Teufelsjahr

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Kapitel 2

12. Juli 2010

Ich stehe vor der Auslage eines Unterwäsche Ausstatters in der Herrengasse. Obwohl es heute so richtig schwül ist, habe ich mich von Klara zu einem Einkaufsbummel überreden lassen. Ich genieße noch den letzten Sommer, bevor es mit dem Studium losgeht. Das ist heuer besonders leicht, denn Bettina ist bis Ende August in Italien und macht dort ein Praktikum. Sonst ist sie im Sommer meistens auch ein paar Wochen in Graz. Diesmal eben nicht. Ich bin ganz allein mit meinen Eltern, herrlich. Etwas damit überfordert mein Eis bei der Hitze so zu essen, dass es nicht überall hinuntertropft, bewundere ich eine türkise BH – Slip Kombination aus zarter Spitze an der Schaufensterpuppe. An der Puppe sieht es wahnsinnig gut aus. Irgendwie spiele ich mit dem Gedanken einfach hinein zu gehen und es anzuprobieren, verwerfe den Einfall aber gleich wieder.

„Ist schön, warum probierst du es nicht?“, fragt mich Klara als könne sie meine Gedanken lesen.

Ich schüttle den Kopf. „Nein…ich hab keine Lust, es ist so heiß.“

„Alexandra Hofbauer?“, höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Die Stimme kenne ich. Ich drehe mich langsam um und schaue vermutlich ziemlich blöd aus der Wäsche.

„Tatsächlich. Alexandra Hofbauer. Unglaublich. Das gibt es ja nicht!“

Ich mustere den jungen Mann der mich bedacht lässig angrinst. Vor mir steht doch tatsächlich Tobias Leitner. Der Ex Freund meiner Schwester. Der Typ, der mir am Silvestertag einfach so einen Kuss aufgedrückt hat, als ob es das Normalste auf der Welt wäre. Ich hatte es schon vergessen, bis jetzt. Mir steigt es komisch heißt auf. Bettina hat Mitte Jänner mit ihm Schluss gemacht. Nachdem er ihr offenbart hat, dass er für ein paar Monate in die USA reist, sah sie keinen Sinn und Zweck mehr eine gemeinsame Zukunft anzustreben. Nach dem Motto, wer nicht macht was sie will, den will sie nicht. Es hat sie nicht besonders mitgenommen. Wie ich schon damals vermutete, war es keine ernstzunehmende Beziehung. Schätzungsweise lag ihr auch nicht besonders viel an ihm und ich war auch froh, dass ich ihn nach dem was da zu Silvester passierte nicht mehr gegenübertreten musste. Natürlich habe ich niemandem davon erzählt. Ich sehe ihn heute zum ersten Mal seit dem besagten Vorfall wieder. Er hat sich ein bisschen verändert, zum ersten ist er relativ sonnengebräunt, was im Sommer aber keine Kunst ist, doch er sieht auch etwas weniger versnobt aus. Seine Haare sind länger und ungewohnt unfrisiert. Irgendwie hat seine Aufmachung etwas von Surferlook. Die Haare, das enge Shirt und die kurzen Shorts, sieht zwar willkürlich gewählt aus, aber ich schätze es ist durchaus so gewollt. Er strahlt mich mit seinem Zahnpastalächeln, das er bestimmt seinem Papa zu verdanken hat, an.

„Hallo, das ist ja ein Zufall, dass ich dich hier treffe“, sagt er immer noch grinsend.

„Hi, ja, so ein Zufall“, entgegne ich etwas überfordert.

Neben ihm steht eine Blondine, die locker bei GNTM mitmachen könnte, ich komme mir in ihrer Gegenwart irgendwie winzig vor.

„Was machst du denn in Graz?“, frage ich ihn darum schnell und weil mir nichts Besseres einfällt.

„Ich besuche eine Freundin“, er sieht zur Blondine die verhalten lächelt.

„Ah. EINE Freundin?“

Er nickt. „Ja. EINE Freundin. Und du? Eis essen?“

„Ja. Eis essen.“

Ich spüre wie mir geschmolzenes Zitroneneis über den Zeigefinger läuft. Schnell versuche ich eine Sauerei zu verhindern, was er schmunzelnd verfolgt. Er zieht seine Augenbrauen hoch und mir fällt wieder ein, wie er mir seine Zunge in den Mund schieben wollte. Mit Sicherheit bin ich jetzt rot angelaufen.

„Ah…also war schön dich zu treffen, aber wir müssen jetzt auch weiter“, sage ich darum schnell um weitere Peinlichkeiten zu vermeiden.

„Das finde ich auch, wirklich schön dich getroffen zu haben.“ Er lächelt immer noch.

Ich sehe schnell zu Klara und verdrehe mit der Aufforderung weiter zu gehen meine Augen, sie sieht mich an, als würde sie nicht kapieren, was ich von ihr will.

„Ach so ja…wir wollten doch noch die Unterwäsche probieren“, stammelt sie dann auf einmal.

Ich atme tief durch…Gott, etwas Blöderes ist ihr wohl nicht mehr eingefallen. Tobias mustert die Schaufensterpuppe und grinst mich an.

„Aha… na dann, viel Spaß.“

„Tschau Tobias“, verabschiede ich mich noch schnell, bevor ich mich peinlich berührt, warum auch immer, umdrehe.

„Tschau…“, murmelt er mir hinterher, während wir schon losgehen.

Klara sieht mich mit großen Augen an. „Das war jetzt aber nicht der Ex von deiner Schwester, oder?“

„Doch. Genau der.“

Ich hab mich noch nicht von dem Schock ihn getroffen zu haben erholt, als ich eine Hand an meiner Schulter spüre.

„Ach Lexi…“

Ich drehe mich um. Was will er denn noch?! Ich befürchte mein Gesichtsausdruck vermittelt ziemlich genau meine Stimmung darüber.

„Ja?“

„Hast du Lust einen Kaffee mit mir zu trinken?“

Ich sehe ihn entgeistert an. Warum sollte ich das tun?

„Ähmmm, ich weiß nicht, ich hab jetzt keine Zeit…“, stottere ich.

„Später, am Nachmittag vielleicht? Jetzt kann ich auch nicht“, antwortet er ungewohnt schnell.

Ich sehe ihn an, bevor ich etwas sage und überlege kurz.

„Wenn du wissen willst wie es Bettina geht, fragst du sie besser selbst“, sage ich dann überraschender Weise.

Er verdreht die Augen. „Wir können auch ein Eis essen, wenn dir das lieber ist.“ Belustigt sieht auf meine Tüte, erneut tropft das Eis über meine Hand.

„Ich weiß nicht…“, murmle ich, als Klara mich ein wenig schubst.

Schon wieder blamiert sich mich. Ich habe das Gefühl, er lässt nicht locker, bevor ich nicht zustimme.

„Ja, ok, wenn du unbedingt willst. Wann? Wo?“, seufze ich in etwas genervter Tonlage.

„Um 17.00 Uhr? Weikhard Uhr?“, er grinst mich zufrieden an.

Die Blondine neben ihm zappelt ein bisschen.

„Ja gut, von mir aus.“

„Sehr schön, bis später.“

Er zwinkert mir zu, was sich etwas befremdlich anfühlt. Darum drehe ich mich schnell wieder um und gehe weiter.

„Meine Güte, der ist ja der Hammer!“, schwärmt Klara augenblicklich neben mir.

„Dann geh du doch mit ihm Kaffee trinken, wenn er dir so gut gefällt.“ Ich verdrehe genervt die Augen. „Gibst du mir jetzt bitte einmal ein Taschentuch? Ich bin schon ganz eingesaut von dem Eis…“, meckere ich.

Sie kramt in ihrer Tasche und reicht mir eines, ich versuche mich irgendwie von dem klebrigen Zeug zu entledigen, die Tüte werfe ich in den nächsten Mistkübel. Ich hab auch ihr nie davon erzählt, dass er mir einen Kuss aufgedrückt hat, sonst würde sie jetzt vermutlich überschnappen. Ich allerdings weiß nicht wozu ein Treffen gut sein soll. Er ist der Ex meiner Schwester und absolut nicht mein Typ. Und zu alt ist er außerdem noch. Wobei ich mir sicher bin, dass er mich nur über Bettina ausfragen will. Was sollte er denn schon von mir wollen? Sein Frauengeschmack ist erlesen würde ich sagen, und da ordne ich mich nicht ein. Ich bin eben ein einfaches, normales Mädchen. Schluss.

Kurz nach 17.00 Uhr steige ich aus der Straßenbahn, auch wenn ich den ganzen Nachmittag darüber nachgedacht habe, ob ich das wirklich tun soll. Es ist total unpassend mit dem Ex meiner Schwester Kaffee trinken zu gehen, aber nachdem ich keine Handynummer von ihm habe, konnte ich auch nicht absagen. Ihn zu versetzen fand ich dann auch irgendwie unfair. Es ist ja nur ein Kaffee. Auch wenn die Herrengasse wie gewohnt um diese Zeit gut gefüllt ist, sehe ich ihn gleich. Er steht lässig mit Sonnenbrille da und grinst mir schon wieder mit Zahnpastalächeln entgegen. Das Shirt und die Shorts hat er gegen ein hellgraues Polo und eine dunkelblaue Chino getauscht, dazu lässige Sneakers. Wieder ein bisschen snobig, denke ich mir.

„Hallo“, sagt er, ich bleibe mit Sicherheitsabstand vor ihm stehen. „Ich hab schon gedacht du versetzt mich.“

„Hallo, ja…also ganz ehrlich, ich hab darüber nachgedacht. Um das Ganze abzukürzen, wenn du etwas über Bettina wissen willst…“

Er lässt mich nicht ausreden. „Ich will nichts über Bettina wissen. Hübsches Kleid übrigens.“

„Was willst du denn dann?“, frage ich, ohne auf sein Kompliment einzugehen, auch wenn ich mir, keine Ahnung warum, heute wirklich Mühe mit meinem Outfit gegeben habe. Sogar meine Haare, die ich locker aufgesteckt habe, sehen ziemlich passabel aus.

„Ist es wirklich so schwer verständlich, dass ich einfach nur einen Kaffee mit dir trinken möchte?“

Ich zucke mit den Schultern. „Schon irgendwie.“

Er seufzt. „Jetzt komm schon, wie lange willst du denn noch hier herumstehen.“

Er geht los und ich gehe hinter ihm her, bis er kurz stehen bleibt, damit ich neben ihn aufschließe. Wir gehen in eine Seitengasse der Herrengasse und setzen uns vor einem netten kleinen Lokal an einen Bistrotisch.

„Hier ok?“, fragt er mich, während ich mich schon setze.

„Ja sicher.“

Eine kleine, südländisch anmutende, junge Kellnerin kommt zur Tür heraus und sieht uns abwartend ob unserer Bestellung an.

„Cappuccino?“, Tobias sieht mich fragend an.

Ich nicke und lächle die Kellnerin dabei an. Er bestellt zwei Cappuccino, während sie zurück hinein geht, lehnt er sich lässig auf seinem Stuhl zurück. Die Sonnenbrille stört mich ein bisschen, sie macht es mir schwer, ihn einzuschätzen. Ich kann Menschen nur einschätzen, wenn ich in ihre Augen sehen kann und im Moment passt es mir gar nicht, dass dies nicht möglich ist.

„Wie war es in den USA?“, frage ich schnell, damit es nicht so leise ist.

 

Diese Frage, zaubert ihm ein Lächeln auf die Lippen. „Ganz toll. Ich bin erst seit ein paar Wochen wieder zurück.“

„Und jetzt ist dir eingefallen, dass du meine Schwester wieder zurück haben willst, nachdem sie deshalb mit dir Schluss gemacht hat, oder wie?“

Er schmunzelt. „Ich will sie zurück haben, weil sie mit mir Schluss gemacht hat?“

Ich nicke. „Ja, vielleicht?“

Er schüttelt den Kopf. „Nein, hatte ich nicht vor.“ Das sagt er recht trocken.

Die Kellnerin unterbricht unsere Konversation und stellt die zwei Kaffee hin. Gut, ich gebe es auf. Etwas unmotiviert klopfe ich auf meine Sessellehne, bevor ich einen Schluck von meinem Kaffee nehme.

„Wo genau warst du in Amerika unterwegs?“

Endlich nimmt er die Sonnenbrille ab, er beugt sich ein Stück nach vor, stützt sein Kinn an der Hand ab und grinst mich an. Seine blauen Augen, mir ist bis jetzt noch nicht aufgefallen dass sie blau sind, funkeln ein bisschen. Es ist ein ungewöhnliches blau, irgendwie speziell. Dann zeigt er mit seinem Zeigefinger an seine Oberlippe.

„Milchschaum“, schmunzelt er.

„Oh…“ Etwas verlegen wische ich über meine Oberlippe, was er immer noch schmunzelnd verfolgt.

„Ich bin viel herumgekommen. Florida, dort wohnt meine Tante, Miami, Los Angeles, Las Vegas“, beantwortet er meine Frage, während ich immer noch damit beschäftigt bin den Milchschaum möglichst galant wegzuwischen.

„Und das geht mit deinem Studium?“

„Irgendwie schon. Im Herbst geht es weiter.“

Ich nicke. „Ich fange im Herbst auch an zu studieren. Rechtswissenschaften.“

Er lächelt. „Das passt irgendwie richtig gut zu dir. Du kannst ganz schön viele Fragen stellen. In Graz?“

Ich nicke erneut. Auch wenn ich bis vor ein paar Minuten noch dachte gleich wieder zu verschwinden, läuft unsere Unterhaltung unerwartet locker. Verwunderlicher Weise ist es ganz lustig mit ihm zu reden, er stellt wirklich keine Fragen über Bettina. Seine Figur ist sportlicher als ich es in Erinnerung hatte, oder ich habe es unter den Winterklamotten nicht bemerkt, oder der am ehesten wahre Grund, es hat mich vermutlich gar nicht interessiert. Seine Oberarme sind ziemlich trainiert, aber so, dass es nicht übertrieben aussieht. Herrje…warum sehe ich ihn überhaupt so genau an? Ich versuche es zu lassen. Die Zeit vergeht schnell und wir sind vom Kaffee zum Sommerspritzer übergegangen. Ich trinke eigentlich kaum Alkohol und hoffe darum nicht zu übermütig zu werden, denn er bestellt bereits die dritte Runde. Er hat wirklich schöne Augen, meine Güte und ich mag seine Haare, wenn sie nicht so glattgeschleckt sind. Er hat ein bisschen etwas von Ashton Kutcher finde ich. Ja genau. Ashton Kutcher. Den mag ich... Also Ashton. Er schlägt seine Beine übereinander und sieht mich an. Wow…auch seine Oberschenkel sind ordentlich, ich nehme an vom Laufen. Halt. Stopp. Nein. Er gefällt mir nicht. Er ist der Ex meiner Schwester. Es wird besser sein, wenn ich jetzt gehe. Ich lehne mich zurück um ihn mit mehr Abstand ansehen zu können. Aber er sieht wirklich süß aus. Ich schließe kurze meine Augen. Nach diesem Getränk werde ich gehen. Definitiv.

„Stimmt etwas nicht?“, fragt er mich an mein Glas anstoßend, als könne er meine Gedanken lesen.

Ich nippe an meinem Sommerspritzer und gehe nicht auf seine Frage ein.

„Du besuchst also eine Freundin in Graz? Ist sie deine Freundin?“

„Nein. Sie ist eine Freundin.“

„Ok. Also eine von mehreren.“

„Nein. Nicht so eine Freundin. Einfach nur eine Bekannte.“

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. „Das geht?“

Er nickt. „Das geht.“

„Hast du eine Freundin, also eine die nicht nur eine Freundin ist?“ Gott…was ist das für eine Satzstellung, ich glaube ich bin beschwipst.

„Nein.“

Ich lehne mich wieder zurück und nehme einen großen Schluck von meinem Spritzer. „Warum hast du mich geküsst?“

Jetzt zieht er die Augenbrauen hoch, mit dieser Frage hat er scheinbar nicht gerechnet, ich aber auch nicht, ich dachte zwar darüber nach, aussprechen wollte ich es aber nicht. Scheiß Alkohol.

„Du stellst wirklich viele Fragen Lexi.“

Ich schnaufe durch. Jetzt wo ich schon gefragt habe, will ich auch eine Antwort darauf. „Warum?“

„Ich dachte du brauchst es.“ Das sagt er mit leiser, lasziver Stimme.

Nein mein Lieber, so nicht, ich merke wie ich innerlich zu kochen anfange. Alkohol hin oder her, das ist zu viel. Solche beschissenen Ansangen finde ich echt richtig blöd.

„Du bist so ein…“, ich stehe auf und krame in meiner Tasche nach meinem Geldbeutel. Ich lege einen Zehner auf den Tisch und drehe mich um. Gerade als ich losstapfen will, hält er mich zurück.

„Nimmst du bitte dein Geld wieder, ich lade dich ein.“

„Nein Danke“, pfauche ich.

Sein Gesicht kommt meinem etwas näher, er sieht mich ernst an, aber ich schaue bestimmt noch ein bisschen grimmiger.

„Ich habe das gerade nicht so gemeint, aber…“ Er macht eine kurze Pause „…Ich würde dich sofort wieder küssen.“ Das sagt er leise, seine Augen glänzen wieder.

Ich atme vorsichtig ein, mein Herz klopft auf einmal schneller. Hat er das wirklich gerade gesagt?

„Ich küsse aber keine abgelegten Freunde meiner Schwester“, entgegne ich recht sachlich.

„Ach so?“ Er beißt sich auf die Unterlippe. Sein Gesicht kommt meinem noch etwas näher, irgendetwas sagt mir, ich soll jetzt einen Schritt zurück weichen, was mir aber nicht gelingt. Ich bin wie festgefroren und das, obwohl mir ziemlich heiß ist.

„Setz dich bitte wieder, nimm dein Geld und trink aus“, sagt er, lässt meinen Arm los und nimmt wieder Platz. Verwunderlicher Weise tue ich es ihm gleich.

„Schade eigentlich“, murmelt er und schiebt mir meinen Zehner vor die Nase.

„Was?“ entgegne ich, während ich das Geld wieder einstecke.

„Gehst du mit mir auf den Schlossberg?“, fragt er mich, dann kippt er den Rest von seinem Spritzer hinunter.

Ich sehe auf meine Uhr, ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist, auch wenn es mir blöderweise schwer fällt abzulehnen.

„Es wird gleich dunkel und…“

Ich sehe ihn erneut an. Keine Ahnung, ob es am Alkohol liegt, oder was plötzlich mit mir los ist, aber ich habe das Gefühl, er wird immer attraktiver. Seine Hände, die Oberarme und erst der Hals und da schon wieder dieser Blick…Scheiße…

„Ja von mir aus“, antworte ich dann prompt. „Aber bilde dir ja nichts darauf ein.“

„Wie könnte ich das tun, als abgelegter Lover deiner Schwester“, sagt er gespielt ernst.

Ich verdrehe die Augen. Klingt aus seinem Mund eigenartig, ist aber nun einmal die Wahrheit. Während er bezahlt, gehe ich noch schnell zur Toilette. Was mache ich hier eigentlich? Das geht doch nicht? Ich sollte jetzt wirklich besser nach Hause fahren. Womöglich ist das nur seine Revanche dafür, dass Bettina ihn sitzen gelassen hat. Er macht sich doch bestimmt nur lustig über mich. Ich wasche meine Hände und sehe mich im Spiegel an. Aber er gefällt mir. Er gefällt mir sogar richtig gut. So ein Trottel ist er gar nicht, er ist eigentlich ziemlich süß. Ich tupfe ein bisschen Labello auf meine Lippen. Sicherheitshalber. Man weiß ja nie. Als ich wieder hinaus komme, wartet er schon auf mich. Schlossberg also. Na gut. Wir spazieren neben einander her, ich weiß nicht was ich sagen soll, darum schweige ich lieber. Er wie es aussieht auch. Wir schlendern an den pompös geschmückten Kastner und Öhler Auslagen vorbei, als ich auf einmal seine Hand an meiner vorbei streichen spüre. Ganz sanft. Fast ungewollt. Ich tue so, als hätte ich es nicht gemerkt. Er tut es wieder. Mich kaum berührend streicht er mit seinem kleinen Finger an meinem entlang. Kurz schnürt es mir die Luft ab. Wie selbstverständlich nimmt er dann meine Hand und hält sie fest. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Ich sehe ihn etwas verlegen kurz an. Er lächelt, was ich erwidere. Ok…er hält also meine Hand, und das ändert sich auch nicht bis wir mit dem Lift oben am Schlossberg sind. Es ist ein schöner, lauer Abend, darum tummeln sich auch noch viele Menschen in der Stadt. Wir gehen ein Stück abseits und setzen uns auf einen Steinvorsprung. Graz ist in ein herrliches Abendrot getaucht und versinkt langsam in ein romantisches Lichtermeer.

„Es ist wirklich schön hier“, stellt er fest.

„Ja, ist es.“

Ich muss damit aufhören ihn anzusehen, aber ich kann nicht. Wie er seine Beine überkreuzt…ich würde gerne wissen wie sich seine Haut anfühlt…

„Woran denkst du?“ Er lächelt mich an und reißt mich aus meinen Gedanken. Ja, wenn du wüsstest woran ich denke…Das kann jetzt nicht mehr vom Alkohol sein, ich versuche mir nichts anmerken zu lassen. Er muss ja nichts sofort merken, dass er mir gefällt.

„Ach nichts…“

Ohne Vorwarnung legt er seinen Arm um meine Schulter und streicht über meinen Oberarm. Sofort überzieht mich eine Gänsehaut. Gut. So fühlen sich also seine Hände auf meiner Haut an.

„Ist dir kalt?“ Er schmunzelt ein bisschen und ich bin mir sicher, er weiß genau, dass mir nicht kalt ist.

„Geht schon…“, murmle ich.

Er zieht mich etwas näher an seine Brust. Es ist ganz komisch. So hab ich mich noch nie gefühlt. Vor ein paar Stunden noch hatte ich mich unter Kontrolle, jetzt weiß ich nicht mehr so genau, was ich hier eigentlich mache. Jetzt sollte ich wirklich gehen.

„Gehen wir zu Fuß hinunter?“, fragt er dann auf einmal.

Woher weiß er, dass ich jetzt gehen will? Obwohl…es fühlt sich gut an, so dicht neben ihm. Ich nicke und will schon aufstehen, als er mich zurück hält. Er zieht mich direkt in seine Arme, schon wieder ist sein Gesicht ganz nahe an meinem, unsere Nasenspitzen trennen maximal Millimeter. Ich halte die Luft an. Ohne sein Gesicht von mir abzuwenden streicht er sanft über meine Schultern hinunter bis zu meinen Händen und hält sie fest. Gänsehaut 2.0. Ich schließe meine Augen, aber es passiert nichts. Zögerlich öffne ich sie wieder.

„Hast du es dir anders überlegt?“, haucht er fast tonlos.

Er will jetzt aber keine Antwort darauf? Ich finde nicht, dass es der passende Moment ist über so unwichtige Aussagen meinerseits zu diskutieren. Darum schließe ich einfach meine Augen wieder und nähere mich ihm noch ein winzig kleines bisschen. Jaaaa….endlich….Ich spüre seine Lippen an meinen. Gott…Sanft und weich, ganz zart, vielleicht sogar vorsichtig, anders als zu Silvester. Wie in Zeitlupe lege ich meinen Kopf ein bisschen zur Seite. Jetzt bekomme ich erst richtig Herzklopfen und meine Hände fangen an zu schwitzen. Er legt seine Hände um meine Hüften und zieht mich dichter an sich. Ich öffne meinen Mund ein wenig, er verstärkt den Druck seiner Lippen und endlich spüre ich wie seine Zunge den Weg nach meiner sucht. Ehrlich gesagt, bin ich keine so außergewöhnliche Küsserin, vermutlich mangels Übung. Trotzdem ist es unglaublich und wird von Sekunde zu Sekunde intensiver. Kurz löst er sich von mir um mich sofort noch einmal zu küssen. Dann sieht er mich an und streicht über meine Wange. Keine Ahnung, ob ich jetzt etwas sagen sollte, aber nachdem er es nicht tut, lasse ich es auch. Ich lächle ihn einfach an und das erwidert er.

„Sollten wir vielleicht noch irgendwo hin gehen und etwas trinken, oder hast du Hunger?“, fragt er mich dann auf einmal und durchbricht die Stille zwischen uns.

Auch wenn ich lieber mit ihm zusammen sein würde, ich glaube es ist jetzt besser nach Hause zu fahren, für den Moment ist meiner Meinung nach ausreichend viel passiert. Außerdem bin ich ziemlich durcheinander.

„Nein…Ich werde besser nach Hause fahren“, sage ich leise, aber eines muss ich noch tun. Sanft streiche ich mit meinem Zeigefinger über seinen Oberarm bis zu seiner Hand. Er sieht meinem Finger nach, der über seine Haut streicht. Sie fühlt sich glatt und fest an. Bevor ich meine Hand wieder wegnehme greift er schnell danach. Er sieht mich mit glänzenden Augen an und gibt mir noch einen Kuss.

„Gut, wenn du willst, dann gehen wir“, flüstert er nahe an meinem Ohr.

Keine Ahnung wie ich mit den wackeligen Knien hinunter kommen soll. Wieder nimmt er meine Hand, als wir die Treppen hinunter gehen. Wieder ist es still. Ich fühle mich komisch. Komisch gut. Ich würde gerne wissen, was er fühlt. Mein Herz klopft wieder. Hoffentlich habe ich keinen Fehler gemacht. Na ja, er ist er der Ex meiner Schwester, also ganz richtig ist die gegenständliche Situation also bestimmt nicht. Ich bleibe stehen.

„Du verarscht mich aber nicht, oder?“, frage ich frei heraus.

 

Er sieht mich überrascht an, dann zieht er mich ohne Vorwarnung in seine Arme und küsst mich erneut, ich würde es so beschreiben: Voller Hingabe. Dabei streicht er sanft mit seinen Händen meinen Rücken hinab.

„Fühlt sich das an, als ob ich dich verarsche?“, fragt er und reibt seine Nase an meinem Hals.

Ich kann nichts sagen, ich habe keine Worte, keine Ahnung wo meine Sprache stecken geblieben ist, darum schüttle ich den Kopf.

„Gut. Ich verarsche dich nicht.“

Etwas verlegen blicke ich zu Boden, bevor ich wieder sprechen kann.

„Ok…ich will nämlich nicht verarscht werden. Wie lange bist du überhaupt noch in Graz?“

„Am Donnerstag fahre ich zurück nach Wien.“

Heute ist Montag, ein paar Tage ist er also noch hier. Ich würde mich gerne wieder mit ihm treffen, aber ich bin zu stolz und zu altmodisch um das vorzuschlagen. Wir gehen weiter Richtung Hauptplatz, inzwischen hält er nicht mehr meine Hand, sondern hat seinen Arm um meine Hüfte gelegt. Fühlt sich richtig gut an.

„Ich nehme die nächste Straßenbahn“, sage ich, als wir die Straße überqueren.“

„Gibst du mir kurz dein Handy bitte?“, meint er fast beiläufig.

Ich sehe ihn überrascht an. „Ja, wozu?“

„Glaubst du, ich lasse dich ohne deine Telefonnummer zu haben in die Bim steigen?“

„Oh, ach so…“

Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und gebe es ihm. Er tippt seine Nummer ein und speichert sie auch gleich ab, bevor er den Kontakt anruft.

„So, jetzt hast du meine und ich deine.“

Die Straßenbahn fährt ein, ich bin mit einem mal etwas unsicher, ob ich wirklich einsteigen soll. Er drückt mir das Handy wieder in die Hand und anschließend einen Kuss auf den Mund. Die Türe klappt neben mir auf, zwei Leute steigen aus.

„Gute Nacht Lexi.“

Er streicht noch einmal kurz über meine Schulter. Ich steige ein und drehe mich kurz um.

„Gute Nacht.“

Jetzt muss ich lächeln, ich kann gar nicht damit aufhören, obwohl ich nicht einmal weiß, ob er sich jemals wieder melden wird. Aber er hat meine Telefonnummer und ich seine. Ich lasse mich auf eine Bank fallen, als mein Handy summt. Es ist eine Nachricht. Von ihm. Das ging aber schnell. Meine Wangen glühen.

Weißt du worüber ich froh bin?

Nein…? Worüber?

Heute hab ich für den Kuss keine Ohrfeige abkassiert…

Ich muss schmunzeln. Nein, keine Ohrfeige. Ich schließe kurz meine Augen und überlege, ob ich etwas zurück schreiben soll, aber da kommt schon die nächste SMS.

Ich hole dich morgen um 11.00 Uhr bei der Trafik an der Ecke eurer Straße ab. Hoffe du hast Zeit?

Ok…also doch ein weiteres Treffen. Klingt sehr gut…

Hast du etwas Bestimmtes vor?

Nein…nichts Bestimmtes…Da weiter machen, wo wir aufgehört haben…

Ich muss schmunzeln. Sehr gerne Herr Leitner…

Ok…ich werde dort sein…Gute Nacht…Lexi

Gute Nacht und bis Morgen T.

Ich komme mir vor, als würde ich auf Wolken schweben, auch wenn ich mir das Ganze nicht so vorgestellt habe. Das könnte ein Problem werden, aber ich denke schon wieder zu weit. Ich werde ihn einfach morgen treffen und dann sehen wir weiter. Nichts überstürzen. Meine Knie sind immer noch wackelig, ich öffne das Gartentor. Als ich ins Haus gehe, steht meine Mama in der Küchentür.

„Hallo Mama…“

„Wo warst du denn? Bei Klara?“, fragt sie mich und lächelt mich an.

„Nein…ähm…ich war etwas Trinken. In der Stadt.“

Sie schmunzelt. „Etwas trinken? Etwas Ernstes?“

„Mama….“

„Schon gut…Kenn ich ihn?“

Ich atme tief ein. Ja, du kennst ihn, kann ich dir aber nicht sagen. Shit.

„Ähm…nein, glaub nicht…“, murmle ich und hopse schnell die Treppe hinauf. „Gute Nacht Mama.“

„Sieht aus, als ob du nicht darüber sprechen möchtest?“, ruft sie mir nach.

„Heute nicht Mama, es ist alles ok, mach dir keine Sorgen!“

„Wie du willst Lexi, Gute Nacht.“

Ich gehe schnell in mein Zimmer und atme tief durch. Nachdenklich streiche ich über meine Lippen. Wow…Oh Gott…Wow…Ich lasse mich auf mein Bett fallen und muss an seine Augen denken. Ich seufze. Er ist wirklich süß…außerordentlich süß….Bettina wird mich umbringen, wenn sie das erfährt.

14. Juli 2010

Es ist kurz vor Mitternacht und ich schmuse nun schon fast seit einer Stunde mit Tobias im Auto. Er hat ein Stück von unserem Haus entfernt angehalten. Sicherheitsabstand vor meinen Eltern. Die vergangenen beiden Tage waren der Wahnsinn. Unbeschreiblich. Ich habe den ganzen Dienstag mit ihm verbracht, wir waren in der Weingegend unterwegs, das war sehr romantisch und heute waren wir noch einmal in der Stadt und am Abend im Kino. Obwohl ich vom Film nicht wirklich viel mitbekommen habe. Tobias fährt mit seiner rechten Hand unter meine Bluse und streicht meine Rücken hinauf. Ich atme vorsichtig durch. Alle meine Körperhaare richten sich schlagartig auf. Zusätzlich streicht er mit der anderen Hand über meinen Oberschenkel. Draußen regnet es in Strömen, hin und wieder blitzt es, die Scheiben im Auto sind schon ganz angelaufen. Nach dem schwülen Wetter heute war es absehbar, dass ein Gewitter kommen wird. Ich nehme allen Mut zusammen und schiebe meine Hände ebenfalls unter sein Shirt. Das will ich schon seit unserem Kuss am Schlossberg tun. Ihn fühlen. Zuerst fahre ich ein Stück seine Wirbelsäule hoch, dann taste ich nach vorne und berühre seine Brust, die fest und muskulös ist. Seine Haut ist angenehm warm. Es fühlt sich an, als würden kleine Funken unter meinen Fingern auf seiner Haut sprühen. Er küsst zärtlich meinen Hals. Zum ersten Mal denke ich ernsthaft daran mehr zu wollen. Mehr zu zuzulassen. Viel mehr. Das Blut in meiner Halsschlagader pumpt. Ich spüre seinen Atem an meinem Hals. Heiß. Leidenschaftlich. Langsam schiebt er seine Hand ein Stück unter meinen Rock, jetzt pocht es auch noch in meiner Beinschlagader. Ich bemühe mich nicht lauter als nötig nach Luft zu schnappen. Auch wenn ich mehr will, lege ich instinktiv meine Hand auf seine, noch nie war die Hand eines Mannes an dieser Stelle auf meiner nackten Haut. Das macht mich nervös.

„Zu schnell?“, flüstert er nahe an meinem Ohr.

Ich zucke mit den Schultern. Er streicht über meine Wange.

„Ich will schon, aber nicht hier im Auto…“, murmle ich etwas verlegen.

Er lächelt. „Ich auch nicht…schon gar nicht im Auto meiner Mutter.“

„Schade, dass du morgen schon wieder zurück fährst. Wie geht es dann weiter? Vergisst du mich dann?“

Er verdreht die Augen. „Nein, natürlich nicht. Ich komme einfach wieder, oder du kommst nach Wien?“

„Ja, das wäre schön, aber ich glaube meine Eltern werden nicht begeistert sein, nachdem du mit Bettina zusammen warst.“

„Sie müssen es ja nicht gleich erfahren.“

Ich nicke. Das wird wohl für den Anfang das Beste sein.

„Nächste Woche fahren sie übers Wochenende in die Berge. Da wäre ich allein.“

Er führt seine Lippen an meine. „Die lassen dich ganz allein zu Hause?“

„Ja…“, hauche ich.

„Wird eine lange Woche werden…“, seufzt er.

„Naja…so lange du keine Freudinnen besuchst.“

Er zieht die Augenbrauen hoch. „Wärst du denn eifersüchtig?“

Ich nicke verhalten. „Schon.“

Er schmunzelt. „Nein, mach ich nicht.“

„Gut.“

Wir küssen uns noch eine Zeitlang, bevor ich mich losreißen kann. Er lässt mich ein paar Meter vor unserem Haus aussteigen. Ich laufe im Regen über die Straße und sehe ihm noch hinterher. Seufzend schließe ich kurz meine Augen. Ich bin verliebt. Richtig verliebt. Es ist ein ungewohntes Gefühl, aber es ist auch ein unbeschreibliches Gefühl. Unbeschreiblich gut. Ich will es wirklich mit ihm tun, heute denke ich schon den ganzen Tag darüber nach. Nicht nur weil ich bald neunzehn werde, und es jetzt wirklich an der Zeit ist, nein, weil es sich richtig anfühlt. Ich habe Schmetterlinge im Bauch und es kribbelt auf meiner Haut wenn er mich berührt. Ja, es fühlt sich richtig an. Er ist süß und intelligent, zwar immer noch ein bisschen snobig, aber darüber sehe ich hinweg. Mit einem Lächeln im Gesicht schleiche ich mich in mein Zimmer. Mein Herz klopft immer noch. Ja…ich bin verliebt.