50 Jahre Fußball-Bundesliga

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60 Prozent Eigengewächs

Frischen Wind brachten 1965 zwei Aufsteiger in die Liga, die die siebziger Jahre dominieren sollten. Der FC Bayern mit Trainer Tschik Cajkovski und der VfL Borussia Mönchengladbach mit Trainer Hennes Weisweiler waren gleich ein Hit; sie mischten die Etablierten gehörig auf. Schon am zweiten Spieltag bezwang die Münchner Mannschaft, in der 60 Prozent der Akteure aus dem eigenen Nachwuchs kamen (Beckenbauer, Maier, Nafziger, Kosar, Kunstwadl, Kupferschmidt, Brenninger, Rigotti), die Frankfurter Eintracht mit ihrem Paradesturm Grabowski (damals noch Rechtsaußen), Lindner, Sztani, Huberts, Lotz mit 2:0. Auch den Münchner »Löwen« zog der Aufsteiger das Fell über die Ohren. 0:3 unterlag das Team um Torhüter Radenkovic, um die exzellenten Außenläufer Luttrop und Perusic und das renommierte Angriffsquartett Heiß, Konietzka, Brunnenmeier, Grosser und Rebele.

»In den ersten Jahren unter Weisweiler fuhren die Borussen am Vorabend eines Spiels noch geschlossen mit dem Bus ins Kino. Später dann blieb der Hennes im Hotel, drosch mit Freunden bei Pils und Fernet Branca einen zünftigen Skat, während die Spieler in Privatautos zum Kino fuhren. Den Abschluss bildete meist eine wilde Rallye zurück zum Hotel.«

Jupp Heynckes in seinem Lehrbuch: »Fußball aktiv – Training und Spiel«


Trainer Max Merkel holte Timo Konietzka 1965 von der Dortmunder Borussia zum TSV 1860 München, wo der ehemalige Bergarbeiter in 47 Spielen 30 Treffer erzielte und wesentlichen Anteil am Gewinn der Meisterschaft 1966 hatte. In die Historie ging Konietzka als Schütze des ersten Bundesligatores ein.

Am Ende feierte München den TSV 1860 mit seinem Trainer Max Merkel als Meister und den FC Bayern als Bundesligadritten und Pokalsieger. In einer Umfrage nach dem sympathischsten Bundesligateam der Saison ging die Beckenbauer-Truppe vor Meister 1860 und Dortmund als Sieger hervor – ein bemerkenswerter Erfolg, denn immerhin waren die Westfalen als Europapokal sieger der Pokalsieger (2:1 in der Verlängerung gegen den FC Liverpool) aus Glasgow heimgekehrt.

Maximal 1200 Mark Monatslohn

Das erste Bundesligastatut erlaubte den Spielern keine großen Sprünge. Die monatlichen Grundbezüge (Gehalt plus Leistungsprämien) durften 1200 Mark im Regelfall nicht überschreiten. Eine Höherdotierung »besonders qualifizierter Spieler« bedurfte einer gutachterlichen Stellungnahme bzw. einer Genehmigung des DFB-Spielausschusses. Die Sonderprämien für Meistertitel und Pokalsieg durften maximal 2000 bzw. 1500 Mark betragen. Die Höchstgrenze für Ablösesummen war 50 000 Mark. Im Falle der Freigabeverweigerung des alten Vereins drohte eine Sperre von zwölf Monaten. Vereinswechsel waren nur nach Ablauf der Saison möglich.

Max Merkel packte die Koffer

Mit dem gleichen Titel wie Dortmund schmückte sich dann ein Jahr später die junge Bayern-Mannschaft. Im Finale von Nürnberg besiegte sie die Glasgow Rangers durch ein Tor von Franz »Bulle« Roth, der zwei Jahre zuvor noch für den C-Klassen-Verein TSV Bertelshofen gespielt hatte, mit 2:1. In der Meisterschaft aber reichte es 1967 nur für Platz sechs, der Tanz auf drei Hochzeiten (Bundesliga, DFB-Pokal, Europapokal) war eine zu große Belastung gewesen. Auch für den TSV 1860 lief nicht alles nach Wunsch. Max Merkel hatte mit Torhüter Wolfgang Fahrian von Hertha BSC seinem Intimfeind Petar Radenkovic einen Rivalen vor die Nase gesetzt und Libero Friedel Lutz von der Frankfurter Eintracht geholt, die Talfahrt seiner Mannschaft indes nicht verhindern können. Nach elf Spieltagen waren die »Löwen« Vorletzter und Merkel ratlos. Ehe es zum Eklat kam, packte der Wiener seine Koffer und heuerte beim 1. FC Nürnberg an. Mit Nachfolger Gunter Baumann robbte sich der TSV 1860 schließlich noch an Dortmund und Frankfurt vorbei auf Platz zwei hinter Eintracht Braunschweig.

17 Spiele ohne Gegentor

Die Niedersachsen als Meister hatte keiner auf der Rechnung. Die Mannschaft von Disziplinfanatiker Helmut Johannssen erinnerte in ihrer betont defensiven Spielweise an den berüchtigten Catenaccio von Inter Mailand. Freunde des schönen Fußballs nannten die Braunschweiger verächtlich »Spielverderber«.

Das Team stützte sich auf eine solide Abwehr mit Torhüter Horst Wolter, der in 17 Spielen ohne Gegentor blieb und insgesamt nur 27 Treffer hinnehmen musste, Libero Joachim Bäse, Vorstopper Peter Kaack, dem später bei einem Autounfall tödlich verunglückten Jürgen Moll und Stürmer Lothar Ulsaß.

In der Saison 1967/68 machte Max Merkel in Nürnberg schon vor dem Anpfiff auf sich aufmerksam: Der Österreicher hatte gleich elf Spieler ausgemustert (unter anderem Publikumsliebling Stefan Reisch und Tasso Wild). Und tatsächlich gelang es seiner Mannschaft, eine Mixtur aus Kondition, Zweikampfstärke und Spielfreude, die gesamte Konkurrenz zu distanzieren und Meister zu werden. »Die Athleten beißen und die Techniker spielen lassen«, so übersetzte Stürmerstar Georg Volkert, 1977 mit Felix Magath beim HSV Europapokalsieger der Pokalsieger, Merkels Erfolgsphilosophie.

Vertrag auf dem Bierdeckel

In den ersten Bundesligajahren wurden Verträge schon mal per Handschlag abgeschlossen. Üblich war dies in Mönchengladbach zwischen Trainer Hennes Weisweiler und Manager Helmut Grashoff. Es konnte aber auch vorkommen, dass als Dokument für eine Gehaltsvereinbarung ein Bierdeckel herhalten musste. So geschehen auf der Rückfahrt von einem Spiel der Münchner »Löwen« Mitte der 60er Jahre nach einem Vier-Augen-Gespräch zwischen Trainer Max Merkel und Klubpräsident Adalbert Wetzel.

Für den Titel noch nicht reif

Der FC Bayern und die Gladbacher Borussia mussten einsehen, dass sie für den Titel noch nicht reif waren. Weisweilers »Fohlen«-Elf wirbelte zwar über den Rasen, dass den Fußballfreunden das Herz aufging, doch die Abwehr der Westdeutschen war zeitweise so löcherig wie Schweizer Käse. Auch die Bayern-Abwehr hielt den Anforderungen nicht immer stand. So waren Beckenbauer & Co. beim 3:7 in Nürnberg den Flügelstürmern Zvedzan Cebinac und Volkert sowie Mittelstürmer Franz Brungs, der fünf Mal traf, hoffnungslos ausgeliefert. Nachher mussten sich die Münchner von Hans Fiederer, dem damaligen Chefredakteur des »Sportmagazin« sagen lassen: »Die Bayern kamen tempomäßig einfach nicht mit. Selbst ein Weltklassespieler wie Beckenbauer ging mit unter.«

Tod am Radio

Die Spieler des 1. FC Köln, die sich als Vierter 1968 noch vor dem FC Bayern platzieren konnten, schockte mitten in der Saison der Tod ihres Präsidenten. Die Mannschaft um Overath erhielt die Nachricht im November 1967 auf der Heimfahrt vom Bundesligaspiel in Frankfurt. Der »Boss«, wie Franz Kremer respektvoll genannt wurde, starb in Köln nach einem Herzanfall während der Radioübertragung des Spiels seiner Mannschaft.

FC Bayern gegen alle I 1968 – 2002

Schon beim ersten Titelgewinn des FC Bayern im Jahre 1969 waren sich die meisten Kritiker einig: Diese junge Mannschaft mit dem Dreigestirn Franz Becken bauer, Gerd Müller (damals beide 23) und Sepp Maier (25) wird in der Bundesliga eine Hauptrolle spielen.

Die erste Bundesligameisterschaft des FC Bayern trug die Handschrift des jugoslawischen Trainers Branko Zebec, der 1968 seinen Landsmann Tschik Cajkovski abgelöst hatte. »Der Individualist Tschik Cajkovski hatte den Grundstein für unsere Erfolge gelegt. Aber nach fünf Jahren war seine Zeit abgelaufen. Es kam der kühle Mathematiker Branko Zebec, unter dem alles professioneller ablief, und der einen neuen Bayernstil prägte. Einen mit mehr Systematik und mehr Disziplin. Doch die gute Kameradschaft, die in den Jahren mit Tschik gewachsen war, bildete die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg, an den vor Beginn der Saison keiner von uns gedacht hatte«, hielt Franz Beckenbauer in einer Biographie fest.


Drei, die den FC Bayern groß machten: Gerd Müller, Sepp Maier und Franz Beckenbauer, der schon als junger Spieler bei der Verpflichtung von Trainern und Spielern ein Wörtchen mitreden durfte. Seinen 30. Geburtstag feierte der »Kaiser« mit 120 handverlesenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur.


Mit dieser Mannschaft begann 1969 die unendliche Titelgeschichte des FC Bayern. Von links: Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Franz »Bulle« Roth, August »Gustl« Starek, Helmut Schmidt, Georg »Katsche« Schwarzenbeck, Rainer Ohlhauser, kniend: Peter Pumm, Sepp Maier, Trainer Branko Zebec, Werner Olk und Dieter Brenninger.


Für Bundestrainer Helmut Schön war er der erste Popstar der Fußballszene, für die Fans der kreative Spielgestalter: Günter Netzer dirigierte den VfL Borussia Mönchengladbach 1970 und 1971 zu zwei Meisterschaften.

 

Der Abstieg des Meisters

Um sein Potenzial wurde Zebec 1969 in der ganzen Bundesliga beneidet. Neben Beckenbauer, Gerd Müller und Sepp Maier verhießen Spieler wie Georg »Katsche« Schwarzenbeck, der Jahre später als »Putzer des Kaisers« weltweiten Ruf erwarb, Franz »Bulle« Roth, Rainer Ohlhauser und Dieter Brenninger erstklassigen Fußball über den Tag hinaus.

Die Sensation der Saison war freilich weniger der Triumph der Bayern als vielmehr der Abstieg des Vorjahresmeisters und Top-Favoriten 1. FC Nürnberg, dem ein Jahr später mit dem TSV 1860 München ein weiterer Vorzeigeklub des deutschen Fußballs folgen sollte.

Das Unglück der Nürnberger wurde das Glück des VfL Borussia Mönchengladbach. Trainer Hennes Weisweiler, von dem Gedanken beseelt, seine »Fohlen«-Elf zum großen Gegenspieler des FC Bayern heranzuzüchten, bekam endlich die dringend benötigten Abwehrspieler der Güteklasse A. Einer, der Nürnberger Ludwig »Luggi« Müller, unterschrieb gleich nach dem 0:3 der Franken am Schlusstag der Saison beim 1. FC Köln auf einer Kühlerhaube den Vertrag beim neuen Klub (siehe auch: »Entscheidungen auf der Ziellinie«). Den zweiten – Klaus-Dieter Sieloff – angelte sich Weisweiler wie vorher schon Mittelfeldspieler Horst Köppel beim VfB Stuttgart. Am Ende hatten sich die Investitionen gelohnt Der VfL Borussia war Meister und empfahl sich als Herausforderer des FC Bayern.


Von 1964 bis 1973 beim VfL Mönchengladbach nicht immer ein Herz und eine Seele, aber höchst effektiv: Trainer Hennes Weisweiler und sein Spielmacher Günter Netzer, der 1973 zu Real Madrid wechselte. Weisweiler ging zwei Jahre später zum FC Barcelona, ehe er ein Angebot des 1. FC Köln annahm.

Tasmania Berlin hält den Minusrekord

Schwarzgeldzahlungen kosteten Hertha BSC 1965 die Bundesliga-Zugehörigkeit (siehe auch: »... und andere Skandale«). Doch weil Westberlin aus politischen Gründen in der höchsten Spielklasse präsent sein sollte, durfte ein anderer Berliner Klub an Herthas Stelle rücken. Weder Staffelmeister Tennis Borussia, der in der Aufstiegsrunde gescheitert war, noch der Staffelzweite Spandauer SV waren interessiert. So bekam Tasmania 1900 die Lizenz, die mit einem völlig unzureichenden Spielerkader das Abenteuer Bundesliga wagte. Ganze acht Punkte gewann die Mannschaft um den Italienheimkehrer Horst Szymaniak. Und auch das Torverhältnis von 15:108 bedeutete Minusrekord in der nationalen Eliteklasse.

Schnell verloren die Berliner Fußballfans das Interesse an der Tasmania. Wurden im ersten Heimspiel gegen den Karlsruher SC 81 524 Zuschauer im Olympiastadion gezählt, wo es mit dem 2:0 einen von zwei Siegen zu bejubeln gab, so kamen zum Spiel gegen Borussia Mönchengladbach am 15. Januar 1966 gerade mal 827 Besucher.


Uli Hoeneß begann beim FC Bayern als Vertragsamateur. Als solcher wurde er, 20 Jahre jung, 1972 mit den Münchnern deutscher Meister und mit der Nationalmannschaft Europameister. Außerdem spielte er in der Olympiaauswahl, die mit einem 2:3 gegen die DDR das Halbfinale verpasste.

Gewagte Vergleiche

Edelfedern regte das Duell zwischen den beiden Vereinen zu gewagten Vergleichen an. Der eher ergebnisorientierte Zweckfußball der Bayern, so fabulierten sie, entspreche in etwa dem Geist der politisch Konservativen, der rasante Angriffsfußball der Gladbacher reflektiere dagegen die gesellschaftliche Aufbruchstimmung im Lande. »Netzers Pässe gingen weit in den freien Raum; sie waren das fußballerische Pendant zur Apo und deren Ausläufern, bis hin zu Willy Brandts ›Mehr Demokratie wagen‹«, interpretierte zum Beispiel der Schriftsteller Helmut Böttiger das Spiel des Borussia-Dirigenten.

Vordergründig bot sich die Szene so dar: In den politisch bewegten Jahren zwischen 1965 und 1974 sympathisierten die meisten Bayern-Spieler im Freistaat mehr mit den regierenden Christsozialen als mit den »Sozis«. Franz-Joseph Strauß spielte sogar Trauzeuge bei der Hochzeit des Ulmer Metzgersohnes Uli Hoeneß. Paul Breitner, wie Hoeneß 1970 zum FC Bayern gekommen, passte weniger in das Raster. Mit Afro-Look und der Peking-Rundschau in der Hand mimte er den Revoluzzer. Und auch Rainer Zobel und »Charly« Mrosko konterkarierten als »bekennende 68er« das Bild einer CSU-nahen Fußballgemeinschaft. In Gladbach war auch Ferrarifahrer Netzer weit davon entfernt, sich mit der Politik und den Politikern der sozialliberalen Koalition zu identifizieren.

»Jetzt haben’s beim FC Bayern, wo der Mozart und der Beethoven in einer Band stehen, endlich auch einen passenden Bediener, der nur die Noten umzublättern braucht.«

Max Merkel über Udo Lattek, der als junger Trainer beim FC Bayern 1970 mit Beckenbauer und Gerd Müller Weltklassespieler vorfand

Breitner ließ sich nichts gefallen

Im Auftreten der beiden Kapitäne Beckenbauer und Netzer auf dem Rasen gab es kaum Unterschiede. Beide bestimmten Tempo und Spielgestaltung, beide dirigierten das Geschehen lautstark. Beckenbauer, von Natur aus eher Phlegmatiker, mutierte auf dem Platz schon mal zum Choleriker. »Er konnte wie eine Marktfrau auf dem Viktualienmarkt fluchen und gleichzeitig das Spiel seiner Mannschaft führen, das an die distinguierte Art des Papstes erinnerte«, schrieb »Spiegel«-Autor Hermann Schreiber. Lustvoll stritt sich Beckenbauer mit Paul Breitner. Anders als Uli Hoeneß, der dem Sprichwort huldigte »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold«, ließ sich der Querdenker Breitner nichts gefallen. Auch Sepp Maier widersprach dem »Kaiser« gelegentlich, trug Wortgefechte im Gegensatz zu Breitner meist humorvoll aus.


Paul Breitner, hier unter einem Mao-Bild mit der Peking-Rundschau in der Hand, legte als junger Spieler Wert darauf als »links« zu gelten. Dank seiner sportlichen Qualitäten konnte sich der Münchner in einem konservativen Umfeld die Rolle eines Revoluzzers leisten.


Gladbacher Angriffsfußball lebte von den gestalterischen Fähigkeiten eines Günter Netzer und den Sturmläufen des Torjägers Jupp Heynckes, der es in 369 Bundesligaspielen (86 für Hannover 96) auf insgesamt 220 Treffer brachte. Nur Gerd Müller (365 Tore in 427 Spielen) und Klaus Fischer (268 in 535 Spielen) waren erfolgreicher.

Gegen Netzer wagte in Gladbach keiner zu opponieren. Der Sohn eines Samenhändlers genoss in der Mannschaft größten Respekt. Verteidiger Berti Vogts verhielt sich dem »Jünter« gegenüber beinahe subaltern. Konfliktbeladen war Netzers Verhältnis nur mit Weisweiler. Den Trainer störte, dass der Kapitän das Training als lästige Pflicht betrachtete. Zudem nervte Netzer mit der ständigen Mahnung, »wir müssen dazu kommen, dass wir unser Tempo verändern und ein Spiel auch mal langsam machen«. Weisweiler sah darin nur ein Alibi für Trainingsrückstände und fehlende Kondition und ignorierte solche Vorhaltungen so gut es ging.

Beckenbauer mit 20 ein Weltstar

An Franz Beckenbauer traute sich kein Trainer heran. Sein Status – mit 20 wurde er bei der WM in England schon ein Weltstar – machte ihn unangreifbar. Zudem stärkte ihm Manager Robert Schwan, der auch sein persönlicher Berater war, bei jeder Gelegenheit den Rücken.

Exklusiv wie ihr Spiel auf dem Rasen, bei dem sich beide auf treue Helfer verlassen konnten – Beckenbauer auf Schwarzenbeck, Netzer auf Wimmer –, gestalteten die beiden Fußballgenies auch ihr Privatleben. Netzer umgab sich gern mit Künstlern, mit Film- und Fernsehschaffenden und nannte den prominenten TV-Regisseur Michael Pfleghar seinen Freund. Beckenbauer fühlte sich mehr zum Establishment hingezogen. Der »Kaiser« besuchte die Bayreuther Festspiele und feierte zum Beispiel seinen 30. Geburtstag mit 120 handverlesenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur; die Mannschaftskollegen waren nicht eingeladen.

1971 veranstaltete das Wickert-Institut im Auftrage der »Sport-Illustrierten« in München eine Umfrage nach dem beliebtesten deutschen Sportler. Es gewann Franz Beckenbauer vor dem Springreiter H.G. Winkler und Uwe Seeler.

Einfluss auf die Personalpolitik

Beim FC Bayern durfte Beckenbauer recht früh die Personalpolitik mitbestimmen. In seinem Buch »Einer wie ich« erwähnt er, dass er bei der Verpflichtung von Udo Lattek seine Finger im Spiel hatte: »1970 brauchte der FC Bayern einen neuen Trainer, weil der alte, Branko Zebec, sich mit unserem Vorstand zerstritten hatte. Beim FC Bayern war ich inzwischen ein enger Berater des Vorstandes in den Fragen geworden, die für uns Spieler von unmittelbarer Bedeutung sind.

Es überraschte mich daher nicht, dass Robert Schwan ein Gespräch über das Trainerproblem mit mir führte. Max Merkel kam nicht in Betracht, weil er gerade in Spanien den FC Sevilla trainierte. Tschik Cajkovski wollte unser Vorstand nicht wieder einstellen. Es blieben Cramer und Lattek. Cramer war bei der FIFA und irgendwo in der Welt unterwegs. Blieb nur noch Lattek. Als Präsident Neudecker mich fragte, wen ich für einen geeigneten Trainer halte, schlug ich Lattek vor.«

Zum Erfolg war Lattek verdammt, denn laut Beckenbauer kam er zum FC Bayern als es aufwärts ging: »Branko Zebec hinterließ ihm eine körperlich hervorragend getrimmte Mannschaft. Gerd Müller und ich waren im besten Alter, und Sepp Maier hatte in der Nationalmannschaft Hans Tilkowski abgelöst.« 1971 sah es so aus, als könne der FC Bayern die Gladbacher wieder vom Thron stoßen. Erst am letzten Spieltage vergaben die Münchner diese Chance (siehe auch: »Entscheidungen auf der Ziellinie«).

»Ich bin der Hans Albers der Bundes liga. Der konnte saufen und arbeiten wie ich.«

Udo Lattek über sich

Rekorde für die Ewigkeit

Am Ziel war Lattek ein Jahr später. Die Saison 1971/72 wurde zum Triumphzug für die Bayern, bei denen Paul Breitner und Uli Hoeneß in zwei Jahren zu Stützen des Teams herangereift waren, der eine als stürmischer Außenverteidiger, der andere als pfeilschneller Flügelstürmer. 1972 stellten die Münchner auch zwei Bundesligarekorde für die Ewigkeit auf: Die Mannschaft erzielte 101, Gerd Müller 40 Tore. Dennoch war die Saison kein Spaziergang, Schalke erwies sich als fast ebenbürtiger Gegner und hielt die Spannung bis zum Saisonfinale aufrecht (siehe auch: »Entscheidungen auf der Ziellinie«).

Souverän verteidigte der FC Bayern den Titel 1973, hatte elf Punkte Vorsprung vor dem 1. FC Köln, konnte mit seinem »Kühlschrank-Fußball« die Republik allerdings nicht begeistern. Den »Malochern« im Ruhrgebiet missfiel besonders die elegante und lässige Spielweise von »Kaiser Franz«. Sie empfanden sie als arrogant. Mit den Anfeindungen in fremden Stadien konnten die Münchner indes gut leben. Pfiffe im eigenen Stadion und die Missachtung der Fans gingen ihnen aber ganz schön unter die Haut.


Udo Lattek war 37, als er zum ersten Mal den Meisterteller küssen konnte. Der gebürtige Ostpreuße gewann in seiner Trainerkarriere acht Titel, sechs mit dem FC Bayern, zwei mit dem VfL Borussia Mönchengladbach.