Der schottische Lord

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Kapitel 8

Seit zwei Tagen habe ich das Gefühl rund um die Uhr wach zu sein. Inzwischen bin ich nicht mehr müde, aber dafür drehe ich langsam durch. Ich versuche gleichzeitig zu telefonieren, am Gut alles zu regeln und auf Vater aufzupassen, wobei mir letzteres fast den Verstand raubt. Dazu denke ich ständig über Kendra nach und ich mache mir schreckliche Vorwürfe im Streit mit Peter auseinander gegangen zu sein. Mittlerweile will ich einfach nur, dass er so schnell wie möglich die Augen aufmacht. Denn ich will endlich wissen, warum er mit meiner Ehefrau zusammen war. Gut, es ist nicht so ungewöhnlich, wir leben hier alle unter einem Dach, vielleicht hat er sie nur wo aufgelesen, aber trotzdem ergibt im Moment nichts einen Sinn für mich. Eliza tauscht die Blumen am kleinen Tisch vor dem Kamin und lächelt mich an. Das tut sie zwar immer, aber in den vergangenen Tagen ist so viel Mitleid dabei.

„Kommt denn deine Mutter?“, fragt sie vorsichtig.

Meine Mutter. Ich atme durch. „Wozu?“

„Bitte verstehe mich nicht falsch Tavis, ich bin gerne da wenn du mich für deinen Vater brauchst, aber ich kann das manchmal nur schwer mit meinen anderen Arbeiten vereinbaren. Und Peter ist ihr Sohn. Sie sollte wissen, was hier los ist.“

Ich klappe meinen Laptop zu. „Ja. Ich rufe sie an. Damit sie weiß was los ist, aber ich werde einen Teufel tun, sie zu bitten hierherzukommen.“

Eliza senkt ihren Blick und seufzt.

„Und ich werde eine Pflegerin einstellen, Dr. Scott hat bestimmt Kontakte“, füge ich harsch hinzu. Sie zuckt mit den Schultern und lächelt immer noch mit gesenktem Blick. Gott wie ich das hasse. „Sag schon Eliza, raus damit. Ich weiß, dass dir etwas auf der Zunge brennt.“

„Dein Vater ist krank, die ganze Situation hier ist schon belastend genug und du weißt wie sehr er Pflegepersonal hasst. Glaubst du das ist richtig?“

Ich springe auf und schüttle den Kopf. „Keine Ahnung! Aber ich kann das nicht allein machen, das schaffe ich einfach nicht und meine Mutter…Nein. Sie ist gegangen. Schluss damit!“ Meine Stimme ist viel zu laut, was mir schon wieder leidtut, denn sie ist die einzige die immer für mich da ist und war. Ich atme durch und gehe näher zu ihr. „Entschuldige…“, stammle ich.

„Holly ist Krankenschwester. Dein Vater mag sie sehr gerne und sie ihn auch“, meint sie und streicht über meinen Arm.

„Sie ist Krankenschwester?“, frage ich nach.

Sie nickt und lächelt schon wieder. „Ja, sie war lange Intensivkrankenschwester und auch in der häuslichen Pflege tätig. Sie hat sich zuletzt aufopfernd um ein todkrankes Kind gekümmert. Sie ist perfekt würde ich sagen.“

Ich verschränke nachdenklich meine Arme vor der Brust. Perfekt. Naja. Sie ist komisch drauf, aber Vater ist auch schräg drauf, vermutlich also doch perfekt. Sie scheinen irgendwie auf der gleichen Wellenlänge zu sein. „Aber sie wollte doch abreisen?“, meine ich nachdenklich.

„Vielleicht sucht sie nach einer Aufgabe, ich habe nicht das Gefühl, dass sie so unbedingt nach England zurückwill. Frag sie einfach.“

„Ja. Gut. Sehr gute Idee. Aber sie hasst mich“, seufze ich.

„Dich muss sie ja nicht mögen, es reicht, wenn ihr miteinander auskommt, obwohl, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dich hasst“, schmunzelt sie.

„Alle Frauen in diesem Haus hassen mich, außer du“, zucke ich mit den Schultern.

„Ach Tavis, hör auf mit dem Unsinn. Niemand hasst dich. Sie ist drüben im Haus, frag sie gleich. Ich bleibe so lange hier, falls der Lord von seinem Mittagsschlaf aufwacht.“

Weil es wirklich ein Segen wäre, wenn Holly sich um Vater kümmern könnte solange hier so ein Chaos herrscht, nehme ich Elizas Vorschlag an und gehe hinüber zum Haus. Holly hat sich seit sie an dem Tag nach dem Unfall aus dem Haus verschwand ziemlich rar gemacht, ich befürchte sie ist beleidigt, warum auch immer. Ich klopfe an der Tür und räuspere mich schon einmal um nicht mitleidig zu klingen. Auch wenn ich am Ende bin, ich bin der Lord. Sie öffnet und sieht überrascht auf.

„Hallo“, sage ich leiser als ich es wollte. „Eliza hat gemeint ich finde Sie hier.“

Wie schon öfter in meiner Gegenwart bemerkt hebt sie plötzlich ihr Kinn an. Ihre ganze Haltung verändert sich als wolle sie sich vor mir groß machen. „Ja warum, braucht sie mich?“, fragt sie und neigt dabei abwartend ihren Kopf zur Seite.

Ich schüttle den Kopf. „Ich brauche Sie.“ Ach du Scheiße wie das klingt. Du bist der Lord du Trottel!!! Sie zieht ihre Augenbrauen hoch, auch ihre Schultern gehen nach oben, fast als würde es ihr gefallen, dass ich etwas brauche. Ich würde jetzt gerne mit den Augen rollen und laut durchamten, weil ihre Reaktion unpassend ist, aber ich brauche sie nun einmal wirklich, darum lasse ich es.

„Mein Vater, ich schaffe das nicht allein. Die Arbeit am Hof und in der Brennerei…“ Ich suche nach den richtigen Worten ohne zu klingen als würde ich betteln. „Eliza hat mir erzählt Sie sind Krankenschwester…Also ich würde Sie gerne einstellen, für die Pflege meines Vaters.“

Ihr Blick verändert sich. Ich kann förmlich sehen wie die Rädchen in ihrem Gehirn sich zu drehen beginnen. „Sie scheinen sehr qualifiziert zu sein und er mag Sie“, fahre ich fort. Für meinen Geschmack überlegt sie sehr lange. Ich schätze mein Blick gibt meine Ungeduld preis. „Mit den Medikamenten kenne ich mich auch nicht aus, das hat immer alles Kendra gemacht“, sage ich darum noch fast flehend, was mir total zuwider ist. Sie verschränkt die Arme vor der Brust. Abwehrhaltung. Und genauso klingt ihre Antwort: „Tut mir leid, ich fahre diese Woche zurück nach England.“

Nein. Sie sagt nein. Das ist nicht ihr Ernst. Wenn sie will, dass ich bettle, hat sie sich getäuscht. Ich bettle nicht. Niemals. Ein Lord bettelt verdammt noch einmal nicht! „Verstehe“, sage ich darum kühl und drehe mich um. So eine blöde Schnepfe. Das tut sie doch extra um mir das Leben schwer zu machen, warum auch immer. Vermutlich hat sie mich längst durschaut und das Arschloch das ich bin enttarnt. Ich gehe zurück ins Castle, Vater ist munter geworden und sitzt am Schachbrett. Schach. Schon wieder. Dafür habe ich jetzt wirklich keine Zeit. Mein Handy summt und ich wollte doch noch in die Klinik.

„Danke Eliza“, sage ich knapp. „Sie will nicht, aber trotzdem danke für den Tipp.“

„Sie will nicht?“, meint diese überrascht.

„Nein. Also ich muss jetzt noch etwas tun, deine Arbeit unten wartet doch bestimmt auf dich.“ Ich habe jetzt absolut keine Lust ihr von den Worten ihrer eingebildeten Nichte zu erzählen. Eingebildet. Genau. Noch besser: Abgehoben. So eine seltsame Frau habe ich wirklich noch nie getroffen. Ich schüttle für mich selbst den Kopf. „Vater, ich muss schnell telefonieren, dann spielen wir. Bitte hab kurz Geduld.“

Er richtet seinen Oberkörper auf und schüttelt den Kopf. „Ich will spazieren gehen. Wo ist Kendra? Sie ist unpünktlich. Was ist hier los?“ Seine Stimme erhebt sich, was in Anbetracht seiner Krankheit komisch wirkt, selbst wenn es mich an seine strenge Art von früher erinnert.

Ich atme leise durch. Genau. Was ist hier los?! „Gleich Vater, gleich…“, murmle ich.

Das Telefonat nervt mich und dauert länger als es mir lieb ist. Dann werde ich jetzt wohl eine Runde Schach spielen müssen. Mit den Worten „Bist du bereit?“, gehe ich zurück in den Salon, doch ich bekomme keine Antwort. Vater ist nicht da. Genervt blicke ich mich um. „Vater?“

Ich sehe in seinem Zimmer nach und rufe hinunter in die Küche, nichts. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Hoffentlich ist er nicht hinaus gegangen, in ein paar Minuten ist es möglich ziemlich leicht zu verschwinden und auf dem verwinkelten Gelände finde ich ihn nie wieder. Ich laufe hinaus in den Rosengarten, auch da ist er nicht. Während ich mich immer weiter umsehe, denke ich nach, welchen Weg Kendra immer mit ihm geht. Langsam werde ich nervös, ich laufe über den großen Vorplatz als ich ihn sehe. Mit Holly. Sie scheint ihn aufgelesen zu haben. Ich laufe ihr entgegen und bekomme fast keine Luft als ich vor ihr stehe. „Ich habe nur fünf Minuten telefoniert…Ich habe ihn schon überall gesucht“, erkläre ich völlig außer mir, bin aber auch erleichtert, dass er Holly wohlbehalten anlächelt. Mich jedoch sieht er einschüchternd an. Er stemmt seine Hände in die Hüften. „Wo ist Kendra? Sie hat den Spaziergang vergessen und unsere Schachpartie auch!“ Er stapft steten Schrittes Richtung Haus. Holly geht ihm nach, ich ebenfalls.

„Was soll ich ihm sagen wegen Kendra?“, flüstere ich.

Sie dreht sich um und schüttelt den Kopf. „Nichts. Es würde ihn zu sehr aufregen und das täglich, weil er es immer wieder vergisst und darum ständig nachfragt. Also nichts.“ Sie bleibt stehen und sieht mich an. Anders als vorhin. „Zeigen Sie mir bitte die Medikamente. Was hat er denn die letzten Tage genommen?“

Mir fällt die Kinnlade hinunter. Hat sie gerade zugestimmt sich um Vater zu kümmern?! Aber sie nimmt mir eine Nachfrage ab.

„Ja…Ich werde die Pflege für Lord Angus übernehmen, also wenn Sie das noch wollen.“

Ich nicke. Immer noch perplex. „Ja...Ja. Natürlich. Kommen Sie ins Haus.“ Ich lasse ihr höflich den Vortritt und schäme mich gerade für meine aufgebrachten Gedanken von vorhin. Sie ist keine eingebildete Schnepfe. Nein…Das ist sie ganz und gar nicht. Ich zeige ihr alles und wie nicht anders erwartet kennt sie sich sehr gut mit den Medikamenten und auch allem anderen aus. Ich bin unglaublich erleichtert, mit einem Schlag fällt eine riesige Last von mir ab.

„Dann werde ich jetzt einmal eine Partie Schach spielen“, meint sie schmunzelnd zu meinem Vater blickend, der schon ungeduldig auf sie wartet. „Und Sie sollten sich einmal hinlegen, Sie sehen nicht gut aus.“

 

Ok. Die Bestimmerin. Da ist sie wieder. Aber ich vermute das Krankenschwestern so sind. Mir fällt noch ein, dass sie auch nachts hierbleiben sollte. Hoffentlich überlegt sie es sich nicht gleich wieder anders, darum frage ich sehr vorsichtig.

„Könnten Sie hier im Haus bleiben? Also auch nachts?“

Sie nickt und lächelt. Das war einfach. Ich atme unbemerkt durch. „Wir haben vor einiger Zeit das Zimmer neben dem Schlafzimmer meines Vaters im Erdgeschoss renoviert. Ich lasse es Denisa für Sie fertig machen, wenn Sie einverstanden sind.“

Wieder nickt sie und lächelt erneut. Gott…Ich bin ihr wirklich dankbar. „Danke Holly. Sie wissen gar nicht wie sehr Sie mir gerade helfen. Ich weiß, Sie sind Krankenschwester, ich werde einen Dienstvertrag aufsetzten lassen, bitte sagen Sie mir wie ihre Gehaltsvorstellungen aussehen. Ich kenne mich damit nicht aus.“

Sie schüttelt den Kopf, so als ob es nicht wichtig wäre. „Dafür werden wir schon eine Lösung finden. Sie haben jetzt andere Sorgen.“

Seufzend drehe ich mich um, blicke aber noch einmal zu ihr. „Ich bin Ihnen wirklich dankbar.“ Diese Worte meine ich sehr ernst. Ich bin wirklich dankbar. Außerordentlich dankbar.

Kapitel 9

Ich gehe durch die Tür zur Intensivstation, als mir Kendras behandelnder Arzt schon entgegenkommt. Sie und Peter liegen jetzt fast zehn Tage im Koma und nichts hat sich verändert. Zumindest nicht positiv. Hoffentlich gibt es nicht schon wieder schlechte Nachrichten.

„Dr. Andrews“, begrüße ich ihn knapp.

„Mr. Stewart. Guten Abend. Können wir kurz sprechen?“, meint er und weist mir den Weg durch die offene Tür zum Besprechungszimmer.

„Stimmt etwas nicht? Geht es Kendra schlechter?“, frage ich besorgt nach.

„Ihr Gesamtzustand hat sich nicht verschlechtert, nein, aber ich habe leider trotzdem keine guten Nachrichten.“

Ich sehe ihn verständnislos an.

„Sie hat das Kind verloren, wir konnten leider nichts tun.“

Mir bleibt die Luft im Hals stecken, alles dreht sich plötzlich. „Das Kind verloren?“, frage ich leise nach.

Er sieht mich verwundert an. „Ja…Wussten Sie nicht, dass sie schwanger ist?“

Schwanger. Scheiße. Sie war schwanger? „Nein.“

„Oh. Das tut mir leid, sie war auch erst in der fünften oder sechsten Woche. Vielleicht wusste Sie es selbst noch nicht.“

Ich nicke wortlos. Keine Ahnung was ich auch sagen sollte. Mir ist schlecht. Schwanger. Schwanger?! Von wem denn bitte? Mein Puls beginnt zu kochen und kriecht unaufhaltsam meinen Hals hoch.

„Sind Sie sicher, dass sie sich nicht irren?“, frage ich sicherheitshalber nach.

Er schüttelt den Kopf und klopft mir auf die Schulter.

„Ich muss kurz raus“, stammle ich und laufe auf den Gang hinaus. Vor der Station bleibe ich stehen. Kurz schließe ich meine Augen und versuche ruhig zu atmen. Was hat sie getan und vor allem mit wem? Ich gehe wieder hinein und sehe durch die Glasscheibe zu Kendra. Sie liegt unverändert da. Heute kann ich nicht so tun als ob nichts wäre, ich belasse es bei meinem Besuch vor der Glasscheibe und gehe zu Peter. Ich stehe vor seinem Bett und sehe ihn an.

„Bist du es? Fickst du meine Frau, du Arschloch?“, sage ich leise. „Los komm schon, beweg dich, mach deine Augen auf und sag es mir! Sei kein Scheißfeigling!“

Nichts passiert. Natürlich nicht. Ich will Antworten. Jetzt. Immer mehr Fragen tun sich in meinem Kopf auf. Fragen ohne Antworten. Auf dem Nachhauseweg halte ich an und setze mich an die Theke vom kleinen Pub im Dorf. Hier gibt es unseren Whisky. Ich starre in mein Glas. Was ist mit meinem Leben passiert? Was zur Hölle geht hier vor? Darum war sie so blass. Ich bin mir sicher sie wusste es. Sie war so still. Still und nachdenklich. Natürlich. Sie hatte Angst. Zu gerne würde ich wissen wie sie mir das erklärt hätte. Um die Erklärung wird sie nicht herumkommen. Ich starre ins Glas und fahre meine Narbe mit dem Finger nach. Keine Ahnung warum ich dachte sie würde mich nicht betrügen. Es dauerte lange bis ich ihr verziehen habe, damals nach der Sache mit Elliot Dunn. Dass ich ihn umgebracht habe, hat mir keine Erleichterung gebracht, ich war einfach nur gekränkt betrogen worden zu sein. Nein, ich war voller Wut und Hass auf das Arschloch und enttäuscht von der Frau die ich damals mehr liebte als alles andere. Inzwischen haben sich die Dinge geändert. Kendra ist die Frau die immer an meiner Seite ist. Sie ist meine Frau. Wir sind für immer verbunden. Selbst wenn ich sie betrüge, es bedeutet mir nichts. Zwischen uns ist viel mehr als Sex, sie ist einfach alles was ich habe. Wenn sie aufwacht will ich verdammt noch einmal wissen was überhaupt los ist! Aus einem Glas werden mehrere, kurz nach Mitternacht fahre ich dann mit viel zu viel Whisky im Blut nach Hause. Aber es ist mir egal. Was habe ich schon noch zu verlieren? Im Haus ist alles ruhig. Ich nehme die angebrochene Flasche Whisky vom Barwagen und lasse mich in den Sessel meines Vaters fallen. Ich bin so müde und doch kann ich nicht schlafen. Langsam stehe ich auf und gehe zum Flügel. Ich bin ziemlich angetrunken, meine Beine machen nicht ganz was ich will, ich wackle sogar. Shit…Unmotiviert drücke ich ein paar Tasten. Dann beginne ich zu spielen. Keine Ahnung, es hilft mir meine Wut in den Griff zu bekommen. Die Musik ist wie eine Art Druckventil für mich. Ich spiele und spiele und spiele. Dann beginne ich zu singen. Zuerst leise, dann lauter. Irgendwann kann ich nicht mehr. Ich stütze meinen Kopf auf meine Hände und könnte schreien, als ich aus dem Augenwinkel etwas sehe. Ich blicke auf. Es ist Holly. Auch das noch.

„Habe ich Sie geweckt?“, frage ich leise. Ich habe mich noch nicht richtig daran gewohnt, dass sie rund um die Uhr im Haus ist.

Sie schüttelt lächelnd den Kopf. „Sie spielen richtig gut.“

Mit den Schultern zuckend greife ich nach der Whiskyflasche und trinke einen großen Schluck daraus.

„Eigentlich können wir doch du sagen?“, schlage ich vor. „Wir kennen uns ja ewig, oder nicht?“ Sie war als Mädchen oft hier, auch wenn meine Erinnerung an damals ziemlich verblasst ist. Früher haben wir mit Sicherheit du zueinander gesagt. Sie verschränkt die Arme vor der Brust. Abwehrhaltung. Fängt das schon wieder an?

„Doch, aber Sie sind der Lord und ich ihre Angestellte. Ich denke darum bleiben wir beim Sie“, erklärt sie sachlich.

Ich verdrehe genervt die Augen. „Ich scheiße aufs Lord sein…“

Sie dreht sich am Absatz um und will wieder gehen, aber das soll sie nicht, ich hasse es, wenn Leute davonlaufen und mich einfach so sitzen lassen.

„Warte…Warte…“, sage ich. „Komm, setz dich her.“ Ich zeige auf den Klavierhocker. Zögerlich hält sie inne, doch dann kommt sie näher und setzt sich mit Abstand zu mir. Das war einfach. Ich atme mit geschlossenen Augen durch. Klar. Ich bin der Lord. „Weißt du was…Sie war schwanger und hat das Kind durch den Unfall verloren.“

Sie sieht mich entsetzt an. Sagt aber nichts.

„Sie war schwanger“, wiederhole ich darum eindringlicher.

„Das tut mir leid“ murmelt sie verlegen und sieht mich dabei nicht an.

Ich schüttle den Kopf. „Nein…Nein…Das muss es nicht. Es war nicht von mir.“

Jetzt sieht sie noch entsetzter aus. „Ich verstehe nicht…“, stammelt sie immer noch ohne mich anzusehen.

Ein Lacher kommt mir aus, sie zuckt ein wenig zusammen. „Von mir kann es nicht sein. Ich hatte keinen Sex mehr mit ihr seid…“ Wieder muss ich lachen. „Keine Ahnung, vielleicht zu Weihnachten.“ Ich reibe mir die Stirn. „Also von wem zur Hölle lässt sich meine ach so unfehlbare und perfekte Ehefrau ficken?“ Jetzt zuckt sie richtig zusammen, darauf kann ich aber leider gerade keine Rücksicht nehmen. „Vielleicht ist es der Stallbursche, oder der Gärtner? Womöglich auch der Tierarzt? Was meinst du, sollte ich die Männer auf diesem Gut zusammentrommeln und fragen wer meine Frau vögelt?“ Ich werde richtiggehend wütend und springe auf. „Wer verdammt noch einmal vögelt meine Frau?“

Sie sieht mich geschockt über meinen Ausbruch an. Schützend zieht sie ihre Strickjacke vor ihrem Körper zusammen. „Tavis…Ich glaube Sie reagieren über“, sagt sie beruhigend, was aber nicht wirkt. Ich beuge mich zu ihr.

„Überreagieren?“ Keine Ahnung warum, aber ich muss grinsen. „Es ist mein Bruder dieses Arschloch. Mein Bruder fickt meine Ehefrau.“ Das sage ich leise, bedacht und mit geschlossenen Augen. Ich bin gespannt, wie sie darauf reagiert. Sie sagt länger nichts, doch dann schüttelt sie fast bedrohlich den Kopf.

„Sie sollten nicht so viel trinken. Ihre Frau liegt schwerverletzt im Krankenaus, genau wie ihr Bruder. Lassen Sie solche Anschuldigungen!“

Dann steht sie auf. Sie scheint wütend über meine Worte zu sein. Ja, sie hat recht, wie kann ich so eine Anschuldigung machen? Ich weiß gar nichts. Null. Scheiße. Ich bin mit ihr verheiratet und weiß absolut nichts über sie. Ich sinke wieder auf den Klavierhocker. Unmotiviert drücke ich ein paar Tasten. Sie steht noch immer da uns sieht mich an.

„Spielst du Klavier?“, frage ich als sie schon wieder gehen will.

Sie schüttelt den Kopf. „Ich habe ewig nicht mehr gespielt, aber Sie haben viel Talent und eine tolle Stimme“, sagt sie schmeichelnd um von sich selbst abzulenken, doch ich lasse nicht locker.

„Komm her. Ich will sehen was du noch kannst.“ Ich liebe die Musik und speziell das Klavier, Menschen die musikalisch sind finde ich interessant. Sie schüttelt erneut den Kopf und wird ein bisschen rot. Das gefällt mir irgendwie, diese mädchenhafte Verlegenheit.

„Ich kann das nicht“, sagt sie leise, aber der Unterton in ihrer Stimme gibt mir zu verstehen, dass sie sich nur nicht traut, darum gebe ich nicht auf. Ich mache eine auffordernde Geste damit sie her kommt, aber sie zögert weiterhin. Sie ist wirklich ein harter Brocken, meine Güte…Ich will einen Schluck aus der Flasche nehmen als sie einen Schritt auf mich zukommt.

„Nur wenn Sie die jetzt wegstellen“, sagt sie im Befehlston.

Ah…Die Bestimmerin ist wieder zurück. „Nur wenn du jetzt endlich DU zu mir sagst“, seufze ich.

„Das ist eine Gegenforderung, das geht nicht“, wirft sie ein und verschränkt dabei bockig ihre Arme vor der Brust.

Herrje, das ist wirklich schwieriger als gedacht. Ich stelle die Flasche weg. „Ich dachte du bist Krankenschwester, du klingst aber eher nach Rechtsanwältin“, schmunzle ich. „Komm jetzt her.“

Immer noch widerwillig wie mir scheint nimmt sie dann doch neben mir Platz. Mit Sicherheitsabstand.

„Ich kann das wirklich nicht mehr…“, schimpft sie schon wieder.

Ich verdrehe die Augen und rutsche ein Stück näher, ich finde es äußerst amüsant wie sie jetzt ihre Oberschenkel anspannt um nicht an mein Bein zu stoßen. Ich kann genau erkennen wie viel Mühe sie sich gibt mich ja nicht zu berühren.

„Komm schon, leg die Finger auf.“

Sie tut was ich sage und beginnt ein paar Töne zu spielen. Ziemlich schiefe Töne. Ich sage nichts, weil ich weiß wie es ist ständig verbessert zu werden. Sie kann es, das spüre ich, aber sie ist nervös und außer Übung. Ich sehe zuerst auf ihre Hände. Sie hat eine sehr schöne helle Haut und gepflegte kurze Fingernägel. Typisch Krankenschwester irgendwie, aber auf jeden Fall viel schöner als die langen Kunstkrallen vieler Tussis die ich kenne. Dann bleibt mein Blick an ihrem Gesicht hängen. Sie ist ein hübsches Ding. Wirklich hübsch. Schöne dunkle Augen mit langen Wimpern. Sie beißt sich angestrengt auf die Lippe. Wow…Sie sieht aus dem Augenwinkel zu mir als sie aufhört zu spielen und aufspringen will, doch ich halte sie zurück. Sie glaubt sie ist schlecht, doch das stimmt gar nicht.

„Warte…Gib nicht gleich auf. Ich weiß etwas.“ Ich lege meine Finger auf die Tasten und forderte sie auf ihre Hände auf meine zu legen. Belustigt schüttelt sie den Kopf. „Nein…Das mache ich nicht.“

„Warum denn nicht?“

„Weil es mitten in der Nacht ist, du betrunken bist und ich dazu keine Lust habe“, erklärt sie sehr plausibel. „Außerdem bist du der Lord.“

Amüsiert ziehe ich meine Augenbrauen hoch. Genau. Ich bin der Lord. Darum wird sie nun auch tun was ich ihr sage. „Leg jetzt deine Finger auf meine.“

Sie schnauft genervt durch, tut es dann aber zu meiner Verwunderung doch. Ich fange langsam an zu spielen, ihre Finger liegen auf meinen. Sie sind kalt, aber auch ein bisschen feucht. Das ist irgendwie heiß. Ich sehe sie wieder an. Ihre Augen sind geschlossen. Ich bin echt betrunken…Shit…Was mache ich hier eigentlich? Ich halte inne. „So jetzt versuch es noch einmal allein.“

 

Sie nickt und beginnt erneut allein zu spielen, während ich mich anstrenge wieder normal zu denken. Das Spiel wird immer besser, bewundernd verfolge ich wie ihre Finger über die Tasten gleiten, als sie zu mir sieht und wieder aufhört zu spielen.

„Siehst du. Das ist doch schon ganz gut“, sage ich leise und immer noch etwas verwirrt, vor allem bauchabwärts. Was ist denn heute nur los mit mir?

„Ja. Geht so. Ich gehe jetzt wieder in Bett und du solltest das auch tun. Du siehst immer noch fürchterlich aus.“ Ihr besorgter Blick, obwohl sie schon wieder bestimmen will was ich zu tun habe, bringt mich zum Lächeln. Sie möchte, dass es mir gut geht, das fühlt sich schön an. Ungewohnt schön.

„Wirklich?“, meine ich und sehe direkt in ihre Augen. „Glaub mir ich sehe auch nach acht Stunden Schlaf nicht besser aus.“

Sie legt ihren Kopf zur Seite und lächelt jetzt auch. „Glaub ich nicht. Schlaf dich aus und lass den Alkohol weg.“

Ich zucke mit den Schultern als sie aufsteht und mit einem „Gute Nacht“, den Salon verlässt. Ja… Es ist wirklich spät, ich sollte tatsächlich aufhören zu saufen und besser einen klaren Kopf bewahren. Ich stehe auf und räume die Flasche wieder auf den Barwagen, als ich grinsen muss. Jetzt hat sie doch tatsächlich geschafft das ich auch noch mache was sie sagt. Kopfschüttelnd gehe ich nach oben.