Preußen bewegt die Welt

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Schlachten statt Manöver – Die europäischen Armeen im Ancien Régime

Die Westfälischen Friedensverträge von 1648 markierten den Beginn einer der unfriedlichsten Abschnitte der europäischen Geschichte vor 1914. Der amerikanische Historiker Russell Weigley sprach sogar von einer Epoche der Schlachten und die blutige Statistik gibt ihm Recht.39 Allein der Spanische Erbfolgekrieg zählte in nur zwölf Kriegsjahren 35 größere Gefechte oder Belagerungen mit mehr als 5000 Beteiligten auf beiden Seiten. Wie kam es aber, dass nach dem mörderischsten Krieg seiner Geschichte trotz der ernsthaftesten Absichten aller Beteiligten kein wirklicher Friede in Europa möglich war?

Die Vertragsparteien von Münster und Osnabrück hatten an die Stelle der traditionellen Hegemonie der beiden habsburgischen Mächte Österreich und Spanien ein System grundsätzlich gleichberechtigter Staaten gesetzt. Das dahintersteckende Konzept eines Gleichgewichts der Mächte verminderte jedoch keineswegs die politischen Spannungen in Europa. Tatsächlich löste es einen beispiellosen Militarisierungsschub aus.

Schon bald nach 1648 galten barocke Prachtentfaltung und stehende Heere als unverzichtbare Attribute fürstlicher Souveränität. Unbestrittenes Vorbild der in Münster und Osnabrück politisch aufgewerteten Reichsfürsten war das absolutistische Frankreich. Wer als neue Mittelmacht wie Brandenburg oder Bayern auf Dauer eine größere Truppenzahl unter seinen Fahnen halten konnte, war bündnisfähig und konnte seither auf Subsidien der europäischen Vormächte rechnen. Der Landgraf Karl von Hessen-Kassel vermietete 1727 sogar seine gesamte Armee, immerhin 12 000 Mann, an König Georg II. von Großbritannien.40

Der neue miles perpetuus, wie ihn etwa in Österreich der Feldmarschall Raimondo di Montecuccoli propagierte, galt auch als probates Heilmittel gegen die noch lange beklagten Auswüchse enthemmter Landsknechthaufen während des Dreißigjährigen Krieges.41 Eiserne soldatische Disziplin, durchgesetzt von Offizieren mit einem neuen professionellen Ethos, Vereinheitlichung von Bewaffnung und Monturen sowie unverbrüchliche Treue zum Herrscherhaus bildeten seither das Ideal des Heerwesens im Ancien Régime. Die offizielle Fürstenrhetorik in den anderthalb Jahrhunderten zwischen Westfälischem Frieden und Französischer Revolution gefiel sich im Bild einer angeblich neuen und moderaten Kriegführung. Charakteristisch dafür ist wohl die Behauptung Friedrichs II. von Preußen in seinem Politischen Testament von 1768, dass die Kriege inzwischen den »friedlichen Bürger in seiner Behausung« kaum noch behelligten. Würde er es nicht aus den Kriegsberichten erfahren, so wüsste der Bürger gar nicht, dass sein Land Krieg führe.42 Allerdings schien er dabei schon vergessen zu haben, dass er selbst nur zehn Jahre zuvor, während er in allerbester Laune in seinem Feldlager vor Olmütz mit seinem Vorleser Henri de Catt Tanzschritte übte, seine Reiterei zum Brandschatzen in die Gebiete von Bamberg und Würzburg geschickt hatte.43 Das gern bemühte Bild einer neuen moderaten Kriegführung, einer honnêteté, von der angeblich, wie es der französische Marschall Charles Louis Fouquet, der Herzog von Belle-Isle, behauptete, jedermann profitierte,44 war nicht mehr als eine höfische Mär. Sie diente der Selbstinszenierung der absolutistischen Fürsten als treu sorgende Landesväter, die das Völkerrecht achteten und dem Wohl der Menschheit dienten. Tatsächlich zeigten die Fürsten des Ancien Régime oft selbst keinerlei Skrupel, wenn es ihnen nutzte, ihre Truppen zum Plündern und Brandschatzen loszuschicken.45 An die durch den Hof von Versailles autorisierten Untaten des Ezéchiel du Mas, Comte de Mélac während des Pfälzischen Erbfolgekrieges erinnerten sich die geplagten Bewohner der Pfalz und Württembergs noch ebenso lange wie die Untertanen des bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht, die 1741 von den Kroaten ihrer katholischen Majestät Maria Theresia heimgesucht wurden.46 Der französische Marschall Louis François Armand de Plessis, Herzog von Richelieu, dessen Armee im Sommer 1757 die Weser überschritt und das Kurfürstentum Hannover besetzte, erwarb sich in Nordwestdeutschland rasch den wenig schmeichelhaften Spitznamen »eines Vaters der Marodeure, der seine Soldaten um ihren Sold betrog und sie zum Plündern zwang«.47

Die Monopolisierung von Kriegsgräueln auf allerhöchsten Befehl war nur eine Facette des absolutistischen Herrschaftssystems, das bemüht war, aus den kaum zu kontrollierenden Kriegshaufen des Dreißigjährigen Krieges allmählich schlagkräftige Instrumente seiner Politik zu formieren. Der Aufbau zuverlässiger Streitkräfte erwies sich allerdings als mühevoller Prozess, der in den einzelnen Staaten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit vorankam. So bestimmten in den österreichischen Erblanden und in Ungarn die Landstände noch lange über die Zahl der zu stellenden Truppen und die Höhe der Geldbewilligungen. Selbst in Preußen stießen die drakonischen Reformen des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelms I. (1713–1740) anfangs auf den beharrlichen Widerstand von Adel und Bevölkerung, bis das Kantonreglement von 1733 einen dauerhaften Interessenausgleich zuwege brachte.48

Die Genese dieser neuartigen bewaffneten Macht vollzog sich immer auch als Subprozess einer vormodernen Staatenbildung. Der neue absolutistische Fürst mit seinem wachsenden Korps professioneller Beamter verdrängte nach und nach die Aristokratie aus ihrer politischen Funktion. Einzig auf regionaler Ebene behielt sie noch lange ihre traditionelle Rolle.

An die Stelle adliger Militärunternehmer, die ihre Söldner bisher gegen eine Pauschalzahlung rekrutiert, bewaffnet und geführt hatten, traten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts staatliche Militärbürokratien. Sie sorgten für regelmäßigen Sold, Verpflegung und Unterbringung der Truppen, von denen ein erheblicher Teil nun auch nach Ende der Feindseligkeiten nicht mehr entlassen wurde. Eine nach rationalen Prinzipien gestaltete Heeresorganisation, die Ludwig XIV. ganz in die Hände ziviler Beamter gegeben hatte, erlaubte den Souveränen immer größere Armeen im Krieg unter Waffen zu halten.

Als bedeutendste Militärmacht Europas konnte Frankreich bei Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges mehr als 300 000 Soldaten ins Feld stellen, rüstete aber nach den Friedensschlüssen von Utrecht und Rastatt nach einem halben Jahrhundert stetigen Wachstums erstmals drastisch ab. Zu Beginn des Österreichischen Erbfolgekrieges 1740 standen nur noch 160 000 Mann unter dem Lilienbanner.49 Das viel kleinere Brandenburg-Preußen konnte 1713 bereits 40 000 Mann aufbieten und verdoppelte bis 1740 seine Mannschaftsstärke. In der europäischen Staatenwelt blieb Preußen damit die Ausnahme und verdankte seine überdimensionierte Armee wohl auch der kindischen Vorliebe König Friedrich Wilhelms I. für alles Militärische und die darin verkörperte Ordnung.50

Die beträchtlichen Geldmittel für das neue Instrument absolutistischer Politik mussten die Fürsten überall ihrem selbstbewussten Adel, den sogenannten Landständen, in schwierigen Verhandlungen abringen. Die ständige Geldnot zwang schließlich Potentaten wie Friedrich Wilhelm I. von Preußen, auch neue Finanzierungsquellen zu erschließen. So erwiesen sich außer Zöllen die neuen Verbrauchssteuern auf Güter des täglichen Bedarfs (Akzisen) als ertragreichste Möglichkeit staatlicher Einnahmeverbesserung. Voraussetzung war jedoch, dass Handel und Gewerbe stetige Zuwächse erzielten. Frankreich wirkte daher auch in der Wirtschaftsförderung als Vorbild für sämtliche Höfe Europas. Doch der Merkantilismus benötigte Arbeitskräfte und Steuerzahler. In einer Zeit, in der Seuchen und Hungersnöte dem Bevölkerungswachstum in Europa immer noch Grenzen setzten, trat somit die Ökonomie in scharfe Konkurrenz zu dem Menschenbedarf der stehenden Heere.

Die Herrscher des Ancien Régime bedienten sich verschiedener Strategien zur Lösung des Problems. Zunächst lag es auf der Hand, vor allem die unteren Schichten der männlichen Bevölkerung für die Armee anzuwerben. Tagelöhner, Vagabunden und Kleinkriminelle konnte der frühmoderne Staat leicht entbehren. Eine nicht unumstrittene Methode war auch die Anwerbung von Soldaten im Ausland. Jeder auf diese Art gewonnene Mann, so soll der französische Marschall Moritz von Sachsen erklärt haben, zähle im Grunde dreifach. Er sei ein Zuwachs für die eigene Armee, fehle dem Gegner als Soldat und würde ihm überdies noch als Steuerzahler ausfallen.51

Die Glorious Revolution in England und die Aufhebung des Nanter Toleranzediktes in Frankreich sorgten dafür, dass kontinentale Armeen seit dem Ende des 17. Jahrhunderts auch von den irischen, schottischen und hugenottischen Exilanten profitierten. Allein in der österreichischen Armee dienten zur Zeit des Siebenjährigen Krieges rund 30 Iren im Generalsrang und Kaiser Franz I. befand voller Anerkennung, dass irische Offiziere und Soldaten die Disziplin seiner Kriegsvölker insgesamt anheben würden.52 Bei Fontenay 1745 unterstand dem aus Deutschland stammenden Moritz von Sachsen sogar ein ganzes irisches Regiment, das sich mit dem Ruf »Remember Limerick« auf die verhassten Briten stürzte.53

Herrscher wie Karl XI. von Schweden oder Friedrich Wilhelm I. von Preußen beschritten daneben ganz neue Wege und führten – in Schweden mit dem Einteilungswerk und in Preußen mit dem Kantonsystem von 1733 – bereits eine Frühform der Wehrpflicht ein. Den Regimentern waren dadurch erstmals feste Rekrutierungsregionen, sogenannte Kantone, zugewiesen, die bei Verlusten Ersatzmänner zu stellen hatten oder wie im schwedischen Indelningswerket sogar die Kosten für die gesamte Ausrüstung tragen mussten.54

 

Bis zum Ende des Ancien Régime hielten jedoch fast alle Armeen Europas an einer Mischform mit hohem Ausländeranteil fest. In Preußen betrug er zu Friedenszeiten zwei Drittel der Gesamtstärke. 1751 waren es bereits 50 000 ausländische Soldaten bei einer Gesamtstärke von 133 000 Mann.55 In den Österreichischen Erbländern, wo man seit jeher mit einer multiethnischen Armee klarkommen musste, lag der Anteil der Soldaten, die nicht aus den Erblanden stammten, bei 20 Prozent. In Frankreich stammte ein Drittel der Soldaten aus dem Ausland.56 Schweizer, Pfälzer, Iren und Wallonen bildeten unter dem Lilienbanner oft sogar eigene Regimenter.57

In sämtlichen Armeen des Ancien Régime war Desertion ein ständiges Thema. Der Dienst war hart und eintönig, die Bezahlung dürftig. Der Drang, sich dem frühmodernen Zwangsstaat zu entziehen, war mindestens genauso verbreitet wie der Wunsch, die vergleichsweise lukrative Anwerbeprämie mehrfach einzustreichen. Misstrauen und Überwachungsmaßnahmen bestimmten nicht nur den militärischen Dienstbetrieb. Auch die Bürger in den Garnisonen und an den Landesgrenzen waren verpflichtet, Deserteure zu melden und möglichst festzunehmen. In Preußen mussten die betroffenen Gemeinden, die durch Kanonenschüsse alarmiert wurden, zivile Wachtrupps stellen, die 48 Stunden auf ihren Posten auszuharren hatten. Nach Michael Sikora wurde im 18. Jahrhundert kein militärisches Vergehen so intensiv verfolgt wie die Desertion. Die Strafen waren allerdings vergleichweise milde, erst wer beim dritten Mal gestellt wurde, musste mit der Erschießung rechnen.58 Allein während der Regierungszeit König Friedrich Wilhelms I. von Preußen zählte man 30 000 Deserteure. Auf Feldzügen erhöhte sich die Quote massiv, da sich beinahe täglich Gelegenheiten zur Flucht ergaben und Deserteure beim Gegner als Informanten hochwillkommen waren. So verlor die preußische Armee während des Siebenjährigen Krieges etwa 80 000 Soldaten durch Desertion, knapp 10 000 davon stammten allerdings aus den 1756 unter die preußischen Fahnen gepressten sächsischen Regimentern. Die Franzosen büßten während ihrer Feldzüge im Reich 70 000 Mann durch Desertion ein und die Österreicher immerhin noch 62 000 Mann.59

Das Offizierkorps der Infanterie und Kavallerie bestand durchweg aus Adligen, die aus ihrem militärischen Dienst ein neues Standesbewusstsein entwickelten. Bürgerliche Offiziere dienten gewöhnlich bei der Artillerie oder den Pionieren, die als technische Truppengattungen noch nicht sehr angesehen waren. In langen Kriegen konnte jedoch kaum eine Macht den Luxus eines rein adligen Offizierkorps aufrechterhalten. So dienten 1748 in der Armee Moritz’ von Sachsen immerhin 4000 bürgerliche Offiziere in den unteren Rängen.60 Im österreichischen Kaiserstaat stellten seit 1752 adlige und bürgerliche Kadetten jeweils die Hälfte eines Jahrgangs an der neuen Theresianischen Militärakademie.61 Schon zuvor konnte aber in der kaiserlichen Armee jeder bürgerliche Offizier spätestens am Ende seiner Dienstzeit unter dem Doppeladler mit der Nobilitierung rechnen. Es galt unter den adligen Offizieren keineswegs als ehrenrührig, in fremden Armeen zu dienen. Der Graf Claude Louis de Saint-Germain kämpfte in einem halben Dutzend europäischer Armeen, nachdem er Frankreich wegen eines Duells hatte verlassen müssen; er avancierte in der dänischen Armee zum Feldmarschall, ehe ihn Ludwig XVI. schließlich zum französischen Kriegsminister ernannte.62 In Preußen war dies dem einheimischen Adel allerdings verboten, bewährte ausländische Offiziere waren jedoch im Potsdamer Militärstaat durchaus willkommen.

In sämtlichen Heeren des Ancien Régime war das Regiment die zentrale militärische Organisations- und Verwaltungseinheit und wurde seit alters her von einem Oberst geführt. Auch nach dem Ausklingen des Landknechtwesens behielt der Kommandeur eines Regiments immer noch beträchtliche Kompetenzen. Er allein bestimmte, welche Anwärter ins Offizierkorps aufgenommen wurden, und profitierte, wie in Großbritannien oder Frankreich, während des gesamten 18. Jahrhunderts von der Praxis, Offizierpatente zum Kauf anzubieten. Auch in Preußen wurde noch lange die Fiktion aufrechterhalten, dass das Regiment seinem Chef gehörte. Bis in die Napoleonische Zeit trugen alle Regimenter den Namen ihres jeweiligen Inhabers, erst nach den umfassenden Militärreformen von 1808 erfolgte ihre Durchnummerierung.

Ein Infanterieregiment umfasste je nach Armee zwischen acht und zwölf Kompanien zu 150 Mann. Seine Sollstärke belief sich somit auf bis zu 1800 Infanteristen. Kavallerieregimenter bestanden gewöhnlich aus acht Eskadronen mit jeweils 100 bis 125 Reitern.

Meist waren die Infanterieregimenter in zwei Bataillone unterteilt, die im Gefecht die taktische Grundeinheit bildeten. In der Bataillonsaufstellung standen die Schützen in langen Gefechtslinien mit bis zu fünf Infanteriekompanien nebeneinander. Gewöhnlich zählte zu jedem Bataillon auch eine Kompanie aus Grenadieren. Ursprünglich im Belagerungskrieg eingesetzt, wobei sie hauptsächlich mit primitiven Handgranaten kämpften, bildeten die Grenadiere später mit ihren typischen spitzen Mützen im Feldheer aufgrund ihrer Größe und Erfahrung eine neue militärische Elite.

Zur direkten Verstärkung seiner Feuerkraft führte jedes Bataillon zwei bis drei leichte Geschütze mit, die Kugeln mit einem allmählich standardisierten Gewicht von drei Pfund verschossen. Aus den schweren zwölfpfündigen Geschützen, die auch als Belagerungsartillerie dienten, wurden häufig in der Schlacht große Geschützbatterien gebildet. Während der Schlacht von Leuthen (1757) setzte König Friedrich II. zwei solcher Batterien mit verheerender Wirkung ein. Die Artillerie verschoss zwei Arten von Munition. Auf weite Distanzen zwischen 600 und 1500 Metern wurden eiserne Vollkugeln verwendet, deren Wucht aus den dichtgedrängten Reihen der Infanterie ganze Gruppen von Männern wegreißen konnte und die grässlichste Verstümmelungen verursachten. Auf nahe Entfernung verwendete man Kartätschen oder Kanistergeschosse, deren Ladung aus Metallteilen oder Bleikugeln nach dem Austritt aus dem Rohr auseinanderspritzte und damit eine mörderische Splitterwirkung auf bis zu 50 Meter entfaltete.

Zwei wesentliche Verbesserungen verhalfen der Artillerie in den Dekaden vor dem Siebenjährigen Krieg zu größerer Feuerkraft und Schnelligkeit. So entwickelte der Schweizer Geschützgießer Johann Maritz um 1715 ein neues Verfahren, das es erlaubte, den Geschützblock auszubohren. Gegenüber der alten Technik des Gießens mit einem Hohlraum gewann man so glattere Läufe und erzielte zudem eine Gewichtsersparnis. Etwa zur selben Zeit ging die Artillerie auch dazu über, den Höhenwinkel der Geschütze mit einer Stellschraube einzurichten, was eine schnellere Schussfolge und genaueres Zielen ermöglichte.63

Die Infanterie kämpfte mit der glattläufigen Flinte, mit der ein halbwegs geübter Schütze noch Ziele bis auf 100 Meter Distanz treffen konnte. Im Verlauf des Spanischen Erbfolgekrieges waren in fast allen Armeen anstelle des witterungsabhängigen Luntenschlosses die zuverlässigeren Steinschlossgewehre eingeführt worden. Zur selben Zeit setzte sich auch das Bajonett durch, wodurch die Pike als klassische Waffe der Landsknechte endgültig außer Gebrauch geriet. In die Rohrmündung gesteckt oder später auch darunter befestigt, versetzte das Bajonett den Schützen in die Lage, Kavallerieangriffe ohne die Unterstützung von Pikenieren abzuwehren.64

Ein rollendes Salvenfeuer galt seit den Nassau-Oranischen Reformen zu Beginn des 17. Jahrhunderts als Ausweis hoher Ausbildungsqualität und Disziplin. Auf die Treffgenauigkeit kam es dabei gar nicht an. Die Feuerabgabe auf Kommando erlaubte ohnehin kein genaues Zielen. Schießübungen waren daher auch nicht vorgesehen und die Flinten der preußischen Infanterie besaßen nicht einmal eine Visiereinrichtung.65

Der entschlossene Angriff auf eine gegnerische Schützenlinie schien unter diesen Umständen nur ein begrenztes Risiko zu beinhalten. So konstatierte Moritz von Sachsen in seinen Einfällen über die Kriegskunst, er habe bei ganzen Salven in der Schlacht kaum vier Mann fallen sehen, und Armand Marie Jaques Chastenet, Marquis de Puységur gelangte zu dem Befund, dass nur Kugeln, die auf eine Distanz von unter 50 Meter abgefeuert würden, einigen Vorteil brächten.66 Bei Leuthen verursachte das Gewehrfeuer der Württembergischen Grenadiere kaum Schaden unter den preußischen Angreifern.67 Wenn Schwedens Kriegerkönig Karl XII. (1697–1718) ein Drittel seiner Kompanien noch mit der Pike angreifen ließ, geschah dies nicht nur aus Mangel an Flinten.68

Die Gefechtsaufstellung einer gesamten Armee von 30 000 Mann erreichte nicht selten eine Breite von mehreren Kilometern. Zwischen den Bataillonen wurden gewöhnlich Lücken gelassen, um bei Bedarf die Kavallerie einsetzen zu können. Die Reiterei aller Armeen war hauptsächlich in Kürassiere und Husaren unterteilt, als neue Kavallerieart kämpften die Dragoner zu Pferde oder auch abgesessen. Obwohl die Kavallerie nicht mehr dieselbe Bedeutung wie noch während des Dreißigjährigen Krieges besaß, konnte sie immer noch Schlachten entscheiden, so etwa bei Hohenfriedberg (1745), Rossbach und Kolin (1757). Eine immer größere Rolle spielten besonders auf österreichischer und russischer Seite die leichten Truppen. Kroaten von der österreichischen Militärgrenze und Kosaken dominierten abseits der großen Armeen den sogenannten Kleinen Krieg der Hinterhalte, Patrouillen und kühnen Raids, beschafften Informationen und plünderten mit dem stillschweigenden Einverständnis ihrer Kriegsherren das Territorium des Gegners. Auch Friedrich II. sah keine andere Möglichkeit, als mit gleicher Münze zurückzuzahlen, und stellte im Verlauf des Siebenjährigen Krieges ebenfalls 23 berittene Freikorps zu je 800 Mann auf.69

Da der Feuerkampf endloser Schützenlinien oftmals auch nach Stunden nicht zu einer Entscheidung gebracht werden konnte, hatte schon früh die Suche nach neuen Taktiken eingesetzt. Bereits in den Schlachten des Spanischen Erbfolgekrieges waren Befehlshaber wie John Churchill, der Erste Herzog von Malborough, oder Prinz Eugen von Savoyen dazu übergegangen, mit einem massiv verstärkten Flügel nur noch einen Teil des Gegners anzugreifen, während der zweite Flügel sich passiv verhielt.70 Friedrich II. wandte das von den antiken Griechen stammende Verfahren der schiefen Schlachtordnung mit wechselndem Erfolg in den ersten Schlachten des Siebenjährigen Krieges an. Voraussetzung dieses komplizierten Manövers war eine perfekt gedrillte Infanterie, die der König mit wachsender Kriegsdauer allerdings nicht mehr aufbieten konnte. Bei nachlassender Qualität der Infanterie wuchs bei allen Kriegsparteien die Bedeutung der Artillerie. Die Zusammenfassung von Dutzenden Geschützen in großen Batterien galt bald als militärisches Allheilmittel. Während im Dreißigjährigen Krieg noch ein Geschütz je 1000 Mann zum Einsatz gekommen war, bot man ein Jahrhundert später schon die fünffache Zahl auf.71 Friedrichs große Batterie aus fast 60 Geschützen in der Schlacht bei Zorndorf war bereits ein deutlicher Vorgriff auf die napoleonische Gefechtsführung.

Nicht zuletzt im Vergleich zu Napoleons Feldzügen haben spätere Militärs wie auch Militärhistoriker die Kriegführung des Ancien Régime als eine Abfolge kunstvoller, aber entscheidungsscheuer Manöver abgewertet, in der sich die Armeen angeblich außerstande zeigten, die strategischen Kalküle ihrer Souveräne und Kriegsherren zu realisieren.72 Äußerungen wie die des Marschalls Moritz von Sachsen, dass die Schlacht nur der Ausweg eines ratlosen Feldherren sei,73 schienen diesen Befund ebenso zu stützen wie Friedrichs nachträglicher Spott über die österreichisch-russische Allianz als ein Bündnis der verpassten Gelegenheiten. »Sie haben sich einer auf den anderen verlassen, der Befehlshaber der Reichstruppen auf den österreichischen General, dieser auf den russischen, der Russe auf den Schweden und dieser endlich auf den Franzosen. Daher diese Lässigkeit in ihren Bewegungen und die Bedächtigkeit in der Ausführung ihrer Pläne.«74 Ähnlich glaubte der preußische Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz, einen Mangel des Willens und übergroße Vorsicht als die prägenden Ursachen der Kriegführung des Ancien Régime ausmachen zu können.75

Das Bild einer gezähmten Kriegsfurie war jedoch nur das geschönte Selbstbild der Spätphase einer Epoche, die unter dem Einfluss der Aufklärung zu einer höheren Empfindsamkeit gegenüber Zerstörung und Leiden gelangt war. Schon ein Zeitgenosse wie Gotthold Ephraim Lessing bezeichnete es in einem Brief an den Dichter und Offizier Ewald von Kleist, der später in der Schlacht von Kunersdorf tödlich verwundet wurde, als »den süßen Traum unserer gesitteten Zeit«.76 Im Zeitalter der Aufklärung begann schließlich auch der Adel, die neue bürgerliche Sicht auf den Krieg und seine Schrecken zu teilen. So zeigte sich der damalige Außenminister Frankreichs, der Marquis d’Argenson, über das mit entblößten Leichen übersäte Schlachtfeld von Fontenay sehr nachdenklich: »Triumph ist wohl das schönste Gefühl auf der Welt. Aber es ist erkauft mit Strömen von Blut und den Fetzen menschlicher Körper.«77 Die neuen humanen Ideale hatten, sofern sie von den hochgestellten Befehlshabern geteilt wurden, auf die Kriegführung keinen nachweisbaren mildernden Effekt. Wenn es tatsächlich das Ziel der Feldherren im Ancien Régime gewesen wäre, Schlachten nach Möglichkeiten zu vermeiden, so waren sie darin überaus erfolglos. Allein im Verlauf des Siebenjährigen Krieges kam es zu fast 30 größeren Gefechten mit jeweils mehr als 5000 Kombattanten. Moritz von Sachsens Diktum vom ratlosen Feldherrn, der sich in die Schlacht rettete, war daher nicht mehr als eine höfische Koketterie.