Der letzte Ball

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5.

Sie stand in der Tür, als hätte sie ihn erwartet. Während sie am Abend noch durch den Kontrast des unschuldig weißen Kostüms mit ihren roten Lippen auf Fischer Eindruck gemacht hatte, überzeugte nun die angedeutete Nacktheit ihres fülligen Körpers. Fischer schluckte. Er betrachtete das Negligé in schwarz unter dem lilafarbenen Nachthemd, das so eng auflag, dass man ihre Konturen nicht nur erahnen, sondern förmlich mit jedem Blick erschmecken konnte. Im Zusammenspiel mit ihren offenen blonden Haaren und ihrem engelsgleichen Gesicht, das nun eine teuflische Note um den Mundwinkel zu tragen schien, verkörperte sie das Sinnbild der Sünde.

Musste er etwas sagen? Sich rechtfertigen? Auf einmal kam er sich dumm vor, wie er vor ihr stand und in seinem Kopf kramte er fieberhaft nach einer Ausrede, warum er sie zur Nachtzeit besucht hatte – dass er keinen Waschlappen hätte (nein, das wäre zu anzüglich), dass er ihr noch eine gute Reise wünschen wolle (was für ein Quatsch), dass er noch einmal feststellen wollte, dass er ja nur der Vizepräsident sei, und das auch nur vorübergehend (klang auch lahm). Sie zog ihn am Revers seines Bademantels in ihre Kajüte und drückte ihm ihre feuchten Lippen auf seine. Dann öffnete sie mit ihrer Zunge fordernd seinen Mund und fiel in sein Reich ein wie Napoleon in Belgien. Bevor er sich versah, fand er sich seines Bademantels ledig und am Boden liegend wieder, während sie an den Knöpfen seiner Schlafanzughose nestelte. Ihre vollen Brüste baumelten vor seinem Gesicht wie eine Geburtstagstorte, die es anzuschneiden galt. Er berührte sie, was sie zu einem verzückten Quietschen veranlasste, und dann, bevor er sich versah, hatte sie ihn umfangen, ritt auf ihm, als überquerten sie den stürmischen Atlantik und nicht das seichte Mittelmeer, gurgelte, krächzte, schrie, und ihm schwanden die Sinne und er verlor sich in seinem und ihrem Körper bis zu einer taumelnden Ekstase, die in einer krallenden Umarmung endete. Er saugte noch ein wenig an ihrer pfirsichweichen Haut, sog ihren Rosenduft ein und fiel dann auf dem weichen Teppich in einen erfüllten Schlaf.

Er erwachte unter einer schweren Federdecke. Etwas kitzelte seine Brust, und als er immer noch müde und erfüllt an sich heruntersah, beobachtete er ihre schlankgliedrigen Finger, die seine Brustwarze umkreisten. Vorsichtig drehte er sich zu ihr, um feststellen zu können, ob er schlief oder ob sie vielleicht gar nicht sie war, sondern eine Katze, die ihren Weg an sein heimisches Bett gefunden hatte und ihn aus einem Traum erweckte. Doch er blickte nur in die schelmisch grinsenden Augen von Senorita Cortazar und bevor er sich versah, war ihre Hand in tiefere Regionen gewandert und flocht sich einen Weg durch sein Schamhaar. Er zog die Decke, die sie beide bedeckte, ein wenig nach unten, um ihren Körper besser sehen zu können und stürzte sich mit seinem Mund schon auf ihrem Hals, ihre Schultern und saugte sich den Weg herab, was erneut ermutigende Seufzer aus ihr hervorrief. Das zweite Mal war langsamer, vorsichtiger und er versuchte, mehr bei Bewusstsein zu bleiben, was schwierig war, da er immer wieder an den scheinbar unlösbaren Kontrast zwischen seiner eigenen massiven Körpergröße und ihrer weiblichen Eleganz erinnert wurde, sobald er den Genuss mit den Augen erfahren wollte. Fast sah er sich versucht, sie zu fragen, was denn eine Schönheit wie sie von ihm wollen könne, als sie seinen Namen keuchte und in einen Singsang aus spanischen Wörtern einstimmte. „Oh Moritz“, hauchte sie immer wieder zwischendurch, was ihm auf eine gewisse Art zumindest die Zweifel nahm, dass sie ihn verwechselt haben könnte.

Er schlief wohlig und warm, das Schiff schaukelte und eine Hand strich ihm sacht über den Rücken. Die zwei Male, in denen er kurz erwachte, wünschte er sich, die Zeit möge stehenbleiben und schlief lieber schnell wieder ein, damit er der Bedrohung des Aufwachens noch möglichst lang entkommen könne.

Irgendwann aber zwängte sich ein zarter Lichthauch durch die Vorhänge hindurch und kündigte den unvermeidlichen nächsten Tag an.

Vorsichtig setzte er sich auf, ohne sich umzusehen stand er auf und tastete sich nach vorne. Einen schattenhaften Umriss auf dem Boden erkannte er als seinen Morgenmantel. Er hob ihn auf und schlich zur Tür, wobei er mit einem Bein gegen eine Tischkante stieß. Er biss sich auf die Zunge und öffnete so leise wie möglich die Tür nach draußen. Auf dem Gang empfing ihn eine undurchdringliche Finsternis. Noch bevor er nachdenken konnte, hatte er die Tür hinter sich verschlossen und fluchte leise. Er wusste, wie er zu seiner Kabine zurückfinden konnte (links, rechts und nochmals rechts), aber er wollte nicht noch einmal eine unliebsame Bekanntschaft mit einer Wand oder einem ihn aus der Dunkelheit attackierendes Mobiliar machen. Also begab er sich auf alle Viere und kroch vorwärts. Wenn es einen Beobachter dieser seltsamen Szenerie gegeben hätte, so hätte er Moritz Fischer vielleicht für einen Bären gehalten, aber das keuchende und brummende Wesen, das sich durch die Gänge schlich, war niemand anderes als der FIFA-Vizepräsident. Seine Strategie hatte Erfolg: Ohne sich weiter zu verletzen, kam der Bär in seiner Höhle an, durchquerte sein Vorzimmer, mittlerweile wieder auf zwei Beinen, da das Bullauge die ersten Lichtstrahlen in die Kajüte durchließ, und kletterte auf sein eigenes, noch immer frisch riechendes Bett. Er starrte an die Decke und träumte mit offenen Augen den Traum noch einmal durch, den er diese Nacht erlebt hatte.

2. Tag, 20. Juni 1930 – Smeralda
1.

Sie hatte gemerkt, wie er aufgestanden war, sich heimlich angezogen und verstohlen die Kajüte verlassen hatte. Natürlich hatte sie es gemerkt. Die Fähigkeit, jede Bewegung und jedes damit verbundene Vorhaben des Bettpartners vorauszusehen, hatte sie erst so weit gebracht, wie sie jetzt war. Sie hatte sich diese Fähigkeit in einer harten Schule antrainiert. Danach, als er gegangen war, war sie kurz aufgestanden, hörte ihn zwischenzeitlich draußen auf dem Gang poltern und wusch sich. Sie schüttelte die Bettdecke aus, wobei ihr ein abgerauchter Stumpen einer Zigarre des großen Mannes, den er in der Tasche seines Bademantels gehabt haben musste, entgegengeflogen kam. Als sie hinter die Jalousien blickte, sah sie auf einen frischen Morgen. Ein paar vom Sonnenlicht noch nicht absorbierte Sterne funkelten noch auf der Wasseroberfläche. Sie seufzte und setzte sich an den Mahagonisekretär, in dem sie die Liste der Männer aufbewahrte.

Wie immer nach solch einer Nacht fragte sie sich, ob sie in ihrem Leben die richtigen Entscheidungen getroffen hatte, und wie immer kam sie zu dem trotzigen Entschluss, dass es so sei. Sie befand sich in einer Luxuskabine auf einem Luxusdampfer. In zwei Stunden würde sie sich einen Tee bringen lassen. Sie war, das war unbestritten, eine Schönheit. Sie war glücklich.

Und dann, wie immer, wenn sie innerlich so mit sich rang, schlich sich dieser andere Gedanke an: Aber sie war verloren. Nicht verdorben oder schmutzig, sondern verloren. Das Körperliche, bedrohlich nahe an ihrem Beruf prallte mittlerweile an ihr ab. Es war Teil des Opfers, das sie brachte, Teil der Arbeit und in wenigen Fällen war es zuweilen angenehm. Das, was ihr der Beruf allerdings genommen hatte, war mehr als nur ihre körperliche Unschuld. Sie rühmte sich mittlerweile, nachdem sie in etlichen Etablissements gearbeitet und sich langsam, aber sicher immer weiter in gesellschaftliche Schichten hochgearbeitet hatte, das Wesen des Menschen im Allgemeinen und des Mannes im Besonderen zu kennen. Und das war ernüchternd. Selbst die eloquentesten, bestgekleideten, ehrlichen, ernsthaften und prüdesten Exemplare dieser Gattung waren an einer Stelle verwundbar, hatten diese eine Schwäche, diesen Trieb, der im Zweifelsfall ihr ganzes Tun und Treiben bestimmte. Das war auf mitleiderregende Art erniedrigend für die Spezies Mann. Denn sie hatte ihren Vater so lange geliebt, bis er gestorben war und sie das kleine Dorf am Lago Rincon verlassen hatte. Und sie hatte an das geglaubt, was er ihr immer erzählt hatte, dass alle Menschen Geschöpfe Gottes seien und im Grunde ihres Herzens gut. Aber wenn sie alle so anfällig waren – dann war der Grund ihres Herzens, so rein er auch sein mochte, verfärbt von einer milchig trüben Flüssigkeit, die sich in die Reinheit aller mischte. Nicht dass die Frauen besser wären. Smeralda hatte zwei Typen im Laufe ihres Lebens kennengelernt: Die, die mit allen Mitteln von der Schwäche des Mannes profitieren wollten (zu diesem Typ zählte sie sich selbst), und solche, die Männer für ihre Schwäche abgrundtief verachteten. Es gab natürlich auch welche, die eine Mischform mit Ausgiebigkeit praktizierten. Beide Positionen waren Variationen eines und desselben Gifts, das Desillusionierung hieß. Deshalb war sie verloren. Sie glaubte nicht mehr an das Gute im Menschen. Sie war verloren, weil eine Frau auf die Stärke des Mannes angewiesen war. Aber der Mann war als solcher schwach.

Smeralda strich mit ihrem rechten, schlanken und weißen Zeigefinger über das etwas vergilbte Foto Fischers, der sie anstrahlte. Im grünen Licht der sanft glimmenden Schreibtischlampe wirkte sein Konterfei etwas dicklicher als die Wangen, die sie vor Stunden noch in den Händen gehalten hatte. Von seiner ungestümen Art ließ sich schließen, dass er unverheiratet war, aber das hatte sie schon vorher gewusst. Er war das leichteste Ziel ihrer Arbeit gewesen. Die anderen, sie blätterte weiter, würden sich als schwieriger erweisen, aber keinesfalls – und das war Teil ihres Dilemmas – unmöglich. Auf seine Art war er unschuldig und süß gewesen und sie hatte ihn mit einem ernst gemeinten Kuss belohnt, woraufhin er schleunigst und laut schnarchend eingeschlafen war. Sie stieg, nachdem sie erst jetzt durch einen kurzen Schauder bemerkt hatte, wie kalt ihr war, in frische, seidene Unterwäsche und legte sich ins Bett zurück. Es ist ein gutes Leben, dachte sie sich dabei, ein gutes Leben.

 

2.

„Signora wünschen noch etwas?“

Smeralda winkte ab. Vor ihr tat sich ein wahres Potpourri kulinarischer Frühstückskunst auf. Sie hatte frische Melonen, gelbbraun gebackenen, duftenden Toast, eine überflüssig große Auswahl an Marmeladen (gelb, orange, rot, hellrot, braun, blau), vorgeschnittene Butterstückchen auf einem weißen Tellerchen, knusprig gebratenen Schinken, Tomaten, Gurkenscheiben, Brot, Salz, Pfeffer, Rührei, gekochtes Ei, gekochtes Wachtelei, eine Tasse Tee und daneben eine Kanne Kaffee (man kannte ihre Vorlieben offenbar bereits) und einen frisch gegrillten Fisch auf dem Tisch. Smeralda kannte sich nicht aus mit Fischen, aber dieser hier sah einladend aus, das verschwommene Auge schien milde zu blicken und der geöffnete Mund offenbarte so etwas wie Absolution. Sie aß langsam, blickte dabei immer wieder in den großen Saal, der ihr diese begehrte Ersatzbefriedigung bescherte. Die großen, orientalischen Teppiche, die üppigen Blumenbouquets, die Kronleuchter, die so zerbrechlich herabhingen, die weißen Säulen, die die Wände zierten, das fluoreszierende Licht, das durch die Glaskuppel in den Saal schien – all das war für sie Illusion genug, um sich innerlich zu entspannen.

Der Saal, in dem sie sich befand, war noch nicht gefüllt, es würden noch Passagiere an Bord kommen, wichtige Passagiere, Passagiere, um die sie sich kümmern würde müssen. Aber immerhin waren es ungefähr die Hälfte aller Menschen, die ihr Frühstück einnahm und über den Saal verteilt an ihren Tischen saß. Sicher waren einige Frühstücksgäste schon früher hier gewesen und wahrscheinlich würden auch noch einige kommen.

Sie schaute sich die Männer an, die hier saßen und die sie alle schon mehr oder weniger offenkundig angestarrt hatten. Selbst in Damenbegleitung zwang sich ein verhuschter Blick wie zufällig zu ihr herüber und sie wusste, dass dieser eine Blick reichte, um den Mechanismus der Fantasie in Gang zu bringen. Das wussten wohl auch die Gattinnen. Die Frau am Tisch schräg vor ihr schlug ihrem Mann mit der Hand auf den Arm, als dieser sich die prachtvollen Ölgemälde an der Wand, die in seinem Rücken hingen, anschaute. Smeralda musste lächeln. Es war nicht so, dass sie sich nicht über die Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwurde, freute. Sie fragte sich, als sie den Mann mit dem schwarzen Anzug sah, dessen Nackenspeck sich über den nicht mehr weißen Hemdkragen wölbte, und seine Frau, die kerzengerade auf ihrem Stuhl saß, als wollte sie dem Wind und dem Wetter draußen trotzen, mit ihrem runden, beblümten Hut, der durch zwei Nadeln mit goldenen Köpfen in ihrem Dutt festgehalten wurde, ob diese zwei Menschen sich noch körperlich näherkamen und wenn es so war, wie es sein würde – zwanghaft und pflichtbewusst oder ob sie ihre bürgerliche Spießigkeit in einem wilden Akt vollkommener Enthemmtheit loslassen konnten. Sie musste kichern. An einem anderen Tisch weiter hinten links saß ein stattlicher Mann mit breiten Schultern und bulligem Körper, den er allerdings in den feinsten Zwirn gesteckt hatte. Zumindest deutete seine juwelenbesetzte Krawattennadel, die mit den Manschettenknöpfen am Hemd korrespondierte, darauf hin, dass der Mann wohlhabend war. Falls sie echt waren. Smeralda hatte genügend Männer gesehen, die versuchten, mehr zu sein als sie waren. Das Aufblasen der eigenen Wichtigkeit war überhaupt die Lieblingsbeschäftigung dieser Wesen, bis auf wenige Ausnahmen zumindest. Der Mann hatte ein breites Gesicht und zu einem geraden Scheitel gekämmte, dünne Haare. Seine Nase war etwas krumm, so als sei sie gebrochen worden und im Gegensatz zu seinem scheinbar makellosen äußeren Erscheinungsbild schien er innerlich mit sich zu ringen, denn er starrte mehr auf sein vor ihm ausgebreitetes Frühstück, als dass er sich mit ihm beschäftigte. Smeralda empfand eine gewisse Sympathie für den Mann, sicherlich eine ihrer Schwächen, die nicht abzuschaltende Hoffnung, es gäbe jemanden, der eine Seele hätte.

Wie also müsste ein Mann sein, den sie als echt anerkannte, als jemanden, der sich der Bezeichnung als würdig erweisen könnte? Es kam letztendlich auf den Geruch an. Im Nahkampf, in der Entblößung war der Moment der Wahrheit gekommen. Wenn der Körpergeruch nicht mehr durch gestärkte Hemden, gebügelte Wollhosen und schützende Unterwäsche abgehalten werden konnte. Wenn sich Achselhöhlen öffneten, um den einzigartigen Paarungsduft abzusondern, wenn die Poren in der Anstrengung des Akts ihre schweißtreibende Arbeit verrichteten und ihren salzigen Saft ausstießen, wenn Münder sich willig öffneten und der Speichel sich zu einem neuen Geschmackskonglomerat vermischte, dann gab es für Smeralda lediglich einen vorherrschenden Sinn: den Geruch. Die Entscheidung darüber, wieviel Überwindung die Ausübung ihres Berufes sie kostete. Der Moment, der zwischen Genuss und Ekel entschied. Die besten Stunden ihrer Arbeit waren die gewesen, in denen sie so erkältet war, dass ihr Geruchssinn durch die verstopften Nebenhöhlen ausmanövriert worden war. Aber es gab auch die leise Ahnung einer kontrollierten Wildheit, einer ausgewogenen Stärke, die sich aus den schweißigen Sekreten eines Mannes erahnen ließ. Es gab Süße, Würze, einen Lockruf der Natur, ein Echo Gottes ureigener Schöpfung.

„Darrf ich misch zu Ihnän sätzän, Madame?“

„Bitte, warum nicht?“

Sie hatte Tarnoff nicht kommen sehen, er war von der Seite hinter einer üppigen Yucca-Palme aufgetaucht. Sein plötzliches Erscheinen löste nicht nur einen kurzen Schreck, sondern auch ein andauerndes Unwohlsein aus. Er war der Typ Mann, der seine eigene Schwerkraft auf andere Menschen in der Form auszuüben suchte, dass diese sich seinem Willen beugen sollten.

„Ich sähe Sie hiär allaine sitzän.“

„Das liegt daran, dass ich alleine bin.“ Sie lächelte ihn freundlich an.

„Ich liebe aine Frau mit Humoor.“ Trotz seines offensichtlichen Bemühens, Überlegenheit zur Schau zu stellen, hatte Smeralda doch ein wenig Mitgefühl für den Mann, was, wie ihr klar wurde, an dem Akzent lag, mit dem er sie auf Englisch angesprochen hatte.

„Was machen Sie denn so ganz alleine hier, Wertester? Sollten Sie nicht bei Ihrer Organisation sein und Verträge über den Handel mit Wesen aus dem All diskutieren?“

Tarnoff legte seinen Kopf ein wenig schräg, offensichtlich überrascht angesichts der für ihn ungewohnten weiblichen Schnippischkeit.

„Wir machen kaine Verträge. Wir haben noch kaine Handelspartner.“

„Was machen Sie denn dann? Das habe ich mich schon seit gestern gefragt. Was macht Ihre Organisation denn so den ganzen Tag?“ Smeralda wollte ihn dennoch dafür zahlen lassen, dass er an ihrem Tisch aufgekreuzt war mit dem Gefühl, leichte Beute machen zu können.

Tarnoff kratzte sich am Ohr.

„Nun, ähh, die maistän Mitgliedar sind noch gar nicht an Bord. Aber wir haben großä Plänä.“

„So sagten Sie ja bereits gestern. Aber was sind denn das für Pläne, Herr Tarnoff?“

„Ich kann darüba nicht sprechän. Es ist höchst gehaim.“ Tarnoff blickte sie durchdringend an. Sie blickte unbeeindruckt zurück.

„Tja, in dem Falle, mein Lieber“, sagte sie, „haben wir ja leider nichts, worüber wir reden könnten.“ Mit diesen Worten stand sie auf und schritt mit knisternden Röcken an ihm vorbei.

3.

Die frische Luft auf dem Oberdeck wirkte befreiend. Es gab einen Ausblick, ganz oben, am vordersten Ausläufer des Decks. Davor befand sich der Außenpool, eingerahmt mit rundgeformten Holzbänken. Dieser Ausblick, geschützt durch ein Geländer, zog sich Steuer- und Backbord des restlichen Decks noch jeweils zwei Meter an den Außenseiten entlang, sodass man, wenn man dort stand, einen uneingeschränkten Blick sowohl nach vorne als auch hinten hatte, und dazu das Gefühl, man flöge über das Meer. Sie hätte Stunden einfach dastehen können, das Gesicht in der Sonne, der leichte Fahrtwind ihre Wangen streichelnd, während ihre Hände das Geländer umklammerten, sodass sie sich mit geschlossenen Augen leicht nach hinten fallen lassen konnte und nur noch die Absätze ihrer Schnürstiefel den Boden berührten. Daher war sie anfangs etwas irritiert, als trappelnde Schritte sie aus ihrer Trance erweckten.

Es war ein rhythmisches Tapsen, unterbrochen nur von einzelnen keuchenden Atemstößen. Als Smeralda wieder gerade stand und sich nach der Quelle der Geräuschkulisse umdrehte, sah sie einen ganzen Trupp stattlicher junger Männer in kurzen Hosen und Unterhemden um den Swimming Pool herum laufen, um sich dann auf dem spärlichen Platz hier oben zu verteilen und breitbeinig die Arme nach oben zu strecken. Ein Mann mit weißen Hosen, einem blauen Pullover und einer weißen Kappe auf dem Kopf, deutlich älter als die anderen, stieß in kurzen Abständen in seine an einem Bändel um seinen Hals befestigte Pfeife, wonach die jungen Männer ihre Arme und Beine zusammen- oder auseinanderklappten. Nachdem die Männer zehnmal diese Übung gemacht hatten, hopsten sie, wieder nach dem Rhythmus der Pfeife, auf der Stelle herum, wobei sie bei jedem Pfiff in die Knie gingen und wieder nach oben schnellten. Ein älterer Herr mit breitem Schnurrbart stand in seinem Badeanzug im Pool und hatte die Arme auf dem Poolrand abgelegt, um den eifrigen Treiben zuzusehen. Einer der jungen Männer, auffallend hübsch mit einem kantigen Gesicht und einer verstrubbelten Frisur, schaute anfangs verstohlen, dann, bei der zweiten Umrundung des Pools, mit weniger Zurückhaltung auf Smeralda. Er hatte strahlend blaue Augen und trotz der offensichtlichen Anstrengung ein schelmisches Lächeln aufgelegt. Als sie seinem Blick nicht auswich, fing er an eine Grimasse zu ziehen: Er verdrehte die Augen nach oben und deutete an, dass er gleich umkippen müsse. Smeralda lächelte. Die jungen Herren drehten wieder eine Runde um den Pool, der Trainer rief ihnen irgendwelche Instruktionen zu und im Vorbeilaufen rief der junge Mann, der sie angesehen hatte, ihr zu: „Heute Abend – beim Konzert.“

Smeralda schaute ihm interessiert hinterher, als er erneut eine Runde um den Pool drehen musste und wieder die Stelle kreuzte, an der sie am nächsten stand.

„Halten Sie mir einen Platz frei.“

Eine neue Runde.

„Muss jetzt leider gehen.“

Dann schimpfte der Mann mit der Pfeife ein wenig herum, wobei der Trupp im Gleichschritt in Richtung Treppe nach unten abmarschierte. Smeralda schaute ihnen hinterher.

Sie versuchte wieder, sich auf die Weite des Meeres einzustellen, doch stellte fest, dass ihr das misslang. Stattdessen, so überlegte sie, würde sie die ihr noch zur Verfügung stehende Zeit nutzen, um sich auf dem Schiff umzusehen. Aber wie vorgehen?

Sie schaute vom Geländer herab und sah die Fußballer von oben im Eilschritt in Richtung achtern abwandern. Ein Schiffsjunge – zumindest sah er von oben so aus – war gerade dabei, das Deck zu schrubben. Die Blicke auf sich spürend, schaute er nach oben in das Gesicht Smeraldas. Dann nahm er seine weiße Matrosenmütze ab und machte eine tiefe Verbeugung. Smeralda musste grinsen. Sie schritt die Treppe nach unten und stellte sich vor den Jungen, der nach wie vor mit viel Liebe und Hingabe die Planken wienerte. Ein Eimer mit trübem Wasser stand neben ihm und er tauchte den Putzlappen dort hinein, zog ihn mit seinen Händen heraus, wrang ihn aus und sprach die Dame, die ihn interessiert beobachtete, in ganz passablem Englisch an: „Wenn Sie mich weiter so beobachten, Madam, dann werde ich noch ganz rot. Ich muss mich doch konzentrieren können.“ Smeralda lachte.

„Ganz schön frech für so einen jungen Kerl.“

„Ich kann ja für meine Gefühle nichts. Kommt nicht alle Tage vor, dass ich verlegen bin, das kann ich Ihnen garantieren.“

„Bei deinem Mundwerk kann ich mir das gar nicht vorstellen.“

„Tja, wo Sie es sagen, Madam, da haben Sie recht. Mein Mundwerk hat auch dafür gesorgt, dass ich hier schrubben darf.“

„Warst du etwas vorlaut deinen Vorgesetzten gegenüber?“

„So ist es, Madam. Sie kennen sich gut aus.“

„Mit manchen Dingen kenne ich mich ganz gut aus, das stimmt. Wie heißt du, junger Mann?“

Der Junge wischte sich die Hände an den Hosen ab und verbeugte sich. „Giovanni Giotta, Madam.“

„Angenehm, junger Mann. Mein Name ist Smeralda Acuna Cortazar. Sag mal, Giovanni, ist das deine erste Fahrt mit dem Schiff?“

Stolz reckte Giovanni seine Brust. „Keineswegs, Madam Cortazar. Dies ist die dritte. Dieses Schiff ist sozusagen mein zweites Zuhause.“

 

„Musst du denn nicht zur Schule?“

„Schule, pah. Da lernt man ja nichts Richtiges. Nein, Madam. Ich bereise die Weltmeere und dann werde ich ein Restaurant in New York eröffnen.“

„Ah, daher dein gutes Englisch.“

„Danke Madam.“

„Hör zu, Giovanni.“ Smeralda schaute nach draußen, auf die Seeseite in die Leere. Sie wusste, wie man Pausen einsetzen musste, um zu bekommen, was man haben wollte.

„Ich brauche unbedingt jemanden, der mich ein wenig herumführen könnte. Fällt dir irgendjemand ein?“

Sie sah aus den Augenwinkeln, wie der Schiffsjunge mit sich rang. Als sie ihn wieder direkt anschaute, mit einem zauberhaften Lächeln auf den Lippen, bemerkte sie, dass er errötet war.

„Madam, ich würde, so glaube ich, fast alles für Sie tun. Dummerweise muss ich hier schrubben. Und wenn Cavesi sieht, dass ich nicht da bin, wo ich sein soll, dann lässt der mich kielholen.“

Smeralda lächelte noch breiter.

„Ich mache dir ein Angebot, Giovanni. Wenn Herr Cavesi tatsächlich bemerken sollte, dass du nicht da bist, wo du sein sollst, dann werde ich ihm persönlich klarmachen, dass es mein Wunsch war, dass du mich durch dieses Schiff führst. Und wenn er nichts bemerkt, dann haben wir beide eine schöne Zeit zusammen gehabt. Was meinst du?“

Giovanni schluckte.