Preußen bewegt die Welt

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Europas Mächte auf Beutezug – Der Österreichische Erbfolgekrieg 1740–1748

Friedrichs unprovozierter Einmarsch in Schlesien beendete im Dezember 1740 eine 25-jährige Friedensphase in Europa. Nur einmal hatten in dieser Zeit Frankreich, Österreich und Russland eher halbherzig die Waffen ergriffen, um die polnische Thronfolge zu klären. Der britischspanische Krieg von 1739 wiederum war ausschließlich zur See ausgetragen worden und hielt auch noch an, als der preußische König die Offiziere seiner berliner Regimenter zum »Rendezvous mit dem Ruhm« aufforderte.18 Es wäre allerdings zu vorschnell geurteilt, dem scheinbar frivolen Tatendrang des 28-jährigen Monarchen allein die Verantwortung für den zweiten großen Waffengang des 18. Jahrhunderts zuzuschieben, der später als Österreichischer Erbfolgekrieg bezeichnet wurde.

Vielmehr gab Friedrichs Einmarsch in das habsburgische Schlesien ohne jeden belastbaren Rechtsgrund den Höfen Europas das willkommene Signal zu einem allgemeinen Beutezug. Mit seinem Coup überschritt er nur die rote Linie, an der die allgemeine Spannung in einen offenen Konflikt umschlug.19 Der Krieg schien plötzlich mehr Vorteile zu versprechen als der Frieden. So hatte schon im März 1739 das britische Oberhaus befunden, dass Großbritannien in einem Krieg gegen Spanien erfahrungsgemäß mehr gewinnen als verlieren könne, während man in Versailles die weibliche Erbfolge in Wien zum Anlass nahm, eine Aufteilung der Habsburgischen Ländermasse ins Auge zu fassen. Eine bei Hof kursierende Denkschrift sprach von »der brillantesten Epoche für das Glück und den Vorteil Frankreichs«. Es könne nichts mehr wünschen als die Aufteilung Österreichs und nun sei der Tag dazu gekommen.20

Mit Beginn der 1740er-Jahre war ein umfassender Generationenwechsel in der hohen Politik eingetreten. In Potsdam, Wien und St. Petersburg hatten innerhalb weniger Monate die alten Herrscher die Bühne verlassen. In London musste Sir Robert Walpole im Frühjahr 1742 den politischen Falken um Lord John Carteret weichen und in Versailles verstarb kaum ein Jahr später hochbetagt Kardinal Fleury, der Grandseigneur der französischen Politik und ein Mann des außenpolitischen Maßhaltens.

Die neu auf der Bühne erschienenen Akteure spürten, dass nach dem Tod Kaiser Karls VI. am 20. Oktober 1740 in Europa die Karten neu gemischt waren, und keiner wollte bei dem Spiel zu spät kommen. Frankreich etwa witterte durch den scheinbar unmittelbar bevorstehenden Zerfall der Habsburgermonarchie die Chance, endlich den alten Traum Ludwigs XIV. zu realisieren und im Deutschen Reich einen eigenen Kandidaten zum Kaiser wählen zu lassen. Auch Bayern und Sachsen sahen sich durch Friedrichs Vorpreschen ermutigt, ihre Ansprüche auf das habsburgische Böhmen anzumelden, während Spaniens Königin Elisabeth Farnese, die zweite Ehefrau Philips V., entschlossen war, für ihre beiden Söhne in Italien geeignete Herzogtümer auf Kosten Österreichs zu gewinnen. Im Vertrag von Nymphenburg (Mai 1741) fanden Bayern und Spanien daher schnell zueinander.21

Es erscheint mehr als zweifelhaft, dass alle diese schon lange gehegten Begehrlichkeiten ohne Friedrichs Einmarsch in Schlesien auf Dauer unter der Oberfläche geblieben wären, wie es der Brite Thomas Babington Macauly, ein liberaler Politiker und Historiker aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in seinem zornigen Verdikt über den Preußenkönig unterstellte.21a Das politische System räumte seinen Mitgliedern nur einen eng begrenzten Spielraum ein. Vom Atlantik bis zum Ural stand Europa zu Friedrichs Zeiten seit Menschengedenken unter der Herrschaft einer machtbewussten und teilweise eng verwandten Aristokratie, die ihre Beziehungen durch ein gewaltiges Korpus oft widersprüchlicher Verträge zu regeln versuchte. Zwar galt immer noch der große Westfälische Frieden von 1648 als das Grundgesetz der europäischen Staatenwelt und kein christlicher Fürst konnte es sich leisten, dem offiziellen Friedensideal nicht wenigstens rhetorisch zu huldigen. Doch die Formel lautete stets: Frieden und Recht. So lag es in der Natur des feudalen Systems, dass immer wieder einzelne Akteure der Versuchung erlagen, bestimmte Vereinbarungen, besonders, wenn sie unklar formuliert waren, zu ihren Gunsten auszulegen und bei günstigen Kräfteverhältnissen ihre Interpretation der Rechtsverhältnisse auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Genau nach diesem Muster war Friedrich vorgegangen. Seine Erklärungen zum Einmarsch in Schlesien enthielten keinerlei Friedensbeteuerungen und erst nach seinem Fait accompli ließ er sich dazu herab, seinen alten Minister Heinrich Graf von Podewils einige dürftige Rechtstitel ausgraben zu lassen.22

Die 25-jährige Friedensphase seit den Verträgen von Utrecht und Rastatt war die bemerkenswerte Ausnahme in einer Staatenwelt, in der jeder Monarch und jeder bedeutende Territorialfürst mit hohem finanziellem Aufwand eigene Streitkräfte unterhielt und die Mehrheit des europäischen Adels immer noch militärischen Idealen zutiefst verpflichtet war. Es überraschte daher auch keinen seiner hohen Standesgenossen, dass sich Friedrichs Politik nach der brüsken Zurücksetzung Preußens in der jülisch-bergischen Erbschaftsfrage in irgendeiner Form gegen Habsburg wenden würde. Erstaunen erregten aber die kühne Stoßrichtung des neuen Monarchen und seine Kaltblütigkeit. Als Friedrich am 16. Dezember 1740 mit mehr als 20 000 Mann bei Crossen die Grenze zum österreichischen Schlesien überschritt, war allen europäischen Höfen sofort klar, dass Preußen sich nicht mehr darauf beschränken wollte, wie bisher territoriale Brosamen im Reich aufzulesen. Mit seinem überfallartigen Einmarsch in Schlesien strebte der Hohenzollernstaat eine völlig neue Rolle im europäischen Staatensystem an. Im dauernden Besitz von Habsburgs reichster Provinz wäre Preußen nicht nur unbestritten die neue norddeutsche Vormacht, mit Schlesien würde es sogar zum Kreis der europäischen Großmächte zählen. Friedrich verfügte damit auch über ein Sprungbrett für notfalls noch kühnere Aktionen gegen Österreich. Spätere Versuche, sein gewaltsames Vorgehen im Herbst 1740 psychologisch zu deuten, greifen daher zu kurz.23 Der König fühlte sich vollkommen dem expansiven Programm seiner Vorfahren verpflichtet, wo immer möglich territoriale Gewinne anzustreben. Habsburgs unübersehbare Schwäche und eine außergewöhnlich günstige europäische Konstellation ungenutzt verstreichen zu lassen, wäre jedem Hohenzollernfürsten als sträfliche Vernachlässigung seiner Pflichten erschienen.

Friedrichs dreister Coup schien zunächst zu gelingen. Die weit unterlegenen österreichischen Truppen zogen sich nach Böhmen zurück und innerhalb weniger Wochen war Schlesien bis auf drei Festungen in seiner Hand. Doch nicht zum letzten Mal in seiner Rolle als Kriegsherr hatte der König den Gegner weit unterschätzt. Die habsburgische Erbin Maria Theresia war zum Widerstand entschlossen. Nur drei Monate nach dem preußischen Überfall rückte der österreichische Feldmarschall Wilhelm Reinhard Graf von Neipperg mit einer Armee von 20 000 Mann wieder in Schlesien ein und forderte die überraschten Preußen am 10. April 1741 bei Mollwitz, unweit der Festung Brieg an der Oder, zur Schlacht. Friedrichs Bewährungsprobe als Feldherr misslang gründlich. Taktische Fehler zu Beginn des Gefechts führten sofort zu einer schweren Krise. In kurzer Zeit schien alles verloren. Die österreichische Kavallerie beherrschte das Feld. Friedrich folgte nur zu bereitwillig dem Rat seines Feldmarschalls Kurt Christoph von Schwerin und verließ das Schlachtfeld im gestreckten Galopp. Im fernen Oppeln erreichte ihn in der Nacht die befreiende Nachricht, dass alles noch einmal gut ausgegangen sei. Schwerin hatte die Schlacht gedreht und Neipperg zum Rückzug gezwungen.24 Die Österreicher waren nicht wirklich geschlagen, verhielten sich aber vorerst ruhig. Gefahr drohte Habsburg inzwischen auch von anderer Seite.

In Frankreich war der Versailler Hof mehr und mehr unter den Einfluss von Männern wie Marschall Charles Louis Fouquet geraten. Der Graf und spätere Herzog von Belle-Isle war ein Veteran des Spanischen Erbfolgekrieges, der sich noch den Zielen des Sonnenkönigs verpflichtet fühlte und das habsburgische Imperium nach Möglichkeit zerschlagen wollte. Zwar lebte der alte Kardinal Fleury noch, aber sein mäßigender Einfluss in Versailles war bereits erheblich geschrumpft. Auf Drängen Belle-Isles verbündete sich Frankreich am 4. Juni 1741 mit Preußen, garantierte Friedrich den Besitz von Niederschlesien mit Breslau und konnte dafür auf die preußische Stimme bei der Wahl des bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht zum Deutschen Kaiser rechnen.25 Es war auch Versailles, welches das immer noch seinen baltischen Provinzen nachtrauernde Schweden im Juli zu einem neuen Krieg gegen Russland anstachelte. Der östliche Koloss schien durch den Tod der Zarin Anna Iwanowna geschwächt, die Gelegenheit also günstig. Im Gegenschlag konnten die Russen die schwedischen Truppen allerdings rasch aus Finnland vertreiben, fielen aber, ganz so wie es Frankreich gewollt hatte, als Alliierte Österreichs vorerst aus.26

Friedrich war somit eine ernste Sorge los. Insgeheim missfielen ihm aber die hochgesteckten Ziele der Franzosen. Die Erbfolge Maria Theresias hatte er nie wirklich infrage gestellt, ja ihr sogar seine Stimme für die Kaiserwahl, viel Geld und militärische Unterstützung für die Abtretung Schlesiens angeboten. Dahinter steckte nicht nur Zynismus. Eine Aufteilung der österreichischen Länder hätte die Konkurrenten Bayern und Sachsen zu sehr gestärkt und damit den Erwerb Schlesiens wieder wettgemacht. Deshalb unterstützte der König die französische Armee, die im August 1741 zusammen mit den Bayern gegen Linz vorgerückt war, nur noch halbherzig. Mit dem Feind nur noch 60 Kilometer vor Wien und ohne wirksame Hilfe durch Großbritannien waren die Österreicher plötzlich nicht mehr so abweisend gegenüber Friedrichs Avancen und so verständigte man sich mit ihm in Klein-Schnellendorf am 9. Oktober auf einen heimlichen Waffenstillstand. Nunmehr unbedrängt von den Preußen und inzwischen als neue Königin von Ungarn auch von den ungarischen Ständen unterstützt, konnte sich Maria Theresia ganz ihren neuen Gegnern zuwenden. Eine willkommene Atempause schien ihr der Abmarsch der Franzosen nach Böhmen zu verschaffen, doch am 25. November erstürmten die vereinigten französischen, sächsischen und bayerischen Truppen unter dem Befehl des Marschalls Belle-Isle die Stadt Prag. Damit stand einer Krönung Herzog Karl Albrechts zum neuen König von Böhmen nichts mehr im Wege. Nur drei Monate später, am 12. Februar 1742, wurde der Wittelsbacher in Frankfurt als Karl VII. auch zum Deutschen Kaiser gekrönt. Doch rechte Freude dürfte er daran nicht gehabt haben, denn inzwischen waren die Österreicher in Bayern eingerückt und hatten ausgerechnet am Frankfurter Krönungstag seine Landeshauptstadt München besetzt. Karl Albrecht war nun ein Kaiser ohne Land. In Böhmen hielt er sich nur mithilfe der Franzosen und auf sein Kurfürstentum hatte Maria Theresia inzwischen ein begehrliches Auge geworfen. Bayern erschien der Königin von Ungarn als idealer Ersatz für das verlorene Schlesien und der Wittelsbacher ließe sich wohl in Italien oder in Belgien entschädigen.

 

Für Friedrich war es nun höchste Zeit, der ins Wanken geratenen Koalition wieder beizuspringen. Mit einem Einfall in Mähren hoffte er, die Österreicher dazu zu bringen, Truppen zum Schutz von Wien aus Bayern abzuziehen, was auch tatsächlich geschah. Nach einigen Manövern kam es im südlichen Böhmen bei Chotusitz schließlich am 17. Mai 1742 zu einer zweiten Schlacht zwischen Preußen und Österreichern, die Friedrich knapp für sich entscheiden konnte.27 Die Österreicher waren nicht wirklich geschwächt, aber Maria Theresia hatte sich jetzt endlich dazu durchgerungen, dem verhassten Preußenkönig Schlesien offiziell abzutreten. Die Aussicht auf britische Subsidien hatte ihr den Entschluss erleichtert. Unter Vermittlung Großbritanniens erhielt Friedrich im Vorfrieden von Breslau, der am 11. Juni 1742 vereinbart wurde, sogar die gesamte Provinz einschließlich der Grafschaft Glatz. Sechs Wochen später besiegelten beide Parteien in Berlin den Frieden.28 Frankreich war fassungslos. Friedrichs politische Wendigkeit überstieg bei Weitem alles, was man auf dem diplomatischen Parkett gewohnt war. Die Wut auf den schamlosen Potsdamer Alliierten kannte keine Grenzen. Da jetzt auch Kaiser Karl, inzwischen ohne Land und völlig mittellos, sich um britische Unterstützung bemühte, schien Versailles vor dem Scherbenhaufen seiner Deutschlandpolitik zu stehen. Im Januar 1743 musste Belle-Isle Prag räumen und schaffte es gerade noch mit einem Viertel seiner ursprünglichen Truppenmacht, vom Gegner nicht weiter behelligt, nach Eger.29 Nun erschien auch noch Großbritannien im Frühjahr mit einer eigenen Armee in Deutschland. Unter dem formalen Oberbefehl König Georgs II. vereinigte sich seine Truppe mit hannoverschen und österreichischen Kontingenten zur »Pragmatischen Armee« und bereitete den Resten der französischen Armee am 27. Juni 1743 bei Dettingen am Main eine Niederlage.30 Die Franzosen mussten über den Rhein zurück und in Versailles entbrannte eine Debatte, ob der so unglücklich verlaufende Krieg nicht beendet werden müsse. Es hätte nun zu Verhandlungen kommen können, denn offiziell waren Frankreich und Großbritannien noch gar nicht in den Krieg eingetreten. Tatsächlich gab es auch bereits erste diplomatische Kontakte zwischen Versailles und Wien. Dann aber schlug die Nachricht vom Wormser Vertrag wie eine Bombe in Versailles ein. König Karl Emanuel von Sardinien-Piemont repräsentierte eine aufstrebende Macht in Italien – ähnlich wie Preußen im Reich – und hatte sich am 13. September 1743 mit Maria Theresia gegen Spanien und Frankreich verbündet. Auf britischen Druck waren die Österreicher dem Turiner Hof weiter entgegengekommen als Frankreich, das sich nun ein zweites Mal von einem vormaligen Verbündeten düpiert fühlte.31

Mit wachsendem Unbehagen hatte derweil Friedrich die Renaissance der habsburgischen Macht beobachtet. Denn dem Wormser Abkommen war nur drei Monate später eine österreichische Defensivallianz mit Sachsen gefolgt. Vor allem Österreichs unverhohlenen Ansprüchen auf Bayern glaubte der preußische Monarch entgegentreten zu müssen und so streckte er wieder seine Fühler nach Versailles aus. Die Franzosen blieben anfangs misstrauisch, willigten dann aber doch am 6. Juni 1744 in eine neue Allianz mit Preußen ein. Als gemeinsames Ziel sah der neue Vertrag die Rückeroberung der böhmischen Erblande im Namen Kaiser Karls VII. vor. Nur wenn der Wittelsbacher im Besitz Böhmens blieb, konnte sich Friedrich seiner schlesischen Eroberung sicher sein. Zwei Monate später, am 15. August überschritt der König mit 62 000 Mann die böhmische Grenze und zwang die österreichische Armee, die inzwischen den Rhein überquert hatte, zur sofortigen Umkehr. Am 16. September 1744 fiel nach kurzer Belagerung Prag. Die Preußen marschierten entlang der Moldau weiter nach Süden und nahmen nacheinander Tabor, Budweis und Frauenberg ein. Dann aber wendete sich alles gegen Friedrich. Die Franzosen verfolgten die Österreicher nicht über den Rhein und der überraschende Kriegseintritt Sachsens aufseiten Maria Theresias machte die Position der Preußen in Böhmen unhaltbar. Hart verfolgt von den leichten Truppen des Gegners musste sich Friedrich mit seiner Armee angesichts eines frühen Wintereinbruchs über Königgrätz nach Glatz zurückkämpfen, wo er am 27. November 1744 mit nur noch 36 000 Mann eintraf. Für Friedrich war der böhmische Feldzug ein einziges Desaster. Ohne eine einzige Schlacht hatte er mehr als 20 000 Mann verloren und stand den verbündeten Österreichern und Sachsen nun allein gegenüber. Mit direkter französischer Hilfe konnte er nicht mehr rechnen, da Versailles den Schwerpunkt seiner Kriegführung nach Belgien verlegt hatte und alle Vorbereitungen traf, die in Schottland gelandeten Jakobiten militärisch zu unterstützen. Preußens Lage war mehr als kritisch, da auch der von König Friedrich Wilhelm I. angehäufte Staatsschatz von ursprünglich neun Mio. Talern inzwischen aufgebraucht war.32 Als am 20. Januar 1745 schließlich Kaiser Karl VII. in München überraschend im Alter von erst 48 Jahren verstarb, zerstoben auch sämtliche Pläne Friedrichs, mithilfe der protestantischen Reichsfürsten eine antihabsburgische Allianz im Reich aufzubauen. Stattdessen eroberte Maria Theresia in den folgenden drei Monaten einmal mehr ganz Bayern und zwang am 22. April 1745 im Vertrag von Füssen den neuen Kurfürsten Max Joseph, bei der anstehenden Kaiserwahl für ihren Ehemann Franz Stephan von Lothringen zu stimmen. Außerdem musste der Wittelsbacher im gegenwärtigen Krieg neutral bleiben und erhielt im Gegenzug sein Kurfürstentum zurück. Maria Theresia glaubte sich diese Großzügigkeit gegenüber Bayern leisten zu können, denn die Rückeroberung Schlesiens schien nun unmittelbar bevorzustehen. Am 26. Mai 1745 überschritt eine kombinierte österreichisch-sächsische Armee in Stärke von rund 60 000 Mann unter dem Oberbefehl des Prinzen Karl von Lothringen den Pass von Landshut und drang nach Schlesien vor. Nun konnte Friedrich endlich seine Schlacht schlagen, auf die er im Vorjahr vergeblich gehofft hatte. Auch wenn er die Verluste seines letzten Feldzuges nicht ganz hatte ersetzen können, verfügte er über die gleiche Truppenzahl wie seine Gegner. Über verschiedene Kanäle ließ der König Gerüchte streuen, dass er sich mit seiner Armee auf Breslau zurückziehen werde, und verleitete dadurch die Österreicher zur Unvorsichtigkeit. Am 4. Juni 1745 überraschte er frühmorgens den zwischen Halbendorf und Günthersdorf positionierten Gegner nach einem nächtlichen Flankenmarsch über Striegau und zerschlug die beiden verbündeten Armeen nacheinander. Nach zwei Stunden war die Schlacht entschieden. Österreicher und Sachsen hatten rund 14 000 Mann verloren, etwa drei Mal so viel wie die siegreichen Preußen. Hohenfriedberg war Friedrichs erster echter Sieg. Der Gegner befand sich in vollem Rückzug über das Riesengebirge, von den Preußen allerdings nur nachlässig verfolgt. Nach den üblen Erfahrungen des Vorjahres beabsichtigte Friedrich nur so weit in Böhmen einzudringen, wie es ihm zur Versorgung seiner Armee auf Kosten des Gegners während der Sommermonate günstig erschien. Enttäuscht von der ausbleibenden Hilfe der Franzosen versuchte er über eine britische Vermittlung mit Maria Theresia in Verhandlungen zu treten.


»Das Damenkarussell«. Fest im Januar 1743 anlässlich der Wiedereroberung Prags im Erbfolgekrieg; vorne mit gezogenem Degen Maria Theresia. Gemälde von Martin van Meytens.

Ermutigt durch die Wahl ihres Gatten zum Deutschen Kaiser am 13. September 1745 beharrte die österreichische Herrscherin trotz des jüngsten militärischen Rückschlags auf ihrem Anspruch auf Schlesien. Auch ein zweiter preußischer Sieg über Prinz Karl bei Soor am 30. September änderte wenig an Friedrichs prekärer Lage. Von seinen 22 000 Mann ging ein Fünftel in der Schlacht verloren. Die Österreicher planten jetzt, im Zusammenwirken mit den Sachsen durch die Lausitz ins preußische Kerngebiet vorzustoßen und Friedrichs Armee in Schlesien abzuschneiden. Der König reagierte sofort und bildete zwei Korps, das erste unter seinem persönlichen Befehl in der Lausitz, das zweite unterstellte er dem erfahrensten seiner Kommandeure, dem schon 69-jährigen Fürst Leopold von Anhalt-Dessau. Es sollte die Sachsen von Westen her angreifen und auf Meißen vorstoßen. Friedrich selbst wollte die Zange von Osten schließen. Tatsächlich gelang es ihm, in einer Kette von Gefechten die Österreicher bis Ende November wieder über die böhmische Grenze zu werfen. Prinz Karl verlor dabei mehr als 5000 Mann. Die militärischen Erfolge der Preußen fanden am 15. Dezember 1745 ihren spektakulären Abschluss, als der »Alte Dessauer« bei Kesselsdorf westlich von Dresden eine zweite österreichisch-sächsische Armee empfindlich geschlagen hatte. Obwohl das österreichische Korps des Generals Grünne beinahe unbeschadet das Schlachtfeld verlassen konnte und auch Prinz Karl mit 18 000 Mann nicht mehr rechtzeitig von Dresden her eingetroffen war, das österreichische Heer somit noch vollkommen intakt war, entschied sich Wien nun plötzlich zum Frieden.33

Zwar hatten die Russen inzwischen begonnen, ihre Truppen in Kurland marschbereit zu machen, um aufseiten Österreichs und Sachsens in den Krieg einzugreifen.34 Entscheidend war aber, dass die geheimen Verhandlungen des Wiener Emissärs Ferdinand Graf von Harrach mit dem Vertreter Frankreichs in Dresden ergebnislos geblieben waren. Jetzt fürchtete der Österreicher, dass die geschlagenen Sachsen die Seiten wechseln könnten und damit die Koalition von 1741 wieder aufleben würde.35 Im Frieden von Dresden vom 25. Dezember 1745 bestätigte Maria Theresia ihrem Potsdamer Rivalen noch einmal den Besitz Schlesiens einschließlich der Grafschaft Glatz. Im Gegenzug verpflichtete sich Friedrich, die Wahl ihres Ehemannes, Franz Stephan, zum Deutschen Kaiser nachträglich anzuerkennen. Einmal mehr hatte der König seinen französischen Alliierten düpiert, doch Versailles war entschlossen, den bisher für Frankreich so unglücklich verlaufenen Krieg weiterzuführen. Es war jetzt allerdings ein neuer Krieg. Aus dem ursprünglich preußisch-österreichischen Konflikt, in dem Großbritannien und Frankreich auch völkerrechtlich nur die Rolle von Hilfstruppen gespielt hatten, war spätestens seit dem Tod Kaiser Karls VII. ein französisch-britischer Krieg geworden. Nach seinen ernüchternden Erfahrungen in Bayern und Böhmen hatte sich Frankreich schon im Dezember 1744 entschieden, nicht noch einmal zugunsten Preußens weit über den Rhein vorzustoßen. Stattdessen sollte die neue Offensive direkt gegen die benachbarten österreichischen Niederlande geführt werden.36 Damit hoffte Versailles – noch lebte Kaiser Karl VII. –, in eine günstige Verhandlungsposition gegenüber Wien und London zu gelangen. Großbritannien wiederum schien nach dem Dresdner Vertrag alle seine politischen Ziele erreicht zu haben. Spätestens seit dem Rücktritt Robert Walpoles hatte es darauf hingearbeitet, mittels einer antifranzösischen Koalition aus Hannover, Österreich, den Generalstaaten und Sardinien-Piemont, den kolonialen Rivalen auf dem Kontinent militärisch zu fesseln. Allein durch die Fortsetzung des europäischen Krieges, so das Londoner Kalkül, beraubte man Frankreich der finanziellen Mittel, seine seit 1740 verstärkt betriebene Flottenrüstung fortzusetzen. Doch die französische Armee, die in Böhmen so enttäuscht hatte, fand unter dem Befehl des überragenden Moritz von Sachsen (1696–1750) in Belgien zu neuer Stärke. Der 50-jährige Feldmarschall war ein außerehelicher Sohn des 1733 verstorbenen Kurfürsten von Sachsen und gewählten Königs von Polen, August II. Kurze Versorgungswege erleichterten den Franzosen jetzt auch das Kriegführen. Moritz von Sachsens Sieg bei Fontenoy am 11. Mai 1745 über ein britisch-niederländisch-österreichisches Heer unter dem Befehl des Herzogs von Cumberland, William Augustus, markierte den Beginn eines beeindruckenden französischen Siegeslaufs, der erst nach der Einnahme sämtlicher belgischen Festungen endete. Als Moritz von Sachsen am 10. Mai 1748 die Kapitulation der niederländischen Festung Maastricht entgegennahm, war seine Armee weiter nach Norden vorgedrungen als jemals eine Streitmacht unter Ludwig XIV. Alle britischen Kalküle waren damit vollkommen über den Haufen geworfen. Österreich und die niederländischen Generalstaaten hatten sich außerstande gezeigt, Belgien zu verteidigen. London selbst war zwischenzeitlich gezwungen, Truppen zur Abwehr der in Schottland gelandeten Jakobiten vom Kontinent abzuziehen. Einzig die Einnahme der Festung Louisbourg auf Kap Breton, dem kanadischen Dünkirchen, durch neuenglische Milizen im Zusammenwirken mit britischen Flotteneinheiten im Juni 1745 stand auf der politischen Habenseite Londons. Der Fall von Louisbourg im Juni 1745 hatte im Mutterland große Euphorie ausgelöst, da die erst 1721 errichtete Festung den Zugang zum St.-Lorenz-Golf beherrschte und damit der Schlüssel zum französischen Kanada war.37

 

Beflügelt von seinen unerwarteten Erfolgen hatte Frankreich seinen Feldzug in Belgien auch nach Preußens Ausscheiden aus dem Krieg weitergeführt. Die Besetzung der österreichischen Niederlande würde ihm immerhin ein politisches Faustpfand verschaffen. An eine Veränderung der Machtverhältnisse im Reich dachten seit der Krönung Franz Stephans zum Deutschen Kaiser am 4. Oktober 1745 nicht einmal mehr die kühnsten Optimisten am Versailler Hof. Maria Theresias Herrschaft in ihren Erblanden war inzwischen kaum noch zu erschüttern.

Geldmangel, Kriegsmüdigkeit und die wachsende Einsicht, dass die ursprünglichen Ziele militärisch kaum noch zu erreichen waren, stärkten die Verhandlungsbereitschaft aller Seiten. Tatsächlich waren die diplomatischen Kontakte zwischen den Kriegsparteien zu keinem Zeitpunkt völlig unterbrochen gewesen. Briten und Österreicher sondierten allerdings auf getrennten Wegen. Während London schon seit 1746 im niederländischen Breda mit den Franzosen verhandelt hatte, waren die Österreicher ihrerseits über den sächsischen Hof mit Frankreich in Kontakt geblieben.38 Zu Ergebnissen führte das allerdings vorerst nicht. Frankreich war zwar bereit, ganz Belgien zu räumen, bestand aber auf Kompensationen in Italien. Am meisten jedoch blockierte Frankreichs Festhalten an Preußen sowie die Unterstützung seines Anspruches auf Schlesien ein Fortkommen der Gespräche. So gingen dann schließlich die Briten voran und einigten sich im Kurort Aachen unilateral mit den Franzosen. Die sich rapide verschlechternde militärische Lage in Belgien ließ ihnen keine andere Wahl. Schon hatten die Verbündeten in Betracht gezogen, ein bereitstehendes russisches Korps nach Westen marschieren zu lassen. Grundlage des am 30. April 1748 von den Vertretern Londons und Versailles zuerst unterzeichneten Abkommens war die Widerherstellung des Status quo ante. Frankreich räumte ganz Belgien, wie es dies schon mehrfach signalisiert hatte, und erhielt im Gegenzug die Festung Louisbourg zurück. Österreicher und Spanier wurden von den beiden Aachener Verhandlungsparteien allerdings erst im letzten Augenblick ins Bild gesetzt und unterzeichneten, in doppelter Weise durch Form und Inhalt brüskiert, nur widerwillig das in 24 Artikeln gegliederte Vertragswerk. Der Aachener Vertrag war fraglos eine Notlösung, die viele Wünsche und Rechnungen offenließ. Doch nicht etwa an der schlesischen Frage oder am Besitz von Mailand entzündete sich der nächste Waffengang der Großmächte. Die Lunte brannte bereits in Nordamerika. Es war der Artikel XVIII des Vertrages, der festlegte, dass die noch offenen Fragen von gemeinsamen Kommissionen einvernehmlich geklärt werden sollten. Zu diesen ungeklärten Fällen zählte auch das Ohiotal.