die Nachfolge in der Firma antreten sollte, hatte vor einem Jahr einen Segelunfall, von dem er nicht mehr genesen ist und es auch nie wird. Er wird zeit seines Lebens ein Pflegefall bleiben. Momentan ist er zu einer Therapie in den USA, die seine Schmerzen lindern soll, aber es gibt keine Chance auf Heilung.«

Er machte eine Pause.

»Nun ja. Mein Vater war nicht besonders glücklich, als ich also vor einem halben Jahr zurückgekehrt bin. Aber er sah die Notwendigkeit und die Chance, also arbeitete er mich ein, ließ mich in vielen Dingen schnell allein gewähren und zog sich immer mehr zurück. Zum Jahresende wird er in den Ruhestand gehen, soweit man das so nennen kann, und ich stehe allein auf weiter Flur. Mein Bruder kann, will und wird nicht zurückkehren und da er zum Leidwesen meines Vaters bisher unverheiratet und kinderlos ist, sieht er mich da in der Pflicht. Kurzum: herzlich willkommen in meinem Leben.«

»Autsch.«

»Autsch? Auch eine schöne Antwort.«

»Autsch, mein Knie. Du bist gerade dagegen gekommen. Aber ›Autsch‹ auch als Antwort.«

»O je, das tut mir leid. Tut es sehr weh?«

»Nein. Schon gut ... Tut es dir sehr weh?«

»Du bist süß ...«, antwortete Moritz und schloss für einen Moment die Augen. Dann fügte er hinzu: »Das Pensum ist immens. Ich habe mich zwar daran gewöhnt, das macht es erträglicher. Viel schlimmer ist aber die Erwartungshaltung ...«

Elisabeth verstand, was Moritz meinte, auch ohne, dass er den Satz beendete. In ihrem Job hatte sie oft mit Familienunternehmen zu tun gehabt. Die Nachfolgeregelung war selten simpel und gerade in einem Fall wie Moritz’ alles andere als ein Zuckerschlecken. Insbesondere, wenn der Erbe unverheiratet blieb und mit ihm die Firmengeschichte einen ungeplanten und ungewollten Verlauf nehmen könnte.

Moritz sah sie zweifelnd und fragend an. »Ich sehe, dass du verstehst, worum es mir geht. Und das ist der Grund, warum ich dich, na ja, quasi warnen will. Vor mir, beziehungsweise davor, etwas mit mir anzufangen. Ich kann das niemandem aufbürden und eigentlich schon gar nicht dir. Der Job ist 24/7, wenig Privatsphäre und im Prinzip untrennbar mit der Gründung einer Familie verknüpft.«

Elisabeth küsste ihn zärtlich und hielt seine Hand. »Weißt du, ich erkenne dein Problem. Dass du unter Zeit-Druck stehst. Job und Privat kaum trennen kannst und dir Sorgen machst, ob und wie das mit uns vereinbar ist. Aber wenn du eines bei uns in der Firma gelernt hast, dann doch, dass man nicht für den Kunden denken soll. Oder?«

Verblüfft sah Moritz sie an. »Was genau meinst du?«

»Ich meine das im übertragenen Sinn. Dass du, statt einer Frau zu sagen, wie mies dein Leben ist, sie vielleicht lieber selber entscheiden lässt. Und wenn du einwilligst, es langsam mit ihr angehen zu lassen, ihr auch die Chance dazu gibst. Zeitdruck hin oder her. Und so wie ich das bisher verstanden habe, haben wir uns schon aufeinander eingelassen, oder?«

Er nickte betroffen. »Ich wollte das auch eigentlich gar nicht in Frage stellen beziehungsweise so formulieren ... Ich wollte nur ... na ja, dass du weißt, dass ich verstehen würde, wenn du ... na ja, wenn du einen Rückzieher machen würdest.«

»Herrje, hör auf so viel zu denken«, seufzte sie und gab ihm einen Kuss auf die Nasenspitze, angelte nach ihrem Weinglas. Moritz jedoch stoppte sie und zog sie auf seinen Schoß. Völlig enthemmt und sehnsüchtig küsste er sie, hielt sie fest im Arm und gab sich ganz dem Moment hin. Berauscht vom Wein, Elisabeths Leidenschaft und der plötzlichen Klarheit seiner Gefühle vermochte er nicht mehr zu sagen, ob es Minuten oder Stunden waren, die sie in dieser Umarmung Zärtlichkeiten austauschten. Wann hatte er zuletzt so ein tiefes Verlangen gespürt? Moritz wusste keine Antwort. Als er in Elisabeths Augen blickte, mit denen sie ihn so liebevoll und gleichzeitig verlangend ansah, dämmerte es ihm.

Nie.

Sie spürte, dass etwas Gravierendes in ihm vorging. Ohne den Blick von ihm abzuwenden setzte sich wieder neben ihn, legte den Kopf zur Seite und ein verschwörerisches Grinsen umspielte ihre Mundwinkel. »Ich schätze, das fällt jetzt doch nicht mehr unter ›langsam angehen lassen‹.«

»Schlimm?« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und streichelte ihren Nacken.

»Nein. Nicht schlimm. Schön.«

»Also machen wir langsam weiter?«

»Unbedingt ...«, antwortete sie und belegte ihre Aussage mit einem verlockenden Kuss.

»Es gibt auch eigentlich nur noch Kleinigkeiten, die ich dir aber in den nächsten Tagen erzählen werde. Dann weißt du, woran du bist ...«

»Shhhh ... Ich will davon heute nichts mehr hören. Ich vertraue dir und wenn ich eins in den letzten Monaten gelernt habe, dann, dass ich zwar gern über Eventualitäten nachdenken kann, aber ich mir erst dann den Kopf zerbrechen sollte, wenn ich vor einem echten Problem stehe ...«

»Das sollte ich mir vielleicht auch zu eigen machen ...«