Novemberrosen

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„Ok wenn ich dich kurz allein lasse?“

„Ja natürlich, geh nur“, nicke ich ihm bestätigend zu.

„Wir bestellen einen Espresso und unterhalten uns noch einige Zeit, als sich mein Sitznachbar zu mir wendet.

„Es tut mir leid, ich plaudere wirklich außerordentlich gerne mit Ihnen, sie sind eine willkommene Abwechslung zu den Anzugaffen, aber ich muss Sie jetzt leider verlassen, ich habe noch ein Date.“

Er zupft mir meinen Spitzenärmel zurecht und blinzelt mir mit einem eindeutigen Grinsen zu, bevor dem Tisch verlässt. Er wirft seine halblangen blonden Haare koket zurück, ich muss schmunzeln, er ist wirklich eine Erscheinung. Nigella unterhält sich schon die längste Zeit mit der Dame schräg gegenüber, ich werfe einen Blick auf mein Handy, keine Anrufe, ich scheine also keinem ernsthaft zu fehlen. Nach dem letzten Schluck Espresso stehe ich auf und gehe zur Toilette. Die Gespräche am Tisch hauen mich nicht um und ich hoffe, dass Max bald aus dem Rauchersalon zurück sein wird. Ich lasse mir absichtlich Zeit und trödle ein bisschen herum, außerdem ist ein Jumpsuit eine richtige Herausforderung was den Toilettengang betrifft. Auf der Suche nach meinem Lippenbalsam krame ich noch in meiner Tasche, als ich das WC verlasse. Plötzlich steht Max vor der Tür, ich laufe fast in ihn hinein, ich weiche vor Schreck auf die Brust greifend einen Schritt zurück, schließlich rechne ich nicht mit ihm vor der Damentoilette.

„Meine Güte, du hast mich erschreckt.“

„Wo ist er?“, blafft er mich an.

Er straft mich mit einem bitterbösen Blick, wofür ich den verdient habe, weiß ich allerdings nicht.

„Wo ist wer?“, frage ich vorsichtig nach.

„Luisa ich habe dir schon einmal gesagt ich habe keine Lust auf Spielchen.“

Er stemmt aufgebracht seine Hand neben mir in die Wand, er klingt alles andere als freundlich. Ich verstehe immer noch kein Wort, was meinem entgeisterten Blick zu entnehmen sein müsste.

„Ich habe genau gesehen, dass du dem Typen nachgelaufen bist nachdem ihr getuschelt habt. Den ganzen Abend hast du ihn angehimmelt und er dich betätschelt.“

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, er ist eifersüchtig, auch wenn er sich gerade lächerlich macht finde ich es süß wie er sich aufregt.

„Du bist doch nicht etwa eifersüchtig? Das hier ist die Damentoilette.“

Ich zeige etwas amüsiert auf das Schild an der Tür und hoffe ihn so besänftigen zu können. Er packt meine Hand unsanft am Knöchel.

„Stell dich nicht dumm, ich habe euch beobachtet, fällt dir nichts Besseres ein als dich dem Nächstbesten an den Hals zu werfen sobald ich den Tisch verlasse und mit ihm…“

Er stoppt mitten im Satz und schnaubt aufgeregt durch, bevor er weiterspricht.

„Du machst mich vor meinen Geschäftspartnern lächerlich und jetzt machst du dich auch noch über mich lustig.“

An seiner linken Schläfe tritt eine kleine Ader hervor, die habe ich noch nie gesehen. Kein gutes Zeichen vermute ich, er ist richtig wütend und ich werde es jetzt auch. Ich weiß kurz nicht ob ich mich wundern, oder über seine Worte ärgern soll, während ich mich von seiner Hand zu lösen versuche, die er aber nicht loslässt, sondern noch fester hält. Jetzt tut es richtig weh. Keine Ahnung was er sich da gerade zusammendichtet, außerdem ist er grob und das gefällt mir absolut nicht.

„Bist du betrunken? Was ist denn los mit dir? Du tust mir weh.“ Ich reiße meine Hand los und mein Tonfall ist unmissverständlich scharf, das lasse ich mir auch von ihm nicht gefallen. „Du bist doch total verrückt! Was glaubst du denn was ich da drinnen gemacht habe?“

Er steht mir gegenüber, ohne eine Spur von Einsicht.

„Ja was hast du denn getan?“, fährt er mich an.

“Ich sehe keine Veranlassung dir über irgendetwas das ich getan habe Rechenschaft abzulegen. Ich erkenne dich nicht wieder, DU machst dich hier gerade mehr als lächerlich.“

Ich funkle ihn böse an und gehe mein Handgelenk reibend ein paar Schritte Richtung Speiseraum.

„So geht das nicht Luisa!“, ruft er mir nach.

Ich drehe mich noch einmal um, ich bin so geladen ich könnte jeden Moment in die Luft gehen.

„Ja genau, völlig richtig! SO GEHT DAS NICHT!“, entgegnete ich giftig. „Ich kann auch genauso gut morgen wieder zurück nach New York fliegen, wenn ich deinen Vorstellungen nicht entspreche. Es ist nicht in meinem Sinn dich lächerlich zu machen, das lasse ich mir von dir nicht vorwerfen, du wolltest das ich hierher komme.“

Als ich den Satz ausgesprochen habe, tut es mir schon leid und ich weiß, dass diese Ansage vorschnell von mir war. Ich habe ihn mit meinen Worten getroffen, das sehe ich ihm an, aber ich kann dazu nichts mehr sagen, denn Nigella kommt Richtung Toilette. Er sagt auch kein Wort mehr und verschränkt bockig seine Arme.

„Ah, da seid ihr ja. Ich habe euch schon gesucht. Sam und ich wollten aufbrechen, ist es ok wenn ihr dann ein Taxi zurück nehmt?“

Sie ist zwar wie immer fröhlich gestimmt, ihr scheint aber dennoch nicht zu entgehen, dass ihr Erscheinen gerade ziemlich unpassend ist.

„Ich komme mit euch“, sage ich bestimmt bevor Max ein Wort sagen kann, wohlwissend dass er die Veranstaltung zu diesem Zeitpunkt noch nicht verlassen kann. Nigella ist zwar verwundert, fragt aber nicht mehr weiter nach. Ohne ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln lasse ich ihn stehen und verlasse das Hotel. So kann er mit mir nicht umgehen, ich bin wütend und koche innerlich, versuche mir aber vor Nigella und Sam nichts anmerken zu lassen. Als wir zurück im Haus sind, spricht sie mich dennoch an.

„Ich weiß es geht mich nichts an, aber was ist denn passiert Luisa? Du bist kreidebleich und Max würde dich doch nie ohne ein Wort gehen lassen.“

Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung was passiert ist.“ Ich würde am liebsten heulen, aber ich reiße mich zusammen. „Ich bin müde, Gute Nacht Nigella.“

Sie streicht mir gutherzig über die Schulter. „Gute Nacht, morgen sieht die Welt wieder anders aus.“

Ich lege mich ins Bett und ärgere mich über Max und mich selbst, vielleicht habe ich ja überregiert, aber ich habe nichts Falsches getan. Er hat sich unmöglich benommen, nicht ich. Ich will doch gar nicht weg, aber so kenne ich ihn nicht, ich verstehe gar nicht was ihn geritten hat. Ich schlafe schon als er zurückkommt und erschrecke kurz über sein Gepolter. Ich linse unbemerkt auf die Uhr, es ist schon nach vier Uhr morgens. Seiner mangelnden Koordination nach zu urteilen, hat er jetzt wirklich ein paar Drinks zu viel intus. Er plumpst samt Kleidung ins Bett und legt seinen Arm auf mich und murmelt etwas unverständliches, ja definitiv zu viele Drinks. Ich mache schnell die Augen zu und stelle mich schlafend, um einer möglichen Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Seine Hand liegt auf meinem Bauch, es fühlt sich trotz dem vorangegangen Streit so gut an, ich kann ihm einfach nicht böse sein. Er schnarcht leise, das höre ich heute auch zum ersten Mal, liegt vermutlich am Alkohol. Ich muss schmunzeln und halte seine Hand fest, bevor ich wieder einschlafe.

Ich bin schon vor sieben Uhr aus dem Zimmer geschlichen um eine Runde laufen zu gehen. Max liegt noch wie bewusstlos im Bett, ich habe ihm ein Aspirin und ein Glas Wasser auf den Nachttisch gestellt. Auch wenn ich ihn schon gerne zur Rede gestellt hätte, ließ ich ihn schlafen, die Nacht war ohnehin kurz und anstrengend. Nur Nigella und Sam sind scheinbar noch früher wach gewesen als ich, sie kommen mir gerade als ich das Haus verlasse von ihrem Morgenspaziergang entgegen. Damit Max seinen Termin nicht verpasst, bitte ich Nigella ihn zu wecken, denn ich glaube nicht, dass er von selbst munter wird. Ich hoffe die frische Luft bringt meinen Kreislauf etwas in Schwun. Langsam laufe ich zuerst ein paar Kilometer geradeaus und den grünen Hügel auf einer steinigen Schotterstraße hinauf. In Topform bin ich nicht gerade, aber ich kämpfe mich hinauf. Die Luft ist frisch und kalt, es fühlt sich an als würde mir der Sauerstoff zu Kopf steigen. Oben angekommen bin ich so außer Atem, ich muss kurz stehen bleiben um durchzuschnaufen. Ich schließe kurz meine Augen und hole tief Luft, doch mit einem Mal wird mir schwarz vor Augen, ich verliere den Halt und rutsche weg. Blöderweise stürze ich genau mit meinem linken Oberschenkel auf einen spitzen Steinvorsprung. „Shit.“ sage ich zu mir selbst. Ich sammle mich ein paar Momente lang, dann stehe mit Mühe wieder auf. Die Hose hat einen Riss, aber das ist das geringste Problem, ich habe eine ziemlich tiefe Wunde am Oberschenkel und die blutet ordentlich.

„Aua. Mist.“ Ich setzte mich kurz noch einmal auf den Boden und versuche die Blutung irgendwie zu stillen, was mir nur dürftig gelingt, ich spüre wie das warme Blut langsam mein Bein hinunter rinnt. Es geht momentan wirklich alles schief. Langsam humple ich zum Haus, das ist ganz schön weit, aber ich kämpfe mich zurück. Ich sehe Max gerade noch aus der Ferne in einen Wagen einsteigen und wegfahren.

„Luisa, um Himmels Willen, du blutest ja, was ist denn passiert?!“ Nigella trifft fast der Schlag als ich ins Haus komme.

„Ist nicht so schlimm…“, versuche ich sie zu beruhigen. Ich bin voller Blut an den Händen, es sieht vermutlich schlimmer aus als es ist.

Sam stützt mich und hilft mir auf einen Sessel, bevor er sich ansieht was passiert ist. Während ich erkläre, dass ich ausgerutscht bin, holt Nigella Desinfektionsmittel.

„Doch es ist schlimm, das muss ordentlich gesäubert und genäht werden“, entgegnet er.

Na toll, das hat mir noch gefehlt, aber es sieht wirklich nicht so schön aus.

„Ich rufe Max gleich an, er ist gerade vorhin erst weggefahren“, sagt Nigella aufgeregt, während sie das Blut rund um die Wunde abwischt.

 

„Nein, nein das ist nicht nötig, ich ruf ihn später an, er soll sich keine unnötigen Sorgen machen, er hat wichtige Termine“, beruhige ich sie.

Sam sucht auf der Liste neben dem Telefon die Nummer vom örtlichen Arzt. Der fordert uns auf gleich zu kommen und so fahre ich mit den beiden los, ich komme mir vor wie ein kleines Mädchen, so umsorgen sie mich. Der Arzt schaut sich die Wunde an und beschließt sie mit ein paar Stichen zu nähen. Während er wartet bis die Betäubung wirkt misst er meinen Blutdruck und schaut sich meine Pupillen an.

„Sie haben ziemlich niedrigen Blutdruck, haben sie öfter Schwindelanfälle?“, fragt er mich.

„Nein eigentlich nicht, ich bin etwas müde, aber sonst bin ich ok.“

„Lassen Sie in New York ihr Blutbild checken“, rät er mir, während er meine Wunde näht.

Mit einem großen Pflaster versorgt, fahren wir wieder zurück. Nigella meint wir brauchen jetzt erst einmal ein ordentliches Frühstück, welches sie zubereitet während ich mich umziehe.

Erst als ich Lizzy anrufen will, fällt mir mein leerer Akku auf. Als ich das Handy am Ladekabel anschließe und einschalte sehe ich, dass ich bereits drei neue Nachrichten von Max bekommen habe.

Max: Wir müssen dringend reden. Bitte ruf mich an, du kannst mich bis 09.00 Uhr telefonisch erreichen. Max.

Dringend reden, wenn dann habe ich mit ihm zu reden. Ich bin immer noch gekränkt über das was gestern vorgefallen ist. Ich schaue auf die Uhr, es ist schon nach elf Uhr, also brauche ich jetzt nicht mehr anzurufen, ich lese die nächste Nachricht.

Max: Nachdem du nicht anrufst bist du anscheinend sauer, was ich verstehen kann. Es tut mir leid. Melde dich bitte.

Und gleich noch eine Nachricht:

Max: Ich mache mir langsam Sorgen. Meine Reaktion gestern war unangebracht. Du haust nicht einfach so ab, oder? Ich hoffe du bist nicht am Weg zurück nach NY?

Also doch Reue, das macht mich ein bisschen schadenfroh, aber weil ich nicht möchte das er leidet, zumindest finde ich er hat jetzt genug gelitten, antworte ich:

Unangebracht trifft es ziemlich gut. Mein Akku war leer. Bis später. Luisa.

Max Antwort folgt sofort.

Ich komme so schnell ich kann, der Termin dauert aber noch ein bisschen. Ziemlich knappe Antwort, du bist also sauer. Bis dann. Max.

Ich schreibe nichts mehr darauf zurück, er soll sich ruhig seine Gedanken machen. Meine Wunde tut jetzt doch etwas weh, daher nehme ich nach dem verspäteten Frühstück die Schmerztablette die mir der Arzt mitgegeben hat und lege mich ein bisschen hin. Ich wache erst wieder auf, als Max ins Zimmer kommt. Er setzt sich auf die Bettkante auf meiner Seite des Bettes und streicht mir über die Haare. Er sieht fertig aus, die lange Nacht ist nicht ohne Spuren geblieben.

„Hey Süße. Was machst du denn? Nigella hat mir von deinem Unfall erzählt. Warum hast du mich nicht angerufen, ich wäre sofort gekommen.“

Er ist ziemlich besorgt, so tragisch ist es nun wirklich nicht.

„Ist nicht so schlimm, nur ein Kratzer.“

„Nachdem was ich gehört habe glaube ich das nicht. Lass mal sehen.“

Da ein dickes Pflaster auf der Wundnaht klebt kann ich nicht viel herzeigen, aber er sieht sich die Verletzung trotzdem an. Mittlerweile ziert ein riesiger Bluterguss meine Haut rund um das Pflaster.

„Wie ist das denn passiert, hast du Schmerzen? Sieht jedenfalls schmerzhaft aus.“

Er zieht die Augenbrauen hoch, als könnte er meine Schmerzen fühlen.

„Nein es geht schon, ich bin einfach nur ausgerutscht, alles gut, also bitte vergessen wir es, die Wunde ist in ein paar Tagen wieder verheilt.“

Ich ziehe die Decke wieder über mein Bein so als wollte ich nicht, dass er länger hinschaut. Er merkt genau, dass ich verärgert bin, auch wenn ich es versuche es nicht zu zeigen.

„Wie geht es dir? Du siehst müde aus“, frage ich.

„Ich habe den ganzen Tag mit den Nachwirkungen einer Flasche Whisky gekämpft. Mir ist noch immer schlecht und mein Kopf brummt, aber das geschieht mir vermutlich recht.“

Ich sage dazu nichts und schlüpfe bis zu Nasenspitze unter die Decke. Er zieht sich Sakko und Schuhe aus, nimmt seine Krawatte ab und legt sich zu mir ins Bett. Er vergräbt seine Nase in meinen Haaren. „Ich bin so froh, dass du nicht weg bist…und wegen gestern…“

Es ist ihm merklich unangenehm darüber zu sprechen und mir eigentlich auch.

„Ich habe dir Unrecht getan, es tut mir wirklich leid.“

„Ja das hast du, und du hast mir wehgetan, das macht niemand mit mir.“

Er schämt sich dafür, er wagt es kaum mich anzusehen.

„Ja, das ist unverzeihlich. Keine Ahnung was du jetzt von mir denkst, vermutlich bin ich nicht besser als mein Vater, ich kann dir doch nicht wehtun, das ist doch Wahnsinn. Ich könnte mir nicht verzeihen wenn du deshalb zurück nach New York fliegst.“ Er schüttelt mit geschlossen Augen den Kopf. „Fliegst du zurück?“

Er sieht völlig verzweifelt aus, so schlimm war es nun auch nicht. Ich drücke ihn fest an mich. „Ich bin noch hier, also nein und du bist nicht wie dein Vater, aber es hat mich erschreckt wie du über mich denkst. Ich war mir sicher du kennst meine Gefühle für dich, ich habe nichts, aber auch gar nichts getan, was dich eifersüchtig machen hätte können. Außerdem, obwohl es nichts weiter zur Sache tut, hast du nicht gemerkt dass der Typ schwul ist?“

„Ich weiß nicht, ist er das? Vielleicht wollte ich es nicht bemerken. Natürlich hast du nichts falsch gemacht, keine Ahnung mir ist plötzlich eine Sicherung durchgebrannt als du weg warst, und dann hast du mich vielleicht ein kleinwenig provoziert.“

Es scheint ihm ernsthaft Leid zu tun, provoziert finde ich zwar überspitzt, aber ich gehe nicht weiter darauf ein.

„Glaub mir, es gibt wirklich keinen Grund zur Eifersucht.“

Ich schmiege mich fest an ihn und er hält mich ganz fest.

„Nein, du hast recht, aber…“ Er stockt kurz.

„Was aber?“, frage ich ungeduldig nach.

„Bis vor kurzem wäre mir das alles sowas von egal gewesen. Ich hätte vermutlich noch das Rückflugticket auf den Frühstückstisch gelegt, aber mit dir ist alles anders.“

Er streicht mit seinem Finger über meine Fingerknöchel.

„Ich könnte es nicht ertragen dich zu verlieren.“ Jetzt umgreift er meine Hand fest. „Ich liebe dich Luisa.“

Mir bleibt kurz die Luft weg, damit habe ich nicht gerechnet. Ich glaube mir hat das noch nie ein Mann ernsthaft ins Gesicht gesagt. Mein Herz klopft und mir ist heiß und kalt zugleich. Ich lächle ihn sprachlos an, bevor er mich küsst. Es ist zwar keine Rechtfertigung für sein Verhalten von gestern, aber ich finde trotzdem dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Er legt seine Arme um mich und ich drücke mich fest an ihn.

„Lass mal sehen.“

Er streicht über mein Gelenk, obwohl es gar nicht mehr weh tut, dann haucht er sanft ein paar Küsse darauf. „Besser?“

„Ja, aber so schlimm war es nicht, alles gut, es hat mich einfach nur erschreckt“, entgegne ich.

„Ich verspreche dir, das kommt nie wieder vor.“

Wir liegen noch lange nur so da und ich bin einfach nur glücklich. ER LIEBT MICH und ich liebe ihn, aber sagen konnte ich ihm das heute noch nicht, keine Ahnung warum, es will einfach nicht über meine Lippen, auch wenn ich es schon so lange in meinem Herzen fühle.

Ben streckt mir seine Hand entgegen, aber ich kann mich nicht bewegen, ich komme nicht von der Stelle, ich fühle mich wie gefesselt. Je mehr ich versuche mich loszureißen, desto weiter entfernt er sich von mir. So sehr ich mich auch anstrenge, ich kann seine Hand nicht greifen, obwohl ich mich so nach seiner Berührung sehne, ich schaffe es einfach nicht. Bald sehe ich ihn nur mehr ganz schemenhaft in der Ferne und höre ihn noch leise sagen: „Ich werde dich für immer lieben.“ Ich rufe ihm mit letzter Kraft hinterher, aber er ist schon fast verschwunden. „Nein bitte, bitte nicht, bitte Ben bleib.“

„Luisa, wach auf.“

Ich bin völlig außer Atem, als mich Max aus meinem Albtraum wachrüttelt, ich weiß erst gar nicht wo ich bin, aber ich bin froh, dass er da ist.

„Du hast geträumt.“ Er nimmt mich fest in den Arm, ich merke wie sich meine Atmung wieder normalisiert, mein Herz schlägt mir bis zum Hals.

„Du bist ganz heiß, ich glaube du hast Fieber, hoffentlich hat sich deine Wunde nicht entzündet.“

Er greift mir besorgt auf die feuchte Stirn.

„Nein, es geht mir gut, mach dir keine Sorgen bitte, es war nur ein Traum.“

Langsam beruhige ich mich wieder. Er ist aufgestanden um mir ein Glas Wasser zu holen. Sanft streicht er mir die nassen Haarsträhnen auf meiner Stirn aus dem Gesicht, während ich ein paar Schlucke trinke.

„Geht’s wieder?“

Ich nicke ihm zu. Ich lege meinen Kopf auf seine Brust, ich lausche dem Rhythmus seines Herzschlages, während er seinen Arm über meine Schulter legt.

„Ich brauche dich mehr als du mich Max.“

„Du fantasierst, schlaf jetzt weiter.“

Er zieht mir die Decke über die Schulter.

„Du liebst mich…“ murmle ich erschöpft.

„Ja, das tue ich, mehr alles andere.“

Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Zufrieden schließe ich meine Augen, es dauert lange bis ich wieder einschlafen kann, ich kuschle mich fest an ihn und lasse ihn den Rest der Nacht nicht mehr los. Nein ich lasse ihn nie wieder los.

Am Morgen sitzen wir alle gemeinsam beim Frühstück. Mein Oberschenkel tut zwar noch weh, aber der Albtraum der letzten Nacht hat mich mehr mitgenommen als die Schmerzen.

„Morgen ist Silvester, ich dachte du und Nigella habt bestimmt Lust auf ein bisschen Shopping?“

Max streicht mir liebevoll über die Hand. Wir sind auf einem Silvesterball eingeladen und da gibt es eine Kleidervorschrift. Männer im Smoking, Damen im langen Kleid. Damit kann ich natürlich nicht dienen, ich besitze nicht einmal ein langes Kleid.

„Ich dachte wir fahren nachher gemeinsam in die Stadt, ich bin mir sicher ihr findet etwas Passendes.“

„Das ist eine tolle Idee, wir müssen für Sam auch noch einen Smoking leihen.“

Nigella drückt Max im Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange. Ich nehme einen Schluck von meinem Tee, bevor ich meine Hand auf seinen Oberschenkel lege, was ihm ein überraschtes Lächeln entlockt. Ich erwidere sein Lächeln. Ich muss immerzu an den Traum denken. Speziell dieser Traum fühlte sich so real an, dass ich ein richtig schlechtes Gewissen ihm gegenüber habe. Ich würde ihm so gerne alles erzählen, aber ich habe Angst vor seiner Reaktion. Er sagt er liebt mich, aber was wenn er seine Meinung dann ändert?

„Worüber denkst du nach?“

Er reißt mich aus meinen Gedanken.

„Nichts, gar nichts. Ich bin einfach nur froh, dass du da bist.“

„Sicher?“

„Ja ganz sicher.“

Es braucht schnell einen Themenwechsel. Ich stehe auf und lege meine Arme von hinten um seinen Hals. Er drückt seinen Kopf an meine Brust.

Ich dachte wir wollen shoppen?“

„Natürlich, wenn du bereit bist?“

Ich drücke ihm einen Kuss auf die Wange. „Bin ich.“

„Tja, dann auf zum Shoppen.“

Ich stehe in einem langen schwarzen Kleid vor dem Spiegel in einer exquisiten Boutique die ausschließlich Abendmode führt. Max und Sam haben sich entschlossen uns beim Kleiderkauf allein zu lassen, damit sie sich morgen total von unserem Anblick überraschen lassen können. Ich glaube eher sie wollen einfach nur ein Bier trinken gehen. Nigella hat sich bereits für ein dunkelrotes Samtkleid mit tiefem Ausschnitt bis über die Schultern entschieden. Ich finde sie sieht darin mit ihrer blassen Haut und den dunklen Haaren aus wie Schneewittchen, einfach wunderschön. Die Verkäuferin kommt mit einem anderen Kleid am Bügel zur Umkleidekabine.

„Probieren Sie bitte dieses Kleid, ich glaube es ist perfekt für Sie.“

Sie hängt es in meine Kabine. Es hat einen dunkelblauen langen luftigen Tüllrock und das ärmellose eng anliegende Oberteil ist aus dunkelblau-gold besticktem Jacquard. Es sieht schon am Bügel unglaublich aus. Als ich in der Kabine hineinschlüpfe sehe ich auch das Preisschild, auch unglaublich, unglaublich teuer. Ich komme vorsichtig hinter dem Vorhang hervor, Nigella steht der Mund offen. Die Verkäuferin bringt mir gleich die passenden Schuhe dazu. Offene goldene High Heels. Ich schlüpfe hinein und stelle mich vor den Spiegel. Ich fühle mich wie aus einem Hollywoodfilm entsprungen.

 

„Sie müssen zu dem Kleid ihre Haare aufstecken damit man ihren schönen Hals sieht“, rät mir die Verkäuferin. Ich wusste gar nicht, dass ich einen schönen Hals habe, ich drehe mich um mich von allen Seiten sehen zu können.

„Das musst du nehmen, es ist wie für dich gemacht.“ Nigella ist begeistert. „Du siehst unglaublich aus.“

„Ja es ist traumhaft, aber es ist viel zu teuer, das kann ich nicht nehmen.“

„Max hat gesagt wir sollen kaufen was uns gefällt, also mach dir da mal keine Sorgen, er wird begeistert sein, wenn er dich sieht.“

„Ja das weiß ich schon, aber ich habe ein schlechtes Gewissen, gleich das teuerste Kleid aus dem gesamten Sortiment zu nehmen…“

Nigella stellt sich hinter mich vor den Spiegel, nimmt meine Haare hoch und deutet eine Aufsteckfrisur an.

„Papperlapapp. Er liebt dich, also vermute ich ihm ist der Preis von dem Kleid herzlich egal.“

Ich schaue sie erstaunt an. „Hat er dir das gesagt?“

Sie schmunzelt. „Auch wenn er es mir nicht gesagt hätte Luisa, ich habe Augen im Kopf und ich kenne meinen Bruder.“

Er liebt mich also wirklich, mir ist ganz mulmig im Bauch. Es fallen mir keine Argumente mehr gegen das Kleid ein. Mit fetter Beute verlassen wir das Geschäft. Max und Sam erwarten uns bereits in einem kleinen Bistro. Max freut sich, dass wir fündig geworden sind, noch kennt er den Preis des Kleides nicht. Ich hoffe er freut sich dann immer noch, ich schiebe den Gedanken beiseite. Zurück in unserem Haus checkt er seine Mails, während ich unter der Dusche stehe. Im Bademantel und mit Handtuchturban setzte ich mich aufs Bett um das Pflaster meiner Wunde zu wechseln.

„Sieht schon ganz gut aus“, mustere ich die Naht, der blaue Fleck leuchtet mittlerweile in schillernden blauen und violetten Tönen.

„Also ich finde es sieht richtig fies aus.“

Er kann gar nicht richtig auf meinen Oberschenkel schauen, er verzieht mitleidig sein Gesicht. Ich muss lachen und klebe ein frisches Pflaster drauf. Er macht seinen Laptop zu.

„Luisa, darf ich dich etwas fragen.“

„Ja, natürlich.“

Ich sehe ihn erwartungsvoll an.Er setzt sich neben mich aufs Bett, da er etwas zögert seine Frage zu stellen bin ich etwas besorgt, vielleicht hat er den Preis vom Kleid gesehen? Er sieht ernst aus.

„Dein Albtraum gestern Nacht, ich wollte dich erst nicht fragen, aber wer ist Ben?“

Ich bin kurz perplex und sprachlos über seine Frage. Bens Namen aus seinem Mund zu hören, damit habe ich nicht gerechnet. Ruhig bleiben Luisa, bleib ganz ruhig.

„Du hast im Traum mehrmals Ben gerufen“, setzt er fort.

Ich versuche meine Gedanken, die gerade Karussell in meinem Kopf fahren, zu ordnen. Ja ich wollte ihm einmal alles erzählen, aber dann wenn ich darauf vorbereitet bin, dann wenn ich es will. Ich merke wie ich nervös werde, es muss ein komisches Bild auf ihn machen.

„Die Frage ist dir unangenehm, es tut mir leid, du musst nicht darüber sprechen wenn du nicht willst.“

Es fühlt sich für ihn bestimmt eigenartig an, wenn ich den Namen eines anderen Mannes im Traum rufe, ich würde mir auch so meine Gedanken machen wenn er Frauennamen im Traum ausspricht. Ich schließe kurz die Augen und atme langsam ein und aus.

„Er ist niemand auf den du eifersüchtig sein musst, er ist jemand aus meiner Vergangenheit. Leider habe ich daran keine guten Erinnerungen und ich spreche auch nicht gerne darüber.“

Er nickt und streicht mir über den Arm. „Ich bin deshalb nicht eifersüchtig, es geht mich auch nichts an.“

„Doch, doch. Ich dachte zwar ich könnte es noch etwas hinauszögern dir davon zu erzählen, aber ich will keine Geheimnisse vor dir haben. Nicht mehr.“

Er sagt nichts und scheint überrascht, aber auch erwartungsvoll. Ich weiß nicht wie ich anfangen soll, ich habe das Gefühl mein Gesicht glüht förmlich. Ich nehme erst einmal den Handtuchturban von meinem Kopf ab, der fühlt sich so heiß wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch an.

„Es gibt einen Teil in meinem Leben, an den ich nicht gerne zurück denke, ich habe vieles getan, das ich heute bereue und ich habe Angst, dass du mich anders siehst, wenn ich dir alles erzähle.“

Er nimmt meine Hand. „Also wenn du niemanden umgebracht hast, wird es schon nicht so schlimm sein.“

Er lächelt, aber ich kann das Lächeln nicht erwidern, er hat keine Ahnung davon, wie ernst es ist.

„Doch es ist schlimm. Bitte Max, das ist kein Spaß, ich habe wirklich Angst vor deiner Reaktion.“

„Lass mich bitte selbst entscheiden was ich denke, du kannst mir alles erzählen wenn du willst, du musst aber nicht.“

„Jetzt stecke ich mittendrin, ich muss.“

Ich nehme all meinen Mut zusammen um ihm zu sagen was ich selbst nicht gerne höre. Irgendwie bin ich auch froh endlich alles loszuwerden.

„Alles fing kurz nach dem Tod meiner Mutter an. Ich habe viel Mist gebaut und wäre schlussendlich fast selbst daran gestorben.“

Es sprudelt nur so aus mir heraus, es ist als ob ein Stein nach dem anderen von mir abfällt. Ich erzähle alles, von den Drogen und dem Alkohol, von Ben, von unserem Unfall und von Bens Selbstmord bis zu den Problemen mit Dad. Alles von Anfang bis zum Ende. Max hört mir geduldig zu und verzieht keine Miene. Ich kann seinen Blick nicht einordnen, was mich ziemlich verunsichert, aber jetzt gibt es sowieso kein Zurück mehr.

„Ich glaube ich habe das noch niemals jemanden so im Detail erzählt“, sage ich abschließend tief ausatmend. Alles ist draußen und wenn ich so zu ihm sehe habe ich plötzlich Angst vor dem was er jetzt sagt, aber er sagt kein Wort und streicht monoton mit seinem Finger über die Knöchel meiner Hand. Erst nach ein paar Augenblicken sieht er mich wieder an.

„Du warst fünfzehn Jahre alt und danach kamst du deshalb ins Internat?“

Ich nicke.

„Was hast du denn genommen?“

Fühlt sich ein bisschen nach Verhör an, aber ich kann verstehen, dass er es wissen will.

„Am Anfang Cannabis und Marihuana, danach Extasy einmal Kokain ich habe viel getrunken, eigentlich so ziemlich alles.“

Er verzieht keine Miene. „Hast du einen Entzug gemacht?“

„Nein, das war nicht nötig, ich war lange genug im Krankenhaus und auf Reha nach dem Unfall. Du kennst ja meine Narbe am Bein. Ich habe den Absprung gerade noch so geschafft, ohne gröbere Beeinträchtigungen.“

„Du hast seither nie mehr etwas genommen, oder?“

Die Frage schockiert mich etwas, aber dennoch verstehe ich sie.

„Nein natürlich nicht, ich würde es auch nie wieder tun, glaub mir ich habe genug erlebt um ein Leben lang genug davon zu haben.“

„Und es hat dir nie gefehlt?“

Ich schüttle den Kopf mit gesenktem Blick.

„Gefehlt hat mir nur das Gefühl weg von der Realität und dem Schmerz zu sein. Das ging sehr leicht wenn ich etwas genommen habe, danach fühlte sich alles gut und leicht an. Alle Probleme ließen sich so für einige Zeit verdrängen. Ich musste erst lernen die Wirklichkeit zu akzeptieren, das Leben so wie es ist, das war nicht einfach.“

Er schweigt kurz. „Hast du ihn geliebt?“

Ein komisches Gefühl in meinem Magen macht sich breit, ehrlich gesagt fällt es mir schwer das zu beantworten. Wie fühlt sich denn Liebe mit fünfzehn Jahren an? Er war alles für mich, er war der erste Mann in meinem Leben. Er war da, als ich ihn brauchte nachdem meine Mutter starb. Ja vermutlich habe ich ihn geliebt, auf meine eigene Art und Weise.

„Damals dachte ich Liebe fühlt sich so an, jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, aber es tat unglaublich weh ihn zu verlieren. Er tat mir weh, und er hat mich einfach so zurück gelassen.“

Ich versuche etwas aus seinem Gesicht ablesen zu können, was mir aber zu meinem Leidwesen weiterhin nicht gelingt.

„Denkst du noch oft an ihn?“

Jetzt ist es ein Verhör. Was will er denn noch alles hören? Ich beherrsche mich um meine Augen nicht zu verdrehen.

„Für mich ist das Schlimmste, dass ich mich nie von ihm verabschieden konnte, er war einfach weg von einem Tag auf den anderen. Ich denke oft darüber nach, ob ich seinen Tod hätte verhindern können.“ Ich senke meinen Kopf. „Ich weiß erst seit ein paar Wochen wie sich richtige Liebe anfühlt Max. Noch nie habe ich für jemanden so empfunden wie für dich und jetzt weiß ich nicht einmal, ob deine Gefühle für mich noch dieselben sind. Ich habe Angst. Angst davor, dass mich meine Vergangenheit immer und immer wieder einholt.“