Novemberrosen

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Ich habe keine Lust zu fragen was sie meint und freue mich auf einen Kaffee. Im Schwesternzimmer angekommen grinsen mich meine Kolleginnen an. Auf dem Tisch steht ein riesiger Strauß mit unzähligen rosa Rosen.

„Der ist für dich, sieht nach Verehrer aus!“ Da ist auch eine Karte dabei“, zwinkert mir die Stationsschwester zu.

Die Mädels platzen fast vor Neugier. Ich stehe regungslos vor dem Strauß.

„Ist bestimmt ein Geschenk von dankbaren Eltern.“, antworte ich recht sachlich, während ich mir einen Kaffee einschenke und weder dem Strauß, noch der Karte Beachtung schenke, zumindest so lange bis sich die Meute verzogen hat. Außerdem traue ich mich gar nicht nachzusehen was auf der Karte steht. Ich glaub so nervös war ich das letzte Mal in Schule als Lizzy und ich heimlich Liebesbriefe geschrieben haben. Dieser Mann wird mir wohl keine Blumen geschickt haben? Er weiß doch nicht mehr als meinen Namen.

„Hey Luisa, guten Morgen. Alles klar bei dir? Du siehst aus, als ob du ein Gespenst gesehen hast?“

Lizzy klopft mir auf die Schulter. Wenn morgens Zeit ist, kommt Sie mich gerne vor Ihrem Dienst auf meiner Station besuchen. Der Auflauf im Schwesternzimmer hat sich blitzartig aufgelöst, als der Stationsarzt grimmig die Ansammlung mit einem „Heute nichts zu tun?“ zerschlagen hat. Mein Dienst ist für heute vorbei und ich bin froh, dass ich allein mit Lizzy endlich den ersten Schluck von meinen Kaffee nehme. Stumm blicke ich zuerst Lizzy und dann die Blumen am Tisch an.

„Blumen für dich, cool, von wem?“ Ihre Stimme erhebt sich vor Aufregung.

„Keine Ahnung, also ich weiß nicht, bin mir nicht sicher, ähhm, hab die Karte noch nicht gelesen.“

Sie schaut mich verwirrt an, fragt mich ob ich neuerdings die Sprache verloren habe, und warum ich die Karte nicht lese. Da ich selbst vor Neugier fast platze, nehme ich die Karte aus dem Strauß. Sie ist weiß in sich gemustert mit einem rosa Rand, passend zur Farbe der Blumen. In gefühlter Zeitlupe öffne ich den Umschlag:

Liebe Luisa,

Danke noch einmal für Ihre Hilfe. Ich würde mich wirklich nur allzu gerne bei Ihnen bedanken. Vielleicht treffen wir uns auf einen Kaffee?

Ich freue mich auf Ihren Anruf. Max.

Darunter noch eine Telefonnummer, alles in schöner Handschrift.

Oh mein Gott, das ist ja unglaublich, woher weiß er wo ich arbeite? Womöglich ist er ein Agent, ein Spion? Nein Blödsinn, zu viel James Bond…So schwer war das bestimmt nicht heraus zu finden, trotzdem, ich fasse es nicht. Ich starre immer noch ungläubig auf die Karte.

„Wer ist bitte MAX?“

Ich zucke erschrocken zusammen. Lizzy schielt mir über die Schulter und platzt vor Neugier. Ich mache die Karte schnell zu.

„Das erzähle ich dir heute Abend, du musst zu deinem Dienst, und ich gehe jetzt nach Hause.“

Mir klopft mein Herz, und meine Hände zittern ein wenig, ich muss mich erst wieder fangen, bevor ich ihr alles erzähle.

„Na gut, ich bin sowieso schon spät dran, aber heute Abend musst du mir alles erzählen!“ Sie zappelt aufgeregt neben mir und ich fühle mich innerlich mindestens ebenso zappelig, versuche es aber lässig zu überspielen. Ich stehe noch ein paar Minuten vor dem Strauß, fast hätte ich auf meine Dienstübergabe vergessen. In der Umkleide schaue ich in den Spiegel und ich finde, trotz Nachtdienst sehe ich heute ganz gut aus. Ich streiche meine dunklen Haare im Nacken zusammen und lächle mich selbst im Spiegel an. Heute wird ein guter Tag. Wird auch wirklich einmal Zeit für gute Tage. Zuhause stelle ich die Rosen ans Fenster neben dem Esstisch. Die Karte liegt am Tisch und ich sitze daneben. Zum Schlafen bin ich viel zu aufgedreht und gar nicht müde. Ich sehe abwechselnd auf die Rosen, dann auf die Karte, und auf mein Handy. Soll ich anrufen? Jetzt schon? Sieht aus, als ob ich es nötig hätte. Besser noch warten? Ich will nicht den Eindruck erwecken ihm nachzulaufen, er soll ruhig zappeln. Was soll ich überhaupt sagen? Ich warte auf Lizzy, sie weiß immer was zu tun ist. Oder soll ich doch nicht anrufen, bringt vermutlich sowieso nichts? Keine Ahnung. Eigentlich habe ich keine Lust für solche Spielchen die sich am Ende immer als Flop herausstellen. Wer schickt denn heutzutage noch Rosen an eine Unbekannte? Das gibt es doch nur im Film. Ich habe mir abgewöhnt mich euphorisch in irgendwelche amourösen Abenteuer zu stürzen. Zu Lizzys Leidwesen die mich immer gern verkuppeln will. Lizzy und ich führen sozusagen eine Mädels WG und teilen uns eine Wohnung. Zumindest noch zurzeit. Sie ist verlobt und wird im nächsten Jahr heiraten. Die beiden haben auch schon fast den Kauf eines wunderschönen Hauses etwas außerhalb der Stadt abgeschlossen, sofern alle Formalitäten klar gehen, werde ich bald allein in der Wohnung sein. Ich kann mir das zwar noch nicht vorstellen, aber ich werde mich daran gewöhnen müssen. Lizzy und ich sind seit Kindertagen beste Freundinnen. Unsere Familien sind seit jeher eng verbunden, und es fühlt sich an, als ob wir Schwestern wären, vor allem weil ich ein Einzelkind bin. Wir haben so viel gemeinsam erlebt, sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Genau wie ihr Bruder Matthew, der seit ich denken kann von allen Matt genannt wird. Er ist aber die meiste Zeit rund um die Welt unterwegs, wir sehen uns zu meinem Leidwesen leider viel zu selten. Normalerweise bin ich nach dem Nachdienst immer k.o., aber heute wusle ich schon den ganzen Vormittag durch die Wohnung. Es ist jetzt 14.45 Uhr. Lizzy kommt gegen 19.00 Uhr. Ich beschließe mich sportlich abzulenken und fahre zum Schwimmen ins Sportbad. Ich gehe schon seitdem ich fünf bin zum Schwimmtraining. Als Kind habe ich richtig professionell im Verein trainiert und war auch gut vorn dabei, aber mit den Jahren verschieben sich die Prioritäten im Leben, wenn auch nicht immer freiwillig. Jetzt mache ich es aus Spaß und speziell heute um den Kopf frei zu bekommen.

Es ist Abend geworden. Ich rühre in der Spaghetti Soße. Kochen ist immer eine gute Ablenkung, denn das Schwimmen hat mich auch nicht weiter gebracht. Ich wundere mich über mich selbst warum mir die Sache nicht aus dem Kopf geht, es waren doch nur wenige Augenblicke, in denen ich mit ihm zu tun hatte. Aus dem Augenwinkel schiele ich wieder auf den Rosenstrauß, der sich im Fenster spiegelt. Ist es nun besonders romantisch einen solchen Strauß zu bekommen, oder eher aufdringlich und altmodisch? Auf jeden Fall sind es die schönsten Rosen, die ich je bekommen habe. Jetzt denke ich schon den ganzen Tag über etwas nach, was ich schon längst hätte erledigen können. Ich könnte die Karte auch einfach wegwerfen und alles vergessen. Ich könnte aber auch… da höre ich die Tür zufallen. Gut das sie endlich da ist, sie weiß immer Rat.

„Hey Luisa, ich habe einen riesen Hunger!“ Lizzy plumpst sichtlich erschöpft auf den Küchenstuhl und grinst mich an, nachdem sie die Blumen auf der Fensterbank bewundert hat.

„Ich will jetzt genau wissen von wem die Blumen sind!“ Sie mustert die Karte. „Schöne Handschrift für einen Mann, also Arzt ist er sicher nicht!“, analysiert sie jeden Satz. „Hast du angerufen?“

„Nein. Ich weiß nicht…ich hab auf dich gewartet.“

„Erzählst du mir jetzt bitte einmal wie du zu Max und seinen Rosen kommst? Ich platze fast vor Neugier!“

Ich seufze. „Natürlich, vorher gibst du ja doch keine Ruhe.“

Spaghetti schlürfend lauscht Lizzy meinem Erlebnis und ist sichtlich amüsiert über meine Begegnung.

„Na bitte, das hast du alles mir zu verdanken, sonst wärst du gestern nie in das Geschäft gegangen.“ Sie schiebt mir das Telefon vor die Nase. „Du rufst jetzt an.“

„Lizzy, ich weiß nicht, ob das wirklich einen Sinn macht…der Mann kauft drei gleiche Parfums, was würdest du dir denn dabei denken? Am Ende ist alles eine Enttäuschung…und wer bitteschön spricht Frauen in einem Kaufhaus an?“

„Ach Luisa…er wird schon kein Frauenmörder sein…“ Sie stößt einen kurzen amüsierten Lacher aus, wird dann aber gleich wieder ernst. „Er hat dir die Rosen geschickt, folglich musst du einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben, und wenn er ein Arsch ist, dann weißt du es zumindest nachher.“

Direkte Worte von Lizzy, wie immer. Genau das sind die Weisheiten einer Freundin, solche Ratschläge kann einem sonst keiner geben, aber Scherz beiseite, es stimmt, wenn ich nicht anrufe, werde ich ewig darüber nachdenken.

„Er ist bestimmt Mitte vierzig und sicher verheiratet, alles was er will ist ein bisschen Spaß, und dafür bin ich nicht die Richtige.“

„Warum denn nicht? Meinst du ein bisschen Spaß würde dir schaden? Woher willst du denn das alles wissen und außerdem, du musst ihn ja nicht gleich heiraten“, belehrt sie mich.

Meine Argumente gegen ein Treffen interessieren sie absolut nicht, und so gebe ich irgendwann doch nach.

„Na gut, na gut, sonst hörst du wohl nie auf, ich ruf jetzt an.“

Ich nehme allen Mut zusammen und räuspere mich, bevor ich nervös die Nummer wähle und warte bis es auf der anderen Seite läutet. Zweimal, Dreimal, Viermal. Super, er geht gar nicht ran. Ich wusste es. Zeitverschwendung. Was mache ich eigentlich? Die Sache ist doch zu aufgelegt, alles ein Flop. Wahrscheinlich doch verheiratet und sitzt um diese Zeit beim Abendessen mit der Familie und mustert die Schularbeiten der Kinder, oder doch Arsch, oder beides. Es läutet immer noch, in meinem Kopf spielen sich wirre Geschichten ab und ich fange an mich über mich selbst zu ärgern. Was denke ich mir eigentlich, das ist doch lächerlich. Kurz bevor ich auflegen will höre ich: „Max Deveraux.“

Ich zucke kurz zusammen, ich habe nicht mehr damit gerechnet, dass er noch abnimmt. Seine Stimme klingt ganz ernst. Mein Herz klopft, mit einem Mal fühle ich mich unglaublich angespannt.

 

„Hallo…Hier spricht Luisa. Luisa Miller“, stammle ich.

Mist, ich weiß immer noch nicht, was ich sagen soll, aber viel Zeit darüber nachzudenken habe ich jetzt nicht.

„Hallo Luisa, ich habe gar nicht mehr damit gerechnet das Sie mich noch anrufen. Ich bin gerade in einem Meeting.“

Jetzt klingt er wieder ganz freundlich, ich würde fast meinen er freut sich wirklich meine Stimme zu hören.

„Ich wollte Sie auch gar nicht stören…“, entschuldige ich mich immer noch stammelnd und nicht wissend was ich sagen soll.

„Nein, nein, das macht nichts. Ich freue mich sehr, dass Sie anrufen. Ich kann nur momentan schlecht sprechen. Wenn Sie Zeit haben würde ich Sie gerne morgen auf einen Kaffee treffen?“

Innerlich springe ich vor Aufregung, obwohl ich der Meinung bin, die Sache nimmt ein unerwartetes Tempo an. Ich kenne den Mann doch gar nicht, mehr als seinen Namen und dass er einen Chauffeur hat, weiß ich nicht von ihm, und dass er Parfum für seine Freundinnen kauft.

„Luisa? Sind Sie noch dran?“

„Ja… Ja natürlich, ich bin dran.“

Auch wenn ich es noch so sehr wollte, ich würde es nicht übers Herz bringen ihm einen Korb zu geben, daher nehme ich die Einladung an, er wird also hoffentlich kein Frauenmörder sein. Wir vereinbaren ein Treffen in einem kleinen französischen Café das er zwar nicht kennt, ich aber war schon öfter dort, und es ist gleich neben der U-Bahn Station, ich kann also im Notfall schnell flüchten.

„Ich freue mich auf morgen“, sage ich noch und bin von meinen Worten selbst überrascht. Ich höre ein „Ich mich auch“, bevor ich auflege.

Meine Wangen glühen und mein Herz klopft wie verrückt, und das alles wegen eines Telefonates und einer Verabredung.

„Da hat wohl jemand ein Date…“, neckt mich Lizzy grinsend, die meine Aufregung natürlich gleich bemerkt.

„Kein Date, nur Kaffee trinken.“

Ich bessere sie mit hochgezogenen Augenbrauen aus.

„Ja, Ja…nenn es wie du willst.“ Sie verdreht belustigt die Augen.

Ich sage dazu gar nichts mehr, ich werde morgen mit ihm einen Kaffee trinken, das wird es dann vermutlich auch gewesen sein. Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück und lächle den Rosenstrauß betrachtend. Was für ein Tag…Ich atme tief durch. Ich nehme mir trotz allem vor die Angelegenheit sachlich anzugehen. Keine voreiligen Entschlüsse, ich habe keine Lust auf Enttäuschungen.

Kapitel 2

„Guten Morgen Süße, gut geschlafen?“

Lizzy hopst mir mit bester Laune entgegen. Ich schleppe mich unmotiviert und verschlafen in die Küche. Der Frühstückstisch ist schon gedeckt und Andy, Lizzys Verlobter, packt gerade frische Croissants aus einer Papiertüte. Der Duft des frischen Gebäcks umschmeichelt meine Nase. Durch das Küchenfenster strahlt angenehm die Sonne, die sich heute durch den New Yorker Nebel gekämpft hat auf meine Rosen.

„Guten Morgen, Andy, ich dachte, du kommst erst morgen von deiner Geschäftsreise zurück?“

Er arbeitet für eine große Telekommunikationsfirma, die gerade eine riesige Fusion anstrebt und ist deshalb viel unterwegs. Er sieht mich müde an und schnauft kurz durch.

„Ja die Verhandlungen gestalten sich doch schwieriger als gedacht, wir mussten den Termin leider erfolglos abrechen, aber dafür bin ich schon einen Tag früher wieder zurück.“

Heute ist Freitag, ich habe meinen letzten Nachdienst für diese Woche, am Wochenende hab ich zum Glück frei. Ich muss an meine Verabredung denken, mein leerer Magen zieht sich zusammen, die Angelegenheit macht mich weiterhin unglaublich nervös.

„Dein Tee ist fertig, und es gibt deine Lieblingscroissants!“

Lizzy schiebt mich zu meinem Stuhl.

„Wir haben heute noch viel vor bis zum Nachmittag, schließlich hat Luisa heute ein Date!“ Lizzy grinst Andy an, der verwundert seine Lippen kräuselt. Richtig zu interessieren scheint ihn das aber nicht, er liest weiter in seiner Zeitung.

Ich verdrehe meine Augen und seufze. „Ich gehe auf keinen Ball Lizzy, ich gehe nur Kaffee trinken.“

„Trotzdem. Ich hab heute gegoogelt.“

„Was hast du gegoogelt?“, frage ich an meinem Tee nippend nach.

„Max Deveraux. Na da hast du ja einen dicken Fisch an Land gezogen!“

Sie steht auf und holt ihr Tablet an den Frühstückstisch.

„Ich habe gar nichts an Land gezogen.“

Ich bin mir nicht sicher, ob ich wissen will was sie gefunden hat. Sie hat einen Artikel in einem Wirtschaftsblatt herausgesucht. Unter dem Titel „Die TOP 100 Aufsteiger des Jahres“ ist ein Portrait von Max, daneben noch ein anderer Mann, beide sehr bussinesslike.

Lizzy liest mit sichtlicher Bewunderung vor:

„Max Deveraux, 45 Jahre und Richard Menson, 46 Jahre, führen ihr Unternehmen seit zehn Jahren sehr erfolgreich und konnten auch in diesem Jahr wieder eine Spitzenplatzierung im Ranking der besten Unternehmen in New York einnehmen. Deveraux und Menson haben sich auf die Verwertung insolventer Großbetriebe spezialisiert und erwirtschaften damit jährlich Millionengewinne.“

Sogar Andy hat sich von seiner Zeitung abgewandt und lauscht aufmerksam. Na toll! Jetzt ist er auch noch Spitzenunternehmer und ich trinke Tee aus meiner Kindertasse mit kleinen Blumen und Herzen drauf.

„Sonst steht nichts da? Familienstand? Kinder? Allergien? Haustiere?“, frage ich spitz.

Jetzt verdreht sie die Augen. „Jetzt hör doch bitte endlich auf so skeptisch zu sein, du erstickst ja jede Romantik im Keim. Wirst du schon noch herausfinden.“

Ich lasse ihre Worte unkommentiert, denn ich finde es nicht besonders toll, wenn ich während ich mich schon verliebt habe herausfinde, dass ich es mit einem verheirateten Mann zu tun habe. Wäre nicht das erste Mal dass mir das passiert. Soviel zur Romantik. Lizzy erklärt mir beim Abräumen des Frühstücksgeschirrs, dass Manager bestimmt sehr aufs Äußere einer Frau wertlegen. Sie schlägt mir etwas schadenfroh ein totales Umstyling vor. Genervt höre ich mir ihre Vorschläge an. Ich soll doch ihr dunkelblaues Kostüm, das sie zu ihrer Approbation getragen hat ausborgen und meine weiße Spitzenbluse dazu anziehen. Am besten noch die schwarzen High Heels dazu, das wäre bestimmt unglaublich chic.

„Lizzy, ich gehe einen Kaffee trinken. Ich ziehe ganz bestimmt dazu kein Kostüm mit High Heels an, ganz egal, ob das gut ankommt oder nicht. Ich werde mich mit Sicherheit für niemanden verkleiden und wenn er der Präsident ist. Wenn ihm nicht gefällt wie ich aussehe, soll er sich eine Rechtsantwaltstussi aufreißen.“

„Ja, ja, da hast du wohl recht. Du bist wie du bist. Außerdem hast du ihn bestimmt schon längst mit deinem süßen Lächeln und deinen strahlend grünen Augen verzaubert.“

So wie ich gestern aussah, kann ich mir das zwar nicht vorstellen, aber zumindest hab ich heute die Chance ihm eine halbwegs passable Frisur zu präsentieren. Ich bin ganz froh darüber, dass Lizzy und Andy den Tag bei Lizzys Eltern verbringen wollen und ich ein paar Stunden für mich allein habe.

„Macht es dir wirklich nichts aus wenn wir jetzt fahren?“, fragt sie mich, während sie Ihren Mantel anzieht.

„Nein, alles ok.“

Ich drücke sie zum Abschied noch kurz und sie flüstert mir noch viel Glück ins Ohr. Sie ist ganz aus dem Häuschen wegen der Sache, obwohl ich mir nicht allzu viele Hoffnungen mache. Trotzdem stehe ich jetzt vor meinem Schrank und überlege was ich anziehen soll. Ich entscheide mich doch für die weiße Spitzenbluse, aber in Kombination mit einer Strickjacke, Jeans und Stiefelletten. Das passt meiner Meinung nach perfekt zum französischen Café. Meine frisch gewaschenen Haare haben sich wieder einmal erfolgreich gegen meine Rundbürste gewehrt, und für das Glätteisen ist jetzt keine Zeit mehr, ich bin sowieso schon spät dran. Nun fallen sie in leichten, weichen Wellen über meine Schultern. Ich stehe vor dem Spiegel meiner Garderobe und begutachte mich noch einmal kritisch, bevor ich meinen schwarzen Mantel überziehe.

„Sei immer du selbst!“, hat meine Mutter immer zu mir gesagt. Ich habe ihre Stimme ganz klar in meinem Ohr, als ich die Tür hinter mir zuziehe. Sie war so eine schöne, kluge Frau, in diesem Moment wäre ich gerne ein kleinwenig mehr wie sie. Das kleine Café liegt ganz unscheinbar in einer Seitengasse an der Ecke eines nostalgisch anmutenden Hauses. Draußen ist es leicht dämmrig geworden und das sanfte Licht aus dem Café scheint einladend auf die Straße hinaus. Ich bleibe kurz stehen. Warum mache ich das eigentlich? Das ist doch alles Irrsinn. Alles ist in wunderbarer Ordnung und gut so wie es ist. Soll ich wegen einem Mann alles durcheinander bringen? Er ist sowieso nichts für mich, und ich nichts für ihn. Jetzt kann ich noch gehen. Ja ich gehe wieder, er wird es schon verkraften, und ich sowieso. Ich drehe mich um und setze zum Rückzug an. Nach drei Schritten bleibe ich aber wieder stehen und blicke auf meine Handschuhe. Ich atme tief durch. Es ist nur ein Kaffee. Nur ein Kaffee Luisa, dreh jetzt nicht gleich durch. Er hat sich Zeit für mich genommen, es wäre unfair ihn jetzt sitzen zu lassen. Er ist ein netter höflicher Mann. Ich gehe wieder zur Tür und steige die drei Stufen hinauf, bevor ich die große Glastür öffne, über der ein Messingschild hängt auf dem in geschwungen Lettern „Café la douceur“ steht. Ich war schon öfters hier. Es ist klein und gemütlich, an den runden dunklen Holztischen stehen Stühle in französischem Bistro Stil mit grün weiß gestreifter Polsterung. Der dunkle Holzboden ist glänzend poliert, wenn man das Café betritt, fällt einem sofort die große Glasvitrine mit einer bestechenden Auswahl an verführerischer Patisseriekunst ins Auge. Es duftet herrlich nach frischem Kaffee, an den Wänden hängt zeitgenössische Kunst, die sich perfekt in das Flair der Umgebung einfügt. Es ist ein bisschen altmodisch, die Möbel sind leicht abgenutzt, aber es hat Stil. Die Kellnerinnen tragen weiße Spitzensschürzen, auf denen „La douceur“ aufgestickt ist. Man kann sich leicht einen Überblick über die Gäste verschaffen, und so sehe ich auch gleich Max der ganz rechts hinten an einem Ecktisch Platz genommen hat und gerade telefoniert. Als er mich erblickt bricht er sein Telefonat ab, steht auf und kommt mir ein paar Schritte entgegen. Irgendwie passt er gar nicht in das Ambiente des Cafés. So straight und beschäftigt zwischen den Schülern und Studenten die in ihre Bücher schauen, oder sich auf einen abendlichen Plausch getroffen haben. Ich muss mich zusammenreißen, um ihn nicht offensichtlich zu mustern. Anzug, weißes Hemd, grau-weiße Krawatte, die schwarzen Schuhe glänzen frisch poliert, er ist wirklich eine Erscheinung. Ich kenne keinen Mann der so ein perfektes Äußeres hat, außer vielleicht Matt, Lizzys Bruder. Er ist Rechtsanwalt, und im Anzug macht er auch eine sehr gute Figur, trotzdem kein Vergleich. Mr. Deveraux ist wirklich ein schöner Mann, und das stelle ich nicht oft fest.

„Schön, dass Sie gekommen sind Luisa“, begrüßt er mich mit einem strahlenden Lächeln und nimmt mir meinen Mantel ab.

Ich habe kaum Luft zum Atmen, als ich ihn auch begrüße und wir an dem kleinen runden Tisch Platz nehmen.

Es dauert nicht lange, und schon kommt eine rothaarige Kellnerin zu unserem Tisch. Sie erinnert mich irgendwie an Pippi Langstrumpf, nur ohne Zöpfe.

„Was darf ich Ihnen bringen?“, fragt sie mit französischem Accent und knabbert ungeduldig an ihrem Stift. Max schaut mich in Erwartung meiner Bestellung an.

„Café au lait bitte.“

„Für mich bitte einen Espresso. Kuchen?“

Ich blicke zur Kuchenvitrine, obwohl ich immer den Zitronenkuchen nehme. Ob es schicklich ist Kuchen zu essen?

„Der Zitronenkuchen soll hier besonders gut sein“, meint er, als ob er meine Gedanken lesen könnte.

„Es ist der beste der Stadt“, erwidere ich mit einem Lächeln.

„Dann nehmen wir bitte zwei Stück.“

„Natürlich gerne Monsieur.“

Die Kellnerin wieselt davon. Da ich nicht weiß, was ich sagen soll, bedanke ich mich erst einmal für die Blumen.

„Danke für die schönen Rosen, sie sind traumhaft. Ich war sehr überrascht, habe ich Ihnen überhaupt erzählt wo ich arbeite?“

„Nein, aber es war nicht so schwer das ausfindig zu machen, ich konnte Sie ganz leicht mit Ihrem Namen auf der Homepage des Krankenhauses finden.“

Als die Kellnerin mit dem Tablett ankommt, lehnt Max sich ganz entspannt am Sessel zurück.

„Ich habe Sie gestern einfach so stehen lassen, das ist eigentlich nicht meine Art.“

 

Er blitzt mich an, ich muss auf seine schönen Hände schauen. Ich hoffe keinen Ehering zu entdecken und nein, da ist keiner. Er ist unglaublich höflich und zuvorkommend.

„Sie sind also Hebamme, ein sehr schöner Beruf.“

„Ja, ich liebe meine Arbeit. Es ist vor allem ein wunderschönes Gefühl einem so zerbrechlichen Geschöpf den Weg ins Leben zu bereiten. Babys sind so unglaublich stark und trotzdem zerbrechlich. Eine werdende Mutter und auch der Vater sind bei einer Geburt in einem Ausnahmezustand, den sie im normalen Leben nie wieder so erleben werden. Das ist die Herausforderung in meinem Beruf, und ich liebe es. Haben Sie Kinder?“

Die Frage sprudelt ungewollt aus mir heraus, ich glaube ich bin ein bisschen rot geworden und habe ein wenig Angst vor der Antwort. Er schlägt ein Bein über das andere, es scheint als hätte ihn meine Frage etwas überrascht.

„Nein, ich habe keine Kinder, aber so wie sie das beschreiben, wäre es vermutlich schön welche zu haben.“

Irgendwie klingt das fast ein bisschen traurig, aber trotzdem bin ich erleichtert über die Antwort. Kein Ehering, keine Kinder, wobei den Ring kann man ja abnehmen. Wir unterhalten uns noch lange über alles Mögliche, die Zeit vergeht so schnell, ich vergesse fast, dass ich noch zur Arbeit muss.

„Es tut mir leid Max, ich würde gerne noch mit Ihnen plaudern, aber ich habe auch heute wieder Nachtdienst, und wenn ich nicht zu spät kommen will muss ich jetzt los.“

„Ja natürlich, die Zeit ist ja wie im Flug vergangen.“

Er winkt die Kellnerin her und bezahlt, während ich meinen Mantel vom Kleiderständer nehme. Als ich hinein schlüpfen will, nimmt er ihn mir ab und hilft mir hinein.

„Haben Sie Kinder?“, fragt er mich fast beiläufig, während ich in meinen Mantel schlüpfe.

„Nein ich habe keine Kinder, das liegt vermutlich auch daran, dass mir der Mann dazu fehlt.“

Ich drehe mich zu ihm um und kann in seinem Blick erkennen, dass ihm meine Reaktion etwas überrascht. Ich befürchte mein Ton war unangemessen schroff.

„Bitte verzeihen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, aber zumindest weiß ich jetzt, dass die Männerkosmetik nicht für Ihren Freund ist, was mich ehrlich gesagt doch freut.“

Ich erwidere seinen Blick und lächle ihn an, während ich mir denke wie unnötig das jetzt war.

„Nein zumindest nicht für so einen „Freund“, außerdem würde ich mich dann nicht mit Ihnen hier treffen. Ich wollte nicht so forsch sein, Entschuldigung.“

Er lächelt zurück, ich versuche die Situation möglichst galant zu überspielen.

„Sie sind kein Amerikaner, oder? Dafür sind Sie viel zu höflich“, frage ich ihn.

Er schaut mich verwundert an und erklärt mir, dass er Ire ist, aber seit über zehn Jahren in New York lebt. Wir verlassen das Café, irgendwie hab ich kein gutes Gefühl, vielleicht bin ich doch zu viel ich selbst. Draußen ist es kühl geworden, Er zieht seine schwarzen Lederhandschuhe über.

„Soll ich Sie noch zum Krankenhaus bringen? Mein Fahrer steht eine Straße weiter.“

„Danke, das ist wirklich nett, aber ich nehme die U-Bahn.“

Ich schlage die Gelegenheit zum Mitfahren ein weiteres Mal aus.

Er streicht fast beiläufig über meinen Arm.

„Es wäre schön Sie wieder zu treffen, Luisa.“

Auch wenn mein Verstand versucht es abzuwehren, mein Herz hüpft mit den Schmetterlingen in meinem Bauch um die Wette. Ich gebe mir Mühe mir meine Begeisterung nicht anmerken zu lassen. Ich nicke wortlos und ich glaube ein verlegenes Lächeln huscht mir über die Lippen. Bevor ich antworten kann, klingelt sein Telefon und ruiniert die Situation. Er nimmt meine Hand zum Abschied und verspricht mir mich anzurufen. Ich drehe mich um und gehe los Richtung U-Bahn. Als ich mich umdrehe, treffen sich unsere Blicke, während er mir noch einmal zuwinkt verschwindet er auch schon hinter dem nächsten Haus.

Kurz vor sieben Uhr schaffe ich es gerade noch pünktlich ins Krankenhaus. Auf dem Weg zum Aufzug kommt mir ein bekanntes Gesicht aus der Ferne entgegen. Mein Vater. Dr. Frank Miller. Er ist Chefarzt der Chirurgie im Krankenhaus, und scheinbar auf dem Weg nach Hause.

„Hi Dad, ich bin spät dran.“

„Ja das sehe ich, wo kommst du den her, du bist heute so chic?“

„Nicht anders als sonst, Dad.“

Ihm entgeht auch nichts, aber er fragt nicht weiter nach. Er küsst mich auf die Wange und erinnert mich an unser wöchentliches Mittagessen am Sonntag. Wie könnte ich es vergessen. Ich winke ihm noch flüchtig hinterher und steige in den Lift. Mein Vater, der einflussreiche Herr Doktor. Er hat wirklich schon vieles bewegt in diesem Krankenhaus, er ist ein toller Arzt und macht seinen Job außerordentlich. Ich konnte seine Erwartungen in mich leider nicht erfüllen. Er hätte mich immer gerne als Spitzenchirurgin und seine Nachfolgerin gesehen, aber mein Traum war das nie, ich habe ihm diese Illusion schon sehr lange genommen. Ich wollte schon als kleines Mädchen in die Fußstapfen meiner Mutter als Hebamme treten. Ich fand es immer spannend ein neues Leben auf die Reise ins Leben zu begleiten. Ärzte waren mir immer zu selbstverliebt in ihren Beruf, Götter in Weiß eben. Ich steige aus dem Lift, nein heute schwebe ich aus dem Lift, ich muss für mich selbst grinsen. Zeit, um alles für die heutige Nacht zu checken habe ich nicht, denn mir läuft bereits Dr. Cooper entgegen.

„Notsectio Luisa, wir brauchen Sie dringend, wo bleiben Sie denn?“

Der Alltag ruft mich zurück in meinen Beruf und ich habe gerade noch Zeit mich umzuziehen und mich OP fertig zu machen. Alles geht ganz schnell. Eine junge Mutter mit einem Notkaiserschnitt, 30. Schwangerschaftswoche. Dr. Cooper führt den Kaiserschnitt wie immer routiniert durch, ich kann schon das Köpfen des Winzlings sehen. Es ist ein kleines Mädchen. Er legt sie mir vorsichtig auf das vorbereitete Tuch.

Ich schaue das Baby durch die Scheibe des Inkubators an. Es sieht so winzig aus, aber ganz friedlich, als es an der Tür klopft. Ich winke den frisch gebackenen Vater herein.

„Hallo Mr. Mayr, kommen Sie, ihrer Tochter geht es gut.“

Er traut sich erst gar nicht richtig sein Baby anzuschauen. Ich erkläre ihm alles, schlussendlich kann ich ihn doch noch dazu bewegen seine Tochter zu bestaunen. Es ist mittlerweile Mitternacht geworden, als ich das erste Mal auf die Uhr schaue. Inzwischen ist auch noch eine andere Geburt auf die Station gekommen. Die werdende Mutter hatte einen Blasensprung und klagt bereits über Wehen in kurzen Abständen. Heute hab ich keine Zeit um durchzuschnaufen. Um 05.21 Uhr halte ich den kleinen, kerngesunden Lewis in Händen.

Die junge Frühchen Mutter von vorhin hat sich vom Notkaiserschnitt bereits gut erholt, als ich sie kurz vor meinem Dienstende noch auf der Station besuche. Als ich im Schwesternzimmer einen Schluck Kaffee nehme schaue ich das erste Mal seit gestern Abend auf mein Handy. Ich habe ein paar neue Nachrichten erhalten.

18.47 Uhr Lizzy: Und wie war es? Kannst du dich vielleicht bitte mal melden? Ich sterbe vor Neugier?

19.21 Uhr Matt: Hi Luisa, bin am Wochenende in NY. Morgen Mittag Pizza und Cocktails mit Lizzy und Andy? Freue mich. Kuss Matt

20.21 Uhr Max: Danke für den Abend im Café. Ich hoffe Sie bald wieder zu treffen. Max.

Klingt ziemlich verhalten, aber es gibt noch eine weitere Nachricht.

23.54 Uhr Max: Liebe Luisa, ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich denke den ganzen Abend an Sie, ich muss Sie unbedingt wieder treffen. Es ist eigentlich nicht meine Art SMS zu schreiben, aber ich kann nicht schlafen, ohne dass Sie wissen wie sehr ich an Sie denke. Gute Nacht, Max.

Er denkt an mich, er denkt an mich…es juckt mich in den Fingern, ich will sofort zurück schreiben, aber ich tue es nicht, er soll sich nur ein bisschen anstrengen um meine Gunst zu gewinnen. Ich bin froh als der Nachdienst zu Ende ist und verlasse das Krankenhaus. Zwei Tage frei. Endlich. Während ich zur U-Bahn spaziere überlege ich, ob ich nicht doch auf die SMS antworten soll, aber ich bleibe hart zu mir. Zu Hause angekommen falle ich erschöpft in mein Bett, ein paar Stunden schlafen, ich bin todmüde. Heiteres Gelächter aus der Küche weckt mich. Ich öffne noch etwas schlaftrunken meine Augen, es ist früher Nachmittag. In der Küche sitzen Lizzy, Andy und Matt. In dem Trubel habe ich ganz vergessen, dass er heute kommt. Er springt freudig auf als er mich sieht und drückt mich zur Begrüßung, was ich abgeschlagen erwidere.