Untreue von Betriebsräten gegenüber Arbeitnehmern

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I. Arbeitsgerichtliche Realität

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Hierzu seien beispielhaft zwei arbeitsgerichtliche Entscheidungen erwähnt. In beiden Fällen hatte der Betriebsrat anlässlich einer geplanten Betriebsänderung mit dem Arbeitgeber Vereinbarungen gemäß § 112 BetrVG[9] abgeschlossen, die die Modalitäten der Betriebsänderung mitgestalten sollten (sog. Interessenausgleich).

1. Urteil des LAG Köln 2004

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Im Jahr 2004 hatte das Landesarbeitsgericht Köln[10] in zweiter Instanz[11] im Rahmen einer Kündigungsschutzklage folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Der Betriebsrat eines größeren Unternehmens, das einer hohen Anzahl von Mitarbeitern kündigen wollte, hatte den Abschluss eines Interessenausgleichs, der die bei geplanten Kündigungen für gewöhnlich notwendige Betriebsratsanhörung ersetzt, davon abhängig gemacht, dass bestimmte Mitarbeiter (und zwar die, die der „richtigen Gewerkschaft“ angehörten) von der sogenannten Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG[12] gestrichen und damit nicht gekündigt werden sollten. Die Arbeitgeberseite war darauf eingegangen und hatte den übrigen Arbeitnehmern unter Berufung auf den Interessenausgleich gekündigt. Sich auf einer solchen Namensliste wiederzufinden, bedeutet für den gekündigten Arbeitnehmer in einem möglichen Kündigungsschutzprozess erhebliche Nachteile: So besteht in diesem Fall gemäß § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG die gesetzliche Vermutung, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Zudem kann die soziale Auswahl gerichtlich nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden, § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG.

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Das LAG Köln hat hier entschieden, dass der Betriebsrat mit diesem Verhalten gegen seine Pflichten aus § 75 Abs. 1 BetrVG verstoßen hatte. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von im Betrieb tätigen Personen aus Gründen u.a. ihrer gewerkschaftlichen Betätigung unterbleibt. Den Verstoß gegen § 75 Abs. 1 BetrVG hat das LAG Köln als Verletzung eines Verbotsgesetzes i.S.d. § 134 BGB behandelt und damit den gesamten Interessenausgleich für nichtig erklärt. Damit waren alle Kündigungen der vom Interessenausgleich betroffenen Arbeitnehmer mangels Anhörung des Betriebsrats, die durch den (nunmehr nichtigen) Interessenausgleich ersetzt worden war, unwirksam geworden.[13]

2. Urteil des LAG Sachsen 2008

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Anders hat das Sächsische Landesarbeitsgericht[14] im Jahr 2008 einen ähnlich gelagerten Sachverhalt bewertet: Einzelne Mitglieder des Betriebsrats hatten einem Interessenausgleich inklusive Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG im Zusammenhang mit einer Massenkündigung nur unter der Bedingung zustimmen wollen, dass ihre eigene künftige Stelle mit einer höherwertig klingenden Bezeichnung versehen wurde, damit ihre Chancen bei potentiellen Bewerbungen sich dadurch erhöhten. Dies sagte die Arbeitgeberseite zu unter der Voraussetzung, dass diese Betriebsratsmitglieder ihren Widerstand gegen den Interessenausgleich aufgeben würden. Hierauf ging der Betriebsrat ein, die Kündigungen der auf der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmer wurden ausgesprochen. Das LAG Sachsen hat darin zwar eine verbotene Begünstigung der Betriebsratsmitglieder gemäß § 78 S. 2 BetrVG gesehen, die das Grundgeschäft (die Begünstigung) vernichte. Gleichwohl habe dies aber nicht die Nichtigkeit des Interessenausgleichs als solchen zur Folge. Denn die Begünstigungsvereinbarung wirke nur zwischen dem Arbeitgeber und den einzelnen begünstigten Betriebsratsmitgliedern, erfasse aber nicht auch den zwischen Arbeitgeber und dem Betriebsrat als Gremium vereinbarten Interessenausgleich. Dabei stützt sich das Gericht darauf, dass der Inhalt des Interessenausgleichs nicht beeinflusst worden sei, da die vom Betriebsrat gestellte Bedingung keinen Eingang in den Interessenausgleichsvertrag gefunden habe. Dass diesem aber nur aufgrund der vorher ausgehandelten Begünstigung einiger seiner Mitglieder überhaupt vom Betriebsrat zugestimmt wurde, berücksichtigt das Gericht nicht. Die Kündigungsschutzklage wurde abgewiesen.[15]

Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › A. Einführung in die Problematik und Ausblick auf den Gang der Untersuchung › II. Strafrechtliche Annäherung

II. Strafrechtliche Annäherung

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Während im ersten Fall aufgrund der Kündigungsschutzklage ein Arbeitsplatzverlust gerade noch abgewendet werden konnte, bedeutet die Bestätigung der Kündigungen im zweiten Fall eine erhebliche existenzielle Problematik mindestens für einige der gekündigten Arbeitnehmer.

10

Hierfür maßgeblich verantwortlich war mit dem Betriebsrat ein arbeitnehmernahes Organ der Betriebsverfassung, dessen Mitglieder nach den Feststellungen des Gerichts ihr Amt verbotenerweise zur Besserstellung von Gewerkschaftskollegen, bzw. zu ihrer eigenen Besserstellung benutzt haben.

11

Unbefangen betrachtet liegt es in solchen Fällen nahe, einen Vermögensschaden der gekündigten Arbeitnehmer anzunehmen, der maßgeblich durch einen Verstoß des Betriebsrats gegen gesetzliche Vorschriften entstanden ist. In derartigen Konstellationen, wo die Pflichtverletzung eines zu fremdnützigem Verhalten Verpflichteten[16] einen Vermögensverlust desjenigen zur Folge hat, der von der verletzten Pflicht eigentlich profitieren sollte, drängt sich im Regelfall die Prüfung nicht nur zivilrechtlicher,[17] sondern auch strafrechtlicher Konsequenzen, namentlich die Prüfung des Untreuetatbestandes gemäß § 266 Abs. 1 StGB,[18] auf. Aber in den entschiedenen Fällen haben sich weder Schadensersatzklagen von benachteiligten Arbeitnehmern, noch gar staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren angeschlossen.

12

Den Unbefangenen mag es erstaunen, dass Vorgänge wie die geschilderten außerhalb der arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzklageverfahren, im Rahmen derer sie offenbar geworden sind, bisher ohne Bedeutung in der strafgerichtlichen Praxis geblieben sind und auch, dass selbst das strafrechtliche Schrifttum sich zur Frage einer möglichen Strafbarkeit von Betriebsräten wegen arbeitnehmerschädlichen Verhaltens weitgehend einhellig zurückhält.

13

Der Grund dafür ist unter anderem im besonderen Charakter des hier betroffenen Arbeitsstrafrechts als Teilgebiet des Wirtschaftsstrafrechts[19] zu suchen. Das klassische Arbeitsstrafrecht dient vorrangig dem Arbeitnehmerschutz: Arbeitgeber und ihre verantwortlichen Führungskräfte machen sich strafbar, wenn sie die Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften nicht gewährleisten.[20] Auch wenn im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz auch Delikte von Seiten des Arbeitnehmers vorkommen, so findet Arbeitsstrafrecht im Wesentlichen im Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer statt. Die Kollektivmächte wie Gewerkschaften oder Belegschaftsvertretungen stehen hier üblicherweise außen vor, da ein Bedürfnis für die Anlegung strafrechtlicher Maßstäbe überwiegend nicht gesehen wird. Vielmehr herrscht häufig die Auffassung, das kollektive Arbeitsrecht sei ein weitgehend rechtsfreier Raum, in welchem zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat alles „gedealt“ werden kann und alles frei verhandelbar ist.[21] Jede Einflussnahme von außen soll deswegen tunlichst unterbleiben, selbst wenn sie lediglich in der Mahnung der Verhandlungspartner zur Rechtstreue besteht. Diese Haltung wird von Seiten des Gesetzgebers durchaus gestützt, denn Möglichkeiten zur Kontrolle der Rechtstreue des Betriebsrats oder gar effektive Sanktionen für Rechtsverstöße des Betriebsrats sucht man in der Betriebsverfassung vergeblich, wie später ausführlich gezeigt werden wird.

14

Dass die Unwahrscheinlichkeit einer Sanktion die Wahrscheinlichkeit eines Fehlverhaltens steigen lässt, wie Preis in diesem Zusammenhang unwidersprochen feststellt,[22] wird im Hinblick auf die absolute Autonomie der Betriebsparteien offenbar in Kauf genommen.

15

Ihre Grenze scheint diese absolute Autonomie der Betriebsparteien allerdings in neuerer Zeit zunehmend dann zu finden, wenn das Unternehmen selbst in erheblichem Umfang geschädigt wird. Unter Rückgriff auf die allgemeinen klassischen Wirtschaftsstraftatbestände, und hier insbesondere die Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB, wurden in jüngerer Zeit durchaus auch Arbeitnehmervertreter strafrechtlich verfolgt und mitunter auch verurteilt.[23] Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass hier stets allein die Vorsitzenden der Arbeitnehmervertretungen zur Verantwortung gezogen worden sind, und zwar für ein Verhalten, das auch ausschließlich ihnen selbst einen Vorteil verschaffte, während die übrigen Mitglieder des Betriebsrats keinerlei strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt waren.

16

Eine demgegenüber nochmals verschärfte strafrechtliche Intervention würde es daher bedeuten, wenn die Betriebsratsmitglieder selbst als Teile eines Gremiums für einen rechtswidrigen arbeitnehmerschädlichen Beschluss einzustehen hätten. Für eine solche strafrechtliche „Einmischung“ im Fall des durch seinen eigenen Betriebsrat geschädigten Arbeitnehmers wird ganz überwiegend kein Anlass gesehen. Sich strafrechtlich zwischen den Arbeitnehmer und „seinen Betriebsrat“ zu stellen, bedeutet nach wie vor ein Tabu, das zu brechen angesichts der hier vergleichsweise eher unspektakulären Schäden auch nicht als lohnend angesehen wird. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Zurückhaltung angesichts der Arbeitswirklichkeit noch immer ihre Berechtigung hat. Heute sind Koppelungsgeschäfte des Betriebsrats mit dem Arbeitgeber keine Seltenheit,[24] und ebenfalls nicht selten ist es, dass diese Koppelungsgeschäfte auf Kosten der Arbeitnehmer abgeschlossen werden, die in Ermangelung entsprechender Offenlegungsvorschriften häufig noch nicht einmal Kenntnis davon erhalten.

 

17

Volker Rieble[25] und Thomas Lobinger[26] forderten daher in ihren Vorträgen anlässlich der 5. Ludwigsburger Rechtsgespräche des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) die Gewährleistungsverantwortung des Staates zum Schutz der Arbeitnehmer ein und hier insbesondere die Anwendung des § 266 StGB. Die zu erwartenden kritischen Wortmeldungen, die insbesondere Lobinger zu parieren hatte, bezogen sich im Wesentlichen darauf, dass die Autonomie der Betriebspartner im kollektiven Arbeitsrecht die strafrechtliche Einmischung des Staates bereits im Ansatz verbiete,[27] dass sie darüber hinaus auch unnötig sei, da betriebsverfassungsrechtliche Ahndungsmechanismen ausreichten,[28] und zuletzt, dass ohnehin eine Untreuestrafbarkeit des Betriebsrats zu Lasten von Arbeitnehmern schon aus rechtlichen Gründen gar nicht in Betracht komme[29].

Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › A. Einführung in die Problematik und Ausblick auf den Gang der Untersuchung › III. Gang der Untersuchung

III. Gang der Untersuchung

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Die Berechtigung dieser Argumente möchte ich nachfolgend näher untersuchen.

19

Im weiteren Verlauf des ersten Teils werde ich unter B. also die Konzeption des Betriebsverfassungsrechts unter der Fragestellung betrachten, ob sie tatsächlich geeignet ist, den Staat von seiner Strafverantwortung selbst bei vorsätzlicher Schädigung eines Arbeitnehmers generell zu entbinden mit der Folge, dass damit bereits jede nähere strafrechtliche Befassung mit potentiell arbeitnehmerschädlichem Betriebsratsverhalten im Keim zu ersticken wäre.

20

Daran anschließend möchte ich unter C. das zweite genannte Argument, betriebsverfassungsrechtliche oder andere, z.B. zivilrechtliche, Ahndungsmechanismen verböten die Anwendung von Strafrecht als Ultima Ratio, näher beleuchten.

21

Der darauf folgende zweite Teil widmet sich der strafrechtlichen Untersuchung des Betriebsratsverhaltens im Hinblick auf den Untreuevorwurf gemäß § 266 StGB. Die Frage einer Vermögensbetreuungspflicht des Betriebsrats zugunsten der Arbeitnehmer wird hier im Vordergrund stehen. Dabei wird zunächst der Betriebsrat der Einfachheit halber als Kollektiv behandelt, obwohl eine strafrechtliche Ahndung selbstverständlich nur das einzelne Betriebsratsmitglied betreffen könnte. Bei der später unverzichtbaren Konkretisierung auf die strafrechtliche Verantwortung des einzelnen Betriebsratsmitglieds wird auch die Problematik des einzelnen Tatbeitrags innerhalb von Gremienentscheidungen zu behandeln sein.

22

Im dritten Teil sollen kriminalpolitische Überlegungen angestellt werden. Dabei werde ich prüfen, ob es zur Korruptionsbekämpfung angeraten sein könnte, bestimmte gesetzliche Modifikationen im Betriebsverfassungsgesetz vorzunehmen, bevor im vierten und letzten Teil die gewonnen Erkenntnisse thesenartig zusammengefasst werden.

Anmerkungen

[1]

Anders sieht dies aus bei der Frage nach einer Strafbarkeit von Betriebsratsmitgliedern zum Nachteil des Arbeitgebers. Dieser Untersuchungsansatz wird in der Literatur durchaus häufiger verfolgt, vgl. etwa Achenbach Zur Strafbarkeit von Betriebsratsmitgliedern, Einl. S. 2.

[2]

Lobinger Arbeitsstrafrecht im Umbruch, S. 99 ff.

[3]

Zoglmann Rechtspflichten der Betriebsräte, S. 203, 204, 210. Wann ein Pflichtverstoß evident ist, präzisiert er jedoch nicht näher.

[4]

Schönke/Schröder-Perron § 266 Rn. 26. Reaktionen aus der Literatur auf Zoglmanns Ausführungen lagen bei Drucklegung noch nicht vor.

[5]

Vogel Diskussionsbeitrag zum Vortrag Rieble, Arbeitsstrafrecht im Umbruch, S. 17, 44, sieht die Notwendigkeit, das Korruptionsverbot auch im Arbeitsrecht mit strafrechtlichen Mitteln zu schützen. § 266 StGB sei dafür neben § 119 BetrVG derzeit allerdings nur ein Behelf.

[6]

So die Begründung des Gesetzesentwurfs zum Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt 2004, BT-Drucks. 12/2443, S. 149.

[7]

U. Fischer BB 2007, 997, 998.

[8]

Rüthers NJW 2007, 195, 197.

[9]

Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.9.2001, zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 4 G zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 20.4.2013 (BGBl. I, 868).

[10]

LAG Köln Urteil vom 29.7.2004, Az.: 5 Sa 63/04.

[11]

Vorgehend und im Ergebnis gleichlautend: ArbG Köln Urteil vom 5.11.2003, Az.: 10 Ca 5654/03.

[12]

Kündigungsschutzgesetz (KSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.8.1969, zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 2 G zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 20.4.2013 (BGBl. I, 868).

[13]

Gegen die Ersetzung der Anhörung durch die Namensliste: Gaul BB 2004, 2686, 2691.

[14]

LAG Sachsen Urteil vom 27.8.2008, Az.: 2 Sa 752/07; vorgehend ArbG Bautzen Urteil vom 26.2.2007, Az.: 3 Ca 3245/07.

[15]

Rieble Arbeitsstrafrecht im Umbruch, S. 17, 38, sieht die Arbeitnehmer hier „verraten und verkauft“ und fordert ihren strafrechtlichen Schutz. Anderenfalls seien sie vom Staat „im Stich gelassen“.

[16]

Belling Haftung des Betriebsrats, S. 65, 68.

[17]

Wie von Belling Haftung des Betriebsrats, S. 70, nachdrücklich befürwortet.

[18]

Strafgesetzbuch (StGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998, zuletzt geändert durch Art. 1 49. StrafrechtsänderungsG vom 21.1.2015 (BGBl. I, 10).

[19]

Zur begrifflichen Einordnung Brüssow/Petri Rn. 2.

[20]

Rieble/Giesen/Junker Arbeitsstrafrecht im Umbruch, Vorwort, S. 5.

[21]

Rieble/Giesen/Junker Arbeitsstrafrecht im Umbruch, Vorwort, S. 5.

[22]

Preis RdA 2003, 65, 75.

[23]

So wurde der Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende der VW AG Volkert wegen Beihilfe zu einer ihn begünstigenden Untreue des Arbeitsdirektors Hartz verurteilt (zunächst LG Braunschweig Urteil vom 25.1.2007, AZ.: 6 KLs 48/06, im Wesentlichen bestätigt durch BGH Urteil vom 17.9.2009, Az.: 5 StR 521/08, NJW 2010, 92 ff.). Der Vorsitzende der im Betriebsrat der Siemens-AG vertretenen Aktionsgemeinschaft unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB) Schelsky wurde wegen Beihilfe zur Untreue erstinstanzlich vom LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 24.11.2008, Az.: 3 KLs 501 Js 1777/2008) verurteilt, was vor dem BGH jedoch aufgrund des seiner Ansicht nach fehlenden vermögensschützenden Charakters des verletzten § 119 BetrVG keinen Bestand hatte (BGH Beschluss vom 13.9.2010, Az.: 1 StR 220/09, NStZ 2011, 37 ff.).

[24]

Rieble Arbeitsstrafrecht im Umbruch, S. 17, 48.

[25]

Rieble Arbeitsstrafrecht im Umbruch, S. 17 ff.

[26]

Lobinger Arbeitsstrafrecht im Umbruch, S. 99 ff.

[27]

Mayer Arbeitsstrafrecht im Umbruch, Diskussionsbeitrag zum Vortrag Rieble S. 17, 46; Ostrop ebda. S. 17, 47, Krebber Diskussionsbeitrag zum Vortrag Lobinger S. 99, 134.

[28]

Clemenz Arbeitsstrafrecht im Umbruch, Diskussionsbeitrag zum Vortrag Lobinger S. 99, 130 f., 132; Bauer ebda., S. 99, 133; Krebber ebda., S. 99, 134.

[29]

Bauer Arbeitsstrafrecht im Umbruch, Diskussionsbeitrag zum Vortrag Lobinger 99, 126; Clemenz ebda., S. 99, 133; Bauer ebda., 99, 133.

Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › B. Autonomie der Betriebsverfassung contra Strafverantwortung des Staates

B. Autonomie der Betriebsverfassung contra Strafverantwortung des Staates

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Verbietet nun die besondere Materie des kollektiven Arbeitsrechts die Anlegung allgemeiner strafrechtlicher Maßstäbe mit der Folge, dass sich diese beiden Rechtsbereiche ihrer Natur nach gegenseitig regelrecht ausschließen können? Eine besondere Regelung, die das Betriebsratsmitglied in Ausübung seines Amtes rechtlich verantwortungsfrei stellen würde, vergleichbar mit parlamentarischen Immunitätsvorschriften, existiert jedenfalls nicht.[1] Ist daher die Forderung, das allgemeine Strafrecht generell aus dem kollektiven Arbeitsrecht auszuklammern in dieser Form überhaupt zulässig?

Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › B. Autonomie der Betriebsverfassung contra Strafverantwortung des Staates › I. Einordnung der Problematik unter das Verhältnis von Legalitäts- und Opportunitätsprinzip

I. Einordnung der Problematik unter das Verhältnis von Legalitäts- und Opportunitätsprinzip

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Der Wunsch, das Strafrecht generell aus den Betrieben herauszuhalten,[2] ist zunächst einmal nur das: Ein Wunsch. Er mag letztlich pragmatisch sein, doch übersieht derjenige, der ihn äußert, mit dem Legalitätsprinzip gemäß § 152 Abs. 2 StPO[3] eine wichtige Säule unseres Rechtssystems.[4] Danach ist die Staatsanwaltschaft grundsätzlich verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Nur indem man es gerade nicht dem Belieben der Staatsanwaltschaft überlässt, ob und gegen welchen einer Straftat Verdächtigen sie vorgehen möchte, kann ihr Anklagemonopol gemäß § 152 Abs. 1 StPO gerechtfertigt und dem Willkürverbot als allgemeinem Rechtsgrundsatz des Grundgesetzes ausreichend Rechnung getragen werden.[5] Daher können grundsätzlich weder Privatpersonen untereinander, noch Dritte für jene bestimmen, dass aus ihrem speziellen Verhältnis das Strafrecht auszuklammern sei. Am Anfang jeder praktischen strafrechtlichen Befassung mit einem Sachverhalt steht daher stets die Prüfung eines Anfangsverdachts, also der Frage, ob gemäß § 152 Abs. 2 StPO zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen. Dabei hat die Staatsanwaltschaft zwar einen gewissen Beurteilungsspielraum, aber kein Ermessen.[6] Sofern also der ihr bekannt gewordene Sachverhalt rechtlich den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt und keine offenkundigen Rechtfertigungsgründe vorliegen, wird grundsätzlich der Verfolgungszwang ausgelöst.[7]

 

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Bereits die Prüfung eines solchen Anfangsverdachts unterbinden zu wollen, indem das Handeln der Betriebsratsmitglieder im Rahmen der ihnen zustehenden Mitwirkungsrechte schlankweg jeder strafrechtlichen Prüfung entzogen werden soll, widerspricht also bei Licht besehen dem Legalitätsgrundsatz.

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Andererseits wünscht unsere Rechtsordnung keine Strafverfolgung um jeden Preis.[8] Sie sieht in bestimmten Konstellationen den Erhalt des Rechtsfriedens als höherwertig an, was zum Beispiel an der Existenz von Zeugnisverweigerungsrechten und Beweisverwertungsverboten zu ersehen ist.[9] Auch das Bundesverfassungsgericht hat hierzu festgestellt, dass die Rücksicht auf andere soziale Interessen und der Schutz anderer Gemeinschaftsgüter der Durchführung eines Strafverfahrens entgegenstehen können.[10] Insbesondere dann, wenn der für die Strafverfolgung zu betreibende Aufwand in keinem Verhältnis zum erstrebten Zweck in Form von Ahndung, Spezial- und Generalprävention mehr steht, also der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berührt wird, kommt mit dem Opportunitätsprinzip gemäß § 152 Abs. 2 StPO ein Gegengewicht zum Legalitätsgrundsatz zum Tragen.[11] Das Opportunitätsprinzip erfasst alle Ausnahmen vom Legalitätsgrundsatz.[12] Diese müssen allerdings gesetzlich festgelegt sein, denn § 152 Abs. 2 StPO formuliert ausdrücklich „soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist“. Der insoweit abschließende Katalog an Ausnahmen gemäß §§ 153 bis 154e, 376 i.V.m. 374 StPO und § 45 JGG gibt der Staatsanwaltschaft daher kein Wahlrecht zwischen Verfolgung und Nichtverfolgung, sondern verlangt die Subsumtion unter die jeweiligen Ausnahmetatbestände und setzt somit Rechtsanwendung voraus.[13]

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Wenngleich zwar zunächst ein Anfangsverdacht zu prüfen wäre, bevor überhaupt Einschränkungen der Verfolgungspflicht zum Tragen kommen könnten,[14] so soll in dieser Arbeit dennoch kein unnötiger Aufwand getrieben werden: Wenn bereits aufgrund der Argumente der Strafrechtsgegner feststände, dass eine Strafverfolgung von Betriebsratsmitgliedern wegen Untreue im Rahmen der pflichtwidrigen Ausübung von Mitwirkungsrechten ohnehin unangemessen wäre, so mag die Prüfung an dieser Stelle beendet werden.

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Da nun die Unangemessenheit von Strafverfolgung nach den Vorgaben des Opportunitätsprinzips zu beurteilen ist, bieten sich die Einstellungsvoraussetzungen gemäß § 153 Abs. 1 StPO als Prüfungsmaßstab für die Berechtigung der gegen eine Strafverfolgung vorgebrachten Argumente an. Diese Vorschrift, deren Anwendung allein auf Vergehen in Betracht kommt, setzt voraus, dass bei potentiell geringer Schuld des Täters kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Während die potentiell geringe Schuld im Rahmen des gesamten Tatbilds und der begleitenden Umstände zu beurteilen ist,[15] ist für das mangelnde öffentliche Interesse an der Strafverfolgung insbesondere darauf abzustellen, ob die Allgemeinheit ein Interesse an der Verfolgung aus Gründen der Spezial- oder Generalprävention hat.[16] Die Argumente der Strafrechtsgegner betreffen letztlich beides. Für sie ist die Eigenschaft als Betriebsratsmitglied grundsätzlich nicht kompatibel mit der Täterrolle des Strafgesetzbuchs und ohnehin die gesamte Materie weniger eine Angelegenheit der Allgemeinheit, als vielmehr eine betriebsinterne, die auch allein im betrieblichen Kontext zu verbleiben habe.[17]

Teil 1 Das Verhältnis Arbeitnehmer – Betriebsrat: Ein strafrechtsfreier Raum? › B. Autonomie der Betriebsverfassung contra Strafverantwortung des Staates › II. Argumente gegen die Anwendung von Strafrecht im kollektiven Arbeitsrecht im Licht des Opportunitätsprinzips