Aus der Asche. Eine neue Geschichte Europas im 20. Jahrhundert

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Der faschistische Staat

Obwohl sie viele traditionelle Elemente verwendete, unterschied sich die faschistische Diktatur von konventionellen autoritären Regimen dadurch, dass sie moderner war und stärker in sämtliche Lebensbereiche eingriff. MussoliniMussolini, Benito selbst behauptete mit der für ihn typischen Übertreibung: »Der Faschismus versteht den Staat als allumfassend; außerhalb seiner können menschliche oder geistige Werte nicht existieren, geschweige denn gelten. Insofern ist der Faschismus totalitär, und der faschistische Staat – eine Synthese und eine Einheit, die alle Werte umschließt – interpretiert, entwickelt und potenziert das ganze Leben des Volkes.« Mit dem Neologismus »totalitär« markiert MussoliniMussolini, Benito, dass der Faschismus mehr verlangt als den begrenzten Gehorsam, den Könige, Priester oder Generäle fordern. Sein Konzept geht weiter als bisherige Diktaturen, denn der Staat, den er plant, herrscht nicht nur politisch, sondern restrukturiert auch die Gesellschaft, bis in die Privatsphäre hinein.1 Der Faschismus will die Massen mobilisieren, um das Land fundamental zu transformieren sowie eine stolze und starke nationale Gemeinschaft zu schaffen, die in der Lage ist, Italien den ihm gebührenden Platz innerhalb der europäischen Nationen zu erkämpfen. So weit die Theorie. Um diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen, musste Italien erst einmal gründlich faschisiert werden, und dafür setzte MussoliniMussolini, Benito ein ganzes Repertoire innovativer Maßnahmen ein.

Da die Doktrin des Faschismus verschwommen blieb und er in der praktischen Politik seine Positionen geschmeidig variierte, versteht man ihn vielleicht am besten als politisches Theater, als Selbstinszenierung, bei der öfter einmal das Programm wechselte, aber die Regie besorgte immer MussoliniMussolini, Benito. Den Kern bildete der Kult um il duce del fascismo, den faschistischen Führer, dessen sorgfältig erschauspielertes Charisma eine ganze Nation ermuntern sollte, ihm zu folgen. Weil MussoliniMussolini, Benito klein von Gestalt war, reckte er das Kinn vor, blähte die Brust, stieß die Arme in die Hüften, machte große Schritte und nahm dramatische Posen ein. Bilder zeigten ihn beispielsweise auf einem Pferd oder am Steuer eines Flugzeugs, um seine exorbitante Stärke und seinen außergewöhnlichen Weitblick zu unterstreichen. Wenn die Kolonnen der Schwarzhemden vor ihm paradierten, streckte er die Faust in die Luft – so ging damals der Römische Gruß –, um seine Autorität über seine Gefolgsleute zu demonstrieren. Manchmal mimte er auch den großen Staatsmann und präsentierte sich im eleganten Smoking, umgeben von ihn anhimmelnden Frauen – so betonte er seinen machismo. Bei besonderen Anlässen erschien er auf einem Balkon des Palazzo Venezia und richtete erbauliche Worte an die Menschenmenge, die er mit ausladender Gestik unterstützte. Propagandisten sorgten dafür, dass möglichst alle Schulen ein Porträt des DuceMussolini, Benito besaßen, und versäumten keine Gelegenheit, seine Heldentaten auf Zelluloid zu bannen und in Wochenschauen zu verbreiten, damit das gemeine Volk nur ja lernte: »MussoliniMussolini, Benito hat immer recht«.2

Der Faschismus führte auch neue syndikalistische und korporatistische Institutionen ein, um das Arbeitsleben zu disziplinieren und bei Entscheidungen darüber das Parlament zu umgehen. Die Syndikate erinnerten entfernt an Gewerkschaften; sie ersetzten die einschlägigen marxistischen Organisationen. Jene Verbände handelten Verträge mit den Unternehmern aus und vertraten die Interessen der Arbeiter, die sie gleichzeitig aber unter Kontrolle hatten. Als die wirtschaftliche Lage sich entspannte, gelang es den Syndikaten sogar, bescheidene Verbesserungen bei den Löhnen, bei den Freizeitbeschäftigungen und beim Kindergeld durchzusetzen. Das bekannte System der Korporationen war grundsätzlich nichts Neues, da der Faschismus es teils aus hierarchischen Partien der katholischen Soziallehre, teils aus der Geschichte übernommen hatte. Schon im Mittelalter hatte es ähnliche Organisationen gegeben, in denen Beschäftigende und Beschäftigte sich an einen Tisch setzten, verhandelten und ihre Interessen zum Ausgleich brachten; so ließen sich Klassenkonflikte vermeiden. Erste korporative Strukturen entstanden 1926; vier Jahre später expandierten sie zu einem Nationalrat der Korporationen, den man dann schließlich in 22 verschiedene Fachgruppen unterteilte. 1939 wurde das Parlament ersetzt durch die Camera dei Fasci e delle Corporazioni [›Kammer der Bünde und der Korporationen‹]; die Legislative war nun eine rein faschistische Beratungs- und Beschlusskörperschaft.3 Unter dem Vorwand, eine Alternative zum Kapitalismus wie zum Kommunismus zu bieten, diente diese korporative Struktur den Faschisten als Werkzeug, um das Land zu beherrschen und MussolinisMussolini, Benito Politik einen glatten Durchmarsch zu sichern.

Die Bemühungen der Faschisten, Italien zu transformieren, gipfelten in wiederholten Kampagnen zur Modernisierung der Ökonomie und zur Revitalisierung der Gesellschaft. Zwar hatte der Freihandel für einen Anfangsboom gesorgt; doch der Kollaps der Lira zwang MussoliniMussolini, Benito 1925 zu einer drastischen Aufwertung, bei der immerhin die hohen Zölle hilfreich waren. Als Reaktion auf die exorbitanten Preise importierten Getreides entfesselte er die »Weizenschlacht«: Er ließ die einheimische Landwirtschaft so fördern, dass sie reichere Ernten erzielte, um in diesem Sektor Autarkie zu gewinnen. Ferner suchte das Regime die Flucht in die Städte einzudämmen; ein Werbefeldzug glorifizierte die Vorzüge des Landlebens. Zudem wollte MussoliniMussolini, Benito die sinkende Geburtenrate bekämpfen: Frauen, die viele Kinder gebaren, erhielten Auszeichnungen und spezielle Hilfen; Junggesellen hingegen mussten höhere Steuern zahlen! Ein gewaltiges öffentliches Arbeitsprogramm widmete sich der Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe, dem Bau von Straßen und der Versorgung der Landregionen mit Elektrizität. Des Weiteren gab MussoliniMussolini, Benito Impulse zur Gründung diverser halbstaatlicher Firmen; u. a. rief er eine Gesellschaft für Erdölraffination ins Leben, die AGIP, sowie ein »Institut für den industriellen Wiederaufbau«, das IRI, das nichts anderes war als eine von der Regierung kontrollierte Investmentbank. Mit großem Trara veranstaltet, brachten diese propagandatriefenden Kampagnen wohl ein paar sichtbare Erträge ein, doch änderten sie wenig an der untergründig fortbestehenden Schwäche der italienischen Wirtschaft.4

MussolinisMussolini, Benito größter Erfolg war die Aussöhnung Italiens mit der katholischen Kirche. An jener »Römischen Frage« hatten sich viele vorherige Regierungen vergeblich versucht – der DuceMussolini, Benito löste sie 1929. Seit 1871 vergiftete ein Zwist die Beziehungen zwischen dem Staat und dem Papsttum, doch die Entmachtung der Liberalen ebnete nun den Weg für einen Kompromiss. MussoliniMussolini, Benito selbst war zwar Atheist, aber er begriff die Notwendigkeit, die Katholiken ins faschistische Lager herüberzuziehen; Papst Pius XI. Pius XI.wiederum war nicht gerade entzückt vom Faschismus, aber Sozialisten und Kommunisten fürchtete er eben noch mehr. Freundliche Gesten seitens des Regimes wie die Rettung der Vatikanbank erleichterten ihm die Annäherung. Drei Jahre lang wurde verhandelt, dann standen die beiden sogenannten Lateranverträge. Der erste erkannte den Vatikan als souveränen Staat an und verfügte, dass dieser 1,75 Milliarden Lire als Entschädigung für den Verlust seiner weltlichen Besitztümer erhielt. Der zweite Vertrag erklärte den Katholizismus zur »einzigen Staatsreligion« Italiens. Die kirchliche Eheschließung besaß künftig – damit räumte man einen weiteren zentralen Streitpunkt aus – auch zivilrechtliche Geltung, der Religionsunterricht an staatlichen Schulen wurde obligatorisch, und die gesellschaftliche Aktivität katholischer Laienorganisationen wie der Azione Cattolica (der ›Katholischen Aktion‹) war nunmehr erlaubt.5 Dieses Konkordat hatte entscheidende Bedeutung für die Stabilität von Mussolinis Herrschaft, indem es den Eindruck festigte, er regiere mit dem Segen der Kirche.

Die ideologische Indoktrination konzentrierte sich hauptsächlich auf die jungen Menschen; schließlich glaubte MussoliniMussolini, Benito fest, dass die Jugend den Schlüssel zur Zukunft in Händen halte, wie es in der Parteihymne »Giovinezza« feierlich hieß. 1926 gründeten die Faschisten ihre offizielle Jugendorganisation Opera Nazionale Balilla, kurz ONB. Aufgebaut nach dem Muster der Pfadfinder, kombinierte die ONB beliebte Freizeitaktivitäten mit Militarisierung und Propaganda. Jede Altersgruppe hatte eine eigene Stufe: Die Jungen begannen mit 6 Jahren als balilla, und wenn sie mit 21 junge Männer wurden, waren sie avanguardisti. Parallel wurden ähnliche Gruppen für Mädchen geschaffen. An der Universität konnten die Jungfaschisten dann in der Gioventù Universitaria Fascista (GUF) weitermachen, in der eine ähnliche Verschmelzung von ideologischer Indoktrination und sozialen Aktivitäten stattfand. Die staatlichen Schulen legten ebenfalls großen Wert auf politische Erziehung, denn jeder Schüler sollte nach seinem Abschluss ein stolzer, faschistisch gesinnter Italiener sein. Als man die Universitätsprofessoren zwang, einen Treueeid auf »das Vaterland und das faschistische Regime« zu leisten, verweigerten diesen nur zwölf von rund 1200, und jene zwölf wurden anschließend entlassen.6 All diese strammen Bemühungen hatten immerhin den Erfolg, dass die Jugend weitgehend faschistisch orientiert wirkte, jedenfalls nach außen hin; die Vagheit der Ideologie selbst indes verhinderte eine tiefergehende Beeinflussung.

Für die Erwachsenen schufen die Faschisten neue Formen der Populärkultur und der Massenfreizeit; sie offerierten müden Arbeitern billige Erholungsmöglichkeiten, um so deren Loyalität zu gewinnen. MussoliniMussolini, Benito erkannte schon früh das propagandistische Potenzial des Rundfunks, der 1924 zwar einen recht bescheidenen Anfang genommen, sich dann aber schnell weiterentwickelt hatte: 1938 befanden sich eine Million Geräte im Einsatz, und es wurde eifrig gelauscht, ob daheim oder in der Trattoria. Ähnlich förderten die Faschisten den Sport; Großereignisse wie das Autorennen Mille Miglia, der Fahrradwettbewerb Giro d’Italia und die Fußballweltmeisterschaft, die Italien 1934 und 1938 gewann, wurden aufwendig in Szene gesetzt. Die wichtigste Institution war das Opera Nazionale Dopolavoro, ein Netzwerk von Freizeiteinrichtungen (dopo lavoro bedeutet ›nach der Arbeit‹), dessen Mitgliederschar 1939 auf vier Millionen wuchs. Das Angebot umfasste Bars, Büchereien, Sportplätze, Tanzlokale, vor allem aber billige Urlaubsreisen; manches konnte man dank öffentlicher Finanzierung sogar gratis nutzen. Diese Organisation, unterstützt von Staat und Geschäftswelt, war sehr populär, bot sie doch preiswerte Erholung, wie sie sich viele Durchschnittsitaliener sonst nicht leisten konnten. Zwar war jede dieser Offerten von einer politischen Botschaft begleitet, doch das ließ sich ertragen, wenn man zu so günstigen Bedingungen an bestimmten Aktivitäten teilhaben wollte.7 Der Faschismus verdankte viel von seiner Popularität solchen »sanften Stabilisatoren« seines Regimes.

 

Als Diktator wollte MussoliniMussolini, Benito aber nicht nur geliebt, sondern auch gefürchtet werden, denn er glaubte, dass die Affekte der Massen, wie die der Frauen, grundsätzlich wankelmütig seien. Mochte seine Popularität bis 1936 steigen – die Macht des Faschismus beruhte nichtsdestoweniger auch auf Zwang und Repression: eine dunkle Kehrseite, die ausländische Beobachter oft übersahen. Der Weg zu dieser Macht war schon mit den Opfern der von den squadristi ausgeübten Gewalt gepflastert, denn seinen Erfolg hatte der Faschismus nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass er seine Feinde misshandeln oder ermorden ließ. Die Bewegung besaß eine eigene Geheimpolizei, genannt »Organisation für Überwachung und Unterdrückung des Antifaschismus«, kurz OVRA. 1926 wurde sie neu organisiert und politisiert, damit sie Oppositionelle effektiver jagen und zur Strecke bringen konnte. Viele Führungsleute konkurrierender Parteien, so der Katholik Don SturzoSturzo, Luigi, der Liberale Gaetano SalveminiSalvemini, Gaetano und der Sozialist Pietro Nenni,Nenni, Pietro wurden ins Exil getrieben. Aber selbst dort waren sie nicht sicher – Carlo RosselliRosselli, Carlo etwa, ein besonders entschiedener Gegner des Faschismus, wurde in der Normandie ermordet. Andere, wie der Historiker Luigi AlbertiniAlbertini, Luigi, mussten jahrelang in faschistischen Gefängnissen schmachten. In einem solchen saß auch der kommunistische Intellektuelle Antonio GramsciGramsci, Antonio und schrieb seine bahnbrechenden politischen Notizen, bevor er 1937 starb.8 Die italienischen Faschisten haben zwar weniger Menschen umgebracht als die Nazis oder die sowjetischen Kommunisten, doch den Bestand ihrer Diktatur verdankten sie – zumindest auch – skrupelloser Unterdrückung.

Prestige und Imperium

Die Stärkung der Nation diente einem übergeordneten Ziel: Italiens Expansion durch den Hinzugewinn von Territorien. Die glorreichen Zeiten des römischen Imperiums sollten wieder aufleben. Die zentrale Lage des Landes bot mehrere Ansatzmöglichkeiten: an den unmittelbaren Grenzen, in der BalkanregionBalkan und auf dem afrikanischen Kontinent. Aber Italiens begrenzte Ressourcen machten eine sorgfältige Suche nach Verbündeten notwendig, und diesbezüglich erwiesen sich MussolinisMussolini, Benito Mangel an internationaler Erfahrung und sein impulsives Temperament als Störfaktoren bei der Steigerung des italienischen Prestiges. In seiner Außenpolitik erlebte man den DuceMussolini, Benito daher schwankend: Bald spielte er den Staatsmann und bezauberte seine ausländischen Gäste, bald gab er den polternden und drohenden Diktator, namentlich, wenn er Unterlegene vor sich zu haben glaubte. Der Faschismus war als Protestbewegung gegen für Italien nachteilige Friedensregelungen entstanden; getreu diesem alten Ziel arbeitete er nun, seit er an der Macht war, auf eine Revision der Versailler Verträge hin. Das verärgerte die Franzosen. Gleichzeitig versuchte MussoliniMussolini, Benito, Italien in den Rang einer führenden Regionalmacht zu erheben, weshalb er 1923 KorfuKorfu bombardieren ließ. Das verdross wiederum die Briten. Und dann erlag er auch noch dem süßen Lockruf des Imperialismus – jedoch die »Befriedung« LibyensLibyen erwies sich als kostspielig und zog sich bis 1932 hin.1

Solange er freilich eine zentrale Rolle spielen durfte, zeigte MussoliniMussolini, Benito sich willens, Europa zu stabilisieren. 1933 schlug er zu diesem Zweck einen Viererpakt vor: Wenn Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland sich zu einem Direktorium zusammenschlössen, ließe sich der im Westen so gefürchteten Bedrohung durch die soeben an die Macht gekommenen Nazis Herr werden. Erfreut darüber, dass HitlerHitler, Adolf bei der ›Machtergreifung‹ in Deutschland seinem eigenen Beispiel gefolgt war, versuchte der DuceMussolini, Benito, die internationale Situation zu entschärfen, indem er nahelegte, die führenden kontinentalen Länder sollten doch außerhalb des Völkerbundes direkt miteinander verhandeln und so ihre diversen Streitigkeiten beilegen. Obwohl sie aus ihren Botschaften in BerlinBerlin alarmierende Berichte über den Revisionismus der Nazis erhielten, mochten die Regierenden in ParisParis und LondonLondon gegen Deutschland nicht mit Gewalt vorgehen. So konnte sich Mussolini als Vermittler zwischen Kriegsgewinnern den Kriegsverlierern gebärden. Die Faschisten waren ja genauso unglücklich über die Friedensverträge und suchten nach diplomatischen Möglichkeiten, eine Revision der Versailler Bestimmungen zu erreichen. Obwohl ihnen der italienische Machthaber nicht geheuer war, zeigten sich die westlichen Staatschefs bereit, seiner Eitelkeit ein paar Zugeständnisse zu machen – wenn sich so nur Hitler in Schach halten ließ.2 Obwohl seine Initiative bald im Sande verlief, konnte der DuceMussolini, Benito weiterhin als Staatsmann posieren, der Italien zu mehr Prestige verhalf.

1935 war MussoliniMussolini, Benito überzeugt, dass Italien nun hinreichend aufgerüstet habe, um die Niederlage von AduaAdua zu rächen. Also ließ er sein Heer in ÄthiopienAbessinien (Äthiopien) einfallen – den letzten Landstrich Afrikas, über den noch kein europäischer Staat Kontrolle ausübte. Für Marschall BadogliosBadoglio, Pietro Attacke gegen AbessinienAbessinien (Äthiopien) wurden über eine halbe Million Soldaten mobilisiert; auch Teile der Marine befanden sich im Dauereinsatz, denn ihre Schiffe mussten die Truppen über den eritreischen Hafen MassauaMassaua versorgen; außerdem legte man in der ostafrikanischen Region Übungsplätze für insgesamt 500 Militärflugzeuge an. Nach fast einem Jahr blutiger Kämpfe brach die Kombination aus Bomben und Senfgas schließlich den Widerstand der Äthiopier. Mit Verweis auf diesen Sieg verkündete MussoliniMussolini, Benito stolz vom Balkon des Palazzo Venezia herab den jubelnden Massen die Gründung eines »neuen italienischen Imperiums«. Das imperialistische Abenteuer war ein großer Public-Relations-Erfolg daheim und steigerte die Popularität des DuceMussolini, Benito weiter. Doch löste die Brutalität, mit der seine Truppen die hoffnungslos unterlegenen Äthiopier niedergeworfen hatten, eine Welle internationaler Empörung aus. Der Völkerbund verhängte ökonomische Sanktionen, und Italien fand sich diplomatisch isoliert.3 Der Bruch zwischen MussoliniMussolini, Benito und dem Westen führte dazu, dass Faschisten und Nationalsozialisten nun ganz offen eine Front bildeten und gemeinsam den Frieden Europas bedrohten.

Dass aus dem Großmachtstatus nun nichts wurde, trieb MussoliniMussolini, Benito in den Spanischen Bürgerkrieg hinein, in dem er FrancosFranco, Francisco militärischer Erhebung gegen die legitime republikanische Obrigkeit beistand. Obwohl die meisten westlichen Nationen sich offiziell für Nichteinmischung entschieden hatten, unterstützten Italien und Deutschland den reaktionären Coup, während die Sowjetunion und das volksfrontgeführte Frankreich den republikanischen Kräften halfen. Warum genau der DuceMussolini, Benito intervenierte, ist bis heute nicht ganz klar; als Motive denkbar sind die ideologische Affinität zum CaudilloFranco, Francisco und der Wunsch nach mehr Macht im Mittelmeerraum. Doch während HitlerHitler, Adolf sich nur begrenzt engagierte und lediglich die Legion Condor aufbot, schickte MussoliniMussolini, Benito 70 000 reguläre Soldaten, getarnt als Freiwillige. Zudem stellte Italien 200 Bomber, 400 sonstige Flugzeuge und 1400 Piloten – eine Luftarmada, die eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Internationalen Brigaden spielte. Zum Schutz der spanischen Republik angetreten, gerieten Letztere schließlich unter die Kontrolle der Moskauer Kommunisten. Als FrancosFranco, Francisco Truppen Erfolge einfuhren, behauptete MussoliniMussolini, Benito, dies sei vornehmlich sein Verdienst gewesen. Freilich unterschätzte er die Dauer und die Kosten des Kampfes, denn beide strapazierten seine Ressourcen empfindlich, die schon die Eroberung ÄthiopiensAbessinien (Äthiopien) übermäßig beansprucht hatte.4 Italien gewann nichts bei der Intervention, deren einziges Resultat wohl darin bestand, dass sie das Land HitlerHitler, Adolf in die Arme trieb.

MussolinisMussolini, Benito Streben nach mehr Prestige beschleunigte jene Neuordnung der politischen und diplomatischen Gegebenheiten in den 1930er Jahren, die unaufhaltsam zum Zweiten Weltkrieg führte. Obwohl sich der DuceMussolini, Benito selbst als Oberhaupt der internationalen faschistischen Bewegung betrachtete, zwangen ihn die steigenden Kosten seiner Kriege und die Ausgrenzung seines Landes durch den Westen in die bescheidenere Rolle eines Bündnispartners. Und so schloss er im Oktober 1936 einen Freundschaftsvertrag mit Nazideutschland. Großsprecherisch nannte er diesen Bund »die Achse BerlinBerlin–RomRom«, um die sich künftig Europa drehen werde. Ein Jahr später unterzeichnete MussoliniMussolini, Benito den Antikominternpakt mit Deutschland und JapanJapan, der eine Front aggressiv revisionistischer Mächte schuf und vorgeblich dem Ziel diente, den Bolschewismus zu bekämpfen. 1938 konnte der italienische Diktator die deutsche Annexion Österreichs nicht länger verhindern, denn er war inzwischen von HitlersHitler, Adolf gutem Willen abhängig. Den Höhepunkt seines internationalen Einflusses erreichte er ein paar Monate später auf einer Konferenz in der bayrischen Hauptstadt, auf der er ein vom deutschen Außenministerium entworfenes Positionspapier als italienischen Kompromissvorschlag zur Lösung der Sudetenkrise aus der Tasche zog. Der drohende Krieg könne verhindert werden, hieß es darin, wenn der Westen die Eingliederung des Sudetenlandes in das Deutsche Reich hinnehme. Der Vorschlag fand Akzeptanz, was als »Münchner Abkommen« in die Geschichte einging. Da jetzt alle Brücken zu den früheren Verbündeten verbrannt waren, schloss Italien mit Deutschland 1939 auch noch den »Stahlpakt« und ein Jahr später mit Deutschland und JapanJapan den »Dreimächtepakt«, eine militärische Allianz dreier Diktatoren.5

MussolinisMussolini, Benito gewachsenes Format bewirkte einen regelrechten ›Faschismus-Tourismus‹. Eine bunte Schar von Bewunderern und Kommentatoren kam interessiert herbei, um das Geheimnis der Wiedergeburt Italiens zu ergründen; auch Akademiker waren darunter. Ausländische High-Society-Damen strömten nach RomRom, um seinen machohaften Magnetismus zu bestaunen. Neugierige Journalisten wie Emil LudwigLudwig, Emil trafen den DuceMussolini, Benito, um seine Sichtweisen von ihm persönlich zu hören, und publizierten lange Protokolle der gemeinsamen Gespräche. Fehlgeleitete Schriftsteller verklärten den Faschismus sogar; George Bernard ShawShaw, George Bernard etwa verstieg sich zu der Behauptung, Mussolini habe zwar »nichts vom Prestige NapoleonsNapoleon Bonaparte, aber er hat für Italien getan, was Napoleon für Frankreich tat«. Etwas sehr naiv bemerkte der amerikanische Botschafter Richard Washburn ChildWashburn Child, Richard im Vorwort zu seiner Autobiografie, der DuceMussolini, Benito sei nunmehr »die größte Gestalt seiner Profession und seiner Zeit«. Nicht zuletzt konservative Politiker wie Winston ChurchillChurchill, Winston priesen den Diktator: »Der römische Genius, der sich in MussoliniMussolini, Benito verkörpert, dem größten Gesetzgeber unter den Lebenden, hat vielen Nationen gezeigt, wie sie dem Druck des Sozialismus widerstehen können, und hat vorgezeichnet, welchen Weg eine Nation gehen kann, wenn sie nur mutig geführt wird.«6 Da er solche Lobsprüche nun immer wieder zu hören bekam, mussten sie dem Duce wohl zu Kopfe steigen.

 

Die Triumphe des Faschismus – die vermeintlichen wie die tatsächlichen – trugen auch zur Verbreitung seiner Botschaft im Ausland bei, denn diese Bewegung schien eine dynamische Alternative zur sterbenskranken Demokratie und zum gleichmacherischen Kommunismus zu bieten. Anfangs war MussoliniMussolini, Benito noch skeptisch, ob sich seine Ideen exportieren ließen, aber während der 1930er prophezeite er erfolgstrunken, binnen zehn Jahren werde ganz Europa faschistisch sein. Eine Faschistische Internationale zu gründen, analog zur Kommunistischen, erwies sich zwar als schwierig, denn Hypernationalismus vertrug sich nicht mit transnationaler Organisation. Und doch teilten in Westeuropa einige Intellektuelle, so die der Action Française, der British Union of Fascists und der spanischen Falange, viele seiner rechten Grundsätze. In Osteuropa fanden rechtsradikale Bewegungen ebenfalls ihre Anhänger. Namentlich ohnehin autoritär regierte Staaten brachten diese hervor, so Ungarn die Pfeilkreuzler und Rumänien die Eiserne Garde, was an ihren revisionistischen Bestrebungen, aber auch an Spannungen zwischen einzelnen Ethnien lag. Die umfassendste Auswirkung hatte der Faschismus aber auf die verwirrte und verstreute deutsche Rechte: Die Nationalsozialisten als ihre große Einigungsbewegung übernahmen viele Prinzipien von ihren italienischen Gesinnungsbrüdern, beispielsweise Führerkult und Milizengewalt.7 Nur in der Weimarer Republik gelang es den Faschisten freilich, am Ende aus eigener Kraft die Macht zu ergreifen.

Anders als der resistenza-Mythos es will, der von einem weitverbreiteten Widerstand während der Mussolini-Jahre ausgeht, blieb der Antifaschismus bis 1938 infolge der offensichtlichen Popularität des Regimes relativ schwach. Die bürgerlichen Parteien waren diskreditiert, und die paar Überbleibsel marxistischer Gruppen bekämpften einander. Nur die Kommunisten konnten sich ein Untergrundnetzwerk von mehreren tausend Mitgliedern bewahren. Die politischen Emigranten in Paris wie Graf Carlo SforzaSforza, Carlo oder Gaetano SalveminiSalvemini, Gaetano debattierten endlos, erfuhren aber wenig Unterstützung und fanden innerhalb Italiens kaum Gehör. Einige ältere Gelehrte wie Luigi EinaudiEinaudi, Luigi hielten ebenfalls eine gewisse Distanz zum Regime, während jüngere Intellektuelle die Gruppe Giustizia e Libertà gründeten, welche die Diktatur offen kritisierte. Menschen mit besonders engen Bindungen zur katholischen Kirche blieben für faschistische Appelle unzugänglich, und gewiss gab es im Volk viel halblautes Murren. Aktive Opposition jedoch entfaltete sich kaum, denn die Geheimpolizei ging gnadenlos gegen Dissidenten vor. Es wurden auch ein paar Attentate auf MussoliniMussolini, Benito verübt, die er aber allesamt überlebte. Ein antifaschistischer Widerstand auf breiter Basis fand sich erst während des unpopulären Zweiten Weltkrieges zusammen, als Partisanen handfeste militärische Attacken wagten.8