1866

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Sähe das alles aber zu abenteuerlich aus, so brachte Bismarck wieder seinen alten Lieblingsgedanken ins Spiel, „so sollten wir doch wenigstens diesen günstigen Moment benutzen, um ein Bundesverhältnis los zu werden oder zu ändern, welches uns von Haus aus keine würdige Stellung und keine unseren Pflichten und unserer Macht entsprechenden Rechte gewährt.“

In seiner Ablehnung des vorsichtigen Schleinitzschen Kurses war vonseiten Bismarcks wohl auch viel Neid im Spiel, denn der um acht Jahre ältere Außenminister war 1836, anders als der damals zurückgewiesene Bismarck, in den diplomatischen Dienst aufgenommen worden und genoss inzwischen das volle Vertrauen des Hofes und vor allem der Gattin des Prinzregenten, die wiederum Bismarck seit den stürmischen Revolutionstagen in Berlin zutiefst verabscheute. Der Hass des späteren Reichskanzlers auf Schleinitz, den damals von vielen geschätzten Konkurrenten und weltgewandten Literaturkenner, war so pathologisch, dass er noch im Jahre 1881 seinem ältesten Sohn Herbert unter Selbstmorddrohungen untersagte, Elisabeth zu Carolath-Beuthen, die attraktive Stiefschwester der Gattin des Grafen, zu heiraten. (Schleinitz hatte 1865 im Alter von 58 Jahren die erst 23-jährige Marie von Buch geehelicht.)

Österreichs überraschender Waffenstillstand mit Frankreich am 8. Juli 1859 entzog allen bismarckschen Spekulationen den Boden. Gleichwohl konnte der Petersburger Gesandte mit dem Ausgang des Krieges zufriedener sein als die Berliner Administration. Die Österreicher suchten einen Sündenbock und es fiel ihnen nicht schwer, die preußische Politik an den Pranger zu stellen. Wie groß auch immer der Zorn der Öffentlichkeit auf das gescholtene Preußen sein mochte, auf realpolitischer Ebene hatte der Italienische Krieg ihm zwei gewichtige Vorteile verschafft. Denn nun gab es mit dem neuen italienischen Nationalstaat einen potenziellen Alliierten gegen Österreich. Innenpolitisch wiederum erweiterte sich das Feld der Optionen durch die Gründung des Deutschen Nationalvereins, mit dessen führenden Vertretern Bismarck umgehend Gespräche führte.40 Doch noch war seine Zeit als Leiter der preußischen Politik nicht gekommen. Während die Regierung der „Neuen Ära“ in Berlin immer tiefer in den Konflikt um die große Heeresreform geriet, verharrte der Schönhausener, geschüttelt von Krankheit, Resignation und Wut, drei endlose Jahre in der Warteschleife zum Ministerpräsidenten.

Als er schließlich am 22. September 1862 nach einem bangen Hin und Her an das Ziel seiner Wünsche gelangte, geschah dies auf dem Höhepunkt eines innenpolitischen Konfliktes, der längst zur Staatskrise eskaliert war. Vordergründig ging es um die Finanzierung der großen Heeresreform und um die vom König kompromisslos geforderte dreijährige Dienstzeit, tatsächlich aber schon um die Frage, ob die höchste Macht in Preußen noch dem Monarchen oder schon nach britischem Muster dem Parlament zufiel. Seit den Wahlen vom Mai 1862 dominierten die Liberalen und die Fortschrittspartei den Landtag und pochten auf die Unantastbarkeit ihres Budgetrechtes.

Bismarck hoffte, die Konfrontation entschärfen zu können, indem er nicht etwa Kompromisse anbot, sondern äußere Erfolge suchte. Sein Rezept lautete: im Inneren strikt konservativ, außenpolitisch dagegen die Agenda der Liberalen verfolgen. Hauptangriffspunkt seiner Politik war der Deutsche Bund, die verhasste Union der Fürsten, mit deren Hilfe Österreich den preußischen Konkurrenten immer noch kleinzuhalten hoffte.

Überraschender Kurswechsel – Bismarck geht mit Österreich

Er sehe in dem Bundesverhältnis ein „Gebrechen Preußens“, hatte er schon am 12. Mai 1859, während des Italienischen Krieges, an Außenminister von Schleinitz geschrieben, das früher oder später ferro et igni geheilt werden müsse. Ähnlich lautete seine vielfach skandalisierte Formulierung vor der Budgetkommission des preußischen Landtages am 29. September 1862: Die großen Fragen der Zeit würden nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse entschieden, sondern durch Eisen und Blut.41 Dem österreichischen Gesandten in Berlin, Aloys Graf Károlyi, drohte er im Dezember 1862: „Sie werden mit uns als europäischer Großmacht zu tun bekommen.“ Die Beziehungen beider Mächte würden entweder besser oder schlechter werden, als sie es gegenwärtig seien, so Bismarck, er sei aber bereit zu einem gemeinschaftlichen Versuche, sie besser zu machen. Und ganz unverblümt regte er eine deutliche Trennung der Einflusszonen an. Für Preußens freie Hand in Norddeutschland bot der Ministerpräsident dem sichtlich erstaunten Botschafter an, „Österreichs Vitalinteressen“ in Italien wie auf dem Balkan zu den Seinigen zu machen und „dem Kaiserstaat darin unbedingt beizustehen“. Misslinge allerdings der Versuch durch Österreichs Weigerung, weil es sich in den Bahnen der Schwarzenbergschen Politik fortbewege, so möge niemand darauf rechnen, dass sich Preußen durch „bundesfreundliche Reden werde fesseln lassen.“42

Es war daher nur folgerichtig, dass Bismarck den von Österreich im August 1863 forcierten Versuch einer Reform des Bundes mit allen Mittel zu durchkreuzen versuchte. Nur mit seiner ersten Rücktrittsdrohung, dem sogenannten Kabinettsrevolver, konnte er König Wilhelm davon abhalten, der wiederholten und zuletzt vom sächsischen Monarchen persönlich überbrachten Einladung zum Frankfurter Fürstentag zu folgen. In seiner offziellen Antwort erklärte der preußische Ministerpräsident, dass eine bloße Reform der Bundesbehörden keinen echten Fortschritt bringen werde, sondern nur eine wahre, aus der direkten Beteiligung der ganzen Nation hervorgehende National-Vertretung. Auch wenn Bismarck nur zu gut wusste, dass sein Gegenvorschlag für Österreich und seine deutschen Verbündeten unannehmbar war, meinte er es gleichwohl damit ernst. Im April 1866 sollte er seinen Vorschlag erneuern und nach dem Sieg durch die Schaffung des Norddeutschen Bundes dann auch vollkommen realisieren.

Nur wenige Monate nach dem gescheiterten Frankfurter Fürstentag ergab sich für Bismarck endlich die lange erhoffte Gelegenheit, mit einem außenpolitischen Erfolg die liberale Opposition in Preußen zu spalten. Wie viele Streitpunkte der 48er-Revolution war auch die Schleswig-Holstein-Frage nur zurückgestellt, nie aber wirklich gelöst worden. Der dänische Monarch herrschte seither weiterhin in Personalunion über die beiden überwiegend deutschsprachigen Herzogtümer, von denen aber nur Holstein zum Deutschen Bund gehörte. Schleswig dagegen befand sich im staatsrechtlichen Niemandsland. Der Versuch der Großmächte, diesen Status quo im Londoner Protokoll von 1852 festzuschreiben, hatte weder die dänischen noch die deutschen Nationalisten zufriedengestellt. Als am 18. November 1863 der neue dänische König Christian IX. aus dem Hause Glücksburg unter dem Druck der Kopenhagener Öffentlichkeit eine Verfassung unterzeichnete, die das Herzogtum Schleswig staatsrechtlich in das Königreich Dänemark einfügte, war dies nach allgemeinem Verständnis ein klarer Verstoß gegen die Londoner Großmächtevereinbarung.43 Zudem galt immer noch die altertümliche Bestimmung, dass Schleswig und Holstein niemals geteilt werden dürfen. Obwohl für das Herzogtum Schleswig gar nicht zu ständig, beschloss die Frankfurter Bundesversammlung, von der nationalen Erregung mitgerissen, eine Bundesexekution gegen Christian IX., der als Herzog von Holstein auch deutscher Bundesfürst war. Wie schon 1848/49 hofften große Teile der deutschen Öffentlichkeit, dass die beiden überwiegend deutschsprachigen Herzogtümer jetzt endlich an ein deutsches Fürstenhaus fallen würden. In erster Linie infrage kam hierfür die Familie Augustenburg-Sonderburg, eine Nebenlinie der alten Herzöge von Schleswig-Holstein. Deren Familienoberhaupt, Herzog Christian August, hatte zwar in den Londoner Verhandlungen 1852 auf seine Rechte in den Elbherzogtümern verzichtet, was aber nicht für seinen Sohn gelten sollte, der nun zum Liebling und Favoriten der deutsch-nationalen Bewegung avancierte.

Bismarck sah das Vorgehen der Bundesversammlung höchst kritisch. Hätte es tatsächlich Erfolg, so wäre das Resultat eine politische Aufwertung des Deutschen Bundes, die er unter allen Umständen vermeiden wollte. Zudem wäre mit der Herrschaft der Augustenburger nur ein neues deutsches Fürstentum geschaffen worden, an dessen proösterreichischem Kurs er keinen Augenblick zweifelte. Bismarcks Ausweg aus der vertrackten Lage war eine politische Volte, die ganz Deutschland bestürzte und Europa in Erstaunen versetzte. Entgegen den Erwartungen der Nationalliberalen, mit denen er so oft kokettiert hatte, forderte Bismarck nun plötzlich die strikte Einhaltung des Londoner Protokolls. Preußen, die unfertige und unruhige Großmacht, die 1849 noch aufseiten der Nationalisten in Schleswig-Holstein gekämpft hatte, trat für den Erhalt des ungeliebten Status quo ein. Damit hatte niemand gerechnet, am allerwenigsten Wien, das Bismarck nun sogar für einen gemeinsamen Kurs in der Schleswig-Holstein-Frage gewinnen konnte. Auch wenn sein alter Bekannter aus Frankfurter Tagen, Graf von Rechberg, nunmehriger Leiter der österreichischen Politik, ebenso wenig wie Bismarck an die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Londoner Protokolls glaubte, blieb dem Vielvölkerstaat fast gar keine andere Wahl, als die antinationale Karte zu spielen und gemeinsam mit Preußen eine streng legalistische Position zu beziehen. Anfang Dezember einigten sich Berlin und Wien zunächst formlos auf einen gemeinsamen Vorgehensmodus gegen Dänemark. Im Bündnis ließen sich auch die argwöhnischen europäischen Großmächte besser aus dem Konflikt heraushalten. Bismarck freute sich wie ein Schneekönig. Es sei noch nie da gewesen, so schrieb er am 24. Dezember 1863 mit unverhohlenem Triumphgefühl an den preußischen Botschafter in Paris, Robert Graf von der Goltz, seinen Widersacher und schärfsten Konkurrenten um das Amt des Außenministers, dass nunmehr die Wiener Politik en gros und en detail von Berlin aus geleitet wurde.44 Nur drei Wochen später, am 16. Januar 1864, erfolgte unter Androhung einer Pfandbesetzung von Schleswig das gemeinsame Ultimatum beider Mächte an Dänemark. Österreich verpflichtete sich ausdrücklich, alle weiteren Schritte mit Preußen abzustimmen, sodass anderslautende Beschlüsse der Frankfurter Bundesversammlung ohne Belang waren. Viel war erreicht, betrachtete man Preußens Ausgangsposition nach Olmütz, aber nun erhöhte Bismarck den Einsatz, indem er erstmals im preußischen Kronrat am 3. Februar 1864 offenlegte, dass nicht etwa die Beibehaltung des Status quo, sondern die Annektierung der sogenannten Elbherzogtümer durch den Hohenzollernstaat das tatsächliche Ziel sei. Hier drohte nun die Leine zu reißen, durch die das österreichische Boot an Preußen gebunden war. Doch der preußische Ministerpräsident verstand es mit seltener Virtuosität, sogar mitten im Rennen die Pferde zu wechseln und sich jetzt wieder die Sehnsüchte aller nationalen Strömungen im Lande zunutze zu machen, auch wenn er sie soeben noch vor den Kopf gestoßen hatte.

 

Kaum hatte die preußische Armee mit der Erstürmung der Düppeler Schanzen am 18. April 1864 ihren ersten bedeutenden militärischen Erfolg erzielt, ließ er durch den ihm eng befreundeten Adolf Heinrich Graf von Arnim-Boitzenburg eine Petition zugunsten der Annektierung lancieren, die binnen weniger Wochen mehr als 70.000 Unterzeichner fand.45 Damit war die Katze aus dem Sack, aber einen Bruch mit Österreich bedeutete dieser Richtungswechsel noch nicht. Beide Mächte agierten auch während der Londoner Friedensgespräche im Mai und Juni 1864 gemeinsam, akzeptierten im Gegensatz zu den Dänen den britischen Vorschlag einer neuen Grenzziehung auf der Grundlage eines unabhängigen Schiedsspruches und setzen nach Ablauf des Waffenstillstandes auch gemeinsam den Krieg gegen das nun völlig isolierte Dänemark fort. Das nordische Königreich hatte trotz seiner überlegenen Flotte militärisch keine Chance. Am 29. Juni besetzten zwei preußische Divisionen in einer amphibischen Operation die Insel Alsen, wobei die dänische Armee noch einmal 3500 Mann verlor. Nur zehn Tage später bat die Regierung in Kopenhagen um Waffenstillstand und trat im Frieden von Wien am 1. August 1864 alle seine Rechte über Schleswig und Holstein an Preußen und Österreich ab.46 Bismarck triumphierte. Ein Kurs aus dem Lehrbuch der politischen Strategie hatte das, was anfangs nur ein sehr kühner Traum gewesen war, Wirklichkeit werden lassen. Wie aber sollte die Beute geteilt werden, die nun mit Österreichs Hilfe vor die preußische Haustür geschleppt worden war? Der preußische Ministerpräsident war zunächst entschlossen, an der Frage nach der Zukunft der Elbherzogtümer das plötzlich so gute Verhältnis zu Österreich nicht zerbrechen zu lassen. An der Seite Wiens war Preußen sehr weit gelangt, weshalb also sollte das neue informelle Bündnis jetzt wieder aufgegeben werden? In der Hofburg sah man das offenbar ähnlich. Nur drei Wochen nach dem Wiener Friedensschluss entwickelten Rechberg und Bismarck in viertägigen Verhandlungen in Schönbrunn eine preußisch-österreichische Konvention, in der beide Mächte auf der Basis einer Aufteilung der Interessensphären entlang des Mains eine konservativ-antirevolutionäre Allianz anstrebten. Preußen sollte Schleswig-Holstein annektieren dürfen, während es im Gegenzug versprach, Österreich bei einem möglichen Rollback in Italien zu unterstützen. Dass es Bismarck mit diesem Versuch durchaus ernst war, bewiesen seine hartnäckigen Bemühungen, dem Habsburgerstaat sogar in der strittigen Frage der Zollunion entgegenzukommen. Doch gegen die starke Wirtschaftslobby der Zollvereinsmitglieder, vertreten durch den Staatssekretär im Preußischen Handelsministerium, Rudolf Delbrück, kam selbst Bismarck nicht an. Erst 1862 hatte Preußen ein Freihandelsabkommen mit Frankreich geschlossen, was durch Österreichs Forderung nach Schutzzöllen für seine noch im Aufbau befindlichen Industrien ernsthaft infrage gestellt worden wäre. Wenn auch widerstrebend, musste der Ministerpräsident einsehen, dass es hier selbst für einen noch so vage formulierten Kompromiss keinerlei Spielraum gab.47 Die rasante Industrialisierung in Mittel- und Westeuropa hatte längst Tatsachen geschaffen, die auch der Machtmensch Bismarck nicht ignorieren konnte.

Der Streit um die dänische Beute eskaliert zum Krieg

Österreich machte aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. Rechbergs Politik der Kooperation mit Preußen war gescheitert. Sie hatte für Wien zu keinem zählbaren Ergebnis geführt. Nach seiner Entlassung im Oktober 1864 zeichnete sich rasch ab, dass der Habsburgerstaat wieder auf seinen alten Kurs zurückschwenken würde, um sich notfalls an der Seite der deutschen Mittelstaaten gegen Preußen zu stellen. Zwar kamen im August 1865 Bismarck und sein neuer österreichischer Amtskollege, Alexander Graf Mensdorff-Pouilly, in Bad Gastein im Salzburger Land zusammen, um sich über die gemeinsame Verwaltung der Elbherzogtümer abzustimmen. Doch der neuen Vereinbarung, gemäß der Schleswig unter preußische Verwaltung kommen sollte, während Österreich Holstein erhielt, gaben beide Mächte insgeheim keine große Zukunft. Eine Zeit lang hoffte Bismarck noch, dass sich der notorisch überschuldete Habsburgerstaat keine dauerhafte Präsenz in Norddeutschland würde leisten können und daher vielleicht zu einer Abtretung seiner Rechte gegen eine angemessene Entschädigung bereit sei. Doch davon wollte man in Wien nichts wissen. Franz Joseph sah darin sogar einen unwürdigen Schacher, der das Ansehen des Kaiserstaates in ganz Deutschland schädigen musste. Über kurz oder lang, so fürchtete Bismarck jetzt, würde sich Österreich daher wieder der Position der übrigen deutschen Staaten anschließen, die nach wie vor eine Regierungsübernahme durch die Augusten burger favorisierten. Als daher die österreichischen Behörden am 23. Januar 1866 nicht gegen eine proaugustenburgische Massenversammlung in Altona vorgingen, wertete Bismarck dies als einen klaren Verstoß gegen das Gasteiner Abkommen und ließ durch den preußischen Geschäftsträger in Wien eine in scharfem Ton formulierte Protestnote übergeben. Der österreichische Ministerrat unter Vorsitz Kaiser Franz Josephs nahm den Fehdehandschuh am 21. Februar auf und erklärte, dass man sich nicht ohne Schwertstreich aus wohlerworbenen Positionen verdrängen lassen würde.48 Genau dies musste man dann aber doch, als der Kaiserstaat am 12. Juni 1866 in einem Geheimvertrag Venetien, seinen letzten italienischen Besitz, an Napoleon III. als Preis für Frankreichs Neutralität abtrat. Obwohl sich auch Preußen mit französischen Kompensationsforderungen in wechselndem Umfang konfrontiert sah, fasste der preußische Kronrat erstmals am 28. Februar ernsthaft einen Krieg gegen Österreich ins Auge. Bismarck beendete einen längeren Vortrag über den preußisch-österreichischen Dualismus seit dem 18. Jahrhundert mit der Feststellung, dass Preußen die einzige lebensfähige politische Schöpfung auf den Ruinen des alten deutschen Reiches sei. Mit Ausnahme des Kronprinzen stimmten sämtliche Teilnehmer mit dem Kurs des Ministerpräsidenten überein und man entschloss sich noch in derselben Sitzung, mit Italien in Allianzverhandlungen einzutreten. Generalstabschef Helmuth von Moltke sollte dazu nach Florenz reisen. Bismarcks nunmehrige Forcierung des antiösterreichischen Kurses bedeutete jedoch nicht, dass seinen vorangegangenen Bemühungen um einen friedlichen Ausgleich mit dem Habsburgerstaat von Beginn an die ernste Absicht gefehlt hätte. Die Österreichpolitik des späteren Reichskanzlers knüpfte ja nach 1871 genau an die Schönbrunner Leitlinien vom August 1864 an.

Das Olmütz-Erlebnis von 1850 hatte den Politiker Bismarck zwar geprägt und seinen Weg in die hohe Diplomatie lange bestimmt. Als Staatsmann besaß er aber auch die Größe, sein Ressentiment im richtigen Moment zurückzustellen und bis zuletzt einen Ausgleich mit Österreich zu versuchen, sofern nur Preußens Dominanz in Norddeutschland garantiert war.

Wiens nun unverhohlen gezeigte Sympathien mit den Augustenburgern konnte Bismarck jedoch niemals akzeptieren. Als der Kaiserstaat am 1. Juni 1866 die Entscheidung über die Zukunft der Elbherzogtümer in die Hände des Frankfurter Bundestages legte, war dies der entscheidende Schritt zum Krieg. Ein Sieg der verhassten Augustenburger Fraktion, die selbst in Preußen starken Zuspruch besaß, wäre aber Bismarck, wie er es schon früher in einem Brief an Kriegsminister Albrecht von Roon formuliert hatte, als ein noch „schlimmeres Olmütz“ erschienen.49 Schließlich hatte er keinen Krieg gegen Dänemark geführt und dabei sogar ein Eingreifen der Großmächte riskiert, nur um einem neuen deutschen Duodezfürstentum zur Existenz zu verhelfen. Die politische Arbeit von vier Jahren wäre zerstört, sämtliche bisherigen Erfolge zunichte gemacht. Ein Zurückweichen vor Österreich und seinen Verbündeten im Deutschen Bund kam für Bismarck daher nicht mehr infrage.


Porträt Otto von Bismarcks von 1864

Die ursprünglichen Revanchegelüste des einfachen Landtagsabgeordneten gegenüber dem scheinbar allmächtigen Kaiserstaat waren längst erloschen, aber die Furcht des Ministerpräsidenten vor einem neuerlichen preußischen Rückzug, für den sich „Olmütz“ als Synonym eingeprägt hatte, war immer noch wach und dieses Mal würden Preußens Regimenter nicht auf Österreichs Druck tatenlos in ihre Kasernen zurückkehren.

Italien und das Risorgimento 1815–1866

„Das italienische Volk ist zu 20 Prozent dumm, schurkisch und kühn, zu 80 Prozent dumm, ehrenhaft und zaghaft, und so ein Volk hat die Regierung, die es verdient. Selbst wenn die Österreicher aus freien Stücken abzögen, wären wir noch längst keine Nation. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, Italiener zu schaffen, wenn wir ein Italien wollen.“

Massimo D’Azeglio, Ministerpräsident Piemont-Sardiniens im März 184950

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts schien Italien ein Land, das seine Geschichte schon hinter sich hatte und dessen pittoreske Trümmerlandschaften inzwischen Künstler, Literaten und sonstige Bildungsreisende aus ganz Europa in Scharen anzogen. Das große Zeitalter der Lagunenstadt Venedig war da bereits ebenso verblassende Vergangenheit wie der Glanz der Staufer oder der Ruhm der Päpste. Längst vergangen war auch die Epoche der Renaissance und Italiens ganz Europa beeinflussende Dominanz in Wissenschaft und Kultur. Seit mehr als einem Jahrhundert befand sich das Land bereits im Niedergang. Der Publizist und Dichter Giuseppe Ferrari nannte es Italiens jahrhundertelangen Schlaf. Zersplittert in eine Reihe mehr oder weniger nennenswerter Herrschaften und Königreiche war Italien zum Spielball auswärtiger Mächte geworden und vom geistigen Zentrum Europas allmählich an seine Peripherie gerückt. Doch die Französische Revolution, deren Heere bald auch in Norditalien auftauchten, stellte innerhalb nur eines Jahrzehnts die gesamte überkommende Ordnung des Landes auf den Kopf. Die Franzosen prahlten, dass man Italien die Freiheit gebracht habe, und ließen sich ihren dubiosen Dienst mit Steuern und Kontributionen in beispielloser Höhe vergüten. Die Kunstschätze des Landes wurden nach Paris gebracht, seine Soldaten in Spanien und Russland zu Tausenden geopfert und der Katholizismus Stück für Stück demontiert. Als Napoleon 1809 Papst Pius VII. nach Savona verschleppen ließ, erschien seine ungeheure Tat vielen Italienern nur als der unrühmliche Höhepunkt dieser epochalen Plünderei.

Als dauerhaftes Vermächtnis der Französischen Revolution blieb immerhin die Idee einer geeinten und freien Nation. So hatte etwa in Mailand Melchiorre Gioia bereits 1796, noch vor dem Einmarsch Napoleons, eine freie Regierung gefordert, unter der die gesamte italienische Nation geeint werden solle. Sein Text fand damals so viel Anklang, dass er sogar von den Mailänder Behörden prämiert wurde.51 Im selben Jahr war auch erstmals anlässlich der Gründung der Cispadanischen Republik, die für kurze Zeit die Städte Reggio, Modena, Ferrara und Bologna vereinigte, die republikanische rotweiß-grüne Flagge gezeigt worden. Die Parole vom Risorgimento, von der Wiedergeburt Italiens, kam jedoch erst ein halbes Jahrhundert später in Gebrauch, als im Dezember 1847 Cesare Balbo, der spätere Ministerpräsident Piemont-Sardiniens, in Turin eine Zeitung gleichen Namens herausgab. Zu seinen prominentesten Autoren zählte auch sein politischer Nachfolger, Camillo Benso di Cavour.52 Mit seinen beabsichtigten Anklängen an die Renaissance war das Risorgimento sogleich auch Projektionsfläche für vielerlei Vorstellungen vom Wiederaufleben der einstigen kulturellen Großmachtstellung und dem Wahn einer besonderen Mission Italiens in der Geschichte der Menschheit.

 

Dass die Vielfalt der italienischen Staatenwelt, seit jeher nur verbunden durch ihre gemeinsame Sprache und literarische Tradition, einmal in einem einzigen Staat aufgehen sollte, war zu Beginn des 19. Jahrhunderts allerdings noch ein völlig neuer Gedanke. Nur wenige Gebildete sprach er an. Zu ihnen zählte gewiss der Dichter und Dramatiker Allessandro Manzoni, der 1821, wenige Wochen vor der Zerschlagung der piemontesischen Geheimgesellschaften durch die habsburgischen Behörden, in pathetischer Übertreibung erklärte, dass das italienische Volk eins sei und „vereint in Waffen, Sprache, Religion, Erinnerung an die Vergangenheit, Blut und Gefühl.“53

Die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress hatte jedoch Italien mehr denn je von den Zielen der neuen Nationalisten entfernt. Ein weiteres und ein letztes Mal wurden 1815 die Geschicke Italiens von fremden Staatsmännern bestimmt.54 Politisch präsentierte sich das postnapoleonische Italien, wie schon im Ancien Régime, als ein Sammelsurium unterschiedlichster Staaten, von denen das restituierte Königreich „Beider Sizilien“ noch die größte Ausdehnung besaß. Der Kirchenstaat, der sich über den Mittelteil der Halbinsel bis hinauf nach Bologna zog, war ein kaum reformierbarer Anachronismus – über seine primitiven Verhältnisse rümpfte selbst Metternich die Nase –, während das um Genua vergrößerte Königreich Piemont-Sardinien mit der Hauptstadt Turin noch am ehesten den Anschluss an die jüngsten europäischen Entwicklungen zu halten schien. Seine Herrscher schwankten allerdings zwischen dem vorrevolutionären aufgeklärten Absolutismus und vorsichtigen Zugeständnissen an ein mit wachsendem Selbstbewusstsein auftretendes Bürgertum.

Den Löwenanteil Italiens aber hatte sich 1815 Habsburg gesichert. Venetien und die Lombardei, zwei der am meisten entwickelten Gebiete der Halbinsel, waren als Lombardo-Venezianisches Königreich direkt der Monarchie einverleibt worden, während die mittelitalienischen Fürstentümer Parma, Modena und Toskana von Potentaten aus Habsburger Nebenlinien regiert wurden. Mit Genua und Venedig waren dagegen zwei uralte Staaten völlig von der Landkarte Italiens verschwunden, ein Vorgang, der kaum mit dem von vormärzlichen Staatsmännern gern beschworenen Legalitätsprinzip zu vereinbaren war.