Krallenspur

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Kapitel 5

Am nächsten Morgen konnte ich es kaum erwarten, in die Schule zu kommen. Auf dem Parkplatz traf ich Abby, die heute ausnahmsweise mal mit dem Zweitwagen der Mitchells gekommen war.

»Mensch, ist das kalt heute«, bibberte sie, wobei sie von einem Bein aufs andere hüpfte, um ihre kalten Füße zu wärmen. »Aber wie ich sehe, bist du bestens gerüstet. Allerdings …«, sie musterte kritisch die Lederjacke, die ich über dem Arm trug, »… ist das Teil da nicht ’n bisschen groß?«

»Ist nicht meine. Sie gehört Beckett.« Äußerlich war ich vollkommen cool, aber mein Herz begann heftig zu klopfen, als ich seinen Namen aussprach.

»Waaas?« Abby brüllte so laut los, dass ein Mädchen neben uns erschrocken zusammenfuhr.

»Es war gestern Abend ziemlich kalt und da hat er sie mir geborgt«, erklärte ich so gelassen wie möglich, während wir auf das Schulgebäude zugingen.

»Cassian Beckett hat dir gestern Abend seine Jacke geborgt, weil es ziemlich kalt war?«, echote sie verblüfft.

»Ja.«

»Echt?«

Ich nickte.

»Oh Mann. Ich glaub’s ja nicht, das ist ja ’n Ding. Wo hast du ihn denn getroffen? Ist da was gelaufen zwischen euch? Mensch Celia, jetzt sag schon endlich. Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!«

Abby erhielt die Kurzfassung. Ich hatte ihn beim Joggen getroffen, mich mit ihm unterhalten und er hatte mir seine Jacke gegeben. Aus.

Kein Wort darüber, dass ich in seinem Haus gewesen war und ihm meine Lebensgeschichte anvertraut hatte, und auch nicht, dass er mich nach Hause gebracht hatte. Davon wollte ich ihr einfach nichts erzählen. Und es war auch nicht der richtige Ort und Zeitpunkt, denn inzwischen waren wir im Klassenraum an unseren Plätzen angekommen und außerdem kam Cassian gerade herein.

Er bedachte Abby mit einem netten Lächeln, ehe er mich begrüßte. »Hi. Wie geht’s?«

Ich spürte die bohrenden Blicke der anderen Mädchen in meinem Rücken. »Bestens.« Unglaublich, wie konnte ich bei dem atemberaubenden Lächeln nur so locker klingen? »Aber du hast hoffentlich meinetwegen nicht gefroren?«

Offenbar war die Lederjacke seine einzige Jacke, denn er trug auch heute Morgen nur das graue Sweatshirt.

Er schüttelte den Kopf. »Mach dir keine Gedanken. Ist ja heut nicht besonders kalt.«

»Na danke, mir reicht’s«, murmelte Abby und rieb ihre Finger aneinander.

Dummerweise tauchte ausgerechnet jetzt Mrs. Darcy auf. Cassian nahm seine Jacke, zwinkerte mir noch einmal zu und verzog sich auf seinen Platz.

Ich hatte mich gefreut, ihn zu sehen, aber dass er nun auch noch in diesem Kurs war, hatte den unangenehmen Nebeneffekt, dass ich auch diesmal nicht viel vom Unterricht mitbekam. Fortwährend klebte mein Blick an seinem Rücken und ich war mit meinen Gedanken eindeutig nicht beim Unterrichtsstoff. Stattdessen lief ich durch den Wald, und er hielt meine Hand. Diesmal heulte jedoch kein Wolf irgendwelche seltsamen Warnungen. Es gab nur ihn und mich und dann beugte er sich zu mir und …

Ich fühlte einen unangenehmen Stoß in meiner Seite. Abby.

Alle um mich herum hatten längst ihre Bücher aufgeschlagen und schrieben, während mein Geografiebuch noch in meinem Rucksack steckte. Hastig kramte ich es hervor, während mir meine Freundin leise zuraunte, was wir aufschreiben sollten.

Wenigstens hatte Mrs. Darcy noch nichts von meiner geistigen Abwesenheit mitbekommen. Ich musste endlich mit der blöden Tagträumerei aufhören, sonst würde mein Abschlussjahr eine einzige Katastrophe werden. Also riss ich mich zusammen, verbannte Cassian vorerst aus meinen Gedanken und machte mich daran, die Aufgaben im Buch zu lösen.

Als ich am Ende der Stunde Mrs. Darcy mein Blatt abgab, hatte ich gar kein so übles Gefühl. Etwas anderes jedoch freute mich noch mehr. Cassian tauchte sofort nach dem Gong wieder bei uns auf. Da ich meinen Stundenplan noch nicht ganz im Kopf hatte, war mir vollkommen entfallen, dass wir die nächsten beiden Stunden Kunst hatten.

Abby verabschiedete sich mit einem vielsagenden Blick, um pünktlich zu ihrem eigenen Unterricht zu kommen, während ich mich gemeinsam mit IHM auf den Weg zum Kunstsaal machte. Wir unterhielten uns über den Test und im Kunstraum setzte er sich natürlich wieder neben mich. Schließlich waren wir ja Teampartner.

»Ähm, hast du eigentlich eine Ahnung, was wir machen sollen? Ich habe Mr. Jefferson das letzte Mal wohl nicht so richtig verstanden.« Ich kam mir total blöd vor und hoffte nur, dass er nicht ahnte, dass er die Ursache für meine totale Unkenntnis war.

Da Mr. Jefferson inzwischen mit dem Unterricht begonnen hatte, antwortete er mir nicht sofort. Doch der Lehrer begrüßte uns nur kurz und dann sollten wir weiter an unseren Projekten arbeiten.

»Wir sollen uns gegenseitig zeichnen und das dann in ein berühmtes Gemälde übertragen«, erläuterte mir Cassian unsere Aufgabe, nachdem sich Mr. Jefferson an seinem Tisch niedergelassen hatte, um einen Stapel Arbeiten durchzusehen.

»Oh nein«, stöhnte ich entsetzt, denn wenn ich etwas absolut nicht konnte, dann war es zeichnen und schon gar keine Gesichter. Ich bemerkte, dass er mich fragend ansah.

»Ich bin vollkommen talentfrei, wenn es ums Zeichnen geht«, gestand ich verzweifelt.

»Ach was, so schwer ist das gar nicht.«

»Oh doch. Für mich schon.«

»Das glaub ich nicht. Ich bin sicher, dass du das kannst. Es ist ganz einfach. Hier, ich zeig’s dir.« Er wühlte in seinem Rucksack, zog seinen Block hervor und einen Stift.

Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie sein Bleistift über das Papier flitzte. Ab und zu sah er auf, warf mir einen prüfenden Blick zu, dann kritzelte er weiter. Er schien seine Umwelt vollkommen vergessen zu haben und plötzlich wirkte er nicht mehr so furchtbar cool, sondern irgendwie unbeschwert und glücklich. Leider war der Moment viel zu schnell vorbei. Sobald er den Stift hinlegte und das Blatt vom Zeichenblock abriss, erlosch das Leuchten in seinen Augen und seine »Mauer« war wieder da.

Aber als er mir die Zeichnung hinhielt, war ich überrascht. Ich hatte das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen, und auch wieder nicht. Das war ich. Ganz eindeutig. Er hatte jede Einzelheit meines Gesichts haargenau getroffen. Meine Augen, die Nase, Mund und Haare. Es war perfekt. Doch das Mädchen auf dem Bild war schön. Sie wirkte so lebendig. Ihre Augen glänzten, obwohl ihr Mund nicht lächelte, aber trotz ihres ernsten Ausdrucks strahlte sie Wärme und etwas ganz Besonderes aus. Nein. Das war nicht ich.

»Gefällt es dir nicht?«

Irrte ich mich oder klang er ein bisschen enttäuscht?

»Im Gegenteil. Du kannst super zeichnen. Es ist … wahnsinnig schön.« Ich musste schlucken.

»Es gehört dir, wenn du magst.«

»Danke, denn es gefällt mir wirklich. Aber … weißt du … du hast mir sehr geschmeichelt.«

»Geschmeichelt?« Er wirkte irritiert.

»Ich meine, du hast mich viel hübscher gemacht, als ich bin.« Ich versuchte locker zu klingen, aber es kostete mich Überwindung, das zu sagen.

Er runzelte die Stirn. »Nein, habe ich nicht. Du siehst genauso aus.« Es klang nicht wie Selbstlob und auch nicht wie ein Kompliment, eher wie eine sachliche Feststellung.

»Und jetzt bist du dran.« Er drückte mir seinen Bleistift in die Hand.

»Nein, bitte«, stöhnte ich. »Das kann ich echt nicht.« Ich hatte nicht die Absicht, mich vor ihm zu blamieren, und genau das würde ich, sobald der Stift das Papier berührte.

»Doch, du kannst.« Seine Stimme hatte jetzt einen sehr bestimmenden Ton.

»Nein. Es wird eine Katastrophe.«

»Das glaube ich nicht. Komm schon. Versuch’s!«

»Okay, aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, murmelte ich seufzend. So ein perfektes Gesicht konnte man nicht malen. Und ich schon gar nicht.

Wahrscheinlich hatte ich ihn schon wieder viel zu lange angestarrt, doch es schien ihn nicht zu stören. Schnell sah ich auf das leere Papier. Wo sollte ich bloß anfangen?

Probeweise malte ich die Außenlinie seines Kopfes. Es wurde ein Ei und hatte keinerlei Ähnlichkeit mit meiner attraktiven Vorlage. Genervt schnappte ich mir den Radiergummi, rubbelte die ganze Linie wieder weg und startete tapfer den nächsten Versuch.

Nach zwanzig Minuten war das Blatt voller gezeichneter und wieder ausradierter Linien, sodass das Ganze mehr nach dem Netz einer geistig verwirrten Spinne aussah als nach seinem Porträt. Entnervt gab ich auf.

»Hab ich es nicht gesagt?«, murrte ich.

Er hatte den Anstand, nicht eine Miene zu verziehen, als er das Blatt betrachtete. »War doch eine gute Übung. Das andere kommt schon«, tröstete er mich.

»Klar, und Schweine fliegen demnächst.«

Er überhörte meine spöttische Bemerkung und gab mir Tipps, wie ich es besser machen konnte. Um ihn nicht zu enttäuschen, nahm ich ein neues Blatt.

Diesmal konzentrierte ich mich weniger auf sein Äußeres, sondern mehr auf das, was er sagte. Zuerst zeichnete ich sehr zaghaft und fing wieder an zu radieren. Doch nach einer Weile wurde ich sicherer und er korrigierte mich die ganze Zeit über geduldig. Und das Erstaunliche geschah.

Nicht dass ich auf dem Weg war, die nächste Frida Kahlo zu werden, aber das Zeichnen fing tatsächlich an, mir ein bisschen Spaß zu machen, was ohne Zweifel an meinem tollen Lehrer lag. Und kurz vor Ende der Stunde hatte ich sogar ein halbwegs brauchbares Werk zu Papier gebracht. Das Porträt sah ihm zwar nicht im Geringsten ähnlich, aber es war besser als das wirre Gekritzel. Mein selbst ernannter Lehrmeister zeigte sich auf jeden Fall zufrieden mit meiner Leistung und allein für sein Lächeln hatte sich die ganze Schufterei schon gelohnt, auch wenn mein verkrampftes Handgelenk wie Feuer brannte. Wieso nur war für mich das Zeichnen so fürchterlich anstrengend, während es bei ihm ganz leicht ausgesehen hatte?

 

Ich war davon ausgegangen, dass wir auch die Mittagspause miteinander verbringen würden. Doch leider verabschiedete er sich, als Kathy und Sandra in Sicht kamen, und verschwand in die entgegengesetzte Richtung.

Meine gute Laune war schlagartig dahin und ich musste mich zu einem Lächeln zwingen, als Kathy mich begrüßte. Sandra hatte nur einen unterkühlten Blick für mich übrig, den ich ebenso kühl erwiderte. Ihr wäre es offensichtlich lieber gewesen, wenn ich meine Mittagspause auf dem Mond verbracht hätte, aber den Gefallen tat ich ihr nicht.

Den Rest des Tages sah ich Cassian nicht mehr und ich tat alles, um auch nicht ständig an ihn zu denken. Ich lauschte angestrengt dem Unterricht, schrieb eifrig mit und schaffte es tatsächlich, ihn kurzzeitig aus meinen Gedanken zu verbannen.

Nach der letzten Stunde gingen Tyler und ich zur Sitzung des Festkomitees. Abby hatte uns im Stich gelassen, weil sie wieder arbeiten musste, und Susan quittierte ihre Abwesenheit mit einem missbilligenden Stirnrunzeln. Aber wenigstens stand nach eineinhalb Stunden endlich das Motto unseres Schulballs fest: »Ball der Vampire«. Und wir hatten uns sogar auf die Dekoration einigen können. Susan entließ uns gnädig und glücklicherweise war der nächste Termin erst in drei Wochen.

Als ich den Raum verließ, fiel mir ein, dass ich meinen Ausweis noch immer nicht wiederhatte. Also beschloss ich, es noch einmal in der Bibliothek zu probieren. Außerdem konnte ich so Doug aus dem Weg gehen. Mit ziemlicher Sicherheit würde er wieder versuchen, mich zu überreden, mit ihm und Tyler etwas zu unternehmen, und ich war überzeugt, dass sein Freund uns nicht lange Gesellschaft leisten würde. Vor den anderen aus der Clique hielt er sich bisher zurück, aber wenn wir alleine waren … Nein danke. Auf peinliche Liebesbekundungen konnte ich gut verzichten.

Also verabschiedete ich mich von Tyler und machte mich auf den Weg zur Bibliothek. Erstaunlicherweise saß Mr. Brown diesmal hinter seinem Tresen.

»Ich habe mich schon gefragt, wann Sie den vermissen würden.« Lächelnd reichte er mir die Plastikkarte.

»Danke.« Ich steckte den Ausweis in meine Geldbörse und wünschte ihm einen schönen Feierabend.

Auf dem Weg zum Parkplatz ließ ich mir viel Zeit und es war schon dunkel, als ich bei meinem Wagen ankam. Aber es hatte funktioniert. Der rote Camaro war weg. Erleichtert drückte ich den Türöffner, öffnete die Fahrertür und schlüpfte auf den Sitz. Meinen Rucksack stellte ich in den Fußraum vor den Beifahrersitz, steckte den Schlüssel ins Zündschloss, aber als ich ihn umdrehte, tat sich nichts. Der Anlasser gab keinen Mucks von sich.

Das konnte nicht wahr sein. Ich hatte eine nagelneue Batterie drin. Er musste doch anspringen. Ich versuchte es noch einmal - wieder mit demselben Ergebnis. Er rührte sich nicht. Genervt zog ich den Hebel für die Motorhaube und stieg wieder aus.

Ich starrte in den Motorraum, ohne wirklich zu wissen, was ich jetzt tun sollte, aber schließlich machte man das doch so, wenn man eine Panne hatte. Vielleicht sah ja auch zufällig jemand die offene Haube und kam mir zur Hilfe. Als ich mich jedoch umsah, schwand meine Hoffnung. Weit und breit war niemand zu sehen.

Während ich noch überlegte, ob es Sinn machte, zurück zur Bibliothek zu gehen, um Mr. Brown um Hilfe zu bitten, oder ob ich lieber gleich unseren Mechaniker Gordon Rowney von seinem wohlverdienten Abendessen abhalten sollte, hörte ich doch ein Auto kommen und zu meiner Überraschung hielt es auch noch neben mir, obwohl der gelbe Porsche eindeutig weder einem Schüler noch einem der Lehrer gehörte. Dazu war das Cabrio zu teuer und sein dunkelhaariger Fahrer eindeutig zu attraktiv.

»Alles in Ordnung bei dir?«

Ich schätzte den Mann, der mit französischem Akzent sprach, auf Mitte zwanzig. Sein Lächeln war gewinnend, dennoch war ich nicht sicher, ob es klug war, Hilfe von einem Wildfremden anzunehmen.

»Na ja …« Aber was konnte schon passieren, wenn er sich mein Auto zumindest mal ansah? Ich beschloss, es darauf ankommen zu lassen, setzte ein hilfloses Lächeln auf und erklärte ihm mein Problem.

Er schaltete sofort den Motor aus, öffnete die Wagentür und schwang sich mit einer eleganten Bewegung aus seinem Porsche.

Wie die meisten Typen war er größer als ich. So groß wie Cassian, schätzte ich, denn als ich ihn ansah, musste ich auch bei ihm den Kopf in den Nacken legen.

»Was ist mit der Batterie?« Seine Stimme klang eine Spur kühler und sein Lächeln war jetzt verschwunden. Er betrachtete mich auf eine unangenehm abschätzende Weise. Sofort fühlte ich mich unbehaglich und sah schnell auf meinen Motor.

»Keine Ahnung, was er hat …« Wie dünn meine Stimme auf einmal klang. Beinahe ängstlich. Das war nicht gut. Hätte ich ihn doch bloß nicht um Hilfe gebeten.

»Ist sie schon älter?«, forschte er.

Eigentlich eine normale Frage. Doch ich sah ihn noch immer nicht an, sondern tat, als wäre ich an dem wirren Durcheinander von Kabeln und Schläuchen interessiert. »Nein … ich meine, die Batterie ist fast neu.«

»Hmmh, dann nützt es wohl nichts, wenn ich dir Starthilfe gebe.« Sein Tonfall ließ mich jetzt doch aufschauen und ich stellte fest, dass sein Lächeln zurückgekehrt war.

Seltsamerweise verschwand auch sofort das nervöse Gefühl. Eigentlich wirkte er doch ganz nett. Vermutlich hatte er nur so komisch reagiert, weil ihn meine Panne von irgendeinem wichtigen Termin abhielt. Oder vielleicht einem Date?

»Gut, dann sehen wir mal nach, woran es sonst liegen könnte.« Er beugte sich über den Motor, ohne dabei auf seinen eleganten dunklen Anzug zu achten, und murmelte etwas.

»Wie bitte?«

»Un moment s’il vous plaît.« Er fummelte noch kurz an einem der Kabel herum, dann richtete er sich auf, strich sich die halblangen, gewellten Haare aus der Stirn und grinste siegessicher.

»Das eine Kabel war nicht richtig fest. Könnte sich beim Fahren gelockert haben. Versuch mal zu starten. Wenn ich richtigliege, funktioniert jetzt wieder alles.«

Gehorsam klemmte ich mich hinters Steuer und betätigte den Anlasser. Diesmal brummte der Motor sofort auf.

»Hey, das ist ja super!« Ich strahlte meinen Retter dankbar an. Erstaunlicherweise sah er nicht nur gut aus, er verstand auch tatsächlich etwas von Autos.

»Danke.« Während ich ausstieg, fiel mir auf, dass ich nicht einmal seinen Namen kannte.

Offenbar hatte er denselben Gedanken. »Verzeihung, wie unhöflich. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Sebastian Duveauchelle. Stets zu Ihren Diensten, Mademoiselle.« Er verbeugte sich elegant vor mir. »Und wen habe ich gerade vor dem Abschleppdienst gerettet?«

Ich fand ihn und seine altmodische Art auf einmal richtig sympathisch. »Celia. Celia McCall.«

»Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Mademoiselle Celia.”

Als ich seine Hand berührte, fühlte diese sich noch kälter an als meine, aber sein Lächeln wirkte warm und gewinnend.

»Mich auch«, antwortete ich und meinte es auch so. Merkwürdig, dass ich mich eben noch so unwohl in seiner Gesellschaft gefühlt hatte.

»Okay, Celia. Kann ich dich dann allein lassen?«

Er ließ meine Hand los und auf einen Schlag war die Leichtigkeit und Fröhlichkeit aus seiner Stimme verschwunden. Seine braunen Augen blickten ernst und er wirkte auf einmal etwas angespannt.

»Ja klar. Kein Problem. Er läuft ja wieder«, antwortete ich und war enttäuscht, dass er es plötzlich so eilig hatte. Wahrscheinlich wurde er wirklich irgendwo erwartet.

Er glitt elegant auf den Fahrersitz und sein Wagen schnurrte wie eine zufriedene Katze auf, als er den Anlasser betätigte.

»Vielleicht sieht man sich ja mal wieder. Es würde mich sehr freuen.« Er schenkte mir sein aufregendes Lächeln, sagte: »Adieu, Chérie«, hob zum Abschied kurz die Hand und rauschte davon, ohne noch einmal zurückzublicken.

Den Rest der zweiten Schulwoche lernte ich keine geheimnisvollen und aufregenden Typen mehr kennen und ich sah auch meinen charmanten Retter nicht wieder.

Anscheinend war das Schicksal der Ansicht, Cassian wäre genug Aufregung für mich, und damit lag es absolut richtig. Wann immer er irgendwo in der Schule auftauchte, bekam ich weiche Knie und das, obwohl er gar nicht mehr viel mit mir sprach. Mehr als ein kurzes »Hi« vor dem Unterricht bekam ich nicht zu hören.

Aber warum sollte es auch anders sein? Nur, weil wir in Kunst zusammenarbeiten mussten und er mich nach Hause gebracht hatte? Schließlich war ich bei ihm aufgetaucht und er war einfach nur höflich gewesen. Auch seine Hilfe beim Zeichnen konnte eigentlich nur einen Grund haben. Er wollte durch mich keine schlechte Note bekommen. Immerhin war die Eagle High seine letzte Chance, einen Abschluss zu machen, wenn die Gerüchte über ihn stimmten. Es war also das Beste, ihn mir aus dem Kopf zu schlagen.

Nur war das leider nicht so einfach. Nachts träumte ich von ihm und in der Schule hielt ich automatisch nach ihm Ausschau. Sah ich ihn, war er allerdings allein. Warum auch immer, Cassian Beckett hielt sich gerade von jedem weiblichen Wesen in der Schule fern.

Am Freitagabend traf sich unsere Clique, um bei Tyler Filme zu gucken. Wir vertilgten dabei massenweise Popcorn und Pizza, alberten herum und eigentlich machte das Spaß. Allerdings hätte ich mich noch besser amüsiert, wenn Sandra mich nicht jedes Mal mit ihren eifersüchtigen Blicken durchbohrt hätte, sobald Doug in meine Nähe kam.

Abby hatte ich es zu verdanken, dass er mich jedoch nie allein erwischte, auch wenn er es ein paar Mal darauf anlegte. Doch dank meiner Freundin blieb ich von unangenehmen Liebesbeichten und hysterischen Eifersuchtsszenen verschont und konnte das Zusammensein mit meinen Freunden trotzdem genießen. Außerdem lenkte mich der Abend von Cassian ab.

Am Samstagmittag jedoch, als ich allein in meinem Zimmer über meinen Hausaufgaben brütete, waren die Gedanken wieder da. Und je länger ich an meinem Schreibtisch hockte, desto kribbeliger wurde ich. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus.

Meine Jogginghose und die Jacke lagen griffbereit auf dem Korbstuhl. Doch den Player ließ ich diesmal gleich auf dem Nachttisch zurück.