Donnergrollen im Land der grünen Wasser

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Maiswinter

(Mabila im Süden)

Maisblüte starrte auf den Piachi-Fluss, den sie inzwischen erreicht hatten, und wartete in Ruhe auf die Anweisungen, die man ihr geben würde. Verwundert beobachtete sie, dass an zwei Stellen Lager aufgebaut wurden, um die Überquerung vorzubereiten. Die meisten Einwohner des Dorfes waren in ihren Kanus geflohen, sodass die Spanier erst Flöße bauen mussten. Dies nahm einige Zeit in Anspruch. Stoßtrupps der Fremden durchkämmten das Land und brachten Lebensmittel aus anderen Ansiedlungen. Die Gegend war dicht besiedelt, aber viele Bewohner waren vor den Fremden geflohen, wie es Tuscalusa befohlen hatte.

Maisblüte durfte mit den anderen Jungfrauen wieder in der scheinbaren Sicherheit des Häuptlings verweilen. Die Mädchen drängten sich zusammen und wagten es nicht, sich allein zu entfernen. Es war beschämend, die Krieger um Hilfe zu bitten, wenn sie sich für ihre Bedürfnisse entfernen mussten. Sie wurden misstrauisch beobachtet und stets überwacht. Zu den anderen Gefangenen, die dem Tross folgten, hatten sie bisher keinen Kontakt. Nur aus der Ferne beobachteten sie, wie die Fremden ihre Kolonne führten. Die seltsamen Schweine wurden von Soldaten vorwärtsgetrieben und die Ausrüstung auf die Sklaven verteilt.

Maisblüte wunderte sich darüber, was die Fremden alles mitschleppen. Sie hatte gesehen, dass für den Anführer stets ein eigenes Zelt aufgebaut wurde, das mit seltsamen Gestellen ausgestattet war, an die der Mann sich setzte, um zu essen. Er hatte Tuscalusa zu so einem Essen eingeladen und mit dem Fleisch der fetten Schweine bewirtet. Hierbei hatte der Häuptling zum ersten Mal Bewunderung geäußert und anschließend seinen Kriegern zugezwinkert, dass er im Falle eines Sieges diese Schweine als Beute wollte. Dies hatte die Runde gemacht und auch die Mädchen hatten darüber gelacht.

Maisblüte konnte darüber nur den Kopf schütteln. „Fleisch haben wir doch wahrlich genug. Ich möchte lieber eins von diesen großen Wesen. Es muss lustig sein, darauf zu sitzen.“ Sie hatte beobachtet, dass die neuen Tiere meist sanft waren, wenn die Reiter nicht auf ihnen saßen. Außerdem fraßen sie nur Gras und Mais. Das hatte ihre Angst etwas gedämpft. Vielleicht waren es nur große Hunde, die freundlich waren, wenn man sie gut behandelte.

Nebel-am-Morgen starrte sie sprachlos an. „Du würdest es wagen, auf diesen Tieren zu sitzen?“, fragte sie ungläubig.

„Warum nicht?“ Maisblüte kicherte leicht, als sie sich ihrer eigenen Forschheit bewusst wurde.

„Es sind böse Geister aus einer anderen Welt. Darum!“

„Aber sie haben ganz sanfte Augen. Ich glaube nicht, dass es böse Geister sind“, verteidigte Maisblüte ihren Wunsch. „Sie sind nur böse, wenn diese Männer auf ihnen sitzen.“

„Das wird der Heilige Mann entscheiden“, meinte Nebel-am-Morgen altklug. „Uns steht es nicht zu, über die Wesen zu urteilen.“

Maisblüte schwieg lieber. Ihre Freundin hatte recht. Erst einmal mussten sie Mabila erreichen und diesen Fremden entkommen. Sie lagerten auf einer Halbinsel, die der Fluss formte. Der Haupttross lagerte an einer anderen Stelle, sodass die Mädchen die relative Ruhe genossen. Es war sogar möglich, dass sie sich badeten, ohne von Männern beobachtet zu werden. Maisblüte zog frische Kleidung an und packte ihre schönen Sachen in den Tragekorb. Gegenseitig kämmten sie sich die langen Haare und flochten dann strenge Zöpfe, in denen sich der Staub nicht so leicht verfangen würde.

* * *

Nach einer einfachen Mahlzeit wurden die Mädchen von den Kriegern zu einer Stelle des Flusses geführt, an der die Fremden bereits die ersten Kanus gebaut hatten. Maisblüte stand staunend am Ufer und beobachtete, wie diese mit Streitäxten aus seltsamem Material Bäume fällten und mit Schnüren zusammenbanden. Andere fällten große Bäume und höhlten sie mit Werkzeugen aus, die sie ebenfalls noch nie gesehen hatte. Maisblüte blickte auf das Gewimmel der Menschen und hörte auf die lauten unbekannten Rufe, mit denen sie sich Anweisungen zubrüllten. Sie wunderte sich über die schwere, unbequeme Kleidung, die diese Fremden trugen. Ihre Körper waren vollständig bedeckt, während die Krieger ihres Dorfes meist nur einen Schurz trugen und das Haupt mit Federn schmückten. Sie konnte gar nicht sagen, welche Hautfarbe diese Menschen hatten, weil außer der Kleidung und den Hüten nichts zu sehen war. Maisblüte verstand nicht, wozu so etwas gut sein sollte. Sie verstand auch nicht, warum es nötig war, sich ständig anzuschreien. Die gebellten Befehle dröhnten in ihren Ohren und sie hatte bereits jetzt eine Abneigung gegen diese Sprache. Es war eine Sprache der bellenden Hunde. Sollten sie doch in ihr Käferland zurückkehren! Ihr fehlte der Respekt für diese Menschen mit den schlechten Manieren. Erhobenen Hauptes ging sie an das sandige Ufer und wartete ab, was als Nächstes passieren sollte.

Ein langes Seil war über den Fluss gespannt worden, an dem das Floß hinübergezogen wurde. Es hatte sogar eine Art Geländer, an dem man sich festhalten konnte. Die Spanier benutzten lange Stangen, mit denen sie das Floß ebenfalls vorwärtsbewegen konnten. Ein Fremder kam und bat die Mädchen galant, auf ein wartendes Floß zu steigen. Er war ganz offensichtlich stolz auf die Errungenschaften seines Volkes. Maisblüte verbarg ihre Gefühle, denn Kanus konnte auch ihr Volk bauen! Hoheitsvoll schritt sie zum Floß und ließ sich hochhelfen. Sie hielt sich mit einer Hand an dem Geländer fest und wartete in aller Ruhe, bis es ablegte. Die Fremden stießen sich mit den langen Stangen am Ufer ab, während andere das Seil ergriffen und das Floß auf diese Weise über den Fluss zogen. Der Piachi-Fluss war an dieser Stelle relativ breit, führte aber ruhiges Wasser, sodass alle gefahrlos übersetzten.

Maisblüte hüpfte an Land und ging mit den anderen Mädchen zum Dorf. Einige der Fremden zogen durch die Hütten und plünderten dort die Lebensmittelvorräte, die sie fanden. Maisblüte war empört, als sie die Verwüstung mit ansah. Es waren nicht viele Menschen in dem Dorf geblieben, sodass die Mädchen sich in eine Hütte zurückzogen. Die Überquerung würde einige Zeit dauern und so machten sie es sich bequem, froh darum, der Gegenwart der Spanier zu entgehen.

Einige Krieger blieben in ihrer Nähe, während andere den Häuptling und den Hopaii schützten, die sich in das Haus des Häuptlings zurückgezogen hatten. Der Gouverneur hatte Wachen eingeteilt, die zeigen sollten, dass der Häuptling sein Gefangener war. Tuscalusa ließ es zu. Er tat so, als wollte er sich den Fremden unterordnen, und übte sich in Geduld.

Am nächsten Morgen brachen sie wieder auf. Tuscalusa verlangte, dass seine Eskorte vorausging. Er wollte den Eindruck vermitteln, dass die Fremden willkommene Ehrengäste seien, die mit Achtung und Respekt nach Mabila geleitet wurden. Der Gouverneur ließ sich blenden und schickte einen Teil seiner Reiter und Soldaten aus, um in anderen Dörfern Vorräte zu sammeln. Tuscalusa verriet mit keiner Miene, was er davon hielt, sondern ließ den Hopaii und die Jungfrauen vorangehen, um die Wichtigkeit seines Gastes zu unterstreichen.

Maisblüte hatte ein beklommenes Gefühl in ihrem Herzen, denn sie näherten sich stetig ihrem Zuhause. Was würde dort geschehen? Sie hoffte auf den Augenblick, an dem ihre Dienste nicht mehr gebraucht wurden und sie zu ihrer Mutter zurückkehren konnte. Fast wünschte sie ihre erste Blutung herbei, damit sie endlich aus dem Dienst der Jungfrauen entlassen wurde. Die Anwesenheit der Fremden löste Angst in ihr aus.

Am Abend schlugen sie ihr Lager in der Nähe eines Dorfes auf. Die Menschen hatten es längst verlassen, sodass die Reiter dort nur die Vorratsbehälter ausraubten. Maisblüte staunte darüber, wie viel Mais die Fremden für ihre Reiter und Tiere brauchten. Tuscalusa sah auch in den großen Tieren eine Gefahr, die bekämpft werden musste. „Diese großen Wesen kämpfen für ihre Herren und trampeln uns nieder. Auch sie sind eine Gefahr, die wir vernichten müssen!“ Maisblüte widersprach dem nicht. Sie hatte gesehen, wie diese Tiere sich in Bestien verwandelten, wenn die Reiter auf ihnen saßen. Ein Hund, der bissig war, wurde erschlagen.

Am nächsten Tag brachen sie sehr früh auf. Tuscalusa hatte gesagt, dass sie bald Mabila erreichen würden und dass er dort den Fremden die gewünschten Lebensmittel und Träger geben könnte. Er ordnete an, dass die Jungfrauen in ihren besten Kleidern voranschreiten und singend und tanzend in das Dorf einziehen sollten. Dahinter sollten der Heilige Mann und er selbst folgen, umgeben von seinen besten Kriegern. Der Anführer der Fremden willigte ein und ließ vierzig Reiter auswählen, die mit ihm die ersten sein sollten. Er schien verärgert darüber zu sein, dass einige aus seinem Tross sich selbständig gemacht hatten und auf eigene Faust bereits die umliegenden Dörfer eroberten. Er ordnete an, dass diese sofort aufschließen sollten.

* * *

Maisblüte ging neben Vogel-im-Bach und Nebel-am-Morgen den Fußweg entlang und hoffte auf ein gutes Ende der Reise. In den Tälern lag Nebel, der über die abgeernteten Felder strich und sich in den Wipfeln der Bäume verfing. Sie dachte an all die Arbeit und Mühe, die es gekostet hatte, den Mais zu pflanzen und zu ernten. Und den die Fremden sich jetzt einfach nahmen. Sie überzogen wie Nalusa Chito, das große schwarze Ding, das Land mit Tod, Gier und Schrecken, bis nichts mehr übrig blieb. Selbst Tuscalusa verlangte nicht allen Mais von seinen Untergebenen, sondern nur einen kleinen Teil. Dafür bot er Frieden und Stärke. Schon lange hatte es kein Feind mehr gewagt, ihre Dörfer zu überfallen.

Es war immer noch am frühen Vormittag, als die Abordnung das Dorf erreichte. Tuscalusa schritt durch das geöffnete Tor und ließ die Jungfrauen vorangehen. Sie tanzten und sangen ein Willkommenslied. Die Fremden folgten ihnen ahnungslos. Sie boten einen beeindruckenden Anblick, denn an die vierzig Reiter waren ihrem Anführer gefolgt. Im Anschluss folgten Fußsoldaten, Priester und Sklaven, die das Gepäck trugen. Auch einige der Frauen der Spanier waren mit ihrem Gepäck in ihrer Begleitung. Die Menschen wichen ehrfürchtig zurück, als die Reiter auf ihren Pferden durch das Dorf ritten. So etwas hatten sie noch nie gesehen.

 

Sie bewunderten den Mut ihres Minkos, der mit erhobenem Haupt neben diesen fremden Wesen schritt. Tuscalusa wies den Fremden zwei große Chukkas zu, in die die Fremden ihre Sachen und Pferde brachten. Die Priester und die Frauen blieben mit einer Wache in der Hütte, während der Gouverneur der Einladung des Häuptlings folgte. Tuscalusa führte die Fremden zu dem erhöhten Haus, in dem er sonst residierte. Er schickte die Jungfrauen voraus, lächelte verbindlich und lud DeSoto ein, die Chukka zu betreten. Ebenso höflich ließ der Gouverneur dem Minko den Vortritt. Tuscalusa nickte geschmeichelt und ehe die Spanier reagieren konnten, verschwand der Minko mit einigen schnellen Schritten im Inneren der Hütte. Erst jetzt bemerkten die Fremden, was geschah, denn als sie den Häuptling wieder herauszerren wollten, stießen sie auf eine Übermacht bewaffneter Krieger, die sich in der Hütte verborgen gehalten hatten. Schützend stellten sie sich vor ihren Häuptling und hoben die Waffen, unter ihnen auch Große-Schlange, der die besten Krieger zusammengezogen hatte, um den Minko zu befreien. Mit ihren Keulen drängten sie die Soldaten aus der Hütte und stießen dabei ihre Kriegsschreie aus.

Maisblüte versteckte sich mit den anderen Mädchen hinter den Kriegern und versuchte das Zittern zu kontrollieren, das sie befiehl. Sie hatte ihren Vater sofort erkannt und fürchtete um ihn, als er mit der Keule gegen die Soldaten kämpfte. Er trug nur einen Lendenschurz und hatte ansonsten seinen Körper mit Streifen und Mustern bemalt. Er sah furchterregend aus. Überall dröhnten plötzlich Trommeln und die Krieger stießen hohe Schreie aus. Dann hatten die Krieger die Fremden aus der Hütte geschoben und der Hopaii beruhigte die Mädchen mit seiner sanften Stimme. „Wir beten zu Hashtali, damit er uns beisteht!“, befahl er. Sogleich stimmten die Mädchen ihre Lieder an.

Draußen verlor einer der Fremden die Nerven und zog sein Rapier, als die Indios erregt hin und her drängten. Er trennte einem von ihnen fast den Arm ab und verletzte ihn schwer. Ein empörter Aufschrei war zu hören, dann gab es kein Halten mehr. Ein wahrer Pfeilhagel prasselte auf die Fremden nieder und von überallher drangen die Krieger auf die Fremden ein. Sie schlugen mit Keulen und Messern auf die Feinde ein, ihre Körper nur mit dem Nötigsten bedeckt, um im Kampf nicht behindert zu werden. In vorderster Reihe kämpfte Tuscalusa, der seine Krieger gegen die verhassten Feinde warf, die es gewagt hatten, ihn als Geisel zu nehmen! Sein Mut war allen Männern ein Vorbild und so überwanden sie ihre Furcht vor den seltsamen vierbeinigen Monstern mit den Reitern.

Die Spanier hatten Glück, dass der Platz sehr beengt war und die Krieger zwischen den vielen Hütten nicht in ihrer vollen Stärke angreifen konnten. Mit ihren Degen und Lanzen kämpften sie sich den Weg frei und zogen sich bis zum Tor zurück. Dabei mussten sie bereits schwere Verluste hinnehmen, denn die Pfeile der Krieger trafen gut. Es war kein geordneter Rückzug, sondern eine heillose Flucht, um diesem Hexenkessel zu entkommen. Pferde und Ausrüstung wurden aufgegeben und wer nicht fliehen konnte, wurde einfach seinem Schicksal überlassen. Einige Reiter waren zu Pferde geblieben, um mit dem Mut der Verzweiflung den Weg für die anderen freizukämpfen. Die Pferde verwandelten sich bei dem ohrenbetäubenden Lärm in ebensolche Kampfmaschinen wie die Reiter auf ihren Rücken. Lanzen und Degen bohrten sich in die braunen Leiber und hackten den Weg zum Ausgang aus dieser Hölle frei.

* * *

Todesmutig stürzten sich die Krieger diesen Fremden entgegen und viele wurden schwer verletzt, als die neuartigen Waffen sich durch ihre Körper bohrten. Die Schwerter und Degen trennten Arme von den Körpern, Köpfe rollten über den blutüberströmten Boden und über alles erhob sich der ohrenbetäubende Schlachtruf. Krieger, die zurückweichen wollten, wurden von den Hufen getroffen. Die Pferde stiegen und schlugen aus, als wären auch sie kämpfende Krieger. Tuscalusa hatte sich zurückgezogen und stand vor seiner Hütte, um den Kampf von seiner erhöhten Position aus zu beobachten. Mit ihren Kriegsschreien trieben die Krieger die Feinde weiter auf die Ebene hinaus. Sie kämpften wagemutig und zornerfüllt. Andere versuchten in die Hütte einzudringen, um die Feinde, die sich dort aufhielten, zu töten. Große-Schlange führte diesen Angriff und schickte einige Männer auf das Dach, damit sie von oben in die Chukka eindrangen. Aber die Spanier wussten sich zu wehren und vertrieben die Krieger mit ihren Armbrüsten. Die Wachen der Priester und Frauen kämpften mit dem Mut der Verzweiflung und konnten die Krieger am Eindringen hindern. Gebete wurden geflüstert und die Jungfrau Maria angefleht.

Dann wurde der Angriff zurückgeworfen, als die Verzweifelten endlich Verstärkung vom Tross erhielten. Immer mehr Soldaten mit Hellebarden und Armbrüsten trafen ein und unterstützten ihren Anführer in seinem Kampf gegen die wilden Eingeborenen. Mit einer Attacke ritten sie gegen das Dorf und befreiten die eingeschlossenen Priester und Frauen aus der Hütte. Es gelang ihnen, doch dabei mussten sie die gesamte Ausrüstung zurücklassen. Die Pferde, die in einer anderen Hütte standen, waren bereits verloren, denn die Krieger hatten sich Zutritt verschafft und sie allesamt getötet. Die Pferde galten als Krieger und wurden somit als Feinde getötet.

Tuscalusa hatte tapfer gekämpft und ordnete den Rückzug an. Sein Dorf war gut befestigt und so glaubte er, sich hinter dem geschlossenen Tor verschanzen zu können. In Windeseile kletterten seine Krieger auf die Palisaden, um von dort die Angreifer abzuwehren. Der Heilige Mann wies die Jungfrauen an, noch lauter für das Volk zu beten und zu singen. Ihr Gesang sollte den Menschen Kraft für den Kampf geben und die Krieger auf den Tod vorbereiten.

Hechtfluss

(Gebiet der Menominee im Norden)

Machwao saß hinten im Kanu und führte das Paddel gleichmäßig durch das Wasser. Am Bug saß Wakoh, der Fuchs, und paddelte im gleichmäßigen Takt. In der Mitte saßen Awässeh-neskas und Wapus, die sich gerade ausruhten. Es war nicht nötig, dass alle Männer ruderten, denn das Kanu bewegte sich mit der Strömung. Von einem Tag auf den anderen war die Luft frostig geworden. Morgens lag dichter Nebel auf dem Wasser und nachts kam bereits der erste Frost. Die Männer hatten sich in warme Umhänge gewickelt und in ihren Bündeln waren warme Decken verstaut.

Machwao wollte vor dem ersten Schnee – und ehe die Seen zufroren – wieder zurück sein. Mit einem misstrauischen Blick streifte er die dunklen Wolken am Himmel. Obwohl es noch früh im Jahr war, sahen sie aus, als würden sie den ersten Schnee bringen. Sie mussten sich beeilen! Natürlich konnten sie auch im Winter reisen, aber dann würden sie die grünen Steine nicht mehr finden. Wenn erst Schnee lag und der Boden gefror, würde der Weiße Bär sein Geschenk nicht mehr hergeben. Er schüttelte kurz den Kopf, um die Zweifel zu vertreiben. Der Metewin-Mann hatte nichts dergleichen gesagt. Sie hatten Tabakopfer gereicht, Opfergaben gegeben und die Geister gnädig gestimmt. Der Medizinmann hatte ihnen den Zeitpunkt des Aufbruchs genannt und sie hatten die nötigen Reinigungsrituale durchgeführt. Warum sollten die Geister ihnen nicht wohlgesinnt sein? Seine Jagd war erfolgreich gewesen und seine Mutter würde die nächsten Tage vollauf mit dem Verarbeiten der Beute beschäftigt sein. Alle Vorzeichen waren gut gewesen.

Dann setzte ein Eisregen ein, der die Männer zwang, den Schutz des Ufers aufzusuchen. In Windeseile suchten sie einige lange Äste zusammen, bauten ein einfaches Gerüst und deckten es mit Decken aus Elchhaut ab, um darunter Schutz zu suchen. Die Ausrüstung legten sie unter das Kanu, das sie an Land gezogen und umgedreht hatten. Frierend drängten sie sich aneinander und schauten auf den Eisregen, der das Land peitschte. Blätter und Äste wurden von den Bäumen gedroschen und selbst der Unterschlupf bot kaum ausreichend Schutz vor der Unbill der Natur. Die Männer kannten das und warteten einfach ab, bis die Regengeister sich wieder beruhigt haben würden. Meist dauerte so ein Unwetter nicht lange.

Als es sich verzogen hatte, schüttelten die Männer die Decken aus und hängten sie zum Trocknen über einige Äste. Dann sahen sie nach der Ausrüstung. Zum Glück hatte das Kanu alles gut geschützt, sodass die Männer schnell die Sachen wechselten, die feucht geworden waren. Machwao schlug vor, die Nacht hier zu verbringen, damit sie die Felle und Kleidungsstücke trocknen konnten. Niemand widersprach und so brannte kurz darauf ein kleines Feuer. Es qualmte leicht, weil es schwierig wurde, trockenes Holz zu finden. Sie legte weitere Äste und Scheite neben das Feuer, damit sie trocknen konnten, und setzten sich dann dazu. Mit trockener Kleidung und vollen Bäuchen war die Stimmung schnell wieder gut. Regen, Schnee, Hagel und Sturm gehörten zu ihrem Leben dazu.

Wapus zog seine kleine Trommel hervor und begann ein Versöhnungslied für die Regengeister zu singen. Die anderen lauschten andächtig und schickten ebenfalls gute Gedanken zu den Geistern. Wapus war noch jung, etwa im gleichen Alter wie Machwao und doch wirkte er älter, als er die heiligen Lieder sang. Die Metewin-Gesellschaft hatte früh seine Fähigkeiten erkannt und ihn zu sich gerufen. So war er von einem Ernst, der nicht zu seinem jungen Alter passte. Ansonsten war er schlank wie fast alle Männer der Menominee und hatte ein rundes, ebenmäßiges Gesicht, das von freundlichen Augen dominiert wurde. Das Lied und die Trommel verklangen und die Männer grinsten sich verschmitzt an. Ihre Augen funkelten wie bei kleinen Jungen, die gerade einen Streich ausheckten.

„Woah, ich hoffe, dass wir den heiligen Ort erreichen, ehe der erste Schnee fällt“, meinte Wakoh ein wenig besorgt. Er hatte sich bis auf einen Schopf die Haare abgeschnitten und mit seinem Messer die Kopfhaut rasiert, sodass er noch wagemutiger wirkte. Er meinte, dass auf Reisen die wenigen Haare besser zu pflegen wären. Machwao hatte darüber den Kopf geschüttelt, aber seine Schwester hatte Wakoh bewundernde Blicke zugeworfen. Mädchen schienen kraftvolle, gefährlich wirkende Männer zu bevorzugen.

„Wir würden nicht hier sitzen, wenn der Medizinmann dies vorhergesehen hätte. Er sagte aber, dass noch kein Schnee fallen würde“, wies Machwao ihn zurecht.

Alle schwiegen erschrocken und senkten kurz die Köpfe. Wakoh ließ sich nicht so schnell einschüchtern und wedelte mit seiner Hand in Richtung des Himmels. „Und was war das dann?“ Machwao grinste frech. „Eisregen!“

„Aha, und Eis ist kein Schnee?“, wunderte sich Wakoh.

„Nein, Eisregen ist kein Schnee!“ Machwao beließ es bei dieser Aussage und verzichtete auf eine Erklärung.

„Und wieso nicht?“ Wakoh war keineswegs zufrieden mit dieser kurzen Antwort.

Es war Wapus, der hierfür eine Antwort fand: „Eisregen ist lediglich eine Warnung, dass bald der Winter kommt. Schnee wäre schlimmer, weil es dann meist so kalt ist, dass er liegen bleibt. Ihr werdet sehen, dass morgen nichts mehr von der Kälte zu bemerken ist.“

Machwao war damit zufrieden. Er wickelte sich in eine Decke und streckte seine kalten Füße in die Nähe des Feuers. Seine Freunde taten es ihm gleich und alle fühlten die wohltuende Wärme.

* * *

Am Morgen war der Himmel wieder klar und nichts deutete auf eine Verschlechterung des Wetters hin. Mit einem Rucken seines Kopfes deutete Machwao auf die aufgehende Sonne. „Seht ihr! Heute wird es schön!“

Wakoh schenkte ihm ein schiefes Grinsen und warf seine Bündel in das Kanu. Dann kletterte er ungefragt in den Bug des Kanus und nahm das Paddel in die Hände. Mit einem Nicken forderte er die anderen auf, endlich einzusteigen. Machwao grinste und wartete, bis alle ihren Platz gefunden hatten, dann schob er das Kanu nach vorne und sprang ebenfalls hinein. Mit seinem Paddel korrigierte er die Fahrtrichtung und passte sich dann dem Paddelschlag seines Freundes an. Er lächelte, denn Wakoh war einfach so. Er gab nicht gerne die Kontrolle ab und so war es selbstverständlich für ihn, im Kanu vorne zu sitzen und den Takt anzugeben. Nichts war schlimmer für ihn als nichts zu tun. Wakoh zählte an die fünfundzwanzig Winter und war etwas älter als Machwao. Auch er war noch nicht verheiratet, sondern schien Freude daran zu finden, seine Freunde auf abenteuerlichen Reisen zu begleiten. Er war ein guter und gnadenloser Kämpfer, der schon manches Mal das Dorf gegen Angreifer verteidigt hatte. Sein Körper war muskulös und mit Tattoos verziert, eine Angewohnheit, die sonst eher unüblich war. Auch sein Gesicht hatte ein schwarz-rotes Tattoo, das auf Feinde durchaus gefährlich und abschreckend wirkte. Aber vielleicht war auch das der Grund, warum er bisher keine Frau gefunden hatte. Wakoh glaubte jedoch, dass die Tattoos ihn schützen würden. Er hatte sie zum Teil selbst gestochen und eingefärbt. Nur im Gesicht hatte er sich von einem Metewin-Mann helfen lassen, der diese Bemalung auch für ihn geträumt hatte. Das Kinn war schwarz tätowiert und auf der Stirn waren drei rote Streifen zu sehen.

 

Gegen Mittag erreichten sie den Käqcekam und paddelten in kurzer Entfernung zum Ufer gegen Südwesten dahin. Es war nicht ganz ungefährlich, denn auf dem See waren sie weithin zu sehen. Kein Schilf, kein Wildreis, einfach nichts schützte sie vor möglichen Feinden. Der Große See machte das Reisen leicht, aber vergrößerte auch die Gefahr, durch Feinde entdeckt zu werden. Sie brauchten zwei Tage, um die Mündung des Okaw-Sipiah zu erreichen, doch dann paddelten sie aufatmend die Mündung des Flusses stromaufwärts. Wie sie es erwartet hatten, war der Fluss hier durch Schilf und hohe Halme geschützt, die den Blick auf ein einsames Kanu verbargen. Manchmal stob ein Wasservogel vor ihnen davon, ansonsten war es ruhig. Die Tage waren warm, wie ein später Indianersommer. Nur nachts lagerten die Männer um ein warmes Feuer und erinnerten sich daran, dass der Herbst auch schnell ein anderes Gesicht zeigen konnte.

Nach einem weiteren Tag erreichten sie endlich ihr Ziel: eine kleine Ausbuchtung des Flusses, an dessen Ufer die seltsamen grünen Steine zu finden waren. Manche lagen einfach im Kies des Flussbettes, andere musste man gewinnen, indem man ein wenig im Kies und Sand des Flusses grub. Man konnte die Steine einfach durch Klopfen in die gewünschte Form bringen, aber es gab auch Wissende, die mehrere Steine erhitzten, miteinander verbanden und dann diese größere Fläche bearbeiteten. Keiner der Freunde war dazu im Stande. Ihre Aufgabe war es, dieses wertvolle Erz zu sammeln und zum Volk zurückzubringen. Allein das Sammeln stellte eine gewisse Gefahr dar, denn man entfernte sich von den geschützten Gefilden des Dorfes.

Machwao steuerte die Sandbank an und konnte ein Grinsen nicht mehr unterbinden, als Wakoh in den Fluss sprang und das Kanu ans Ufer schob. Sein Freund achtete nicht darauf, dass seine Mokassins inzwischen trieften. Die anderen kletterten trockenen Fußes an Land und zogen dann das Kanu aus dem Wasser heraus. Im Nu war ein kleines Lager errichtet und eine Feuerstelle ausgehoben. Dann saßen alle zufrieden beisammen und berieten den nächsten Tag.

„Wir sollten uns aufteilen, dann können wir einen größeren Bereich nach den Steinen absuchen“, schlug Wapus in seiner ruhigen Art vor.

Machwao nickte sein Einverständnis. „Gute Idee, dann finden wir wahrscheinlich mehr.“

„Dann sind wir aber auch verwundbarer!“, wandte Wakoh, der Fuchs, ein. „Ich denke, dass wir einfach von hier aus in eine Richtung gehen sollten. Gemeinsam! Dann sehen wir ja, welche Geschenke der Weiße Bär für uns vorgesehen hat.“

Machwao staunte über die plötzliche Besonnenheit seines Freundes. „Eine gute Idee! Wir sind nicht so verletzlich, schützen uns gegenseitig und liefern uns nicht den Feinden aus.“

Wakoh nickte und seine sonst so gefährlich wirkenden Tattoos verloren ihre beängstigende Wirkung. „Ja, nicht wahr, es gibt auch andere Völker, die vielleicht diesen Ort kennen?“

Wapus stimmte zu. „Sehr richtig. Wakoh hat gut gesprochen. Wir sollten achtsam sein und unseren Schutz nicht vergessen.“ Machwao runzelte die Stirn. „Hast du etwas in deinen Träumen gesehen?“

„Nein!“, beeilte sich Wapus zu sagen. „Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Meine Träume waren gut!“

„Wenn deine Träume gut sind, wieso brauchen wir dann Vorsichtsmaßnahmen?“, wagte Awässeh-neskas zu fragen. Vielleicht dachte er zum ersten Mal an seine Frau, die zuhause auf ihn wartete.

Wapus zuckte mit den Schultern. „Es ist nie schlecht, an Vorsichtsmaßnahmen zu denken. Mäc-awätok kann nicht überall sein.“

„Tss …!“ Awässeh-neskas schüttelte entrüstet den Kopf. „Natürlich ist er überall! Vielleicht sollten wir erneut um seine Gunst beten. Ich meine … wenn du nicht sicher bist!“ Seine Sorge stand gut lesbar in seinem Gesicht und aller Augen richteten sich erwartungsvoll auf Wapus.

Wapus schüttelte die Verantwortung unwillig von seinen Schultern. „Wir haben gebetet! Ich sagte nur, dass es keinen Sinn hat, in der Aufmerksamkeit nachzulassen. Oder glaubt ihr, dass Mäcawätok, das Große Geheimnis, Mitleid mit den Unaufmerksamen oder Leichtfertigen hat?“

Das klang einleuchtend und alle senkten die Köpfe, um darüber nachzudenken.

Schließlich wagte es Wakoh, das Schweigen zu brechen. Er hatte sich schon immer auf seine eigenen Fähigkeiten verlassen. „Ich werde euch schützen, wenn ihr nach den grünen Steinen sucht. Meinem Auge entgeht nichts.“

„Das ist gut!“, beeilte sich Machwao zu sagen. Ohne es wirklich so zu benennen, war er zum Anführer der Reise geworden. Er hatte es weder angeregt noch geplant, noch hatte er diesen Rang gewollt, aber er spürte, dass alle ihm vertrauten und seine Meinung oft den Ausschlag gab. „Ich fühle mich besser, wenn du über uns wachst, wenn wir die Steine sammeln.“

Wakoh nickte geschmeichelt. „Ich werde euch gut schützen! Und wenn wir zurück sind, dann wirst du vielleicht gut von mir denken!“ Seine Augen fraßen sich in den Augen von Machwao fest.

„Ich denke immer gut von dir!“, verteidigte sich Machwao verwirrt. „Wie meinst du das?“ Er strich die langen Haare nach hinten und musterte den Freund.

Wakoh zögerte verunsichert und wurde dann deutlich. „Ich hoffe, dass deine Schwester bald zur Frau wird. Ich bin nicht vom Bärenclan, sondern gehöre dem Wolfsclan an. Ich hoffte, dass sie mich vielleicht bemerken würde.“ Seine Stimme war ungewohnt sanft und er zeigte plötzlich eine ganz andere Seite.

Machwao unterdrückte ein Stöhnen. Die Lachfältchen um seine Augen glätteten sich, als er ernst wurde. Er konnte diese unausgesprochene Bitte jetzt nicht mit einem Scherz abtun. Wakoh war ein guter Freund, ein guter Kämpfer, aber ein Ehemann für seine Schwester? Wahrscheinlich fürchtete sie ihn genauso wie alle anderen Mädchen! Oder hatte sie diesen verwegenen Krieger schon wohlwollend bemerkt? Zumindest der kahlgeschorene Kopf mit dem Haarschopf schien sie keineswegs gestört zu haben. „Huh!“, stöhnte er übertrieben langsam. „Sie hatte noch nicht einmal ihren ersten Mond. Noch ist sie ein Kind! Kaum alt genug, um sie überhaupt zu beachten.“

Wakoh schenke ihm ein sanftes Lächeln. „Ich kann warten. Deine Schwester ist sanftmütig, fleißig und wäre eine Zierde für meinen Wigwam. Ich würde immer gut auf sie achten.“

„Das weiß ich!“ Machwao winkte ungeduldig ab. Natürlich würde Wakoh seine Schwester achten und ehren. Aber wäre er auch ein guter Ehemann? Kurz streifte sein Blick über die auffälligen Tattoos, die das Gesicht seines Freundes schmückten. Natürlich würde er seine Schwester schützen, aber würde er sie auch lieben? Andererseits wollte er seinen Freund auch nicht enttäuschen. Mit einem Achselzucken tat er die indirekte Frage ab.