Gegenkulturelle Tendenzen im postdramatischen Theater

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1.5.3.1. Kultur als Institution am Beispiel der Institution Kunst/Theater

In dieser Arbeit bezieht sich der Institutionsbegriff vor allem auf eine Lesart, die den Funktionsmodus von Kunst als den einer Institution versteht. Dieser Funktionsmodus der Institution Kunst, die auch Theater als eine kulturelle Ausdrucksform einschließt, ist ein Beispiel einer institutionellen Form von Kultur. Die Institution Kunst legt also ästhetische Werte als Verhaltensnormen fest, die sowohl an die Künstler_innen als auch an die Betrachter_innen gerichtet sind.2 Zur Verdeutlichung: Es geht diesbezüglich um gesellschaftliche sowie kulturelle Wertsetzungen, mit denen Teilhabende an den jeweiligen Kulturgefügen über Kunstwerke ihre kulturellen Identitäten erkennen und entsprechend beachten und/oder hinterfragen. Für Zembylas wären z.B. auch verschiedene soziale, politische und ökonomische Instanzen daran interessiert, Einfluss auf die Produktion und Rezeption von ästhetischen Symbolen bzw. von Kunstwerken zu nehmen.3 Deshalb kann Peter Bürger zugestimmt werden, wenn er sagt, dass der Begriff Institution Kunst den kunstproduzierenden und kunstdistribuierenden Apparat sowie die zu einer gegebenen Epoche herrschenden Vorstellung über Kunst einschließt.4 Außerdem stellt die Institution Kunst die Rahmenbedingungen bereit, innerhalb derer die Einzelwerke produziert und rezipiert werden5 sollen – wenn nicht: müssen. So kommt der verinnerlichten Kultur und den habitualisierten kulturellen Wertsetzungen eine gewichtige Aufgabe zu: Sie ermöglichen dem Menschen, dem kulturellen Subjekt, anhand seiner kulturellen Semantik an der Produktion oder Rezeption des künstlerischen Schaffens konventionell oder institutionskritisch teilzuhaben.

1.5.3.2. Künstlerische Institutionskritik

Obgleich mittlerweilie Nitschs Orgien-Mysterien-Theater und Schlingensiefs Aktion 18, „tötet Politik!“, wie viele andere Theaterformen dieser Art, zum größten Teil institutionalisiert worden sind, haben sie vor geraumer Zeit für Irritation in mancherlei Hinsicht gesorgt – und sorgen dafür vielleicht heute noch. Die Theater- und Literaturwissenschaften und nicht zuletzt die Institution Theater erproben bzw. erfinden alternative Methoden, um diesen Theaterformen wissenschaftlich und institutionell gerecht zu werden. Als Praxis und Strategie institutionskritischer Theateraktionen sind sie ein dynamisches und herausforderndes Spannungsfeld, in dem experimentelle sowie innovative Theaterpraxen ständig erprobt und die etablierten institutionellen Rahmenbedingungen institutionskritisch überfordert werden.

Rückblickend begann die erste Welle der Institutionskritik Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre. Sie konnte von der Kunstgeschichte anerkannt werden und ist heute Teil der Kunstgeschichte. Die kritische Methode der Institutionskritik fokussierte sich damals auf eine besondere künstlerische Praxis, die sich kritisch mit Kunstinstitutionen wie Museen und Galerien auseinandersetzte. Institutionskritik nahm auf diese Weise verschiedene Formen an – etwa Kunstwerke und Interventionen, kritische Schriften oder (kunst-)politische Aktivismen. Die zweite Welle begann in den 1980ern und erlebte die bereits angesprochene Erweiterung des institutionellen Rahmens, um die Rolle des Künstlers oder der Künstlerin sowie der Kurator_innen, Kritiker_innen, Sammler_innen als institutionalisierte ebenso mit einzuschließen.6

Mit der Institutionskritik wird „die Abgehobenheit von der Lebenspraxis, die immer schon den institutionellen Status der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft ausgemacht hat, nun zum Gehalt der Werke.“7 Das Verdienst der historischen Avantgardebewegung besteht eben darin, dass sie die Selbstkritik der Kunst sowie die Enthüllung der gesellschaftlichen Folgenlosigkeit als Wesen der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft ermöglicht hat.8 So steht die Institutionskritik, die sich sowohl auf eine Methode als auch auf ein soziokulturelles Objekt bezieht, für eine Hinterfragung der Rahmenbedingungen von Kunstproduktion und -rezeption. Dabei kommt der Methode eine besondere künstlerische Praxis zu, welche die Institution Kunst – wie Galerien, Kunstmuseen, Theaterhäuser etc. – als Objekt der kritischen Auseinandersetzung im Visier hat. Unter Institutionskritik werden also unterschiedliche, dezidiert künstlerische Arbeiten bezeichnet, die sich selbstkritisch bzw. selbstreflexiv mit der kulturellen Institution Kunst befassen. Auch die sich in der Institution Kunst überlappenden sozialen, ökonomischen sowie politischen Faktoren bzw. Machtverhältnisse werden dabei hinterfragt.

Fraser betont aber, dass die Praxis der Institutionskritik im Allgemeinen von ihrem inhärenten Objekt „der Institution“ definiert werde, das sich wiederum auf die etablierten und organisierten Orte für die Ausstellung von Kunst beziehe.9 Es besteht deshalb eine Definitionsproblematik der Bezeichnung Institutionskritik, in der „sich deskriptive und normative Kategorien vermischen.“10 Die Methode der Kritik, die dem Begriff der Institutionskritik innewohnt, scheint also weniger spezifisch als das Objekt der Institution zu sein: Zum einen schwankt sie zwischen einer eher schüchternen „Darstellung“, „Reflexion“ oder „Enthüllung“, zum anderen führt sie eine Vision vom revolutionären Umsturz der bestehenden Museumsordnung11 an. Für Fraser ist aber die Idee, dass Institutionskritik Kunst gegen die Institution halte oder dass radikale künstlerische Praxen vor ihrer Institutionalisierung außerhalb der Institution Kunst bestünden, in Abrede zu stellen; für sie sei die Kritik an der Institution Kunst von der Kritik an der künstlerischen Praxis selbst untrennbar.12 Das bedeutet, dass der gesamte Apparat der Institution Kunst einerseits und die künstlerischen Arbeiten sowie die Künstler_innen andererseits nicht als trennbare Kategorien bestehen. Sie stehen vielmehr in einem interdependenten und untrennbaren Verhältnis zueinander.13 Diesbezüglich führt Fraser an, dass die explizite Rolle der Künstler_innen in der Institution Kunst 1974 von Haacke zum Ausdruck gebracht wurde. Haacke schrieb, so zitiert ihn Fraser, dass sowohl Künstler_innen als auch Unterstützer_innen und ihre Gegner_innen ahnungslose Partner_innen seien. Sie nehmen gemeinsam an der Aufrechterhaltung und/oder Entwicklung der ideologischen Konstruktion ihrer Gesellschaft teil.14 Denn jede Positionierung findet innerhalb der Gesellschaft – also der Kultur – statt. So wie die Institution Kunst ohne die Rolle der Künstler_innen und ohne ihre Werke undenkbar wäre, wäre auch die Kultur in diesem Sinne ohne die kulturellen Schöpfer und Träger nicht vorstellbar. Ruth Benedict hat bereits darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft tatsächlich niemals eine von den Individuen, aus denen sie sich zusammensetze, trennbare Einheit sei: zum einen könne kein Individuum ohne Kultur seine Fähigkeiten zur Geltung bringen, zum anderen verfüge eine Kultur über Elemente, die bei genauer Untersuchung Beiträge eines jeden einzelnen Menschen seien.15 So lässt sich jenseits der umfassenden Liste der Räume, Orte, Menschen und Objekte die Begriffsbestimmung von Institution am besten als Netzwerk sozialer und ökonomischer Beziehungen erschließen.16 In diesem Zusammenhang hat sich das sachliche Verständnis von Institution oder die Institution von spezifischen Räumen, Organisationen und Individuen zu einer Konzeption ihres Sozialfeldes hinbewegt. Die Erweiterung des institutionellen Verständnisses hat zur Folge, dass das Wesen der Institution alles und jeden einschließt: Museen, Galerien, Kunstmarkt, Künstler_innen, Kurator_innen, Sammler_innen, Betrachter_innen, Käufer_innen, Kritiker_innen, Kunsthistoriker_innen, Ateliers, Schauspieler_innen, Kultur, Politik, Ökonomie, Wissenschaftler_innen etc. Deshalb ist für Fraser die Beantwortung der Frage, was innerhalb und was außerhalb ist, umso komplexer geworden. „It's not a question of inside or outside. […] It's not a question of being against the institution: We are the institution.”17 Dies scheint die Herausforderung in der Begriffsbestimmung und der Praxis der Institutionskritik zu sein, weil selbst diese Kritik bereits vereinnahmt worden ist.

1.5.3.3. Künstlerische Institutionskritik institutionalisiert

Fraser bemerkt, dass die Praxis, die mit der Institutionskritik assoziiert werde, bereits institutionalisiert worden sei.18 Julia Bryan-Wilson ist der Meinung, dass die Sprache der Institutionskritik erst von den Künstler_innen erfunden und dann von Kritiker_innen übernommen wurde; letztendlich wird diese Sprache in einer Bewegung der Kooptierung von der Institution selbst heuchlerisch gesprochen.19 Für Bryan-Wilson entwickelt sich die Syntax dieser institutionskritischen Sprache in multiple Richtungen weiter – innerhalb eines komplexen Identifikationsnetzes, da Künstler_in, Kritiker_in und Kurator_in keine distinkten Positionen sind.20 Sie betont deshalb, dass Künstler_innen öfters der Führung des innovativen akademischen Schreibens folgen. Sie setzt fort, dass das Museum z.B. nicht nur Endziel einer interpretativen Kette sei, sondern auch ein produktives, Druck ausübendes sowie ein Förderungsgelegenheiten leistendes System sei, auf das die Künstler_innen antworten.21 Dies gilt für die Institution Kunst im Allgemeinen. Sich an Duchamps „Readymade“ und Ashers „Installation Münster (Caravan)“ anlehnend, geht Fraser davon aus, dass Kunst nicht deswegen Kunst sei, weil sie von einem Künstler oder einer Künstlerin unterschrieben oder in einem Museum oder in anderen institutionellen Räumen ausgestellt worden sei. Kunst sei erst Kunst, wenn sie für Diskurse und Praktiken existiere, die sie als Kunst anerkennen, sie als Kunst schätzen und beurteilen, sie als Kunst konsumieren – ob als Objekt, Geste, Repräsentation oder als bloße Idee.22 Diese Tatsache impliziert, dass die Institution Kunst nicht nur in Organisationen wie Museen institutionalisiert und in Kunstwerken materialisiert, sondern auch von Menschen internalisiert und verkörpert wird. Für Fraser ermöglicht die Institution Kunst – in Form von Kompetenzen sowie konzeptuellen Modellen und Rezeptionsweisen – Künstler_innen, Kritiker_innen, Kurator_innen, Kunsthistoriker_innen, Sammler_innen oder Museumsbesucher_innen und Akademiker_innen, Kunst zu produzieren, über Kunst zu schreiben, Kunst zu verstehen oder einfach Kunst zu erkennen. Fraser betont, dass diese Kompetenzen und Dispositionen unsere eigene Institutionalisierung als Mitglieder der Kunstszene determinieren.23 Das impliziert die Kooptierung aller Akteur_innen, die sich in irgendeiner Form mit Kunst umgeben oder befassen. In diesem Zusammenhang schreibt Simon Sheikh: „Institutionskritik als kooptierte wäre wie ein Bakterium, das den Patienten – die Institution – zeitweilig geschwächt haben mag, aber nur um das Immunsystem dieses Patienten auf lange Sicht zu stärken.“24 In diesem Sinne behauptet Fraser: „It's a question of what kind of institution we are, what kind of values we institutionalize, what forms of practice we reward, and what kinds of rewards we aspire to.”25 An diesem Punkt kann Frasers Aussage auf Nitsch und Schlingensief übertragen werden, die in ihren jeweiligen Theateraktionen institutionskritisch vorgehen. Welche Art von Institution bzw. Institution Theater vertreten die beiden Künstler? Bevor auf diese Frage im zweiten Teil in Hinblick auf ihre jeweiligen Theateransätze geantwortet wird, wird im Folgenden zunächst auf Happenings, Performance-, Aktions- und Installationskünste sowie auf Fluxus als institutionskritische Kunstausdrucksformen eingegangen, auf die Nitsch und Schlingensief radikalisierend zurückgreifen.

 

1.5.3.4. Institutionskritische Ausdrucksformen von Kunst

Happenings, Performance-, Aktions- und Installationskünste sowie Fluxus sind beliebte Praxen und Strategien jener Künstler_innen, die institutionskritisch vorgehen.

1.5.3.4.1. Performancekunst

Performance oder Performancekunst ist die Bezeichnung für eine praktische Durchführung künstlerischer Aufführung oder Darstellung mit einer überwiegenden Einbeziehung des menschlichen Körpers – sei es der eigene Körper des Künstlers oder der Künstlerin oder noch der anderer Teilnehmer_innen. Seit den 1950er- und 1960er-Jahren ist das Bewusstsein zunehmend stärker geworden, dass die Performance der Durchführung allen soziokulturellen sowie künstlerischen Aktivitäten inhärent ist, die mit Body Art, Fluxus, Happening, Aktionismus, Theateraufführungen etc. assoziiert werden. Als künstlerische Praxis ist sie zum größten Teil eine institutionskritische Ausdrucksform, die versucht, etablierte Institutions- und Gattungsgrenzen des klassischen Kunstverständnisses zu überschreiten. Die Performance ist aber „nicht das Andere der modernen Kunst, sondern mit dieser auf vielfältige Weise verbunden, sei es durch die Radikalisierung von avantgardistischen Ansätzen des 19. und 20. Jahrhunderts, sei es durch die absichtsvolle Negierung der bisherigen Grundlagen künstlerischen Selbstverständnisses.“1 Eine Wirkung der Performance kann ausschließlich innerhalb der bestehenden autonomisierten Institution Kunst erfolgen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts wegen des kulturellen und politischen Willens der bürgerlichen Gesellschaft ihren Höhepunkt erreicht hat. Inmitten der autonomisierten Institution Kunst machen Formen der Performancekünste darauf aufmerksam, dass die Kategorie der Autonomie als „eine andere Form repressiver Normierung zu begreifen war: als Sanktionierung künstlerischer Freiheit unter der Bedingung, dass die Kunst den ihr zugestandenen Bereich nicht überschreite.“2 Als Reaktion darauf duldet die Institution Kunst nach und nach die von der Performance in ihre Domäne Kunst übertragenen banalen Alltagshandlungen sowie Alltagsgegenstände (Duchamp Urinoir). Dadurch wird die Institution Kunst nicht aufgelöst, vielmehr werden die Semantik, die Syntax sowie die Pragmatik der Alltagshandlungen und Alltagsgegenstände grundlegend gewandelt.3 Die schwerfallende Distinktion zwischen künstlerischen und nichtkünstlerischen Handlungen sowie Objekten prägt daher die Formen der Performancekunst. Diese Prägung lässt sich mit feinen Unterschieden bei anderen künstlerischen Praktiken beobachten, die im Rahmen dieser Arbeit als institutionskritische Praxen und Strategien aufzufassen sind: Fluxus, Happening, Installations- und Aktionskunst.

1.5.3.4.2. Fluxus

Fluxus ist eine Kunstbewegung, die sich schwer bestimmen lässt. Die künstlerische Vorgehensweise von Fluxus hat aber sehr viel mit dem etablierten Produktions- sowie Rezeptionsapparat von Kunst im Allgemeinen zu tun. Im Kontext dieser Arbeit ist Fluxus als eine institutionskritische Kunstbewegung zu verstehen.

Der vom lateinischen Verb fluere abgeleitete Name Fluxus vermittelt die Bedeutung der Verben fließen, strömen, rinnen etc. Fluxus ist eine Künstlergruppe, die sich 1961 durch das Auftreten George Maciunas’ gruppierte und gegen die Verschwendung von materiellen und humanen Ressourcen vorgeht. Als institutionskritische Praxis und Methode weist Fluxus im Sinne von Maciunas soziale Ziele und antiprofessionelle Züge auf.1 Die Ursprünge von Fluxus gehen aber auf John Cages Klasse an der New School for Social Research zurück: Von 1956 bis 1960 nahmen unter anderem Al Hansen, Jackson MacLow, George Brecht, Allan Kaprow und Dick Higgins an wöchentlichen experimentellen Kunst- und Musikkursen unter der Leitung von Cage teil. Neben anderen Materialien wie Münzen, Kämmen etc. stand das Klavier als einziges wirkliches Musikinstrument im Zentrum der künstlerischen Aktivitäten. Cages Klasse hat zu einer künstlerischen Praxis beigetragen, die das Wesen der Institution Kunst im Allgemeinen kritisch erkundet.

George Maciunas stellte aber den Künstler_innen die Galerie, die er in New York betrieb, zur Verfügung. Auf seine Anregung hin sammelten Künstler_innen Material für eine unter dem Namen Fluxus zu veröffentlichende Anthologie. Allerdings emigrierte Maciunas mit dem gesammelten Material nach Europa. Kurz vor der Veröffentlichung des Fluxus-Magazins 1962 organisierte Maciunas im Museum von Wiesbaden das Festival Fluxus. Internationale Festspiele Neuester Musik. Entscheidende Unterstützung bekam Maciunas dabei von den Künstlern Dick Higgins und Alison Knowles.

So fanden diese Festspiele vom 1. bis zum 23. September 1962 im Museum Wiesbaden statt. Sie gelten als die Geburtsstunde der Fluxus-Bewegung. Es ist festzuhalten, dass Fluxus aus John Cages Kompositionsphilosophie in New York ausgegangen ist, um dann erstmalig in Wiesbaden an die Öffentlichkeit zu gelangen. Das Klavier, das weiterhin als Statussymbol der Bourgeoisie galt, wurde von einer Gruppe junger Komponisten mit Hammer, Sägen und Brecheisen zerstört. Auch Konzertflügel wurden zerstört und Abendroben besudelt. Der Akt der Zerstörung und der Besudelung dieser Elemente drückte die kritische Haltung bzw. die Kritik der Künstler_innen an den damaligen Lebenskonzepten der bestehenden Bourgeoisie aus.2 Die Aktionen von Fluxus sind somit institutionskritischer Natur. Vor allem sorgten sie für heftige Reaktionen und irritierten umso mehr, wenn sie in einem institutionellen Rahmen wie in einem Konzertraum stattfanden, in dem dann der geachtete Flügel zerstört oder die schöne Abendrobe mit Tinte bespritzt wurde. Dabei zeigten die Künstler_innen kein aggressives Verhalten, sondern traten eher clownesk auf.3 Eine Fluxus-Veranstaltung lässt sich nicht auf ein Medium beschränken: Diese gleicht eher einem Treffpunkt und einer Mischform von Performance, Musik, Tanz, Literatur etc., sodass der Begriff Intermedialität am besten passen würde, um die künstlerische Praxis von Fluxus zu beschreiben. Außerdem stehen Events und Luxuskits für die beiden Stränge von Fluxus,4 welche menschliche Sinneswahrnehmungen stark hervorrufen. Das Fluxkit bezeichnet eine mit Alltagsgegenständen gefüllte Box. Dabei geht es um die sinnliche Erfahrung aller menschlichen Sinneswahrnehmungen, die über das Fluxkit zwangsläufig ungefiltert erfolgen müssen.5 Eine übliche Event-Aufführung hat viele Affinitäten zum Fluxkit: Sie besteht aus normalen alltäglichen Handlungen und gründet auf allen sinnlichen Wahrnehmungen, wie noch bei Schlingensief und Nitsch zu sehen sein wird.

1.5.3.4.3. Happening

In seinem Artikel Happenings. An Introduction befasst sich Michael Kirby mit der Entwicklungsgeschichte dieser Kunstform. In seinem Sinne ist Happening wie eine Theaterform, die mit der Malerei und der Plastik verwandt ist. Visuelle, auditive, olfaktorische und andere nonverbale Elemente sind überwiegende Kommunikationswege im Happening. Im Vergleich zum dramatischen Theater weist Happening eine sehr reduzierte Verwendung verbaler Kommunikationsmittel sowie eine nicht lineare und nicht nachvollziehbare Erzählentwicklung und -struktur auf.1 Der besondere Übergang von Malerei zu Happening als einer besonderen Theaterform jenseits des textzentrierten Theaterverständnisses erfolgte durch eine Weiterentwicklung der New Yorker Malerschule der 1950er-Jahre: Während neben Farbe und Leinwand andere Materialien eingesetzt wurden, begannen Gemälde und Bilder in der Tat monumentale Ausmaße anzunehmen. Dies führte zu einer Mischform von Malerei, Skulptur und Collage, welche die Anwendung unterschiedlicher Alltagsstoffe wie Autokennzeichen, Glasstücke, Ausschnitte aus Zeitungen oder Kleidungsstücke benötigte. Im Sinne von Hubert Klocker kennzeichnen sich Happenings im Grunde durch eine radikale Abwendung vom akademischen sowie vom klassischen Werkbegriff in allen Künsten. Während sie den Prozess in nicht prozessualen Künsten – wie z.B. in der Malerei – betonen, lösen sie bei performativen Künsten – wie z.B. Theater, Tanz etc. – das strenge Zeitraumgefüge auf und setzen den Akzent auf die aktive Einbeziehung der anwesenden Teilhabenden und auf die Autonomisierung des Materials. Außerdem gehen sie antirepräsentativ sowie antimimetisch vor und fordern pragmatisch eine Unwiederholbarkeit.2 Diese Merkmale zeichnen, wie bereits angemerkt, viele Formen postdramatischen Theaters aus.