Wunder

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2.2 Antike Heilkunst1
2.2.1 Asklepios: Tempelmedizin

Medizinische Versorgung war in über vierhundert Asklepios- und Apollonheiligtümern organisiert1; Epidauros, Athen, Pergamon und Kos waren begehrte Zielorte vieler chronisch Kranker. Asklepiospriester bewirkten mit einem Mix aus medizinischen Therapien, Diätplänen, Reinigungsritualen, religiösen Opferriten, Inkubationsschlaf und Weihegeschenken Heilung.2 Auch die Epiphanie der Gottheit konnte Heilung bewirken. Die Grenzen zwischen Tempelmedizin und Wunderheilung waren fließend. – Aelios Aristides (2. Jh. n. Chr.) berichtet:

(Über die heilende Kraft der Asklepiosquelle): „Aber auch sonst gebraucht der Gott (sc. Asklepios) den Brunnen wie einen anderen Helfer, und vielen Menschen hat schon oft dieser Brunnen geholfen, um das zu erlangen, was sie von dem Gott erbeten hatten. Denn wie die Angestellten (wörtl.: Sklaven) der Ärzte und Wundertäter geübt sind zu den Dienstbarkeiten und durch ihre Mithilfe die in Erstaunen versetzen, die zuschauen und (die Hilfe) in Anspruch nehmen, so ist (der Brunnen) Erfindung und Besitz des großen Wundertäters (und) dessen, der alles zum Heil der Menschen tut. Er wirkt zusammen für alles mit ihm und wird für viele zum Heilmittel. Denn viele haben sich darin gebadet und (ihre) Augen (gesund) empfangen, viele aber haben ihn getrunken und wurden an der Brust geheilt und erhielten die notwendige Luft, anderen hat er die Füße gerichtet, anderen anderes. Es hat sogar einer getrunken und aus (vorangehender) Stimmlosigkeit heraus ließ er seine Stimme ertönen, so wie die, die aus den geheimen (verbotenen) Wassern trinken, seherisch werden. Anderen aber hat er an Stelle anderer (sc. Dinge das als) Rettung gewährt, daß sie eben das Wasser selbst ziehen konnten. Und so ist er für die, die krank sind, auf diese Weise Gegenmittel und heilsam, und denen, die gesund dahinleben, macht er den Gebrauch jedes anderen Wassers zu einer Sache minderen Werts.“3

2.2.2 Hippokrates: ‚Schulmedizin‘

Die Schule des Hippokrates von Kos (ca. 460–375 v. Chr.) baute auf Erfahrung, Naturheilkunde, Diagnostik und ‚Viersäftelehre‘. Von Diät bis zu chirurgischen Operationen reichte das Spektrum an Therapiemöglichkeiten. Religiöse oder magische Krankheitsvorstellungen lehnte Hippokrates ab; Epilepsie, die ‚heilige Krankheit‘, deutete er nicht dämonologisch, sondern wissenschaftlich:

„Hinsichtlich der so genannten heiligen Krankheit verhält es sich folgendermaßen: Kein bisschen scheint sie mir göttlicher zu sein als die anderen Krankheiten, noch heiliger, sondern die anderen Krankheiten haben eine Natur, woher sie entstehen, eine Natur und Ursache hat auch diese. Dass sie ein göttliches Werk sei, glauben die Menschen infolge ihrer Ratlosigkeit und weil es sehr verwunderlich ist, dass sie den anderen Krankheiten überhaupt nicht gleicht.“1

Lucius Columella (1. Jh. n. Chr.) berichtet von Valetudinarien (Kliniken), in denen die Arbeitskraft kranker Sklaven wiederhergestellt werden sollte. – Die hippokratische Schule fächerte sich mit der Zeit in Einzeldisziplinen wie Anatomie, Physiologie und Pathologie auf. Das gesammelte medizinische Wissen findet sich im Corpus Hippocraticum (ediert durch den Arzt Galen von Pergamon, 2. Jh. n. Chr.).

2.2.3 Wunderheiler u.a.: Volksmedizin

Neben der ‚Schulmedizin‘ sind ab dem 8. Jh. v. Chr. unabhängige Wanderärzte, Hebammen, Organspezialisten, Pharmahändler, Einreiber, Zauberer und Wunderheiler bezeugt.1 Besonders Letztere waren (wie heute) massiver Polemik seitens etablierter Ärzte ausgesetzt. Die Grenzen zwischen ‚Schulmedizin‘ und Wunderheilung waren fließend. Zur Zeit Jesu war schulmedizinische Versorgung der sozialen Oberschicht vorbehalten; das Gros der Bevölkerung war auf Volksmedizin und Wunderheiler angewiesen, die ihre Dienste zu Wucherpreisen anboten.2

2.2.4 Krankheit und Sünde

Krankheit galt im frühen Judentum als Folge von Sünde; der Umgang mit Krankheit und Behinderung war kultisch geregelt. Als einzig wirkkräftiger Arzt galt Gott selbst (Ex 15,26; Philo, sacr. 70); Hoffnungen auf einen messianischen Heiler waren groß (Mt 11,5; Lk 4,21). Etablierte Ärzte genossen keinen guten Ruf. Im NT wird die Arzt-Metapher auf Jesus übertragen (Lk 4,23; vgl. IgnEph 7,2).

Krankheit und Behinderung führten zu erheblichen sozialen und kultischen Konsequenzen. Das hatte mit einem abschreckenden Äußeren, mit Ansteckungsgefahr und religiösen Konzepten (Tun-Ergehen-Zusammenhang, kultische Reinheit) zu tun.1 Kultische Unreinheit bedeutete soziale Stigmatisierung bis hin zum Bettlertum.2 Das alles galt trotz des biblisch angemahnten Schutzes Behinderter.3 Auch jenseits des Judentums galt Krankheit als Folge von Sünde:

„Niemals ferner erschien er (sc. Demonax) schreiend oder in Zorn geratend oder unwillig, selbst dann nicht, wenn er jemenden tadeln mußte. Doch die Fehler (Sünden) griff er an, den Fehlenden (Sündern) aber verzieh er. Und er hielt es für richtig, das Vorbild von den Ärzten zu nehmen, die die Krankheiten heilen, gegenüber den Kranken aber keinen Zorn anwenden. Denn er dachte, daß das Fehlen (Sündigen) Merkmal des Menschen sei, Merkmal eines Gottes aber oder eines gottgleichen Menschen, Verstöße wieder in Ordnung zu bringen.“4 Und: „Wer von den Bürgern Lepra oder Aussatz hat, dieser geht nicht in die Stadt hinein, auch mischt er sich nicht unter die anderen Priester. Denn man sagt, daß gegen die Sonne gesündigt hat, der dieses hätte.“5

2.2.5 Exkurs: Krankheitsbilder im Neuen Testament

Das NT zeigt wenig Interesse an medizinischer Diagnostik; moderne Zuordnungen sind spekulativ.1 Fieber und Epilepsie gelten als Dämonenbefall.2 ‚Aussatz‘ (gr. lépra; Mk 1,40–45; Lk 17,11–19) könnte auf die Hansen-Krankheit, aber auch auf Schuppenflechte hindeuten.3 Eine ‚verdorrte Hand‘ (Mk 3,1, gr. exerraméne cheír) deutet auf Auszehrung, ‚Verkrümmung‘ (Lk 13,11, gr. gyné synkýptousa) auf einen Wirbelsäulendefekt. ‚Blutfluss‘ (Mk 5,25, gr. rhýsis haímatos) weist in Richtung chronischen Blutverlustes oder übermäßiger Menstruation.4 Die Symptomatik des ‚Mondsüchtigen‘ (Mt 17,15, gr. seleniázesthai) spricht für Epilepsie.

Jesus ist den Texten zufolge in der Wahl der Heilmethoden nicht wählerisch. Dämonisch erklärbare Krankheiten werden exorziert, psychogene Krankheiten mit vollmächtigem Wort kuriert, Augen- und Ohrenkrankheiten mit volksmedizinischen und magischen Mitteln wie Berührung und Speichel therapiert.5

2.3 Jesus und andere Wundertäter

Im Fokus steht hier nicht Jesu Einzigartigkeit oder seine religionsgeschichtliche Ableitbarkeit, sondern seine vermutliche historische Außenwirkung.

2.3.1 Alttestamentliche Wunderpropheten

Die Wunderberichte über Elia, Elisa und andere Propheten gehören zu den prominenten Prätexten der ntl. Wundererzählungen.1

a) Samuel und Nathan

Die Geburt Samuels zeigt Analogien zur Geburt Jesu: Sie ist unerwartet und göttlich bedingt (1 Sam 1f.). Samuel prophezeit verlässlich (1 Sam 3,21; 10,2–9) und wirkt ein Strafwunder (1 Sam 12). – Wunderhaft ist auch die Gabe des Propheten Nathan, der die geheimen Gedanken und Taten Davids erkennt (2 Sam 12).

b) Elia und Elisa

Der Elia-Elisa-Zyklus (1 Kön 17–2 Kön 13) zeigt ein breites Wunderspektrum: Elia bewahrt die Witwe von Sarepta vor großer Not, ihren Sohn erweckt er vom Tod (1 Kön 17,9–24). Er selbst wird wunderbar von Gott am Leben erhalten (1 Kön 17,1–8; Theophanie 1 Kön 19). – Das Gottesurteil auf dem Karmel und das anschließende Regenwunder (1 Kön 18) erweisen Gottes Allmacht. Ein Strafwunder (2 Kön 1,1–12) und die Himmelfahrt runden die Wundervita Elias ab (2 Kön 2,1–18).1 – Bei Elisa dominieren Hilfe- und Rettungswunder.2 Selbst postmortal wirkt er noch Wunder (2 Kön 13,20f.). Elisa ist der Prototyp des biblischen Wundertäters, der Menschen aus vielerlei Not hilft. – Ausschlaggebend ist das Vertrauen der Notleidenden in die Wunderkraft der Propheten. Wundermittel sind unter anderem das prophetische Wort, magisch anmutende Riten und Fernheilungen.

c) Schriftpropheten

Ez 37,1–14 bietet die Vision der wunderhaften Auferstehung Israels. Populär ist die Seenotrettung des Jona (Jon 1f.), verbunden mit der wunderbaren Umkehr Ninives (Jon 3f.). Die drei Tage Jonas im Fischbauch (Jon 2,1) gelten in Mt 12,39–41par. Lk 11,32 als Vorabbildung des Schicksals Jesu (‚Zeichen des Jona‘).1

d) Hoffnung auf messianische Wunder

Das Babylonische Exil nährte die Sehnsucht nach wunderbarer, endgültiger und globaler Erlösung. Tritojesaja verheißt die globale Umkehrung der herrschenden Verhältnisse (Jes 60–65). Der erwartete, davidische Messias wird teilweise mit historischen Figuren identifiziert.1 Er verkörpert das Idealbild des weltlichen Königs (Jes 9, Jes 11: geistbegabt, gerecht usw.). Die Apokalyptik erhofft das globale, endzeitliche Friedensreich unter dem Messias bzw. Menschensohn2, die Auferstehung der Toten (Ez 37; Dan 12,1–3) und die Neuschöpfung des Kosmos.3

e) Fazit: Manifestationen der Wunderkraft Gottes

Im Wunderwirken der atl. Propheten manifestiert sich Gottes Allmacht. Wunder dienen der Abwendung akuter Not, Zeichenhandlungen der Abwendung drohenden Unheils. Der Elia-Elisa-Zyklus bietet Prätexte der Wunder Jesu. – Nachexilische Visionen spiegeln die Sehnsucht nach einem globalen Eingreifen Gottes zugunsten Israels. Mit ihnen schließt sich der Kreis vom Wunder der Weltschöpfung über die Wunder von Exodus und Landnahme hin zur Neuschöpfung der Welt. – Jesus erhält in den Evangelien prophetische, aber auch andere Züge.1

 

2.3.2 Frühjüdische Wundertäter

Flavius Josephus (37–100 n. Chr.) erwähnt Wunder- und Zeichenpropheten der ntl. Zeit: Theudas und ein anonymer Ägypter versprachen in den 40er Jahren, Israel mit Exodus-Wundern von den Römern zu befreien (Ant 20,97f.; vgl. Apg 5,36).1 Beide wurden von den Römern liquidiert. – Unpolitisch agierten Choni der Kreiszieher, Chanina ben Dosa, Onias und der Magier Eleazar. Chanina war gegen Schlangengift immun (vgl. Apg 28,6) und konnte Fernwunder und Exorzismen vollziehen.2 Er und Choni wurden der Magie verdächtigt.3 Mk 9,38–41 nennt einen jüdischen Exorzisten, der im Namen Jesu agierte. Choni wirkte ein magisches Regenwunder, das auf geteiltes Echo stieß (ca. 65 n. Chr.):

„Einst verstrich die größere Hälfte des Adar ohne Regen. Da sprach man zu Honi dem Kreiszeichner: Bete, daß Regen herniederfalle. Er betete, es kam jedoch kein Regen. Da zeichnete er einen Kreis und stellte sich hinein, wie einst der Prophet Habakuk es tat, wie es heißt: Ich will mich auf meine Warte stellen und auf den Wall treten, und sprach: Herr der Welt, deine Kinder wandten sich an mich, weil ich wie ein Sohn des Hauses bei dir bin; ich schwöre nun bei deinem großen Namen, daß ich mich von hier nicht rühre, als bis du dich deiner Kinder erbarmt haben wirst. Da begannen Regentropfen zu triefen. Darauf sprachen seine Schüler: Meister! Wir sehen dich, damit wir nicht sterben; es scheint, daß der Regen nur deswegen herniederfällt, um deinen Schwur zu lösen. Alsdann sprach er: Nicht um so etwas bat ich, sondern um Regen für Brunnen, Gruben und Höhlen. Da brachten sie ihm einen Farren zum Danksegen, und er stützte beide Hände auf ihn, indem er sprach: Herr der Welt, dein Volk Israel, das du aus Ägypten geführt hast, kann weder die übermäßige Güte noch die übermäßige Strafe ertragen; du zürntest ihnen, und sie konnten es nicht ertragen; möge es doch dein Wille sein, daß der Regen aufhöre und die Erleichterung in die Welt eintrete! Sofort erhob sich ein Wind, zerstreute die Wolken, und die Sonne trat hervor. Das Volk ging ins Feld hinaus und holte sich Schwämme und Morcheln. Darauf ließ ihm Simon ben Satah sagen: Wärest du nicht Honi, so würde ich dich in den Bann getan haben; würde nicht der Name Gottes entweiht worden sein, selbst wenn es Jahre gleich den (Hungers)jahren Elijahus wären, wo der Schlüssel des Regens in der Hand Elijahus war!? Was aber kann ich gegen dich tun, wo du dich gegen Gott vergehst und er dir dennoch deinen Wunsch erfüllt, wie sich ein Kind gegen seinen Vater vergeht und er ihm dennoch seinen Wunsch erfüllt […].“4

Mit diesen unpolitischen Charismatikern verbindet Jesus die Verknüpfung von Wundertätigkeit mit Prophetie sowie die umstrittene Wundervollmacht.5 Allerdings wurde Jesus als politischer Rädelsführer und Zelot durch die Römer hingerichtet.6 Das Spezifikum Jesu liegt in der Verknüpfung von Wundern und basileía-Botschaft (Mt 12,28par.).

2.3.3 Wundertäter im hellenistischen Raum

Wunderkraft wurde in der Antike olympischen Göttern, Heroen, Halbgöttern, Philosophen und weltlichen Herrschern zugeschrieben. Zeitlich und inhaltlich enge Analogien zu Jesus bieten die Wunderberichte über Apollonius von Tyana (ca. 40–120 n. Chr.).1 Andere Wunderberichte datieren ab dem 2. Jh. n. Chr.2

a) Götter, Halbgötter und Heroen

Homers Epen, Äsops Fabeln und andere Mythen berichten von großer Wunderkraft und -aktivität olympischer Götter, Heroen und Halbgötter.1 So schwängert Göttervater Zeus in Verkleidung Frauen, Apollon greift in die Schlacht um Troja ein und Götter lenken die Irrfahrt des Odysseus. Halbgötter wie Herakles, Achill und Theseus vollziehen zuweilen phantastisch anmutende Wunder: Der Säugling Herakles erwürgt zwei Schlangen und bezwingt den Höllenhund Kerberos. Heroen von Troja wie Achill und Hektor haben übermenschliche Kräfte, sind aber von den Launen der Götter abhängig. – Die Götterwelt spiegelt menschliche Grundkonflikte, die Mythen begründen gesellschaftlich-religiöse Strukturen. Antiker Tempelkult und privater Kultus regulieren das Verhältnis zu den Göttern und strukturieren das tägliche Leben.2

b) Menschliche Wundertäter

Auch historische Führungsfiguren gelten als Wundertäter. So konnte Alexander der Große wie Mose das Meer zurückdrängen (Plutarch, Alexandros 17). Aristides konnte wie Jesus einen Sturm stillen (ders., Aristides 2,11f.). Pythagoras wirkte angeblich Wunder unter Tieren (Iamblichus, VitPyth 8,36; 13,60–62), Vespasian wies sich durch Wunder als legitimer Kaiser aus:1

„Über die Monate hin, in denen Vespasian in Alexandrien auf die an bestimmten Tagen einsetzenden Sommerwinde und (damit) auf sichere Seefahrt wartete, ereigneten sich viele Wunder, durch die, so meinte man, eine Gunst des Himmels und eine gewisse Zuneigung der Götter zu Vespasian gezeigt würde. Aus der alexandrinischen Plebs warf sich einer, der durch das Siechtum der Augen bekannt war, vor seine Knie und erbat mit Seufzen Heilung der Blindheit […] Und er bat den Fürsten, daß er Wangen und Augenlider bestreichen wolle mit dem Speichel des Mundes. – Ein anderer, krank an der Hand, bat […], daß sie durch Fuß und Fußsohle des Kaisers berührt würde. Vespasian lachte zuerst und lehnte ab. […] Schließlich befahl er, von Ärzten solle untersucht werden, ob solche Blindheit und Schwäche durch menschliche Kraft überwindbar seien. Die Ärzte stellten in verschiedener Richtung Erörterungen an: Bei den einen sei die Kraft des Augenlichtes nicht erloschen und könne zurückkehren, wenn Hindernisse beseitigt würden; bei einem anderen seien die Glieder wie verrenkt und könnten, wenn heilsame Gewalt angewendet würde, wiederhergestellt werden. […] Mit heiterer Miene vollbrachte er (Vespasian), während die Menge gespannt dastand, das Gewünschte. Sogleich wurde die Hand wieder gebrauchsfähig, und dem Blinden leuchtete der Tag von neuem. Beides erzählen auch jetzt noch Leute, die dabei waren, wo doch eine Lüge kein Gewinn mehr wäre.“2

Bekannte Wundertäter waren Apollonius von Tyana, Apuleius von Madaura und Alexander von Abonuteichos.3 Philostrat (3. Jh. n. Chr.) beschreibt Heilungswunder und Totenerweckungen des Apollonius (VitApoll 4,45). Apollonius habe sich ähnlich wie Jesus mit einen Jüngerkreis umgeben und sich mit seinen Wundern zeitgenössischer Polemik ausgesetzt.4 Laut Erkki Koskenniemi (*1956) geben die Berichte eher Auskunft über den Wunderglauben zur Zeit Philostrats als über den historischen Apollonius.5 – Berichte über menschliche Wundertäter wirken ähnlich fiktiv wie Legenden über Halbgötter und Heroen. In diesem Kontext konnte Jesus von Nazareth als charismatischer, in göttlicher Vollmacht handelnder Wundertäter wahrgenommen werden.6

2.3.4 Magier, Zauberer und Schamanen
a) Magische Züge im Wunderwirken Jesu

Einige ntl. Wundertexte Jesu haben magischen Anstrich, insbesondere Exorzismen, Kontaktwunder und (Speichel-)Riten.1 In der Beelzebul-Perikope wird Jesus satanischer Magie bezichtigt (Mk 3,22parr.).

Beispiele: Die blutflüssige Frau wird durch Kontakt zur Kleidung Jesu geheilt (Mk 5,25–34). – Indirekte Kontakte zu den Aposteln lösen Wunder aus (Apg 5,15: Schatten; Apg 19,11f.: abgelegte Kleidung). – Magische Formeln wirken Wunder (Mk 5,41: talita kum; Mk 7,34: hefata), ebenso wie Speichelbrei (Mk 8,22–26; Joh 9,6). – Das Christusbekenntnis von Dämonen (Mk 1,24; 5,7) diskreditiert Jesus als satanischen Magier (Mk 3,22–27; vgl. Euseb von Cäsarea, DemEv 3,103–134). – Jesus und Magier exorzieren gleichermaßen.2 – Schweigegebote nach Heilungen ähneln Verstummungsbefehlen in Zauberpapyri.

Jesu Erfolg belegt für die Evangelisten seine göttliche Vollmacht. Die Wahl der Wundermittel ist nicht entscheidend. Magisch anmutende Praktiken bringen Jesus und anderen Wundertätern wie Pythagoras, Empedokles und Apollonius von Tyana den Vorwurf der Magie ein.3 Selbst manche Wunderforscher etikettieren Jesus als Magier.4 – Magie und göttlich gewirkte Wundertaten sind schwer unterscheidbar; satanische Mächte konnten göttliche Wunder imitieren und führten Menschen damit in die Irre.5 Matthäus reduziert daher magisch wirkende Praktiken Jesu. Apg 8 distanziert die Apostel scharf von (gewinnsüchtigen) Magiern.6 – Gegen die Identifizierung Jesu als Magier sprechen das Fehlen magischer Fachliteratur und von Schadenzaubern sowie das Argument, dass Jesu Wundertaten nicht seinem Broterwerb dienen (→ 1.7.3).7

b) Schamanische Deutung Jesu

Empedokles, Epimenides und Pythagoras gelten in der Forschung als Schamanen. Charakteristisch seien die Kontaktaufnahme mit Göttern und mit Geistern Verstorbener sowie Jenseitsreisen. Für Eugen Drewermann löste der Schamane Jesus psychische Probleme dadurch, dass er mit Gottes Hilfe die psychosomatische Harmonie wiederherstellte. Dieses Deutungsmuster erlaubt es, manche Wundertaten Jesu psychologisch-rational zu erklären. Allerdings lassen die Wundertexte selbst keine schamanischen Praktiken erkennen (→ 1.7.4).

2.3.5 Fazit: Die Außenwahrnehmung Jesu

Der Durchgang zeigt die Bandbreite der möglichen Außenwahrnehmungen Jesu. Sie bewegt sich zwischen atl.-frühjüdischer Wunderprophetie und hell.-röm. Wunderphänomenen, Magie und Zauberei. Keine dieser ‚Schubladen‘ ist passgenau. Historisch am plausibelsten ist Jesu Verortung bei den frühjüdischen Wunderpropheten. Von ihnen unterscheidet sich Jesus nur durch die Einbindung der Wunder in seine basileía-Botschaft. – Anders als die kanonischen rücken apokryphe Wundertexte Jesus in die Nähe antiker Halbgötter und Heroen.

2.4 Genese des Christusglaubens

Die Wunder Jesu sind historisch nicht beweisbar. Die Evangelien sind keine Tatsachenberichte, sondern stellen die Bedeutung Jesu mithilfe authentischer Erinnerungen und passender sprachlicher Mittel heraus. Fakt und Fiktion sind nicht zu trennen. Klar erkennbar ist lediglich der Christusglaube der Evangelisten. Als dessen historisch plausible Grundlage sind freilich reale Erfahrungen und Begegnungen mit Jesus anzunehmen. Diese setzten nicht nur den den Christusglauben, sondern auch die Bildung christlicher Gemeinschaft und die Verschriftlichung der Jesuserinnerung in Gang.1 Anders gesagt: Der Wunderglaube ist die kausale Folge historisch plausibler Ursachen, die im Folgenden entfaltet werden.2