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Waldröschen II. Der Schatz der Mixtekas

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»Siehst du sie?« fragte Büffelstirn. »Es sind wackere Tiere, von denen keins unter zehn mal zehn Sommer alt ist. Und siehst du auch die Lassos, die ich mitgebracht habe? Ich nahm sie den Mexikanern ab, die wir erschossen.« – »Ich verstehe meinen Bruder«, erwiderte der Apache kurz. – »Wie hoch denkst du, daß ein Krokodil aus dem Wasserspringen kann?« – »Es kann die Schnauze höchstens vier Fuß weit aus dem Wasser bringen, wenn der Grund tiefer ist als sein Leib.« – »Und wenn es den Grund mit dem Schwanz berühren kann?« – »So schießt es noch einmal so weit hervor.« – »Nun wohl. Der Grund ist tief. Die Füße dieses Mannes sollen also vier Fuß über dem Wasser hängen. Wer soll auf diesen Baum klettern? Du oder ich?« – »Ich will es tun«, sagte der Apache.

Beide Indianer erhoben sich darauf von ihren Sitzen, traten zu Alfonzo und banden ihm die Hände auf den Rücken, indem sie ihm einen Lasso doppelt unter den Armen hindurchzogen. Dadurch wurde dieser Lasso so stark, daß er unzerreißbar genannt werden konnte. An ihm wurden wieder zwei andere Lassos befestigt, deren Enden der Apache in seine Hände nahm, um an dem Baum emporzuklettern.

Jetzt endlich merkte der Graf, daß man Ernst machte. Der Angstschweiß trat ihm in großen Tropfen auf die Stirn, und vor den Ohren begann es ihm zu rauschen wie im Sturmwind.

»Gnade, Gnade!« bat er jammernd.

Die beiden Rächer hörten nicht darauf.

»Gnade!« wiederholte er. »Ich will alles tun, nur hängt mich nicht für diese Krokodile auf!«

Auch dieses Flehen fand keine Antwort. Büffelstirn faßte Alfonzo und zog ihn nach dem Baum hin.

»Tut es nicht! Ich will euch alles geben, meine Grafschaft, meine Besitzungen, ganz Rodriganda. Ich verzichte auf alles, was ich habe, nur schenkt mit das Leben!«

Jetzt endlich antwortete der Häuptling der Mixtekas:

»Was ist Rodriganda? Was ist deine Grafschaft, was sind deine Besitzungen! Du hast die Schätze der Mixtekas gesehen, die ich nicht mag, und du bietest mir deine Armut an! Bleibe ein Graf und stirb! Sieh diese Tiere, die noch nie einen weißen Grafen gefressen haben. Du wirst vier oder fünf Tage am Baum hängen und deine Füße emporziehen, wenn sie nach ihnen schnappen, sobald du aber schwach und müde wirst, werden sie dir dieselben abreißen. Dann verblutest du dich und stirbst. Und wenn nachher dein Leib verfault, so stürzt er herab und wird von ihnen verzehrt. Das ist das Ende eines weißen Grafen, der eine verachtete Indianerin betrügen wollte!« – »Gnade! Gnade!« flehte Alfonzo abermals in höchster Todesangst. – »Gnade? Hast du Gnade gehabt, als du den Freund der Häuptlinge mit der Keule erschlugst? Hast du Gnade gehabt, als du das Herz in der Brust der Indianerin tötetest? Und sind dies deine einzigen bösen Taten gewesen? Wahkonta hat dem Menschen versagt, alles zu wissen, ich kenne dein Leben nicht, aber wer so Böses tut wie du, der hat bereits vorher viel Böses getan. Wir rächen es zu gleicher Zeit mit dem, was du an uns getan hast. Die Krokodile werden dich fressen, aber du bist noch schlimmer als eins dieser Tiere. Wahkonta hat sie geschaffen, um Fleisch zu fressen, den Menschen aber hat er geschaffen, damit er gut sein soll. Deine Seele ist böser, als die ihrige.«

Damit schob Büffelstirn den Unglücklichen näher an das Wasser hin. Alfonzo wehrte sich nach Kräften. Er hatte die Beine frei und stemmte sich mit verzweifelter Anstrengung auf dem Boden fest. Da schlang ihm der Mixteka einen Riemen um die Füße und band dieselben zusammen, so daß er nun völlig wehrlos war.

»Gnade! Erbarmen!« wimmerte und stöhnte er.

Es half ihm nichts. Der starke Häuptling trug ihn nach dem Baum, und der Apache kletterte hinauf, die Enden der Lassos zwischen den Zähnen. Oben angekommen, setzte er sich fest und ließ zugleich die zehnfach zusammengeflochtenen Riemen über einen starken Ast laufen. Nun zog er den Grafen mit den Lassos am Stamm empor, während Büffelstirn schob: es ging langsam, aber sicher.

»Oh, laßt mich los, laßt mich doch los!« rief der zu einem so fürchterlichen Tod Verurteilte. »Ich will euch dienen und gehorchen als der geringste von euren Knechten!« – »Ein Graf hat Knechte, ein freier Indianer aber nicht!« lautete die Antwort.

Der Anblick der Alligatoren war entsetzlich. Die Lache war zu klein für sie, sie fanden keine Nahrung mehr in derselben. Sie hatten jahrelang gehungert, und nun sahen sie, daß Sie Speise bekommen sollten. Sie hatten aus Mangel an Nahrung bereits sich selber angefressen, dem einen fehlte ein Fuß, dem anderen irgendein Stück seines Leibes. Jetzt drängten sie sich unter dem Baum zu einem Klumpen zusammen. Ihre furchtbaren Schwänze peitschten das Wasser zu Schaum, ihre tückischen Augen schössen giftige, begehrende Blicke, und ihre geöffneten Rachen schlug mit einem Geräusch zusammen, das so klang, als ob man zwei starke Bretter zusammenschlage. Diese zehn Ungeheuer bildeten einen Knäuel, den man für einen einzigen, gräßlichen Drachen mit zehn Rachen und ebenso vielen Schwänzen halten konnte.

Der Gefangene schauderte.

»Laßt mich frei, ihr Ungeheuer!« brüllte er. – »Mein Bruder mag kräftiger ziehen!«

Diese Aufforderung an den Apachen war die einzige Antwort Büffelstirns.

»So seid verflucht und vermaledeit in alle Ewigkeit.«

Diese Worte kreischte der Graf, indem seine blutunterlaufenen Augen vergebens nach Rettung suchten.

»Es ist genug«, sagte der Mixteka, der mit den Augen eines Kenners die Entfernung des Astes vom Wasser mit der jetzigen Länge des Lassos verglich. »Mein Bruder schlinge den Lasso um den Stamm des Baumes und mache einen festen Knoten.«

Der Apache folgte diesem Gebot. Büffelstirn hatte bis jetzt mit einer Hand sich am Baum gehalten, während er mit der anderen den Gefangenen gepackt hielt. Es gehörte eine riesige Körperstärke dazu. Wäre die Zeder nicht so stark gewesen, so hätte sie bei ihrer schrägen Lage unter der Last der drei Männer brechen müssen. Jetzt war der entscheidende Augenblick gekommen. Alfonzo sah und fühlte das und rief mit beinahe unartikulierten Lauten:

»Seid ihr denn keine Menschen, seid ihr Teufel?« – »Wir sind Menschen, die einen Teufel richten«, antwortete der Mixteka. »Fahre hin!«

Ein gräßlicher, weithin tönender Schrei erscholl. Der Sprecher hatte Alfonzo losgelassen und ihm einen kräftigen Stoß gegeben. Dieser Stoß schleuderte den Gefangenen vom Baum herab und über die Wasserfläche hinaus. Er schwang am Lasso hin und her, und allemal, wenn er während dieser Pendelbewegungen dem Wasser nahe kam, schossen die Krokodile empor, um ihn zu packen.

»Es ist gut. Mein Bruder komme herab!«

Der Apache folgte dieser Aufforderung Büffelstirns und stieg vom Baum. Sie standen am Ufer und sahen dem grauenhaften Schauspiel zu, bis die Schwingungen immer kleiner wurden und der Verurteilte endlich von dem Ast gerade herniederhing.

Jetzt zeigte es sich, daß der Mixteka ein sehr gutes Augenmaß gehabt hatte. Alfonzo hing so, daß die aus dem Wasser emporschnellenden Krokodile gerade noch seine Füße packen konnten. Dadurch war er gezwungen, dieselben emporzuziehen, sobald eines der Tiere danach schnappte. Ging ihm die Kraft zu dieser Bewegung aus, so war er verloren. Er hatte viel gesündigt, aber dieser Tod und diese Todesangst wog viele, vielleicht alle seine Sünden auf.

»Es ist vollbracht! Wir wollen gehen!« sagte der Apache, dem selbst schauderte. – »Ich folge meinem Freund«, stimmte Büffelstirn bei.

Dann stiegen sie auf und ritten davon, noch lange verfolgt von dem Angstgeheul des Grafen.

Sie konnten jetzt schneller reiten als bergaufwärts, wo der Gefangene an dem Pferdeschweif gehangen hatte. Als sie unten am Bach ankamen, fanden sie bereits mehrere Indianer vor. Sie alle gehörten zu dem dem Untergang geweihten Stamm der Mixtekas und waren von Karja herbeigeschickt worden. Ihr Häuptling wandte sich jetzt an den Apachen:

»Ich danke meinem Bruder, daß er mir geholfen hat, das Bleichgesicht zu richten und zu bestrafen. Er kann nun nach der Hazienda zurückkehren und nach der Wunde Donnerpfeils sehen. Ich kann morgen nachkommen, denn ich habe hier vieles zu tun.«

Bärenherz ritt sofort davon. Der Mixteka aber winkte die Indianer zu sich, die einen Kreis um ihn bildeten, um seine Befehle zu vernehmen. Er blickte ernst umher und begann:

»Wir sind die Söhne eines Stammes, der sterben muß. Die Bleichgesichter geben uns den Tod. Sie trachten nach unseren Schätzen, aber sie haben sie nicht erhalten. Eure Väter haben den Meinigen geholfen, diese Schätze zu verbergen, und keiner von ihnen hat den Ort verraten, wo sich dieselben befinden. Würdet auch ihr so schweigsam sein?«

Sie alle senkten bejahend die Köpfe, und der Älteste von ihnen antwortete in aller Namen:

»Verflucht sei der Mund, der einem Weißen den Ort verraten könnte!« – »Ich glaube euch. Ich habe gewußt, wo sich die Schätze befinden, aber ein Bleichgesicht hat sie entdeckt. Dieses Bleichgesicht hat einen Teil derselben gefunden, und dieser Teil muß nun an einem anderen Ort verborgen werden. Wollt ihr mir helfen?« – »Wir helfen.« – »So schwört bei den Seelen eurer Väter, eurer Brüder und Kinder, daß ihr das neue Versteck nicht verraten und auch den geringsten Teil der Schätze niemals antasten wollt!« – »Wir schwören es«, erklang es im Kreis. – »So sorgt zunächst für eure Pferde, und dann kommt!«

Nachdem den Pferden gehörige Weide gegeben worden war, verschwanden die roten Gestalten im Eingang der Höhle, in der nun ein geheimnisvolles Regen und Treiben begann. Nur ein einziger blieb im Freien zurück, um über die Sicherheit der Pferde und das Gelingen des Unternehmens zu wachen.

Diese Arbeit dauerte die ganze Nacht hindurch, und erst als der Tag anbrach, kamen die Mixtekas einer nach dem anderen aus der Höhle gekrochen. Ein jeder brachte eine Last mit, die sie alle auf einen gemeinschaftlichen Haufen legten. Es waren die größten Nuggets und Goldbrocken nebst dem Geschmeide, das Helmers sich ausgewählt hatte.

 

»So!« sagte Büffelstirn, indem er den Haufen betrachtete. »Schlagt es in die Decken und ladet es auf das Pferd. Dies ist das Geschenk der Mixtekas an den einzigen Weißen, der die Schätze der Könige gesehen hat, weil ich es ihm erlaubte. Möge er durch dasselbe glücklich werden.«

Als das Packpferd, das er gestern früh mit dem Deutschen mitgebracht hatte, beladen war, kehrte er noch einmal in das Innere der Höhle zurück. Die vorderste Abteilung derselben, die Helmers und Alfonzo gesehen hatten, war jetzt vollständig leer und ausgeräumt. Büffelstirn blickte sich noch einmal um, dann trat er in eine Ecke, wo eine Zündschnur aus der Erde ragte, brannte sie mit seiner Fackel an und verließ schleunigst die Höhle.

Draußen zogen sich alle weit zurück und warteten. Es vergingen einige Minuten, dann ließ sich ein dumpfes Krachen vernehmen, die Erde bebte, ein dunkler Qualm stieg aus der vorderen Seite des Berges auf, die Felsen barsten, die Erde senkte sich langsam und brach mit einem rollenden Getöse zusammen. Der Eingang zur Höhle und der vorderste Teil derselben waren verschüttet. Der Bach schäumte über die Trümmer, erst wild und kämpfend, bald aber hatte er sich einen Weg nach seinem Bett gebahnt – der Zugang zu den Schätzen der Könige der Mixtekas war verschlossen.

»Reicht euch die Hände und schwört noch einmal, daß ihr schweigen wollt bis zum Tod!« gebot Büffelstirn seinen Leuten.

Die Indianer leisteten den Schwur, und es war jedem einzelnen anzusehen, daß er lieber sterben als seinen Schwur brechen werde. Noch einen langen Blick warfen sie auf die Stätte, die während der letzten vierundzwanzig Stunden so Ungewöhnliches gesehen hatte, dann sprengten sie davon.

Während dieser Zeit ritt der Apache ernst und trübe gestimmt nach der Hazienda zurück.

An seinem Geist zogen alle die Ereignisse vorüber, die in den letzten Tagen ihn und seine Freunde betrafen.

Insbesondere beschäftigte ihn das Schicksal Donnerpfeils, an dessen Aufkommen er zweifelte.

Die Sonne war über das mexikanische Land bereits hochgestiegen und sandte heiß und brennend ihre Strahlen auf Tiere und Menschen.

Der Apache aber fühlte die Hitze nicht, denn sein Geist war zu sehr beschäftigt; und fast wie sinnverloren und unempfänglich für das, was ihn umgab, ritt er weiter.

Sein Pferd, das den Weg genau kannte, führte ihn, ohne daß es sein Reiter lenkte, nach der Hazienda, in der Donnerpfeil bereits untergebracht worden war.

11. Kapitel

Als der Apache vom Berg El Reparo, wo er Büffelstirn verlassen hatte, nach der Hazienda zurückkehrte, fand er die Bewohner derselben in tiefer Trauer. Emma befand sich bei ihrem verwundeten Verlobten und ließ sich nicht sehen. Ihr kurzes Glück hatte bald eine sehr schlimme Trübung erlitten. Karja war bei ihr, um ihr in der Pflege des Kranken beizustehen und sie zu trösten. Der Haziendero hatte sofort einen seiner besten Reiter auf dem schnellsten Pferd nach Monclova geschickt, um einen erfahrenen Arzt herbeizurufen. Als er den Häuptling der Apachen vom Pferd steigen sah, kam er herbeigeeilt, um sich zu erkundigen:

»Du kommst allein?« fragte er. »Wo ist Tecalto?« – »Noch am Berg El Reparo.« – »Was tut er dort?« – »Er sagte es mir nicht.« – »Ich hörte, daß er sich Indianer hat schicken lassen. Wozu?« – »Ich fragte ihn nicht.« – »Und wo ist Graf Alfonzo?« – »Ich sage es nicht.«

Der Haziendero trat einen Schritt zurück und meinte unmutig: »Er sagte es mir nicht – ich fragte ihn nicht – ich sage es nicht! Solche Antworten wünscht man nicht!«

Der Apache machte eine abwehrende Handbewegung und erwiderte:

»Mein Bruder mag mich nicht nach Dingen fragen, über die ich nicht sprechen kann. Der Häuptling der Apachen liebt die Taten, aber nicht die Worte.« – »Aber wissen möchte ich doch, was da draußen am Berg geschehen ist.« – »Die Tochter der Mixtekas wird es ihm sagen.« – »Auch diese schweigt.« – »So wird Büffelstirn kommen und es erzählen. Mein Bruder führe mich an das Lager Donnerpfeils, damit ich dessen Wunde sehe!« – »So komm!«

Als die Männer das Zimmer des Deutschen betraten, fanden sie die beiden Mädchen an seinem Lager, Emma in Tränen und die Indianerin in schweigende Trauer gehüllt. Der Kranke wälzte sich in seinem Bett hin und her. Er hatte sicher Schmerzen auszustehen, hielt aber die Augen geschlossen und gab keinen Laut von sich. Auch als Bärenherz den Kopf betastete, zog der Patient sein Gesicht in schmerzhafte Falten, blieb aber stumm.

»Wie steht es?« fragte der Haziendero. – »Er wird nicht sterben«, antwortete der Häuptling. »Man lege immer neues Wundkraut auf.« – »Morgen wird der Arzt kommen.« – »Das Kraut Oregano ist klüger als der Arzt. Hat mein Bruder einen Vaquero, der ein guter Reiter und Jäger ist?« – »Mein bester Jäger und Schütze ist der alte Francesco.« – »Man hole ihn und gebe ihm ein gutes Pferd!« – »Wozu?« – »Er soll mich begleiten.« – Wohin?« – »Zu den Komantschen.« – »Zu den Komantschen? O Gott, was wollt ihr bei denen?« – »Kennt mein Bruder die Komantschen nicht? Wir haben ihnen die Gefangenen abgenommen; wir haben viele ihrer Krieger getötet. Sie werden kommen, um Rache zu nehmen.« – »Nach der Hazienda?« – »Ja.« – »So weit?« – »Der rote Mann kennt keine Entfernung, wenn er sich rächen und den Skalp seines Feindes holen will. Die Komantschen werden sicher kommen.« – »Und warum wollt ihr ihnen entgegenreiten?« – »Um sie zu sehen und zu erfahren, wann und auf welchem Weg sie kommen.« – »Ist es nicht besser, du bleibst hier, und wir stellen Posten aus?« – »Der Häuptling der Apachen sieht lieber mit eigenen Augen als mit den Augen anderer. Donnerpfeil, mein Bruder, wollte den Hunden der Komantschen entgegengehen. Nun ist er krank, und ich tue es an seiner Stelle.« – »So reitet in Gottes Namen. Ich will Francesco rufen lassen.«

In der Zeit einer Viertelstunde war der Vaquero zur Stelle. Man sah es seinem ganzen Habitus an, daß er die geeignete Persönlichkeit zu einem solchen Ritt sei. Als er hörte, um was es sich handelte, gab er seine Bereitwilligkeit zu erkennen, den Apachen zu begleiten. Sie versahen sich also mit dem, was zu einem Kundschafterritt notwendig ist, und brachen alsbald auf.

Als die beiden Mädchen sich allein mit dem Kranken befanden, begannen die Tränen Emmas wieder zu fließen. Es war eigentümlich, welchen Eindruck ihre Nähe auf den besinnungslosen Kranken ausübte. Wenn sie ihm ansah, daß er Schmerzen fühlte, ergriff sie seine Hand, und sofort glättete sich sein Angesicht. Drückte sie zuweilen einen leisen Kuß auf seine bleiche Stirn oder seine Lippen, so zog ein freudiges Glänzen über seine Züge, und er schien seine Schmerzen nicht mehr zu empfinden.

»Siehst du, daß er mich kennt?« sagte Emma zu der Indianerin. – »Er sieht dich ja nicht«, antwortete diese. – »Oh, er fühlt mich. Nicht sein Körper, sondern seine Seele empfindet die Nähe derjenigen, die ihn liebt. Oh, wäre er doch nie nach dem Berg El Reparo gegangen! Wie zürne ich deinem Bruder Tecalto, daß er ihn mitgenommen hat!« – »Tecalto meinte es gut! Er wollte ihm den Schatz der Könige zeigen und ihm davon schenken.« – »Und diesen Schatz wolltest du dem Grafen geben!« sagte Emma bitter. – »Kannst du mir nicht verzeihen?« bat die Indianerin. – »Ich verzeihe dir, denn ich weiß, daß die Liebe mächtiger ist als alles. Oh, wenn er doch nur wieder gesund würde!« – »Das Kraut Oregano wird ihm Hilfe bringen. Aber willst du nicht in die Säcke blicken?« – »Nein. Tue du es. Ich mag nicht sehen, was diesem Alfonzo gehört.«

Man hatte nämlich bei den Leichen der beiden Diener die Effekten des Grafen gefunden. Sie bestanden in zwei ziemlich gut gefüllten Reisesäcken, die die Indianerin jetzt öffnete. Sie fand nichts Auffälliges, bis sie auf den Boden des letzten Sackes kam. Dort lag ein Brief, der anscheinend aus der Tasche eines der Kleidungsstücke gefallen war, die der Sack enthielt. Sie las die Adresse. Es war diejenige des Grafen Alfonzo, dann las sie auch den Brief. Es war derselbe, den die Estafette gebracht hatte. Nun warf Karja rasch einen Blick auf die Freundin, und als sie bemerkte, daß diese nur acht auf den Kranken gab, steckte sie den Brief schnell zu sich.

*

Die mexikanischen Pferde sind von großer Ausdauer und Schnelligkeit. Bärenherz und der Vaquero flogen auf ihren Tieren wie der Wind dem Norden zu. Sie erreichten noch vor Abend die Stelle, wo sie bei der Rückkehr von der Reise mit den beiden Damen ihr letztes Nachtlager gehalten hatten, und rasteten nicht, sondern verfolgten den Weg immer fort, den sie damals gekommen waren.

Da, der Abend begann bereits heranzubrechen, hielt der Apache plötzlich sein Tier an und blickte zu Boden, und der Vaquero tat dasselbe.

»Was ist das hier?« fragte letzterer. »Das sind ja Spuren!« – »Von vielen Reitern!« nickte der Apache. – »Sie kommen von Norden her!« – »Und sind nach Westen eingebogen.« – »Sehen wir die Spuren genauer an!«

Sie stiegen ab und untersuchten die Hufeindrücke sehr sorgfältig.

»Es sind viele«, sagte der Apache. – »Wohl zweihundert«, fügte der Vaquero hinzu.

Der andere nickte zustimmend und deutete dann auf einen Hufeindruck, dessen Kanten noch ganz scharf gezeichnet waren.

»Ja«, meinte der Vaquero mit besorgter Miene. »Wir können von Glück sagen. Sie sind vor kaum einer Viertelstunde hier gewesen!«

Der Apache richtete sich rasch vom Boden auf.

»Vorwärts! Ich muß sie sehen!«

Nun bestiegen sie ihre Pferde wieder und folgten der Fährte. Diese führte tief in die Sierra hinein, und gerade, als das letzte Licht des Tages verglomm, erblickten sie auf dem Kamm einer vor ihnen liegenden Höhe eine dunkle Schlangenlinie, die aus Reitern bestand.

»Komantschen!« sagte der Apache. – »Ja, richtig! Donnerwetter, die haben es auf die Hazienda abgesehen!« – »Sie verbergen sich bis morgen in den Bergen«, entgegnete der Häuptling. – »Was tun wir?« – »Mein Bruder kehrt sogleich zurück, um den Haziendero zu melden, daß der Feind kommt.« – »Und du?« – »Bärenherz bleibt auf der Fährte des Feindes. Er muß wissen, was sie tun.«

Damit drehte der Apache sich um und ritt weiter, ohne sich darum zu bekümmern, ob der Vaquero seiner Weisung Folge leistete.

»Per dios!« murmelte dieser. »So ein Indianer ist doch ein eigentümlicher Mensch! Wagt sich an zweihundert Komantschen! Stolz wie ein König. Er sagt, was ich tun soll, und reitet fort, ohne nur Abschied zu nehmen oder zu sehen, ob ich ihm auch gehorsam bin.«

Dann wandte er sein Pferd wieder dem Süden zu und ritt denselben Weg zurück, den er gekommen war.

Es galt, die schlimme Nachricht so schnell wie möglich nach der Hazienda zu bringen. Darum strengte er sein Pferd an, und es war kaum Mitternacht, als er die Hazienda erreichte.

Hier lag bereits alles im tiefen Schlaf, und nur Emma wachte am Lager des Geliebten. Deshalb wandte sich der Vaquero zunächst an sie. Sie weckte natürlich sogleich ihren Vater, der den alten Francesco sofort zu sich kommen ließ.

»Ist‘s wahr, was mir Emma sagte?« fragte Arbellez. »Kommen die Komantschen?« – »Ja, das ist wahr, Señor.« – »Wann? Doch nicht etwa noch heute?« – »Nein, heute sind wir noch sicher.« – »Sind es viele?« – »Wohl zweihundert.« – »Heilige Madonna! Welch ein Unglück! Sie werden die Hazienda verwüsten.« – »Das fürchte ich nicht, Señor«, entgegnete der mutige Alte. »Wir haben ja Arme und auch Waffen genug.« – »Aber habt ihr auch richtig gesehen?« – »Das versteht sich.« – »Es scheint mir gar nicht möglich, daß die Kundschafter der Komantschen in so kurzer Zeit eine solche Schar aus ihren Weidegründen können herbeigeholt haben.« – »Das ist auch gar nicht der Fall, Señor. Als Señor Helmers mit dem Apachen die Damen befreite und dabei einen Komantschen erstach, begann die Blutrache. Es ist ganz sicher gleich damals ein Bote nach den Weidegründen abgegangen, die ja gar nicht weit vom Rio Pecos liegen. Während die Señores dann am Rio Grande gegen ihre Verfolger kämpften, waren bereits die zweihundert aufgebrochen. Die späteren Flüchtlinge sind darauf zu ihnen gestoßen und haben ihnen erzählt, daß sie abermals geschlagen worden sind. Das hat den Verfolgungsritt beschleunigt.« – »Wie weit entfernt ist der Punkt, an dem ihr sie sahet?« – »Sechs Stunden bei gewöhnlichem Ritt.« – »Und sie hielten nicht gerade auf die Estanzia zu?« – »Nein. Das fällt ihnen auch gar nicht ein. Sie haben sich in die Berge geschlagen, um nicht entdeckt zu werden, und werden vor morgen nachts sich sicherlich nicht blicken lassen.« – »Wir werden dennoch sofort Vorsichtsmaßregeln treffen. Oh, wenn doch Señor Helmers nicht verwundet wäre!« – »Auf den Häuptling der Apachen und auf Büffelstirn können Sie sich ebenso verlassen.« – »Büffelstirn ist noch am Berg El Reparo. Ich werde ihn sogleich holen lassen.« – »Soll ich reiten?« – »Du bist ermüdet.« – »Ermüdet?« lachte der Alte. »Mein Pferd wohl, aber nicht ich. Ich nehme ein anderes Tier.« – »Weißt du, wo der Häuptling zu finden ist?« – »Nein.« – »Am Auslauf des mittleren Baches.« – »Gut, ich werde ihn ganz sicher finden. Soll ich jetzt die Leute wecken?« – »Ja, wecke sie. Es ist besser, wir sind bereits heute auf der Hut.«

 

Der alte Francesco schlug Lärm, dann saß er auf, um nach El Reparo zu reiten, und eine Viertelstunde nach seinem Wegritt brannten rund um die Hazienda mehrere Feuer, die die Umgebung so erleuchteten, daß es sicher kein Indianer gewagt hätte, sich dem Haus zu nahen.

Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas, war eben mit seinen Indianern von El Reparo aufgebrochen, als der alte Vaquero auf ihn stieß. Er dachte sofort, daß etwas geschehen sei.

»Warum kommst du? Was ist‘s?« erkundigte er sich schnell. – »Rasch zur Hazienda! Die Komantschen kommen!« rief Francesco.

Die Augen des Indianers leuchteten vor Vergnügen auf.

»So schnell? Wer sagt es?« fragte er. – »Ich selbst habe sie gesehen.« – »Ah! Wo?«

Francesco erzählte seinen gestrigen Ritt.

»Ist es so, da haben wir noch Zeit«, meinte Büffelstirn. »Diese Komantschen werden auf der Hazienda del Erina einige Skalps verlieren. Ist Bärenherz hinter ihnen her?« – »Ja.« – »So brauchen wir keine Sorge zu haben. Sie entgehen uns nicht.«

Es ging nun im Galopp auf die Hazienda zu, wo sie alles in Eile und Aufregung fanden. Der Haziendero empfing den berühmten Cibolero selbst und fragte ihn nach seiner Meinung. Dieser blickte umher und schüttelte den Kopf, als er die kriegerischen Vorbereitungen erblickte.

»Halten Sie die Komantschen für Diggerindianer?« fragte er. – »Nein«, antwortete Arbellez. »Die Diggers sind dumm.« – »Aber die Komantschen nicht. Warum also diese Vorkehrungen?« – »Heilige Madonna! Sollen wir uns vielleicht nicht wehren?« – »Wir werden uns wehren, aber anders, Señor!« – »Wie denn?« – »Die Komantschen werden Kundschafter aussenden, um uns zu beobachten.« – »Natürlich.« – »Sie werden uns nicht am Tag überfallen.« – »Das denke ich auch.« – »Wenn wir sie zurückweisen wollen, so dürfen sie nicht ahnen, daß wir wissen, daß sie kommen.« – »Ah, da hast du recht!« – »Wir müssen unsere Vorbereitungen also im stillen treffen. Wie viele Männer haben Sie überhaupt?« – »Vierzig.« – »Das genügt. Jeder hat ein Gewehr?« – »Sie haben alle gute Gewehre.« – »Und Munition ist auch vorhanden?« – »Genug. Ich habe sogar Kanonen.« – »Kanonen?« fragte der Indianer erstaunt. – »Ja, vier Stück.« – »Davon weiß ich nichts. Woher sind sie?« – »Der Schmied hat sie gebaut, als du nicht hier warst.«

Der Häuptling schüttelte ungläubig den Kopf.

»Der Schmied hat sie gebaut? Taugen Sie etwas?« – »Ja, wir haben sie probiert. Der Lauf ist von festestem Eichenholz gebohrt, um welches starke, fünffache Bänder geschmiedet worden sind. Vom Zerspringen ist keine Rede.« – »Dann geht es. Wir schießen mit Glas, Nägeln und altem Eisen, das wirkt furchtbar. Sodann brauchen wir mehrere Feuer.« – »Wozu?« – »Der Überfall wird wohl bereits in der nächsten Nacht geschehen. Dabei muß alles dunkel sein, damit die Komantschen uns im tiefsten Schlaf wähnen. Sobald sie nun kommen, brennen wir die Feuer an und erleuchten die ganze Umgebung der Hazienda, damit wir sicheres Zielen haben.« – »So machen wir die Feuer auf dem platten Dach des Hauses.« – »Das ist klug. Es wird an jeder Ecke ein großer Haufen errichtet und mit Öl begossen. Das genügt für den ganzen Platz.« – »Und wohin stellen wir die Kanonen?« – »Wir errichten an jeder Ecke des Hauses, sobald es dunkel geworden ist, eine Verschanzung, hinter welche dieselben kommen. Sie müssen so stehen, daß sie zwei Seiten bestreichen können. Ah!«

Dieser letzte Ausruf galt einem Reiter, der auf dampfendem Roß durch das Tor kam. Es war – der Apache.

»Bärenherz!« rief der Haziendero. »Wo kommt Ihr her?« – »Von den Komantschen«, antwortete dieser, vom Pferd springend. – »Wo sind sie?« – »Auf dem Reparo.« – »Auf dem Reparo?« fragte Büffelstirn. »Hatten sie dort ihr Lager?« – »Ja. Ich bin ihnen bis auf den Berg gefolgt. Sie erreichten ihn erst nach Mitternacht.« – »Auf welcher Seite lagerten sie?« – »Auf der Seite nach Mitternacht.« – »Uff! Wenn sie …«, der Indianer unterbrach sich und fügte leise hinzu, so daß ihn nur der Apache hören konnte: »Wenn sie den Grafen finden.« – »Den werden die Krokodile gefunden haben«, entgegnete der Apache ebenso leise.

Diese Annahme war nun allerdings nicht richtig.