Saukatz

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Steinböck überlegte kurz, dann sagte er: »Aber zu jedem Mord brauchst du auch ein Motiv. Und bei ihr seh ich im Moment keines.«

»Genau, und wenn einer bei mir Mietschulden hätt, dann bring ich ihn nicht um, sondern ich hoffe, dass er irgendwann mal zahlen kann«, sagte sie nachdenklich und nahm einen Schluck von dem Mineralwasser, das der Ober inzwischen gebracht hatte.

»Somit gibt’s bis jetzt noch kein Motiv.«

»Das würd’ ich nicht sagen. Maxi Müller hat mir erzählt, dass Hacker an einem neuen Buch geschrieben hat, das ein absoluter Knüller werden könnte. Aber worum es ging, hat er geheim gehalten. Und wie schreibt man heutzutage ein Buch?«, fragte Steinböck.

»Also bestimmt nicht mit der Hand. Entweder auf einem Computer oder eher noch auf einem Laptop. Haben wir aber beides nicht gefunden. Vermutest du, dass ihn der Mörder mitgenommen hat?«

»Richtig. Wir schließen Maxi Müller für den Moment aus. Also müssen wir rausfinden, was Oskar Hacker so den ganzen Tag getrieben hat, und über was er geschrieben hat. Wenn wir mit dem Essen fertig sind, gehst du zurück an deinen Computer und schaust, ob du noch irgendetwas recherchieren kannst.«

»Und was machst du, Chef? … Tut mir leid, des geht mich eigentlich nix an.«

»Ich hab einen Besichtigungstermin für eine Wohnung. Ach noch was, der Tatortreiniger soll sich heut noch um die Wohnung vom Hacker kümmern.« In diesem Moment brachte der Ober das Essen, und für Steinböck war die Unterhaltung beendet.

*

Als Steinböck am späten Nachmittag zum Tatort zurückkam, stand der alte VW-Bus des Tatortreinigers mit eingeschalteter Warnblinkanlage in der Einfahrt zum Hof. Der Kommissar stieg die drei Stufen zum Eingang empor, ging den Gang entlang und blieb kurz vor Hackers Wohnungstür stehen. Die Polizeisiegel waren durchgeschnitten, und er entschloss sich, kurz nach dem Rechten zu sehen. Schließlich handelte es sich um seine neue Wohnung. Im Hausflur stand ein ganzes Bataillon von Kübeln, Besen und Schrubbern. Im Wohnzimmer kniete ein hagerer Mann im blauen Overall auf dem Boden und schrubbte mit einer Bürste an der Stelle, an der der Tote gelegen hatte, das Parkett. Als er Steinböck bemerkte, blickte er kurz auf. »Was wollen Sie hier? Das ist ein Tatort.«

»Ich weiß«, sagte der Kommissar grinsend und zog seinen Ausweis aus der Sakkotasche. »Steinböck. Mordkommission.«

Der Hagere erhob sich, wischte sich die Hände am Overall ab und griff mit spitzen Fingern nach dem Ausweis.

»Nie von Ihnen gehört. Sind Sie neu?« Dabei drehte er noch einmal den Ausweis und betrachtete interessiert die Rückseite.

»Brandneu sozusagen. Wann sind Sie fertig?«

»Das dauert schon noch ein bisschen«, sagte der Hagere und ließ sich wieder auf die Knie nieder. »War schließlich ’ne ganz schöne Sauerei.«

Steinböck musste grinsen.

»Genau, ein wahres Massaker.«

Der Tatortreiniger murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, dann fragte er noch: »Was soll ich mit dem Schlüssel machen?«

»Lassen Sie ihn einfach von außen stecken.«

Der Kommissar verließ die Wohnung, überquerte den Hausgang und klingelte an Maxi Müllers Tür.

»Kommen Sie rein, die Tür ist offen«, hörte er sie gedämpft aus der Wohnung. Er trat ein und ging in Richtung Wohnzimmer. Wieder umgab ihn der Duft von frischem Marihuana. Das Zimmer war leer.

»Hier draußen auf der Terrasse.«

Er folgte der Stimme durch die geöffnete Tür. Steinböck betrat einen Wintergarten, einen wahren Dschungel. Unzählige Töpfe mit allen möglichen Pflanzen reichten zum Teil bis an die Decke. Nur in der Mitte stand ein kleiner runder Korbtisch mit einer Glasplatte. Der ganze Raum war von oben bis unten verglast. Eine Tür, die in den Garten führte, war weit geöffnet. Der Kommissar erblickte auf Anhieb die drei kräftigen Hanfpflanzen, die sich in einer Ecke hochrankten.

»Setzen Sie sich, ich habe frischen Tee gemacht. Das hier ist mein Reich.« Sie zögerte kurz. »Und möchten Sie die Wohnung immer noch mieten?«

Steinböck setzte sich vorsichtig in einen der Korbsessel, der verdächtig knarzte, sich aber ansonsten seinem Gewicht anpasste. Maxi Müller hatte sich umgezogen und trug ein langes, rotes Kleid, eine Art indischen Sari, der über und über mit silbernen Pailletten bestickt war.

»Wenn wir uns einig werden, warum nicht?«

»Sie haben doch sicherlich über mich recherchiert?«, fragte sie und griff nach einem der Plätzchen. Steinböck überlegte, es ihr gleichzutun, fasste dann doch in die Jackentasche und zog sein Päckchen Tabak heraus. Er blickte sie fragend an.

»Rauchen Sie nur. Also was haben Sie über mich herausgefunden?«

»Nichts, was mich davon abhalten würde, hier einzuziehen.«

»Und mein Wintergarten?«

»Schön grün, aber ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung von Pflanzen«, antwortete er lächelnd, wobei er sich eine Zigarette drehte.

»Also gut, 950 Euro warm, und den Strom bezahlen Sie natürlich selbst. Zur Wohnung gehören ein Stellplatz auf dem Hof und der kleine Garten vor Ihrer Terrasse. Rasenmäher ist im Schuppen«, erklärte Maxi Müller und legte einen vorbereiteten Vertrag vor ihn hin. Steinböck zündete sich seine Zigarette an und überflog den Text.

»Der Vertrag läuft aber erst ab nächstem Monat? Ich würde gern sofort einziehen.«

»Kein Problem, von mir aus können Sie heute schon rein. Bezahlt wird ab nächstem Monat.«

»Und was machen wir mit Hackers Sachen?«, fragte der Kommissar.

»Was halten Sie davon, wenn wir morgen alles in einen Karton packen, und Sie tragen ihn dann in den Keller. Sie können die Sachen auch gerne mit aufs Revier nehmen, wenn Sie möchten. Außerdem könnte ich Aurelia, unsere rumänische Mitbewohnerin, fragen, ob sie die Wohnung einmal durchputzt. Sie nimmt zwölf Euro die Stunde. Natürlich schwarz. Aber nur, wenn es Ihnen recht ist.«

»Schon gut. Es ist mir sogar sehr recht.« Er griff nach dem Kugelschreiber, gab seine Daten ein und unterschrieb den Vertrag. Dann nahm Maxi Müller den Stift und unterschrieb ihrerseits.

»Und vergessen Sie nicht, Sie übernehmen die Katze.«

»Wo ist sie eigentlich?«

Die Frau mit den roten Haaren deutete auf einen Hocker, der unter einer mächtigen Yuccapalme stand.

»Sie liegt dort auf den Kissen und beobachtet uns.«

»Hat sie wieder mit Ihnen gesprochen?«, fragte er grinsend und blickte dabei auf die Plätzchen. Für einen Moment sah es so aus, als wenn sie auf seine Frage antworten wollte. Doch dann griff sie nach Steinböcks Vertrag und drückte ihn sich an die Brust.

»Ist das klar mit der Katze?«, fragte sie noch einmal eindringlich.

»Geht klar«, sagte er lächelnd und griff nach dem Vertrag.

»Soll ich sie gleich mitnehmen?«

»Sobald Sie eingezogen sind, kommt sie von selbst.«

»Woher wissen Sie das?«

Maxi Müller zuckte mit den Schultern. Dann stand sie auf.

»Hier sind Ihre Schlüssel. Ich bring Sie jetzt zur Tür.«

Steinböck rollte den Vertrag zusammen, steckte seinen Tabak in die Tasche und folgte ihr. Bevor sie die Tür hinter ihm schließen konnte, drehte er sich noch einmal um.

»Oskar Hacker – hatte er einen Computer?«

»Ja, so eine Art Koffer mit einem Käsegesicht drauf.«

Steinböck sah sie zweifelnd an.

»Was meinen Sie mit Koffer?«

»Na ja so ein Teil, bei dem man den Bildschirm hoch und runter klappen kann. Ich habe keine Ahnung von den Dingern und will es auch den Rest meines Lebens nicht mehr lernen.«

»Also einen Laptop«, stellte Steinböck fest.

»Von mir aus auch Laptop. Haben Sie ihn nicht gefunden?«

»Nein, offenbar hat ihn der Mörder mitgenommen.«

»Übrigens«, sagte Maxi Müller noch einmal ernst. »Die Katze – sie frisst nur Futter von Aldi.«

*

Zurück zu seiner Pension leistete sich Steinböck ein Taxi. Es war kurz nach 18 Uhr. Er packte seine beiden Koffer zusammen und beglich die Rechnung. Dann holte er seinen alten VW-Käfer aus der Tiefgarage und fuhr zu seiner neuen Wohnung. Dort stellte er das Gepäck ab und entschloss sich erst einmal, seine neue Umgebung zu erforschen. Der Münchner Süden war eine extrem teure Gegend, und ihm wurde immer klarer, was für ein gigantisches Schnäppchen er mit dem Abschluss des Mietvertrages gemacht hatte. Die Mietpreise in München waren seit Jahren die höchsten im ganzen Land, und das würde sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. Steinböck hatte einen kleinen Gasthof entdeckt und genehmigte sich einen vorzüglichen Schweinebraten. Schließlich beschloss er, in seine neue Wohnung zurückzukehren.

Von dem kleinen Blutfleck war nichts mehr zu sehen. Er inspizierte kurz das Schlafzimmer. Die Matratze sah ordentlich aus. Er nahm sich vor, am nächsten Tag Bettzeug und dazugehörige Wäsche zu kaufen.

Steinböck entschloss sich dazu, die Nacht auf dem Sofa zu verbringen. Er holte die Flasche Single-Malt-Whisky aus dem Koffer, die ihm die Kollegen aus Starnberg zum Abschied geschenkt hatten. Er durchforstete die Küche nach einem brauchbaren Glas. Hacker pflegte offensichtlich einen sehr minimalistischen Lebensstil. Außer einem zumindest sauberen Weinglas fand er nichts. Er nahm sich vor, in den nächsten Tagen bei Ikea vorbeizuschauen. Im Kühlschrank entdeckte er eine verschlossene Flasche Mineralwasser ohne Kohlensäure und mehrere Dosen Katzenfutter. Das Wasser und das Glas nahm er mit ins Wohnzimmer. Er schaltete den Fernseher an und war überrascht, dass die alte Kiste noch lief. Sogar die Fernbedienung funktionierte. Steinböck öffnete andächtig die Flasche. Ein 21 Jahre alter Lagavulin. Er wusste, dass die Flasche ein kleines Vermögen gekostet hatte, also goss er sich nur einen Fingerbreit ein und gab etwas von dem Wasser dazu. Trotzdem hatte er eine Stunde später ein Drittel der Flasche leer getrunken.

 

Sein Blick schweifte durch das Wohnzimmer. Die hohen Decken der Altbauwohnung erinnerten ihn an seine Wohnung in Starnberg. 20 Jahre hatte es gedauert, bis er die Wohnung abbezahlt hatte. Erst das Haus in Pöcking, das er seiner Ex überlassen hatte, und jetzt die Wohnung. Anfangs dachte Steinböck daran, täglich zu pendeln, aber dann entschloss er sich doch, nach München zu ziehen. Also packte er zwei Koffer, schloss die Wohnung ab, setzte sich in seinen Käfer und fuhr nach München. Seit drei Wochen war er nicht mehr dort gewesen. Ihm fehlte der See. Schließlich schlief er ein. Steinböck träumte vom Segeln auf dem Starnberger See, von seinem Büro, von seiner Arbeit. Plötzlich schwebte Ilona Hasleitner an ihm vorbei. Sie war nackt und nur mit einem durchsichtigen Vorhangstoff bekleidet. Sie winkte ihm zu und verschwand dann am Horizont. Von der Seite näherte sich eine weitere Gestalt, die ein langes rot-weißes Band in der Hand schwenkte. Aha, rhythmische Sportgymnastik, dachte er bei sich. Aber bald war ihm klar, dass es sich um Staller von der SpuSi handelte, dessen abgewickelte blutige Mullbinde wellenförmig hinter ihm her wehte. Aber Staller tanzte nicht. Sein Gesicht war furchtverzerrt. Er floh vor der übergroßen Katze, die ihn in eleganten Sprüngen in Zeitlupe verfolgte. Staller kam auf ihn zu und rief um Hilfe. Dicht vor ihm stürzte er. Die Katze sprang auf ihn und riss das Maul auf, als wenn sie den armen Kerl verschlingen wollte. Dann begann sie zu schnurren.

In diesem Moment öffnete Steinböck die Augen. Das Biest saß auf seiner Brust, den Kopf nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Sie musterte ihn mit ihren bernsteinfarbenen Augen. Dann gähnte sie. Der Kommissar verzog angewidert das Gesicht.

»Mein Gott, du riechst wie ein Müllschlucker.«

Die Katze richtete sich auf, machte einen Buckel und streckte sich. Schließlich drehte sie sich um, zeigte Steinböck das Hinterteil und schlug noch mal ihren Schwanz in sein Gesicht, bevor sie auf den Boden sprang. Erwartungsvoll blickte sie ihn an.

»Du hast Hunger?«, das war mehr eine Feststellung als eine Frage. Gleichzeitig stand Steinböck vom Sofa auf und schlurfte in die Küche. Er holte eine Dose aus dem Kühlschrank, füllte die Hälfte davon auf einen kleinen Teller und stellte diesen auf den Boden. Die Katze schaute ihn erwartungsvoll an.

»Was ist damit nicht in Ordnung?«, fragte er leicht entrüstet. »Hast du Durst?« Er durchsuchte den Küchenschrank. Dort fand er eine offene Schachtel mit Trockenfutter und einige Schälchen. Er füllte eines davon mit dem Futter, das andere mit Wasser und stellte sie ebenfalls auf den Boden.

»Bitte schön, Frau Merkel, Ihr Dinner«, sagte er sarkastisch und blickte höhnisch grinsend auf die Katze. Diese zuckte einige Male mit Hintern und Schwanz, was dem Kommissar einen aggressiven Eindruck vermittelte. Schließlich kauerte sie sich nieder und begann, vom Nassfutter zu fressen. Steinböck wandte sich zufrieden ab und nahm wieder seinen Platz auf dem Sofa ein. Er mixte sich einen neuen Drink, dann drehte er sich eine Zigarette. Anschließend schaltete er den Ton des Fernsehers stumm und stellte fest, dass Klaas und Yoko eindeutig gewannen, wenn man sie nicht hören konnte. Wenige Minuten später kam die Katze aus der Küche, setzte sich ihm gegenüber auf den Sessel, betrachtete ihn kurz und begann dann sich zu putzen. Interessiert – und unter deutlichem Einfluss des Malt-Whisky – sah er ihr dabei zu. Schließlich klappten ihm trotz des faszinierenden Schauspiels die Augendeckel zu, und er driftete wieder ab in die Welt der nackten Ilona Hasleitner. Die Katze bemerkte, wie der Kopf des Kommissars nach unten kippte. Daraufhin hörte sie auf sich zu putzen und betrachtete ihn eindringlich.

»Mein Gott, jetzt hab ich einen Träumer gegen einen Säufer eingetauscht. Wenigstens trinkt er keinen Fusel wie der arme Kerl unter der Brücke. Zumindest bis jetzt noch nicht. Er hat mich doch vorhin tatsächlich ›Frau Merkel‹ genannt. Allein der Gedanke, ihr nur irgendwie ähnlich zu sehen, könnte einen ungeheuren Depressionsschub bei mir auslösen. Nur diese idiotische Maxi Müller konnte auf so eine saudumme Idee kommen. Eigentlich das beste Beispiel, wie schnell ein dummes, unüberlegtes Wort zu einer Katastrophe führen kann. Sollte sich der Name ›Frau Merkel‹ weiterverbreiten, werde ich ihre drei Marihuanapflanzen innerhalb von zwei Tagen zu Tode urinieren.

Hätte eigentlich nicht damit gerechnet, dass der Typ gleich einzieht. Andererseits, bei der Wohnungssituation hier in München würde es mich auch nicht wundern, wenn der eine oder andere Tod eines Singles ein verdeckter Mord wäre, um endlich wieder freie Wohnungen auf dem Markt zu schaffen. Eigentlich die geniale Idee für einen Krimi. Die einen klauen Gullydeckel, die anderen killen Singles.

Ob jemand nur Oskars Wohnung wollte? Wohl kaum. Bei unserer Späthippie-Vermieterin weißt du eh nicht, wen sie nehmen würde. Ihre Entscheidungen hängen sowieso nur davon ab, wie viele Marihuanaplätzchen sie intus hat. Eigentlich konnte ich nie verstehen, was Oskar an ihr fand. Obwohl sie alle Voraussetzungen hat, etwas Besonderes zu sein. Sie ist eine der wenigen, die mich hören kann. Aber sie fürchtet sich davor. Oskar hatte diese Gabe nicht. Schade, aber das hätte ihn auch nicht davor bewahrt, erschossen zu werden. Ich habe leider nichts davon mitbekommen. Aber ich werde den Mörder finden. Schließlich habe ich jetzt den Bullen, der den Fall bearbeitet, als Mitbewohner. Auch wenn er ein Säufer ist. Und wenn wir den Kerl haben, kann ich mich immer noch mit einem der Singlemörder in Verbindung setzen.«

Dienstag

Steinböck erwachte gegen sieben Uhr morgens mit schrecklichen Kopfschmerzen auf dem Sofa. Irgendwann in der Nacht musste er die Hosen ausgezogen haben. Er betrachtete die Flasche mit dem sündhaft teuren Whisky. Sie war tatsächlich halb leer. Für einen kurzen Moment dachte er daran, einen kleinen Schluck zu nehmen. Er starrte auf seine Hände und stellte fest, dass er das Zittern noch kontrollieren konnte. Zufrieden griff er nach dem Schwarzen Krauser und drehte sich eine Zigarette. Nach zwei Zügen drückte er die Kippe angewidert aus und entschloss sich, erst einmal ausgiebig zu duschen. Die Dusche machte keinen besonders sauberen Eindruck, aber dafür war das Wasser heiß, und er bildete sich ein, dass er damit auf gewisse Weise die Wanne desinfizieren würde. Er drückte sich eine große Menge Zahnpasta auf die Bürste, stellte sich unter den warmen Strahl und versuchte, den ekelhaften Geschmack in seinem Mund wegzuputzen. Für einen Moment glaubte er, den Schatten der Katze vor der Duschwand zu sehen, aber als er die Tür zurückschob, konnte er nichts entdecken.

Steinböck entschloss sich, heute mit dem Wagen ins Kommissariat zu fahren, da er am Nachmittag noch Verschiedenes für die Wohnung besorgen wollte. Die Katze hatte sich bisher noch nicht blicken lassen, so hinterließ er ihr einen gefüllten Napf mit Trockenfutter. Sein Stellplatz war hinter dem Haus, und als er in den Wagen steigen wollte, kam Maxi Müller aus ihrem Wintergarten und winkte ihm zu.

»Guten Morgen, Kommissar. Wann haben Sie heute Zeit, um Hackers Sachen zu packen?«, fragte sie. Maxi Müller merkte, dass er nicht bei der Sache war, und fuhr fort: »Wenn es Ihnen recht ist, packe ich die Sachen zusammen, und Sie tragen die Kisten heute Abend in den Keller. Aurelia kommt gegen zwölf Uhr und würde dann die Wohnung putzen.«

Steinböck hob erleichtert den Daumen.

»Perfekt, ich bezahl sie dann heute Abend.«

»In Ordnung«, sagte sie grinsend, wobei sie bemerkte, wie die Katze gerade hinter Steinböcks Rücken in dessen Auto sprang. »Wie geht es eigentlich Frau Merkel?«

Der Kommissar blickte sie etwas verständnislos an und stieg dann in seinen alten VW-Käfer.

»Bis heute Abend«, brummte er und fuhr langsam mit ein paar Fehlzündungen vom Hof.

*

Als Steinböck gegen 8.30 Uhr das Kommissariat erreichte, stellte er befriedigt fest, dass ihm nach seiner Beförderung zum Ersten Hauptkommissar wenigstens ein eigener Parkplatz zustand. Er stellte den Motor ab, und als er das Auto verlassen wollte, hörte er ein Schnurren, das er aufgrund seiner Kopfschmerzen nicht sofort zuordnen konnte. Er sah in den Rückspiegel und blickte in das Gesicht von Frau Merkel. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl, dass die Katze heruntergezogene Mundwinkel hatte. Verstört schloss er kurz die Augen.

»Kruzifix, wie bist du hier reingekommen?«, fluchte er. »So eine Scheiße, was mach ich jetzt mit dir? Am liebsten würd ich dich im Auto lassen. Aber wie ich dich kenne, kackst du mir dann mit Fleiß auf den Fahrersitz. Aber ich kann dich auch nicht hier rausschmeißen, mitten in der Stadt. Und dass ich dich jetzt zurückfahre, das kannst du vergessen.«

Steinböck griff sich die Katze und schlug die Wagentür zu. Obwohl er sie ziemlich unsanft unter den Arm geklemmt hatte, schnurrte sie unaufhörlich weiter.

»Ich glaub, das hast du mit Absicht getan. Dafür werde ich dich ab jetzt Frau Merkel nennen. Ich weiß, dass du den Namen nicht magst.« Schlagartig hörte sie zu schnurren auf. Der Beamte an der Pforte grüßte freundlich, rief dann aber, als er die Katze in Steinböcks Armbeuge sah:

»Tiere sind im Kommissariat nicht erlaubt, Herr Hauptkommissar.«

»Das geht schon in Ordnung. Die Katze ist Augenzeuge eines Mordes und zur Vernehmung da. Außerdem muss sie ein Phantombild machen«, brummte er und ließ den Beamten einfach stehen. Endlich erreichte er sein Büro. Er öffnete die Tür und setzte die Katze unsanft auf den Boden.

»Morgen, Chef, Kaffee?«, fragte eine gut gelaunte Ilona Hasleitner. Steinböck sah sie verdutzt an. Es roch nach frisch gebrühtem Kaffee, und es dauerte einen Moment, bis er wieder klar denken konnte. Mein Gott, er hatte sich mit dem Whisky fast sämtliche Erinnerungen an den gestrigen Tag weggesoffen. Er blickte auf den zusätzlichen Schreibtisch und den zweiten Bildschirm. Auf dem Regal stand eine Kaffeemaschine, an die er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Er deutete darauf.

»Haben wir so etwas hier auf Lager?«, fragte er die junge Polizistin.

»Die hab ich von daheim mitgebracht. Ist es dir nicht recht?«, fragte sie kleinlaut.

»Spinnst du, das ist eine super Idee. Wenn du jetzt noch eine Butterbrezen hättest, wär der Morgen gerettet.«

»Eine oder zwei?«

»Was meinst du?«

»Eine oder zwei Butterbrezen?«

Steinböck schaute sie verdattert an. Dann hob er die Hand und spreizte zwei Finger nach oben.

Hasleitner stand auf, goss ihm eine Tasse Kaffee ein und stellte sie vor ihm auf den Tisch. Dann sagte sie ernst.

»Sei ehrlich, Chef, du hast gestern gesoffen?« Der Kommissar schaute sie verblüfft an.

»Wie kommst du jetzt darauf?«

»Ich bin alleine bei meinem Vater aufgewachsen, weil die Mutter bald nach meiner Geburt gestorben ist. Er hat jeden Abend gesoffen, und du schaust heut genauso aus wie er jeden Morgen«, sagte sie traurig.

»Ich glaub nicht, dass dich das etwas angeht«, sagte er mürrisch. Ilona drehte sich um und ging mit hängenden Schultern zur Tür.

»Ich hol’ jetzt die Butter aus dem Kühlschrank.«

Steinböck schaute verblüfft hinter ihr her. Eigentlich wollte er richtig wütend werden, schaffte es aber nicht. Diese empfindlichen Antennen hätte er der jungen Frau nicht zugetraut. Am meisten ärgerte er sich über sich selbst. Er blickte auf die Katze.

Sie sah ihn vorwurfsvoll an, und er war sich nicht sicher, ob sie nicht gerade Arschloch zu ihm gesagt hatte. Dann drehte sie sich um, sprang auf den Stuhl und von dort auf einen Stapel Akten, der auf dem Fensterbrett lag. Sie schaute aus dem Fenster und zeigte Steinböck ihren Hintern, wobei sich ihr Schwanz leicht zuckend hin und her bewegte.

»Frau Merkel«, äffte er in ihre Richtung. Das Zucken des Schwanzes wurde schlagartig stärker, aber sie ignorierte ihn weiterhin. Vorsichtig hob er die bis zum Rand gefüllte Kaffeetasse an die Lippen. Gerade als er trinken wollte, klopfte es. Genervt stellte er die Tasse zurück. Die Tür öffnete sich, und der Leiter des Kommissariats Paul Mögele betrat das Büro. Mögele war Anfang 40, kahlköpfig und trug ständig einen dieser hässlichen Trachtenanzüge. Aus irgendeinem Grund hatte er es geschafft, so jung bereits zum Leiter der Münchner Mordkommission aufzusteigen. Steinböck hatte ihn tatsächlich vor 20 Jahren mit ausgebildet. Schon damals hatte er die Münchner Eigenart, sich mit den meisten Kollegen zu duzen. Selbstverständlich duzte er Mögele weiter, auch wenn dieser versuchte, etwas Distanz zu schaffen, indem er Steinböck plötzlich siezte. »Gibt’s schon was Neues zum gestrigen Mordfall?«, fragte er und ließ seinen Blick durchs Büro streifen.

 

»Mir sind dran. Ich warte noch auf die Untersuchung der KTU und des Pathologen.«

»Gut, ist gerade gekommen«, sagte er und hob einige Akten hoch. »Schauen Sie sich das an, und dann geben Sie mir bis Mittag einen vorläufigen Bericht.«

»Schon gut«, brummte Steinböck. Mögele legte die Akten auf den Tisch. Dann blickte er auf den zweiten Schreibtisch und die Kaffeemaschine.

»Kommen Sie mit der Ilona Hasleitner zurecht oder möchten Sie, dass ich mich nach jemand anderem umschaue?«

Steinböck blickte erschrocken auf.

»Wie kommst du jetzt da drauf? Die Ilona ist schon in Ordnung.«

»Umso besser. Ihr Partner kommt nämlich so schnell nicht. Er ist noch mal für sechs Wochen krankgeschrieben.«

»Was fehlt ihm denn?«

»Burn-out-Syndrom.«

»Ja, dann ist es besser, wenn er sich noch erholt«, sagte Steinböck zufrieden und überlegte ernsthaft, wie es möglich war, bei der Münchner Polizei einen Burn-out zu bekommen.

»Übrigens möchte ich das morgendliche Briefing jetzt jeden Tag durchführen. Das heißt, alle Teams treffen sich morgens um neun im Gruppenraum. Es schadet nichts, wenn die anderen auch einen Überblick über die Fälle ihrer Kollegen haben.«

»Des ist eine gute Idee«, knurrte er und starrte dabei stur auf seinen Kaffee.

»Ist das der Augenzeuge, der ein Phantombild machen soll?«, fragte Mögele grinsend, wobei er auf die Katze deutete. Der Kommissar schaute kurz auf Frau Merkel, die ihm noch immer den Hintern zudrehte und ihn sowie auch Mögele ignorierte.

»Genau«, sagte er und hob die Kaffeetasse erneut an den Mund, fest entschlossen, sie nicht mehr abzusetzen, bevor er nicht einen ordentlichen Schluck genommen hatte.

*

Gerade als Paul Mögele Steinböcks Büro verließ, kam ihm Hasleitner auf dem Gang entgegen. Schnell versteckte sie die Tüte mit den Brezen und die Butter hinter ihrem Rücken.

Der Amtsleiter blieb kurz stehen und sah die junge Frau an.

»Kommen Sie zurecht mit Ihrem neuen Chef?«

»Ja freilich«, antwortete sie erstaunt.

»Also dann passen Sie gut auf. Von dem Steinböck können Sie eine Menge lernen, auch wenn seine Methoden a bisserl seltsam sind.«

Ilona Hasleitner nickte stumm, dann verschwand sie im Büro. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, holte ein Messer aus der Schublade und schnitt zwei Brezen auf, die sie dick mit Butter bestrich. Erst jetzt warf sie einen vorsichtigen Blick zu Steinböck hinüber, der in einen der Berichte vertieft war. Leise stand sie auf und stellte ihm einen Teller mit den Butterbrezen auf den Tisch.

»Wegen vorhin, des tut mir leid«, sagte sie leise.

Steinböck legte den Bericht beiseite, dann schaute er sie streng an.

»Du brauchst dich bei mir nicht zu entschuldigen. Außerdem hast du recht gehabt. Ich hab gestern gewaltig gesoffen, und jetzt brummt mir der Schädel.«

»Möchtest du eine Tablette?«

»Hast du etwa eine?«, fragte er. Sie nickte bejahend und grinste. Ilona holte ihre Handtasche hervor, kramte eine Zeit lang darin herum und brachte schließlich einen Streifen Aspirin zum Vorschein. Sie drückte eine heraus, blickte kurz zu ihm hinüber, sah seine beiden erhobenen Finger und drückte dann auch noch eine zweite auf den Tisch. Mit einem mitleidigen Blick legte sie sie auf den Teller neben die Brezen. Steinböck reichte ihr die Berichte, die Mögele gerade mitgebracht hatte.

»Hier, lies das durch, und dann sagst du mir, was drin steht.« Lachend fügte er hinzu: »Ilona, das könnte der Anfang einer wunderbaren Beziehung sein.«

»Aber nicht, wenn du so weitersäufst«, sagte sie streng und griff sich die Akten. Der Kommissar aß genüsslich die Brezen, und zum Schluss spülte er die beiden Aspirin mit dem letzten Schluck Kaffee runter. Er lehnte sich zurück an die Wand, blickte kurz zur Katze, die offensichtlich schlief, und beobachtete Ilona Hasleitner, die in die Berichte vertieft war.

Was für ein hübsches Gesicht, dachte er bei sich. Warum achtet das Mädel nicht mehr auf ihre Figur? Steinböck hatte Lust auf eine Zigarette, war aber zu faul, um vor die Tür zu gehen.

»Hat er dich geschlagen?«, fragte er leise.

Ilona las weiter in den Akten, und er hatte nicht den Eindruck, als ob sie ihn gehört hätte. Er musterte sie eindringlich.

»Ja«, sagte sie plötzlich, ohne aufzublicken.

»Oft?«

»Fast jeden Abend, wenn er besoffen war.«

Steinböck schwieg. Hasleitner starrte weiterhin auf den Bericht.

»War da sonst noch was?« Plötzlich herrschte eisige Stille.

Dann hob die junge Polizistin langsam den Kopf, die Augen voller Tränen.

»Ja, da war auch sonst noch was«, sagte sie mit zitternder Stimme und schaute ihren Chef traurig an. Steinböck spürte, wie ihm schlecht wurde. Er hatte sich in eine Situation hineinmanövriert, in der er im Moment nicht wusste, wie er weitermachen sollte. Und dann war sie wieder da, diese verdammte Katze, wieder genau im richtigen Augenblick. Sie sprang über beide Schreibtische zu Ilona Hasleitner und stupste laut schnurrend ihren Kopf in ihr tränennasses Gesicht.

»I glaub, die Katz mag mich«, schluchzte sie und lachte gleichzeitig dabei. »Ist des die Katze von gestern?«, fragte sie dann.

Er nickte und antwortete: »Ich hab mich schon gewundert, warum du nichts gesagt hast, als ich sie heute Morgen mitgebracht habe.«

»Ich dachte, du wirst schon wissen, was du tust.« Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und kraulte der Katze den Kopf. »Wie heißt sie?«

»Angeblich nur Katze. Aber ich nenne sie Frau Merkel.«

Ilona Hasleitner sah die Katze an und spürte ihre Reaktion.

»Ich glaub, sie mag den Namen nicht. Ich werd sie Katze nennen. Warum ist sie hier?«

»Ich hab die Wohnung vom Hacker übernommen. Die Bedingung war, dass ich die Katze mit übernehme. Sie gehört sozusagen zum Mobiliar. Heute Morgen hat sie sich heimlich ins Auto geschlichen, und jetzt ist sie hier.«

Ilona stand auf, nahm ihr Sitzkissen, legte es aufs Fensterbrett und setzte die Katze darauf ab.

»Das Halsband, das ist nicht gut für die Katze. Es ist aus Leder.«

»Warum?«, fragte Steinböck erstaunt.

»Katzen schleichen gern durch Zäune oder Büsche, und dann kann es passieren, dass sie hängen bleiben und nicht mehr wegkommen. Wenn es elastisch ist, können sie den Kopf rausziehen. Bei dem hier könnte sie elendiglich umkommen. Ich mach ihr das ab.«

Er zuckte nur mit den Schultern. »Wenn du meinst«, sagte er.

Hasleitner nahm Frau Merkel das Halsband ab und ging zurück zu ihrem Schreibtisch. Sie setzte sich, klappte die Akten zu und sah den Kommissar gespannt an.

»Soll ich jetzt den Bericht für dich zusammenfassen?«

Steinböck nickte, schloss die Augen und lehnte sich zurück an die Wand.

»Also laut Spurensicherung ist die Balkontür nicht aufgebrochen worden. Entweder war sie offen, oder der Mörder kam durch die Eingangstür und hat sie dann geöffnet. Keinerlei Spuren von einem Einbruch. Dann hat Hacker den Mörder wohl hereingelassen und somit auch gekannt. Dafür spricht, dass es keine Abwehrspuren gibt. Das Opfer wurde vermutlich aus etwa einem Meter Entfernung getroffen. Es sieht so aus, als wäre nix gestohlen worden, also kein Raubmord.«

Steinböck unterbrach sie.

»Übrigens, Maxi Müller meinte, Hacker hatte einen Laptop. Sonst irgendwelche Briefe oder ein Notizbuch?«

»Nein, nichts, nur ein paar Mahnungen für die Stromrechnung. Er war nicht mal krankenversichert.«

»Todeszeitpunkt?«

»Sonntagabend zwischen 18 und 20 Uhr.

»Fingerabdrücke?«, fragte der Kommissar, ohne die Augen zu öffnen.