Blutige Straßen

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August 2002

In der Biker-Community verbreitete sich die Nachricht schnell, dass sich die Solo Angeles als Mesa Bobs Gäste in Arizona aufhielten, und sich ein waschechtes Member in Bullhead City aufhielt. Doch Bird musste vorsichtig sein und dem Protokoll folgen. Es war wichtig, sich die Genehmigung zum Tragen der Solo Angeles-Kutte von Donald Smith (alias „Smitty“) einzuholen, dem altgedienten Member der Arizona Nomads. Der kräftig gebaute Mechaniker regierte angeblich die Stadt und erfreute sich einer geradezu harmonischen Beziehung zu den dortigen Strafverfolgungsbehörden.

Die Entscheidung, Smitty zu treffen, erfolgte eher aus strategischen denn aus praktischen Beweggründen – wenn Bird nicht zufälligerweise scharf auf eine Kugel im Rücken war. Smitty mochte es nicht, wenn jemand seine Führungsposition in Frage stellte.

Bird kannte den Typen noch aus seiner Zeit als Waffenschieber. Nun musste er Smitty und seiner kriminellen Gefolgschaft erklären, warum er ihn neun Monate lang getäuscht und angelogen hatte und ihm nicht erklärte, dass er in Wahrheit ein Outlaw-Biker sei.

„Frag Smitty, warum ich nicht mehr im Club bin“, riet ihm Dave B., ein ehemaliger Hells Angel, nachdem er einen Schluck aus Birds Bierkrug genommen hatte. Die beiden saßen in O’Learys Bar in Bullhead City. Dave war ein stämmiger Typ mit einem verschwitzten roten Gesicht, das bei der spärlichen Beleuchtung einem Lötkolben auf vollen Touren glich. Er drehte die Hand um und zeigte Bird das Death-Head-Tattoo. Unter dem Logo stand „out date“, womit er signalisierte, dass er nicht mehr zum Club gehörte. Offensichtlich hatte er Smitty in seiner Führungsrolle herausgefordert. Einige Zeit später verriet Smitty Bird im „Vertrauen“, dass Dave eines „natürlichen Todes“ gestorben sei. Angeblich hatte er aber vorher Smitty seine Bike-Papiere zur „sicheren Aufbewahrung“ überlassen.

Bird und Carlos trafen sich mit Smitty in seinem „Heiligtum“, dem Inferno, zum Abendessen. Smitty brachte sein Pixie-ähnliches Weib Lydia und das Hells Angels Member Chef Boy Are Dee mit. Zufrieden, dass die Solos Mesa Bobs Segen hatten, sich in Bullhead City breitzumachen, gab er sein Okay zum Tragen der Kutte. Allerdings machte er ihnen eins unmissverständlich klar: Er mochte den Tod nicht, außer, wenn er ihn befahl!

Kapiert! Erstaunlicherweise hatten sich die Solo Angeles innerhalb nur weniger Wochen die Sympathie von zwei Hells Angels-Anführern verdient und zugleich die Erlaubnis eingeholt, in dem Bundesstaat Geschäften nachzugehen.

Jetzt stand eine Dankesbekundung auf der Tagesordnung. Auf Birds Anweisung hin ließ Rudy den Hells Angels von den Solos ein „Danke“ zukommen, und zwar in Form von 500 Dollar für den „Verteidigungsfonds“, der für die juristische Unterstützung von Mitgliedern eingesetzt wurde. Es war nur eine Geste, die sich aber für das Team in der Zukunft als wichtig herausstellen sollte, denn damit hatten sie sich das Vertrauen der Angels verdient. Eine zuvorkommende Attitüde war ein bedeutendes Merkmal für Respekt. Mit ein wenig Glück besänftigte das Team durch so einen Schachzug auch die wahren Solo Angeles in Mexiko, deren Unmut sich wegen der Präsenz des Nomad Chapters in Bullhead City regte. Eines Morgens erfuhren die Agenten bei einigen Waffeln, dass Rudy sich nicht die Genehmigung des Mutter-Chapters in Tijuana eingeholt hatte. Das überraschte allerdings kaum jemanden. Offiziell durften die Solos also ihre Nomads-Abzeichen nicht in Arizona sehen lassen.

Eiligst arrangierten Bird, Carlos und Rudy ein Meeting mit „Teacher“, einem alten Member der Solos, das in Sylmar, Kalifornien, lebte. Sie verbrachten zwei Stunden mit mühseligen Erklärungen und heuchlerischen Entschuldigungen, warum sie das Territorium der Solos ohne Erlaubnis verletzt hatten. Teacher bestand darauf, dass die neuen Nomads den Verstoß gegen die Club-Regeln sühnen und nach Tijuana fahren sollten, um dort „Suzuki“ zu treffen, den internationalen Präsidenten des Clubs.

„Da scheiß ich doch drauf“, wütete Beef und schlug dabei mit der Faust auf den Tisch.

„Uns bleibt gar keine andere Wahl“, lenkte Bird ein.

„Ich entsende doch keine Bundesagenten für einen Grenzübertritt und lasse sie in einem anderen Land Outlaw-Biker spielen“, kochte Beef, wobei sich in seinem Kopf die Gedanken drehten, denn so ein Unternehmen erforderte ausreichende Logistik, Sicherheit und eine komplizierte rechtliche Absicherung. Es war schon schwierig genug, ein Überwachungsteam in Arizona zusammenzutrommeln, das die Agenten unterstützte und für ihre körperliche Unversehrtheit sorgte. Solch eine Task-Force für ein anderes Land aufzustellen, provozierte regelrecht Ärger und Probleme. Beef wollte auf gar keinen Fall die Kontrolle über die Mission verlieren oder das Risiko einer Enttarnung der Männer außerhalb der USA eingehen.

„Das musst du nicht“, beruhigte ihn Bird. „Wir schicken Rudy und Pops.“

Pops stellte nicht die perfekte Wahl dar, da nur fünf von insgesamt 170 Mitgliedern der Solos Weiße waren. Doch die Männer hatten nur wenige riskante Optionen. Südlich der Grenze durfte man Pops und Rudy nicht mehr überwachen. Die Kontrolle der Informanten war ein wichtiges Element, denn so etwas wie Vertrauen gab es einfach nicht. Beef stand kurz davor, diese Grundregel zu brechen, was ihm schon jetzt Gewissenbisse bereitete. Die Stimme des Vorgesetzten Gordon dröhnte noch in seinem Kopf: „Ich kann die Operation jederzeit abblasen.“

„Wenn du bei dem Trip Scheiße baust, wirst du die Innenseite eines Gefängnisurinals auslecken!“, warnte er Rudy bei den Vorbereitungen. Diesen Informanten musste man ständig an seine Pflichten und die Verantwortung erinnern!

„Denk noch nicht mal daran, mit denen zu fahren“, meinte Beef, den Finger auf Bird gerichtet. In den Augen des Operationsleiters zeigte sich die nackte Panik und Verzweiflung. Bird wusste, dass er sich momentan eine Antwort verkneifen musste, doch in einem kurzen, abgedrehten Moment dachte er an das Undenkbare. Wer würde es schon mitkriegen, wenn er mal kurz über die Grenze fuhr? Beef kannte Bird viel zu gut, wusste, dass sein Mann sich dieses Risiko zutraute und eine Exkursion nach Mexiko durchzöge. Und warum auch nicht? Wenn Bird sich schon als Biker ausgab, konnte er mit Sicherheit eine überzeugende Vorstellung bei den echten Solo Angeles hinlegen.

Pops und Rudy erreichten am späten Nachmittag das in Tijuana gelegene Clubhaus der Solo Angeles. Das große freistehende Haus dominierte das Terrain. Ein angenehmer Geruch breitete sich über das Gelände aus. Außer Suzuki befand sich niemand im Gebäude. Der Typ trug einen Schwall schwarzen Haares, hatte einen überdimensionierten Kopf und kleine blutunterlaufene Augen, die die Neuankömmlinge wie Beute musterten. Er vermittelte den Eindruck einer Spinne in ihrem Netz. Totenstille breitete sich aus. Nach einigen Momenten kamen andere Member, ganz heiß auf die Versammlung, „Church“ genannt, und ein wenig neugierig auf die Mitglieder aus den Staaten. Eine wichtige Nacht stand bevor, denn angeblich wollten Mitglieder des Top Hatters Motorcycle Club den Solos beitreten, was bei den Bikern „Patching Over“ hieß. Nicht jedem gefiel es, dass hier Amis abhingen, denn es waren Außenseiter und sie hatten ihre Beiträge nicht gezahlt. Der Begriff Church stand in der Biker-Sprache für offizielle Versammlungen. Man erwartete von Mitgliedern, dass sie ihre Beiträge zahlten, an Versammlungen teilnahmen und an Geschäften des Clubs mitwirkten. Die Organisation verfügte über eine Satzung und feststehende Regeln. Oft bestimmten nicht die Verdienste auf den Straßen den Rang in der Hierarchie, sondern die allgemeinen Erfahrungen. Die „Predigt“ wurde auf Spanisch gehalten, einer Sprache, von der Pops kein Wort verstand.

Danach verdonnerte Suzuki Rudy für die Erlaubnis, ein Nomad Chapter in Arizona zu gründen, zu einer Zahlung von 800 Dollar und belegte ihn aufgrund seiner 3-jährigen Fehlzeit mit einer Geldstrafe. Falls das Nomad Chapter den uneingeschränkten Segen von Suzuki „empfangen“ wollte, nötigte man Rudy dazu, eine Harley Davidson Evolution Sportster springen zu lassen. Dann wären sie quitt. Doch das Schlimmste kam noch! Pops verzog das Gesicht, als Suzuki ihnen den Befehl gab, monatlich einen Repräsentanten nach Tijuana zu entsenden, um an der Church teilzunehmen und Kohle anzuschleppen.

„Wir werden dem Typen kein verdammtes Bike spendieren.“

Beef schaltete auf Stur.


Bullhead City – Oktober 2002

Wochen nach Pops und Rudys Rückkehr aus Tijuana ließen sich die Männer in ihren verschiedenen Rollen regelmäßig in der Stadt sehen. Sie verbrachten die Tage mit dem Abschließen von Drogengeschäften und hingen mit anderen Outlaws ab. Natürlich hechelten sie einer vernünftigen Auszeit hinterher – kurzen Zeitabschnitten, um ohne Unterbrechung zu pennen, den wenigen Stunden, in denen sie freiheraus sprechen konnten, ohne jedes Wort auf die Goldschale zu legen und sich zu ängstigen, dass ein anderer einen Satz falsch interpretierte. In dem Undercover-Haus teilte sich Bird den dreckigen Boden mit Timmy, Carlos und Rudy. Pops kauerte sich lieber in Reichweite der Tür zusammen. Sie hielten abwechselnd Wache, dazu gezwungen, dem jeweils anderen zu vertrauen. Bird konnte nie komplett abschalten. In Momenten totaler Dunkelheit, wo er als einziges Geräusch seinen Atem hörte, nickte er meist nur kurz ein.

Im Zwielicht der Morgendämmerung schnappte sich Bird die Sig Sauer. Eine merkwürdige Stimmung schien den Raum zu erfüllen. Auf dem Pager leuchtete die Uhrzeit grell auf – 3 Uhr. Da war es wieder, ein klopfendes Geräusch in einer Ecke des Raums. Plötzlich hellwach, rappelte er sich auf. Die Venen in seinen Armen hatten sich wie Stahltaue zusammengezogen. Er nahm keine Bewegung im Haus wahr und schaute zur Seite. Wo zum Teufel steckte Timmy? Pops lag beim Fenster und murmelte etwas Unverständliches. Schlief er, oder war er wach? Carlos stand bewegungslos im Flur. Sein Schatten bildete sich auf der langen Wand ab, während er Rudy ins Visier nahm, der in voller Montur auf der Ecke einer Couch saß.

 

Der Schließriegel der Hallentür war kaputt. Sie hing nur noch an einem Scharnier und öffnete sich quietschend im Wind. Für einen flüchtigen Moment fragte sich Bird, ob Rudy die Tür wohl absichtlich aufgelassen hatte. Der Typ war durch und durch unberechenbar, und Bird hegte keine Zweifel, dass er des Verrats fähig wäre. Hatte er sich ohne Wissen des Teams gestern Abend entfernt? Das hätte das Überwachungsteam doch bemerkt, oder etwa nicht?

Mit gezogener Waffe und in gebückter Haltung schlich Bird zur Dusche, die im Dunkeln lag. Wasser tropfte langsam aus dem Hahn und bildete eine kleine Pfütze auf den Fliesen. Atmen. Einfach nur atmen. Kleine Füßchen kratzten über den Boden hinter ihm. Bird schnellte herum. Seine Finger zitterten. Aus einem Reflex heraus hätte er beinahe gefeuert, doch er fing sich trotz der Unsicherheit schnell genug wieder. Er konnte es kaum fassen, als er den Schwanz einer großen Ratte sah, die sich hinter einem Sandsack versteckte.

Ein Streichholz leuchtete im Dunkel auf. Rudy steckte sich eine Kippe an und machte es sich auf der Couch bequem. „Ihr Typen wisst doch einen Scheiß von Rockern“, giftete er, dabei mit dem Kopf in Richtung Tür nickend. Er rieb sich die Nase und zog das Gesicht schmerzverzerrt zusammen. Bird vermutete, dass Rudy der Zinken vom Drogenschnupfen höllisch weh tat.

„Und weißt du, warum? Weil wir Cops und keine Biker sind, du Schwachkopf“, erinnerte ihn Carlos. Die aufgeladene Atmosphäre zwischen den beiden war deutlich zu spüren. Er warf Bird einen wissenden Blick zu. Dieses dumme Arschloch hatte sich Dope von seinem letzten überwachten Kauf abgezweigt und nun den Nerv, das Zeug vor ihren Augen zu sniefen. Mit dem Zeigefinger machte Timmy eine eindeutige Geste an seinem Hals, dabei Bird signalisierend, was eigentlich alle wussten – Rudys Zeit war abgelaufen.

„Du meist, dass du was Besonderes bist“, forderte Rudy Carlos heraus. „Du bist kein bisschen besser als ich. Aus welcher mexikanischen Stadt kommst du überhaupt?“ Er wollte Carlos zu einer Schlägerei provozieren, ganz genau wissend, dass sein Gegenüber Puerto Ricaner war.

„Macht mal halblang, ihr beiden“, warnte Bird und verbarrikadierte die Tür mit einem Sandsack, während er sich einen Plan zurechtlegte.

Sein Blick fiel auf die am Boden liegenden Papierfetzen, die im Licht der nackten, milchigen Glühbirne unheimlich weiß erschienen: Namen der von Smitty ausgewählten Opfern, Gerichtsdokumente und Fotos von einem angepeilten Haus sowie von zu befragenden Zeugen. Smitty hatte Wind von Birds Ruf als Auftragskiller und Schuldeneintreiber bekommen. Die beiden hatten sich einige Stunden zuvor in seinem zugestellten Wohnzimmer getroffen, wo er Bird das Angebot unterbreitete, ausstehende Schulden von Drogendealern klarzumachen. Lydia zog sich während der Geschäftsbesprechung pflichtbewusst zurück, nicht ohne vorher aber durch den schwarzen Perlenvorhang zu verschwinden, um den Männern Bier zu besorgen. Smitty saß auf dem Rand der blutroten Couch, lehnte sich vor, grinste und flüsterte konspirativ in Birds Richtung: „Mach, was du machen musst.“

Bird nickte und strich „Verabredung zu einer strafbaren Handlung“ von seiner gedanklichen Liste. Dann hörte er Smittys Wortschwall weiter zu: „Ich verbrachte meine Zeit mit Arbeit, Saufen, dem Fahren, Frauenaufreißen und damit, ein mieses Arschloch zu sein.“ Doch ein Mann wie Bird ließ sich nicht so schnell einschüchtern. Smitty erinnerte ihn daran, dass er an allererster Stelle Geschäftsmann sei und als solcher eine Kompensation für die „Überweisungen“ kassieren müsse, einen geringen prozentualen Anteil des eingesammelten Gewinns. Von Mord war allerdings nicht die Rede. Smitty würde sich nicht gegen ein kleines Souvenir sträuben, eine Trophäe, um sie der an seiner Wand hängenden Sammlung hinzuzufügen. „Ich spiele mit dem Gedanken, in Mohave-County ein Charter der Hells Angels aufzuziehen. Und ich kann dafür einige fähige Prospects gebrauchen.“ Seine Augen funkelten gierig. Dann bot er Bird eine Sicherheit bzw. einen Vorschuss an, den dieser benötigte. „Du erledigst das für mich, und ich werde dich entlohnen.“

Die Hölle wirst du, dachte Bird. Seine Gedanken drehten sich wie ein Karussell. Scheiße – er hatte Smitty sogar davon überzeugt, dass er ein Auftragskiller war. Doch das wahre Schauspiel stand noch bevor. Irgendwie musste er Smitty klarmachen, dass momentan alles viel zu heiß war, dass sie warten müssten. Im Gegensatz zu den anderen angeblichen Morden – die er mit dem ATF sorgfältig inszeniert hatte – konnte Bird hier die Opfer nicht ansprechen, ihnen verraten, dass es heute ihr Glückstag sei, und ihren Killer (also ihn selbst) verhaften lassen. Verdammt, das hätte die ganze Operation auffliegen lassen. Stattdessen lullte er Smitty ein, versicherte ihm, die Schulden auf jeden Fall einzutreiben, aber erst, wenn es halbwegs sicher sei.

Smitty nickte: „Die Cops haben ein Auge auf dich geworfen.“

Bird unterdrückte ein Grinsen. Die Hampelmänner der örtlichen Polizei hatten damit begonnen, seine Anwesenheit in Bullhead City zu hinterfragen. Sie waren sogar so weit gegangen, Flyer mit seiner Visage zu drucken und sie während der Einsatzbesprechungen unter den Beamten zu verteilen. Die Cops von Beefs Task-Force legten noch einen drauf und beauftragten die „Dorfpolypen“, den Burschen doch genauer unter die Lupe zu nehmen.

Gut! Bird beabsichtigte, das Misstrauen der Cops zu seinem Vorteil zu nutzen. Wenn die Cops ihn schon beobachteten, würden sie gleichzeitig ein Auge auf Rudy werfen, speziell, wenn er ihnen dazu einen Anlass böte. Allerdings musste er sich keine große Mühe geben, denn Rudy hatte schon sein eigenes Grab ausgehoben. Ärgerlicherweise durfte Bird Rudy nicht zu kurz an die Leine nehmen, denn sonst hätte er den Verdacht der Hells Angels auf sich gezogen. Unmöglich, ihn wegen des Drogenkonsums, der Sauferei oder des beschissenen Verhaltens anzupfeifen, denn Rudy war ein Biker und in seiner Rolle musste er das große Arschloch spielen.

„Du erhältst die Befehle von mir, nicht anders herum“, rieb er ihm deshalb unter die Nase. „Ich sage dir, wenn du pissen oder nach Hause gehen darfst. Erinnere dich immer daran. Vielleicht siehst du dann noch in diesem Leben das Tageslicht.“

„Wir müssen ihn da rausholen“, entschied Beef kurz darauf bei einem Treffen im Hauptquartier. Sie brauchten hier keinen beschissenen Informanten, von dem sie wussten, dass er Dreck am Stecken hatte. Obwohl sein Einsatz bei der Infiltration der Biker wichtig gewesen war, leistete er für die Operation momentan keinen sinnvollen Beitrag. Ihn von dem Posten zu entfernen, stellte sie aber vor ein schwieriges Problem. Die Agenten konnten dafür keine örtlichen Cops einsetzen, wenn sie ihnen nicht bedingungslos trauten oder sie gut kannten. Der Problemfall Rudy musste mit Samthandschuhen behandelt werden. Falls der Informant zwitscherte, um seinen miesen Arsch zu retten, würde er sie alle in die Scheiße reiten.

„Es muss völlig unauffällig wirken“, mahnte Bird zur Vorsicht, wohlwissend, dass er durch Rudys Abzug automatisch den formellen Status des Club-Präsidenten innehaben würde – eine Rolle, die ihm den Respekt und sogar die Sympathie der Hells Angels einbrächte.

Letztendlich fällte das ATF die Entscheidung, Rudy aufgrund der ursprünglichen Anklage wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz einzubuchten, durch den sie auf ihn aufmerksam geworden waren: Ein brütend heißer Morgen in Bullhead City. Die Solos fuhren in Viererformation an begehrter erster Stelle hinter den Hells Angels. Sie befanden sich auf dem Weg zu einer Beerdigung des Spartan Motorcycle Clubs. Plötzlich tauchte ein Hubschrauber am Himmel auf. Nachdem die Cops einen anonymen Tipp erhalten hatten, dass Rudy total breit sei, hatten sie ein SWAT-Team zusammengestellt. Die Männer am Boden hielten den Tross an und kreisten Rudy mit im Anschlag gehaltenen Maschinengewehren ein. Das Spezialkommando trug die volle Einsatzausrüstung: Helme, kugelsichere Westen, Schilder und Waffen. Bird war sich sicher, dass keiner der SWAT-Leute auch nur ahnte, dass er sich unter Kollegen befand. Sie hatten den Befehl erhalten, nur Rudy festzunehmen. Trotzdem steckten Bird und sein Team in ihrer Rolle als Informanten in einer ähnlich heiklen Situation. Bird erkannte das Aufblitzen von Panik in Rudys Gesicht, als dieser ihn vorwurfsvoll anblickte. Bird stellte sich in dem Augenblick die Frage, wer denn hier wohl wen verraten hatte.

Rudy wurde unter den aufmerksamen Blicken der Hells Angels verhaftet und mit Handschellen gefesselt. Nur wenige Wochen, nachdem ihn die Cops angehalten und wegen des Besitzes von Zubehör zum Drogenkonsum hochgenommen hatte, wurde er erneut verhaftet – diesmal aufgrund von Verstößen gegen das Waffen- und Betäubungsmittelgesetz. Mildernde Umstände? Fehlanzeige, denn die Cops fanden in seinem Stiefelabsatz nicht unerhebliche Mengen von Methamphetamin.

Später stellten die Medien die Verhaftung Rudys als Kontrollverlust des ATF dar. Niemand lobte die Agenten dafür, dass sie einen ausgetüftelten Plan in die Realität umgesetzt hatten.


Bullhead City – November 2002

Kurz nach Rudys Festnahme gab Beef während einer Besprechung im Pumpkin Patch bekannt, dass Carlos in Miami von seinem dortigen Einsatzteam angefordert worden sei.

„Die können ihn im Moment nicht haben!“, brüllte Bird, genervt von der schlechten Moral der Männer.

„Er war seit eh und je nur eine Leihgabe“, erinnerte Beef die Gruppe, als befände sich Carlos gar nicht im Raum.

„Lieber Gott“, zischte Timmy und schlug dabei mit der Faust auf den Tisch. „Wie sieht das denn aus? Wir haben gerade unseren Präsidenten verloren, und jetzt soll schon wieder ein Mitglied fehlen? Glaubst du nicht, dass die Angels misstrauisch werden?“

Beef stampfte mit gerötetem Gesicht durch die beengte Behausung. Das brachte ihn sichtlich aus dem Konzept. Die Solo Angeles bestanden momentan nur aus zwei Vollmitgliedern.

„Es ist doch nicht so, als würden hier die Freiwilligen Schlange stehen“, giftete Timmy mit hoher Stimme. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Pops ging es nicht viel besser. Mit blassem Gesicht rührte er in einer Tasse Eiskaffee.

„Was schlägst du vor? Wie sollen wir ihn ersetzen?“, fragte Bird zögerlich und sprach damit Beefs Sorgen direkt an. Sie benötigten im Moment einen ausgefeilten Plan und eine Strategie, um die plötzliche Abreise ihres einzigen des Spanischen mächtigen Members zu erklären.

„Wir könnten uns eine List überlegen, bei der er angeblich ums Leben kommt“, schlug Beef laut denkend vor. „Wir erklären den Angels, dass er sich beim Waffenschmuggel in Mexiko um einen Telefonmasten gewickelt hat. Dann verklickern wir ihnen, dass wir nach Mexiko fahren, um einen Begräbnisplatz zu kaufen und uns um die Abwicklung der Beerdigung zu kümmern. Währenddessen sorgen wir für Verstärkung.“

Dieser Plan beeindruckte jedoch niemanden.

Am folgenden Morgen saß das Team zum Essen im Waffle House. Hier erzählte Pops ihnen eine Story. In Kingman, Arizona, lebte ein Mongol, für den einige Associates arbeiteten. Es waren sogenannte Geheimmitglieder, die der Mongol rekrutiert hatte, um Prospects der Angels einzuspannen, damit sie Meth der Mongols vertickten. Bird nutzte das Wissen, um mittels E-Mails wahre, jedoch unvollständige Informationen über die Aktivitäten der Mongols in Tijuana während der letzten Woche zu verbreiten: „Es geht immer darum, dass Kriminelle falsche Rückschlüsse, basierend auf korrekten Infos, ziehen.“

Bird präsentierte Smitty die E-Mail eine Woche später auf dem Blemont-Motorrad-Treffen in der Hoffnung, das schwelende Feuer zwischen den Engeln und den Mongols auflodern zu lassen. Ein wichtiges Element der Operation Black Biscuit bestand darin, mit den Hells Angels eine Allianz gegen einen gemeinsamen Feind, einen Parasiten, zu schmieden. Die Beziehung zwischen Bird und Smitty war an sich schon harmonisch, denn der Biker hatte dem Neuling dummerweise sein Vertrauen geschenkt, indem er ihm die Erlaubnis zum Schuldeneintreiben gegeben und Mordaufträge initiiert hatte. Wenn Bird Smitty mit exklusiven Informationen über die von den Angels am meisten gehassten Rivalen fütterte, würde das seinen Status im Biker-Club erhöhen – ihn von einer Vertrauensperson zu einem möglichen „Bruder“ der Hells Angels machen, einem Typen, mit dem man stets zufrieden ist.

 

Das Täuschungsmanöver traf ins Volle. Smitty zeigte sich besorgt über die zunehmende Bedrohung durch die Mongols und machte ihn mit einem anderen Member bekannt. Sie trafen den zukünftigen Vizepräsidenten Silent Steve im Wild Bills, einer Spelunke, in der die Biker abhingen. Dankbar für den Hinweis, bot Silent Steve Bird seine Tochter im Teenageralter als „nette Begleitung“ an.

„Sie eignet sich gut, um mit Bird abzuhängen“, bestätigte Lydia und kniff in den Arm des Mädchens, als wäre sie ein Stück Fleisch. „Sie hat schon lange darauf gewartet, dich kennenzulernen.“

„Du kommst bei den Brüdern gut an“, ergänzte Smitty.

Bird nahm einen großen Schluck Bier. Die Übelkeit drehte seinen Magen um. Er registrierte die gespielte verführerische Pose der Kleinen, registrierte ihre blassen Wangen und die dünnen aufgeplatzten Lippen. Sie musste ungefähr so alt sein wie seine eigene Tochter. Eine Welle des Mitleids überkam Bird. Er hätte sie am liebsten gerettet und gleichzeitig Silent Steve erwürgt. Stattdessen ignorierte er die Avancen des Mädchens und erklärte mit einem witzelnden Unterton: „Versteht das nicht falsch, aber ich mache nicht mit Minderjährigen rum. Sie ist noch nicht mal alt genug für einen Führerschein.“

„Hey Mann, wenn sie alt genug ist, um gerade am Tisch zu sitzen, dann ist sie auch alt genug zum Essen“, erwiderte Silent Steve und zuckte mit den Schultern.

Bird schüttelte den Kopf und meinte, schon ein Auge auf eine andere Mieze geworfen zu haben.

Smitty grinste vielsagend: „Die blonde Tussi, mit der ich dich in Kalifornien am Strand gesehen habe?“

Bird fuhr ein Schreck in die Glieder. Durch einen glücklichen Zufall hatten er und Special Agent JJ9, ein kecker und spritziger Neuzugang beim ATF – er hatte sie zuvor bei einer Fortbildung kennengelernt –, Smitty und Lydia am Strand von San Diego erspäht. JJ, frisch vom College und der Academy, schlüpfte mühelos in die Rolle von Birds aktueller „Errungenschaft“. Sie war perfekt, noch völlig unbelastet von dem ganzen Regierungsscheiß, hatte aber noch kein Gespür dafür, dass die Angels die Inkarnation des Bösen darstellten. JJ empfand die Biker wie ein unschuldiges Mädchen aus einer Studentinnenverbindung – wie Typen aus der Bruderschaft, allerdings mit Messern bewaffnet. Unglücklicherweise war sie im besten Fall nur eine Zweitbesetzung, denn die nervösen Anzugträger wollten der unerfahrenen Frau keine Hauptrolle zuschreiben. Sie hatte noch nie undercover gearbeitet, wusste nichts vom Leben der Biker und stellte alles in allem ein viel zu großes Risiko dar. Aber sie sah umwerfend aus – viel Holz vor der Hütte und blond!

„Das will sie garantiert hören – dass man sie wegen ihrer Titten auswählt“, scherzte Beef. „Sie trägt einen netten Kopf auf ihren Schultern“, bestätigte Smitty, als würde Bird seine Zustimmung interessieren. „Ich mag die Mieze nicht, die Timmy anschleppte. Die kennt viel zu viele Leute, Cops sogar namentlich. Ich muss sie irgendwie loswerden.“

„Wenn sie dir eine Mieze zukommen lassen, muss ich auch eine haben“, hatte Timmy Bird gedrängt. Timmys Trotzverhalten kostete sie dann beinahe den Auftritt in Belmont. Es war eine Schande, dass er niemals daran dachte, seine „ausgeliehene“ Undercover-Detective-Tussi zu kontrollieren und sie daran zu hindern, eine schwarze Boa zu tragen. Denn für eine Fahrt auf dem Sozius einer Maschine stellte das sicherlich nicht die geeignete Kleidungswahl dar.

„Ich bin mir sicher, dass sie es jetzt checkt“, lachte Carlos, denn die Boa hatte sich um den Auspuff und das hintere Rad gewickelt, weshalb Timmy den Bock bei einem Haufen Kakteen verstecken musste. Doch er hatte Glück im Unglück. Der ATF-Trailer parkte nur wenige Meilen vom Biker-Treffen entfernt. Nach einigen unschönen Sprüchen gewährte Beef dem Jungspund ein Ersatz-Bike und verfrachtete seine Maschine zur Reparatur.

Das Gequatsche über Frauen langweilte Smitty schnell. Er wollte den neuen Vertrauten beeindrucken und prahlte von seinen Leistungen, erklärte, dass es nur gerecht und angemessen wäre, wenn er der neue Präsident des Nomad Chapter der Hells Angels in Mohave würde. Smitty hatte beim Zwischenfall in Harrah’s Casino in Laughlin seine Schuldigkeit getan. Er diente den Hells Angels als Scout, jagte Mongols und war bereit und willens, den Feinden ohne die geringste Provokation „die verdammten Köpfe wegzupusten“. Frei heraus sagte er zu Bird: „Das tun Brüder füreinander – sich gegenseitig als menschliche Schutzschilde zu bewachen. Darum dreht sich doch die ganze Sache.“

Bird nickte. Er verstand, was Smitty mit „der Sache“ meinte. Doch er vergaß nie seine Rolle in diesem Spiel – die Hells Angels waren keine Verbündeten.

„Die töten euch im Bruchteil einer Sekunde“, erinnerte Beef das Team und schnippte mit den Fingern. „Genau so!“

Bird machte sich wenige Tage später bei der „Fünfjahresfeier“ der Angels im Mesa-Clubhaus die Gelegenheit zunutze, um „die Sache“ weiter voranzutreiben. „Okay, du kannst Marla10 mitnehmen“, erlaubte ihm Beef und stellte Bird seine offiziell genehmigte „Freundin“ vor. ATF Special Agent Marla Holmes. Bird hatte sich schon oft darüber beschwert, dass ihm die Regierung keine weibliche Matratze zukommen ließ. Das musste schleunigst geschehen, den die Anzugträger kämen in Erklärungsnot, wenn er im Zeugenstand aussagen würde, die Offerten dauernd abgelehnt zu haben – ohne dass dieses Verhalten von den Hells Angels sanktioniert worden war. „Wir müssen behaupten können, dass ich haufenweise Weiber flachgelegt habe, um meine Tarnung nicht auffliegen zu lassen“, drängte Bird den Vorgesetzten Beef. Das ATF – wie hätte es auch anders sein können – hatte zuerst mit Ablehnung reagiert, denn eine weibliche Agentin war nicht nur teuer, sondern angeblich auch unnötig, ein Luxus.

„Und was für einen Preis will das ATF für Dummheit bezahlen?“, warnte Bird. Ob man es mochte oder nicht – Frauen stellten in der Welt der Biker den ultimativen Test dar. Bird konnte sich vor den Drogen drücken, sich damit entschuldigen, dass er nie das Geschäft mit dem Vergnügen vermischte, doch Frauen – das war eine andere Geschichte! Kein halbwegs heißblütiger Amerikaner verweigerte bei den Angels Sex und kam damit ungestraft davon. Außer … er hatte schon eine eigene Alte, die man auch sehen konnte, nicht ein Phantom, das in Tucson mit zwei Kindern lebte, die er so gut wie nie sah. Wenigstens würde eine weibliche Agentin Barbaras Eifersüchteleien abmildern.

Zwar hatte sie das Thema noch nicht direkt angesprochen, doch Bird brauchte im Moment nicht noch einen weiteren Streitpunkt zwischen ihnen, nicht noch mehr Unsicherheiten und eine bedrückende Stille. Während der kurzen Erholungspausen mussten sie lernen, wieder eine Beziehung herzustellen. Er verkörperte den schemenhaften Ehemann/Vater, der willkürlich in das Familienleben eindrang und fast so schnell auch wieder verschwand. In der Zwischenzeit versuchte er die stinknormale Routine mitzuleben – Rasenmähen oder dem Sohn bei den Hausaufgaben helfen. Zeitweise empfand er jedoch das „normale“ Dasein eher als Undercover-Leben, als gespielte Identität, als seine Arbeit.

Vielleicht hätte Bird etwas genauer sein müssen, als er beim ATF die Situation beschrieb: Ihm schwebte eine Frau vor, die ihn nicht direkt ins Grab beförderte. Bird begutachtete Marla Holmes mit einem kritischen Blick. Ihm drehte sich förmlich der Magen um, denn sie war nicht aus dem Material gemacht, aus dem Biker-Bräute gebaut werden – sie war in die Jahre gekommen und stank nach Cop. Steif! Groß! Schlaksig! Selbstbewusst schüttelte sie Birds Hand, wobei sich ihr kurzes Haar kaum bewegte. Marla hatte in ihrer gesamten Laufbahn niemals undercover gearbeitet. Sollte Bird jetzt den Ausbilder spielen? Er warf Beef einen vorwurfsvollen Blick zu und sagte zu Marla: „Lass uns das hier erst mal langsam angehen. Mal sehen, wie es läuft.“

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