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Winnetou 4

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»Ja«, antwortete die Freundin.

»Wann?«

»Grad um Mitternacht.«

»Wenn ich doch dabeisein könnte, ohne gesehen zu werden!«

Da fiel das stets besorgte Herzle schnell ein:

»Nein! Daraus wird nichts! Das ist zu gefährlich!«

»Wieso gefährlich?«

»Wenn sie dich erwischen, ist es um dich geschehen! Ich als deine Frau habe vor allen Dingen darauf zu sehen, daß du zu jeder Zeit mir wenigstens am Leben bleibst!«

Kakho-Oto lächelte. Das tat ich auch und fragte das Herzle:

»Aber wenn es sich nun herausstellt, daß es nicht gefährlich ist?«

»So gehe ich mit, um die Sache zu prüfen! Als Junggeselle Westmann sein, ist keine Kunst. Aber sich noch als Westmann geberden, wenn man schon längst verheiratet ist, und seine Frau bei sich hat, das wird einem jeden vernünftigen Mann so fern wie möglich liegen! Wenn wir Frauen einmal jemand belauschen, so wird gleich ein großes Hallo darüber gemacht. Aber wenn die Herren Männer im Wald herumkriechen, um Indianer zu behorchen, da behauptet man, es sei erstens notwendig und zweitens gehöre es zur Kühnheit und zum Heldentum. Ich habe da einen sehr guten Gedanken, der diese gefährliche Lauscherei vollständig unnötig macht.«

»Welchen?«

»Kakho-Oto nimmt an dieser Hauptberatung teil und sagt uns dann, was gesprochen worden ist.«

Da lachte ich laut auf und entgegnete:

»Diesen Gedanken nennst du gut? Er ist so töricht wie möglich! Nie wird ein gewöhnliches weibliches Wesen an einer derartigen Häuptlingsversammlung teilnehmen dürfen!«

»Wirklich nicht?«

»Nein!«

»Das ist eine Schande! Aber erfahren müssen wir auf alle Fälle, was, beraten worden ist! Wie fangen wir das an?«

Da lächelte die Freundin abermals und antwortete:

»Ihr werdet bei dieser Versammlung zugegen sein.«

»Wir? Wir beide?« fragte das Herzle schnell.

»Ja.

»Ich denke, als Frau darf ich nicht!«

»Es geschieht im Geheimen. Niemand wird euch sehen. Die Häuptlinge kommen nämlich nach dem ,Haus des Todes‘. Der Medizinmann der Komantschen will es so, und der Medizinmann der Kiowas stimmt ihm bei. Sie behaupten, das ,Haus des Todes sei schon vor Jahrtausenden ein Beratungshaus der Anführer gewesen und solle es nach seiner Entdeckung jetzt nun wieder sein. Zugleich sei es die Begräbnissttte der Häuptlinge. Weibern sei es bei sofortiger Todesstrafe verboten, gewöhnlichen Kriegern ebenso, außer sie kommen zur Bedienung der Häuptlinge mit.«

»Das ist ja vortrefflich!« meinte das Herzle. »Sie kommen also um Mitternacht?«

»Ja, kurz vorher, denn die Zeremonie hat genau um Mitternacht zu beginnen.«

»Da stellen wir uns zeitig ein, vielleicht schon um elf!«

»Aber du doch nicht!« sagte ich.

»Warum nicht?« fragte sie.

»Du hast doch soeben erst gehört, daß ,Weibern‘ der Zutritt bei sofortiger Todesstrafe verboten ist! Das ist mir zu gefährlich! Ich als dein Mann habe vor allen Dingen darauf zu sehen, daß du zu jeder Zeit mir wenigstens am Leben bleibst! Ich fühle mich also zu der Erklärung verpflichtet, daß du von der Teilnahme an diesem nächtlichen Abenteuer vollständig ausgeschlossen bist!«

»Oho! Ich verweigere den Gehorsam! Nimmst du deine Erklärung nicht sofort zurück, so gehe ich auf der Stelle nach dem ,Haus des Todes‘ und verstecke mich dort bis Mitternacht, um euch alle miteinander zu belauschen, nicht nur die Indianer, sondern auch euch!«

»Wohin willst du dich verstecken?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Das muß man aber wissen!«

»Schon vorher?«

»Gewiß! Es ist sehr schnell gesagt: ich verstecke mich. Aber den richtigen Platz zu finden, das erfordert Ueberlegung, die nicht zu spät kommen darf. Wir wissen noch nicht, wie viele Personen sich einstellen werden – – —«

»Ich weiß es,« fiel Kakho-Oto ein. »Es kommen Kiktahan Schonka, Tusahga Saritsch, Tokeichun und Tangua, die vier Oberhäuptlinge, sodann die beiden Medizinmänner der Kiowas und der Komantschen und außerdem fünf Unterhäuptlinge von jedem der vier Stämme. Auch einige gewöhnliche Krieger sind dabei, um das nötige Feuerholz und Tangua zu tragen, der nicht gehen kann. Jeder Stamm wird sein eigenes Beratungsfeuer brennen. Das Feuer für alle aber wird auf dem Altare angezündet, der die Medizinen der Oberhäuptlinge zu empfangen hat, bis das, was die Beratung ergeben hat, auch ausgeführt worden ist.«

»So können wir also annehmen«, fuhr ich nun fort, »daß wenigstens dreißig Personen vorhanden sein werden. Wo und wie sie sich verteilen und plazieren, das wissen wir nicht. Es gibt somit im unteren Teil des Hauses, im Parterre, im Flur, auf dem Fußboden, keine einzige Stelle, an der wir sicher sein könnten, nicht bemerkt zu werden. Es ist da überhaupt kein einziger Gegenstand vorhanden, hinter dem wir uns verstecken könnten. Es steht da ganz allein nur der Altar, um den sie sich versammeln werden.«

»So verstecken wir uns oben!« rief das Herzle. »Mit Hilfe der Leiter! In den Nischen, in den Luftlöchern, in den Fenstervertiefungen!«

»Ganz recht!« nickte ich. »Aber denkst du dabei auch an die Feuer?«

»Soll ich das? Wozu?«

»Wozu? Welche Frage! Um nicht zu ersticken oder durch immerwährendes Räuspern und Husten dich wenigstens zu verraten! Es werden fünf Feuer brennen, vier Stammes- und ein Altarfeuer. Diese Feuer werden mit Holz, Reisig usw. genährt. Das gibt, zumal wenn dieses Material nicht ganz trocken ist, einen so bedeutenden Rauch und Qualm, daß es da oben, wohin du steigen willst, gar nicht auszuhalten ist, außer wir finden einen Platz, wo dieser Qualm und Rauch uns nicht erreicht.«

»Denkst du, daß es einen solchen gibt?«

»Ich hoffe es. Unten können wir uns freilich nicht verstecken; wir müssen hinauf. Aber auch nicht zu hoch, weil wir da nichts hören würden. Es gilt, die Windrichtung zu erkennen und den Luftzug zu berechnen. Das Tor und alle Fensteröffnungen stehen offen. Es wird also Luftzug mehr als genug vorhanden sein. Aber nach welcher Seite geht er? Ich schlage vor, daß wir probieren! Wir haben fast noch eine Viertelstunde Zeit, ehe es Abend wird. Gehen wir schnell nach dem Haus, um ein Feuer anzuzünden und zu sehen, wohin der Rauch entweicht.«

»Und dabei erwischt zu werden!« warnte Pappermann.

»Es kommt niemand«, versicherte Kakho-Oto. »Wir können es unbesorgt tun.«

Mein Vorschlag wurde also ausgeführt. Wir begaben uns nach dem alten Bauwerk und sammelten unterwegs soviel dürres Holz, wie nötig war, den geplanten Versuch zu machen. Die Leiter wurde wieder hervorgeholt. Als das Feuer brannte, blieb Pappermann unten, um es zu schüren; wir vier anderen aber stiegen hinauf und beobachteten die durch die Wärme verursachte Luftbewegung und den abziehenden Rauch. Hierdurch entdeckten wir die für uns am besten geeignete Stelle und stiegen wieder hinab, um das Feuer auszulöschen und jede Spur desselben sorgfältig zu vertilgen. Dann kehrten wir nach unserem Lagerplatz zurück. Kakho-Oto aber verabschiedete sich von uns, um sich zu ihren Kiowas zu verfügen und am nächsten Morgen zeitig wiederzukommen. Während meine Frau uns am Lagerfeuer das Abendessen bereitete, gossen wir uns mit Hilfe des vorhandenen Bärenfettes und einer aufgedrehten, ungefärbten Baumwollschnur einige kleine Kerzen, die wir nötig hatten, um bei unserem nicht ungefährlichen Aufstieg in die Höhe des Hauses nicht ganz und gar im Dunkeln zu sein. Denn gefährlich war es immerhin, auf den frei aus der Mauer ragenden Stufensteinen, die keine Spur von Brüstung oder Geländer hatten, ohne hellere Beleuchtung emporzuklimmen. Jedem Ausgleiten mußte unbedingt der Absturz folgen. Darum wollte ich mit dem ,jungen Adler‘ allein hinauf. Das Herzle war da eigentlich recht überflüssig, zumal sie von den Verhandlungen, die ganz selbstverständlich indianisch geführt wurden, kein Wort verstehen konnte. Aber gerade, weil sie die Gefahr erkannte, bestand sie darauf, uns begleiten zu dürfen, weil sie mehr Besorgnis für mich als für sich selbst hatte und die Ueberzeugung hegte, daß ich in ihrer Gegenwart vorsichtiger sein würde als ohne sie.

Als die elfte Stunde nahte, brachen wir auf und hinterließen unserem Pappermann die Weisung, falls wir gegen Morgen noch nicht zurück sein sollten, vorsichtig nachzuschauen, was uns im ,Haus des Todes‘ festgehalten habe. Wir nahmen unsere Revolver mit, obwohl wir keineswegs glaubten, sie brauchen zu müssen. Im Hause angekommen, zündeten wir die drei Kerzen an. Der Aufstieg war noch schwieriger, als ich vorausgesehen hatte, und zwar der Leiter wegen. Wir brauchten sie, um zur untersten Stufe hinaufzukommen, und da wir sie unmöglich stehenlassen konnten, weil sie uns verraten hätte, mußten wir sie mit hinaufnehmen. Ich stieg voran, dann folgte das Herzle, der »junge Adler« hinter ihr her. Indem ich vorn und er hinten die Leiter waagrecht faßte, bildete sie für meine Frau ein mitwandelndes Sicherheitsgitter, an dem sie sich im Falle der Not zu halten vermochte. Wir gelangten langsam, sehr langsam, aber doch glücklich hinauf. Da schoben wir die Leiter in die tiefe Fensteröffnung, so daß sie in ihr vollständig verschwand, löschten unsere kleinen, fast ganz unzureichenden Licht aus und stiegen durch die Oeffnung, welche auf den künstlichen Felsensturz mündete, hinaus ins Freie.

Es gab über uns einen hellen Sternenhimmel. Das von ihm niederfallende Licht reichte hin, uns den See als eine mattsilberne Fläche zu zeigen, die im Schattenrahmen der Ufersträucher lag. Wir brauchten nicht lange zu warten, so bewegte es sich da vorn. Es kamen Gestalten, langsam und einzeln, eine hinter der anderen. je näher sie kamen, um so deutlicher konnten wir sie erkennen. Freilich, ihre Gesichtszüge nicht. Auch die Gestalten waren nicht scharf konturiert. Aber daß es Indianer waren, darüber gab es keinen Zweifel. Auch die Bahre sahen wir, auf welcher der Häuptling der Kiowas getragen wurde. Sie bestand aus einer Decke, welche zwischen zwei Stangenhölzern befestigt war. Andere trugen große Holz- und Reisigbündel. Wir zählten vierunddreißig Personen. Wir warteten, bis die letzte von ihnen im Innern des Hauses verschwunden war, und schlüpften dann auch hinein. Wir hatten da eine undurchdringliche Dunkelheit vor uns und setzten uns nieder.

 

Geheimnisvolles Geräusch ließ sich in der Tiefe unter uns hören, weiter nichts. Niemand sprach, kein Ruf, kein Befehl, kein Kommando erscholl. Es schien alles sehr genau vorher besprochen worden zu sein. Da sprang irgendwo ein Funke auf, noch einer und noch einer. Diese Funken verwandelten sich in kleine Flämmchen. Die Flämmchen wurden zu Flammen, die Flammen zu brennenden Feuern. Es gab vier Feuer, welche die Ecken eines Quadrates bildeten, in dessen Mitte der Altar stand. Um diese Feuer lagerten sich phantastische Indianergruppen, die Häuptlinge jedes Stammes um ihre besondere Flamme. Der Rauch stieg empor, aber er belästigte uns nicht er verschwand durch die Oeffnungen der gegenüberliegenden Seite. Auch der Schein der Feuer stieg empor; aber je höher, um so ungenügender und geheimnisvoller wirkte er. Beim Flackern der Flammen schien sich nicht nur unten, sondern auch hier oben alles zu bewegen, die Nischen, die Mumien, die Gerippe, die verworrenen Teile der Knochen. Das Herzle griff nach meiner Hand, drückte sie krampfhaft fest und flüsterte mir zu:

»Wie geisterhaft, ja, gespensterhaft! Fast fürchte ich mich!« Wünschest du dich weg von hier?« fragte ich.

»Nein, nein! So etwas gibt es ja niemals, niemals wieder! Denke, wir sind im Inferno!«

Das Bild, welches sie da brachte, war nicht unzutreffend; ich aber hätte lieber gesagt, im Fegefeuer. Was da unten beschlossen werden sollte, war Sünde, ja; aber es hatte nicht unbedingt zur Verdammung zu führen; wir selbst waren ja da, um ihm ein besseres Ende, einen glücklichen Ausgang zu geben. Mir kamen die Gestalten da unten vor, nicht als ob sie Abkömmlinge vergangener Jahrtausende, sondern die zu erlösenden Seelen jener uralten Zeiten seien, die sich hier versammelt hatten zur letzten, bösen Tat, in deren Schoß die Befreiung aus der Finsternis zu suchen und zu erfassen war. Indem ich dies dachte, erklang das erste Wort, welches gesprochen wurde:

»Ich bin Avat-towah, der Medizinmann der Komantschen. Ich sage: es ist Mitternacht!«

Und eine zweite Stimme schloß sich an:

»Ich bin Onto tapa, der Medizinmann der Kiowa. Ich fordere auf, die Verhandlung zu beginnen!«

»Sie beginne!« rief Tangua.

»Sie beginne!« rief To-kei-chun.

»Sie beginne!« rief Tusahga Saritsch.

»Sie beginne!« rief Kiktahan Schonka.

Auch jetzt konnten wir die Gesichtszüge der Genannten nicht erkennen. Wir sahen nur ihre Gestalten und hörten ihre Stimmen wie aus einer nicht mehr zur Erde gehörenden Unterwelt herauf. Da trat der Medizinmann der Komantschen an den Altar und sprach:

»Ich stehe vor dem heiligen Bewahrungsort der Medizinen. Im Tempel unseres alten, berühmten Bruders Tatellah-Satah hängt die Riesenhaut des längst schon ausgestorbenen Silberlöwen, auf welcher folgendes geschrieben steht: ,Bewahret eure Medizinen! Das Bleichgesicht kommt über das große Wasser und über die weite Prärie herüber, um euch eure Medizinen zu rauben. Ist er ein guter Mensch, so wird es euch Segen bringen. Ist er ein böser Mensch, so wird es ein Wehklagen geben in allen euren Lagern und in allen euern Zelten.‘«

Hierauf trat auch der Medizinmann der Kiowas an den Altar und sprach:

»Aber neben diesem Fell des Silberlöwen hängt die Haut des großen Kriegsadlers; auf der steht geschrieben:

Dann wird ein Held erscheinen, den man ,den jungen Adler‘ nennt. Der wird dreimal um den Berg der Medizinen fliegen und sich dann zu euch niederlassen, um euch alles wiederzubrigen, was das Bleichgesicht euch raubte.‘ Ich frage euch, die Oberhäuptlinge der vier vereinigten Stämme: Wollt ihr den Beschlüssen treu bleiben, welche heute unter euch getroffen worden sind?«

»Wir wollen«, antworteten alle vier.

»Und seid ihr bereit, eure Medizinen hier niederzulegen zum Pfand dafür, daß ihr alles tun werdet, es auch auszuführen?«

Ein lautes, vierfaches Ja erscholl.

»So bringt sie her, und gebt sie ab!«

Sie taten es. Sogar Tangua ließ sich zum Altar tragen, um seine Medizin mit eigener Hand abzugeben. Kiktahan Schonka klagte, indem er dem Medizinmann die seinige überreichte:

»Es ist nur die Hälfte. Die andere Hälfte ging unterwegs verloren, als Manitou seine Augen von mir wendete. Er kehre mir sein Antlitz wieder zu, damit mir nicht auch diese andere Hälfte noch verloren gehe! Die Last meiner Winter drückt mich dem Grabe zu. Soll ich jenseits des Todes ohne Medizin erscheinen, und für ewig verloren sein? Schon um mich vor diesem Untergang zu retten, bin ich gezwungen, alles zu tun, um zu halten, was ich heute versprach!«

Die Platte wurde vom Altar gehoben und dann, als die Medizinen im Innern desselben verschwunden waren, wieder daraufgelegt. Dann häufte man Holz und Reisig darüber und steckte es in Brand, doch nicht nach unserer, sondern nach indianischer Weise, so daß nur ein kleines Feuer entstand, in welches nur die Spitzen der Hölzer ragten, die, wenn sie verzehrt waren, immer nachgeschoben wurden. Das war das »Feuer der Beratung«, die nun begann. Sie war sehr feierlich. Sie wurde durch das sehr umständliche Rauchen der Friedenspfeife eingeleitet. Man hielt trotz der vorangegangenen Vorberatungen noch sehr ausführliche Reden. Es wäre wohl interessant, wenn ich diese Reden hier wörtlich wiederholte. Einige von ihnen gestalteten sich zu wahren Meisterstücken der indianischen Redekunst. Aber der Mangel an Raum gebietet mir, nicht so umständlich zu sein, wie diese Indianer es waren. Es genügt, zu sagen, daß wir auf unserem Platze alles, was gesprochen wurde, sehr deutlich verstanden. Es ging uns fast kein einziges Wort verloren. Das Resultat der Verhandlungen war für uns folgendes:

Die vier Stämme planten einen Überfall des Lagers der Apatschen und ihrer Freunde am Mount Winnetou. Durch diesen Überfall sollte die geplante Verherrlichung Winnetous vereitelt werden. Zugleich hoffte man, dadurch in den Besitz großer Beute und all der Schätze zu kommen, welche jetzt in diesem Lager zusammenflossen. Es waren das besonders die freiwilligen Gaben an Nuggets und anderen Edelmetallen, die, entweder von ganzen Stämmen, Clans und Gesellschaften oder von einzelnen Personen gespendet, herbeigetragen wurden. Man wollte hier am ,dunklen Wasser‘ noch einige Tage bleiben, um von dem bisherigen langen Ritte auszuruhen, und dann nach einem Ort marschieren, den sie »das Tal der Höhle« nannten. Dieses Tal lag in der Nähe des Mount Winnetou und bot, wie man sagte, selbst für eine so große Zahl von Kriegern ein sicheres Versteck. Aus diesem Versteck heraus sollten dann die Apatschen und ihre Verbündeten überfallen werden.

Von höchstem Interesse für uns war ein ganz besonderer Punkt, den wir erlauschten. Die vier verbündeten Stämme hatten nämlich einen Kumpan bei den Apatschen, der es übernommen hatte, sie über alles zu unterrichten, ihren Streich mit vorzubereiten und ihnen die passendste Zeit zu seiner Ausführung anzugeben. Dieser Spion und Verräter war um so gefährlicher, als er nicht zu den gewöhnlichen, gleichgültigen Personen gehörte, sondern mit im Denkmalkomitee saß und als Mitglied desselben alles mögliche wußte und allseitig ein besonderes Vertrauen genoß. Das war Mr. Antonius Paper, mit dem indianischen Namen Okih-tschin-tscha und dem schlingernden Gange. Dies zu erfahren, hatte ganz besonderen Wert für uns. Für diese seine Mitwirkung war ihm ein bedeutender Anteil an der Beute, über dessen Höhe man aber nicht sprach, verheißen worden. Die Oberhäuptlinge schienen eine Scheu zu haben, sich vor ihren Unterhäuptlingen über diesen Punkt deutlich auszudrücken. Es wurden da die Gebrüder Enters mitgenannt, welche das, was man ihnen versprochen hatte, nicht bekommen sollten, weil man es diesem Antonius Paper auszuzahlen hatte, dem man seinen Lohn aber auch vorenthalten wollte, weil er an die beiden Enters zu entrichten wäre. Es handelte sich da jedenfalls um eine große Lumperei, über die man nicht gern sprach. Ich vermutete, daß man alle drei, sowohl Paper als auch die Enters, um ihren Lohn betrügen und sie dann auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen wollte.

Als die Zeremonie zu Ende war, wurde das Beratungsfeuer auf dem Altar von den beiden Medizinmännern ausgelöscht. Sie strichen die Asche von der Platte und traten dann um einige Schritte von dem Altar zurück. Hierauf sagte der Medizinmann der Komantschen in feierlichem Ton:

»So oft das heilige Feuer über den Medizinen erlischt, ist das Wort des Silberlöwen zu wiederholen: Bewahret eure Medizinen! Das Bleichgesicht kommt über das große Wasser und über die weite Prärie herüber, um euch eure Medizinen zu rauben!…

Und der Medizinmann der Kiowas fügte hinzu:

»So oft das heilige Feuer über den Medizinen erlischt, ist auch das Wort des großen Kriegsadlers zu wiederholen: Es wird ein Held erscheinen, den man den ,jungen Adler‘ nennt. Der wird dreimal um den Berg fliegen und sich dann zu euch niederlassen, um euch die geraubten Medizinen wiederzubringen. Dann wird die Seele der roten Rasse aus ihrem tausendjährigen Schlaf erwachen, und was getrennt war, wird zur geeinigten Nation und zum großen Volk werden!«

Von jetzt an sprach niemand mehr, aber man blieb sitzen, bis die Feuer nach und nach verlöschten und schließlich auch der letzte noch glimmende Funke verschwunden war. Dann geschah der Aufbruch. Die Indianer verließen das Haus genauso, wie sie gekommen waren: langsam und still, einzeln, einer hinter dem andern. Unsere Blicke folgten ihnen, bis sie das Wasser des Sees erreichten und dann nach beiden Seiten abschwenkten. Das Herzle holte tief, tief Atem.

»Welch ein Abend! Welch eine Nacht!« sagte sie. »Das werde ich nie, nie vergessen! Was tun wir jetzt?«

»Wir steigen hinab und holen uns die Medizinen«, antwortete ich.

»Dürfen wir das?«

»Eigentlich ist es verboten. Es steht der Tod darauf. Kein Indianer würde wagen, sich an ihnen zu vergreifen. Für uns ist es einfach ein Gebot der Notwendigkeit.«

Der »junge Adler« hörte das. Er sagte nichts dazu.

Wir brannten unsere drei Lichter wieder an, griffen zu unserer Leiter und stiegen langsam und äußerst vorsichtig wieder hinab. Unten angekommen, traten wir an den Altar. Da fragte der junge Apatsche in seiner Muttersprache:

»Du willst sie wirklich nehmen?«

»Ja, unbedingt«, antwortete ich. »Sie sind eine Macht in meiner Hand, und zwar eine große, segensreiche Macht.«

»Das weiß ich. Aber ich bin Indianer, und ich kenne die Bedeutung und die Unverletzlichkeit der Medizinen, die an solcher Stelle niedergelegt worden sind. Weißt du, was meine Pflicht mir hier gebietet?«

»Ja. Du hast zu verhindern, daß ich sie berühre. Sogar Gewalt hast du zu gebrauchen. Aber, habe ich etwa die Absicht, sie nicht heilig zu halten, sie zu verletzen?«

»Nein. Die hast du nicht. Und du bist Old Shatterhand, ich aber bin ein Knabe. Ein Kampf mit dir wäre mein Tod. Dennoch bitte ich dich um die Erlaubnis, eine Bedingung stellen zu dürfen!«

»Du darfst.«

»Wenn du das Bleichgesicht des Silberlöwen sein willst, welches zu uns herüberkommt, uns unsere Medizinen zu nehmen, so laß mich der junge Indianer des Kriegsadlers sein, der vom Mount Winnetou herniederkommt, um seinen Brüdern ihre Medizinen zurückzugeben!«

»Kannst du das?«

»Wenn du willst, ja!«

»Fliegen?«

»Ja.«

»Dreimal um den Berg?«

»Ja!«

Das war ein ganz eigenartiger, vielleicht sogar ein großer Augenblick. Dieses Dunkel! Dieser schauerliche Ort! Ein Bleichgesicht im Greisenalter. Ein hochbegabter, kühner Indianer im hoffnungsreichsten Jugendalter! Beide hier am Altar einander gegenüberstehend, mit kleinen, winzigen Lichtern in den Händen, deren spärlicher Schein von der Finsternis schon zwei, drei Schritte weit verschlungen wurde! Er sprach vom Fliegen. Er versicherte, es zu können, und zwar mit einer Stimme und in einem Ton, der jeden Zweifel ausschloß! Er meinte körperliches Fliegen. Ich aber dachte ebenso sehr auch an den seelischen, an den geistigen Flug, den er, der Typus seiner verjüngten Nation, zu nehmen hatte, wenn er ihr die im Verlauf der Jahrtausende verlorengegangenen »Medizinen« zurückbringen wollte. Aber ich hatte ein großes, ein warmes und ich möchte sagen, ein heiliges Vertrauen zu ihm.

»Ich glaube dir!« antwortete ich. »Ich nehme sie jetzt. Aber ich gebe sie dir, sobald du sie von mir verlangst!«

»Deine Hand darauf!«

»Hier!«

Wir reichten einander die Hände.

»So nimm sie!« sagte er und griff nach der Platte, um mir zu helfen, sie auf die Seite zu schieben. Sie war fast noch heiß. Ich nahm die Medizinen aus dem geöffneten Altar. Wir schoben die Platte in ihre vorige Lage zurück und verließen dann, nachdem wir die Lichter verlöscht hatten, das Haus, um nach unserm Lagerplatz zurückzukehren. Die Leiter nahmen wir mit, damit sie nicht nachträglich noch zur Verräterin an uns werde. Unser Aufenthalt am »Dunklen Wasser« hatte von jetzt an als beendet zu gelten. So kurz er gewesen war, so sehr konnten wir mit seinen Ergebnissen zufrieden sein.