Rotz am Backen, Scheiß am Been - ach wie ist das Läähm scheen

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„Wieso ich, Martha, du hast doch den Stunk angefangen.“

„Wenn du das so erzählst, Gretel, bekomme ich jetzt im Nachhinein ein schlechtes Gewissen.“

„Das nützt mir nun auch nichts mehr, kleine Schwester, damals hättest du helfen müssen. Mutter schickte mich auf Empfehlung der Lehrerin, Frau Viertel, zum Arzt. Diese hatte übrigens auch gemerkt, dass ich Gesichtszuckungen hatte. Der Arzt untersuchte mich und sagte: ‚Du bist sehr sensibel, naja, wenn ich es mir recht überlege, nachdem was du mir geschildert hast, ist die Reaktion deines Körpers auch eigentlich kein Wunder.‘ ‚Was habe ich denn nun eigentlich, Herr Doktor?‘ ‚Bei deiner Sensibilität – darf ich überhaupt Du sagen?‘ ‚Selbstverständlich, ich bin doch noch so jung.‘ ‚Nein, ich muss mich entschuldigen, Sie sind ja schon 17 Jahre alt und da gehört es sich ganz einfach, dass ich Sie zu Ihnen sage. Also, weiter im gesundheitlichen Kontext. Sie sind nicht die nervenstärkste und teilweise sensibel, was an und für sich kein schlechtes Zeichen ist. Bei diesem Streit in der Familie spielen ihr Gemüt und die Nerven nicht mit. Wir Ärzte sagen im Volksmund Zipperlein dazu, ich meine zu ihrer Krankheit, na ja, Krankheit ist es ja nicht, aber zu ihrer Reaktion auf diese Unbill in der Familie.‘ ‚Unbill, Herr Doktor, kann man dazu wohl kaum sagen, das sind Erschütterungen in unserer Familie, die mich ganz tief treffen und bei denen mir ganz schlecht wird, schwindlig und es zieht mir immer fast die Beine weg. Am liebsten möchte ich dann gar nicht mehr weiterleben.‘ ‚Das ist ja ganz schlimm, liebes Fräulein Straßburger, aber keine Angst. Machen Sie sich keine übergroßen Sorgen, wir bekommen das gemeinsam wieder hin – nur Mut. Das Leben ist doch so schön, liebe Gretel, wenn ich sie so nennen darf. Sie sind doch eine so hübsche, junge Dame, sie werden noch viel Freude in ihrem Leben haben. Nur manchmal gibt es Probleme, welche uns erschüttern. Das ist nun mal so und ist ganz normal und gehört zum Leben ganz einfach dazu. Erzählen Sie mal, was freut sie denn zurzeit besonders?‘ ‚Ich freue mich, Herr Doktor, wenn ich gut Handball spiele und vom Trainer gelobt werde. Ich freue mich, wenn ich in Physik und Mathe eine zwei schreibe, obwohl ich da manchmal Probleme habe.‘ ‚Das geht aber noch weiter, sie sind adrett und werden einen hübschen, jungen Mann finden und das ist im Leben ein ganz großes und schönes Ereignis.‘“

„Das habe ich doch immer gewusst, meine liebe Gretel, dass du einmal einen so hübschen und vor allem großen, jungen Kerl wie mich finden wirst“, warf Herbert ein. Ich musste über die Formulierung „… vor allem großen jungen Kerl …“ laut lachen und fragte nach: „Was hat der Arzt dir denn nun für eine Behandlung verschrieben?“

„Er fragte mich, was mich besonders beruhigt und sorgenfrei macht. Ich erzählte, dass, wenn ich mit der Eisenbahn, Bus oder Straßenbahn fahre, mich unheimlich entspannen kann. Da riet er: ‚Lassen Sie sich doch von ihrer Mutti eine Wochenkarte für die Straßenbahn geben und fahren Sie immer mit der Linie zwei von Endstation zu Endstation – sicher wird Ihnen das helfen.‘ ‚Wenn Sie das so sehen, Doktor, dann machen wir das so.‘ ‚Alles Gute und lassen Sie sich bitte in drei Wochen wieder sehen.‘

Abgesehen davon, dass ich schon sehr verwundert war über die Art und Weise dieser Reha-Behandlung, war ich vor allen Dingen erstaunt über die Einfachheit und relative Mittellosigkeit dieser Behandlung. Heutzutage wollen doch alle zur Kur in die bayerischen Alpen, nach Mallorca, zumindest aber in den Thüringer Wald. Gedanklich malte ich mir aus, wie sich heutzutage die Krankenkassen freuen würden, wenn sie dem Patienten mitteilen: ‚Hier haben Sie dreißig Euro. Fahren Sie ab und zu mit der Straßenbahn, das wird ihre kaputten Nerven regenerieren. Die zweitausendfünfhundert Euro teure Reha in dem Nervensanatorium im Schwarzwald ist gestrichen.‘“

Hochinteressiert fragte ich nach: „Wie lief es denn Mama, konntest du denn bei diesem Gewackle, dem ständigen Rumpeln, Türe öffnen und schließen, dem Gebimmel beim Start, dem häufigen Gedränge, sowie den unheimlichen Anfahr- und Fahrgeräuschen überhaupt abschalten und Ruhe finden?“

„Ja, Klaus, das lief ganz einfach wunderbar. Allerdings hatte ich auch eine interessante Route und zwar von Coschütz zum Wilden Mann, das heißt, den Weißen Hirsch hoch. Hier war doch der Große Hecht im Einsatz – ein Straßenbahntyp der extra für diese steilen Anstiege zum Hirsch geschaffen wurde. Im Volksmund wurde dieser Straßenbahntyp „Hechtwagen“ genannt. Ich schaute den Leuten beim Ein- und Aussteigen zu, hörte teilweise, was sie miteinander zu bereden hatten, sah in glückliche, genauso in abgekämpfte, traurige, junge und alte, faltige und ausgeruhte Gesichter. Es stiegen ärmlich gekleidete Menschen, hochgetakelte, offensichtlich reiche Damen, Junge und Alte, Studenten und so weiter ein und aus. Der Lärm und das Gewackle machten mich eher ruhig, als dass es mir auf die Nerven ging. Teilweise musste ich schlimme Dinge wie Tod und Krankheit zur Kenntnis nehmen. Da wurde mir klar, welch kleines Problem ich hatte.“

Während meine Mutter sprach, hatte ich nachgedacht und erinnerte mich an unsere letzte Bahnfahrt von Ost nach West und zwar nach Saarbrücken zu ihrem Bruder Heineliebchen. Auch da hatte sie sich bei der Fahrt mit der Deutschen Reichsbahn unheimlich entspannt, was mich eigentlich nur wundern konnte, denn für mich bedeutete es Stress. Ich erinnerte mich an ein Foto, welches ich im Zug von Mutti gemacht hatte. Sie war gerade aus dem Schlaf erwacht, war total gelassen und gelöst, glücklich fuhr sie sich mit der Zunge über ihre Oberlippe und sagte seelenruhig: „Ach, wegen mir kann das noch lange dauern, ich finde das wunderschön hier.“

„Vater und Friedel, ich muss euch dazu noch sagen, dass die Fahrt nach Saarbrücken letztendlich zwölf Stunden dauerte und zehn Minuten früher, als Mutti feststellte, dass es noch lange so bleiben könne, war durch den Zugfunk mitgeteilt worden, dass sich die Fahrt infolge einer Baustelle um zwei und eine halbe Stunde(!) verzögern würde.“

„Was war denn sonst noch Markantes bei euch beiden los? Erzählt mal“, fragte Herbert interessiert.

„Naja, Herbert, wir gingen halt viel fort, viel tanzen – natürlich nur, Herbert, als Gretel dich noch nicht kannte. Sonst wirst du gleich wieder eifersüchtig. Wir spielten aber auch beide Handball in unterschiedlichen Mannschaften und lernten fleißig.“

„Ich lernte fleißig, Friedel, du weniger. Aber eines noch – das werde ich so schnell nicht wieder vergessen. Ihr kennt doch meine Freundin Carla Schmidtchen. Carla hatte doch einen Hund, eine Promenadenmischung aus mindestens drei Rassen, ganze acht Kilo schwer. Ihre Eltern hatten Verbindung zum Theater, sie waren irgendwie mit einem Intendanten befreundet. Daraus ergab sich für uns ein Theaterauftrag und zwar regte dieser an, Bello in der Operette „die Csárdásfürstin“ einzusetzen. Dazu musste er zweimal über die Bühne flitzen. Bei den Proben und dann natürlich auch bei der Premiere und den eigentlichen Veranstaltungen wurde dies von uns so gehandhabt, dass ich Bello auf der einen Seite halten musste und Carla auf der anderen Seite hatte dann nach einem bestimmten Stichwort leise zu rufen: ‚Bello, komm her, komm sofort her.‘ Das funktionierte auch recht gut, nur, ich hatte mitunter Probleme, das Tier zu halten. Der wollte ja immer sofort zu Carla rüber und ich musste ihn streicheln und beruhigend auf ihn einreden. Ist ja auch klar, da Carla sein Frauchen war und nicht ich. Also unterschrieb Carla, ich musste auch signieren, einen Vertrag mit Terminen zu den Veranstaltungen und es gab sogar etwas Honorar, ich glaube es waren drei Reichsmark fünfzig für jeden von uns. Besser als nichts, dachten wir und waren freudig bei der Sache. Proben, Premiere und die ersten Veranstaltungen liefen problemlos, aber dann gab es einen großen Knall, der uns unheimlich in die Glieder fuhr und beinahe zu einer kompletten Vertragsannullierung geführt hätte.“

„Was? Wieso? Hat Bello auf der Bühne sein Geschäft verrichtet oder gebellt oder was?“, war ich neugierig geworden.

„Ach, du ungeduldige Neugierde“, wies mich Mama zurecht. „Vielleicht zwei Minuten vor dem wunderschönen Lied ‚Tanzen möcht ich, jauchzen möcht ich‘ mussten wir den kleinen Bello über die Bühne laufen lassen. Ich muss aber zugeben, dass ich bei dem Stichwort ‚Ach je – komm‘ geschlafen hatte, das heißt ich hatte es ganz einfach verpasst, weil Bello mich immer leckte, unbedingt zu Carla wollte und ich dadurch abgelenkt war. Diese, welche mein Versäumnis mitbekommen hatte, rief aufgeregt, laut flüsternd, von der anderen Seite: ‚Gretel, du musst Tell loslassen.‘ Hitzig ließ ich den kleinen Kerl frei. Bello flitzte los und zwar mit einer enormen Geschwindigkeit – er hatte das lange Warten offensichtlich satt. Allerdings schlug er dieses Mal einen Haken und rannte direkt auf den korpulenten Tenor zu, welcher dieses nicht mitbekam und einen Schritt in Richtung des Hundes machte. Dann war der Teufel los – der Tenor schrie, als wenn er abgestochen würde, trat auf Bello, welcher sehr laut quietschte und jaulte, stürzte schwerfällig hin und schrie laut: ‚Hilfe, Hilfe – ein Hund.‘ Es krachte gewaltig und sein Frühlingshut knallte auf die Bühne. Ihr könnt euch vorstellen, dass ich und auch Carla vor Angst auch aufschrien. Im Saal entwickelte sich eine Unruhe, mehrere Frauen schrien ganz laut auf, als der Sänger stürzte. Danach artete das Lärmen im Zuschauersaal fast in Chaos aus. Irgendein Verantwortlicher vom Theater stürzte auf die Bühne und brüllte aufgeregt: ‚Vorhang, Vorhang.‘ Dieser fiel schlagartig und Massen an Leuten rannten auf die Bühne. Carla und ich wurden, ohne Rücksicht darauf, dass wir noch Jugendliche waren, fürchterlich angepöbelt. ‚Was macht ihr denn für einen Blödsinn? Ihr habt das Stichwort verpasst und unseren Opernsänger ermordet.‘ Ein schlanker Mann, welcher in dem ganzen Tohuwabohu noch einigermaßen besonnen wirkte, berichtigte: ‚Ermordet – so ein Unsinn! Um den Sänger bemüht sich schon jemand, mal sehen ob es wirklich so schlimm war. Der Sturz sah allerdings sehr gefährlich aus, wobei ich immer wieder feststellen muss, dass die kräftigen Sänger meist sehr unsportlich sind.‘ ‚Auf alle Fälle können wir die jungen Mädels hier nicht wieder mitspielen lassen‘, rief ein Spindeldürrer mit schneidender Stimme. Carla und mir war schlecht, wir sahen beide ganz blass aus, Bello winselte. Er schien mitbekommen zu haben, dass etwas nicht in Ordnung war.

 

Am nächsten Tag lasen wir in schreierischer Aufmachung in der Tageszeitung: „Unfall im Operettentheater – Tenor Lehmann schreit um Hilfe – rechten Arm und Bein verstaucht – Knie verletzt – Teenager waren schuld. Sie ließen den Operettentenor über einen Hund stolpern – ihr Vertrag über die weitere Teilnahme an dieser Operette wird sicherlich annulliert werden.“

Carla rief am nächsten Tag im Operettentheater an und erkundigte sich beim Regisseur, wie schlimm denn der Grad der Verletzung des Sängers sei. Zudem entschuldigte sie sich für uns zwei und bat darum, Verständnis zu haben. Es sei nun eben einmal passiert. Der Regisseur reagierte recht vernünftig, sagte, dass Herr Lehmann am Knie, wohl der Meniskus, verletzt sei und außerdem der linke Arm ausgekugelt war. Zudem hatte er sich durch den Sturz ein Fußgelenk verstaucht. Wir waren ziemlich mitgenommen, vor allem ich, denn ich hatte ja den Schaden verursacht.“

„Durftet ihr denn dann zu einem späteren Zeitpunkt weitermachen, das heißt, durfte Bello weiter über die Bühne rennen, oder waren alle zu geschockt von diesem Unfall?“, erkundigten Vater und ich uns teilnahmsvoll.

„Ja, ja, der Verantwortliche lud uns nach drei Wochen zu einer erneuten Probe ein. Nachdem alles gut geklappt hatte, schärfte er uns noch einmal ein, ja nicht wieder einen solchen Fehler zu machen und wir durften weitermachen. Carla und ich waren sehr erleichtert.“

„Ich kann mich gar nicht mehr an die Carla erinnern, Gretel, kannte ich sie überhaupt?“

„Aber selbstverständlich, Friedel, sie war doch damals mit in Watzkes Ballhaus. Dort hatte sie doch den Schmidtchen, Karl kennengelernt, den Stellmacher, den sie dann auch später geheiratet hat. Der war doch von Postelwitz in der Sächsischen Schweiz, wo sie dann nach Abschluss der höheren Töchterschule, die sie mit mir gemeinsam absolviert hat, hingezogen ist.“

„Ja, jetzt kommt bei mir die Erinnerung, keiner wird jünger. Die Carla war doch etwas mollig und nicht sehr groß, eher klein und mit wuschligen Haaren, das heißt die waren immer zerzaust.“

„Du hast es, Friedel.“

„Also, wenn ihr schon die Frau Schmidtchen so gut beschreibt, da habe ich auch noch eine Ergänzung.“

„So, welche?“, fragte Mama neugierig.

„Die Carla hatte ein Gesicht, so wie ich als Baby. Man hätte auf die Nase die Zirkelspitze setzen können und einen Kreis ziehen, das hätte gepasst. Das Markanteste an ihr war aber ihre obere Zahnreihe und zwar ging das ganz einfach so: ein Zahn, kein Zahn, ein Zahn, kein Zahn und so weiter und so fort.“

„Klausmann, jetzt bist du aber ein ganz Böser, du kannst doch meine liebe Freundin Carla nicht so schlecht machen. Das stimmt überhaupt nicht.“

„Liebe Mama, stimmt es etwa nicht, dass sie fast nur Zahnlücken hatte?“

„Nein, das ist eine schlimme Unterstellung.“

„Gut, liebste Mutti, ich präzisiere. Deine Freundin Carla hatte einen Zahn, halbe Zahnbreite Lücke, einen Zahn, halbe Zahnbreite Lücke und so weiter und so fort – das ist aber die Wahrheit. Außerdem sah man bei ihr, wenn sie lachte, und dies tat sie sehr häufig, das Zahnfleisch. Dies konnte ich einfach nicht ab – ich finde, dass sieht unmöglich aus. Dies hatte auch ihre Tochter Erika – Information an dich, Tante Frida – welche ich, nach Meinung meiner Eltern, unbedingt heiraten sollte. Sicherlich sollte es eine gute Partie für mich werden.“

Empört kreischte Friedchen: „Also, Herbert und Gretel, das war doch wohl nicht euer Ernst. Ihr könnt doch meinen Klausel nicht zwangsverheiraten. Das gibt’s doch nur im Orient und ist ein schlimmer Eingriff in die Freiheit von meinem liebsten Neffen.“

„Klausmann, was du da schilderst, war aber in Wirklichkeit etwas anders. Die Erika gefiel dir doch unverschämt gut, oder sollte ich mich da irren?“

„Weißt du, Mutti, ich glaube, bei dir war mehr der Wunsch Vater des Gedanken.“

„Du warst immer ein Charmeur, mein lieber Sohn, ich weiß gar nicht mehr, was ich denken soll.“

„Friedel, am besten ich erzähle es dir einmal – die zwei Besserwisser können ja einhaken, wenn sie glauben, dass etwas falsch an meiner Schilderung sein sollte.“

Friedchen nickte begeistert: „Schieß los, junger Mann, der du inzwischen fast erwachsen bist.“

Ich schmunzelte, inzwischen hatte ich schon 34 Jahre auf dem Buckel. „Meine Eltern hatten, dies betrifft vor allen Dingen natürlich Mutti, Verbindung zu Carla und natürlich auch ihrem Mann immer aufrecht erhalten. Vom Gemeindeamt Kleinwaltersdorf waren ja nur ein paar Telefonanrufe in dieser äußerst schwierigen Zeit möglich. Als wir dann aber in Freiberg wohnten, besuchten sie ab und an schon mal die beiden in Postelwitz. Ist dies auch eine herrliche Gegend dort – der Lichtenheiner Wasserfall, ganz nahe. Man konnte dort wunderbare Ziele in der sächsischen Schweiz aufsuchen. Schwierig war nur die Verbindung dahin, denn wir hatten noch kein Auto und meine Eltern mussten mit dem Zug reisen. Als ich dann in Freiberg in die Oberschule ging, wurden wir mobiler. Vater fuhr einen hellgrünen fünfhunderter Trabant. Das war so einer noch ohne Getriebesynchronisation und man musste beim Schalten Zwischengas geben. Das gelang meinem Papa nicht immer und es krachte gewaltig im Motor, was mich immer zu der Bemerkung veranlasste ‚Schönen Gruß vom Getriebe, Vater.‘“

„Ich bin ganz gespannt, Klausel, komme aber endlich mal zum Kern. So langsam möchte ich nun wissen, wie das mit deiner zukünftigen Frau Edith ablief. Solche Sachen, wie mit dem Trabant, sind bekannt und erheitern uns kaum“, beschwerte sich meine Tante.

„Meine Eltern und ich statteten einen Besuch in Postelwitz ab – ich würde es als Antrittsbesuch bezüglich meiner Person bezeichnen. Große Begrüßung auf dem Hof, wo Mutti, wie immer, alle abküsste, darunter auch den hässlichen Karl, Carlas Mann.“

„Wieso hässlich?“

„Für mich als jungen, kritischen Pennäler, war der Karl einfach ein Hässling. Er war körperlich groß, hatte eine gute Figur – aber der Kopf. Er hatte eine riesenlange Nase, die gebogen war und deren Spitze in Höhe der Oberlippe endete. Seine Backenknochen standen ziemlich hervor und die Haut war ziemlich faltig. Das Schlimmste an ihm waren aber seine Ohren. Die waren größer als die vom Genscher und hatten an vielen Stellen Dellen, welche auf der Rückseite natürlich als Beulen sichtbar waren.“

„Klaus, du sahst in Postelwitz Dinge, die ich ganz anders empfand. Einverstanden, der Schönste war Karl nun mal nicht, aber die Herzlichkeit von ihm und Carla war doch wunderbar“, korrigierte mich Mama.

„Schließlich mussten sie ja auch freundlich sein, es ging ja immerhin darum, den Schwiegersohn, also den Zukünftigen für Edith anzumachen. Ja, also, Tante Carla wurde von mir auch freundlich begrüßt – ich drückte meine Wange an die ihre. Sie strahlte und zeigte ihre herrlichen Zähne und Zahnlücken. Ich muss dazu sagen, dass ich die Tante Carla, entgegen meiner Äußerung vorhin, mochte. Sie ist einfach lieb, strahlt Ruhe aus, ist aber vielleicht ein ganz klein wenig naiv. Dann grüßte ich Martina, Ediths Schwester und danach sie selbst. Martina ist zwei Jahre älter als Edith, war freundlich, übte aber kühle Zurückhaltung. Ganz anders war es bei Edith – sie ist schon ein äußerst liebes Mädel, grüßte mich etwas verlegen, hielt mir aber die Wange hin und ich drückte meine an die ihre. Dann wurde die Stellmacherwerkstatt von Karl besichtigt. Er erklärte alles, hatte aber irgendwie kein rechtes Geschick. Ich fand seine Darlegungen irgendwie angeberisch. Er stellte vorwiegend Leiterwagen, Anhänger für die Landwirtschaft und vor allem Holzräder, welche mit einem Stahlband ummantelt wurden, her. Mich interessierte vor allen Dingen diese Technologie, wo der Eisenreifen dann aufgeschrumpft wurde – dies erzählte er mir weitschweifig. Dann ging es zum Schwatzen in die Stube, was für mich jungen Kerl natürlich wieder äußerst langweilig war. Ab und zu konnte ich aber mit Edith und Martina sprechen, sie interessierten sich vor allem für mein Studentenleben. Nun konnte ich Edith einmal genauer in Augenschein nehmen. Auf der einen Seite war sie bildhübsch, auf der anderen Seite ein klein wenig pummelig. Auf alle Fälle hatte sie ein sehr hübsches Gesicht – wunderbaren Kussmund, kleines Näschen, blonde Haare, welche hinten als Dutt gebunden waren, oberhalb der Stirn hatte sie einen waagerechten Scheitel, von dem aus ihre blonden Haare in die Stirn gekämmt waren.“

„Na, Klausi, das wäre doch wirklich die ideale Geliebte und zukünftige Frau gewesen“, intonierte Friedchen und Vater und Mutter riefen begeistert in die Runde: „Da siehst du es, Klaus, nichts mit Verkuppelung unsererseits, du warst wahnsinnig angetan von Edith.“

„Beruhigt euch, ihr Besserwisser und Kuppler, damit bist natürlich nicht du, Friedchen, gemeint.“

„Dann gab es Kaffee trinken und Edith half ihrer Mutter bei den Vorbereitungen, Martina hielt sich da eher zurück. Wir wurden an einen runden Kaffeetisch platziert und Edith servierte. Dies hatte sie sich gegenüber Carla erbeten, welche freudig zustimmte. Edith war feuerrot im Gesicht und sehr aufgeregt. Es gab herrlichen Himbeerkuchen mit Sahne. Ich hatte das Gefühl, dass mein Klecks Sahne besonders groß war. Edith hantierte im Stehen, ist ja auch logisch, sie musste ja beim Bedienen über den Tisch langen. Dabei sah ich mehrfach, dass sie Schweißflecken unter den Achseln hatte.“

„Ist ja auch klar, Klausmann, wenn sie so schwer arbeitet“, wollte Mutti irgendwie Recht haben.

„Mich stieß dies auf alle Fälle ab, dafür kann ich auch nichts. Danach gab es von Tante Carla den Vorschlag, dass ich mit den zwei Mädels spazieren gehen sollte. Wir liefen einen Weg nach hinten hinaus, um über die Wiesen Richtung Königstein zu kommen. Da kam uns ein junger Mann entgegen, den Martina kannte – er wollte ihr etwas zeigen und sie ging mit. So konnte ich mit Edith allein sprechen und spazieren gehen. Es war recht hübsch. Beim abendlichen Verabschieden bemühte sich Carla unheimlich, meine Eltern zu überzeugen, sie öfter zu besuchen. Das erfolgte dann auch und wir waren relativ häufig in Struppen. Nun entwickelte sich ein sehr enges Verhältnis zwischen Edith und mir, was aber mehr von ihr getragen war. Sie himmelte mich an, nahm mich häufig an der Hand und überhaupt suchte sie Körperkontakt. Ich ließ es gern geschehen, muss aber bemerken, dass sie in mir keine Gefühle auslöste – es klickte einfach nicht. Manchmal ging mir sogar ihre ständige Nähe auf den Geist, aber ich sagte mir immer, die Besuche gehen ja auch vorbei und sie ist ja eigentlich ganz nett. Schon mehrfach hatte Edith angeregt, mich einmal in Dresden besuchen zu wollen und als Faschingszeit war, wollte sie gern mit mir in Dresden zum Fasching gehen. Ich schob immer gewaltige Zeitnot vor: ‚Wir haben doch in den nächsten drei Wochen vier Prüfungen, in Dynamik, Projektionslehre und Mathe – ich habe überhaupt keine Zeit und bitte habe Verständnis.“

„Das arme Mädel, die arme Edith, die hast du richtig verladen, Klaus, dass nehme ich dir übel. Wir hatten uns alles so schön mit euch gedacht“, beschwerte sich Mama.

„Siehst du, Friedel, hier hast du’s gehört, was mit mir geplant war – das war doch eindeutig.“

„Mag schon sein, Klausi, nun erzähl mal weiter und komme zum Punkt!“

„Ja, ja, Friedel, jetzt kommt nicht nur ein Punkt – das war schon ein ziemlich starker Klecks. Es war ein schöner Sommerabend und Edith hauchte: ‚Komm, Klaus, lass uns doch mal spazieren gehen, ich möchte in deiner Nähe sein und mein liebster Klaus, nimm doch mal etwas mit.‘ Das letztgenannte war nicht nur gehaucht, es war mehr ein tuscheln und wispern. Dabei schaute sie mich sehnsüchtig an und ich gebe ehrlich zu, ich hatte urplötzlich erotische Gefühle, eine Spannung im Körper, ein Kribbeln überall und so etwas wie sexuelle Lust.“

„Mensch, Klaus, jetzt wird es interessant, berichte weiter, das will ich jetzt wissen“, schrie Friedchen begeistert.

„Wisst ihr, was ich vorschlage, das nächste Mal setzen wir an dieser Stelle fort. Wir wollten doch jetzt noch in die Stadt fahren, in die Konditorei Hartmann gehen und dann den Dom am Untermarkt besuchen. An dieser Stelle gebe ich ganz ehrlich zu, dass ich den unbedingten Vorsatz hatte, diesen Liebesversuch mit Edith, zumindest meinen Eltern, nie zu erzählen. Am Anfang sagte ich noch: ‚Friedchen, dir allein werde ich das folgende erzählen.‘ Dies verwarf ich aber später ebenfalls, erinnerte mich aber noch einmal an den Spaziergang mit Edith in der Abenddämmerung.

 

Wir gingen im untergehenden Licht des Tages spazieren, ich verspürte eine angenehme Spannung und Ungeduld und trotzdem gefiel mir die Stimmung in dieser Dämmerstunde. Das Abendrot und der aufgehende, sichelförmige Mond zauberten ein angenehmes Zwielicht. Edith ging an meiner rechten Seite, neigte ihren Kopf zu mir, schaute aber beschämt gleich wieder weg. Sie suchte meine rechte Hand und gern gab ich ihr diese. So gingen wir schweigend auf dem Feldweg, von der Hauptstraße weg, Richtung Wald. Dann sagte Edith, indem sie sich verschämt zu mir hindreht: ‚Klaus, nie hast du Zeit für mich. Ich will immer mit dir zusammen sein, wollte mit dir zu Fasching weggehen, aber nie gibst du uns Gelegenheit. Ich bin einfach traurig.‘ ‚Du weißt doch, Edithkind, ich habe immer so viel Arbeit mit dem Studium und ständig Angst, dass ich es einmal nicht schaffe. Den anderen geht es ebenso. Dir ist doch sicherlich bekannt, dass, wenn man in Abschlussfächern zwei Fünfen hat, es schon vorbei sein kann. Ich bin bei uns in der Seminargruppenleitung und war bereits zweimal bei welchen mit, die es eben damit ereilt hatte.‘ ‚Und, wie ging das aus?‘ ‚Naja, bei dem einen war es so, dass er die Chance erhielt, die Prüfung noch einmal zu machen und bei dem anderen wurde die Exmatrikulation ausgesprochen – ist schon sehr hart, finde ich.‘ Edith drehte den Kopf zu mir und ging auf die Zehenspitzen, dann drehte sie sich ganz herum zu mir und gab mir einen Kuss. Sie drückte ihre, und das muss ich schon sagen, schönen Lippen auf meine. Meine innere Erregung stieg. Ich beugte mich nach vorn, nahm ihren Kopf in beide Hände und küsste sie inniglich, wobei ich mit meiner Zungenspitze zärtlich auf ihre Lippen berührte. Es gefiel mir ausnehmend gut und ich spürte, wie die Spannung in meiner Hose stieg und kaum noch zu übertreffen war. Nun war ich richtig nervös und wollte schnell etwas erreichen. Ich fasste ihre beiden Brüste an und konnte kaum noch an mir halten, soviel Druck und Drang spürte ich in mir. Im Nachhinein wundere ich mich unheimlich darüber – ich dachte praktisch und stöhnte leicht: ‚Komm, Kleine, lass uns zurück zum Zaun gehen.‘ ‚Ja, Klausi, lass uns gehen.‘ Ich umfasste sie, indem ich meine rechte Hand auf ihre rechte Schulter legte, drehte sie um, damit wir zurückgehen konnten. Beide liefen wir ziemlich schnell, wobei ich immer wieder versuchte, sie zu küssen und sie hielt mir immer ihr kleines Schnäbelchen sehr entgegenkommend hin – ich war glücklich. Dabei leckten wir schon ziemlich stark mit der Zunge im Mund des anderen, was allerdings durch die ständigen Erschütterungen beim Gehen erschwert war. Wir nahmen es gelassen hin und versuchten es immer wieder. Durch den wahnsinnigen Druck in meiner Hose war mein Laufen behindert – mein einziges Ziel war, schnell anzukommen. Endlich hatten wir es mit viel Küsserei und Streicheln der Brust, geschafft. Edith stellte sich auch gleich mit dem Rücken zum Zaun und ich fuhr ihr mit meiner rechten Hand unter den Rock. Sie hatte noch ein Höschen an und ich versuchte, so schnell als möglich, ihr dieses herunterzuziehen, was mir nicht gleich gelang, da ich immer nur an einer Seite nach unten ziehen konnte. ‚Ich mach das schon‘, war ihre eilige Reaktion und kurz danach trug sie das Höschen in der linken Hand. Ich schnaufte und war aufgeregt – schließlich war ich jetzt an der Reihe, zappelig öffnete ich den Hosenstall meiner Hose und schob selbige nach unten. Das gleiche tat ich mit meiner Unterhose, hatte aber vergessen, dass ich das gewisse Etwas, was ich mitnehmen sollte, in der rechten Tasche der Hose hatte, die ich gerade nach unten geschoben hatte. Mit etwas verbiegen nach unten gelang mir das und nun kam das für mich offensichtlich Schwierigste – ich musste dieses blöde Etwas, was ich nie leiden konnte, überstreifen. Um es kurz zu machen, es gelang mir nicht, wobei mir plötzlich einfiel, dass man das wohl rollen konnte und sollte. Das glückte aber auch nur ein kurzes Stück und ich versuchte, die sicherlich unruhige Edith zu beglücken, was einfach nicht gelingen wollte, da sie wesentlich kleiner als ich war und wir das sportliche Geschick, was dazu vonnöten gewesen wäre, beide nicht aufbrachten. Ich experimentierte erneut, hatte aber genauso wenig Glück. Nun passierte etwas, was ich nicht so schnell vergessen werde. Mein sehnsüchtiges Verlangen und meine Erregung fielen schlagartig von mir ab und ich sagte mit rauer, angestrengter Stimme etwas ruppig: ‚Edith, es geht nicht, das ist hier viel zu kompliziert. Wir sollten es nicht erzwingen.‘ Edith, lieb wie sie war, stimmte mir sofort zu (das tat sie ja eigentlich immer), und zog sich wieder an. Das gleiche tat ich auch und wir gingen, etwas schweigend nach Hause. Meine ach so wunderschöne Gefühlswelt war sanft entschlafen beziehungsweise eigentlich sogar ruckartig entschwunden, schade. Wenn jetzt jemand denken sollte, dass mir das Ganze peinlich war oder ich mich fürchterlich schämte, weil ich so ungeschickt war, der irrt gewaltig. Ich überlegte mir das später noch einmal in Ruhe und kam zu dem Schluss, dass ich es eigentlich überhaupt nicht wollte, weil ich eben nicht die große Liebe, sondern oft sogar eine starke Abneigung, verspürte. Sicherlich war ich getrieben von einem latent natürlichen und körperlichen Drängen. Die andere Seite war, dass ich nun fast fünfzehn Jahre später mit dem Überblick und der Erfahrung dieser Jahre es natürlich bedauerte, dieses doch sehr hübsche Mädchen nicht geliebt zu haben. Ich war aber eben einfach noch nicht so weit und zu ungeschickt.“

„Friedchen, schön, dass du wieder da bist. Meine Eltern kochen gerade Kaffee und für dich einen Tee, weil du in die Jahre gekommenes Mädel manchmal auf dem Herzen etwas schwach bist.“

„Klausel, wenn du gerade sagst ‚altes Mädel‘.“

„Alt habe ich nicht gesagt, Friedchen, nur in die Jahre gekommen.“

„Ach, du kleiner Charmeur, auf diese Nuance kommt es gar nicht an. Ich bin zurzeit wieder einmal richtig unglücklich über mein Aussehen, bin ja nun auch schon 65 Jahre alt. Wenn ich in den Spiegel schaue, Klaus, und meine alte Fresse sehe mit den vielen Falten, da wird mir richtig schlecht und ich stecke gegenüber meinem Spiegelbild die Zunge raus und blöke ‚Mäh‘, weil ich einfach zu alt und verschrumpelt aussehe und ich war mal früher eine so hübsche junge Dame. Kannste das nachempfinden?“

„Aber ja, meine liebste Tante, du weißt doch, wie sehr ich dich mag und ich habe dich vor allem auch deshalb so gern, weil du immer noch deinen Esprit bewahrt hast und jung geblieben bist. Du weißt genau, dass ich so denke und fühle. Keiner wird jünger, Friedchen, auch ich nicht – bin ja inzwischen auch schon vierundvierzig geworden. Denke doch nur mal an die großartige Schauspielerin, die Mutter der Nation, Inge Meysel. Die hast du doch immer sehr verehrt. Leider hat sie nun das große Pech, dass sie ein Hauttyp ist, wo sie eben schnell altert – die sah ja immer ganz verfaltet aus. Sie konnte einem so richtig leidtun.“