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Waldröschen IX. Erkämpftes Glück. Teil 2

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13. Kapitel

Nun herrschte in der Gruft die Stille des Todes; droben aber ließ sich das Knirschen eines Schlüssels hören. Nach einer Weile kamen Schritte herab, und im Laternenschein wurden Cortejo und Landola sichtbar.

Kurt steckte neben Peters, dem Matrosen.

»Sind sie es?« flüsterte er ihm zu. – »Ja«, antwortete der Gefragte, aber nur hauchend.

Die beiden Eingetretenen begannen zu sprechen.

»Leuchten Sie umher!« sagte Landola.

Cortejo trug die Laterne und folgte der Aufforderung. Sie suchten den Sarg und fanden ihn, da er ja in goldenen Lettern den Namen dessen trug, der ihn ihm gelegen hatte.

Der Polizist hatte den Deckel gar nicht nach der Fuge auflegen können, die Zeit war zu kurz dazu gewesen. Landola stieß nun den Sarg auf; der Deckel flog mit großem Gepolter herab, und die beiden Männer erblickten Geierschnabel mit seiner langen Nase und weit geöffneten, starr auf sie gerichteten Augen im Sarg liegen.

Beide stießen einen Ruf des Entsetzens aus und standen starr vor Schreck. Sie waren in diesem Augenblick unfähig, sich zu bewegen. Cortejo hielt mit der erhobenen Hand die Laterne empor, als ob er eine Statue sei.

Da, nach einigen Sekunden kehrte ihnen die Sprache wieder.

»O Himmel!« rief Cortejo. »Wer ist das?« – »Der Teufel«, antwortete Landola.

Sie, die beiden Schurken, die Taten begangen hatten, deren nur ein Mensch fähig ist, der weder Gott noch Teufel fürchtet, sie wurden von ihrem Entsetzen so gepackt, daß sie zwar sprechen, aber sich nicht bewegen konnten. Beide zitterten am ganzen Körper.

»Der Teufel!« stöhnte Landola. – »Ja, der Satan!« ächzte Cortejo. – »Pchtichchchchch«, spritzte ihnen aus dem Sarg ein Strahl Tabaksaft in die Gesichter. – »Ja, der Teufel, der Satans, der Beelzebub bin ich!« rief Geierschnabel, indem er auf- und aus dem Sarg sprang. »Ihr sollt mit mir nach der Hölle reiten. Hier habt Ihr den Ritterschlag der Unterwelt!«

Und mit seinen Armen zu gleicher Zeit ausholend, gab er jedem eine so gewaltige Ohrfeige, daß beide auf die Steinplatten niederstürzten. Und im nächsten Augenblick hatte er mit jener Geschwindigkeit, die nur einem Präriemann eigen ist, die Waffen, die sie bei sich trugen, entdeckt, ihnen entrissen und in den äußersten Winkel geworfen.

Beim Niederstürzen war der Hand Cortejos die Blendlaterne entfallen, aber in den Sarg, und war zufälligerweise so zu liegen gekommen, daß ihr Licht nicht ausgelöscht war. Geierschnabel ergriff sie mit der Linken, zog mit der Rechten sein Messer und stellte sich so, daß er mit dem Rücken den Eingang und die Treppe deckte.

Das gab den beiden die Überlegung zurück. Sie rafften sich auf.

»Donnerwetter!« rief Landola. – »Alle tausend Teufel!« rief Cortejo. – »Das ist ein Mensch!« – »Kein Teufel!« – »Ein Kerl von Fleisch und Bein gemacht!« – »Der es gewagt hat, uns zu schlagen.«

Der Schreck war plötzlich verschwunden und Grimm an seine Stelle getreten. Nun die beiden Patrone erkannt hatten, daß sie es mit einem Menschen zu tun hatten, der sich übrigens allem Anschein nach ganz allein in dem Gewölbe befand, waren sie mit einem Male wieder die Alten.

»Kerl! Was willst du hier? Was hast du hier zu tun?« fragte Landola in drohendem Ton. – »Was ich hier zu tun habe?« fragte Geierschnabel trocken. »Ohrfeigen habe ich auszuteilen; das habt Ihr ja gefühlt.« – »Das sollst du aber büßen. Wer bist du?« – »Der Teufel. Ihr habt es vorhin selbst gesagt!« – »Treibe keinen Unsinn! Wer du bist, will ich wissen.«

Landola ballte bei diesen Worten seine Fäuste und trat drohend einen Schritt näher heran.

»Männchen, mache dich nicht lächerlich!« lachte Geierschnabel. »Weder du noch ihr alle beide seid die Kerle dazu, mich fürchten zu machen!« – »Das wird sich finden. Ich verlange Antwort auf meine Fragen, erhalte ich diese nicht, so wirst du sehen, was folgt!« – »Was soll denn folgen?« – »Wir öffnen dir den Mund!« – »Pah! Dem ersten, der es wagt, mich anzugreifen, schlage ich hier die Laterne an die Nase, daß er denken soll, es stecken drei Millionen Sonnen und Monde darin. So ein Don Antonio de Veridante darf nicht denken, daß ich vor ihm ausreiße!« – »Ah, du kennst meinen Namen?« fragte Cortejo. – »Ja.« – »Woher?« – »Von der Polizei, die dich sucht.« – »Mich? Das ist Lüge!«

Da machte Geierschnabel ein höchst pfiffiges Gesicht und sagte:

»Na, ich will die Wahrheit sagen. Ich habe diesen Namen von einem gewissen Gonsalvo Verdillo in Verakruz gehört.«

Als die beiden diesen Namen hörten, wurde ihnen das Herz leicht.

»Von Gonsalvo Verdillo?« fragte Cortejo. »Wie kamst du zu ihm?« – »Das ist meine Sache!« – »Suchtest du jemand bei ihm?« – »Ja.« – »Wen?« – »Einen gewissen Landola.« – »Alle Wetter! Kennst du diesen?« – »Nein.« – »Warum suchst du ihn aber denn?« – »Weil ich etwas Wichtiges an ihn auszurichten habe.« – »Was?« – »Donnerwetter! Frage du und der Teufel! Es versteht sich von selbst, daß ich meine Botschaft nur an den ausrichte, für den sie bestimmt ist.« – »Aber von wem sie kommt, das darf ich doch wohl wissen?« – »Auch nicht.« – »Wie kommt denn mein Name in Verbindung mit deiner Botschaft?« – »Dieser Verdillo sagte mir, wenn ich Landola finden wolle, so müsse ich nach Mexiko gehen und mich nach einem gewissen Don Antonio Veridante erkundigen. Er beschrieb mir den Mann so genau, daß ich ihn in diesem Augenblick sofort erkannt habe.« – »Ah, ist es so! Ich kann dir allerdings sagen, wo Landola zu finden ist. Vorher aber muß ich wissen, wie du in das Gewölbe kamst.« – »Da herunter«, meinte Geierschnabel, indem er nach rückwärts auf die Tür und Treppe deutete. – »Das weiß ich. Hier ist nicht Zeit zu spaßen. Antwort will ich.« – »Na, ein anderer würde keine bekommen, da du aber derjenige bist, an den ich mich zu wenden habe, so will ich die Wahrheit sagen. Mein Geldbeutel ist nämlich verflucht dünn geworden.« – »Was hat das mit dieser Gruft zu tun?« – »Sehr viel. Die Toten sind verständiger als die Lebendigen.« – »Ah, ich begreife«, meinte Cortejo. »Wer zu feig ist, die Lebenden zu bestehlen, der geht zu den Toten.« – »Mäßige dich, mein Junge. Ich bin nicht feig, sondern vorsichtig.« – »Wie aber kamst du gerade auf diese Gruft?« – »Weil die Bewohner hier einst reich gewesen sind.« – »Das genügt. Wie kamst du herunter?« – »Mittels eines Nachschlüssels.« – »Du hast doch keine Laterne.« – »Die versteckte ich, als ihr kamt.« – »Was hast du erbeutet?« – »Noch nichts.« – »Ah, du hast noch keinen der anderen Särge geöffnet?« – »Nein, nur diesen hier. Und zum Teufel, gerade dieser erste war leer. Wenn das so fortgeht, muß ich mit leeren Händen abziehen. Es ist Mitternacht. Die Toten hier scheinen um diese Zeit spazieren zu gehen, eine recht dumme Angewohnheit!«

Die beiden wußten nicht, was sie aus dem wundersamen Mann, der ihnen einen solchen Schreck eingejagt hatte, machen sollten. Sie waren ihrer zwei und fühlten sich ihm überlegen. Zu befürchten hatten sie auch aus dem Grunde nichts, weil er selbst ein Dieb, ein Leichenplünderer war, darum ergriff Landola das Wort und fragte:

»Also an Landola hast du eine Botschaft auszurichten?« – »Ja.« – »An Seekapitän Landola?« – »Ja.« – »So sprich! Ich bin Landola.« – »Ah, wirklich?« – »Ja.« – »Nun, ich hätte nicht geglaubt, daß ich meine Adressaten hier in diesem Gewölbe treffen würde. Aber wenn du wirklich Landola bist, so muß der andere Cortejo sein.« – »Wie kommst du auf diesen Gedanken?« – »Das sollt ihr nachher erfahren.« – »Nun gut, ich will dir vertrauen und dir sagen, daß dieser Señor Cortejo heißt« – »Aus Rodriganda in Spanien?« – »Ja.« – »Wenn das wahr ist, dann darf ich allerdings sagen, was ich an euch beide auszurichten habe.« – »Nun?« – »Ich soll euch warnen, nach Mexiko zu kommen.« – »Warum?« – »Weil man euch dort gefangennehmen wird.« – »Pah!« sagte Landola mit einer geringschätzigen Handbewegung. – »Pah?« fragte Geierschnabel. »Ihr haltet euch für sicher? Man hat sogar die Zeit und den Ort bestimmt, wann und wo man sich eurer bemächtigen wird.« – »Unsinn!« – »Ich kann es euch beweisen!« – »Welche Zeit und welcher Ort sollte das sein?« – »Welche Zeit? Um Mitternacht. Und an welchem Ort? Hier im Grabgewölbe der Rodriganda.«

Cortejo fühlte sich etwas unbehaglich, Landola aber lachte und sagte:

»Mensch, du scheinst halb Bösewicht und halb Dummkopf zu sein. Wir sind gewöhnt, mit uns spaßen zu lassen.« – »Nun gut, so mag der Spaß aufhören«, unterbrach ihn Geierschnabel, »und der Ernst mag beginnen. Ihr seid meine Gefangenen!«

Seine Miene war dabei so ernst, daß selbst Landola einsah, daß sich hier etwas Unangenehmes vorbereitete. Er trat einen Schritt zurück, sah sich mit einem besorgten Blick nach seinen Waffen um und sagte:

»Kerl, du bist verrückt! Wie können wir deine Gefangenen sein!« – »Nicht meine? Nun, so will ich sagen, daß ihr unsere Gefangenen seid!« – »Unsere? Ah! Du bist nicht allein?« – »Nein. Seht euch um!«

Geierschnabel zeigte nach dem Hintergrund. Dort erhoben sich alle Versteckten, die sich bisher ruhig verhalten hatten, hinter den Särgen und öffneten die Laternen. Es wurde doppelt hell in dem Gewölbe, und nun erkannten die beiden, was ihrer wartete.

»Hölle und Teufel! Mich bekommt Ihr nicht!« rief Landola. – »Mich auch nicht«, rief Cortejo.

Beide warfen sich auf Geierschnabel. Dieser aber war darauf vorbereitet. Ohne sein Messer zu benützen, stieß er Landola, den er für den Gefährlichsten hielt, die Blendlaterne ins Gesicht, so daß das Glas zerbrach und der Getroffene geblendet zurückwich. Und zu gleicher Zeit empfing er Cortejo mit einem solchen Fußtritt, daß dieser niederstürzte. In demselben Augenblick warfen sich die anderen auf die sich nun vergeblich Wehrenden und machten sie mit Hilfe der mitgebrachten Fesseln unschädlich. Als Cortejo einsah, daß aller Widerstand vergeblich sei, verzichtete er auf denselben. Landola aber sträubte sich gegen seine Banden und schäumte vor Wut. Es half nichts. Seine Fesseln wurden desto enger gezogen.

 

»Da haben wir sie also«, meinte der Alkalde. »Wollen wir mit dem Einleitungsverhör gleich hier beginnen, Herr Leutnant?« – »Es wird der geeignete Ort nicht sein«, antwortete der Gefragte. »Wir haben zunächst mehr zu tun.« – »Was?« – »Die Leiche zu suchen, die diese Menschen jedenfalls oben liegen haben, und den Mann festzunehmen, der am Tor Wache gestanden hat.« – »Den haben meine Polizisten bereits fest.«

Darin irrte sich der Alkalde bedeutend. Grandeprise war ein erfahrener Jäger. Er lehnte am Tor und wartete auf die Rückkehr seiner Gefährten. Da vernahm er hinter sich ein leises Geräusch, das aber für seine geübten Ohren nichts weniger als leise war. Er erkannte sofort den Tritt zweier Männer, die sich zu ihm heranschlichen. Blitzschnell lag er an der Erde, kroch zur Seite und dann nach rückwärts, um sie zu beobachten. Er kam hinter einen dichten Rosenbusch zu liegen, vor dem die beiden stehengeblieben waren.

»Ich sehe ihn nicht«, meinte der eine. – »Ich auch nicht«, bestätigte der andere. – »Wer weiß, was dieser Kerl mit der langen Nase gesehen hat. Vielleicht gibt es hier gar keinen, der Wache steht.« – »Laß uns suchen.«

Sie schlichen sich vorwärts, und nun erkannte Grandeprise, daß er es mit Polizisten zu tun habe.

»Alle Teufel«, brummte er, »was ist das? Suchen sie mich? Will man mich gefangennehmen? Ich muß die beiden warnen.«

Er schlich sich in der Richtung fort, in der Cortejo und Landola von ihm gegangen waren, aber er fand sie nicht. Er suchte weiter, in dem er sich in acht nahm, auf irgendeinen Lauscher zu stoßen. Da sah er einen Lichtschein durch die Büsche blitzen. Er ging darauf zu und kam an das Erbbegräbnis der Rodriganda, wo er laute Stimmen hörte.

»Hier liegt er«, hörte er sagen. – »Ein Mann. Ah, er hat in den Sarg des Grafen gesollt. Laßt uns ihn untersuchen. Die beiden Gefangenen müssen sagen, aus welchem Begräbnis sie ihn gestohlen haben.« – »Sie sind gefangen«, dachte er. »Das ist unangenehm. Sie haben nichts Böses getan, aber da diese Herren Franzosen hier am Ruder sind, werden diese kurzen Prozeß mit ihnen machen. Wo bleibe ich da mit meiner Absicht, diesen Landola zu fangen? Ich werde ihn nie bekommen. Ich muß bei Gott sehen, ob ich diese beiden Kerle wieder losmachen kann.«

Er versteckte sich hinter einem Monument, das ihn vollständig verbarg und von dem aus er die Szene beobachten konnte.

Unterdessen wurden Cortejo und Landola heraufgeschafft und vor die obenliegende Leiche gestellt.

»Woher habt Ihr diesen Toten geholt?« fragte der Alkalde.

Keiner antwortete.

»Ich frage, aus welchem Begräbnis Ihr diesen Toten geholt habt!« wiederholte der Beamte.

Abermals keine Antwort. Er konnte fragen, was er wollte, die Verbrecher beobachteten das tiefste Schweigen.

»Lassen Sie«, sagte Kurt. »Es ist eine nicht seltene Taktik des Verbrechers, zu schweigen, wenn er alles verloren gibt. Wir werden morgen bei Tageslicht schon sehen, an welchem Begräbnis dieser Leichendiebstahl begangen wurde.« – »Das ist wahr«, meinte der Alkalde. »Bis dahin mag alles bleiben, wie es ist. Ich lasse meine Leute hier, um dafür zu sorgen, daß nichts verändert werde, wir anderen sind genug, die beiden Kerle in Gewahrsam zu bringen.«

Kurze Zeit später wurden Cortejo und Landola von dem Alkalden, Kurt, Geierschnabel und dem Matrosen Peters abgeführt. Die vier letzteren bemerkten gar nicht, daß ihnen von weitem eine männliche Gestalt folgte, um zu sehen, wohin die Gefangenen geschafft würden.

Im Gefängnisgebäude angekommen, wurde noch einmal ein Verhörsversuch mit ihnen angestellt, der ebenso resultatlos ausfiel wie der erste. Da nur noch ein einziger leerer Raum vorhanden war, wurden sie beide zusammen in demselben untergebracht, erhielten aber einen bewaffneten Soldaten vor die Tür, damit sie unmöglich entfliehen könnten.

Kurt war mit bis in die Zelle gegangen, um sich zu überzeugen, daß die Gefangenen auch sicher untergebracht seien. Ehe er sie verließ, wandte er sich mit den Worten an Cortejo:

»Señor Gasparino, denkt nicht etwa, daß Ihr mit Eurem Schweigen weiter kommt, als mit einem offenen Geständnis. Ich bin von allem unterrichtet und brauche Euer Geständnis nicht.«

Da endlich sagte Cortejo das erste Wort. Er blickte den jungen Mann verächtlich an und fragte:

»Was werdet Ihr wissen? Wer seid Ihr?« – »Ich heiße Kurt Helmers und bin der Sohn des Steuermanns Helmers, den Landola mit nach der Insel geschafft hatte. Straflosigkeit habt Ihr beide nicht zu erwarten, aber wenn eine Milderung möglich wäre, so doch nur in dem Fall, daß Ihr von Eurer Verstocktheit laßt.« – »So. Und was wißt Ihr denn von uns?« – »Alles.« – »So zählt es auf.« – »Ich verschmähe das. Wir stehen uns keineswegs so gleichwertig gegenüber, daß ich mich zu einer Unterhaltung mit Euch herbeilassen könnte. Was ich vorzubringen habe, das wird Euch die Untersuchung lehren. Euer Spiel ist aus. Ihr habt nur noch leere Blätter und Nieten in der Karte.«

14. Kapitel

Unterdessen war der Jäger Grandeprise um das Gebäude herumgegangen, um die Mauern zu untersuchen. Er sah zu seinem Mißvergnügen, daß von hier aus an eine Befreiung nicht zu denken sei. Da bemerkte er, daß ein Fenster, das mit außerordentlich starken Eisengittern verwahrt war, erleuchtet wurde.

»Ah«, brummte er, »das ist die Zelle, in die man sie steckt. Jetzt weiß ich wenigstens das. Oder steckt man den einen von ihnen noch anderswohin?«

Er wartete noch eine ganze Weile, um zu sehen, ob noch ein zweites Fenster erleuchtet werde. Als dies nicht der Fall war, murmelte er:

»Gut, sie scheinen beisammen zu sein. Jetzt gilt es, zu wissen, wann diejenigen, die sie fingen, sich wieder entfernen.«

Er begab sich wieder nach dem Eingang zurück, wo er sich auf die Lauer legte. Es dauerte nicht lange, so öffnete sich das Tor, und vier Personen traten heraus, um sich zu entfernen.

»Sie sind es. Sie sind fort. Was nun tun und anfangen?« flüsterte er. »Es muß schnell gehandelt werden. Morgen ist es vielleicht zu spät.«

Er schritt nachdenklich die Straße entlang. Plan auf Plan durchkreuzte seinen Kopf, aber keiner erwies sich als ausführbar. Da hörte er klirrende Schritte hinter sich. Ein französischer Offizier, der so spät noch aus einer Tertullia oder Unterhaltung kam, schritt an ihm vorüber.

»Alle Teufel, welch ein Gedanke! Das wäre etwas!« brummte er. »Dieser Mensch schien so ziemlich meine Statur zu besitzen. Allons, nicht lange überlegt, sonst geht die Gelegenheit vorüber!«

Grandeprise, als Präriejäger schnell im Entschluß und in der Ausführung, eilte dem Offizier nach.

»Monsieur, Monsieur!« rief er halblaut. – »Was ist‘s?« fragte der Mann stehenbleibend. – »Sind Sie vielleicht der Kapitän Mangard de Vautier?«

Grandeprise hatte diese Frage ausgesprochen, um nahe an den Offizier heranzukommen. Dieser antwortete:

»Nein. Ich kenne keinen Kapitän oder Offizier dieses Namens.« – »Nun, ich auch nicht«, meinte der Jäger lachend.

Während dieser Worte faßte er den Offizier mit der Linken bei der Gurgel, die er fest zusammenpreßte, und versetzte ihm mit der Rechten einen Hieb an die Schläfe, jenen Savannenhieb, unter dem der Getroffene stets sofort besinnungslos zusammenstürzt.

»So, da liegt er! Nun aber fort von hier nach einem sicheren Ort.«

Bei diesen für sich hingeflüsterten Worten hob Grandeprise den Offizier auf, warf ihn sich über die Achsel und trug ihn nach einem einsam gelegenen Mauerwinkel, wo er ihn seiner Uniform entkleidete, ihn mit Taschentüchern fesselte und knebelte, um dann die Uniform mit seinem eigenen Anzug zu vertauschen.

»So«, meinte er. »Jetzt bin ich fertig. Jetzt beginnt erst das Wagnis. Gelingt es nicht, so geht es mir traurig.«

Grandeprise steckte seine Waffen zu sich und begab sich, nun seinerseits sporenklirrend, nach dem Gefängnis, an dessen Tür er schellte.

»Wer da?« fragte der innenstehende Posten. – »Ordonnanz des Gouverneurs! Öffnen!« antwortete er.

Der Schlüssel drehte sich im Schloß. Grandeprise wurde eingelassen. Der Posten trat nahe an ihn heran, und als er beim Schein einer trübe brennenden Laterne die Uniform erkannte, salutierte er vorschriftsmäßig.

»Ist der Inspektor des Gefängnisses noch wach?« fragte der Jäger. – »Nein, Herr Kapitän«, antwortete der Posten. »Er wurde aus dem Schlaf geweckt, als man vor kurzer Zeit zwei Gefangene brachte, ist aber wieder zur Ruhe gegangen.« – »Wer ist an seiner Stelle?« – »Ein Schließer.« – »Parterre?« – »Ja. Jede Fronte hat außerdem ihren Posten.« – »Gut.«

Grandeprise schritt über den Hof hinüber und läutete an der Tür des eigentlichen Gefangenenhauses. Der Schließer öffnete. Grandeprise wußte, daß zur gegenwärtigen Zeit die Franzosen die eigentlichen Meister des Landes waren, deren Wille in vielen Fällen und Beziehungen einen geradezu knechtischen Gehorsam fand. Er gab sich daher die Miene und das Äußere eines Mannes, der nicht im geringsten geneigt ist, mit sich sprechen und handeln zu lassen, und sagte:

»Ist der Inspektor wach?« – »Nein. Soll ich ihn wecken?« fragte der Schließer. – »Nein, ist nicht nötig. Wieviel Mann in der Wachstube?« – »Acht.« – »Bin Ordonnanz des Gouverneurs. Können zwei Mann zum Transport eines Gefangenen für kurze Zeit entbehrt werden?« – »Ja.« – »Schnell holen. Habe nicht viel Zeit.«

Während der Schließer sich entfernte, um diesem kurz und streng gegebenen Befehl Gehorsam zu leisten, betrachtete der kühne, waghalsige Jäger sich den Raum, in dem er sich befand.

Da gab es eine Tafel, auf der die Nummern sämtlicher Insassen des Gefängnisses verzeichnet waren. Dabei las er: Nummer 32 angeblich Advokat Antonio Veridante nebst Sekretario. Er wußte also die Nummer, in der die Gesuchten zu finden seien. Auf einer Schreibtafel lagen verschiedene Formulare, unter denen er auch Quittungsscheine für Entgegennahme von Gefangenen fand. Auch das kam ihm zustatten. Er nahm eiligst eine Feder zur Hand, füllte einen dieser Scheine aus und setzte den ihm bekannten Namen des Gouverneurs darunter, ganz aufs Geratewohl und ohne die Handschrift dieses hohen Beamten zu kennen. Er trocknete die Schrift, faltete das Blatt zusammen und steckte es in die Tasche. Er war kaum damit fertig, so kam der Schließer mit zwei Mann Soldaten zurück, die scharfgeladene Gewehre trugen.

»Hier, mein Kapitän, sind die Leute«, meldete er. – »Gut. Ist ein Hauptschlüssel vorhanden?« – »Ja. Ich trage ihn bei mir.« – »Er schließt alle Zellen?« – »Alle.« – »Mir folgen! Vorwärts!«

Da Grandeprise von außen das erleuchtete Fenster gesehen hatte, so wußte er, daß die betreffende Zelle im ersten Stockwerk lag. Er stieg also, vom Schließer und den Soldaten gefolgt, die Treppe empor und schritt dann oben den Korridor hinab, bis er vor Nummer 32 stand.

»Öffnen!« befahl er.

Der Schließer gehorchte ohne Widerrede. Der vor der Tür stehende Posten trat zurück, und die Tür ging auf. Bei dem Schein der Laterne, die der Schließer trug, erkannten die beiden Gefangenen einen französischen Offizier, der eintrat.

»Sie sind der Advokat Antonio Veridante?« fragte Grandeprise Cortejo. – »Ja«, antwortete dieser. – »Und dieser Mann ist Ihr Sekretär?« – »Ja.« – »Zeigen Sie her!«

Diese letzten Worte waren an den Schließer gerichtet, dem Grandeprise die Laterne aus der Hand nahm. Er tat so, als ob er den beiden Gefangenen in das Gesicht leuchten wolle, hielt aber die Laterne so, daß sie auch das seinige erkennen konnten. Sie wußten sofort, woran sie waren, obgleich ihnen dieses Wagnis als ein geradezu unerhörtes und unbegreifliches erschien, während Grandeprise doch nur mit der blitzschnellen Energie des Präriemannes einem augenblicklichen Impuls gefolgt war.

»Ja, sie sind es«, sagte er. »Der Gouverneur wurde mit der Nachricht von ihrer Festnahme geweckt. Er will sie augenblicklich sehen, da er weiß, daß sie verdächtig sind, mit Juarez verkehrt zu haben. Sie haben mir zu folgen!«

Und sich an den Schließer wendend, zog er die Quittung hervor und sagte in einem Ton, der keine Entgegnung zuließ:

»Hier die Bescheinigung des Gouverneurs, daß Sie mir die beiden Gefangenen verabfolgt haben. Ich bringe sie in ungefähr einer Stunde wieder. Stellen Sie mir bis dahin eine Quittung aus, daß ich nicht zu warten brauche. Vorwärts!«

Grandeprise schob die Gefangenen zur Tür hinaus und winkte den beiden Soldaten, sie unter ihre Obhut zu nehmen. Der Schließer wagte kein Wort des Einwandes. Er las beim Schein der Laterne die Quittung und hielt es nun für unmöglich, sich zu sträuben.

So ging es fort, zur Treppe hinab, über den Hof hinüber und zum Tor hinaus, das der Posten wieder öffnete. Draußen schlugen die Soldaten von selbst die Richtung ein, die zum Gouverneur führte.

 

Es war stockdunkel; Straßenlaternen gab es nicht, und so versicherten die Soldaten sich ihrer Gefangenen dadurch, daß sie je einen beim Arm ergriffen. Der Jäger fühlte jetzt sein Herz erleichtert, er wußte nun, daß er gewonnenes Spiel haben werde. Er hatte sich in eine fürchterliche Gefahr begeben gehabt. Was zählen Mut und Scharfsinn, Klugheit und Erfahrung eines Savannenläufers hinter den Riegeln eines Gefängnisses? Jetzt hatte er den freien Himmel wieder über sich, und nun fühlte er sich von jeder Besorgnis frei.

Als sie eine genügende Strecke gegangen waren, zog er sein scharfes Messer heraus. Er hatte gesehen, daß die Fesseln nur aus Riemen bestanden, und fragte jetzt die Soldaten:

»Habt Ihr die Kerle auch sicher?« – »Ja, mein Kapitän«, antwortete der eine. »Wir führen sie ja beim Arm.« – »Aber die Riemen?« – »Sie scheinen fest zu sein.« – »Wollen es lieber untersuchen. Riemen pflegen nachzugeben.«

Grandeprise tat, als ob er die Bande mit den Händen auf ihre Festigkeit prüfen wolle, schnitt sie aber im Gegenteil durch. Die Gefangenen fühlten, daß sie frei seien, ließen sich dies aber durch keine Bewegung merken.

»Es ist gut«, sagte er. »Ich glaube, wir sind nun sicher. Vorwärts wieder!«

Der Weg wurde fortgesetzt, aber bereits bei der nächsten Straßenecke stieß der eine Soldat einen Schrei aus und stürzte zu Boden.

»Was gibt es?« fragte Grandeprise. – »Donnerwetter!« antwortete der Mann. »Mein Kerl hat sich losgerissen und mich zu Boden geworfen.« – »Ah! Wo ist er?« – »Da drüben muß er laufen!« – »Ihm nach!«

Das Gewehr im Arm rannte der Soldat fort. Schießen konnte er nicht, denn die Dunkelheit erlaubte ihm nicht, das Geringste zu erkennen.

»Halte nur den deinen fest!« gebot Grandeprise dem anderen. »Verdammt wäre es, wenn wir ihn nicht wieder bekämen!« – »Keine Sorge, mein Kapitän!« antwortete der Mann im zuversichtlichsten Ton. »Dem soll es nicht gelingen, mir – au, oh, Donnerwetter!« – »Was gibt es?« fragte Grandeprise.

Ebenso wie sein Kamerad am Boden liegend, raffte sich der Soldat empor und antwortete:

»Auch der meinige hat mich niedergeworfen.« – »Alle Teufel! Was für Schufte seid denn ihr Kerle? Laßt euch von diesen Schlingeln zur Erde bringen! Wo ist er denn?« – »Fort«, antwortete der Mann sehr kleinlaut. – »Donner und Doria! Wohin denn?« – »Da vorn scheint er zu rennen!« – »Laufe, sonst mache ich dir Beine! Kriegst du ihn nicht wieder, so soll dich der Teufel holen!«

Der Soldat rannte voller Angst davon.

Seine Schritte waren noch nicht verklungen, so drehte sich der Jäger kurz um und ging den Weg zurück, den sie gekommen waren.

»Verdammt klug haben es die Kerle gemacht«, brummte er vergnügt. »Diese Franzosen haben nichts gesehen, ich aber habe es deutlich bemerkt. Sollte mich wundern, wenn sie nicht hier in dieser Gegend zu mir stießen.«

Grandeprise hatte richtig vermutet, denn kaum war er mit diesem Gedanken zu Ende gekommen, so huschten zwei Gestalten zu ihm heran.

»Eingetroffen, Kapitän!« sagte der eine halblaut und lachend. – »Ich auch«, meinte der andere, ebenso lachend.

Es waren keine anderen als Landola und Cortejo.

»Wo sind die Soldaten?« fragte der erstere. – »Weit fort!« antwortete der Gefragte. – »Was für dumme Kerle! Denken die, daß wir vorwärts rennen! Ich habe mich einfach niedergeduckt.« – »Ich ebenso«, sagte Cortejo. »Aber nun erklären Sie uns, wie Sie in diese Uniform kommen!« – »Sehr einfach«, antwortete der Jäger. »Ich schlug einen Offizier nieder und nahm ihm dieselbe ab.« – »Donnerwetter! Welch ein Wagnis!« – »Ein Jäger fragt nach keinem Wagnis, wenn es gilt, seinen Gefährten einen Dienst zu erweisen.« – »Wir sind Ihnen da allerdings sehr großen Dank schuldig. Ein riesiges Wagnis, ein geniales Unternehmen, möchte man sagen! Aber der Offizier, den Sie niederschlugen?« – »Er liegt jedenfalls noch dort. Ich habe ihm einen Knebel gegeben, daß er nicht mucksen kann. Natürlich suche ich ihn jetzt auf und gebe ihm seine Uniform wieder.« – »Sie haben ihm bis dahin Ihre Kleider angezogen?« – »Fiel mir nicht ein. Welch eine Arbeit wäre das gewesen! Ich habe sie einstweilen zu ihm hingelegt und werde sie mir jetzt wiederholen. Kommen Sie!«

Sie schritten der Steile zu, wo Grandeprise den Offizier zurückgelassen hatte.