Donnergrollen im Land der grünen Wasser

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Ein unangenehmes Schweigen entstand, dann zogen die Männer plötzlich ihre Waffen und umringten den Häuptling. Er war nun ihr Gefangener. Ein Aufschrei ging durch die versammelten Menschen, denn Tuscalusa war nicht nur ihr Minko, sondern der oberste Priester! Ihn gefangenzusetzen bedeutete für die Menschen den Untergang des Volkes. Klagende Stimmen erhoben sich, die darauf warteten, dass die Sonne sich verdunkelte. Maisblüte war so entsetzt, dass sie zu keiner Bewegung mehr fähig war. Mit einer Handbewegung beruhigte Tuscalusa seine Männer und machte gute Miene zum bösen Spiel. „Ich führe euch nach Mabila, wo ihr eure Unterstützung bekommen werdet!“, ließ er den Dolmetscher übersetzen.

Dem Gouverneur schien das zu genügen, denn die Männer ließen die Waffen sinken. Der Gouverneur winkte zwei Männer herbei, die einen seltsamen langen Ast mit sich trugen. Mit lauter Stimme richtete er seine Worte an die versammelten Menschen, die von einem Führer übersetzt wurden: „Ich bin der Sohn der Sonne und wenn ihr nicht gehorcht, dann werde ich Blitze auf euch schleudern!“

Er trat etwas zurück und gab mit Handzeichen zu verstehen, dass auch Tuscalusa etwas Abstand halten sollte. Auf ein weiteres Zeichen stützten die Männer ihre Stöcke auf ein Gestell und richteten sie gen Himmel. Dann ertönte der lauteste Knall, den Maisblüte je gehört hatte. Blitz und Donner kamen aus den Stöcken, sodass die Menschen sich vor Schreck zu Boden warfen und in lautes Wehklagen ausbrachen. Einzig Tuscalusa war neben dem Sohn der Sonne stehengeblieben, aber sein Gesicht war vor Schreck wie erstarrt. Nur mühsam gelang es ihm, die Angst zu beherrschen und würdevoll stehen zubleiben.

Der Gouverneur war sehr zufrieden mit dieser Demonstration und wandte sich wieder dem Häuptling zu: „Ich freue mich schon, in deinem Dorf begrüßt zu werden. Sei solange mein Gast!“

Die Soldaten folgten Tuscalusa in höflicher Weise, trotzdem war klar, dass sie den Häuptling nicht aus den Augen lassen würden. Sie führten ihn in das Haus zurück und ließen auch seine Begleiter eintreten. Dann schickten sie nach dem Hopaii und den Jungfrauen. Noch wurden alle respektvoll behandelt, als Gäste, aber es war klar, dass sich das ändern würde, wenn der Häuptling sich nicht den Anweisungen fügte. Tuscalusa ertrug seine Gefangennahme mit stoischer Ruhe. Er hatte dies vorhergesehen und bereits Vorkehrungen getroffen. Seine Zähne knirschten vor Zorn, als er an die Krieger in Mabila dachte. Bald!

Der Gouverneur kam in Begleitung des Dolmetschers herein und setzte sich zu dem Minko, um mit ihm zu reden. Er wirkte herrisch und arrogant. Seine Kleidung sollte Respekt einflößen mit all dem Tand, aber im Moment stank sie bestialisch. Selbst Maisblüte, die im Hintergrund der Hütte saß, rümpfte angeekelt die Nase. Der Gouverneur äußerte sich in blumigen Worten, die im Gegensatz zu seinen Taten standen. „Ich bin hier, um eure Freundschaft zu suchen! Wenn ihr mir die Wünsche erfüllt, die ich habe, dann gelobe ich, dass ich euch freilasse. Ihr bekommt großzügige Geschenke und ihr erhaltet das Wohlwollen des Sohnes der Sonne. In meinem Land ist es Sitte, sich die Hand zum Zeichen des Friedens zu schütteln und sich beim Namen zu nennen. Ich heiße DeSoto und es ist eine große Ehre für den großen Häuptling, wenn er mich mit meinem Namen anreden darf!“

DeSoto hielt Tuscalusa fordernd die ausgestreckte Hand hin, doch der Häuptling ignorierte die Geste mit völliger Missachtung. Letztendlich war es gleichgültig, wie der Fremde hieß, und er würde ganz bestimmt nicht die Hand eines Fremden schütteln! DeSoto war darüber verärgert und befahl mit harscher Stimme den Aufbruch. Anscheinend waren ihm in dem Dorf zu viele Krieger. Der Häuptling wurde mit seinem Gefolge aus der Hütte getrieben und unter dem Protest der Krieger aus dem Dorf geführt. Das schrille Schreien war ohrenbetäubend, und nur durch Tuscalusas beruhigende Gesten wurden weitere Ausschreitungen verhindert. Dabei waren die Lippen des Häuptlings vom Hass verzerrt, aber er wusste, dass er die Fremden in Sicherheit wiegen musste, um zu seinem Ziel zu gelangen. Er wusste auch, dass es keinen Frieden geben würde.

Sie verbrachten die Nacht in dem Lager der Spanier, gut bewacht von den bewaffneten Reitern. Maisblüte wurde mit den anderen Mädchen zu einem Teil des Lagers geführt, in dem gefangene Frauen ihre Dienste verrichteten. Das Lager war gewaltig, denn die Fremden führten nicht nur Soldaten, sondern auch Gepäck, Frauen, Zelte, Vorräte und Vieh mit. Maisblüte sah zum ersten Mal zahme Schweine. Sie ähnelten jenen Stachelschweinen, die man in ihren Wäldern fand, waren aber deutlich größer. Maisblüte überblickte das Gewimmel und ihr Blick blieb an riesigen Hunden kleben, die bis zur Hüfte der Männer reichten und die Zähne fletschten. Die seltsamen Pferde schnaubten und überall klangen Geräusche, die sie noch nie gehört hatte. Über großen Feuern hingen Töpfe, die aus einem Material waren, das Maisblüte noch nie gesehen hatte. Es ähnelte wohl den Käferhüten der Männer. Einige Krieger setzten sich zu den Jungfrauen, um diese vor den anzüglichen Blicken der fremden Männer zu schützen. Der Gouverneur ließ sie gewähren und gab Befehl, die Mädchen mit Respekt zu behandeln.

Maisblüte war zu aufgeregt, um in dieser Nacht zu schlafen. Die Gefahr lag zum Greifen in der Luft und die fremdartigen Geräusche ließen sie immer wieder hochschrecken. Am schlimmsten war dieser Knall aus den Donnerrohren gewesen. Wie konnten Menschen sich den Donner zu eigen machen? Sie wusste, dass Heloha in den Wolken wohnte und dort ihre Eier legte, die dann donnernd über den Himmel rollten, immer begleitet von Helohas Gefährten Melatha, der so schnell war, dass er eine Spur aus Funken hinterließ. Aber diese Fremden hatten Heloha und Melatha in ihren Donnerrohren gezähmt. Sie wünschte, dass ihr Vater bei ihr wäre, aber sie wusste, dass er in Mabila den Kampf vorbereitete. Ebenso ahnte sie mit schrecklicher Gewissheit, dass es Kampf geben würde. Diese Fremden führten sich auf, als gehörte das Land ihnen. Aber Maisblüte fürchtete sich vor der Zerstörungskraft der Donnerrohre. Vogel-im-Bach klammerte sich an sie und Maisblüte umarmte das Mädchen tröstend. „Alles wird gut!“, flüsterte sie. „Der Minko schützt uns!“

„Er hätte uns nicht hierherbringen dürfen!”, schluchzte Vogel-im-Bach.

Maisblüte schluckte schwer. Sie war da anderer Meinung. Tuscalusa hatte sich selbst in Gefahr gebracht, um den anderen mehr Zeit zu geben. Nur ein wahrer Minko handelte so. Und er konnte von den Jungfrauen verlangen, dass auch sie das Volk schützten. Das war ihre Aufgabe. „Wir müssen tun, was uns befohlen wird. Hab keine Angst vor deiner Bestimmung!”, hauchte sie.

Machwao

(Menominee-Fluss im Norden)

Machwao nutzte den Sonnenaufgang, um auf eine kleine Anhöhe zu gehen, um zu beten. Sein Blick wanderte über den Flussarm und er erfreute sich an der Aussicht, die er von hier aus hatte. Seine Mutter und seine Schwester schliefen noch und so genoss er die Ruhe des frühen Morgens. Mit seiner Hand umklammerte er den kleinen Talisman, den er an einer Schnur um den Hals trug. Es handelte sich um einen kleinen Beutel, in dem eine Wolfspfote steckte. Der Wolf war ein Begleiter und gleichzeitig sein Beschützer. In seinen Träumen tauchte er immer wieder auf und warnte ihn vor bevorstehenden Ereignissen. In letzter Zeit waren die Botschaften jedoch seltsamer geworden. Der Wolf benutzte Worte, die es nicht gab. Und er erzählte von Dingen, die es gar nicht gab. Ob Bärenkralle auch solche Träume hatte?

Machwao stimmte einen leisen Gesang an und bat Mäc-awätok um Klarheit. Zugleich bedankte er sich für die gute Ernte und den Jagderfolg. Die Vorräte, die sie gesammelt hatten, würden sie gut über den Winter bringen. Er blieb eine Weile und genoss die warmen Strahlen der Sonne auf seiner Haut, dann kehrte er zurück zum Lager. Awässeh-neskas, Bärenkralle, stand bereits am Ufer und verrichtete sein Geschäft, während die Frauen eine einfache Mahlzeit zubereiteten. Von der Ente war nichts mehr übrig und so begnügten sie sich mit Trockenfleisch, das sie mit Wasser und Kochsteinen in einem Gefäß aus Birkenrinde weichkochten.

Die Mutter wendete den Wildreis auf den Matten und schüttete ihn probeweise durch, um nach Ungeziefer zu suchen. Später würde man ihn stampfen und vorsichtig in die Luft werfen, damit die grünen Hülsen einfach weggeweht wurden und nur noch die braunen Körner übrig blieben. Wenn sie einige Handvoll Körner gereinigt hatte, legte sie diese in die bereitgestellten Körbe. Machwao freute sich schon auf die nahrhaften Mahlzeiten. Mit Ahornsirup, Nüssen, Beeren und Fleisch angereichert, schmeckte das Essen besonders gut.

Sie verbrachten zwei weitere Tage am Ufer der breiten Flussaue und hatten schließlich eine beachtliche Menge Wildreis geerntet. Nebenbei hatte Machwao ein paar Enten erlegt, und Kämenaw Nuki, Regenfrau, hatte einen Hain mit Nüssen entdeckt, die sie eifrig gesammelt hatte. Sie verstauten die Körbe mit den Lebensmitteln im Kanu und Machwao paddelte sie den Manomäh-Fluss hinauf, bis sie wieder das Dorf erreichten. Die Hütten standen weit verteilt auf einer kleinen Anhöhe in der Nähe des Flusses zwischen den Bäumen. An die hundert Menschen lebten hier und so war es ein ziemlich großes Dorf. Sie hatten keine Palisaden, weil das Dorf mitten im Wald lag und so gut getarnt war. Dies hinderte jedoch Feinde nicht daran, sie immer wieder auszuspähen und zu überfallen. Die Menominee nahmen es hin, so wie sie dem Tornado oder Blizzard widerstanden.

In der Mitte des Dorfes stand ein längliches Versammlungshaus und daneben die längliche Hütte der Metewin-Gesellschaft. Ansonsten waren die verstreuten Wigwams halbrunde Gestelle aus Ästen, die mit Lagen aus Birkenrinde gedeckt waren. Meist stand eine halbüberdachte Kochstelle daneben und auf einem Gerüst trocknete das Dörrfleisch. Verteilt standen auch Gestelle, an denen Häute gegerbt wurden. Abseits im Wald befand sich zudem die Hütte für menstruierende Frauen. Zwischen den Bäumen waren Beete zu erkennen, in denen die Frauen Mais, Bohnen und Kürbis zogen. Bis auf die Kinder, die zwischen den Hütten spielten, war es ruhig im Dorf.

 

Awässeh-neskas war ihnen mit seinem Kanu gefolgt und legte fast gleichzeitig am Ufer an. Die Kinder sprangen ihnen entgegen, barfuß und fast nackt, denn tagsüber war es noch warm. Viele Erwachsene waren ebenfalls noch unterwegs, um die Vorräte zu ergänzen. Geblieben waren die Ältesten und die Kinder, die zu klein waren, um zu helfen, oder Frauen in ihrer Mondzeit.

Machwao half seiner Mutter, die Körbe zu dem Wigwam zu bringen und in einer Ecke zu verstauen. Ihr Garten lag etwas abseits im Wald, die meisten Früchte waren bereits geerntet und in den Vorratsgruben verstaut worden. Neben dem Wigwam stand ein Gestell aus Ästen, auf denen Fleischstreifen trockneten. Einige Stellen waren leer und die Mutter schimpfte über die Hunde, die das Fleisch sicherlich gestohlen hatten.

Machwao sagte nichts, sondern trug die Weidenkörbe mit den getrockneten Fleischstreifen zu den vorbereiteten Gruben. Es war ein ausgeklügeltes System, mit dem die Vorräte haltbar gemacht wurden. Ganz unten standen die Tongefäße mit Saatgut für das nächste Jahr. Darüber stapelten sich Gefäße mit Bohnen, Kürbis und getrockneten Früchten. Zum Schluss kam das Dörrfleisch. Die Grube wurde mit Ästen abgedeckt und mit Erde verschlossen. Ein Stab kennzeichnete die Grube, damit sie auch bei Schnee zu finden war. Die Familie hatte mehrere dieser Gruben und blickte entsprechend zuversichtlich auf den kommenden Winter. Aber selbst wenn die eigenen Vorräte aufgebracht waren, würden alle Familien teilen, damit kein Stammesmitglied verhungern musste.

* * *

Am Abend versammelte sich die Familie am Feuer des Wigwams und Machwao lehnte sich entspannt zurück. Die halbrunde Form der Hütte, die mit Lagen aus Birkenrinde und mit Schilfmatten gegen den Regen geschützt war, strahlte Behaglichkeit aus. Die Hütte war gerade so hoch, dass ein Mann stehen konnte. Sie war aufgeteilt in einen Frauen- und einen Männerbereich. An den Wänden standen Körbe und Tongefäße mit Nahrungsmitteln und an den Wänden hingen Ausrüstungsgegenstände. Der Boden war mit Matten ausgelegt und die Schlafstätten mit Fellen abgedeckt. Im Sommer und frühen Herbst wurde meist nicht im Wigwam gekocht, sondern vor dem Wigwam stand ein halbüberdachtes Gerüst, das den Außenkochplatz vor Regen schützte. Im Moment brannte nur ein kleines Feuer, das im Laufe der Nacht herunterbrennen würde.

Seine Mutter brachte eine Schale mit Essen herein und reichte sie ihm höflich. Freudig schnupperte er daran, denn der Herbst war eine Zeit des Überangebots. Es roch nach Fleisch und Zwiebeln und er nahm einen Löffel aus einer Muschel, um die köstliche

Mahlzeit zu probieren. Das Fleisch war weichgekocht und hatte den Geschmack des Kürbisses und der Zwiebeln angenommen. Machwao dachte an die Aufforderung, seine Freunde auf der Reise zu begleiten. Vielleicht sollte er doch lieber hier bleiben, denn er wusste aus Erfahrung, dass die Kochkünste seiner Freunde zu wünschen übrig ließen. Es würde Fleisch geben und dann Fisch und dann wieder Fleisch.

Er bereitete seine Mutter ein wenig schonungslos auf seine Reisepläne vor. Unvermittelt stellte er die leere Schale auf die Seite und richtete das Wort an sie. „Ich werde mit meinen Freunden nach Süden ziehen und die grünen Steine holen.“

Die Augen seiner Mutter wurden rund. „Wann wirst du gehen, mein Sohn?“

„Bald!“ Er verzichtete auf weitere Erklärungen. Immerhin hatte er ihr gesagt, dass er nur die wertvollen Steine holen ging und nicht beabsichtigte, auf einen Kriegszug zu gehen. Das musste reichen, um sie zu beruhigen.

Sie schien tatsächlich beruhigt zu ein, abgesehen davon, dass sie ihn auch kaum hindern würde, wenn er etwas anderes vorhatte.

„Wir wollen im Frühjahr nach Süden ziehen, um zu handeln.“

„Ah!“ Auch seine Mutter erkannte, dass die grünen Steine eine Handelsware waren, mit denen er im Süden Tauschgeschäfte machen wollte.

Vor langer Zeit hatte ihr Ahnherr, der große weiße Bär mit dem Kupferschwanz, ihnen diese Steine als Geschenk gegeben. Nur wenige Männer wussten, wie man die Steine bearbeitete, um scharfe Klingen oder Schmuck daraus herzustellen. Mancher Krieger trug die grünen Steine als Talisman um den Hals, während die Frauen die scharfen Klingen als wertvolles Werkzeug erachteten. Auch im Süden waren diese Dinge willkommen und so würde ihr Sohn kaum in Gefahr geraten. Händler waren willkommene Gäste.

„Bringst du mir dann Schmuck aus diesen Perlen?“, wagte sie zu fragen.

Er lächelte sanft. „Aber gerne! Wenn er dir gefällt?“

„Ja, er gefällt mir. Vielleicht auch für deine Schwester? Sie hat bald ihre ersten Riten und ich möchte sie schmücken, wenn der erste Mann um sie wirbt.“ Sie tauschte einen verschmitzten Blick mit Kämenaw Nuki, die verlegen die Augen senkte.

Machwao lächelte freundlich und kniff dann die Augen zusammen. Ja, bald wäre seine Schwester kein Kind mehr, und dann musste er seinen Onkel darum bitten, dass sie gut verheiratet wurde. Er wollte einen guten Mann für sie. Einen guten Jäger, der sie ernähren konnte, aber auch einen Mann, der sich selbst beherrschen konnte. Auf jeden Fall nicht Wakoh, der Fuchs, obwohl er von einem anderen Clan war und somit als potentieller Ehemann in Frage kam. Er gehörte zum Clan der Donnervögel und damit zu den ersten Gefährten, die der große weiße Bär zu sich gerufen hatte, um mit ihm in Menschengestalt über die Erde zu wandeln. Der Bär und der Adler waren die ältesten Clans der Menominee. Aber Wakoh wäre vielleicht kein guter Ehemann. Nein, seine Schwester verdiente einen Mann, der Rücksicht nahm und sich beherrschen konnte. Machwao dachte kurz an seine Freunde und schüttelte dann unmerklich den Kopf. Im Frühjahr oder wenn er von seinen Reisen zurückkam, würde er in den anderen Dörfern nach einem geeigneten Ehemann Ausschau halten und seiner Familie vorschlagen. Bis dahin blieb noch Zeit.

* * *

Die nächsten Tage verbrachte die Familie damit, den Wildreis in den Tontöpfen zu rösten. Sie hatten durch Klopfen und Treten die Schalen entfernt und dann immer kleine Mengen des Wildreises über einem niedrigen Feuer geröstet. Es war viel Arbeit, aber durchaus lohnenswert, denn der Wildreis würde sie über den Winter bringen. Anschließend verstauten sie ihn in geflochtenen Körben und stapelten diese in den Vorratsgruben. Machwao inspizierte indessen das neue Kanu, das er gerade baute. Er hatte mit Hilfe eines Keils Planken aus einem Baumstamm getrieben, sie in Wasser eingeweicht und anschließend mit Hilfe eines Rahmens in eine halbrunde Form gebogen. Das Gerüst aus zwei langen Stangen aus Eschenholz lag zwischen dem Haltegestell eingeklemmt, das dem Kanu bereits die spätere Form vorgab. Erst dann wurden die Kanten des Kanus um einen Holzrahmen mit fünf Querleisten gebogen und ebenfalls an den Rahmen gebunden. Besonders schwierig war es dabei, den etwas höheren Stern und Bug des Bootes zu biegen. Aber er war notwendig, damit beim Paddeln kein Wasser von vorne ins Boot schwappte. Der Sommer war kurz und Machwao arbeitete schon seit Beginn des Sommers an diesem Kanu.

Im frühen Sommer hatte er lange Streifen an Birkenrinde gewonnen und mit der Innenseite nach außen auf den Boden gelegt und mit Steinen beschwert. Seine Mutter hatte die Rinde mit kochendem Wasser begossen, um sie gut durchzuweichen und in Form zu bringen. Er hatte bereits die seitlichen Birkenstreifen hochgezogen und die Pfosten angebracht, die das Kanu in seine Form brachten.

Seine Mutter und Schwester vernähten die aufeinanderliegenden Rindenteile mit den langen Strängen der Fichtenwurzel. Machwao hatte die langen Wurzelstränge der Schwarzfichten in der Nähe des Ufers im sandigen Boden ausgegraben. Er hatte eine eigene Methode erfunden, wie er die Wurzel von der Rinde befreite. Anstatt seine Zähne zu benutzen, hatte er sie durch ein gespaltenes Brett gezogen. Das war viel einfacher gewesen. Dann hatte er die langen Stränge im Wasser einweichen lassen und gespalten, damit sie geschmeidiger wurden und sich wie Sehnen nähen ließen. Die Frauen bohrten mit einem spitzen Stock kleine Löcher in die Rinde und führten dann die Wurzelfäden hindurch. Bald wäre es so weit, dass seine Mutter die Nähte mit Schwarztannenharz verstreichen konnte.

Seine Familie hatte bereits ein Kanu, aber es war nie schlecht, ein zweites zu besitzen. Immer wieder musste es geflickt werden und dann konnte er auf das andere Boot ausweichen. Er brauchte das Kanu auch, um auf traditionelle Weise den Fisch zu fangen. Ein Kanu vereinfachte das Leben. Er hatte in diesem Sommer Zeit gehabt und deshalb mit dem Bau angefangen. Auch hierzu hatte er erst den Rat des Medizinmannes eingeholt und Gebete zum Schöpfer geschickt.

Wenn er seine Freunde auf der Reise begleiten wollte, dann musste er sich beeilen. Wenn es erst kalt wurde, dann würde es schwierig werden, den Bau des Kanus zu beenden. Das Holz und die Rinde würden sich schlechter biegen lassen. Er wollte nicht bis zum nächsten Jahr warten, um die Arbeit fertigzustellen. Seufzend sah er auf seine schmerzenden Hände, denn die Arbeit war schwer. Das Material war sperrig und nur durch Ziehen und Zerren in die richtige Lage zu bringen. Aber ein Krieger beendete, was er anfing. So nutzte er die verbliebenen Tage, um die Planken aus Zedernholz in das Gestell einzuarbeiten, während seine Mutter bereits die Nähte mit Harz versiegelte. Sie hatte hierzu die Harzklumpen gesammelt und in einem Gefäß aus Birke mit Kochsteinen erhitzt. Die Harzmasse hatte sich nach oben abgesetzt und war mit einem Löffel abgeschöpft worden. Anschließend war die Masse mit kaltem Wasser abgekühlt worden, sodass sich eine gummiartige Substanz gebildet hatte, die man auswringen konnte. Um streichfähiges Harz herzustellen, musste diese Masse wieder in einem Birkentopf erhitzt werden. Vermengt mit Asche und vor allen Dingen Fett entstand dann das Harz, mit dem die Nähte des Kanus versiegelt wurden. Das Harz stank beim Verarbeiten und die Mutter passte auf, dass kein Tropfen auf ihr Kleid fiel. Aber ihre Hände waren bereits klebrig und sie wusste, dass es einige Tage dauern würde, bis sie den Geruch wieder abbekam. Sie klagte nicht, denn ein Kanu war für jede Familie wichtig, und so wussten fast alle Menschen, wie man es herstellte. Die Arbeit musste getan werden, also jammerte auch niemand darüber. Mit ein wenig Glück und Wissen hielt so ein Kanu drei bis vier Winter.

Hin und wieder kam ein Onkel vorbei, der die Arbeit mit kritischem Auge überwachte. Es war ein Bruder der Mutter, der seit dem Tod des Vaters die kleine Familie unterstützte. Er war sehr zufrieden mit der Arbeit seines Neffen und nickte anerkennend.

„Du hast Geduld und das hilft dir bei deiner Arbeit!“

Machwao streckte seinen schmerzenden Rücken und blinzelte ihn von der Seite an. „Hach, wieso hilft mir das? Ich habe das Gefühl, nie fertig zu werden!“

Der Onkel lachte verständnisvoll. „Ja, aber du hast gewartet, bis die Rinde von dem Wasser wirklich weich wurde. Und sieh nur, wie gleichmäßig deine Planken geworden sind. Du hast den Keil sehr sorgsam angesetzt und genau beobachtet, wie der Stamm sich spaltet. All dies hilft dir jetzt, dass dein Kanu eine gute Form hat.“

Machwao trat einen Schritt zurück und streifte seine Arbeit mit einem ebenso kritischen Blick. „Ob es sich um ein gutes Kanu handelt, wissen wir erst, wenn wir es ins Wasser lassen.“

Der Onkel verzog amüsiert die Lippen. „Oder an der Geduld, die jemand aufbringt.“

„Gerade eben bin ich nicht sonderlich geduldig“, gestand Machwao mit einem Seufzen.

„Weil deine Freunde dich drängen?“, vermutete der Onkel. Er hieß Maciskaw Apähsos, Rennender-Hirsch, nicht so sehr, weil er ein guter Läufer war, sondern weil der Medizinmann einen Hirsch an seiner Seite gesehen hatte, als er dem Säugling vor langer Zeit in die Augen gesehen hatte. In seiner Jugend war Maciskaw Apähsos tatsächlich ein guter Läufer gewesen, doch inzwischen gehörte er dem Rat der Ältesten an und sein Bauch hatte sich gerundet.

Machwao hob kurz die Schultern. „Ja, sie wollen die grünen Steine holen.“ Er zeigte mit seinem Kopf in Richtung Süden. „Dort, wo der Okaw-Sipiah, der Hechtfluss, in den Käqcekam, den Großen See, mündet.“ Er wusste, dass dort die grünen Steine zu finden waren, obwohl der Platz geheim gehalten wurde. Der Stein ließ sich auf geheimnisvolle Weise bearbeiten und einige wenige Männer hatten erlernt, daraus Schmuck und scharfe Messerklingen anzufertigen.

 

Das Wissen wurde von dem Vater an den Sohn weitergegeben und war verbunden mit heiligen Zeremonien, um den Ahnherrn versöhnlich zu stimmen, wenn sie sein Geschenk bearbeiteten. Im Grunde wurden alle Dinge, die sie benutzten, mit Gebeten bedacht. Selbst für eine einfache Schale wurde ein Gebet geflüstert, um sich zu bedanken und zu beteuern, dass man sie auf die richtige Art nutzen würde. Diese kleinen Gedanken und Gebete waren den Menschen in Fleisch und Blut übergegangen. Es zeigte, wie winzig sie in den Augen des Schöpfers waren und wie sehr sie von all den Dingen abhängig waren, die sie umgaben. Gleichgültig, ob es das Schilf am Ufer, die Pflanzen oder Tiere des Waldes oder die fliegenden Geschöpfe am Himmel waren. Ohne die Beeren, die im Frühling wieder wuchsen, die Störe, die im Frühling zurückkehrten, oder die Rotkehlchen, die mit ihren vollgefressenen Bäuchen das Nahrungsangebot ergänzten, waren sie nichts. Wenn ein Wirbelsturm die Gärten verwüstete, wurde das Überleben im Winter schwierig, ebenso wenn der Winter das Land zu lange in seinen Klauen hielt. Schon früh lernten die Kinder, der Natur und ihren Geistern Respekt entgegenzubringen und sich durch Visionen und Träume zu schützen. Machwao wusste, dass er sich reinigen musste, ehe er aufbrach, die grünen Steine zu holen. Und er würde mit dem Medizinmann reden, wann ein guter Zeitpunkt wäre.

Er wandte sich dem Bug des Kanus zu und überprüfte die hochgezogene Rundung. Es sah gut aus! Sorgsam platzierte er die Rinde daran und zog sie über den Rand. Seine Mutter begann sofort, die noch weiche Rinde mit ihrer Knochenahle an der späteren Naht zu durchlöchern, ehe die Rinde trocknete und zu hart wurde. Wenn es warm blieb, würde die Rinde schnell hart und steif werden.

Machwao ließ die Frauen allein und half seinem Onkel dabei, Planken aus seinem Baumstamm zu schlagen. Sein Onkel wollte ebenfalls ein Kanu bauen und war spät dran. Aber die Birkenrinde war bereits weich und ebenso die langen Stangen, die den Kanu die Form gaben. Nun brauchte er nur noch die Planken einweichen und biegen. Es war harte Arbeit und so war die Unterhaltung zum Erliegen gekommen. Machwao half seinem Onkel bei der nächsten Planke und erhielt ein besonders breites Stück Holz. Sinnend hielt er es in den Händen und lächelte schließlich. „Ich werde dieses Holz der Frau von Awässeh-neskas geben. Sie erwartet ein Baby und braucht dieses Brett vielleicht für eine Babytrage.“

Der Onkel nickte ebenfalls. „Gute Idee. Es ist schön flach, aber auch stabil. Wie gemacht für eine Babytrage. Wahrscheinlich hat Mäc-awätok deine Hand geführt, weil du an deinen Freund gedacht hast.“

Machwao hielt das Holz in den Händen und drehte es hin und her. Es musste nur noch ein wenig mit einem Stein glattgeschliffen werden und dann wäre es wirklich sehr geeignet, um als Unterbrett für eine Babytrage herzuhalten. Er hatte tatsächlich an seinen Freund gedacht und so riss er erstaunt die Augen auf. Er musste vorsichtiger mit seinen Gedanken sein. Vielleicht „erträumte“ er sich sonst eine Ehefrau. Er gluckste in sich hinein und überlegte, warum ihm dieser Gedanke gerade Angst gemacht hatte. Wollte er keine Ehefrau? Oder schützte er sich, um nicht abgewiesen zu werden? Andererseits hatte sein Herz bisher noch nicht für ein Mädchen höher geschlagen.

Im Grunde wäre er sogar zufrieden, wenn seine Familie endlich ein Mädchen für ihn erwählte, dann müsste er sich nicht mit einer Entscheidung quälen. Er galt als schüchtern und so wusste er nicht wirklich, wie er bei den Besuchen von anderen Familien die Aufmerksamkeit der unverheirateten Mädchen auf sich lenken sollte. So viele Begegnungen mit möglichen Ehefrauen gab es nicht.

Sein Onkel hatte seine Erheiterung bemerkt und stieß ihn von der Seite an. „Was?“

Machwao riss sich aus den Gedanken los und grinste leicht.

„Nichts! Ich dachte nur an Awässeh-neskas und seine Frau. Ich freue mich auf das Baby der beiden. Wem es wohl ähnlich sehen wird?“

Der Onkel runzelte nachdenklich die Stirn. „Wer weiß? Vielleicht erwählt auch einer unserer Vorfahren die beiden als seine Eltern und kehrt zu uns zurück.“

Machwao gefiel der Gedanke. „Ja, das wäre schön!“ Nicht jedes geborene Kind war eine Wiedergeburt, aber manchmal zeigte ein neues Leben ganz klare Persönlichkeitsmerkmale einer verstorbenen Person, und das erforderte sehr viel Fürsorge und Achtsamkeit von den Eltern.

Kinder waren ein Mysterium, das ganz nahe bei Mäc-awätok stand.

* * *

Am nächsten Tag brach Machwao bereits vor der Dämmerung auf, um zu jagen. Er hatte schlecht geschlafen und so wollte er den angebrochenen Tag nutzen. Außerdem wollte er sicherstellen, dass seine Familie genug zu essen hatte. Das Gerüst für das Trockenfleisch war leer. Seine Reise würde mehrere Tage dauern und wenn er noch etwas Fleisch brachte, dann konnte seine Mutter die verbliebenen Herbsttage zum Trocknen des Fleisches verwenden. Er fröstelte etwas, als er leichtfüßig durch den Wald lief und die Umgebung des Dorfes verließ. Die Gegend war leicht hügelig und dicht mit Wald bewachsen. Der Boden war feucht und verschluckte seine Tritte. Er folgte einem Wildwechsel und entfernte sich eine gute Strecke, ehe er schließlich auf einen Baum kletterte, um sich auf die Lauer zu legen. Unter ihm breitete sich eine kleine Lichtung aus, die mit weichem Gras bewachsen war. Wenn er Glück hatte, dann würde ein Hirsch oder ein Elch hier zum Äsen herauskommen. Er lehnte im Geäst des Baumes und hörte auf die ersten Vogelstimmen. Er war müde und kämpfte ein bisschen gegen das Einschlafen. Erste Sonnenstrahlen traten durch die Zweige und wärmten ihn, was seine Müdigkeit eher noch verschlimmerte. Er konnte nicht sagen, warum er so schlecht geschlafen hatte, denn er konnte sich an seine Träume nicht erinnern. Wenn sie wiederkehrten, würde er besser aufpassen und hinhören!

Aber er nickte tatsächlich ein wenig ein und wäre fast vom Baum gestürzt, wenn sich nicht ein Vogel auf dem Ast neben ihn gesetzt hätte. Der Beinahe-Sturz machte ihn hellwach und er balancierte sein Gleichgewicht wieder aus. Die winzige Bewegung vertrieb den Vogel und Machwao sah ihm nach, als er in den Wald flatterte.

Dann erregten zwei junge Schwarzbären seine Aufmerksamkeit. Die jungen Bären purzelten spielend und raufend auf die Lichtung und schienen die Welt um sich herum vergessen zu haben. Obwohl er wusste, dass er heute keinen Jagderfolg mehr haben würde, blieb Machwao sitzen und beobachtete die Szene. Amüsiert sah er dem Spiel der kleinen Bären zu, die fast wie kleine Kinder herumtollten und tapsig wie junge Hunde waren. Schließlich kam die besorgte Bärenmutter und führte die beiden Jungen zurück in das schützende Dickicht des Waldes. Machwao lächelte entspannt und kletterte wieder den Baum hinunter. Die Bären waren ein gutes Zeichen! Jetzt konnte er beruhigt seine Reise planen. Er würde am nächsten Tag erneut zur Jagd gehen, aber er wusste, dass Mäc-awätok seine Gründe gehabt hatte, ihm heute die Bären zu schicken.