Preußen bewegt die Welt

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Ein Bündnis mit Frankreich, das in einem Krieg gegen Preußen zumindest die Neutralität des Bourbonenstaates sicherte, müsse nicht notwendig Großbritannien verprellen, argumentierte Kaunitz. Es hätte auch den unbestreitbaren Vorteil, dass Österreich keine Truppen zum Schutze Belgiens würde aufbieten müssen. Doch welchen Nutzen könne Frankreich aus dieser Konstellation ziehen? Was könne Österreich den Franzosen für ihre Neutralität überhaupt bieten? Kaunitz’ Einschätzung der französischen Politik blieb ganz konventionell auf Europa zentriert, die transatlantischen Ambitionen Frankreichs überging er vollkommen und hätte sie wohl auch kaum verstanden. So glaubte er zunächst, dass Frankreich von Friedrichs sprunghafter Politik genug habe und nach einem langen und ergebnislosen Krieg an einer neuerlichen Unterstützung Preußens kaum noch Interesse zeigen würde. Umso offener müsste daher Paris für territoriale Kompensationen in Belgien oder in Savoyen sein, die man ohne einen Schwertstreich erwerben könnte. Konkret schlug Kaunitz in seiner Denkschrift vor, die formal noch zum Reich gehörende Grafschaft Savoyen dem spanischen Prinzen Don Philipp anzubieten, der sie als möglicher Nachfolger Ludwigs XV. schließlich dem französischen Staatsgebiet zufügen könne. Das Königreich Sardinien-Piemont wiederum sei für seinen Verlust mit dem Herzogtum Mailand zu entschädigen. Die damit verbundenen reichsrechtlichen Probleme leugnete Kaunitz nicht, betrachtete sie aber als nicht unüberwindbar. Die Kaiserin wie auch die übrigen Mitglieder der Geheimen Konferenz stimmten zwar Kaunitz’ Ansicht grundsätzlich zu. Fraglos hätte ein Zusammengehen mit Frankreich beträchtliche Vorteile, doch die erfahrenen Minister wie etwa Friedrich Graf von Harrach oder Rudolph Graf von Colloredo, der oberste Kanzler von Böhmen, warnten vor einer Überstürzung. An eine rasche Umsetzung der neuen Politik, wie es Kaunitz vorschwebte, sei überhaupt nicht zu denken. Vor allem dürfe Großbritannien, der im Augenblick einzige verlässliche Alliierte des Kaiserhauses, nicht verprellt werden. Zudem herrschte in der hohen Runde immer noch großes Misstrauen gegenüber dem alten Erzfeind Frankreich. Man könne wohl nicht ausschließen, dass Paris allzu offen vorgetragene österreichische Offerten direkt an den Preußenkönig weiterleiten würde. Der soeben aus den Niederlanden zurückgekehrte Feldmarschall Karl Graf von Batthyány, Nachfolger des am 5. Juli 1749 verstorbenen Harrach in der Geheimen Konferenz, rechnete für diesen Fall sogar mit einem preußischen Präventivschlag. Er riet daher, keine Unterhandlungen mit Frankreich zu beginnen, ehe nicht Österreich seine Armee und seine Finanzen wieder in Ordnung gebracht habe. Angesichts der unkalkulierbaren Risiken des neuen Kurses empfahl die Konferenz zunächst keine konkreten diplomatischen Schritte. Doch gegen eine Verbesserung des politischen Klimas sprach nichts und so empfing die Kaiserin den neuen Botschafter Frankreichs, Louis Augustin Blondel, mit besonderer Aufmerksamkeit. Tatsächlich konnte der Franzose in seinen Berichten nach Versailles damit prahlen, dass er zu sämtlichen vertrauten Hoffesten geladen worden sei und, obwohl im Range unter ihnen stehend, mit den Botschaftern des Vatikans, Großbritanniens und der Niederlande von der Kaiserin auf eine Stufe gestellt worden sei.112

König Ludwig XV. revanchierte sich mit einer ebenso herzlichen Aufnahme des Grafen Kaunitz, der als neuer Botschafter Wiens im November 1750 in Fontainebleau eingetroffen war. Den argwöhnischen Vertretern Preußens war der Stimmungswandel zwischen den beiden alten Rivalen nicht entgangen. Friedrichs Geschäftsträger in Versailles, Freiherr Christoph Heinrich von Ammon, bemühte sich dann auch nach Kräften, Kaunitz am französischen Hof zu desavouieren. Persönliche Kälte, Hypochondrie und eine selbst für diese Epoche auffallende Eitelkeit prägten nach seinen Beschreibungen den neuen österreichischen Gesandten. Derartige Verleumdungen wirkten umso mehr, da sie einen wahren Kern enthielten.113

Trotz der freundlichen Aufnahme fand Kaunitz im Kreis der französischen Minister vorerst nur wenig Resonanz für seine Idee einer französisch-österreichischen Allianz. Zu groß waren das Misstrauen gegenüber Wien und eine geradezu sentimentale Anhänglichkeit an Preußen, was Kaunitz zu der sarkastischen Bemerkung veranlasste, dass der Hohenzollernstaat tatsächlich der einzige Verbündete der französischen Krone sei, den sie nicht bezahlen müsse.114 Nicht einmal die Ernennung des Erzherzogs Joseph zum Römischen König wollte Versailles gegen Friedrichs Willen unterstützen. Lediglich Adrien Maurice, der Herzog von Noailles und Mitglied des königlichen Geheimkabinetts, teilte die Einschätzung des Österreichers. Nicht mehr in Wien, sondern in London sah er den neuen Hauptfeind Frankreichs. In einem an König Ludwig gerichteten Memorandum wies er darauf hin, dass London an den europäischen Verhältnissen kein wirkliches Interesse mehr habe, sondern nur darauf hinarbeite, Frankreichs Kolonien und seinen Handel in seinen Besitz zu bringen.115

Kaunitz war zunächst durch eine mehrmonatige Krankheit an der Ausübung seiner Geschäfte gehindert gewesen und rang sich, nachdem er wieder genesen war, zu einem ernüchternden Bericht an die Kaiserin durch. Obwohl noch kein halbes Jahr auf seinem Posten, erklärte er im Mai 1751 unumwunden, dass sein Plan einer französisch-österreichischen Allianz zur Wiedereroberung Schlesiens nicht zu realisieren sei. Österreich könne sich nicht auf Dauer gegen Frankreich und Großbritannien stellen, die beide Preußen ausdrücklich den Besitz Schlesiens garantiert hatten. Daher müsse sich auch das Kaiserhaus mit dem Verlust dieser schönen Provinz abfinden und, so schwer es auch falle, zu einem Ausgleich mit dem König von Preußen kommen. Nur dann könne es wieder außenpolitischen Spielraum erlangen.116 Die Kaiserin mochte sich zwar der Ansicht ihres Botschafters nicht anschließen, nahm ihm seine Freimütigkeit jedoch nicht übel. Als Kaunitz zwei Jahre später Frankreich wieder verließ, wartete die Position des Staatskanzlers auf ihn. Zwar hatte er persönlich die ungeteilte Wertschätzung des Versailler Hofes als Gewinn verbuchen können, doch in der Sache selbst hatte er keine Fortschritte erzielt.

Erst die Entwicklung in Nordamerika und der eskalierende Streit um das Ohiotal, einer Region, die in Kaunitz’ Kalkülen nie eine Rolle gespielt hatte, sollte Frankreich schließlich an die Seite seiner Kaiserin bringen.

Der Krieg vor dem Krieg – Der britisch-französische Streit um das Ohiotal

Während der Verhandlungen in Aachen waren längst nicht alle strittigen Punkte zwischen den Konfliktparteien ausgeräumt worden. Die finanzielle Not und die allgemeine Kriegsmüdigkeit hatten jedoch Großbritannien und Frankreich zu einem Kompromissfrieden genötigt. Die Klärung noch offener kolonialer Fragen war einer späteren einvernehmlichen Regelung überlassen worden. Darunter fiel auch die Festlegung der genauen Grenzen beider Mächte im nordamerikanischen Ohiotal. Zum ersten Mal war damit der Name dieser entlegenen Region auf dem Gebiet der heutigen vier Bundesstaaten West-Virginia, Ohio, Kentucky und Illinois in einem europäischen Vertragswerk erwähnt worden.

Die Bezeichnung »Ohio« stammte von dem Seneca-Wort für »schönes Ufer«. In Anknüpfung daran nannten es die Franzosen La belle Rivière. Ursprünglich war das Ohiotal eine kaum bewohnte Wildnis gewesen und hatte daher den Architekten der großen europäischen Politik nur wenig Kopfzerbrechen bereitet. Seit den 1720er-Jahren waren jedoch die Stämme der Shawnee, Delaware, Mingo und Seneca in das ausgedehnte Gebiet zwischen Eriesee und Appalachen eingewandert und hatten bald weiße Händler beider Seiten angezogen, die versuchten, den Indianern europäische Waren gegen Felle oder Häute zu verkaufen.

Gemäß dem Artikel XVIII des Aachener Vertrages sollte der endgültige Grenzverlauf der französischen und britischen Zonen durch eine gemeinsame Kommission bestimmt werden. Sie trat auch tatsächlich zwei Jahre später zusammen, erzielte aber kaum nennenswerte Fortschritte. Zu hinderlich waren das Misstrauen auf beiden Seiten, Sprachbarrieren in Detailfragen und endlose Dispute über barocke Rangfolgen. Das einseitige Vorgehen der Franzosen im Ohiotal erboste schließlich im Sommer 1754 Thomas Pelham-Holles, den Herzog von Newcastle so sehr, dass er das Projekt bereits beerdigen wollte. Er habe genug von diesen Verhandlungen mit den Franzosen, die zu nichts führten, schrieb der erste Minister König Georgs II. an Willem van Keppel, den 2. Lord Albemarle und Botschafter Großbritanniens in Versailles. Jetzt müsse man sich endlich verteidigen und versuchen, verlorene Positionen wiederzugewinnen.117

Im Vergleich zu den britischen Neuengland-Staaten wirkte das französische Kolonialreich in Nordamerika, das in seiner Gesamtheit La Nouvelle France genannt wurde, gewaltig, ja geradezu übermächtig. Zur Zeit des Aachener Friedens reichte es in einem weiten Halbkreis von der Mündung des Mississippi über Illinois, die Großen Seen und den St.-Lorenz-Strom bis an die Spitze von Neufundland. Großbritanniens Kolonialbesitz war dagegen auf einen Küstenstreifen von Maine bis Georgia beschränkt und verständlicherweise wuchs in London mit jedem neuen Schub an europäischen Auswanderern der Unmut darüber, dass die notwendige Expansion nach Westen durch Frankreichs Ansprüche blockiert wurde.

Wie ihre britischen Rivalen hatten sich die Franzosen als koloniale Nachzügler erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts dauerhaft in der Neuen Welt engagiert. Ein Jahr, nachdem sich die Engländer in Virginia festsetzen konnten, glückte es 1608 dem Geografen, Forschungsreisenden und Abenteurer aus La Rochelle, Samuel de Champlain, an der Mündung des St.-Lorenz-Stroms mit einigen Dutzend Siedlern den mörderischen Winter zu überstehen. Damit hatte er zugleich auch den Grundstein für die spätere Stadt Quebec gelegt. In den folgenden Jahren konnten flussaufwärts mit Montreal und Trois Rivières zwei weitere französische Stützpunkte ausgebaut werden. Bis zu seinem Tod im Jahre 1635 blieb Champlain der erste Gouverneur des französischen Gebietes am St.-Lorenz-Strom, das im Auftrag von Kardinal Richelieu, dem damals leitenden französischen Minister, vorerst von einer privaten Kapitalgesellschaft, der Compagnie de cent associés, verwaltet wurde.118 Da aber die Entwicklung der Kolonie stagnierte, war sie schon bald nach dem Beginn der persönlichen Herrschaft Ludwigs XIV. im Jahre 1663 direkt der französischen Krone unterstellt worden. Über das Geschick Neufrankreichs entschied seither das Finanzministerium in Paris. Minister Jean Baptiste Colbert hatte die strategische Bedeutung Kanadas vollkommen erkannt und betrieb daher mit viel Geld und Tatkraft Frankreichs Expansion in Nordamerika, schickte Siedler sowie Geld und versuchte, Handel und Gewerbe zu fördern.119 Nicht ohne Erfolg. Während seiner 20-jährigen Amtszeit verdreifachte sich immerhin die Zahl der französischstämmigen Bewohner Kanadas und Acadias, dem heutigen Neu-Schottland, auf mehr als 10 000. Doch Colberts hochgesteckte Erwartungen erfüllten sich nicht ganz. Frankreichs Kolonialreich in Nordamerika blieb bis zu seinem vollständigen Verlust im Siebenjährigen Krieg von den regelmäßigen Zuwendungen des Mutterlandes abhängig.

 

Immerhin glückte den Franzosen noch in den 1670er-Jahren ein lebenswichtiges Neutralitätsabkommen mit den Iroquois. Die sogenannten Fünf Nationen bildeten die mächtigste Stammesvereinigung der Indigenen in Nordamerika und beherrschten das Gebiet der Großen Seen. Lange hatten sie sich gegenüber den Franzosen feindselig verhalten und erst wenige Jahre zuvor im Zuge einer tödlichen Fehde die Stämme der Huronen, Frankreichs bis dahin wichtigste Verbündete im Bereich der Großen Seen, fast gänzlich vernichtet. Die Vertreter der Iroquois waren jedoch peinlich darauf bedacht, trotz des neuen Abkommens nun nicht selbst als Alliierte der Franzosen an die Stelle der Huronen zu treten. Sie sahen vielmehr in einer Neutralität gegenüber den beiden rivalisierenden europäischen Mächten das beste Mittel, ihre Unabhängigkeit zu wahren.

Von Anfang an hatte sich die französische Kolonialpolitik in Nordamerika auf eine enge Kooperation mit den Indianern gestützt. Mit regelmäßigen Geschenken gelang es den Franzosen, die Stammeschefs weitgehend zur Loyalität zu bewegen. Die Vertreter eines barocken Frankreichs, das sich in Europa gerne als Speerspitze der Zivilisation inszenierte, zeigten auch keinerlei Scheu, sich auf die Sitten und Gepflogenheiten der mit ihnen verbündeten Indigenen einzulassen. Oft übernahmen sie sogar deren Tracht, heirateten indianische Frauen und eigneten sich vor allem die indianische Kampfweise an. Mit einer Engelsgeduld ließen die Franzosen bei Verhandlungen die oft Tage dauernden Zeremonien der Eingeborenen über sich ergehen und vereinzelt nahmen sie sogar an kannibalischen Riten teil.120

Eine neue Qualität erreichte das amerikanische Neufrankreich, als es in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts dem frankokanadischen Admiral Pierre Le Moyne d’Iberville glückte, sich mit seinen Männern im Mississippidelta festzusetzen und die Kolonie La Louisiane zu gründen. Von der Küste aus stießen französische Abenteurer und Forscher rasch nach Norden über Illinois, dem Pays d’en Haut, zu den Großen Seen vor. Dort hatte bereits im Jahre 1701 Antoine Laumet Lamothe Cadillac zwischen Huron- und Eriesee das Fort Detroit gegründet. Damit waren die britischen Neu-England-Staaten vollkommen umfasst.

Im Unterschied zu dem französischen Territorium, das trotz seiner imponierenden Ausdehnung um die Mitte des 18. Jahrhunderts nicht mehr als 100 000 französischstämmige Einwohner aufwies, waren die 13 britischen Kolonien im Süden vergleichsweise dicht besiedelt. Zur Zeit des Aachener Friedensschlusses lebten zwischen Maine und Georgia bereits etwa 1,2 Mio. Menschen, wozu allerdings auch 200 000 schwarzafrikanische Sklaven zählten. Nicht allein die günstigeren klimatischen Bedingungen an der amerikanischen Ostküste hatten dazu beigetragen, dass in dem Vierteljahrhundert seit dem Utrechter Frieden (1713) sich die Bevölkerung Neuenglands fast verdoppelt hatte. Es hatte in den Neuengland-Staaten auch niemals im scharfen Gegensatz zu den französischen Gebieten eine vom Mutterland gesteuerte Religionspolitik zugunsten einer einzigen Konfession gegeben. Die Bewohner der britischen Territorien unterschieden sich daher auch untereinander sehr stark in rechtlicher, religiöser und ethnischer Hinsicht. Auch gab es erhebliche Unterschiede in den Ökonomien. Im Süden überwog die Plantagenwirtschaft, im Norden Schiffbau und Fischfang, insgesamt war die Wirtschaft Neuenglands aber von Handwerk, Kleingewerbe und einer der Selbstversorgung dienenden Landwirtschaft geprägt. Ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor war auch der von den Briten nur nachlässig verfolgte Schmuggel.

Einen Sonderfall im britischen Herrschaftsbereich bildete das Gebiet von Neuschottland, das Frankreich im Frieden von Utrecht 1713 mit seiner rein katholischen Bevölkerung an Großbritannien hatte abtreten müssen. Es wurde niemals Teil der Neuengland-Staaten, selbst als London im Jahre 1755 verfügte, sämtliche frankofonen Bewohner der Halbinsel nach Süden zu deportieren, um dort neue britische Auswanderer anzusiedeln.121 Offiziell zuständig für sämtliche Neuengland-Staaten war das Board of Trade in London. Eine durchsetzungsfähige britische Verwaltung existierte allerdings nicht, und was im Laufe der Jahre an Gesetzen verabschiedet worden war, bildete ein kaum kohärentes Flickwerk aus zufälligen Initiativen oder durch aktuelle Nöte erzwungene Verordnungen.

Sieben der Neuengland-Staaten unterstanden direkt der Krone und wurden von einem Gouverneur des Königs im Zusammenwirken mit den beiden Kammern der Kolonien verwaltet, Pennsylvania, Delaware und Maryland waren dagegen sogenannte Eigentümerkolonien, die den Gründerfamilien, den Penns und Calverts, als eine Art Lehen überlassen worden waren. Rhode Island und Connecticut wiederum waren Charterkolonien im Besitz von Handelsgesellschaften.122 Die vom König ernannten Gouverneure waren selten oder sogar nie in ihrem Amtsbereich anzutreffen. Gewöhnlich überließen sie die politischen Geschäfte ihren Stellvertretern, die wie etwa der Gouverneur von Virginia, Robert Dinwiddie, eine beträchtliche Eigeninitiative entwickeln konnten.

Gegenüber den Franzosen in Kanada fanden die Neuengland-Staaten nie zu einer einheitlichen Politik. Auch ihre in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Konvente führten selten zu einer Einigung. Selbst wenige Jahre nach Ausbruch des Siebenjährigen Krieges konnte sich der Verleger, Naturforscher und spätere Diplomat Benjamin Franklin nicht vorstellen, dass sich die so unterschiedlichen Kolonien jemals gemeinsam gegen das britische Mutterland erheben könnten. Zu groß seien die Eifersucht und das Misstrauen untereinander.123

Den Nachteil mangelnder Einheitlichkeit konnten die 13 britischen Kolonien jedoch bei Weitem durch ihre dynamische Bevölkerungsentwicklung ausgleichen. Das Augenmerk virginischer oder pennsylvanischer Bodenspekulanten richtete sich daher schon länger auf das kaum besiedelte Ohiotal jenseits der Appalachen, das eine Goldgrube zu werden versprach. Dass das Gebiet auch von dem Verband der Iroquois beansprucht wurde, störte nicht weiter. Seit dem im Juli 1744 in Lancaster mit den »Fünf großen Stämmen« geschlossenen Vertrag glaubten die Vertreter der drei beteiligten Neuengland-Staaten Virginia, Pennsylvania und Maryland, dass die Indianer die Oberhoheit des britischen Königs über das gesamte Tal anerkannt hätten, was ihnen freie Hand versprach.124 Schon ein Jahr darauf hatte sich in Pennsylvania die Ohio-Gesellschaft gegründet und sogleich begonnen, die südlich der Großen Seen lebenden Indianer durch Verträge und günstige Handelskonditionen auf ihre Seite zu ziehen. Auch entstanden in Piccawillany am Miami-Fluss und bei Logstown große Handelsstationen, die zusätzlich militärisch befestigt wurden.125

Die Franzosen waren alarmiert. Zwar schien das Ohiotal für sie weder ökonomisch noch verkehrstechnisch von großer Bedeutung. Ihre lebenswichtigen Handelsverbindungen mit Illinois und den Siedlungen entlang des Mississippi konnten sie leicht auf den besseren nördlicheren Routen über den Eriesee aufrechterhalten, und an eine dauerhafte Inbesitznahme des Landes war mangels französischer Siedler ohnehin nicht zu denken.

Doch strategisch gesehen war das Ohiotal der Pfropfen auf der Flasche, der die dynamische Entwicklung der Neuengland-Staaten wenigstens eine Zeit lang zu bremsen versprach. Der französischen Krone kam es daher vor allem darauf an, zu verhindern, dass britische Kolonisten in großer Zahl über die Appalachen drängten und die im Ohiotal lebenden Indianer als Alliierte gewannen. Ginge das Gebiet tatsächlich verloren, wäre auch der französische Besitz an den großen Seen ernsthaft bedroht.

Gelänge es nicht, Neufrankreich zu behaupten, so hieß es in einer Denkschrift, die im Dezember 1750 am französischen Hof kursierte, würden über kurz oder lang auch die lukrativen französischen Besitzungen in der Karibik, San Domingo und Martinique dem britischen Expansionsdrang zum Opfer fallen. Der Verfasser des Memorandums war der französische Admiral Roland Michel Barrin, Comte de la Galissionière, der zuvor zwei Jahre lang in Quebec den in britische Gefangenschaft geratenen Jacques-Pierre de Taffanel, Marquis de la Jonquière, als Gouverneur ersetzt hatte. Der drohende Verlust der riesigen Einnahmen aus dem karibischen Zuckerrohr- und Tabakgeschäft würde, so La Galissionière, unweigerlich die Finanzen Frankreichs zerrütten und den Unterhalt einer schlagkräftigen Flotte unmöglich machen. Frankreichs Schicksal entschiede sich daher nicht mehr in Belgien oder am Rhein, sondern in Übersee. Damit vertrat der Admiral bereits ganz offen eine globale Strategie, die Europa in einem zukünftigen Krieg nur noch die Rolle eines Nebenschauplatzes zuwies.126

Zur Stärkung Neufrankreichs gegenüber den Briten entwickelte La Galissionière einen dreistufigen Plan, nachdem zunächst die Kette französischer Stützpunkte auch unter Einbeziehung des Ohiotals verdichtet werden müsse. Außerdem sollten mit attraktiven Landzuteilungen Franzosen, und vor allem Frauen, selbst solche von zweifelhaftem Ruf, aus dem Mutterland bewogen werden, sich in Neu-Frankreich anzusiedeln. Die Verträge mit den Indianern müssten erneuert und die Anstrengungen, sie als Bundesgenossen wieder auf die eigene Seite zu ziehen, intensiviert werden.127

Im Vorgriff auf die Ergebnisse der in Aachen beschlossenen Grenzkommission hatte La Galissionière im Juli 1749, wenige Wochen vor seiner Abberufung, eine Expedition beauftragt, die französischen Ansprüche auf das Ohiotal zu bekräftigen. Eine beeindruckende Demonstration französischer Macht war der Zug allerdings nicht. Die tapfere Kolonne aus 200 französischen Milizionären und 30 Indianern legte unter der Führung des Hauptmanns Pierre-Joseph Céloron de Blainville in vier Monaten immerhin 3000 Meilen zurück und händigte allen britischen Händlern, denen sie unterwegs begegnete, einen von Blainville verfassten Brief aus, in dem die Besitzansprüche König Ludwigs XV. auf das Ohiotal bekräftigt wurden. Gerade zu rührend wirkte der Versuch der Franzosen, mit bleiernen Plaketten, die an herausragenden Plätzen an Bäume genagelt wurden, Neufrankreichs neue Grenzen im Ohiotal zu markieren.

Blainvilles abschließender Bericht an den inzwischen auf seinem Posten eingetroffenen La Jonquière fiel gleichwohl ernüchternd aus. Die britische Landnahme im Ohiotal schreite unaufhaltsam voran und selbst bisher befreundete Indianerstämme wie die Miami seien ihnen kühl, teils sogar feindselig begegnet. Die Händler der Ohio-Gesellschaft, so Blainville, stachen inzwischen ihre französischen Wettbewerber mit konkurrenzlos günstigeren Preisen aus.128

Die Berichte aus Kanada versetzten den französischen Hof in große Unruhe. Hatte Frankreich nicht eben erst ganz Belgien, eine der am meisten entwickelten und reichsten Regionen Europas, um die Ludwig XIV. ein halbes Jahrhundert Krieg geführt hatte, an Großbritannien zurückgegeben, um Louisbourg zurückzuerhalten, das auf einer öden Insel im Atlantik lag? Doch das kleine Louisbourg beherrschte den St.-Lorenz-Golf und schützte damit ganz Kanada. Nun schien durch die scheinbar stetig wachsende Dominanz der Briten im Ohiotal Frankreichs Einfluss in Nordamerika aus einer anderen Richtung bedroht.

 

Die britischen Händler mussten um jeden Preis aus dem Ohiotal verschwinden und der mit ihnen Handel treibende Stamm der Miami-Indianer durch eine spektakuläre Aktion bestraft werden.

Gouverneur La Jonquière entschloss sich daher, Piccawillany, die größte Siedlung der Miami am gleichnamigen Fluss anzugreifen und die dort befindliche Handelsniederlassung der Briten zu zerstören. Das sollte alle anderen Stämme im Ohiotal davon abhalten, sich mit den britischen Rivalen einzulassen. Die Zeit der bleiernen Plaketten war endgültig vorbei.

Am 21. Juni 1752 überfiel eine gemischte Gruppe von 200 Chippewa- und Ottawa-Indianern sowie 30 Milizionären aus Detroit unter Führung von Charles Michel Mouet de Langlade die Handelsniederlassung in Piccawillany am Miami-Fluss, einem nördlichen Nebenlauf des Ohio, und brannte sie vollständig nieder. Nachdem ein gefangener englischer Händler sowie ein Anführer der Miami, der von den Franzosen »La Demoiselle« genannt wurde, von den indianischen Alliierten der Franzosen vor den Augen der entsetzten Verteidiger verspeist worden war, kapitulierte der Rest und durfte unbehelligt abziehen. Auf Briten und Miami wirkte Langlades brutale Aktion wie ein Schock, und genau dieser Effekt war auch gewollt. Nachdem die Führer der Miami vergeblich in Virginia und Pennsylvania um Unterstützung gebeten hatten, blieb ihnen keine andere Wahl, als sich wieder auf die Seite der Franzosen zu schlagen.

Wenige Wochen später traf ein neuer Generalgouverneur für Kanada als Ersatz für den inzwischen verstorbenen La Jonquière in Quebec ein.

Ange de Menneville, Marquis Duquesne, ein 52-jähriger Marineoffizier, hatte vom Hof in Versailles den Auftrag erhalten, jede nur erdenkliche Anstrengung zu unternehmen, die Briten aus dem Ohiotal zu vertreiben und den dort lebenden Indianern klarzumachen, dass sie zwar mit den Briten Handel treiben könnten, nicht aber auf französischem Territorium.129 Damit war unwiderruflich der Weg zum Krieg beschritten. Duquesne war wie sein Vorgänger und Förderer La Galissionière ein Falke, der jedes Zurückweichen vor Großbritannien strikt ablehnte. Duquesne hegte auch keinerlei Zweifel an einer erneuten großen Auseinandersetzung mit dem alten Rivalen und war entschlossen, die militärischen Vorbereitungen dazu energisch voranzutreiben. Gleich nach seiner Ankunft setzte er für sämtliche 165 Kompanien der kanadischen Miliz wöchentliche Übungen an.

Duquesnes Plan zur Sicherung des Ohiotals bestand darin, in rascher Folge vier neue Forts anzulegen. Noch im Herbst 1752 brach eine für kanadische Verhältnisse beachtliche Expedition von 2000 Mann unter Führung von Pierre Paul Martin nach Süden auf. Als sich neun Monate später im Sommer 1753 nur noch 800 Mann in Montreal zurückmeldeten, waren immerhin drei der geplanten Befestigungen vollendet. Auf einer Halbinsel am Südufer des Eriesees erhob sich inzwischen das Fort Presque Isle, etwa 20 Kilometer südlich am Rivière aux boeufs, der auch als French Creek bezeichnet wurde, war eine zweite Befestigung entstanden. Ein drittes Fort (Machault) befand sich noch weiter südlich am Zusammenfluss von French Creek und Allegheny. Am Forks of Ohio, der Ohio-Gabelung, wo sich Allegheny und Monongahela zum Ohio vereinigten, sollte im folgenden Jahr das letzte französische Fort genau an jener Stelle entstehen, an der auch die Ohio-Kompanie eine befestigte Handelsniederlassung geplant hatte.

In London verfolgte man die Entwicklung in Nordamerika mit Sorge. Fast sämtliche Politiker des etwa 30-köpfigen Beratergremiums König Georgs II., darunter auch die führenden Männer wie der Herzog von Newcastle oder George Montagu Dunk, der 2. Lord von Halifax, waren von jeher gegenüber Frankreich voreingenommen und sahen nun ihre Ansichten durch Duquesnes Vorgehen im Ohiotal bestätigt. Es sei die volle Wahrheit, dass Frankreich ganz Nordamerika für sich beanspruche und die britischen Kolonien auf den Küstenstreifen beschränken wolle, aus dem es diese im Kriegsfall jederzeit vertreiben könne, schrieb Newcastle an Lord Albemarle, den britischen Botschafter in Versailles.130 Am 21. August 1753 entschloss sich das britische Kabinett, sämtliche Gouverneure Neu-Englands zu Verteidigungsmaßnahmen gegen jeden gewaltsamen französischen Versuch einer Grenzverletzung zu ermächtigen. Ohne eine genau fixierte und von beiden Mächten anerkannte Grenze im Ohiotal konnte dieser Schritt jedoch nur zu einer weiteren Eskalation der angespannten Lage führen.

Im Konflikt um das Ohiotal schienen sich die Kabinette beider Seiten zunächst darauf zu beschränken, ihre lokalen Vertreter in den Kolonien damit zu beauftragen, einseitige Lösungen vor Ort durchzusetzen und zu hoffen, dass die so geschaffenen Fakten die Gegenseite rasch zum Einlenken bringen würden. So entwickelten die Streitigkeiten eine Dynamik, die bald niemand mehr kontrollieren konnte. Obwohl man in London wie auch Versailles die Angelegenheit durchaus ernst nahm, überließ man die Frage über Krieg und Frieden in Nordamerika in einer Mischung aus Nachlässigkeit und Selbstüberschätzung dem Ermessen nachrangiger Persönlichkeiten wie dem Marquis de Duquesne oder Robert Dinwiddie, dem stellvertretenden Gouverneur von Virginia. Keiner der maßgebenden Politiker in Frankreich oder Großbritannien übersah dabei die Gefahr, dass der transatlantische Konflikt um das Ohiotal auch auf Europa überspringen könnte, und obwohl man auf beiden Seiten des Kanals für einen neuerlichen kontinentalen Krieg in keiner Hinsicht wirklich vorbereitet war, steuerte man mit einer gewissen Nonchalance genau darauf zu.