Saukatz

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»Eine ganze Menge. Die meisten von Hacker selbst und Maxi Müller. Alle anderen sind nicht registriert. Bis auf diejenigen, die auf dem Schachbrett und den Figuren gefunden wurden. Ein gewisser Klaus Görschi. Geboren 1960 in Potsdam. Vorbestraft 1984 wegen Einbruchs in Berlin. Dort hat er auch zwei Jahre abgesessen. Von da an verliert sich seine Spur. Ich werde gleich noch im Netz recherchieren. Und nun der Bericht des Pathologen: Todesursache war eindeutig die Kugel in den Kopf, Kaliber 22. Deshalb ist die Kugel auch nicht wieder ausgetreten. Bericht von der Ballistik liegt noch nicht vor. Und jetzt wird’s interessant. Im Körper wurden Spuren einer unbekannten Glykosid-Verbindung gefunden. Es könnte sich dabei um ein Medikament handeln. Klessel möchte noch genauere Untersuchungen anstellen und sich dann bei dir melden.«

Sie sah ihn erwartungsvoll an.

»Hab ich etwas vergessen?«

»Sehr gut«, brummte Steinböck, »trotzdem haben wir nichts. Wir müssen diesen Klaus Görschi finden. Er war in der Wohnung, und wenn er mit Hacker Schach gespielt hat, dann muss er ihn auch gekannt haben.«

»War der Bericht so in Ordnung?«, fragte Ilona noch mal nach, wobei sie das Halsband der Katze nervös durch die Finger gleiten ließ.

»Wie gesagt, sehr gut«, sagte er jetzt etwas freundlicher. »Du kannst jetzt auch aufhören, deinen Rosenkranz zu beten.«

Verwirrt schaute sie auf das Halsband, dann stutzte sie.

»Da steht was drin.«

»Wo?«

»Auf der Innenseite von dem Halsband. Mit Kugelschreiber geschrieben. Das ist eine Internetadresse und ein Passwort«, rief sie aufgeregt. Sie zog die Tastatur heran und tippte die Adresse ein.

»Das ist eine Datei bei Dropbox.«

»Was soll das heißen?«

»Das ist ein Server, auf den du persönliche Dateien abspeichern kannst. Da haben wir es. Das ist offensichtlich Hackers neues Buch. Ich werd es für dich ausdrucken.«

Steinböck stand auf und stellte sich vor sie hin.

»Ilona, du hast das Zeug zum Ermittler. Du solltest den Streifendienst vergessen«, sagte er. Dann ging er zum Drucker, der bereits die ersten Blätter ausspuckte.

»Glaubst du das wirklich oder sagst du das nur so?«

»Das ist mein voller Ernst, denk drüber nach«, murmelte er, wobei er bereits die ersten Blätter überflog. »Wie viele Seiten sind das?«

»83 Seiten«, sagte Ilona.

»Gut, ich geh jetzt mal zu Klessel in die Pathologie. Druck das Ganze am besten auch für dich aus. Lies es durch und mach dir Notizen. Und schau, ob du etwas über diesen Klaus Görschi herausfindest. Kann ich dir die Katze dalassen?«

»Warum nicht, wann kommst du wieder?«

»Hängt von Klessel ab. Aber ich denke, es wird nicht lange dauern.«

»Kannst du Katzenfutter mitbringen?«

Steinböck schaute auf die Katze, dann nickte er.

»Werd sehen, ob ich etwas bekomme.«

Nachdem er das Büro verlassen hatte, erhob sich die Katze, machte einen Buckel, gab einen undefinierbaren Laut von sich und drückte mit der Pfote gegen die Scheibe.

»Du musst raus?«, fragte Hasleitner, stand auf und öffnete das Fenster. »Ich hoffe, du kommst zurück, sonst bekomm ich Ärger mit dem Alten.«

Die Katze spazierte gemächlich auf dem Sims entlang, sprang geschmeidig auf das benachbarte Blechdach und von dort auf den Hof. Ilona blickte ihr kurz nach und wurde dann vom Piepsen des Druckers aufgeschreckt, dessen Papiervorrat zu Ende war.

*

Ilona Hasleitner brauchte nur zehn Minuten, dann hatte sie eine Spur von Görschi gefunden. In ein Wohnheim für Nichtsesshafte in der Rosenheimer Straße kam Klaus Görschi regelmäßig zum Duschen. Nach einem kurzen Telefongespräch mit dem zuständigen Sozialarbeiter erfuhr sie, dass Görschis Schlafplatz unter der Wittelsbacher Brücke sei. Sie rief Steinböck an, und der bat sie, einen Streifenwagen dorthin zu schicken, um Görschi ins Büro zu holen. Dann machte sie sich daran, Oskar Hackers Aufzeichnungen zu studieren.

In diesem Moment klopfte es an der Tür. Ein Mann mit Lederhandschuhen, die bis über die Ellenbogen reichten, und Staller von der SpuSi, den Arm in der Schlinge mit dick bandagierter Hand, betraten das Büro.

»Wo ist sie?«, rief Staller schrill.

»Grüß Gott erst mal«, sagte Hasleitner und starrte die beiden entgeistert an. »Wo ist wer?«

»Na die tollwütige Katze. Sie muss eingeschläfert und untersucht werden.«

»Wer sind Sie eigentlich?«, fragte die junge Polizistin.

»Baumgartel, ich bin der Amtstierarzt. Es wurde eine tollwütige Katze gemeldet.«

»Sagen Sie mal, Staller, sind Sie nicht krankgeschrieben?«

»Bin ich auch, aber die Kollegen haben mich informiert, dass die Katze da wäre, und da bin ich natürlich sofort gekommen.«

»Und dann kommen Sie hier einfach ins Kommissariat, obwohl Sie Tollwut haben? Ist das nicht gefährlich für uns?«, fragte Hasleitner mit treudoofem Blick den Amtstierarzt.

»Es ist nicht gesagt, dass der Herr Staller Tollwut hat. Bisher gibt es noch keine Anzeichen dafür.«

»Ach so«, sagte sie scheinheilig. »Er ist noch normal.«

»Ich bin in großer Gefahr, wenn das Vieh Tollwut hat. Also wo ist die Scheißkatze?«, schrie Staller. Ilona Hasleitner, die die ganze Zeit das Fenster im Blick hatte, sagte: »Also hier ist keine Katze. Sie können gern das ganze Büro durchsuchen. Ist ja nicht groß. Ich warte inzwischen auf dem Gang.«

Wenige Minuten später kamen die beiden aus dem Büro.

»Und haben Sie die Katze gefunden?«

Staller drängte sich nur wütend an ihr vorbei, wobei er einige Flüche vor sich hinmurmelte. Baumgartel dagegen reichte ihr seine Visitenkarte.

»Sie wissen, dass Sie als Beamtin dazu verpflichtet sind, uns umgehend zu informieren, wenn die Katze wieder auftaucht«, sagte er ernst. Ilona nahm die Karte in die Hand und nickte andächtig.

Nur gut, dass ich noch nicht verbeamtet bin, dachte sie grinsend.

*

Klaus Görschi fühlte sich an diesem Morgen ausgesprochen beschissen. Er hatte schon mehrere Male gekotzt, und er beschloss, die Sache zu beenden. Ihm war klar, dass er nur einen Teil des Geldes bekommen würde. Aber wozu sollte er sich jetzt noch mit Peanuts begnügen. Er lächelte gequält und schlüpfte aus dem Schlafsack. Die anderen waren längst weg, und er hatte dem Italiener für heute seinen Platz vor dem Rathaus überlassen. Es war eine gute Gruppe, die hier unter der Wittelsbacher Brücke lebte. Die meisten von ihnen zählten sich zu den Berbern. Obwohl jeder genug damit zu tun hatte, sich um sein eigenes Leben zu kümmern, war da doch eine Gemeinschaft entstanden, die vielen das Leben auf der Straße erstrebenswerter erscheinen ließ als eine sogenannte Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Bedächtig rollte er seinen Schlafsack zusammen. Wieder stieg Übelkeit in ihm auf. Das war nicht der erste Medikamentenversuch, an dem er teilgenommen hatte. Im Grunde genommen verdiente er sich seit 25 Jahren sein Geld damit. Das Honorar, so wie sie es nannten, reichte oft, um ein Jahr auf der Straße leben zu können. Bis auf das erste Mal hatte er es immer freiwillig gemacht. Das war noch vor der Wende in Hohenschönhausen. Er saß damals wegen Einbruchs drei Jahre ein. Dabei hatte er nur die Tür seines Nachbarn eingetreten, als er erfahren hatte, dass dieser als Spitzel für die Stasi arbeitete und mehr als die Hälfte der Hausbewohner abgehört hatte. Er zerlegte mit einem Baseballschläger die gesamte Abhöranlage. Er musste grinsen, als er daran dachte, dass der Staatsanwalt die Tatwaffe ein imperialistisches Sportgerät genannt hatte. Niemand hatte sie gefragt, ob sie an dem Medikamentenversuch teilnehmen wollten, der von einem westdeutschen Pharmakonzern durchgeführt wurde. Im Gegenteil, man machte ihnen vor, dass ihre Gruppe bevorzugt mit Vitaminpräparaten versorgt würde. Was für ein Hohn. Er erinnerte sich an die ewig grinsenden Westvertreter von Bepal Pharm und ihre Namensschilder. Es gab nur drei Namen: Müller, Huber und Meier. Dafür variierte wenigstens die Schreibweise von Meier. Selbst ihre Kittel waren weißer als die des Ostpersonals.

»Hallo, Görschi«, sagte eine leise Stimme.

Überrascht drehte er sich um.

»Was machst du denn hier in meiner bescheidenen Hütte? Ich wäre heute sowieso vorbeigekommen«, sagte er grinsend und zog dabei den Gürtel um den zusammengerollten Schlafsack fest.

»Du hast es also noch nicht gehört?«, fragte der Mörder.

»Was soll ich gehört haben?«

»Oskar Hacker ist tot.«

»Oskar ist tot?«, stammelte er. »Was ist passiert? Etwa ein Unfall?«

»Nein, er wurde erschossen.«

»Aber, wer sollte Oskar erschießen?«

»Na, ich zum Beispiel«, flüsterte der Mörder, hob seine Waffe an Klaus Görschis Schläfe und drückte ab.

*

Die Katze war zurückgekommen und hatte es sich wieder auf der Fensterbank bequem gemacht. Nachdenklich beobachtete sie Ilona Hasleitner, die konzentriert Hackers Aufzeichnungen las und zwischendurch immer wieder Notizen auf einem Blatt Papier machte.

»Die Kleine hatte mir eine Schale mit Wasser hingestellt, was eindeutig darauf hinweist, dass sie Verstand hat. Trotzdem hatte Steinböck recht, als er dachte, sie sei zu fett. Aber vielleicht liegt es daran, dass sie unglücklich ist. Und dann dieser Vollidiot von Staller, der mir eben auf dem Hof begegnet ist. ›Genauso sah sie aus. Vielleicht ist sie es sogar. Wir müssen sie fangen und töten‹, hatte er gerufen. ›Verdammt, Staller, wir können nicht alle schwarzen Katzen in München töten‹, hatte der Mann mit den Lederhandschuhen geantwortet. ›Aber wenn ich jetzt Tollwut bekomme‹, hatte Staller gewimmert.

Die Situation hatte sich eindeutig verschärft. In puncto Tollwut war mit den Menschen nicht zu spaßen, obwohl ein Großteil von ihnen auch ohne Infektion deutliche Symptome dieser Krankheit zeigte. Offensichtlich haben sie Oskars Aufzeichnungen gefunden. Verdammt, der miese Kerl fehlt mir. Obwohl er mich immer ›schwarzes Sackgesicht‹ genannt hat. Auf jeden Fall besser als Frau Merkel. Hoffentlich trägt das Ganze dazu bei, seinen Mörder zu finden.«

 

Noch während die Katze resümierte, klingelte das Telefon.

Steinböck teilte Hasleitner mit, dass er eine weitere Kopie von Hackers Aufzeichnungen brauchte. Er hatte seine Thomas Klessel überlassen. Außerdem war er bereits unterwegs zu Ikea, wollte aber auf jeden Fall am Nachmittag vorbeikommen.

»Das möchte ich auch hoffen«, sagte sie verstimmt. »Und was ist mit der Katze? Der Amtstierarzt und Staller waren hier, um sie einzuschläfern. … Nein, natürlich nicht. Sie war gerade draußen. Und Mögele war auch da. Er wartet auf deinen Bericht. Gut, ich werde es ausrichten. Also bis später.«

Sie legte den Hörer auf, dann wandte sie sich der Katze zu.

»Er ist zu Ikea gefahren und kommt erst später. Ich werde schnell mal eine Packung Katzenfutter besorgen. Bleib hier, ich bin gleich zurück«, murmelte sie.

»Das von Aldi«, dachte die Katze.

»Steinböck hat gesagt, du magst nur Aldifutter. Ich hoffe, das stimmt.«

*

Es war bereits nach 16 Uhr, als Steinböck endlich ins Büro zurückkam.

»Tut mir leid, Ilona, dass es so spät geworden ist, aber ich hab das ganze Zeug von Ikea daheim abgeliefert. Das Auto war so voll, dass die fette Katze sowieso nicht mehr ins Auto gepasst hätte«, sagte er grinsend und deutete dabei auf Frau Merkel, die auf dem Fensterbrett saß und ihn neugierig ansah.

»Du bist gerade dabei, deinen letzten Kredit zu verspielen. Außerdem sieh dich doch mal an. Dich würde doch jede Internet-Partnervermittlung ablehnen, wenn du erst einmal dein Foto eingescannt hättest.«

»Du solltest nicht so schlecht über Frau Merkel sprechen«, sagte Ilona Hasleitner.

»Warum, kannst du sie etwa auch verstehen? Hat sie sich bei dir beschwert?«, fragte er grinsend.

Hasleitner sah ihn so verdutzt an und grunzte dabei, dass Steinböck laut lachen musste.

»Na ja, Maxi Müller hatte angedeutet, dass die Katze mit ihr reden würde oder so etwas Ähnliches. Hängt aber vermutlich mit ihren Haschischplätzchen zusammen.«

»Nimmt sie etwa Rauschgift?«

»Ach was, vergiss es. Sie hat drei Marihuana-Topfpflanzen in ihrem Wintergarten und backt sich davon ab und zu ein paar Plätzchen. Wir sind hier bei der Mordkommission und können die Durchsetzung der staatlichen bayrischen Haschisch-Neurose den Kollegen vom Drogendezernat überlassen.«

»Das ist aber nicht die offizielle Anschauung.«

»Ach scheiß drauf«, sagte er wütend und fuhr dann fort:

»Was hast du über Hackers Aufzeichnungen herausgefunden?«

»Also«, murmelte sie und suchte dabei einige Blätter auf ihrem Schreibtisch zusammen. »Bei Hacker geht es in seinem Bericht um unerlaubte Medikamententests an Menschen, und zwar im frühen Forschungsstadium. Noch lange, bevor solche Versuche vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen wurden. Und hier handelt es sich speziell um die Firma Bepal Pharm, die in Martinsried ansässig ist. Offensichtlich hatte er Material über die letzten 25 Jahre zusammengetragen. Das Ganze beginnt mit Versuchen, die Bepal Pharm bereits Mitte der 80er Jahre im gefürchteten DDR-Gefängnis Hohenschönhausen in Ost-Berlin durchgeführt haben soll. Das geht dann über die Jahre so weiter. Die Beweise sind etwas dünn. Ein paar Fotos und vor allem Aussagen von Probanden, die an den Versuchen teilgenommen haben sollen. Meist Obdachlose und Junkies. Also auch nicht gerade Zeugen, die besonders glaubwürdig sind. Aber sag mal, hast du dir Hackers Bericht noch nicht angesehen?«, fragte Ilona Hasleitner.

Steinböck schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich hatte noch keine Zeit dafür. Und außerdem hab ich meine Kopie heut Morgen dem Klessel gegeben.« Für einen Moment fühlte er sich wie ein abgekanzelter Schulbub, entschloss sich dann aber, nichts dazu zu sagen.

»Außerdem weiß ich doch, wie gut du recherchieren kannst. Also was hast du sonst noch herausgefunden?«, schmeichelte er der jungen Polizistin.

»Ich glaube, Hacker wusste, wie schwach seine Beweise waren, deshalb hatte er sich wohl dazu entschlossen, selbst als Versuchskaninchen teilzunehmen«, fuhr sie stolz fort.

»Und außerdem brauchte er Geld.«

»Richtig, Chef. Und was hat jetzt Klessel festgestellt?«

»Hacker hatte eindeutig verschiedene Substanzen über einen längeren Zeitraum zu sich genommen, die sich keinem Medikament eindeutig zuweisen lassen. Um ganz genaue Resultate zu bekommen, müssen noch ausführlichere Untersuchungen gemacht werden, deren Auswertungen mindestens zwei Wochen dauern. Auf jeden Fall werden wir morgen nach Martinsried fahren und uns diese Firma einmal näher ansehen.«

»Wir? Soll das heißen, ich kann mitkommen?«, fragte Ilona Hasleitner aufgeregt.

»Selbstverständlich. Wir sind doch jetzt Partner.«

»Ich hab da noch etwas Wichtiges herausgefunden, Chef. Hacker hat offensichtlich heimlich Fotos gemacht. Eines zeigt ihn und einen Arzt, der ihn gerade untersucht und ihm auch Blut abnimmt.«

»Aber wir kennen den Arzt nicht?«

»Doch, ich hab ihn auf der Internetseite von Bepal Pharm gefunden. Dr. Stöckel, Leiter des Entwicklungslabors bei Bepal Pharm.«

»Ilona, du bist noch besser, als ich dachte.«

»Danke, Chef. Übrigens, bei diesem Klaus Görschi handelt es sich um einen Obdachlosen. Die Kollegen von der Streife suchen noch nach ihm.«

»Schön, dann werden wir jetzt nach Hause gehen. Ich klemm meine Katze und Hackers Bericht unter den Arm, und dann geht’s los. Was ist, Ilona, soll ich dich mitnehmen? Ich bin mit meinem Porsche da.«

»Gern«, sagte sie, »aber erst musst du zum Mögele. Der Oberchef wartet schon den ganzen Tag auf deinen Bericht. Außerdem hat er gesagt, wenn ich es nicht schaffe, dass du heute noch vorbeikommst, fahre ich ab morgen wieder Streife.«

Man konnte Steinböck ansehen, dass ihm der Besuch bei Mögele überhaupt nicht passte. Aber auf der anderen Seite wollte er Ilona keine Schwierigkeiten machen, obwohl er der festen Überzeugung war, dass Mögele sich nicht trauen würde, ihm die Hasleitnerin wegzunehmen. Er drückte Ilona die Katze in den Arm und sagte: »Gib mir fünf Minuten, dann bin ich wieder zurück.«

*

»Das soll ein Porsche sein?«, fragte Ilona den Kommissar etwas enttäuscht und deutete auf Steinböcks alten VW-Käfer.

»Na ja, so eine Art Volksporsche«, grinste er und öffnete die Fahrertür.

»Steig ein, die Tür ist nicht abgesperrt.«

Hasleitner zwängte sich mit der Katze im Arm auf den Beifahrersitz und versuchte, sich anzuschnallen.

»Ich krieg’ den scheiß Gurt nicht zu. Ich glaub, ich fahr doch besser mit der Trambahn«, sagte sie.

»Ganz ruhig«, erwiderte er und drückte die Gurtschnalle in den Schließer. »Man braucht ein bisserl Geduld.«

Schließlich fuhren sie, von zwei Fehlzündungen begleitet, vom Hof.

»Das hört auf, wenn der Motor erst mal warm ist«, meinte Steinböck vorsorglich.

»Und was hat der Oberchef gesagt?«, fragte Hasleitner und ignorierte die dritte Fehlzündung.

»Gemeckert hat er halt, weil wir den Mörder noch nicht verhaftet haben.«

»Und was hat er über mich gesagt?«

»Wieso über dich? Über dich haben wir gar nicht gesprochen.«

»Ich mein, kann ich vorerst bei dir bleiben?«

»Auf jeden Fall«, sagte er beruhigend.

Ilona lehnte sich erleichtert zurück und schloss die Augen. Frau Merkel begann zu schnurren und rieb ihren Kopf an Hasleitners Kinn. Steinböck blickte kurz hinüber. Es sah so aus, als ob die Katze ihn wohlwollend ansah. Leise fluchte er vor sich hin und versuchte, sich auf die Straße zu konzentrieren. Warum zur Hölle wurde er das Gefühl nicht los, dass ihn das Vieh ständig beobachtete und in seinen Gedanken fischte? Was er jetzt nicht brauchen konnte, war, in eine Katzenneurose hineinzuschlittern. Er sah sich schon beim Polizeipsychologen. Mein Gott, Frau Merkel und Steinböck bei der Partnertherapie. Verdammt, er hatte doch nur eine halbe Flasche Whisky getrunken. Noch einmal schaute er zu der Katze hinüber, aber die hatte ihren Kopf zwischen Hasleitners Busen gesteckt und schien zu schlafen. In der Schellingstraße ließ er die junge Frau dann heraus. Er bot ihr an, sie am nächsten Morgen abzuholen. Erst wollte sie lieber die Straßenbahn nehmen, aber dann verabredeten sie sich doch um acht Uhr vor dem Haus.

*

Die Katze saß auf dem Schrank und beobachtete aus sicherer Höhe, wie Steinböck versuchte, das Billyregal zusammenzubauen.

»Ikea für Anfänger«, dachte sie. »Wie kann man sich nur so einen Mist kaufen? Na ja, wird ja doch fast alles in China gefertigt. Andrerseits, wie soll man auch ordentlich Profit machen, wenn man nicht alle Möglichkeiten ausschöpft? Wen juckt das schon, wenn in Malaysia und Indonesien der Urwald gerodet wird, um gigantische Plantagen anzulegen. Die dann genügend Palmöl ergeben, um ein paar Hundert Millionen Kerzen für Ikea zu produzieren. Oder die etwa 70 Millionen Bäume aus der russischen Taiga, die für Ikea jährlich von Chinesen illegal geschlagen werden. Aber man hat ja als Katze doch relativ wenig Einfluss. Der Konzern hat es auf der anderen Seite auch nicht ganz leicht. All die DDR-Häftlinge, die in den 70er und 80er Jahren als billige Zwangsarbeiter für Ikea produziert haben, sind nach dieser unsinnigen Wiedervereinigung auch noch weggefallen. Es ist ja auch schwer, mit diesem schwedischen Flair weltweit Möbel zu verkaufen. Obwohl es ja kleine chinesische Mädchen gegeben haben soll, die ordentlich festgeknotet an langen Seilen um den geschälten Stamm einer sibirischen Fichte herumtanzten und dabei St. Lucia sangen. Natürlich nur ein Gerücht. Ebenso die Behauptung, dass man ihnen die brennenden Kerzen, die sie auf dem Kopf trugen, mit heißem Wachs angeklebt habe.«

Die Katze gähnte in Richtung Steinböck und zog sich dann etwas zurück, als sie bemerkte, wie ihm zum wiederholten Male der Inbus-Schlüssel abrutschte. Der Kommissar fluchte. Immer wieder blickte er nach oben und taxierte den Blick der Katze. Er war für ihn undefinierbar, und trotzdem spürte er, dass sie sich über ihn amüsierte. Für einen kurzen Moment dachte er daran, den Inbus nach ihr zu werfen. Dann schmiss er ihn doch nur verärgert in die Ecke des Zimmers, als er bemerkte, dass Frau Merkel sich bis zum hinteren Teil des Schrankes zurückgezogen hatte.

Er ließ sich aufs Sofa sinken, steckte sich eines der neuen Kissen in den Rücken, drehte sich eine Zigarette und zündete sie an. Verächtlich nahm er das Glas Wasser vom Tisch und blickte etwas sehnsüchtig nach der Flasche Single Malt, die oben auf dem Schrank stand. Als dicht daneben jedoch wieder das Gesicht der Katze erschien, war ihm jegliche Lust am Whisky vergangen.

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