1866

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Aufstieg und Untergang der Geheimgesellschaften





Wie in Deutschland hatte auch in Italien Metternichs neue antirevolutionäre Ordnung, welche die europäische Staatenwelt des Ancien Régime in leicht arrondierter Form wiederaufleben ließ, wenig Begeisterung ausgelöst. Die Fremdherrschaft der Franzosen war, so stellte sich rasch heraus, nur durch die Knute der Österreicher abgelöst worden. Pressezensur, Bespitzelung und hohe Steuern vergifteten das politische Klima. Dass die österreichische Verwaltung in der Lombardei und in Venetien an Effektivität und Weitsicht tatsächlich sämtliche italienischen Regime bei Weitem übertraf, war sogar einem Mann wie Camillo Benso di Cavour bewusst. Aber Habsburg blieb die auswärtige Macht, die man unbedingt loswerden wollte. Die Unzufriedenen organisierten sich in den Jahren nach 1815 in sogenannten Geheimgesellschaften, die zwar untereinander vernetzt und in ganz Italien aktiv waren, sich aber nie auf ein gemeinsames Programm einigen konnten. Es gab unter ihnen radikale Jakobiner wie etwa Filippo Buonarroti, der im französischen Exil gelebt und enge Kontakte zu Maximilien Robespierre unterhalten hatte, aber auch Befürworter nur moderater Reformen. Obwohl sich in den konspirativen Vereinigungen Teile des neuen Bürgertums und sogar liberale Adlige und Militärs zusammenfanden, gab man sich bewusst volksnah. So nannte sich die wohl am meisten verbreitete Geheimgesellschaft schlicht Carbonera, was übersetzt „Köhlervereinigung“ bedeutet.



Als 1820 in Spanien eine Revolte von Offizieren das ganze Land erschütterte und die Aufrührer die Wiedereinführung der freiheitlichen Verfassung von 1812 verlangten, sprang der revolutionäre Funke auch auf das Königreich „Beider Sizilien“ über. Ein zutiefst erschrockener König Ferdinand I. beeilte sich unter dem Druck von Öffentlichkeit und Militär, ebenfalls eine neue liberale Verfassung zu verabschieden. Die Lage beruhigte sich damit jedoch keineswegs, da die radikalen Vertreter der Carbonera ihre viel weiter reichenden Forderungen nicht erfüllt sahen und ein Aufstand der Barone auf Sizilien wiederum die dortige Bevölkerung auf die Barrikaden rief. Alles schien auf einen Bürgerkrieg hinauszulaufen. Die österreichische Hegemonialmacht konnte dem unmöglich länger zusehen und schickte Truppen, nachdem ihr die konservativen Regierungen Europas auf dem Laibacher Kongress im Februar 1821 das Mandat dazu erteilt hatten. Als schließlich auch in Piemont-Sardinien die Bewegung der Geheimgesellschaften eine Verfassungsänderung erzwang und im März 1821 verschiedene Garnisonen gegen König Vittorio Emanuele I. rebellierten, schritt Wien erneut zur Tat. Österreichische Truppen marschierten in das Nachbarkönigreich ein, dessen Monarch inzwischen, von der Lage überfordert, zugunsten seines Bruders abgedankt hatte. Nun begann Wien rigoros die Geheimgesellschaften zu verfolgen und ihre Führer einzukerkern. 19 Todesurteile, darunter auch das gegen den Dichter Silvio Pellico, wurden allerdings später zu lebenslanger Haft in der Festung Spielberg bei Brünn abgemildert. Erst neun Jahre darauf begnadigte Wien die Staatsgefangenen, sah sich aber schon bald in der Hoffnung getäuscht, durch seinen Akt der Milde die oppositionellen Kreise für sich gewinnen zu können. Im Gegenteil! Mit seiner unpathetischen Schilderung der brutalen Haftbedingungen (Le mie prigioni) erzielte Silvio Pellico europaweit Beachtung.

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 Es war ein weiterer Schlag gegen das internationale Ansehen Österreichs, das bald nur noch als der „Gendarm Italiens“ verschrien war.



Viele Anhänger der Carbonera hatten sich 1821 der Gefangennahme durch Flucht ins Ausland entziehen können. Endgültig war das Rückgrat der Geheimgesellschaften damit aber noch nicht gebrochen. Während der nächsten revolutionären Welle, die Europa und Italien im Juli 1830 erfasste, spielten sie in Modena, Bologna und Parma noch einmal eine zentrale Rolle. Man berief sogar eine Nationalversammlung ein, zu der auch Vertreter der päpstlichen Gebiete erschienen, und erklärte die weltliche Herrschaft des Papstes für beendet. Der anschließende Zug eines patriotischen Heeres auf Rom veranlasste jedoch Papst Gregor XVI., die Österreicher zu Hilfe zu rufen. Gegen reguläre Truppen hatten die schlecht bewaffneten Aufständischen keine Chance. In der Schlacht bei Rimini wurden sie 1831 vollständig besiegt.

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Zu den Carboneras hatte ursprünglich auch der junge Giuseppe Mazzini gehört. Nach dem endgültigen Scheitern der Geheimgesellschaften und einer dreimonatigen Kerkerhaft in Savona beschritt der aus Genua stammende Advokat einen radikal anderen Weg. Die bisherigen Versuche der Carbonera, im Bündnis mit dem Herrschenden für Verbesserungen zu sorgen, verurteilte Mazzini als zwecklos und gründete 1831 in Marseille seine eigene Organisation, die Bewegung „Junges Italien“. Nach Mazzinis Überzeugung könne eine grundlegende Veränderung der politischen Verhältnisse einzig durch das Volk selbst zustande kommen. Eine Umwälzung müsse jedoch zugleich auch auf europäischer Ebene angestrebt werden und Italien käme hierbei sogar eine moralische Vorrangstellung zu. Dass seine wiederholte Forderung nach der Brennergrenze und anderer Gebiete des Deutschen Bundes (Triest) zur Konfrontation mit der deutschen Nationalbewegung führen musste, sah Mazzini offenbar nicht.

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Republikanismus, Unitarismus sowie die Notwendigkeit von erzieherischen Maßnahmen im Volk waren die Eckpunkte seines Programms, das viele Züge einer Heilslehre aufwies. Durch permanente Aufstände sollte das revolutionäre Bewusstsein der Bevölkerung entfacht und wachgehalten werden. Obwohl er in Italien starken Zulauf hatte und Mazzini später auch eine europäische Bewegung ins Leben rief, scheiterten in den folgenden zehn Jahren sämtliche von ihm inszenierten Aufstandsversuche. Nach einer fehlgeschlagenen Rebellion in Genua 1834 konnte ein junger Seemann namens Giuseppe Garibaldi nur mit knapper Not der Erschießung entkommen und sich nach Südamerika absetzen. Zu Mazzinis Anhängern zählten auch die beiden Brüder Attilio und Emilio Bandiera, Söhne eines österreichischen Admirals und selbst Offiziere der venezianisch-habsburgischen Marine. 1834 landete das Brüderpaar in Kalabrien, um dort eine bereits erstickt Revolte zu unterstützen. Beide wurden zu ihrem Erstaunen von der Bevölkerung verraten, samt ihrer sieben Kampfgenossen gefangen genommen und nach kurzem Prozess hingerichtet.

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 Mazzini hatte zwar von dem stümperhaft vorbereiteten Unternehmen abgeraten, grundsätzlich aber befürwortete er den Opfertod junger Idealisten. Ideen reiften rascher, wenn sie mit dem Blut von Märtyrern genährt werden, befand der Salonrevolutionär, der zum Zeichen seiner nationalen Trauer stets in Schwarz gekleidet war.

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 Er selbst lebte da schon im sicheren Londoner Exil, nachdem ihn Frankreich und später auch die Schweiz des Landes verwiesen hatten. In einem durch und durch katholisch geprägten Land hatte Mazzinis sozialistische und kirchenfeindliche Agitation bei den breiten Massen nie wirklich Fuß fassen können.



Geschickter agierte dagegen sein Landsmann Vincenzo Gioberti aus Turin. Vier Jahre älter als Mazzini, hatte er das dortige Priesterseminar besucht, war kurze Zeit auch Mitglied der

Carbonera gewe

sen, ehe er – wie viele andere – Italien verlassen musste. Im belgischen Exil entwickelte er dann ein eigenes Konzept des Risorgimento. Gioberti betonte in seinen Schriften besonders die Rolle der freien italienischen Kommunen des Mittelalters, die mit Unterstützung der Päpste erfolgreich eine antideutsche Politik betrieben hätten. Obwohl Papst Gregor ein Reaktionär war und ja erst wenige Jahre zuvor österreichische Truppen gegen die Armee der Carboneras zu Hilfe gerufen hatte, glaubte Gioberti sogar, dass sich das Papsttum – analog zur mittelalterlichen Politik der Kirche – an die Spitze einer nationalen antiösterreichischen Bewegung stellen könnte, um schließlich geistig-kulturelles Oberhaupt eines auf föderativer Basis vereinigten Italiens zu werden. Die Souveränität der übrigen Fürsten sollte davon jedoch nicht berührt werden.

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 Mit seiner sogenannten Neo-Guelfischen Position fand Gioberti viel Zustimmung, und selbst ein Kleriker wie Giovanni Maria Mastai-Ferretti, der 1846 als Pius IX. sein Pontifikat antrat, zeigte sich anfangs fasziniert von Giobertis Lehren.

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Auf dem Weg zur Revolution





Zu Beginn der 1840er-Jahre war längst klar geworden, dass ein Wandel der politischen Verhältnisse Italiens nur mithilfe einer starken Schutzmacht gelingen konnte.



In dieser entscheidenden Rolle sahen nun viele Patrioten wie etwa Cesare Balbo oder Massimo D’Azeglio das Königreich Piemont-Sardinien. Dessen Herrscher Carlo Alberto hatte zwar schon als Kronprinz mit der Carbonera sympathisiert, war aber auch 1833 nicht davor zurückgeschreckt, die gegen ein Dutzend Anhänger Mazzinis verhängten Todesurteile unbarmherzig vollstrecken zu lassen.

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 Doch inzwischen war die Zeit des aufgeklärten Absolutismus abgelaufen. Mit der beginnenden Industrialisierung in Norditalien wuchs unweigerlich der politische Einfluss bürgerlich-liberaler Kreise. In Piemont wie auch in der angrenzenden Lombardei hatte sich besonders die Landwirtschaft seit 1815 revolutioniert. Gutsbesitzer produzierten in vergrößerten Betrieben rationeller und legten auch in wachsender Zahl Maulbeerplantagen für die lukrative Zucht von Seidenraupen an. Mit Baumwollimporten aus Ägypten und Amerika entstand zugleich eine aufstrebende Textilindustrie, deren inneritalienische Absatzchancen allerdings noch durch die zahllosen Zollgrenzen empfindlich beeinträchtigt wurden. Der Gedanke einer vereinten Nation fand allein schon deshalb wachsende Zustimmung in der neuen Schicht der Fabrikanten und Agrarunternehmer Norditaliens. Von radikalen Lösungen, wie sie Mazzini propagiert hatte, hielt man in diesen Kreisen wenig, dagegen fanden Giobertis Vorstellungen von einer engeren italienischen Föderation durchaus Anklang. Eine Zollunion nach deutschem Vorbild erschien vielen Kapitalisten sogar als der erste geeignete Schritt auf dem Weg zu einem föderativen Nationalstaat. Es zeigte sich jetzt deutlich, dass der italienische Einigungsprozess ein Elitenprojekt war und erst dann wirklich Fahrt aufnahm, als er versprach, konkrete ökonomische Probleme zu lösen. Tatsächlich nahmen Piemont, das Fürstentum Toskana und der Kirchenstaat noch im Verlauf des Jahres 1847 Verhandlungen über eine Zollunion auf. Die Verträge wurden schließlich im November unterzeichnet und Publizisten wie Massimo D’Azeglio glaubten bereits an die Möglichkeit einer politischen Liga, die einmal große Teile Italiens umfassen würde. Inzwischen hatte sich die politische Agitation gegen die österreichische Herrschaft in der Lombardei und Venetien verstärkt, und als Wien im Gegenzug die Stadt Ferrara besetzte, erntete Papst Pius mit seinem deutlichen Protest viel Beifall im Lande.

 







Fast am Ziel – Italien in der Revolution von 1848/49





Die neuerliche Revolution in Paris war der letzte Tropfen, der im Februar 1848 das brodelnde Fass zum Überlaufen brachte. Der europäische Völkerfrühling schien endlich gekommen. Auch in Italien brachen vielerorts Tumulte aus und die Souveräne versuchten verzweifelt und oft zu spät, durch einige liberale Reformen die Ruhe wiederherzustellen. Nacheinander gewährten Neapel, Florenz und Turin Verfassungen, die sich mit ihrem Zweikammersystem an der französischen Charta von 1830 orientierten. Selbst Papst Pius IX. erwog einige Verbesserungen in der Verwaltung des Kirchenstaates.Im März 1848 ernannte er ein neues Kabinett, dem immerhin sechs Nichtklerikale angehörten. Die Neuen galten sogar als Liberale. Zur selben Zeit sprang der revolutionäre Funke auch auf das Lombardo-Venezianische Königreich über. Am 17. März, nur zwei Tage nach Metternichs Sturz, fiel die Stadt Venedig in die Hände von Aufständischen. Unterstützt von vielen italienischstämmigen Soldaten und Arbeitern des Marinearsenals riefen nur sechs Tage später der Advokat Daniele Manin, den man zuvor aus dem Gefängnis befreit hatte, und Niccolò Tommaseo eine provisorische Regierung aus, die sich aber durchaus nicht als Teil eines zukünftigen Italiens verstand, sondern als Nachfolgerin der alten venezianischen

Repubblica di San Marco

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Noch am selben Tag musste sich Feldmarschall Josef Wenzel Graf Radetzky von Radek mit seinen Truppen aus Mailand zurückziehen, nachdem es den Aufständischen unter Bürgermeister Gabrio Casati gelungen war, in langen Straßenkämpfen, die als die „Fünf Tage von Mailand“ in die Geschichte eingingen, sämtliche wichtigen Positionen der Stadt zu besetzen. Habsburgs Herrschaft über Italien stand unmittelbar vor dem Zusammenbruch. Nun sah auch König Carlo Alberto den Zeitpunkt gekommen, trotz der mangelnden Kriegstüchtigkeit seiner Armee in den Konflikt einzugreifen. Seine Kriegserklärung an Österreich vom 24. März 1848 wurde von den lombardischen Patrioten allerdings mit zwiespältigen Gefühlen aufgenommen. Die Mailänder konnten darin nur den dreisten Versuch sehen, von ihren Erfolgen zu profitieren. Auch der aus dem Exil herbeigeeilte Mazzini wies die unverhohlenen Ansprüche Piemonts auf die reiche Nachbarprovinz strikt zurück und unterstellte Carlo Alberto sogar dynastische Expansionsgelüste. Eine derart beträchtliche Vergrößerung des sardischen Königreiches könne, so Mazzini, die Einheit Italiens gefährden. Aus dem gleichen Grund fiel die Unterstützung der piemontesischen Armee durch die übrigen Staaten Italiens nur sehr dürftig aus. Gleichwohl gelang es den Streitkräften Carlo Albertos, bis zum Mincio und sogar noch ins österreichische Festungsviereck vorzustoßen. Dort aber traf ihn der habsburgische Gegenschlag mit voller Wucht. Radetzky hatte inzwischen Verstärkungen erhalten und überrannte die piemontesische Armee in mehreren Schlachten. Am 6. August 1848 konnte der 82-jährige Feldherr wieder in Mailand einziehen. Drei Tage später musste Carlo Alberto um einen Waffenstillstand nachsuchen. Noch hielt aber Venedig aus. Radikale Patrioten wie Mazzini und der aus Südamerika zurückgekehrte Garibaldi waren jedoch nicht in die belagerte Lagunenstadt gegangen, sondern nach Rom. Dort hatte Pius IX. mit seinen Reformen zunächst überzogene Hoffnungen geweckt, dass sich der Kirchenstaat ganz im Sinne der Ideen Giobertis in den Dienst der nationalen Bewegung stellen würde. Doch schon die Neutralitätserklärung des Papstes vom 29. April 1848 hatte im ganzen Land für Ernüchterung und sogar Empörung gesorgt. Nach der Ermordung des ge mäßigten Regierungschefs Pelligrino Rossi am 15. September 1848 eskalierte die angespannte Lage in der Ewigen Stadt. Von Aufständischen bedroht, mussten Papst und Kardinäle das Land verlassen. Pius selbst fand Unterschlupf in der Hafenstadt Gaeta, die zum Königreich „Beider Sizilien“ gehörte. In Rom konstituierte sich derweil eine republikanische Regierung unter dem Triumvirat von Mazzini, Aurelio Saffi und Carl Armellini. Garibaldi übernahm das Militärwesen, während Mazzini hoffte, dass Rom zum Kristallisationspunkt für alle noch aktiven revolutionären Bewegungen im Lande werden würde. Unter großen Beifallsstürmen wurde im Januar 1849 Giuseppe Verdis Oper „Die Schlacht von Legnano“ in Rom uraufgeführt. Der Komponist dirigierte sein patriotisches Werk zwar selbst, reiste aber, nachdem er sich ausgiebig als revolutionärer Held hatte feiern lassen, noch vor Ausbruch der Kämpfe wieder nach Paris ab.

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Noch bis März musste die wieder erstarkte Schutzmacht Österreich dem Treiben der Revolutionäre in Rom untätig zusehen. Die endgültige Niederlage Piemont-Sardiniens in der Schlacht von Novara am 23. März 1849 und die unmittelbar darauf folgende Abdankung Carlo Albertos verschafften ihr endlich freie Hand, den revolutionären Brandherd auszutreten. An der Eroberung Roms beteiligte sich jetzt aber auch ein starkes französisches Korps, das der neue Präsident der Zweiten Republik, Louis Napoleon, nach Italien geschickt hatte. Mit Blick auf seine starke katholische Wählerschaft glaubte er sich als Schutzherr des Papstes inszenieren zu müssen. Nach zehntägigem schweren Beschuss gelang seinen Truppen am 3. Juli 1849 am Gianicolo der Einbruch in die Stadt. Die noch am selben Tag von der republikanischen Regierung verabschiedete Verfassung, die fortschrittlichste der gesamten Revolution, konnte nicht mehr in Kraft treten. Mazzini und Garibaldi glückte die Flucht nach Norden. Auf Umwegen erreichten sie Piemont, von wo aus sie erneut ins Ausland gingen. Der junge Dichter Goffredo Mameli, ein Gefolgsmann Garibaldis und Verfasser des Textes der späteren Nationalhymne (Brüder Italiens), verstarb dagegen in einem römischen Lazarett. Mit der Kapitulation Venedigs nach zehnmonatiger Belagerung am 28. August 1849 endete vorerst die italienische Revolution. Die Reaktion schien auf ganzer Linie gesiegt zu haben. Doch eine Rückkehr zu den vormärzlichen Zuständen war gleichwohl nicht mehr möglich. Zu stark war die revolutionäre Bewegung gewesen, zu tief war sie bereits im öffentlichen Bewusstsein verankert, als dass Österreich noch darauf rechnen konnte, ein zweites Mal Herr der Lage zu werden.







Die italienische Frage kommt auf die Agenda der Großmächte





Der nächste Akt der italienischen Staatsbildung vollzog sich jedoch nicht mehr auf der Straße, sondern auf der diplomatischen Bühne Europas. Der Mann, dem es gelang, die italienische Frage auf die Agenda der Großmächte zu setzen, hieß Camillo Benso di Cavour. 1852 hatte der ehemalige Offizier, Gutsbesitzer und schließlich Chefredakteur der Zeitung Il Risorgimento im Alter von 42 Jahren das Amt des piemontesischen Ministerpräsidenten von seinem Vorgänger Massimo D’Azeglio übernommen. An politischem Scharfsinn, Durchsetzungsvermögen und Skrupellosigkeit stand er kaum hinter Bismarck zurück. Er galt aber auch als aufbrausend, unbeherrscht und als notorischer Lügner. Die Chancen der ökonomischen und technischen Modernisierung verkannte er jedoch nicht. Piemont-Sardinien musste ein starker Staat werden, alles Weitere würde sich finden. Ausdrücklich verwarf Cavour den revolutionären Weg der Mazzinisten, deren letzter Aufstand im Februar 1853 von den österreichischen Behörden in Mailand nur allzu leicht vereitelt werden konnte. Zugleich trat er aber für eine großzügige Entschädigung aller Lombarden ein, die vor den Österreichern nach Piemont geflohen und deren Güter daraufhin eingezogen worden waren.



Als 1853 der orientalische Krieg zwischen Russland und der Türkei ausbrach und im Herbst 1854 britische und französische Truppen auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim landeten, sah der massige Ministerpräsident mit dem dünnen Kinnbart die Chance gekommen, das norditalienische Königreich auf internationaler Bühne zu positionieren. Begünstigt von Habsburgs ergebnisloser Schaukelpolitik zwischen Russland und den Westmächten, setzte er es gegen erhebliche Widerstände im eigenen Kabinett durch, dass Piemont-Sardinien ein kleines Korps von 15.000 Mann auf den entlegenen Kampfplatz entsandte. Den Kriegsverlauf mochte die sardische Streitmacht unter General Alfonso La Mamora zwar kaum zu beeinflussen, aber es verschaffte Cavour immerhin einen Platz am Tisch der Pariser Friedenskonferenz, auf der im Frühjahr 1856 die europäischen Verhältnisse neu geordnet wurden. Der norditalienische Kunststaat war damit bündnisfähig geworden und Frankreich, der favorisierte Kandidat für eine antihabsburgische Allianz, zeigte sich, anders als Großbritannien, den Avancen Piemonts keineswegs abgeneigt. Zwar hatte sich Napoleon III. durch seine Rolle bei der Niederwerfung der römischen Republik keine Freunde unter Italiens Patrioten gemacht, aber Cavour sah darüber hinweg, ging es ihm doch vorerst einmal nur um den Erwerb des Lombardo-Venezischen Königreiches mit französischer Hilfe. An eine italienische Einigung in einem Zuge, wie sie dann 1859/60 tatsächlich zustande kam, glaubte er damals noch nicht, sie war ihm als gebürtigem Savoyer mit einer schweizerischen Mutter auch keine Herzensangelegenheit. Cavour hatte sich Zeit seines Lebens nach Mittel- und Westeuropa orientiert. England und Frankreich hatte er bereist, sie waren seine Vorbilder, das Italien südlich von Rom war ihm dagegen völlig unbekannt.

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Im lothringischen Plombières-les-Bains einigten sich im Juli 1858 die beiden Politiker auf ein gemeinsames Vorgehen in Norditalien. Napoleon III. würde Piemont militärisch unterstützen, wenn es von Österreich angegriffen würde. Habsburg sollte ganz aus Italien vertrieben werden, während Piemont-Sardinien mit Lombardo-Venezien sowie mit Parma und Modena ein neues norditalienisches Königreich mit etwa elf Mio. Einwohnern bilden würde. Aus der Toskana und dem Gebiet des Kirchenstaates sollte ein zweiter Staat entstehen, der Papst auf Rom beschränkt bleiben, während das Königreich „Beider Sizilien“ unangetastet blieb. Alle drei italienischen Staaten könnten sich dann später zu einer Föderation zusammenschließen, deren Ehrenvorsitzender – gewissenmaßen als Entschädigung – der Papst sein würde.

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Die Abtretung von Nizza und Savoyen an Frankreich erschien Cavour als Preis nicht zu hoch für Turins gewaltigen Machtzuwachs, sollte der Plan aufgehen. Dass der freiwillige Verzicht auf alte italienische Gebiete den Zielen des Risorgimento zuwiderlief, störte ihn nicht im Geringsten. Überhaupt nahmen nur wenige Patrioten wie etwa der aus Nizza stammende Giuseppe Garibaldi an dem ungewöhnlichen Kuhhandel Anstoß.



Obwohl das geheime Abkommen in diplomatischen Kreisen bald durchgesickert war, tappte die Wiener Politik tatsächlich in die ihr von Cavour gestellte Falle. Am 23. April 1859 forderte Habsburg ultimativ die Abrüstung der piemontesischen Armee und die Auflösung der Freikorps. In den Augen Europas war es zum Aggressor geworden. Drei Tage später unternahmen österreichische Truppen sogar einen zaghaften Vorstoß über den Grenzfluss Tessin. Damit war der Bündnisfall eingetreten. Als bis Mitte Mai rund 150.000 Franzosen über die Alpen und zur See in Norditalien eintrafen, hatte Österreich seine Chance verpasst, die piemontesischen Truppen isoliert zu schlagen. Seine unentschlossene Kriegführung war auch die Ursache der Niederlage von Magenta am 4. Juni 1859 – eine Schlacht, die am Abend noch keineswegs verloren war – und der fluchtartigen Räumung von Mailand. In der Schlacht von Solferino siegten knapp drei Wochen später die Verbündeten, dieses Mal deutlich. Erneut aber hatten die Franzosen die Hauptlast des Kampfes tragen müssen, während die piemontesische Armee bei San Martino vollkommen versagte. Napoleon III. hatte inzwis