Im Eissturm der Amsel

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Die Nichte nickte getröstet. Ja, sie war teuer bezahlt worden! Sie war jung und hübsch und zudem gut erzogen worden. Sie würde diesem Mann eine gute Ehefrau sein. Es gab also keinen Grund, sie schlecht zu behandeln. Mit mehr Mut packte sie ihre Habseligkeiten und staunte über die Großzügigkeit ihrer Tante: Sie gab ihr Sehnen und Ahlen mit, suchte ein paar Ersatzmokassins heraus und überreichte ihr noch ein schönes Kleid für den Winter. Auch die Cousine verabschiedete sich auf ihre Weise und suchte einen bestickten Gürtel heraus. Die beiden Kinder aber verstanden nicht so ganz, was da vor sich ging. Mit großen Augen sahen sie, wie Mato-wea ihre Bündel packte. „Wo gehst du denn hin?“, wollten sie wissen.

Die Mutter nahm ihrer Nichte die Antwort aus dem Mund: „Mato-wea ist nun eine Frau. Sie heiratet und zieht mit ihrem Mann fort.“

Das kleine Mädchen hatte Tränen in den Augen und steckte den Daumen in den Mund. „Kommst du denn wieder?“, wollte es wissen.

„Bestimmt!“, meinte die Tante. „Sie kommt uns bestimmt besuchen.“

Mato-wea sah sie mit seltsamen Augen an. Es klang, als wäre es ein Abschied für immer.

Rache
Herbst 1809 bei den Tituwan

Wambli-luta blickte auf das Dorf der Palani, wie die Arikara von den Tituwan abwertend genannt wurden. Es gab auch andere Schimpfnamen für dieses Volk: Ree, Maisfresser … oder Erdlochbewohner. Die Tituwan sahen da keinen Unterschied zu den Mandan. Das Dorf der Feinde lag am Großen Schlammfluss, und eine einfache Palisade schützte es zur Landseite hin. Geringschätzig verzog Wambli-luta die Mundwinkel. Seine Wunden waren gut verheilt, und er gierte danach, es diesen Maisfressern heimzuzahlen! Sein Gesicht war gelb bemalt, und er trug nur einen einfachen Lendenschurz.

Die Arikara lebten ebenso wie Miwatani in Erdhäusern, deren Dächer über den Wall gut zu sehen waren. Im Überschwemmungsgebiet des Missouri lagen die Felder mit dem Mais, der kurz vor der Ernte stand. Mädchen und Kinder verjagten die Vögel, die sich bereits auf das Korn stürzten. Panik brach unter ihnen aus, als sie die herannahenden Reiter sahen. Wambli-luta ignorierte sie. Er hatte nicht vor, kleine Mädchen zu erschrecken! Er wollte den Kampf mit den Männern! Er sah auf Thimahel-okile, der den Kriegszug anführte. Dieser teilte die Männer in zwei Gruppen auf: Eine große Anzahl sollte unter Wambli-luta das Dorf angreifen, während er selbst die anderen Krieger zur Pferdeherde führen wollte. Sofort lösten sich einige jüngere Krieger, um den Frauen und Mädchen, die von den Feldern flohen, den Weg abzuschneiden. Sie erwischten zwei, die auf den entlegenen Feldern gearbeitet hatten, und töteten sie mitleidlos.

Ein Krieger erwischte ein Mädchen, das mit fliegenden Zöpfen vor ihm hergerannt war, und zog es zu sich auf das Pferd. Als sie sich wehrte, schlug er sie mit der Faust gegen die Schläfe, sodass sie in sich zusammensackte und wie leblos vor ihm auf dem Widerrist des Pferdes lag. Mit einem triumphierenden Schrei kehrte der Krieger um und galoppierte davon. Wambli-luta grinste breit, denn den Feinden die Frauen zu rauben, war eine gute Sache. Es nahm ihnen die Medizin und die Kraft.

Thimahel-okile befahl den Angriff, und auch Wambli-luta hob seine Keule und begann seinen Ritt gegen das Dorf. An die fünfzig Krieger folgten ihm, als er im halsbrecherischen Galopp den Hügel hinunterpreschte und gegen die Palisade ritt. Qualm stieg auf, als die Ree mit einer Salve aus ihren Gewehren antworteten. Sie richtete nicht viel Schaden an, denn einen Mann auf einem sich schnell bewegenden Pferd zu treffen, war reine Glückssache. Zwei Männer erlitten leichte Verletzungen, was sie aber nicht hinderte, den Angriff fortzusetzen. Sie schienen eher noch entschlossener zu sein und hieben ihren Ponys die Fersen in die Flanken. Das war auch sinnvoll, denn das Nachladen dauerte einen Augenblick. Wieder blitzte es auf, und neben Wambli-luta wurde ein Pferd getroffen. Der Reiter rollte über den Boden, rappelte sich auf und setzte den Angriff zu Fuß fort. Mit langen Sätzen erreichte er den Wall, kletterte hinüber und hieb auf den ersten Palani ein. Wambli-lutas Pferd setzte zum Sprung an und flog mit einem gewaltigen Satz über eine provisorische Stelle in der Palisade. Sie war hier nicht hoch. Immer in einigen Abständen waren Pfosten in den Boden gegraben worden, die einfach in den Zwischenräumen mit Ästen und Zweigen verstärkt worden waren. So etwas hielt vielleicht ein wildes Tier ab, aber sicherlich keine zu allem entschlossenen Angreifer.

Wambli-luta hieb mit seiner Steinkeule auf einen Mann ein, der sich ihm tapfer in den Weg stellte. Blut spritzte nach allen Seiten, dann brach der Mann wie vom Blitz getroffen zusammen und fiel zu Boden. Wambli-luta setzte seinen Angriff fort und preschte in das Dorf, in dem nun Frauen und Kinder schreiend die Flucht ergriffen. Einige versteckten sich in den Hütten, doch die Angreifer folgten ihnen und erschlugen sie mit ihren Keulen. Manchmal ließen sie Gnade walten, wenn ein Kind sich unter den Fellen oder Bettgestellen versteckte. Aber Frauen, die sich mit ihren Messern verteidigten, wurden ausnahmslos getötet. Die Tituwan wollten Rache für ihre getöteten Kinder und Männer. Es war schrecklich und glich in keiner Weise den ruhmhaften Heldentaten, die Wambli-luta sich vorgestellt hatte. Er konnte es nicht ändern, denn jeder Krieger tat, was ihm beliebte. Er dagegen suchte sich tapfere Männer als Gegner und erlaubte es, dass Frauen und Kinder fliehen konnten. „Wir kämpfen gegen Männer!“, rief er herausfordernd.

Inzwischen war es den Arikara gelungen, eine Verteidigungslinie innerhalb des Dorfes zu errichten. Sie gingen hinter zwei Erdhäusern in Deckung und kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, um die Flucht der Frauen und Kinder zu decken. Das half zwar nicht denjenigen, die in den Hütten Zuflucht gesucht hatten, die nun von den Tituwan verwüstet wurden, doch die anderen hatten inzwischen den Missouri erreicht und retteten sich in ihren Bullbooten oder schwimmend an das andere Ufer. Einige Krieger gingen dort in Stellung und verhinderten, dass die Tituwan ihnen über den Fluss folgten. Nicht alle schafften es, denn die Krieger erreichten eines der Boote und hieben auf die Menschen darin ein. Eine Frau schrie gellend, als ihr Baby ins Wasser fiel und fast unter die Hufe eines Pferdes kam. Zwei weitere Kinder kippten mit dem Boot um und trieben hilflos im Wasser. Die Krieger töteten die Frau, dann griff einer nach dem Baby und zog es aus dem Wasser. Nach einem prüfenden Blick galoppierte er mit dem Kind im Arm davon. Die beiden anderen Kinder tauchten immer wieder unter, als sie paddelnd versuchten, das andere Ufer zu erreichen. Es war weit, und dazwischen hatte der Missouri eine größere Strömung. Die Kinder wurden schneller und trieben weiter ab, sodass sie aus der Kampfzone getragen wurden. Immer wieder wurden sie unter Wasser gedrückt, bis sie schließlich ganz in den schlammigen Fluten verschwanden. Vom anderen Ufer stürzte sich schließlich ein Mann ins Wasser und versuchte von dort die Kinder zu erreichen. Er schaffte es, eines an die Wasseroberfläche zu ziehen, doch das andere Kind blieb verschwunden. Die Tituwan ritten herbei, doch ihre Pfeile und Schüsse richteten keinen Schaden mehr an. Sie riefen Schmährufe und Beleidigungen gegen die Männer auf der anderen Seite, die von ebensolchen Rufen beantwortet wurden.

Im Dorf ging der ungleiche Kampf weiter. Einige Hütten waren überrannt und die Menschen darin niedergemetzelt worden. Die meisten Hütten lagen völlig in der Hand der Tituwan, die diese Überlegenheit gänzlich ausnutzten. Aus einer drang Wehklagen, als ein Krieger ein junges Mädchen unter einigen Fellen hervorzerrte und schließlich mit gefesselten Händen hinausführte.Eine ältere Frau war vor ihren Augen erschlagen worden, sodass ihr Klagen geradezu hysterisch wurde. Die Augen des Mädchens waren groß vor Angst und Pein, als sie zu den anderen Gefangenen gestoßen wurde, die mit Schlägen und Tritten vorwärtsgetrieben wurden. Ein Krieger ritt heran und drückte einem Mädchen ein Kind in die Arme, das er wohl mitnehmen wollte. Zwei Männer trieben die Gefangenen zur Eile an und verließen mit ihnen das Dorf. Die Krieger der Palani machten verzweifelte Anstalten, ihre Angehörigen zu befreien, aber die Tituwan ließen sie nicht durch. Immer wieder fielen Schüsse, und die Kriegsschreie nahmen nicht ab. Jeder Krieger wollte sich nach dem Kampf mit seinen Taten brüsten, und so ging der Kampf mit rücksichtsloser Härte weiter.

Wambli-luta verließ mit einigen Kriegern das Dorf und wandte sich einem weiteren Ziel des Angriffs zu: der Pferdeherde. Die meisten Tituwan hatten das Dorf längst verlassen und sich weiter stromaufwärts begeben, wo sich die Pferdeherde befand. Dort war unter der Führung von Thimahel-okile ein heftiger Kampf entbrannt, denn die Arikara versuchten, die Herde in Sicherheit zu bringen. Ein Teil schwamm bereits über den Missouri, doch die anderen Tiere waren von der Herde abgeschnitten worden. Die Ree kämpften verzweifelt gegen die Übermacht, die über sie herfiel, dann versuchten sie ihr Heil in der Flucht. Unter den triumphierenden Rufen der Tituwan zogen sie sich zurück und überließen die restlichen Tiere den Feinden. Wambli-luta war einer der Letzten, die noch am Ufer standen und ihre Pfeile den Fliehenden hinterherschickten. Er traf einen Krieger in den Rücken, dann wendete er das Pferd und galoppierte neben den anderen Männern her. Mit Rufen und Schreien trieben sie die erbeuteten Tiere vor sich her, die mit angelegten Ohren und rollenden Augen über die Prärie jagten. Was für ein Raub!

Wambli-luta fühlte, wie sein Blut durch die Adern rauschte und er sich in dem Gefühl des Sieges sonnte. Hokahey! Was für ein Sieg! Die Tituwan würden noch lange Lieder über diesen Sieg singen! An seiner Seite sah er wieder Thimahel-okile, der ihm ein übermütiges Grinsen schenkte. „Wir haben gesiegt!“, schrie dieser mit überschnappender Stimme.

 

Wambli-luta gab den Siegesschrei zurück: „Wir haben gesiegt!“ Ja, sie hatten ihre Toten gerächt! Sie hatten die Ree besiegt! Zufrieden sah er auf die Frauen und Kinder, die klagend in die Gefangenschaft geführt wurden. Er schluckte Staub, als die geraubten Pferde vorbeigetrieben wurden. Ihre Kriegs-Medizin war gut gewesen! Er verschwendete keinen Gedanken daran, dass dieser Angriff wiederum Racheaktionen der Ree nach sich ziehen würde. Er war Tokala, und es war seine Pflicht, das Volk zu schützen. Wenn sie kamen, wäre er bereit! Er fühlte den Triumph des Sieges, der durch sein Blut rauschte, und es fühlte sich gut an. Nun galt es, ohne weitere Verluste nach Hause zurückzukehren und den Sieg auszukosten

Die Krieger trieben die Pferde über die hügelige Prärie und gönnten sich keine Pause. Sie befürchteten, dass die Palani sich sammeln und ihnen nachsetzen würden. Diese Sorge war nicht unbegründet, doch die Ree hatten so viele Verluste erlitten, dass sie vermutlich erst ihre Toten bestatten würden, ehe sie ihnen nachsetzen würden. Als es dunkel wurde, sammelten sich die Tituwan in einem Tal und hatten zum ersten Mal Zeit, ihre eigenen Verluste zu zählen. Zwei Männer waren verwundet, konnten aber noch reiten. Drei Männer wurden vermisst, und die Krieger gingen davon aus, dass sie getötet worden waren. Das minderte den Siegesrausch, denn man brachte Trauer zurück ins Dorf.

Thimahel-okile erkundigte sich, ob jemand gesehen hätte, dass die Männer gefallen waren. Ein Mann namens Gefleckter-Hund erzählte, dass er einen der Vermissten am Wasser gesehen hätte, als er das Baby herausgezogen hatte. „Ich sah, wie Krummes-Bein davongaloppiert ist. Vielleicht kommt er noch?“

„Er wurde nicht getroffen?“ Der Anführer sah den Krieger mit ernstem Gesicht an.

„Nein!“

Ein anderer Mann berichtete, dass einer seiner Freunde durch einem Schuss vom Pferd geworfen worden war. „Ich wollte zu ihm und ihm helfen, wurde aber von zwei Palani bedrängt. Dann habe ich ihn nicht mehr gesehen.“

„Hohch!“, knurrte Thimahel-okile unterdrückt. „Vielleicht haben diese Maisfresser ihn erwischt und martern ihn nun über ihren Feuern.“

„Oder er konnte flüchten!“, hoffte Wambli-luta.

„Wir sollten zurückkehren und nach ihm sehen. Wir dürfen unsere Freunde nicht in den Händen der Palani lassen.“ Thimahelokile sah auffordernd von einem zum anderen. „Wer begleitet mich?“

Einige Krieger stimmten sofort zu. Auch Wambli-luta meldete sich sofort. Er war Tokala und es wurde von ihm erwartet. Außerdem machte er sich Sorgen um seinen Cousin. Krummes-Bein gehörte zu seinen besten Freunden, und er befürchtete, dass er gefallen sein könnte. Zehn weitere Krieger äußerten spontan, dass sie den Anführer erneut begleiten würden. Der Angriff war ein voller Erfolg gewesen, und sie vertrauten seiner guten Medizin. Schnell wurde beschlossen, dass ein Teil der Krieger die erbeuteten Pferde und die Gefangenen ins Dorf zurückbringen sollten, während die anderen am Morgen zurückreiten würden, um nach den Vermissten zu suchen.

„Vielleicht tauchen sie ja noch auf?“, hoffte Wambli-luta. Der Platz für ihr Nachtlager war bekannt und als Treffpunkt ausgemacht worden.

Die Nacht verlief unruhig, denn die Männer befanden sich noch im Rausch des Kampfes und konnten kaum die Augen schließen. Kurz vor der Morgendämmerung horchten die Krieger auf, denn sie konnten in der Ferne den Hufschlag eines Pferdes hören. Einige Wachposten gaben Entwarnung, und kurze Zeit später ritt ein reichlich müder Krieger mit einem schlafenden Baby im Arm in das Lager. Es war Krummes-Bein! Die anderen umringten ihn und nahmen ihm das Kind aus den Armen. „Wo warst du so lange?“, wollte Wambli-luta wissen. „Ich habe mir Sorgen gemacht!“ Krummes-Bein ließ sich vom Pferd gleiten und hob die Hände. „Ich musste mich verstecken, weil sie mich fast erwischt hätten. Ich konnte erst weiter, als es dunkel war.“

Thimahel-okile legte nachdenklich den Kopf schief. „Sind sie dir gefolgt?“

„Nein, ich habe nichts gehört. Sie sind im Dorf und trauern um ihre Toten!“

„Hast du gesehen, ob sie einen von uns gefangengenommen haben?“

Wieder schüttelte Krummes-Bein den Kopf. „Nein. Ich konnte das Dorf sehen. Sie haben ihre Wut an niemandem ausgelassen. Sie haben ihre Toten geholt und Trauergesänge gesungen. Haben auch wir Verluste erlitten?“ Der Mann sah sich mit großen Augen um.

Thimahel-okile kniff fragend die Augen zusammen. „Wir vermissen Habicht-der-am-Boden-geht und Guter-Bär. Hast du sie gesehen?“

Das Gesicht von Krummes-Bein verdüsterte sich. „Ja! Ich sah, wie Guter-Bär fiel. Er ist tot. Habicht-der-am-Boden-geht müsste auch bald kommen. Er hatte kein Pferd und machte sich zu Fuß auf den Weg. In der Dunkelheit sieht ihn bestimmt niemand! Wir sollten ihm einen Reiter entgegenschicken.“

Thimahel-okile nickte zustimmend und machte eine gebieterische Handbewegung, woraufhin zwei junge Krieger sich sofort mit ihren Pferden auf den Weg machten. Stille breitete sich aus, als die Männer an Guter-Bär dachten. Er war ein Lanzenträger der Tokala gewesen. Er hatte seine Aufgabe erfüllt. Wambli-luta schluckte schwer, denn Guter-Bär war einer seiner Freude gewesen. Er fühlte Wut in sich, aber auch eine tiefe Trauer. Der Sieg hatte nun einen bitteren Beigeschmack. Aber sein Freund hatte tapfer gekämpft und so war es ein guter Tod gewesen. Wambliluta richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Cousin, der sich das Kind geben ließ.

„Was hast du mit ihm vor?“, fragte Thimahel-okile.

„Es ist ein kleiner Junge. Ich gebe ihn einer Familie, die einen Verlust erlitten hat. Er wird einmal groß und stark werden, und unserem Volk zur Zierde gereichen.“

Etwas skeptisch musterten die Männer das Bündel, das einen eher hilflosen Eindruck vermittelte. Der kleine Junge, der noch keinen Winter zählte, war vor Erschöpfung eingeschlafen. Sein Gesicht war tränennass, und im Schlaf hatte er etwas Schluckauf, was die Männer zum Lachen reizte.

„Gib das Kind einer der Gefangenen!“, meinte Thimahel-okile. „Sie soll sich darum kümmern.“

Krummes-Bein humpelte zu den Frauen, die still in einem engen Kreis hockten und sich in ihr Schicksal ergeben hatte. Ein Mädchen sah auf, als er sich näherte, und rückte etwas weg, als wollte es vor ihm davonlaufen. Der Mann gab ihr zu verstehen, dass er ihr nichts tun würde, und drückte ihr das Kind in die Arme. „Du achtest auf ihn!“, befahl er mit Gesten. „Dann geschieht dir nichts!“ Mit diesen Worten humpelte er wieder zurück. Ein Bison hatte letzten Sommer sein Bein aufgeschlitzt und die Sehnen verletzt, sodass er seitdem ein Bein etwas nachzog. Es hinderte ihn jedoch nicht beim Reiten, und seine Kampfkraft wurde nach wie vor sehr geschätzt.

Am frühen Morgen kehrten die beiden Krieger, die nach Habichtder-am-Boden-geht sehen sollten, in Begleitung des Kriegers zurück. Er hatte eine Schussverletzung, die nur notdürftig versorgt worden war. „Hohch!“, stöhnte er, als er vom Pferd glitt. Sein Gesicht war grau vor Schmerzen. Sogleich kümmerte sich ein Mann um ihn, der Kenntnisse hatte, wie man solche Verletzungen behandelte. Die Wunde war sauber, aber tief. Zum Glück blutete sie nicht mehr, sodass der Heiler einige schmerzstillende Kräuter darauf presste und dann den Arm in eine Schlinge legte, um ihn ruhigzustellen. Mehr konnte man im Moment nicht tun. Die Krieger konnten auch keine große Rücksicht auf ihn nehmen, denn sie mussten aufbrechen, um einer möglichen Verfolgung vorzubeugen.

Die Gefangenen wurden hochgetrieben und auf Pferde gesetzt. Um eine Flucht zu verhindern, wurden ihnen die Beine unter den Bäuchen der Pferde zusammengebunden und die Hände gefesselt. Drei kleine Kinder wurden Knaben mitgegeben, die sonst die Aufgabe hatten, Wasser zu holen oder die Pferde anzutreiben. Die Kinder weinten leise, als die Jungen sie mit wenig Begeisterung vor sich auf dem Pferd hielten. Auch das Baby weinte leise, und konnte von dem jungen Mädchen kaum beruhigt werden.

Sie war nicht unerfahren, hatte aber nichts, um den Hunger des Kleinen zu stillen. Krummes-Bein ritt heran und drückte dem Mädchen etwas Trockenfleisch in die Hand, damit sie es weichkauen und dem Kind geben konnte. Außerdem gab er ihr eine Kalebasse mit Wasser, damit der Junge trinken konnte. Er war wohl noch die Brüste seiner Mutter gewöhnt, hatte aber so einen Durst, dass er gierig das Wasser trank, das sie ihm anbot. Krummes-Bein lächelte wohlwollend und gab auch dem Mädchen etwas zu essen. Sie wagte kaum, den Blick zu heben, so sehr fürchtete sie sich vor dem, was ihr wohl im Dorf der Feinde geschehen würde.

Krummes-Bein scherte sich nicht darum. Er verzichtete darauf, sie zu fesseln, damit sie sich um das Baby kümmern konnte, und zeigte ihr mit einer klaren Handbewegung gegen den Hals, was geschehen würde, wenn sie einen Fluchtversuch unternähme. Dann überließ er sie der Obhut der Knaben und folgte den anderen, als diese die geraubten Pferde in Bewegung setzten. Einige Krieger wurden zurückgeschickt, um die Bewegungen der Feinde zu beobachten. Dann ging es in westlicher Richtung über karge Hügel, die nur mit Präriegras bedeckt waren und oft genug nur den erodierten Fels zeigten. Der Wind blies kräftig und jagte weiße Wolkenfetzen über den strahlendblauen Himmel. Dann kehrten die Krieger zurück zu den vielen Windungen des Chanshushka-Flusses, des Grand-Flusses, an dessen Ufern immer wieder Laubbäume wuchsen. Der Name kam von dem süßen Saft der Bäume, der gerne von den Frauen gesammelt wurde, um das Fleisch und die Suppen zu süßen. Die bewaldeten Flussläufe waren nicht ganz ungefährlich, denn hier gab es nicht nur Biber, sondern auch Grizzlys.

Nach drei Tagen drehten sie nach Norden ab und folgten mehreren Bachläufen, die sich durch die Landschaft schlängelten. All die Zeit machten sie kaum Pausen, sodass die Gefangenen an den Rand der Erschöpfung kamen. Besonders dem Baby ging es schlecht. Das Mädchen hatte nichts, womit es das Kind warm halten konnte, und es hatte auch keine Zeit, ihm die Windel zu wechseln oder saugfähiges Material zu sammeln, was dazu führte, dass das Kind einen Hautausschlag bekam. Der kleine Junge greinte leise und kratzte sich den Kopf blutig, weil ihn die Moskitostiche plagten. Niemand kümmerte sich darum. Erst mussten alle in der Sicherheit des Dorfes sein. Auch dem Verwundeten ging es schlecht. Er hing nur noch auf seinem Pony, und die Männer überlegten, wann sie ihm wohl ein Schleppgerüst bauen mussten. Von den Ree war nichts zu sehen. Aber sie hatten so oft Flussläufe überquert oder felsige Passagen überwunden, dass sie vermutlich längst jede Spur verloren hatten.

Alle waren froh, als sie endlich an einem klaren Bach das große Sommerlager fanden. Die Gruppen hatten sich noch nicht getrennt, um in kleineren Verbänden den Winter zu überstehen. Sie hatten auf die Rückkehr der Krieger gewartet! Einige Jungen hatten die Heimkehrer inzwischen entdeckt und sprengten auf ihren Ponys ins Dorf zurück, um die frohe Kunde zu verbreiten. Frauen und Kinder liefen zusammen und stießen Jubelrufe aus, als sie die große Pferdeherde sahen, die von den Männern herbeigetrieben wurde. Die Krieger kehrten siegreich heim! Männer ritten ihnen entgegen und begrüßten Freunde und Familienangehörige. Die Stimmung wurde etwas gedrückt, als sie erfuhren, dass Guter-Bär nicht mehr unter ihnen weilte. Trotzdem war es ein überwältigender Sieg, sodass die Männer mit Trällern und Rufen begrüßt wurden. Einige Frauen kümmerten sich sofort um den Verletzten, der in sein Zelt getragen wurde. Andere Frauen hatten die Gefangenen entdeckt und gingen mit Steinen und Stöcken auf die Erbarmungswürdigen los. Die Knaben schnitten ihnen die Fesseln durch und trieben die Frauen und Kinder mit Peitschenhieben in die Mitte des Dorfes, wo sie verhöhnt und verspottet wurden. Man würde später entscheiden, was mit ihnen geschah.

Die siegreichen Männer aber bereiteten sich auf den Waktegli, den Siegestanz, vor. Sie hatten gekämpft und getötet, und nun sollte das Volk erfahren, welche Heldentaten jeder einzelne vollbracht hatte.

Die geraubten Pferde wurden in die Mitte des Dorfes getrieben und dort von den Anführern gerecht an die Krieger verteilt, wobei Habicht-der-am-Boden-geht ein Pferd mehr erhielt, weil er am schwersten verletzt worden war. Auch die Familie von Guter-Bär wurde bedacht, denn der Verlust des Sohnes war ein hoher Preis.

Als später die Feuer brannten und ein Festessen verteilt wurde, fanden sich die Menschen ein, um dem Waktegli zuzusehen, bei dem die Krieger über ihre Taten berichteten. Sie durften nur wahre Dinge erzählen, die von den anderen auch bezeugt wurden. Manche Dinge wurden dabei lieber nicht erzählt, denn Kinder vor den Augen der Mutter niederzumetzeln war auch in den Augen der Tituwan keine Heldentat. Die Krieger tanzten die Begebenheiten und stellten mit dramatischen Bewegungen und stampfenden Füßen ihre Erlebnisse dar.

 

Wambli-luta tanzte, wie er mit dem Pferd über den Wall gesprungen war und einem Feind den Schädel gespalten hatte. Dann führte er aus, wie er gegen einen anderen gekämpft hatte. Es war wahrhaft mutig gewesen, und die Menschen stießen bewundernde Rufe aus. Es war der Taten eines Tokala würdig. Er achtete er seine Vision, die ihm klar gesagt hatte, dass Kinder, egal welchen Volkes, heilig waren und geschont werden mussten.

Krummes-Bein trat vor und bestätigte seine Aussagen: „Ich sah, wie dieser Mann tapfer gekämpft hat. Seine Worte sind wahr!“

Auch die Geschichten der anderen fanden Bewunderung. Die Stimmung war aufgeheizt, sodass auch das Töten von Frauen und Kindern gewürdigt wurde, denn die Menschen fanden es gerecht, nachdem auch ihre eigenen Kinder getötet worden waren. Schließlich erinnerte man sich an die Gefangenen und zerrte sie herbei, um über deren Schicksal zu bestimmen. Zum ersten Mal jammerten die gefangenen Frauen, denn sie erkannten, dass es nun um sie ging. Ihre Augen flackerten furchtsam, als sie darauf warteten, was mit ihnen geschehen würde. Ihr Wehklagen besänftigte die Menschen, sodass die Stimmung nicht mehr so aggressiv war. Einige empfanden sogar eher Mitleid. Nur die Familie von Guter-Bär ließ ihren Gefühlen um den getöteten Sohn freien Lauf. Mit einem Messer in der Hand schritt die Mutter zu den Gefangenen und hackte wahllos auf sie ein. Die Kinder schrien vor Angst, und die Frauen hielten die Arme hoch, um sich vor der Attacke zu schützen. Niemand schritt ein. Niemand hielt die Frau zurück. Es war ihr gutes Recht. Dann hatte sie genug und ging wieder zu den anderen Frauen. Sie hatte niemanden getötet, sodass nun alle wieder auf die Gefangenen blickten und abwarteten, was geschehen würde.

Als Erster trat Krummes-Bein hervor, der das Baby für sich forderte. „Ich möchte ihn als Sohn adoptieren.“

Niemand fragte, wie er sich um ihn kümmern wollte, denn er hatte eine große Familie, die sich über das Kind freuen würde. Alle nickten zustimmend, nur der kleine Junge wehrte sich nach Kräften. Als Krummes-Bein vortrat, um ihn auf den Arm zu nehmen, zappelte er wie wild und klammerte sich an dem Mädchen fest. Auch das Mädchen drückte das Kind schützend an sich und weinte zum Herzerweichen. Ihr schmaler Körper schlotterte vor Angst und Entsetzen. Der Krieger stutzte kurz, doch anstatt zornig zu werden, lächelte er freundlich. Dieses Mädchen hatte sich gut um das Kind gekümmert! Es berührte sein Herz, und so traf er eine zweite Entscheidung. Mit seiner Hand deutete er auf das Ree-Mädchen und erhob seine Stimme. „Ich nehme dieses Mädchen zu meiner Frau. Sie hat sich gut um das Kind gekümmert, und so wird sie meinen zukünftigen Kindern eine gute Mutter sein. Sie ist jung genug, um zu lernen, was eine gute Lakota-Frau wissen muss, und meine Familie wird sie mit offenen Armen empfangen.“

Als niemand widersprach, führte Krummes-Bein die beiden in sein Zelt. Das Mädchen folgte ihm willig und schien froh zu sein, dass es nun irgendwo hingehörte. Sie hatte sicherlich nicht verstanden, dass der Krieger sie zu seiner Ehefrau erklärt hatte und sie damit dem Schutz seiner Familie unterstand. Es würde keine weiteren Misshandlungen mehr geben.

Die Familie von Guter-Bär trat nun vor und forderte ebenfalls einen kleinen Jungen für sich. „Unser Sohn wurde getötet. Nun soll dieses Kind unseren Verlust ersetzen.“

Auch diese Entscheidung war nicht ungewöhnlich, und so stimmten alle zu. Die anderen beiden Kinder fanden ebenfalls schnell Familien, die sie aufnehmen wollten. Schwieriger wurde es nun mit den letzten vier Frauen. Sie sahen ungepflegt und abgekämpft aus, waren vor Furcht wie gelähmt, sodass sie wenig begehrenswert erschienen. Die Männer, von denen sie gefangen genommen worden waren, wollten sie nicht und boten sie anderen an Zwei waren recht jung, sodass sich schließlich zwei Krieger bereitfanden, sie als Zweitfrauen zu nehmen. Ihre Ehefrauen schienen nicht so begeistert zu sein, denn sie schlugen auf die vermeintlichen Nebenbuhlerinnen ein, damit diese gleich wussten, dass sie nichts zu melden hatten. Eine Frau, die anscheinend ein Kind trug, wurde einem älteren Mann als Hilfe gegeben, der sich schon genüsslich die Lippen leckte und der Frau an die Hüften fasste. Alle lachten und machten Scherze, dass sein Samen die Frau wohl schon im Flug erfasst hatte.

Die letzte Frau wurde von Mato-ska-cikala gefordert, der sie auch geraubt hatte. Als Anführer und Häuptling eines Tiyoshpayes hatte er oft Gäste, die bewirtet werden mussten. Die Ree-Frau sollte der Frau von Mato-ska-cikala bei der schweren Arbeit helfen, denn diese hatte gerade ein Mädchen geboren und war mit dem Säugling beschäftigt. Außerdem lebte noch ein kleiner Junge im Zelt.

Die Frau des Häuptlings mit Namen Wasserlilie war froh über die Unterstützung und begrüßte die neue Frau freundlich. Sie zog sogleich ein einfaches, aber sauberes Kleid hervor und erlaubte der Frau, zum Fluss zu gehen und sich zu waschen. Danach wirkte die Frau wesentlich ansehnlicher und der Häuptling der Gruppe war mit der Entscheidung sehr zufrieden. Solange seine Frau den Säugling stillte, konnte er sich nicht zu ihr legen, da wäre die zweite Frau von Vorteil. Wasserlilie hatte wohl den gleichen Gedanken, denn sie sorgte dafür, dass die Gefangene gut behandelt wurde. Sie war jung und schien noch keine Kinder geboren zu haben. Es war zu früh, die Frau solche Dinge zu fragen, und so erkundigte sie sich nur nach dem Namen. „Pah-Sapat“, antworte die Frau schüchtern. „Mondfrau“, zeigte sie in Zeichensprache.

„Hanhepi-win!“, übersetzte Wasserlilie den Namen ins Lakota.

Sie würde dafür sorgen, dass die fremde Frau schnell die wahre Sprache lernte und eine gute Lakotafrau wurde.

Im Zelt von Krummes-Bein saß das Mädchen mit dem Baby auf dem Schoß an der Frauenseite des Zeltes und wartete voller Angst ab, was nun geschehen würde. Sie hatte die Schrecken nicht vergessen und fürchtete sich vor diesen Menschen. Eine ältere Frau, die wohl die Mutter des Kriegers war, schenkte dem Baby ein Lächeln und schäkerte mit ihm. Das Kind drückte das Gesicht in das Kleid des Mädchens und klagte leise.

Zum ersten Mal fiel dem Mann auf, dass es dem Kind schlecht ging. Er redete mit seiner Mutter, die ein erschrockenes Gesicht machte. Behutsam setzte sie sich zu den beiden und ließ sich mit einem freundlichen Lächeln das Kind geben. Der kleine Junge wollte nicht zu der fremden Person und wehrte sich. Trotzdem konnte die Frau sehen, dass das Kind einen Ausschlag am Po hatte und von entzündeten Insektenstichen geplagt wurde. „Eieiei …“, schimpfte sie leise vor sich hin. „Und das soll nun mein Enkelsohn sein? Der ist ja nur noch Haut und Knochen. Und sieh nur dieses dürre Mädchen. Wie soll so ein Schatten meine Schwiegertochter sein?“

Krummes-Bein lachte gut gelaunt, als er auf die beiden blickte. Er wusste auch nicht so genau, warum er sie in sein Zelt genommen hatte. Er hatte sich schon lange einen Sohn gewünscht, doch mit seiner Verletzung hatte er es nicht gewagt, um ein Mädchen zu werben. Wie sollte er eine Familie versorgen, wenn das Bein lahm blieb? Doch inzwischen hatte er sein Selbstvertrauen wiedergefunden und konnte daran denken, eine Familie zu gründen. Das Schicksal hatte offensichtlich anderes mit ihm vor, denn die beiden Ree waren ihm einfach in den Schoß gefallen. Das Mädchen war noch jung und völlig verschreckt, aber mit etwas Geduld würde sie eine gute Ehefrau werden.